Zusammenfassung des Urteils STBER.2023.43: Verwaltungsgericht
Die Beschuldigte A.___ wird vom Vorwurf der Verwendung eines Telefons ohne Freisprechanlage während der Fahrt freigesprochen. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, des Berufungsverfahrens und der Neubeurteilung gehen zulasten des Staates Solothurn. A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Kunz, erhält eine Entschädigung von CHF 6'795.70 (inkl. Auslagen und MwSt.), zahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse Solothurn.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | STBER.2023.43 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Datum: | 24.01.2024 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Richt; Recht; Urteil; Telefon; Beschuldigte; Berufung; Verfahren; Bundesgericht; Verkehr; Berufungs; Mobiltelefon; Fahrt; Entscheid; Blick; Strasse; Ordnungsbusse; Sekunden; Ordnungsbussen; Neubeurteilung; Sachverhalt; Inkrafttreten; Fahrzeug; Telefons; Telefonieren; Strassen; Rechtsmittel; Aufmerksamkeit; Lenkrad; Beschuldigten |
Rechtsnorm: | Art. 1 OBG ;Art. 136 StPO ;Art. 14 OBG ;Art. 3 VRV ;Art. 31 SVG ;Art. 344 StPO ;Art. 408 StPO ;Art. 429 StPO ;Art. 448 StPO ;Art. 453 StPO ;Art. 456a StPO ; |
Referenz BGE: | 143 IV 214; 145 IV 252; 148 IV 374; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | STBER.2023.43 |
Instanz: | Strafkammer |
Entscheiddatum: | 24.01.2024 |
FindInfo-Nummer: | O_ST.2024.6 |
Titel: | Verletzung der Verkehrsregeln (Neubeurteilung) |
Resümee: |
Obergericht Strafkammer
Urteil vom 24. Januar 2024 Es wirken mit: Präsident Werner Oberrichterin Marti a.o. Ersatzrichter Marti Gerichtsschreiberin Schmid In Sachen Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Anklägerin
A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Kunz, Beschuldigte und Berufungsklägerin
betreffend Verletzung der Verkehrsregeln (Neubeurteilung) Die Berufung wird im schriftlichen Verfahren behandelt (Art. 406 Abs. 1 lit. c StPO). Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung: I. Prozessgeschichte
1. Mit Strafbefehl vom 17. September 2020 wurde A.___ (nachfolgend die Beschuldigte) wegen einfacher Verkehrsregelverletzung zu einer Busse von CHF 250.00, ersatzweise zu drei Tagen Freiheitsstrafe, und zur Bezahlung der Verfahrenskosten von CHF 150.00 verurteilt (Aktenseite [AS] 12 f.).
2. Gegen diesen Strafbefehl erhob die Beschuldigte mit Schreiben vom 5. Oktober 2020 frist- und formgerecht Einsprache (AS 15).
3. Mit Verfügung vom 16. März 2021 überwies die Staatsanwaltschaft die Akten an das Gerichtspräsidium von Thal-Gäu zur Beurteilung des gegen die Beschuldigte erhobenen Vorhalts; dies unter Festhaltung am angefochtenen Strafbefehl und unter Beantragung der Befragung der Polizisten Wm B.___ und Wm C.___ als Zeugen an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung (AS 18 f.). Der zuständige Untersuchungsbeamte äusserte sich in der Überweisungsverfügung im Rahmen eines Schlussberichts zum Sachverhalt (AS 19).
4. Am 2. März 2022 fällte der Amtsgerichtspräsident von Thal-Gäu folgendes Urteil (AS 105 ff.): 1. A.___ hat sich der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln (durch Vornahme einer Verrichtung, welche die Bedienung des Fahrzeuges erschwert), begangen am 22. Juli 2020, schuldig gemacht. 2. A.___ wird verurteilt zu einer Busse von CHF 250.00, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 3 Tagen. 3. A.___ hat die Kosten des Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 400.00, total CHF 650.00, zu bezahlen. Wird kein Rechtsmittel ergriffen und verlangt keine Partei ausdrücklich eine schriftliche Begründung des Urteils, so reduziert sich die Urteilsgebühr um CHF 200.00, womit die gesamten Kosten CHF 450.00 betragen.
5. Gegen dieses Urteil liess die Beschuldigte fristgerecht die Berufung anmelden (AS 100). Die Berufungserklärung datiert vom 12. April 2022 und stellte die Rechtsgehren, die Beschuldigte sei freizusprechen; eventualiter sei das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen; die Kosten des Verfahrens vor erster und zweiter Instanz seien der Staatskasse aufzuerlegen und der Beschuldigten seien die Aufwendungen der Verteidigung für das Verfahren vor erster und zweiter Instanz zu ersetzen.
6. Mit Stellungnahme vom 29. April 2022 teilte der Oberstaatsanwalt mit, die Staatsanwaltschaft stelle keinen Antrag auf Nichteintreten und verzichte auf eine Anschlussberufung und eine weitere Teilnahme am Berufungsverfahren. 7. Mit Verfügung des Instruktionsrichters vom 12. Mai 2022 wurde das schriftliche Berufungsverfahren angeordnet und der Beschuldigten Frist bis 2. Juni 2022 gesetzt zur Einreichung einer Berufungsbegründung. Die Berufungsbegründung ging innert dreimal erstreckter Frist am 21. Juli 2022 ein.
