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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2023.22)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2023.22
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2023.22 vom 16.08.2023 (SO)
Datum:16.08.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Das Obergericht hat in einem Urteil vom 16. August 2023 über mehrfache Verstösse gegen das Strassenverkehrsgesetz entschieden. Die Staatsanwaltschaft und der Beschuldigte traten vor Gericht auf. Es wurden Anträge zur Strafzumessung gestellt, darunter eine Freiheitsstrafe und Geldstrafen. Der Beschuldigte wurde zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten verurteilt, wovon sechs Monate unbedingt ausgesprochen wurden. Zudem wurden Geldstrafen und der Widerruf einer früheren Geldstrafe beschlossen. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beschuldigten auferlegt.
Schlagwörter: Beschuldigte; Urteil; Beschuldigten; Staat; Apos; Recht; Staatsanwalt; Geldstrafe; Täter; Staatsanwaltschaft; Freiheit; Freiheitsstrafe; Beruf; Delikt; Berufung; Kontrollschild; Kontrollschilder; Solothurn; Urteils; Delikte; Führerausweis; Probezeit; Kontrollschildern; Haftpflicht; Haftpflichtversicherung; Motorfahrzeug; Gericht; Vollzug; Marke
Rechtsnorm: Art. 1 StReG ; Art. 10 SVG ; Art. 106 StGB ; Art. 11 SVG ; Art. 135 StPO ; Art. 2 VRV ; Art. 266 StPO ; Art. 267 StPO ; Art. 29 SVG ; Art. 31 SVG ; Art. 32 SVG ; Art. 335 StPO ; Art. 34 StGB ; Art. 35 SVG ; Art. 36 VRV ; Art. 369 StGB ; Art. 379 StPO ; Art. 391 StPO ; Art. 398 StPO ; Art. 399 StPO ; Art. 40 StGB ; Art. 404 StPO ; Art. 41 StGB ; Art. 416 StPO ; Art. 42 StGB ; Art. 428 StPO ; Art. 43 StGB ; Art. 44 StGB ; Art. 46 StGB ; Art. 47 StGB ; Art. 49 StGB ; Art. 50 StGB ; Art. 55 SVG ; Art. 57 VRV ; Art. 63 SVG ; Art. 69
Referenz BGE:105 IV 225; 117 IV 7; 134 IV 140; 134 IV 1; 134 IV 97; 135 IV 87; 136 IV 1; 136 IV 55; 138 IV 120; 142 IV 265; 144 IV 217;
Kommentar:
Bühlmann, Basler Kommentar Strassenverkehrsgesetz, Art. 96 SVG, 2014
Entscheid
 
Geschäftsnummer: STBER.2023.22
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 16.08.2023 
FindInfo-Nummer: O_ST.2023.83
Titel: mehrfache Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz etc. sowie Widerruf

Resümee:

 

Obergericht

Strafkammer

 

 

 

 

 

 

Urteil vom 16. August 2023

Es wirken mit:

Präsident Werner

Oberrichter von Felten

Oberrichter Frey

Gerichtsschreiberin Schenker

In Sachen

Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,

Anschlussberufungsklägerin

 

gegen

 

A.___, amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Christoph Schönberg,

Beschuldigter und Berufungskläger

 

betreffend     mehrfache Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz etc. sowie Widerruf


 

Zur Hauptverhandlung vom 16. August 2023, 08:30 Uhr, sind erschienen:

 

1.    Staatsanwalt B.___, für die Staatsanwaltschaft als Anklägerin und Anschlussberufungsklägerin;

2.    A.___, Beschuldigter und Berufungskläger (nachfolgend Beschuldigter);

3.    Rechtsanwalt Christoph Schönberg, amtlicher Verteidiger des Beschuldigten A.___.

 

In Bezug auf die behandelten Vorfragen, die vorgenommenen Verfahrenshandlungen, die durchgeführte Einvernahme des Beschuldigten und die im Rahmen der Parteivorträge vorgetragenen Standpunkte wird auf das separate Protokoll der Hauptverhandlung vom 16. August 2023, das Einvernahmeprotokoll des Beschuldigten, die Tonaufnahme und die Plädoyernotizen in den Akten verwiesen.

 

Im Rahmen der Parteivorträge stellen und begründen die Parteien die folgenden Anträge:

 

Staatsanwalt B.___ für die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn als Anklägerin und Anschlussberufungsklägerin:

 

1.    Es sei festzustellen, dass die folgenden Ziffern des erstinstanzlichen Urteils in Rechtskraft erwachsen sind: Ziff. 1, 2 und Ziff. 5 - 8;

2.    Der Beschuldigte A.___ sei aufgrund der rechtskräftigen Verurteilungen zu bestrafen mit

a.    einer Freiheitsstrafe von mindestens 13 Monaten, davon seien sechs Monate unbedingt auszusprechen. Es sei eine Probezeit von fünf Jahren festzusetzen;

b.    eventualiter mit einer Verbindungsbusse nach Art 42 Abs. 3 StGB unter Einschluss einer Busse von CHF 1'000.00 anstelle der Verbindungsgeldstrafe für den Fall, dass die Freiheitsstrafe vollständig bedingt ausgesprochen werden sollte;

c.     mit einer Busse von CHF 100.00 gemäss Ziff. 3 lit. c) des erstinstanzlichen Urteils, bei einer Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag.

3.    Der A.___ mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 13. September 2018 gewährte bedingte Vollzug einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00 sei zu widerrufen.

4.    Die Kosten des Berufungsverfahrens seien dem Beschuldigten aufzuerlegen.

5.    Die amtliche Verteidigung sei nach den Grundsätzen der StPO zu entschädigen.

 

Rechtsanwalt Christoph Schönberg als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten:

 

1.    Die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft vom 13. April 2023 sei abzuweisen und der Beschuldigte sei entsprechend Ziff. 3 des vorinstanzlichen Urteils zu bestrafen.

2.    Die Berufung des Beschuldigten A.___ sei gutzuheissen.

3.    Ziff. 4 des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern vom 10. Januar 2023 sei aufzuheben.

4.    Der A.___ mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 13. September 2018 für eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00 gewährte bedingte Vollzug sei nicht zu widerrufen.

5.    Es sei festzustellen, dass die Ziff. 1, 2, 4, 5, 6, 7, 8 und 9 des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern vom 10. Januar 2023 in Rechtskraft erwachsen sind.

6.    Die Kosten der amtlichen Verteidigung seien entsprechend der eingereichten Kostennote festzulegen, zahlbar durch die Gerichtskasse des Kantons Solothurn. Evtl. sei ein Nachzahlungsanspruch festzulegen, für den Fall, dass die Probezeit verlängert wird.

7.    Die Kosten des Berufungsverfahrens seien der Staatskasse des Kantons Solothurn aufzuerlegen.

 

*

 

Das Urteil wird den Parteien durch die Gerichtsschreiberin im Verlauf des Nachmittags vom 16. August 2023 telefonisch eröffnet. Damit entfällt die ursprünglich für den 16. August 2023, 16:00 Uhr, vorgesehene mündliche Urteilseröffnung durch das Gericht.

 

***

 

Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:

I. Prozessgeschichte

 

1. Am 28. Februar 2019 erstattete die Polizei Kanton Solothurn (nachfolgend Polizei) Strafanzeige gegen A.___ (Beschuldigter und Berufungskläger, nachfolgend Beschuldigter) wegen Führens eines Motorrades (recte: Motorfahrzeuges) trotz Entzug des Führerausweises (Art. 10 des Strassenverkehrsgesetzes [SVG, SR 741.01] und Art. 95 SVG) sowie weiterer Delikte, u.a. einer Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über den Umweltschutz [Umweltschutzgesetz, USG, SR 814.01]). Zusammengefasst sei der Beschuldigte in Lohn-Ammannsegg ohne gültigen Führerausweis mit einem unbekannten Motorrad auf der Bernstrasse in Richtung Biberist gefahren. Dabei habe er einen Kehrrichtsack auf dem Trittbrett zwischen seinen Beinen transportiert, als er diesen – angeblich unbemerkt – verloren und liegen gelassen habe (s. zum Ganzen die Akten der Staatsanwaltschaft [nachfolgend AS] 007 ff.).

 

2. Am 18. April 2019 wurde der Beschuldigte durch die Polizei kontrolliert, nachdem er, ohne im Besitz eines gültigen Führerausweises gewesen zu sein, mindestens auf dem Gemeindegebiet von Flumenthal ein Motorrad, an welchem als gestohlen gemeldete Kontrollschilder angebracht gewesen seien, gelenkt haben und dabei den stockenden Kolonnenverkehr auf dem Pannenstreifen rechts überholt haben soll. In der Folge wurde das Motorrad des Beschuldigten vom Rastplatz Deitingen Süd, wo die Kontrolle durch die Polizei stattfand, abgeschleppt (s. zum Ganzen die Strafanzeige der Polizei vom 15.05.2019, AS 017 ff., und AS 022 f.).

 

3. Am 25. April 2019 eröffnete die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 1 SVG), des Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeuges (Art. 93 Abs. 2 lit. a SVG), des Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzug des Führerausweises (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG), der Übertretung des Bundesgesetzes über den Umweltschutz (Umweltschutzgesetz, USG, SR.814.01), Art. 61 Abs. 1 USG), der groben Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 2 SVG), des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzug des Führerausweises (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG), des mehrfachen Fahrens ohne Haftpflichtversicherung (Art. 96 Abs. 2 SVG) und der Benützung der Nationalstrasse ohne Vignette (Art. 7 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Abgabe für die Benützung von Nationalstrassen [Nationalstrassenabgabegesetz, NSAG, SR 741.71], AS 163 f.). Ebenfalls am 25. April 2019 wurde das Motorrad des Beschwerdeführers, das Motorrad [Marke (Fahrgestell-Nr. […], Stamm-Nr. […]) durch die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt (AS 020 f. und AS 187 f.).

 

4. Mit Verfügung vom 17. Juni 2019 wurde der Beschuldigte informiert, dass – sollte sich der Verdacht, er habe während noch laufender Probezeit gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft vom 13. September 2018 delinquiert, erhärten – die Staatsanwaltschaft im Falle eines Schuldspruchs auch über den Widerruf der bedingt aufgeschobenen Geldstrafe zu entscheiden habe (AS 257 f.).

 

5. Am 7. Januar 2020 erfolgte eine weitere Strafanzeige der Polizei gegen den Beschuldigten, dies wegen Überschreitens der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts (nach Abzug der Sicherheitsmarge) um 11-15 km/h (Art. 4a Abs. 1 lit. a VRV, Art. 32 Abs. 2 SVG, Art. 90 Abs. 1 SVG), Führen eines Motorfahrzeuges trotz Entzug des Ausweises (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG), Führen eines Motorfahrzeuges ohne Haftpflichtversicherung (Art. 96 Abs. 2 SVG), widerrechtlicher Aneignung von Kontrollschildern (Art. 97 Abs. 1 lit. g SVG) und missbräuchlicher Verwendung von Kontrollschildern (Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG). Zusammengefasst habe der Beschuldigte am 28. November 2019 in Bellach innerorts mit einem Motorrad, an welchem als gestohlen gemeldete Kontrollschilder angebracht gewesen seien, eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen, als er anstelle der geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h (ohne Abzug der geltenden Sicherheitsmarge von 5 km/h) unterwegs gewesen sei. Dabei sei er erneut gefahren, ohne im Besitz eines gültigen Führerausweises gewesen zu sein (AS 030 ff.).

 

6. Anlässlich einer Patrouillentätigkeit am 21. Februar 2020, ca. 14:38 Uhr, fiel der Patrouille des Polizeiposten Biberist in Biberist auf der Höhe des Kreisverkehrs Hauptstrasse / Poststrasse / Gutenbergstrasse ein schwarzes Motorrad (teilweise als «Roller» bezeichnet) mit Einkäufen auf dem Trittbrett auf. Nach Aussagen der Patrouille habe der Lenker des Motorrads einen kurzen Moment mit der Weiterfahrt gezögert, sei dann jedoch in den Kreisverkehr eingebogen und sei weitergefahren. Auf der Gutenbergstrasse habe der Lenker in der Folge zur Kontrolle angehalten werden können. Der Lenker des Motorrads (der Beschuldigte) habe gegenüber der Patrouille sogleich angegeben, nicht im Besitz eines gültigen Führerausweises zu sein und dass das Kontrollschild nicht zum entsprechenden Motorfahrzeug gehöre. Ein vor Ort durchgeführter Atemalkoholtest verlief negativ. Am 30. März 2020 erstattete die Polizei schliesslich Strafanzeige gegen den Beschuldigten wegen Führens eines Motorfahrzeuges trotz Verweigerung, Entzug Aberkennung des Ausweises (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG), widerrechtlicher Aneignung von Kontrollschildern (Art. 97 Abs. 1 lit. g SVG), Fahrens ohne Haftpflichtversicherung (Art. 96 Abs. 2 SVG) und missbräuchlicher Verwendung von Ausweisen und/oder Kontrollschildern (Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG, s. zum Ganzen AS 048 ff.). Das durch den Beschuldigten verwendete Motorrad ([Marke], Fahrgestell-Nr. […], Stamm-Nr. […]) wurde schliesslich durch die Staatsanwaltschaft am 27. Februar 2020 beschlagnahmt (AS 064 ff. und AS 189 ff.).

 

7. Gestützt auf den gleichentags ausgestellten Hausdurchsuchungsbefehl vom 27. Februar 2020 (AS 067 f.) fand am 28. Februar 2020, zwischen 10:35 Uhr und 11:05 Uhr, im Nachgang zu dessen Einvernahme durch die Polizei (AS 056 ff.) eine Durchsuchung der Räumlichkeiten des Beschuldigten in [Ort] statt (AS 070 ff.). Sichergestellt wurden dabei sechs Fahrzeugschlüssel (5x [Marke] / 1x [Marke], Top Case Schlüssel, s. insb. AS 072).

 

8. Mit zwei Verfügungen vom 8. April 2020 wurden die am 25. April 2019 und am 27.  Februar 2020 beschlagnahmten Motorräder [Marke] und [Marke] gestützt auf Art. 266 Abs. 5 StPO verwertet und der Erlös mit Beschlag belegt. Die Polizei wurde (nach Rechtskraft der Verfügungen) mit der jeweiligen Verwertung beauftragt (AS 197 f. und AS 200 f.).

 

9. Am 9. Juni 2020 wurde der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, die Polizei habe Kenntnis davon erhalten, dass der Beschuldigte am 28. Februar 2020, 14:23 Uhr – und damit noch am Tag der letzten Einvernahme des Beschuldigten (s. unten Ziff. I. / Ziff. 13.) – bei der Motorfahrzeugkontrolle Kanton Solothurn den Personenwagen [Marke], SO-[…], eingelöst habe, ohne im Besitz eines gültigen Führerausweises gewesen zu sein. Am 5. Juni 2020, 17:18 Uhr, sei der Beschuldigte denn auch als Lenker des genannten Personenwagens auf der Bernstrasse in Lohn-Ammannsegg in Fahrtrichtung Biberist festgestellt und anschliessend einer Kontrolle unterzogen worden. Der Beschuldigte sei zur Einvernahme auf den Polizeiposten Biberist verbracht und das verwendete Fahrzeug sichergestellt bzw. mit Befehl der Staatsanwaltschaft vom 9. Juni 2020 beschlagnahmt worden (s. zum Ganzen die Aktennotiz der Staatsanwaltschaft vom 09.06.2020 in AS 075 und die zugehörige Strafanzeige in AS 076 ff. bzw. den Beschlagnahmebefehl in AS 093 f. und AS 191 f.).

 

10. Mit Verfügung vom 12. Juni 2020 wurde Rechtsanwalt Christoph Schönberg als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten bestellt (AS 095).

 

11. Am 4. August 2020 wurde der mit Verfügung vom 9. Juni 2020 beschlagnahmte Personenwagen [Marke], Fahrgestell-Nr. […], Stamm-Nr. […], SO-[…] gestützt auf Art. 266 Abs. 5 StPO zur Verwertung vorgesehen und der Erlös mit Beschlag belegt. Die Polizei wurde beauftragt, das Fahrzeug (nach Rechtskraft der Verfügung) zu verwerten (AS 203 f.).

 

12. Die Kantonspolizei Bern erstattete am 15. Dezember 2020 Strafanzeige gegen den Beschuldigten wegen missbräuchlicher Verwendung von Kontrollschildern (Art. 97 Abs. 1 SVG). Gemäss Kaufvertrag vom 11. Dezember 2020 sei der Beschuldigte neuer Halter des PW [Marke], BE […]. Im Vertrag sei festgehalten worden, dass der Beschuldigte übergangsmässig die genannten Kontrollschilder vom Verkäufer zur Verwendung überlassen erhalte bzw. diese nach Beendigung des Gebrauchs an diesen retourniere. Dies sei vertragswidrig nicht geschehen. Zudem sei der Beschuldigte seit dem 5. November 2008 in der Schweiz mit einem allgemeinen Verwendungsverbot für sämtliche Kategorien belegt bzw. seit dem 9. Juli 2002 nicht mehr im Besitz einer gültigen deutschen Fahrerlaubnis, womit er auch ohne entsprechenden Führerausweis unterwegs gewesen sei (s. zum Ganzen die Unterlagen gemäss Strafanzeige in AS 098 ff. und den Ermittlungsbericht der Polizei Kanton Solothurn vom 23.02.2021 in AS 110 ff.). Mit Befehl der Staatsanwaltschaft vom 2. Februar 2021 wurde der genannte Personenwagen beschlagnahmt (AS 124 und AS 194 f., s. auch die zugehörige Gerichtsstandsanfrage vom 23.12.2020 in AS 258 f. bzw. die Anerkennung des Gerichtsstandes vom 07.01.2021 in AS 262 f.).