8. Am 17. November 2022 (STBER.2022.40) fällte das Berufungsgericht folgendes Urteil: 1. A.___ hat sich der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln (durch Vornahme einer Verrichtung, welche die Bedienung des Fahrzeuges erschwert), begangen am 22. Juli 2020, schuldig gemacht. 2. A.___ wird verurteilt zu einer Busse von CHF 250.00, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 3 Tagen. 3. Das Entschädigungsbegehren von A.___, v.d. Rechtsanwalt Alexander Kunz, wird abgewiesen. 4. A.___ hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 400.00, total CHF 650.00, zu bezahlen. 5. A.___ hat die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 1’000.00, total CHF 1’050.00, zu bezahlen.
9. Dagegen erhob die Beschuldigte Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht, welches diese mit Urteil vom 5. Mai 2023 (6B_27/2023) guthiess und das Urteil des Obergerichts vom 17. November 2022 aufhob und die Sache zu neuer Entscheidung an dieses zurückwies.
10. Mit Verfügung vom 6. Juni 2023 verfügte das Obergericht die Durchführung des Neubeurteilungsverfahrens (STBER.2023.43) im schriftlichen Verfahren und setzte der Beschuldigten Frist für allfällige Ergänzungen. Die Beschuldigte nahm mit Eingabe vom 27. Juni 2023 ergänzend Stellung und hielt dabei an den Anträgen der Berufungsbegründung mit Ergänzung der neuen Kostennote fest.
II. Anwendbares Recht
1. Per 1. Januar 2024 trat die Revision der StPO in Kraft. Die Änderungen enthalten keine Regelung betreffend Übergangsrecht. Es stellt sich somit die Frage, welches Recht vorliegend anwendbar ist, da der Bundesgerichtsentscheid vor Inkrafttreten der Revision ergangen ist, die Neubeurteilung nun aber nach diesem entschieden wird.
2. Art. 448 StPO sieht vor, dass Verfahren, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes hängig sind, nach neuem Recht fortgeführt werden, soweit die nachfolgenden Bestimmungen nichts anderes vorsehen (Abs. 1). Unter dem Abschnitt der Rechtsmittelverfahren hält Art. 453 StPO fest, dass, sofern ein Entscheid vor Inkrafttreten dieses Gesetzes gefällt worden ist, Rechtsmittel dagegen nach bisherigem Recht, von den bisher zuständigen Behörden, beurteilt werden (Abs. 1). Bei Rückweisungen gilt indes, dass neues Recht anwendbar ist, sofern ein Verfahren von der Rechtsmittelinstanz vom Bundesgericht zur neuen Beurteilung zurückgewiesen wird. Die neue Beurteilung erfolgt durch die Behörde, die nach diesem Gesetz für den aufgehobenen Entscheid zuständig gewesen wäre (Abs. 2).
Art. 453 Abs. 2 StPO gilt nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung und herrschender Lehre jedoch nur für eine Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides durch die Rechtsmittelinstanz nach Inkrafttreten der StPO. Erging der kassatorische Entscheid hingegen vor Inkrafttreten der StPO, ist im vorinstanzlichen Verfahren weiterhin bisheriges Recht anwendbar – selbst wenn der neue vorinstanzliche Entscheid anschliessend erst nach Inkrafttreten der StPO gefällt wird (BSK StPO-Oehen, Art. 453 StPO N 3).
3. Die Thematik des Übergangsrechts wurde in den parlamentarischen Beratungen nie diskutiert, daraus lassen sich damit keine Erkenntnisse ableiten. Der Basler Kommentar zur StPO (BSK StPO, 3. Aufl., 2023) hält zu Art. 448 folgendes fest: «Hinzuweisen ist darauf, dass in der vom Parlament am 17. Juni 2022 verabschiedeten Teilrevision der Strafprozessordnung keine von Art. 448 StPO abweichenden Bestimmungen vorgesehen sind und die revidierten Bestimmungen der StPO demnach sofort in Kraft treten.» (BSK StPO-Oehen, Art. 448 StPO N 2). Diese Formulierung ist aber insofern unklar, als daraus nicht genau hervorgeht, ob das neue Recht generell zur Anwendung gelangt eben Art. 453 StPO als Ausnahme für Rechtsmittelverfahren Anwendung findet. Im Grundsatz richtig ist, dass Art. 448 StPO für alle hängigen Verfahren gilt und damit die Revision sofort in Kraft tritt. Anderes sieht aber Art. 453 StPO für die Rechtsmittelverfahren vor. Es würde zu eng greifen, die Formulierung «bei Inkrafttreten dieses Gesetzes» so auszulegen, dass nur das damalige Inkrafttreten der neuen StPO im Jahr 2011 gemeint ist. Vielmehr kommen die allgemeinen Verfahrensbestimmungen nach Art. 448 ff. StPO als Übergangsbestimmungen zur Anwendung, wenn eine neue Änderung beschlossen und nichts anderes geregelt wird. Somit gilt grundsätzlich neues Recht (Art. 448 Abs. 1 StPO), soweit die nachfolgenden Bestimmungen nichts anderes vorsehen. Bei Rechtsmittelverfahren sieht aber Art. 453 StPO vor, dass grundsätzlich das alte Recht Anwendung findet, wenn der angefochtene Entscheid vor Inkrafttreten der neuen Bestimmung gefällt wurde. Diese Auslegung verhindert unbefriedigende Ergebnisse in der Praxis: Um nur zwei Beispiele zu nennen, müsste in allen hängigen Berufungsverfahren die Privatklägerschaft mit URP nach Art. 136 Abs. 3 nStPO noch einen Antrag für URP stellen (soweit noch nicht geschehen), um die URP im Berufungsverfahren überhaupt zu erhalten. Oder der Beschuldigte würde benachteiligt, wenn ihm erstinstanzlich eine Entschädigung direkt zugesprochen wird und auf seine Berufung hin die Entschädigung dann nach Art. 429 Abs. 3 nStPO im Berufungsverfahren dem Verteidiger zugesprochen werden müsste. Fänden die neuen Bestimmungen auch für Rechtsmittelverfahren gegen erstinstanzliche Urteile vor dem Jahr 2024 Anwendung, würde dies bedeuten, dass bei teilweiser Anfechtung der rechtskräftige Teil des Urteils nach altem Recht ergeht, und der angefochtene nach neuem Recht. Es kann aber nicht sein, dass für ein Urteil (Art. 408 StPO) ein Teil nach altem und ein Teil nach neuem Prozessrecht gefällt wird. Diese Rechtsauffassung wird auch von früheren StPO-Revisionen gestützt: Mit der Änderung vom 28. September 2012 wurde mit Art. 456a StPO eine von den allgemeinen Regeln von Art. 448 und der Ausnahme von Art. 453 StPO abweichende Regelung geschaffen, wonach das neue Recht in allen Verfahren gelte, somit auch für Rechtsmittelverfahren. Im Weiteren kann auch Art. 2 des StGB herangezogen werden, dessen Formulierung in Abs. 1 «nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen Vergehen begeht» jeweils die entsprechende Änderung des Gesetzes meint.