 

13. Am 23. Februar 2019 (AS 011 ff.), am 18. April 2019 (AS 024 ff.), am 20. November 2019 (AS 037 ff.), am 15. Dezember 2019 (AS 040 ff.), am 21. Februar 2020 (AS 054 ff.), am 28. Februar 2020 (AS 056 ff.) und am 14. Juli 2020 (AS 080 ff.) wurde der Beschuldigte polizeilich einvernommen. Am 9. Februar 2021 erfolgte eine Einvernahme des Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (AS 126 ff.).

 

14. Am 15. Januar 2021 erliess die Staatsanwaltschaft eine ergänzte Ausdehnungsverfügung wegen des Verdachts des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG, Art. 10 Abs. 2 SVG), der mehrfachen widerrechtlichen Aneignung von Kontrollschildern (Art. 97 Abs. 1 lit. g SVG), der mehrfachen missbräuchlichen Verwendung von Kontrollschildern (Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG), der groben Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 2 SVG) durch Rechtsüberholen auf der Autobahn via Pannenstreifen (Art. 35 Abs. 1 SVG, Art. 8 Abs. 1 VRV, Art. 36 Abs. 3 und Abs. 5 VRV), des mehrfachen Fahrens ohne Haftpflichtversicherung i.S. des Strassenverkehrsgesetzes (Art. 96 Abs. 2 Satz 1 SVG, Art. 63 Abs. 1 SVG), der Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 1 SVG) durch Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts (Art. 32 Abs. 2 SVG, Art. 4a Abs. 1 lit. a VRV), des Nichteinholens eines neuen Fahrzeugausweises bei Halterwechsel (Art. 99 Abs. 2 SVG, Art. 11 Abs. 3 SVG), evtl. Führen eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs (Art. 93 Abs. 2 lit. a SVG, Art. 29 SVG, Art. 57 VRV, Art. 73 VRV), der Benützung der Nationalstrasse ohne gültige Vignette (Art. 14 Abs. 1 NSAG, Art. 7 Abs. 2 NSAG) und der Übertretung des Umweltschutzgesetzes (Art. 61 Abs. 1 lit. g USG, Art. 30e Abs. 1 USG) sowie gegen das Gesetz über Wasser, Boden und Abfall (§ 144 und 169 GWBA) durch Lagern von Abfall im Freien, s. zum Ganzen detailliert AS 173 ff. anstelle von AS 165 f.).

 

15. Mit Verfügung vom 21. September 2021 zeigte die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten den Abschluss der Strafuntersuchung und die Erhebung der Anklage beim zuständigen Gericht an (AS 177), nachdem dieser am 6. Juli 2021 zwei Entwürfe von Anklageschriften vom 11. Juni 2021 (AS 368 ff.) und vom 22. Juni 2021 (AS 376 ff.) im ursprünglich vorgesehenen abgekürzten Verfahren ablehnte (AS 383).

 

16. Am 3. März 2022 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Beschuldigten wegen mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG, Art. 10 Abs. 2 SVG), mehrfacher widerrechtlicher Aneignung von Kontrollschildern (Art. 97 Abs. 1 lit. g SVG), mehrfacher missbräuchlicher Verwendung von Kontrollschildern (Art. 91 Abs. 1 lit. a SVG), grober Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 2 SVG) durch Rechtsüberholen auf der Autobahn via Pannenstreifen (Art. 35 Abs. 1 SVG, Art. 8 Abs. 1 VRV, Art. 36 Abs. 3 und 5 VRV), mehrfachen Fahrens ohne Haftpflichtversicherung i.S. des Strassenverkehrsgesetzes (Art. 96 Abs. 2 Satz 1 SVG, Art. 63 Abs. 1 SVG), Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 1 SVG) durch Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts (Art. 32 Abs. 2 SVG, Art. 4a Abs. 1 lit. a VRV) und Nichteinholen eines neuen Fahrzeugausweises bei Halterwechsel (Art. 99 Abs. 2 SVG, Art. 11 Abs. 3 SVG, s. Akten des Richteramtes Solothurn-Lebern [S-L] 001 ff.). Die weiteren, noch in der Ausdehnungsverfügung vom 15. Januar 2021 enthaltenen Delikte wurden nicht zur Anklage gebracht.

 

17. Am 10. Januar 2023 fällte die Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern folgendes Urteil (nachfolgend auch erstinstanzliches Urteil genannt, S-L 050 ff. [Dispositiv] und S-L 061 ff. [begründetes Urteil]) bzw. die (erste) Anpassung des Dispositivs in S-L 100 ff.):

 

1.    Das Strafverfahren gegen A.___ wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln durch Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts, angeblich begangen am 29. November 2018 (Vorhalt Ziff. 6 der Anklageschrift) wird zufolge Verjährung eingestellt.

2.    A.___ hat sich wie folgt schuldig gemacht:

a) mehrfaches Führen eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis, begangen in der Zeit vom 25. Mai 2018 bis am 11. Dezember 2020;

b) mehrfache widerrechtliche Aneignung von Kontrollschildern, begangen am 25. Mai 2018 und am 18. April 2019;

c) mehrfache missbräuchliche Verwendung von Kontrollschildern, begangen in der Zeit vom 25. Mai 2018 bis am 21. Februar 2020;

d) grobe Verletzung der Verkehrsregeln durch Rechtsüberholen auf der Autobahn via Pannenstreifen, begangen am 18. April 2019;

e) mehrfaches Fahren ohne Haftpflichtversicherung, begangen in der Zeit vom 25. Mai 2018 bis am 21. Februar 2020;

f)  Nichteinholen eines neuen Fahrzeugausweises bei Halterwechsel, begangen in der Zeit vom 25. Dezember 2020 bis 16. Februar 2021.

3.    A.___ wird verurteilt zu:

a)   einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von 5 Jahren;

b)   einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je CHF 100.00, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 13. September 2018, unter Gewährung des bedingten Vollzugs, bei einer Probezeit von 5 Jahren;

c)   einer Busse von CHF 100.00, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 1 Tag.

4.    Der A.___ mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 13. September 2018 für eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00 gewährte bedingte Vollzug wird widerrufen.

5.    Es wird festgestellt, dass folgende im Verfahren gegen A.___ beschlagnahmten Fahrzeuge eingezogen und vorzeitig verwertet wurden:

a)   [Marke], Fahrgestell-Nr. […],

       Stamm-Nr. […], Erlös CHF 1'600.00,

b)   Motorrad [Marke], Fahrgestell-Nr. […],

       Stamm-Nr. […], Erlös CHF 1'500.00,

c)   Personenwagen [Marke], Fahrgestell-Nr. […],

       Stamm-Nr. […], Erlös CHF 1'800.00.

6.    Die nachfolgenden bei A.___ sichergestellten Gegenstände (aufbewahrt bei der Polizei Kanton Solothurn) werden eingezogen und sind, soweit noch nicht erfolgt, nach Rechtskraft des Urteils durch die Polizei zu verwerten bzw. zu vernichten:

a)   Personenwagen [Marke], Fahrgestell-Nr. […],

       Stamm-Nr. […],

b)   Schlüssel zu diversen Rollern der Marken [Marke], [Marke].

7.    Ein gemäss Ziff. 6 hiervor verbleibender allfälliger Netto-Verwertungserlös (nach Abzug der Aufbewahrungs- und Verwertungskosten) wird mit der Busse gemäss Ziff. 3 lit. c hiervor und die Restanz mit der Geldstrafe gemäss Ziff. 4 hiervor verrechnet.

8.    a) Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Christoph Schönberg, wird auf CHF 7'111.65 (Honorar CHF 6'322.80, Auslagen CHF 280.40, 7,7 % MwSt. CHF 508.45) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 1'858.35 (Differenz zum vollem Honorar, inkl. 7,7 % Mwst. CHF 132.85), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.

b) Es wird festgestellt, dass die Zentrale Gerichtskasse dem amtlichen Verteidiger bereits CHF 2'800.00 (als Akontozahlung) überwiesen hat, so dass ihm noch die Differenz von CHF 4'311.65 auszubezahlen ist.

9.    A.___ hat die Kosten des Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 2'000.00, total CHF 4'729.45, zu bezahlen. Wird kein Rechtsmittel ergriffen und verlangt keine Partei ausdrücklich eine schriftliche Begründung des Urteils, so reduziert sich die Urteilsgebühr um CHF 500.00, womit die gesamten Kosten CHF 4'229.45 betragen.

 

18. Am 23. Januar 2023 meldete der Beschuldigte die Berufung an (S-L 057 f.).

 

19. Am 20. März 2023 wurde dem Beschuldigten das begründete Urteil zugestellt (S-L 103).

 

20. Am 5. April 2023 erklärte der Beschuldigte die Berufung (Akten des Obergerichts [OGer] 003 ff.). Diese richtet sich gegen den Widerruf des bedingten Vollzugs der Geldstrafe gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft vom 13. September 2018 (Dispositiv-Ziff. 4 des erstinstanzlichen Urteils).