4. Gleiches hat für kassatorische Entscheide zu gelten: Die Ausnahmebestimmung von Art. 453 Abs. 2 StPO hat bei jeder Änderung der StPO Gültigkeit, die keine anderslautenden Übergangsbestimmungen vorsieht. So gilt weiterhin, dass, sofern ein kassatorischer Entscheid vor Inkrafttreten der Änderung der StPO ergangen ist, im vorinstanzlichen Verfahren weiterhin das bisheriges Recht anwendbar ist, auch wenn der neue vorinstanzliche Entscheid anschliessend erst nach Inkrafttreten der Revision der StPO gefällt wird. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies folglich, dass das alte Recht (vor dem 1. Januar 2024) zur Anwendung gelangt.
III. Gegenstand des Neubeurteilungsverfahrens
1. Die Beschuldigte verlangte im bundesgerichtlichen Verfahren einen Freispruch vom Vorhalt der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln. Sie habe unbestrittenermassen das Mobiltelefon in der Hand gehalten, dieses aber nicht bedient. Die ihr zur Last gelegten Taten seien bereits in objektiver Hinsicht nicht tatbestandsmässig. Das Obergericht habe sie in bundesrechtswidriger Anwendung von Art. 90 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 1 SVG sowie Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VRV verurteilt.
2.1 Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil (E. 1.5) Folgendes fest: «Die Vorinstanz stellt in tatsächlicher Hinsicht fest, die Strassenverhältnisse seien trocken und es sei bewölkt, aber noch hell gewesen. Es habe ein mittleres Verkehrsaufkommen geherrscht, jedoch habe sich der Vorfall nach dem Feierabendverkehr ereignet. In der konkreten Situation seien keine Umstände erkennbar, die ein erhöhtes Mass an Aufmerksamkeit erfordert hätten. Der Tatort habe sich entgegen der ersten Instanz nicht kurz vor einem Kreisel befunden, sondern rund 200 Meter davon entfernt. Es habe keine Dämmerung geherrscht, Fussgängerstreifen würden in der Strafanzeige nicht erwähnt (Urteil S. 11). Da nichts anderes festgestellt wurde, ist vorliegend davon auszugehen, dass sich die linke Hand der Beschwerdeführerin am Lenkrad befand. Auch nahm diese gemäss Vorinstanz keine Manipulation am Mobiltelefon vor. Im Unterschied zum Urteil 1C_183/2016 vom 22. September 2016 richtete die Beschwerdeführerin ihren Blick nur ein bis zwei Sekunden auf das Display ihres Mobiltelefons und damit nicht länger als nur wenige Sekunden, so dass dieser Entscheid hier bereits deshalb nicht einschlägig ist. Zudem wendete die Beschwerdeführerin ihren Blick auch nicht (gänzlich) von der Strasse weg, hielt sie doch ihren Kopf nur leicht gesenkt, und befand sich ihr Handy beim Blick darauf neben dem Lenkrad und somit in Fahrtrichtung. Sie hatte damit – anderes wird ihr auch nicht vorgeworfen – den Strassenverkehr immer (auch noch) im Blick, weshalb ihr die Vorinstanz unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrssituation auch keine mangelnde Aufmerksamkeit vorwirft. Die Beschwerdeführerin hatte die linke Hand am Lenkrad und konnte daher die verkehrsrelevanten Manipulationen vornehmen. Zudem war es ihr jederzeit möglich, das Mobiltelefon – falls es die Verkehrsgeschehnisse erforderlich machen würden – in den Getränkehalter zurückzustellen, wo es sich zuvor befunden hatte (Urteil S. 5). Zu Recht wird der Beschwerdeführerin das Halten des Mobiltelefons mit einer Hand auch nicht vorgeworfen, da dieses nach der Rechtsprechung mit jedem anderen denkbaren Gegenstand vergleichbar ist, den man am Steuer halten könnte, wie etwa einen Apfel, ein Taschentuch eine Zigarette (Urteil 6B_1183/2014 vom 27. Oktober 2015 E. 1.4). Vor diesem Hintergrund hält der Schluss der Vorinstanz, die Beschwerdeführerin habe die in der konkreten Verkehrssituation erforderliche Aufmerksamkeit aufgebracht, vor dem Bundesrecht stand, zumal die Beschwerdeführerin korrekt unterwegs war und auch nicht durch eine spezielle Fahrweise auffiel. Im Unterschied zum Sachverhalt im Urteil 6B_894/2016 vom 14. März 2017, wonach die linke Hand im Bereich des Kopfes angelehnt war, hatte die Beschwerdeführerin ihre linke Hand am Steuerrad und hielt das Mobiltelefon mit der anderen Hand. Es ist daher im konkreten Fall nicht ersichtlich, inwiefern die Beschwerdeführerin durch einen gezielten kurzen Blick von ein bis zwei Sekunden auf das sich in Fahrtrichtung vor ihr befindliche Mobiltelefon, zum Entsperren desselben, die Bedienung des Fahrzeugs erschwert behindert haben sollte, zumal ein wiederholter kurzer Blick in den inneren und äusseren Rückspiegel zur sicheren Lenkung des Fahrzeugs jedenfalls in Innenstädten praktisch an jeder Kreuzung und zusätzlich überall bei Fussgänger- und Veloverkehr erforderlich sowie unumgänglich ist. Auch ein derart kurzer Blick auf die sich am Armaturenbrett befindliche Uhr, bei dem die Augen wie beim Blick in die Spiegel nicht mehr vollumfänglich auf das sich vor dem Fahrzeug auf der gesamten Strassenbreite abspielende Geschehen gerichtet sind, erfüllt den Tatbestand keineswegs zwangsläufig (Urteil 6B_681/2016 vom 13. Februar 2017 E. 2.3.3 mit Hinweis). Dies muss gleichermassen bei einem Blick von ein bis zwei Sekunden auf das neben dem Lenkrad gehaltene Mobiltelefon gelten. Erlaubt es, wie vorliegend, die Verkehrssituation, einen kurzen Augenblick auf das Mobiltelefon zu blicken, ohne dass die erforderliche Aufmerksamkeit des Lenkers vom Verkehrsgeschehen abgelenkt ist, liegt ausserdem auch keine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vor und ist die Lenkung sowie Bedienung des Fahrzeugs durch eine Hand uneingeschränkt gewährleistet, stellt dies keine Verrichtung dar, welche die Bedienung des Fahrzeugs behindert erschwert. Die Rüge erweist sich als begründet.»
2.2 Im Weiteren hielt das Bundesgericht Folgendes fest (E.2.3): «Die Vorinstanz wird im Rahmen der nach der Rückweisung vorzunehmenden Neubeurteilung insbesondere in Beachtung von Art. 350 Abs. 1 und Art. 344 StPO zu prüfen haben, ob vorliegend die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Ordnungsbussenverfahrens erfüllt sind und ob der Tatbestand des Verwendens eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt gemäss Ziff. 311 der Bussenliste (Anhang 1 OBV) gegeben ist. Gemäss Polizeirapport nahm eine Polizeipatrouille das der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Verhalten wahr (Urteil S. 5) und diese hat gemäss den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz weder einen anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet noch einen Schaden verursacht. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass gemäss Art. 14 OBG eine Ordnungsbusse auch im ordentlichen Verfahren ausgefällt werden kann (BGE 145 IV 252 E. 1.5; Urteil 6B_628/2010 vom 7. Oktober 2010 E. 3.2).»
3. Heisst das Bundesgericht eine Beschwerde gut und weist es die Angelegenheit zur neuen Beurteilung an das Berufungsgericht zurück, darf sich dieses von Bundesrechts wegen nur noch mit jenen Punkten befassen, die das Bundesgericht kassierte. Die anderen Teile des Urteils haben Bestand und sind in das neue Urteil zu übernehmen. Irrelevant ist, dass das Bundesgericht mit seinem Rückweisungsentscheid formell in der Regel das ganze angefochtene Urteil aufhebt. Entscheidend ist nicht das Dispositiv, sondern die materielle Tragweite des bundesgerichtlichen Entscheids. Die neue Entscheidung der kantonalen Instanz ist somit auf diejenige Thematik beschränkt, die sich aus den bundesgerichtlichen Erwägungen als Gegenstand der neuen Beurteilung ergibt. Das Verfahren wird nur insoweit neu in Gang gesetzt, als dies notwendig ist, um den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts Rechnung zu tragen (BGE 143 IV 214 E. 5.2.1, S. 220).
Wegen dieser Bindung der Gerichte ist es diesen wie auch den Parteien, abgesehen von allenfalls zulässigen Noven, verwehrt, der Beurteilung des Rechtsstreits einen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen die Sache unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im Rückweisungsentscheid ausdrücklich abgelehnt überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind (BGE 143 IV 214 E. 5.3.3, S. 222).
4.1 Im vorliegenden Neubeurteilungsverfahren bildet somit nur noch eine allfällige Ordnungsbusse wegen Verwendens eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt gemäss Ziff. 311 der Bussenliste (Anhang 1 OBV) Prozessgegenstand.