 

21. Am 13. April 2023 erklärte die Staatsanwaltschaft die Anschlussberufung. Diese richtet sich gegen die Strafzumessung (Dispositiv-Ziff. 3a und 3b des erstinstanzlichen Urteils). Dies insofern, als dass der vollbedingte Strafvollzug gewährt worden sei. Beantragt wird, zumindest einen Teil der Freiheitsstrafe sowie die Geldstrafe unbedingt auszusprechen (OGer 055 ff.).

 

22. Mit Verfügung vom 20. April 2023 wurden die Parteien vor das Berufungsgericht zur Verhandlung für den 16. August 2023 vorgeladen (OGer 059 ff.).

 

23. Am 17. Juli 2023, am 27. Juli 2023 und am 28. Juli 2023 reichte der amtliche Verteidiger des Beschuldigten Belege zu dessen finanziellen Verhältnissen zu den Akten (OGer 070 ff., OGer 075 ff. und OGer 081 ff.).

 

24. Am 16. August 2023 fand die Berufungsverhandlung vor dem Berufungsgericht statt (OGer 088 ff.).

 

 

II.    Teilweise Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils und Gegenstand des Berufungsverfahrens

 

1. Die folgenden Ziffern des erstinstanzlichen Urteils sind ganz teilweise in Rechtskraft erwachsen:

-        Ziff. 1: Einstellung des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln durch Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts, angeblich begangen am 29. November 2018 (Vorhalt Ziff. 6 der Anklageschrift) zufolge Verjährung;

-        Ziff. 2: Schuldsprüche gegen den Beschuldigten;

-        Ziff. 5: Feststellung von bereits erfolgten Einziehungen und bereits erfolgten vorzeitigen Verwertungen;

-        Ziff.  6: Feststellung von bereits erfolgen Einziehungen und noch durchzuführenden Verwertungen;

-        Ziff. 8 (teilweise): Entschädigung an den amtlichen Verteidiger von A.___ (die Höhe der Entschädigung betreffend).

 

2.1. Im Sinne von Art. 399 StPO muss in der Berufungserklärung angegeben werden, ob das Urteil insgesamt nur in bestimmten Teilen angefochten wird. Im letzteren Fall muss der Berufungskläger in seiner Berufungserklärung endgültig angeben, auf welche Teile sich die Berufung bezieht. Art. 399 Abs. 4 StPO zählt in den lit. a bis lit. g die Teile des Urteils auf, die gesondert angefochten werden können. Die Berufung kann sich somit insbesondere auf die Schuldfrage, gegebenenfalls in Bezug auf jede einzelne Tat (lit. a), auf den Strafrahmen (lit. b) auf die angeordneten Massnahmen (lit. c) beziehen.

 

Gemäss Art. 404 Abs. 1 StPO prüft das Berufungsgericht nur die angefochtenen Punkte des erstinstanzlichen Urteils. Es überprüft diese Punkte mit voller Prüfungsbefugnis (Art. 398 Abs. 2 StPO), ohne an die von den Parteien vorgebrachten Gründe ihre Anträge gebunden zu sein (ausser in Zivilsachen; Art. 391 Abs. 1 StPO). Unbestrittene Punkte können nur dann überprüft werden, wenn sich deren Änderung aufgrund der Gutheissung der Berufung der Anschlussberufung aufdrängt (Urteil des Bundesgerichts 6B_827/2017 vom 25.01.2018 E. 1.1.; Urteil des Bundesgerichts 6B_40/2013 vom 02.05.2013 E. 2.1.).

 

Das Bundesgericht legte diesbezüglich im Jahre 2018 fest, dass die Frage der Gewährung eines bedingten Strafvollzugs und die Frage des Widerrufs eines zuvor gewährten bedingten Strafvollzugs im Falle eines Rückfalls in einem derartig engen Zusammenhang stehen, dass die Berufung nicht auf den einen den anderen dieser Punkte beschränkt werden kann. Es sei anzunehmen, dass der Berufungskläger seine Berufung nicht auf die Frage des Strafmasses (unter Ausschluss des Strafaufschubs) und umgekehrt nicht auf die Frage des Strafaufschubs (unter Ausschluss des Strafmasses) beschränken könne. Vielmehr habe das Berufungsgericht seine Prüfungsbefugnis auf beide Fragen auszudehnen (s. diesbezüglich insbesondere unter Nennung diverser Lehrmeinungen BGE 144 IV 383 E. 1.1., auch mit Verweis auf das Urteil des Bundesgerichts 6B_802/2016 vom 24.08.2017 E. 3.2.).

 

2.2. In seiner Berufungserklärung vom 5. April 2023 ficht der Beschuldigte den von der Vorinstanz verfügten Widerruf des bedingten Vollzugs der Strafe gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Solothurn vom 13. September 2018 an (Ziff. 4 des erstinstanzlichen Urteils). In ihrer Anschlussberufung erweitert die Staatsanwaltschaft den Gegenstand des Berufungsverfahrens auf die Frage des bedingten Vollzugs der erstinstanzlich ausgesprochenen Sanktionen (Ziff. 3 lit. a und b des erstinstanzlichen Urteils).

 

Gestützt auf vorstehend genannte bundesgerichtliche Rechtsprechung ist festzustellen, dass eine Beschränkung des Anfechtungsgegenstandes auf die Frage des Widerrufs bzw. auf die Frage des bedingten Vollzugs alleine nicht zulässig ist. Vorliegend wird das Berufungsgericht die Strafzumessung deshalb nicht nur in Bezug auf die Frage des Widerrufs und des bedingten Vollzugs, sondern umfassend erwägen. Gegenstand des Berufungsverfahrens bilden demnach sowohl Ziffer 4 (Widerruf des mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft vom 13.09.2018 gewährten bedingten Vollzugs einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00) wie auch Ziffer 3 (Strafzumessung), dies jeweils in vollem Ausmass.

 

Anlässlich der mündlichen Berufungsverhandlung wurden die Parteien im Rahmen der Vorfragen ausdrücklich auf diesen Umstand hingewiesen.

 

3. Da vorliegend die Strafzumessung vollumfänglich zu überprüfen ist, bildet, obwohl nicht angefochten, auch Ziff. 3 lit. c des erstinstanzlichen Urteils (Busse) Berufungsgegenstand.

 

4. Ebenfalls Gegenstand des Berufungsverfahrens bilden, obwohl nicht explizit angefochten, die Fragen des Rückforderungsanspruchs des Staates der Entschädigung an den amtlichen Verteidiger (Ziff. 8 teilweise) sowie die Regelung der Kostentragung durch die erste Instanz (Ziff. 9, Art. 428 StPO).

 

5. Ziff. 7 des erstinstanzlichen Urteils (Verwertung eines allfälligen Netto-Verwertungserlöses mit der ausgesprochenen Busse, allenfalls mit der ausgesprochenen Geldstrafe) wird an die neu auszusprechende Sanktion angepasst und bildet damit ebenfalls Gegenstand des Berufungsverfahrens.

 

III.   Strafzumessung

 

1. Allgemeines zur Strafzumessung

 

1.1. Gemäss Art. 47 Abs. 1 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahingehend präzisiert, dass dieses nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden.

 

Nach Art. 50 StGB hat das Gericht die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten.

 

Der Begriff des Verschuldens muss sich auf den gesamten Unrechts- und Schuld-gehalt der konkreten Straftat beziehen. Innerhalb der Kategorie der realen Straf-zumessungsgründe ist zwischen der Tatkomponente, welche nun in Art. 47 Abs. 2 StGB näher umschrieben wird, und der in Abs. 1 aufgeführten Täterkomponente zu unterscheiden (vgl. Trechsel/Thommen, in Trechsel/Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Auflage 2018, N 16 zu Art. 47, mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Praxis).

 

1.2. Bei der Tatkomponente können fünf verschiedene objektive und subjektive Momente unterschieden werden. Beim Aspekt der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes (Ausmass des verschuldeten Erfolgs) geht es sowohl um den Rang des beeinträchtigten Rechtsguts wie um das Ausmass seiner Beeinträchtigung, aber auch um das Mass der Abweichung von einer allgemeinen Verhaltensnorm. Auch die Verwerflichkeit des Handelns (Art und Weise der Herbeiführung des Erfolgs) ist als objektives Kriterium für das Mass des Verschuldens zu berücksichtigen. Auf der subjektiven Seite ist die Intensität des deliktischen Willens (Willensrichtung des Täters) zu beachten. Dabei sprechen für die Stärke des deliktischen Willens insbesondere Umstände wie die der Wiederholung Dauer des strafbaren Verhaltens auch der Hartnäckigkeit, die der Täter mit erneuter Delinquenz trotz mehrfacher Vorverurteilungen sogar während einer laufenden Strafuntersuchung bezeugt. Hier ist auch die Skrupellosigkeit, wie auch umgekehrt der strafmindernde Einfluss, den es haben kann, wenn ein V-Mann bei seiner Einwirkung auf den Verdächtigen die Schranken des zulässigen Verhaltens überschreitet, zu beachten. Hinsichtlich der Willensrichtung dürfte es richtig sein, dem direkten Vorsatz grösseres Gewicht beizumessen als dem Eventualdolus, während sich mit der Unterscheidung von bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit keine prinzipielle Differenz der Schwere des Unrechts der Schuld verbindet. Die Grösse des Verschuldens hängt weiter auch von den Beweggründen und Zielen des Täters ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Delinquenz umso schwerer wiegt, je grösser das Missverhältnis zwischen dem vom Täter verfolgten und dem von ihm dafür aufgeopferten Interesse ist. Schliesslich ist unter dem Aspekt der Tatkomponente die Frage zu stellen, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden. Hier geht es um den Freiheitsraum, welchen der Täter hatte. Je leichter es für ihn gewesen wäre, die Norm zu respektieren, desto schwerer wiegt die Entscheidung gegen sie und damit seine Schuld (BGE 117 IV 7 E. 3aa).