4.2 Die Verteidigung führte diesbezüglich in ihrer Eingabe vom 27. Juni 2023 aus, dass im vorliegenden Fall keinerlei Verwendungen im Sinne des Gesetzes / der Rechtsprechung vorgenommen worden seien, sondern lediglich mittels Fingerprint das Akku-System reaktiviert worden sei. Die Inbetriebnahme des Mobiltelefons durch einen einzigen Fingerdruck könne nun tatsächlich nicht als Verwendung im Sinne der Ordnungsbussenverordnung gelten. Die vom Bundesgericht genannten Funktionen (SMS E-Mails schreiben lesen etc.) gingen denn auch wesentlich weiter als das hier zur Debatte stehende Antippen des Ein-/Ausschalters.
IV. Sachverhalt und rechtliche Würdigung
1. Sachverhalt
1.1 Der Beschuldigten wurde im Strafbefehl vom 17. September 2020 vorgehalten, während der Fahrt eine Verrichtung vorgenommen zu haben, ohne Schwenker Schwenker innerhalb der Spur und ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, indem sie am 22. Juli 2020, um 18:30 Uhr, in [Ort], in Fahrtrichtung […], als Lenkerin des Personenwagens VW Polo, [Kennzeichen], ihr Mobiltelefon in der rechten Hand neben dem Lenkrad gehalten und während ein bis zwei Sekunden mit leicht gesenktem Kopf auf das Telefon geblickt habe (Fahrstrecke ca. 20 Meter, Geschwindigkeit ca. 50 km/h).
1.2 Der Sachverhalt, wie er von der Berufungsinstanz im Urteil vom 17. November 2022 festgestellt und anschliessend vom Bundesgericht bestätigt wurde, ist vorliegend nicht mehr bestritten und stellt sich wie folgt dar: Die Beschuldigte fuhr am 22. Juli 2020, um 18:30 Uhr, mit ihrem Personenwagen VW, [Kennzeichen], auf der [Strasse] in [Ort] mit einer geschätzten Geschwindigkeit von 50 km/h in Fahrtrichtung […]. Es gab ein mittleres Verkehrsaufkommen, die Strassenverhältnisse waren trocken, es war bewölkt und es war um 18:30 Uhr an einem Juliabend noch hell. Der Tatort, beim Verkehrsüberwachungsstandort auf Höhe der Liegenschaft [Strasse und Hausnummer] in [Ort], befand sich rund 200 m vom auf der Strasse folgenden Kreisel entfernt. In der konkreten Situation lagen keine Umstände vor, die ein erhöhtes Mass an Aufmerksamkeit erfordert hätten (keine Dämmerung, keine Fussgängerstreifen, nach Feierabendverkehr). Die Beschuldigte hielt ihr Mobiltelefon mit der rechten Hand neben dem Lenkrad – und damit in Fahrtrichtung – und richtete während ein bis zwei Sekunden den Blick auf das Smartphone, um dieses zu entsperren. Die linke Hand befand sich dabei am Lenkrad. Eine weitere Manipulation am Telefon nahm sie nicht vor. Der Kopf war nur leicht gesenkt, so dass sie den Strassenverkehr immer auch noch im Blick hatte. Eine Gefährdung Behinderung Dritter sowie Schwenker des Fahrzeugs konnten von der Verkehrsüberwachung nicht festgestellt werden.
2. Rechtliche Würdigung
2.1 Das Bundesgericht hielt zum Ordnungsbussenverfahren in seinem Entscheid im vorliegenden Fall Folgendes fest (E. 2.2): «Übertretungen des Strassenverkehrsgesetzes können nach dem Ordnungsbussengesetz vom 18. März 2016 (OBG; SR 314.1; Fassung gültig bis 18. Dezember 2020) in einem vereinfachten Verfahren mit Ordnungsbussen bis Fr. 300.-- geahndet werden (Art. 1 Abs. 1 lit. a Ziff. 7 und Abs. 4 OBG). Nach Art. 1 Abs. 2 OBG ist das Ordnungsbussenverfahren nur anwendbar, wenn der betreffende Übertretungstatbestand in den Listen nach Artikel 15 aufgeführt ist. Das trifft vorliegend zu, denn das Verwenden eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt wird nach Anhang 1 Nr. 311 der Ordnungsbussenverordnung vom 16. Januar 2019 (OBV; SR 314.11; Stand am 22. Juni 2020) mit einer Busse von Fr. 100.-- bestraft. Dabei impliziert das «Verwenden» eines modernen Mobiltelefons nicht notwendigerweise dessen Benutzung zum Telefonieren, sondern beinhaltet weitere Funktionen, wie das Verfassen von Kurznachrichten E-Mails auch deren Lektüre (Urteil 6B_894/2016 vom 14. März 2017 E. 1.3.1). Das Ordnungsbussenverfahren ist obligatorisch anzuwenden, wenn seine Voraussetzungen gegeben sind (BGE 145 IV 252 E. 1.5; 121 IV 375 E. 1a; 105 IV 136 E. 1-3). Es dient der raschen und definitiven Erledigung der im Strassenverkehr massenhaft vorkommenden Übertretungen mit Bagatellcharakter mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand (BGE 145 IV 252 E. 1.5; 135 IV 221 E. 2.2; 126 IV 95 E. 2b; je mit Hinweis). Die Fälle, in denen eine dem Ordnungsbussenrecht unterstehende Übertretung ausnahmsweise im ordentlichen Verfahren zu ahnden ist, werden durch Gesetz und Verordnung abschliessend geregelt (BGE 145 IV 252 E. 1.5; 121 IV 375 E. 1a; 105 IV 136 E. 1-3). Gemäss Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 3 lit. a OBG wird unter anderem für die Anwendung des Ordnungsbussenverfahrens vorausgesetzt, dass die Vertreterin der Vertreter des zuständigen Organs die Widerhandlung selbst festgestellt hat und die Person, welche die Widerhandlung begangen hat, nicht jemanden gefährdet verletzt Schaden verursacht hat. Wie schwer eine Verletzung der Verkehrsregeln wiegt, bestimmt sich heute wie früher nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei genügt für den Ausschluss des Ordnungsbussenverfahrens bereits eine erhöhte abstrakte Gefährdung (BGE 148 IV 374 E. 2.2 mit Hinweis).»
Wie auch das Bundesgericht festhielt, hat eine Polizeipatrouille das zur Debatte stehende Verhalten persönlich wahrgenommen und die Beschuldigte hat gemäss erstelltem Sachverhalt niemanden gefährdet, geschweige denn einen Schaden verursacht. Die Voraussetzungen für ein Ordnungsbussenverfahren sind damit grundsätzlich erfüllt (Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 3 lit. a OBG) und es bleibt zu klären, ob die Beschuldigte den Tatbestand des Verwendens eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt gemäss Ziff. 311 der Bussenliste (Anhang 1 OBV) erfüllt hat.
2.2 In seinem Urteil 1C_183/2016 vom 22. September 2016 betreffend ein Administrativverfahren hielt das Bundesgericht fest (E. 2.6), der Beschwerdeführer habe vorliegend das Navigationsgerät zum Ablesen der Informationen während längerer Zeit in einer bestimmten zum Ablesen geeigneten Position stabilisieren müssen, was die Verfügbarkeit der haltenden Hand und damit die Bedienung des Fahrzeugs in höherem Masse erschwert habe, als das blosse Halten eines Mobiltelefons. Sein Verhalten entspreche insoweit dem Telefonieren während der Fahrt, bei dem das Telefon für längere Zeit am Ohr gehalten werde. Dass der Beschwerdeführer das Gerät beim Steuerrad gehalten habe, sei insoweit nicht erheblich, weil er damit das eventuell erforderliche rasche Drehen dieses Rads die Vornahme anderer verkehrsbedingter Handgriffe ebenfalls erschwert habe. Zudem habe er seinen Blick für längere Augenblicke auf das Gerät gerichtet, was beim Telefonieren während der Fahrt nicht nötig sei. Demnach sei sein Verhalten bezüglich der damit geschaffenen Verkehrsgefährdung nicht mit dem Halten eines Mobiltelefons, das der Fahrzeugführer nicht (länger) anschaut, vergleichbar. Die Vorinstanz habe somit bundesrechtskonform eine Widerhandlung gegen Art. 3 Abs. 1 VRV bejaht.
Weiter führte das Bundesgericht in diesem Entscheid zum Telefonieren während der Fahrt aus (E. 3.4), es sei zutreffend, dass das (blosse) Telefonieren während der Fahrt ohne Freisprecheinrichtung mit einer Ordnungsbusse von Fr. 100.-- bestraft werde. Unzutreffend sei jedoch, dass das Verhalten des Beschwerdeführers eine höchstens gleich grosse Gefährdung hervorgerufen habe. Zwar werde die Bedienung des Fahrzeugs unabhängig davon erschwert, ob ein Mobiltelefon zum Telefonieren zum Ablesen von Informationen während längerer Zeit an einem bestimmten Ort gehalten werde. Dagegen sei zu beachten, dass die visuellen Ressourcen eines Fahrers durch das Betrachten des Displays eines Telefons Navigationsgeräts zu 100 % und durch das Telefonieren nur in sehr geringem Masse beansprucht würden (vgl. JÜRG ARTHO, Unaufmerksamkeit und Ablenkung: Was macht der Mensch am Steuer?, Hrsg. Bundesamt für Strassen, 2012, S. 54 f.). Zudem habe der Fahrer das Gerät in einer Hand jeweils zum Ablesen in eine geeignete Position bzw. Neigung zu bringen und die gelesene Information geistig zu verarbeiten. Demnach werde dabei – ähnlich wie beim Schreiben einer Nachricht – gleichzeitig die visuelle, geistige und motorische Aufmerksamkeit beansprucht, weshalb die Ablenkung beim Ablesen von Informationen auf einem in der Hand gehaltenen Gerät grösser sei als beim blossen Telefonieren ohne Freisprechanlage (vgl. UWE EWERT, Unaufmerksamkeit und Ablenkung, bfu-Faktenblatt Nr. 07, Bern 2011, S. 13 f.; vgl. auch Urteil 6B_666/2009 vom 24. September 2009 E. 1.3 und 1.4). Vorliegend habe der Beschwerdeführer während seiner Fahrt innerorts Informationen auf einem in der Hand gehaltenen Navigationsgerät abgelesen, was seine visuelle, geistige und motorische Aufmerksamkeit während mehr als nur wenigen Sekunden beanspruchte. Damit habe er seine Aufmerksamkeit in einem Mass von der Strasse abgewendet, das auch bei einem geübten Fahrer und bei übersichtlichen Strassenverhältnissen zumindest eine leichte abstrakte Verkehrsgefährdung geschaffen habe.