 

1.3. Bei der Täterkomponente sind einerseits das Vorleben, bei dem vor allem Vorstrafen, auch über im Ausland begangene Straftaten (BGE 105 IV 225 E. 2.), ins Gewicht fallen – Vorstrafenlosigkeit wird neutral behandelt und bei der Strafzumessung nur berücksichtigt, wenn die Straffreiheit auf aussergewöhnliche Gesetzestreue hinweist (BGE 136 IV 1) – und andererseits die persönlichen Verhältnisse (Lebensumstände des Täters im Zeitpunkt der Tat), wie Alter, Gesundheitszustand, Vorbildung, Stellung im Beruf und intellektuelle Fähigkeiten zu berücksichtigen. Des Weiteren zählen zur Täterkomponente auch das Verhalten des Täters nach der Tat und im Strafverfahren, also ob er einsichtig ist, Reue gezeigt, ein Geständnis abgelegt bei den behördlichen Ermittlungen mitgewirkt hat, wie auch die Strafempfindlichkeit des Täters.

 

Vorstrafen stellen eines von mehreren täterbezogenen Merkmalen dar und steigern das konkrete Tatverschulden nicht. Das Sachgericht darf Vorstrafen nicht wie eigenständige Delikte im Rahmen einer «nachträglichen Gesamtstrafenbildung» würdigen. Nicht zulässig ist es, eine am Tatverschulden ausgerichtete prozentuale Straferhöhung vorzunehmen, mit der Folge, dass die gleiche Vorstrafe sich je nach Tatverschulden unterschiedlich stark straferhöhend auswirkt. Damit würde aus dem täterbezogenen Strafzumessungskriterium des Vorlebens ein tatbezogenes gemacht, was der gesetzlichen Konzeption von Art. 47 Abs. 1 StGB widerspricht, wonach Tat- und Täterkomponenten voneinander unabhängige Strafzumessungsfaktoren sind. Auch kann keine Vorstrafe derart straferhöhend berücksichtigt werden, dass der Täter faktisch ein zweites Mal für die bereits abgeurteilte Tat bestraft wird. Dies liefe sowohl dem Einzeltatschuldprinzip als auch dem Grundsatz «ne bis in idem» zuwider (vgl. Urteil 6B_249/2014 vom 16.10.2014 E. 2.4.2. mit Hinweis). Gemäss einem Urteil des Bundesgerichts vom 25. August 2015, Urteil 6B_510/2015, kann indes eine beachtliche Renitenz und Gleichgültigkeit gegenüber der schweizerischen Rechtsordnung zu einer Straferhöhung von einem Drittel des Strafmasses führen.

 

1.4. Das Gesamtverschulden ist zu qualifizieren und mit Blick auf Art. 50 StGB im Urteil ausdrücklich zu benennen, wobei von einer Skala denkbarer Abstufungen nach Schweregrad auszugehen ist. Hierauf ist in einem zweiten Schritt innerhalb des zur Verfügung stehenden Strafrahmens die (hypothetische) Strafe zu bestimmen, die diesem Verschulden entspricht (BGE 136 IV 55 E. 5.7.). Das Bundesgericht drängt in seiner Praxis vermehrt darauf, dass Formulierung des Verschuldens und Festsetzung des Strafmasses auch begrifflich im Einklang stehen (Urteile des Bundesgerichts vom 07.07.2011, 6B_1096/2010 E. 4.2.; vom 06.06.2011, 6B_1048/2010 E. 3.2. und vom 26.04.2011, 6B_763/2010 E. 4.1.).

 

1.5. Strafen von bis zu 180 Tageseinheiten sind grundsätzlich in Form einer Geldstrafe auszusprechen (Art. 34 StGB). Das Gericht kann stattdessen auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn a) eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten, b) eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann (Art. 41 Abs. 1 StGB). Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen (Art. 41 Abs. 2 StGB). Die Freiheitsstrafe als eingriffsintensivste Sanktion ist nach der gesetzlichen Konzeption somit nach wie vor (auch nach der auf den 01.01.2018 in Kraft gesetzten Revision) «ultima ratio» und kann nur verhängt werden, wenn keine andere, mildere Strafe in Betracht kommt (Botschaft vom 21.09.1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 2043 f. Ziff. 213.132; BGE 138 IV 120 E. 5.2. S. 122 f.; BGE 144 IV 217 vom 30.04.2018 E. 3.3.3. mit Hinweisen). Bei der Wahl der Sanktionsart waren auch unter dem früheren Recht als wichtige Kriterien die Zweckmässigkeit einer bestimmten Sanktion, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein soziales Umfeld sowie ihre präventive Effizienz zu berücksichtigen (BGE 134 IV 97 E. 4.2. S. 100 f. m.w.Verw.). Das Bundesgericht hat entschieden, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters und dessen voraussichtliche Zahlungsunfähigkeit keine Kriterien für die Wahl der Strafart sind. Es ist vielmehr, wenn die Voraussetzungen für den bedingten Strafvollzug erfüllt sind, eine bedingte Geldstrafe auszusprechen. Sinn und Zweck der Geldstrafe erschöpfen sich nicht primär im Entzug von finanziellen Mitteln, sondern liegen in der daraus folgenden Beschränkung des Lebensstandards sowie im Konsumverzicht. Nach der Meinung des Gesetzgebers soll die Geldstrafe auch für einkommensschwache Täter, d.h. für solche mit sehr geringem, gar unter dem Existenzminimum liegenden Einkommen ausgefällt werden können. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Geldstrafe als unzweckmässige Sanktion angesehen und deshalb vielfach auf eine Freiheitsstrafe erkannt werden müsste. Dies würde dem zentralen Grundanliegen der Revision diametral zuwiderlaufen. Gerade mittellosen Straftätern geht die Geldstrafe ans Lebensnotwendige, so dass sie für jene deutlich spürbar wird. Eine nicht bezahlbare Geldstrafe soll es nach der Botschaft – ausser durch Verschulden des Täters durch unvorhergesehene Ereignisse – denn auch nicht geben. Bei einkommensschwachen mittellosen Tätern, etwa Sozialhilfebezügern, nicht berufstätigen, den Haushalt führenden Personen Studenten ist somit die Ausfällung einer tiefen Geldstrafe möglich (BGE 134 IV 97 E. 5.2.3. m.w.Verw.). Nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit sollte bei alternativ zur Verfügung stehenden und hinsichtlich des Schuldausgleichs äquivalenten Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift (BGE 138 IV 120 E. 5.2. S. 122 f. m.w.Verw.).

 

1.6. Hat der Täter durch eine mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen und ist an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 StGB). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die Bildung einer Gesamtstrafe in Anwendung des Asperationsprinzips nach Art. 49 Abs. 1 StGB nur möglich, wenn das Gericht im konkreten Fall für jeden einzelnen Normverstoss gleichartige Strafen ausfällt (sog. «konkrete Methode»). Dass die anzuwendenden Strafbestimmungen abstrakt gleichartige Strafen androhen, genügt nicht. Geldstrafe und Freiheitsstrafe sind keine gleichartigen Strafen im Sinne von Art. 49 Abs. 1 StGB (BGE 142 IV 265 E. 2.3.2.; BGE 138 IV 120 E. 5.2. S. 122). Die Bildung einer sog. «Einheitsstrafe» bei engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang verschiedener Delikte ist nach neuerer bundesgerichtlicher Rechtsprechung grundsätzlich nicht mehr zulässig. Ebenso ist es nicht zulässig, für einzelne Delikte eine Freiheitsstrafe statt einer Geldstrafe auszusprechen, nur, weil die maximale Höhe der Geldstrafe von 180 Tagessätzen zufolge Asperation mehrerer Geldstrafen überschritten würde. Diesfalls bleibt es grundsätzlich bei der Ausfällung einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen, auch wenn diese insgesamt für alle mit Geldstrafe zu sanktionierenden Delikte nicht mehr schuldangemessen ist (BGE 144 IV 217 E. 3.6.).

 

Im soeben erwähnten BGE 144 IV 217 und in 144 IV 313 rückte das Bundesgericht von seiner früheren Rechtsprechung ab, die im Rahmen der Deliktsmehrheit nach Art. 49 Abs. 1 StGB im Zusammenhang mit der Wahl der Strafart noch Ausnahmen von der konkreten Methode zuliess (wonach für jedes einzelne Delikt im konkreten Fall die Strafart zu bestimmen und eine gesonderte Einsatzstrafe festzusetzen ist). In neueren Entscheiden hielt das Bundesgericht dann allerdings wieder fest, es könne eine Gesamtfreiheitsstrafe ausgesprochen werden, wenn viele Einzeltaten zeitlich sowie sachlich eng miteinander verknüpft seien und eine blosse Geldstrafe bei keinem der in einem engen Zusammenhang stehenden Delikte geeignet sei, in genügendem Masse präventiv auf den Täter einzuwirken (Urteil 6B_382/2021 vom 25.07.2022 E. 2.4.2.).

 

1.7. Hat das Gericht eine Tat zu beurteilen, die der Täter begangen hat, bevor er wegen einer anderen Tat verurteilt worden ist, so bestimmt es die Zusatzstrafe in der Weise, als dass der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn die strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären (Art. 49 Abs. 2 StGB). Die Bestimmung will im Wesentlichen das in Art. 49 Abs. 1 StGB verankerte Asperationsprinzip auch bei retrospektiver Konkurrenz gewährleisten. Der Täter, der mehrere gleichartige Strafen verwirkt hat, soll nach einem einheitlichen Prinzip der Scharfschärfung beurteilt werden, unabhängig davon, ob die Verfahren getrennt durchgeführt werden nicht (BGE 142I V 265 E. 2.3.1. m.w.Verw.).

 

Liegen die Voraussetzungen für eine Zusatzstrafe vor, setzt das Gericht zunächst eine hypothetische Gesamtstrafe fest. Es hat sich zu fragen, welche Strafe es ausgesprochen hätte, wenn es sämtliche Delikte gleichzeitig beurteilt hätte. Dabei hat es nach den Grundsätzen von Art. 49 Abs. 1 StGB zu verfahren, wobei der Richter bei retrospektiver Konkurrenz ausnahmsweise mittels Zahlenangaben offenzulegen hat, wie sich die von ihm zugemessene Strafe quotenmässig zusammensetzt (BGE 142 IV 265 E. 2.3.3 mit Hinweisen).

 

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung greift das Asperationsprinzip nur, wenn mehrere gleichartige Strafen ausgesprochen werden. Ungleichartige Strafen sind kumulativ zu verhängen. Das Gericht kann eine Gesamtfreiheitsstrafe nur ausfällen, wenn es im konkreten Fall für jede einzelne Tat die gleiche Strafart wählt. Diese Voraussetzungen gelten auch für die Bildung der Zusatzstrafe bei der retrospektiven Konkurrenz. Der Zweitrichter ist im Rahmen der Zusatzstrafenbildung nicht befugt, die Strafart des rechtskräftigen ersten Entscheides zu ändern (BGE 142 IV 265 E. 2.3.2. m.w.Verw., s. auch Jürg-Beat Ackermann, in: Basler Kommentar Strafrecht, 4. Auflage 2019, Art. 49 N 131 und N 172, je m.w.Verw.).

 

1.8. Gemäss Art. 42 Abs. 1 StGB schiebt das Gericht den Vollzug einer Geldstrafe einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten. In subjektiver Hinsicht relevantes Prognosekriterium ist insbesondere die strafrechtliche Vorbelastung (ausführlich BGE 134 IV 1 E. 4.2.1.). Für den bedingten Vollzug genügt das Fehlen einer ungünstigen Prognose, d.h. die Abwesenheit der Befürchtung, der Täter werde sich nicht bewähren (BGE 134 IV 1 E. 4.2.2.). Bereits in der bisherigen Praxis spielte die kriminelle Vorbelastung die grösste Rolle bei der Prognose künftigen Legalverhaltens (Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, 2. Auflage, Bern 2006, § 5 N 27). Allerdings schliessen einschlägige Vorstrafen den bedingten Vollzug nicht notwendigerweise aus (Roland M. Schneider / Roy Garré in: Niggli / Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, 4. Auflage, Basel 2019, N 61 zu Art. 42 StGB).

 

Der Strafaufschub nach Art. 42 Abs. 1 StGB wird lediglich bei einer klaren Schlechtprognose verwehrt. Dabei kommt es auf die Persönlichkeit des Verurteilten an. Diese erschliesst sich aus den Tatumständen, dem Vorleben, insbesondere Vortaten und Leumund, wobei auch das Nachtatverhalten miteinzubeziehen ist, ebenso die vermutete Wirkung der Strafe auf den Täter. Das Gericht hat eine Gesamtwürdigung aller prognoserelevanten Kriterien vorzunehmen und deren einseitige Berücksichtigung zu vermeiden. Dies gilt auch für das Prognosekriterium Vorstrafen. Dieses dürfte zwar ein durchaus gewichtiges Kriterium darstellen, was aber, wie erwähnt, nicht heisst, dass Vorstrafen die Gewährung des bedingten Strafvollzuges generell ausschliessen. Dies hat allerdings auch im Umkehrschluss zu gelten: Das Fehlen von Vorstrafen führt nicht zwingend zur Gewährung des bedingten Strafvollzuges, wenn sämtliche übrigen Prognosekriterien das klare Bild einer Schlechtprognose zu begründen vermögen. Allerdings ist doch wohl davon auszugehen, dass Ersttätern im Allgemeinen der bedingte Strafvollzug zu gewähren ist.

 

Unter dem Aspekt des Nachtatverhaltens spricht etwa die weitere Delinquenz während laufendem Strafverfahren gegen die Gewährung des bedingten Strafvollzuges. Ungünstig wirkt sich auch ein weiteres gleichartiges Delikt aus, wenn zwar das Strafverfahren wegen des ersten Vorfalles noch nicht eröffnet wurde, der Täter jedoch weiss, dass er ein solches zu erwarten hat (sog. kriminologischer Rückfall). Grundsätzlich sind Einsicht und Reue Voraussetzung für eine gute Prognose. Die bedingte Strafe wird abgelehnt für Überzeugungstäter. Gegen eine günstige Prognose spricht ferner die Verdrängungs- und Bagatellisierungstendenz des Täters. Von besonderem Interesse ist das Verhalten im Strafverfahren, wobei blosses Bestreiten der Tat die Aussageverweigerung kein Grund zur Verweigerung des bedingten Strafvollzuges darstellen, da solches Verhalten andere Gründe als mangelnde Einsicht haben kann (Scham, Angst, Sorge um die Familie). Die Nutzung der Verteidigungsrechte darf nicht sanktioniert werden. Anders kann dies indessen beurteilt werden, wenn der Täter ein ganzes Lügengebäude auftischt. Bei der Prognosestellung ist die ganze Wirkung des Urteils zu berücksichtigen. Ein wesentlicher Faktor der Prognosebildung ist die Bewährung am Arbeitsplatz. Unzulässig ist die Verweigerung des bedingten Vollzuges allein wegen der Art Schwere der Tat (Stefan Trechsel/Mark Pieth, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Auflage, Bern 2017, N 8 ff. zu Art. 42 StGB, mit zahlreichen Hinweisen).

 

1.9. Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen (Art. 43 StGB). Auch bei der Ausfällung einer teilbedingten Strafe ist Grundvoraussetzung das Bestehen einer begründeten Aussicht auf Bewährung. Die subjektiven Voraussetzungen von Art. 42 StGB gelten somit auch für die Anwendung von Art. 43 StGB. Beim Institut des teilbedingten Strafvollzuges ist der Strafzweck der Spezialprävention in den Vordergrund zu stellen. Art. 43 StGB hat die Bedeutung, dass die Warnwirkung des Teilaufschubes angesichts des gleichzeitig angeordneten Teilvollzuges für die Zukunft eine weitaus bessere Prognose erlaubt (vgl. zum Ganzen Entscheid BGE 134 IV 1 E. 5.5.2. S. 15).