2.3 Im Urteil 1C_470/2020 vom 8. Februar 2021, auf welches in seinem Urteil zum hier neu zu beurteilenden Fall mehrfach hingewiesen wird, hatte das Bundesgericht betreffend ein Administrativverfahren einen sehr ähnlichen Sachverhalt zu beurteilen (E. 4.3): «Im vorliegenden Fall hielt der Beschwerdeführer ein Mobiltelefon während der Fahrt auf der Höhe des Lenkrads in der rechten Hand, um die Musik zu wechseln. Dafür blickte er während drei Sekunden auf das Display. Vor dem Hintergrund der aufgeführten Rechtsprechung hat er es damit an der erforderlichen Aufmerksamkeit im Strassenverkehr fehlen lassen und Art. 31 Abs. 1 SVG sowie Art. 3 Abs. 1 VRV verletzt. Der Fall ist in den wesentlichen Punkten vergleichbar mit dem Sachverhalt im erwähnten Urteil 1B_1423/2017 vom 9. Mai 2018, wo der Beschwerdeführer ebenfalls während rund drei Sekunden ein Gerät bediente und während dieser Zeitspanne darauf schaute.»
Das Bundesgericht führte zum Telefonieren ohne Freisprechanlage sodann Folgendes aus (E. 4.5): «Der Beschwerdeführer bringt dazu vor, das Telefonieren ohne Freisprechanlage sei eine Ordnungswidrigkeit. Jedoch müsse dazu zunächst das Telefon entsperrt, eine Nummer eingegeben ein Kontakt gewählt werden. Diese Verrichtungen seien wesentlich komplexer als das hier zu beurteilende Wechseln der Musik auf einem Mobiltelefon, bei dem die entsprechende Funktion im Sperrmodus automatisch aufleuchte und zur Verfügung stehe. Mit dieser Argumentation übersieht er, dass zwar das Verwenden eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt einen Übertretungstatbestand darstellt, der im Ordnungsbussenverfahren geahndet werden kann (s. E. 4.2 hiervor), davon jedoch nicht automatisch die zur Herstellung einer Telefonverbindung erforderlichen Manipulationen am Gerät erfasst werden. Werden diese (ev. umständlichen) Manipulationen während der Fahrt vorgenommen, kann dies je nach den konkreten Verhältnissen eine leichte, mittelschwere gar schwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften darstellen.
Auch eine Berücksichtigung der weiteren Gegebenheiten des konkreten Falls rechtfertigt zudem nicht, einen besonders leichten Fall anzunehmen und damit auf jegliche Massnahmen zu verzichten. Zwar ist die in Frage stehende Zeitdauer von ca. drei Sekunden relativ kurz und erlaubte dem Beschwerdeführer das Halten des Mobiltelefons auf der Höhe des Lenkrads, den Verkehr im Gesichtsfeld zu behalten, doch fokussierte er seinen Blick und seine Aufmerksamkeit eben nicht auf diesen, sondern auf das Mobiltelefon. Nach den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz legte er auf diese Weise innerorts immerhin eine Strecke von 40 m zurück, ohne auf das Verkehrsgeschehen angemessen reagieren zu können. Dazu trug auch bei, dass er gleichzeitig nur mit einer Hand das Steuerrad hielt.»
2.4 Während das Bundesgericht in seinem Urteil 1C_470/2020 vom 8. Februar 2021 betreffend einen annähernd identischen Sachverhalt – genau gleiche Haltung des Telefons, in der rechten Hand neben dem Lenkrad, Drücken mit dem Finger zum Wechseln der Musik im Sperrbildschirm, Dauer des Blicks auf das Telefon von drei Sekunden – noch eine Verletzung von Art. 31 Abs. 1 SVG und Art. 3 Abs. 1 VRV feststellte, verneinte es im vorliegenden Fall eine solche. Im gleichen zitierten Entscheid führte das Bundesgericht auch aus, dass vom Tatbestand des Verwendens eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt die Manipulationen am Telefon, um es überhaupt ohne Freisprechanlage verwenden zu können, nicht automatisch erfasst würden, da diese je nach konkreten Verhältnissen eine leichte, mittelschwere gar schwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften darstellen würden. Ebenso hob es in seinem Urteil 1C_183/2016 den Unterschied zwischen dem blossen Telefonieren während der Fahrt ohne Freisprechanlage und dem Ablesen einer Information von einem Display hervor, das mehr als wenige Sekunden dauere.