 

2. Konkrete Strafzumessung

 

2.1. Widerruf der Geldstrafe

 

2.1.1. Begeht der Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen Vergehen und ist deshalb zu erwarten, dass er weitere Strafen verüben wird, so widerruft das Gericht gemäss Art. 46 Abs. 1 StGB die bedingt aufgeschobene Strafe den bedingt aufgeschobenen Teil der Strafe. Ein während der Probezeit begangenes Verbrechen Vergehen führt nicht zwingend zum Widerruf des bedingten Strafaufschubs. Dieser erfolgt nur, wenn wegen der Begehung des neuen Delikts von einer negativen Einschätzung der Bewährungsaussichten auszugehen ist, d.h. aufgrund der erneuten Straffälligkeit eine eigentliche Schlechtprognose besteht. Die Prüfung der Bewährungsaussichten des Täters ist analog der Prüfung der Gewährung des bedingten Strafvollzugs anhand einer Würdigung aller wesentlichen Umstände vorzunehmen. In die Beurteilung der Bewährungsaussichten im Falle des Widerrufs des bedingten Vollzugs einer Freiheitsstrafe ist auch zu berücksichtigen, ob die neue Strafe bedingt unbedingt ausgesprochen wird (BGE 134 IV 140, E. 4.2. ff. mit Hinweisen). Besonders günstige Umstände, wie sie Art. 42 Abs. 2 StGB für den bedingten Strafaufschub bei entsprechender Vorverurteilung verlangt, sind für den Widerrufsverzicht aber nicht erforderlich. Das heisst allerdings nicht, dass es im Rahmen von Art. 46 StGB auf die neue Tat und die daraus resultierende Strafe überhaupt nicht ankommen würde. Art und Schwere der erneuten Delinquenz bleiben vielmehr auch unter neuem Recht für den Entscheid über den Widerruf von Bedeutung, insoweit nämlich, als das im Strafmass für die neue Tat zum Ausdruck kommende Verschulden Rückschlüsse auf die Legalbewährung des Verurteilten erlaubt. Insoweit lässt sich sagen, dass die Prognose für den Entscheid über den Widerruf umso eher negativ ausfallen kann, je schwerer die während der Probezeit begangenen Delikte wiegen (BGE 134 IV 140 E. 4.5.).

 

2.1.2.1. Der Beschuldigte wurde mit Urteil der Staatsanwaltschaft Solothurn vom 13. September 2018 wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand (qualifizierte Blutalkoholkonzentration), Führens eines Motorfahrzeugs ohne erforderlichen Führerausweis, widerrechtlicher Aneignung und missbräuchlicher Verwendung von Kontrollschildern und wegen Fahrens ohne Haftpflichtversicherung sowie ohne Fahrzeugausweis, alles begangen am 2. Mai 2018, zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren, verurteilt. Die vorliegend neu zu beurteilenden Taten erfolgten

 

-        vom 25. Mai 2018 bis am 11. Dezember 2020 (mehrfaches Führen eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis);

-        am 25. Mai 2018 und am 18. April 2019 (mehrfache widerrechtliche Aneignung von Kontrollschildern);

-        vom 25. Mai 2018 bis am 21. Februar 2020 (mehrfache missbräuchliche Verwendung von Kontrollschildern);

-        am 18. April 2019 (grobe Verletzung der Verkehrsregeln durch Rechtsüberholen auf der Autobahn via Pannenstreifen);

-        vom 25. Mai 2018 bis 21. Februar 2020 (mehrfaches Fahren ohne Haftpflichtversicherung);

-        vom 25. Dezember 2020 bis 16. Februar 2021 (Nichteinholen eines neuen Führer-ausweises bei Halterwechsel).

 

Es gilt zu prüfen, welche dieser neu zu beurteilenden Delikte in die Probezeit gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft vom 13. September 2018 fallen.

 

2.1.2.2. Hinsichtlich des Führens eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis, des Fahrens ohne Haftpflichtversicherung und der missbräuchlichen Verwendung von Kontrollschildern wurde dem Beschuldigten in der Anklageschrift vom 3. März 2022 zwar jeweils mehrfache Tatbegehung vorgehalten, jedoch wurde die genaue Anzahl der dem Beschuldigten zur Last gelegten Handlungen nicht näher definiert und auch nicht näher ausgeführt, wie viele Handlungen in die Probezeit gefallen sind. Auch die erste Instanz hat sich diesbezüglich nicht festgelegt.

 

Gestützt auf die Angaben des Beschuldigten ist von Folgendem auszugehen:

 

-        Anlässlich der Einvernahme vom 18. April 2019 gab der Beschuldigte zu Protokoll, nicht zu wissen, wie oft er das Motorrad (oder andere Fahrzeuge) ohne Führererlaubnis (und ohne Haftpflichtversicherung und unter missbräuchlicher Verwendung von Kontrollschildern) gelenkt habe. «Wenige Male» habe er das Motorrad gelenkt; auch «manchmal». Wie oft, könne er aber definitiv nicht nennen. Er denke, es seien zwischen 5 und 15 Malen gewesen, seitdem er das Motorrad gekauft habe (AS 027, Antworten 18 ff.; bestätigt in der Einvernahme vom 28.02.2020 in AS 059 Antworten 14 f., wonach er «einige Male» ein Motorfahrzeug trotz Entzug gelenkt habe, wobei er nicht sagen könne, wie oft). Zugestanden ist vom Beschuldigten demnach (mindestens) 15-faches Führen eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis, jeweils ohne Haftpflichtversicherung und unter missbräuchlicher Verwendung von Kontrollschildern; dies für den Zeitraum vom 25. Mai 2018 bis zum Zeitpunkt der Einvernahme am 18. April 2019. Von diesen knapp elf Monaten sind deren acht in die Probezeit gefallen, weswegen – rein mathematisch aufgeschlüsselt und auf die nächste Zahl abgerundet – von den 15 anerkannten Fahrten (mindestens) deren zehn in die Probezeit gefallen sind;

 

-        Gemäss Strafanzeige vom 7. Januar 2020 hat der Beschuldigte am 28. November 2019 in Bellach innerorts mit einem Motorrad, an welchem als gestohlen gemeldete Kontrollschilder angebracht gewesen sind, eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen, als er anstelle der geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h (ohne Abzug der geltenden Sicherheitsmarge von 5 km/h) unterwegs gewesen ist. Dabei sei er erneut gefahren, ohne im Besitz eines gültigen Führerausweises gewesen zu sein (AS 030 ff.). Ebenfalls ist davon auszugehen, dass er ohne Haftpflichtversicherung gefahren ist.

 

-        Am 21. Februar 2020 fuhr der Beschuldigte mit dem Motorrad [Marke], Fahrgestell-Nr. […], Stamm-Nr. […] (unter Verwendung des Kontrollschilds 50-[…], auf der Strecke Lohn-Ammannsegg nach Biberist und Gerlafingen, wo er um 14:40 Uhr angehalten wurde. Es kommt damit mindestens eine Fahrt mit Führen eines Motorfahrzeugs ohne Ausweis, ohne Haftpflichtversicherung und unter missbräuchlicher Verwendung von Kontrollschildern dazu, die in die Probezeit gefallen ist;

 

-        Anlässlich der Einvernahme vom 14. Juli 2020 gab der Beschuldigte auf entsprechende Frage an, seit dem Erwerb des Personenwagens [Marke] sei er «2, 3 Mal» als dessen Lenker unterwegs gewesen (AS 082, Antworten 9 f.). Zu den (mindestens) zwölf vorstehend Malen kommen demnach für den Zeitraum vom 18.04.2020 – 05.06.2020 (mindestens) 2 - 3 faches Führen eines Motorfahrzeuges ohne Führerausweis dazu.

 

In der Dauer der Probezeit gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft vom 13. September 2018 hat der Beschuldigte demnach (mindestens) 15 Mal ein Motorfahrzeug ohne Ausweis geführt wie er auch (mindestens) 12 Mal ohne Haftpflichtversicherung und unter missbräuchlicher Verwendung von Kontrollschildern gefahren ist.

 

2.1.2.3. Hinsichtlich der mehrfachen widerrechtlichen Aneignung von Kontrollschildern fiel die Tat vom 18. April 2019 in die Probezeit gemäss Strafbefehl vom 13. September 2018; nicht dagegen diejenige vom 25. Mai 2018.

 

2.1.2.4. Ebenfalls in die Probezeit fällt die grobe Verletzung der Verkehrsregeln durch Rechtsüberholen via Pannenstreifen vom 18. April 2019.

 

2.1.2.5. Wiederum nicht in die Probezeit fallen das Nichteinholen eines neuen Fahrzeugausweises bei Halterwechsel, begangen vom 25. Dezember 2020 bis 16. Februar 2021 sowie das mehrfache Führen eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis in der Zeit ab dem 11. Dezember 2020. Zu diesen Tatzeitpunkten war die Probezeit gemäss Strafbefehl vom 13. September 2018 bereits abgelaufen.

 

2.1.3. Der Beschuldigte hat sich damit in der Probezeit mehrfacher Delikte schuldig gemacht. Die neuen Delikte sind von ähnlicher Natur wie die bisherigen Delikte, weshalb sich aus den neuen Delikten grundsätzlich negative Schlüsse für die Legalprognose des Beschuldigten ziehen liessen. Es ist jedoch bereits jetzt vorweg zu nehmen, dass für die neuen Delikte, derer sich der Beschuldigte verantworten muss, eine Freiheitsstrafe anstelle einer Geldstrafe auszusprechen ist, wobei diese zumindest in Teilen unbedingt ausgesprochen werden muss (s. diesbezüglich detailliert nachfolgend Ziff. III. / Ziff. 2.2.3.). Es darf somit bei der Frage der Bewährungs-aussicht der Vollzug des nunmehr zu vollziehenden Teils der Freiheitsstrafe nicht ausser Betracht gelassen werden. Es darf erwartet werden, dass diese erneute Freiheitsstrafe beim Beschuldigten auch aufgrund seines mittlerweile gesicherten (Arbeits-)Umfelds eine gewisse Warnwirkung haben wird und er sich künftig wohlverhalten wird. Da überdies für den Verzicht auf den Widerruf des bedingten Strafvollzugs keine «besonders günstigen Umstände» erforderlich sind, kann mit Blick auf den genannten Vollzug der Freiheitsstrafe auf den Widerruf des bedingten Vollzugs der Vortat verzichtet werden.