Die Beschuldigte hat gemäss erstelltem Sachverhalt weder telefoniert, noch sonst in einer Art das Telefon verwendet (eine App geöffnet, geschrieben etc.), ausser dass sie das Telefon mittels Fingerprint entsperrt hat. Weshalb sie überhaupt während der Fahrt das Smartphone entsperrt hat, bzw. was sie danach damit zu tun gedachte, ist zur Beurteilung des Tatbestandes auch irrelevant, wird ihr doch lediglich der ein bis zwei Sekunden dauernde Blick auf das Telefon vorgehalten und nicht, dass sie die Navigationsapp geöffnet gar verwendet habe. Die Beschuldigte hielt das Smartphone in ihrer rechten Hand neben dem Lenkrad. Auch bei dieser Handlung ist von der kurzen Dauer von ein bis zwei Sekunden auszugehen, anderes wird ihr weder vorgeworfen, noch liegen Hinweise dafür vor. Die Beschuldigte hat durch das Entsperren ihres Telefons demnach keine Manipulation vorgenommen, um es nachher zu verwenden, sondern es einfach nur entsperrt. Wie das Bundesgericht ausführt, impliziert «Verwenden» eines modernen Mobiltelefons nicht notwendigerweise dessen Benutzung zum Telefonieren, sondern beinhaltet weitere Funktionen, wie das Verfassen von Kurznachrichten E-Mails auch deren Lektüre (6B_27/2023, E. 2.2). Es ist der Verteidigung beizupflichten, dass ein solches «Verwenden» wesentlich weiter geht, als die von der Beschuldigten vorgenommene Entsperrung ihres Telefons. Insbesondere das Lesen Verfassen von Nachrichten und E-Mails erfordert einen wesentlich längeren Blick auf das Telefon. Im Lichte der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung – und insbesondere des Entscheids 1C_470/2020 – wären solche Handlungen jedoch eher nicht «nur» mittels Ordnungsbusse zu ahnden, da dadurch die Aufmerksamkeit weitaus mehr von der Strasse gelenkt wird. Im Vergleich dazu ist der Blick der Beschuldigten auf ihr Smartphone eher mit einem kurzen Blick auf die Uhr ein im Fahrzeug eingebautes Navigationssystem zu vergleichen, was beides straffrei ist (6B_27/2023, E. 1.4). So hielt auch das Bundesgericht im vorliegenden Fall fest, dass die Verkehrssituation es vorliegend erlaubt habe, einen kurzen Augenblick auf das Mobiltelefon zu blicken. Eine Verwendung des Telefons ohne Freisprechanlage kann in dieser Handlung der Beschuldigten daher unter Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht gesehen werden. Auch wenn dies im Ergebnis in Anbetracht anderer Urteile des Bundesgerichts stossend erscheint, lässt das den vorliegenden Fall betreffende Urteil keinen Spielraum mehr zu. So bleibt die Beschuldigte straffrei.
V. Kosten und Entschädigung
1. Kosten
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, des Berufungsverfahrens und der Neubeurteilung vom Staat zu tragen.
2. Entschädigung
2.1 Die Beschuldigte, verteidigt durch Rechtsanwalt Alexander Kunz, hat zufolge Freispruchs Anspruch auf eine volle Parteientschädigung für das erst- wie auch das zweitinstanzliche und das Neubeurteilungsverfahren, zahlbar durch den Staat Solothurn.
2.2 Vor der ersten Instanz beantragte der Vertreter der Beschuldigten, Rechtsanwalt Alexander Kunz, eine Parteientschädigung nach Ermessen des Gerichts (siehe Plädoyer, AS 84). In Anbetracht des bis dahin geringen Aufwands, insbesondere des kurzen Plädoyers sowie der nicht einmal eine Stunde dauernden Hauptverhandlung ist eine Entschädigung von CHF 2’000.00 vorliegend angemessen.
2.3 Im Berufungsverfahren machte der Vertreter der Beschuldigten mit seiner Honorarnote vom 4. August 2022 einen Aufwand von insgesamt 25.64 Stunden geltend. Dies ist deutlich überhöht, da davon 23.58 Stunden auf das Verfassen und Überarbeiten der Berufungsbegründung und Recherche entfallen. So macht der Verteidiger 16 Posten betreffend Berufungsbegründung geltend, dies an zwölf verschiedenen Tagen. Bei der Position vom 29. Juni 2022 im Umfang von zwei Stunden mit dem Titel «Überarbeitung Eingabe Obergericht» geht zwar nicht explizit hervor, dass es sich dabei ebenfalls um die Berufungsbegründung handelte. In diesem Zeitraum ging aber lediglich das dritte Fristerstreckungsgesuch des Verteidigers vom 30. Juni 2022 ein, welches mit einem derartigen Aufwand nicht gemeint sein kann. Der Umfang der Berufungsbegründung von acht beschriebenen Seiten (letzte Seite nur Unterschrift) steht jedoch in keinem Verhältnis zum geltend gemachten Aufwand von 23.58 Stunden. Ein Aufwand von zwölf Stunden ist für die Berufungsbegründung (inkl. Recherche) bei Weitem angemessen, es sind demnach 11.58 Stunden zu streichen. Damit setzt sich die Entschädigung aus dem Honorar für 14.06 Stunden, ausmachend CHF 3'936.80, Auslagen von CHF 86.00 und MwSt. von CHF 309.80 zusammen und beträgt CHF 4'332.60.
2.4 Der Verteidiger der Beschuldigten, Rechtsanwalt Alexander Kunz, macht für das Neubeurteilungsverfahren einen Aufwand von insgesamt 1.5 Stunden geltend. Dies ist ohne Weiteres angemessen. Ihm sind daher CHF 420.00 Honorar (1.5 Stunden à CHF 280.00) sowie CHF 10.00 Auslagen und CHF 33.10 Mehrwertsteuer und damit total CHF 463.10 zu vergüten. Insgesamt beträgt die Parteientschädigung für sämtliche Verfahren damit CHF 6'795.70, zahlbar durch die zentrale Gerichtskasse Solothurn nach Rechtskraft dieses Urteils.
Demnach wird in Anwendung von Art. 406 Abs. 1 lit. c, Art. 423, Art. 428 Abs. 1 und 3, Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO erkannt: 2. A.___, verteidigt durch Rechtsanwalt Alexander Kunz, wird für das erstinstanzliche Verfahren, das Berufungs- und das Neubeurteilungsverfahren zulasten des Staates Solothurn total eine Entschädigung von CHF 6'795.70 (inkl. Auslagen und MwSt.) zugesprochen (auszahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse Solothurn nach Rechtskraft dieses Urteils). 3. Sämtliche Verfahrenskosten (erste Instanz, Berufungsverfahren und Neubeurteilung) gehen zulasten des Staates Solothurn.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Strafkammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Werner Schmid |
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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