 

2.1.4. Ist nicht zu erwarten, dass der Verurteilte weitere Straftaten begehen wird, so verzichtet das Gericht auf einen Widerruf. Es kann den Verurteilten verwarnen die Probezeit um höchstens die Hälfte der im Urteil festgesetzten Dauer verlängern. Für die Dauer der verlängerten Probezeit kann das Gericht Bewährungshilfe anordnen und Weisungen erteilen. Erfolgt die Verlängerung erst nach Ablauf der Probezeit, so beginnt sie am Tag der Anordnung (Art. 46 Abs. 2 StGB).

 

Vorliegend rechtfertigt es sich, dem Beschuldigten die Probezeit zu verlängern, dies auf die maximal mögliche Länge von einem Jahr.

 

2.2. Prüfung einer Zusatzstrafe für das mehrfache Fahren ohne Haftpflichtversicherung

 

2.2.1. Gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft vom 13. September 2018 hat sich der Beschuldigte des Fahrens in fahrunfähigem Zustand (qualifizierte Blutalkoholkonzentration, Art. 91 Abs. 2 lit. a SVG, Art. 31 Abs. 2 SVG, Art. 55 Abs. 6 SVG, Art. 2 Abs. 1 VRV), des Führens eines Motorfahrzeugs ohne erforderlichen Führerausweis (Art. 95 Abs. 1 lit. a SVG, Art. 10 Abs. 2 SVG), der widerrechtlichen Aneignung und missbräuchlichen Verwendung von Kontrollschildern (Art. 97 Abs. 1 lit. g SVG, Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG), des Fahrens ohne Haftpflichtversicherung (Art. 96 Abs. 2 SVG) sowie ohne Fahrzeugausweis (Art. 96 Abs. lit. a SVG) schuldig gemacht. Gemäss den unangefochten gebliebenen Schuldsprüchen der ersten Instanz hat sich der Beschuldigte nun vorliegend unter anderem des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis, begangen in der Zeit vom 25. Mai 2018 bis 11. Dezember 2020, der mehrfachen widerrechtlichen Aneignung von Kontrollschildern, begangen am 25. Mai 2018 (und am 18. April 2019), der mehrfachen missbräuchlichen Verwendung von Kontrollschildern, begangen in der Zeit vom 25. Mai 2018 bis am 21. Februar 2020 und des mehrfachen Fahrens ohne Haftpflichtversicherung, begangen in der Zeit vom 25. Mai 2018 bis am 21. Februar 2020, schuldig gemacht.

 

Wie die Vorinstanz treffend ausgeführt hat, beging der Beschuldigte somit einen Teil der ihm zur Last gelegten Taten noch vor dem Zeitpunkt des rechtskräftigen Strafbefehls vom 13. September 2018, womit ein Fall von teilweiser retrospektiver Konkurrenz vorliegt. Es gilt, die Voraussetzungen einer Zusatzstrafe zu prüfen.

 

2.2.2. Mit Strafbefehl vom 13. September 2018 wurde der Beschuldigte nebst einer Busse von CHF 5'300.00 zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren, verurteilt. Wie vorstehend ausgeführt, ist der Zweitrichter im Rahmen der Zusatzstrafenbildung nicht befugt, die Strafart des rechtskräftigen ersten Entscheides zu ändern. Es stellt sich somit die Frage, ob eine Gleichartigkeit der Sanktionen vorliegt und damit vordergründig, welche Sanktionsart vorliegend zu wählen ist. Sind die auszusprechenden Strafen nicht gleichartiger Natur, sind die Strafen kumulativ zu verhängen (s. diesbezüglich ausführlich vorstehend Ziff. III. / Ziff. 1.7. mit Verweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung).

 

2.2.3. Die Vorinstanz führt unter Wiederholung der geltenden Anforderungen gemäss Rechtsprechung aus, dass zur verschuldensmässigen Abgeltung der neuen Delikte vorliegend nur eine Freiheitsstrafe in Betracht kommt. Angesichts der zahlreichen Vorstrafen sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland falle aus spezialpräventiver Sicht eine Geldstrafe ausser Betracht. Der Beschuldigte sei im Bereich der Strassenverkehrsdelikte mehrfach einschlägig vorbestraft, wobei ihn die bisher ausgesprochenen Strafen ganz offensichtlich nicht von einer Delinquenz hätten abhalten können. So insbesondere auch die mit Urteil der Staatsanwaltschaft vom 13. September 2018 bedingt verhängte Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00 hätten den Beschuldigten offensichtlich nicht gross beeindruckt und hätten ihn nicht davon abgehalten, weiter zu delinquieren. Eine Freiheitsstrafe scheine geboten, um den Beschuldigten von der Begehung weiterer Taten abzuhalten (Art. 41 Abs. 1 lit. a StGB). Es müsse daher für die neuen Delikte eine Freiheitsstrafe ausgesprochen werden.

 

Diese Ausführungen der Vorinstanz finden ihre Stütze in den Akten, und ihnen ist nichts Massgebendes hinzuzufügen. Anlässlich der Berufungsverhandlung bringt der Beschuldigte nichts vor, was diese Ausführungen der ersten Instanz als unzutreffend erscheinen liessen; vielmehr ist die Ausfällung einer Freiheitsstrafe für die neuen Delikte grundsätzlich nicht beanstandet worden. Diesbezüglich ist auch auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer zu verweisen. Diese geht davon aus, dass bei keiner der vorliegend zu beurteilenden Delikte eine blosse Geldstrafe als geeignet erscheint, in genügendem Masse präventiv auf den Beschuldigten einzuwirken. Durch seine hartnäckige Delinquenz offenbare der Beschuldigte eine kriminelle Veranlagung, die nach einer härteren Gangart verlange. Auch darauf ist vorliegend abzustellen. Für die neu zu beurteilenden Delikte ist somit eine Freiheitsstrafe auszusprechen.

 

2.2.4. Da für die früher durch die Staatsanwaltschaft beurteilten Delikte eine Geldstrafe ausgesprochen wurde, und vorliegend eine Freiheitsstrafe auszusprechen ist, liegt keine Gleichartigkeit der Strafen vor.

 

Daran ändern auch die Ausführungen der ersten Instanz hinsichtlich Verbindungsgeldstrafe nichts. Im Zeitpunkt des Entscheides des erstinstanzlichen Gerichts am 10. Januar 2023 war noch das altrechtliche Strassenverkehrsgesetz in Kraft. Darin war vorgesehen, dass beim Vorhalt des mehrfachen Fahrens ohne Haftpflichtversicherung gemäss Art. 96 Abs. 2 SVG die Freiheitsstrafe zwingend mit einer Geldstrafe zu verbinden ist (s. diesbezüglich ausführlich Doris Bühlmann, in: Basler Kommentar Strassenverkehrsgesetz, 1. Auflage 2014, Art. 96 N 123 ff. m.w.Verw.). Die erste Instanz ging damit zum damaligen Zeitpunkt zutreffenderweise vom Vorliegen einer Gleichartigkeit der Sanktion vor, was diesen Punkt betrifft. Mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der Strafrahmen vom 17. Dezember 2021 per 1. Juli 2023 wurde die Verbindungsgeldstrafe jedoch ersatzlos gestrichen. Die Voraussetzungen zur Bildung einer Zusatzstrafe sind damit nicht (mehr) gegeben.

 

2.3. Zwischenfazit

 

Der mit Strafbefehl vom 13. September 2018 gewährte bedingte Vollzug für eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00 wird nicht widerrufen. Die Sanktionierung für das mehrfache Fahren ohne Haftpflichtversicherung für die Zeit vom 25. Mai 2018 bis zum Zeitpunkt des rechtskräftigen Strafbefehls vom 13. September 2018 kann mangels erfüllter Voraussetzungen nicht als Zusatzstrafe ausgesprochen werden. Diese Delikte werden im Rahmen der neu vorzunehmenden Strafzumessung zu berücksichtigen sein.

 

2.4. Ausfällung einer Freiheitsstrafe für die neuen Delikte

 

2.4.1. Vorbemerkungen

 

Wie vorstehend bereits ausgeführt, kommt für die vorliegenden Delikte lediglich die Ausfällung einer Freiheitsstrafe in Betracht (Ziff. III. / Ziff. 2.2.3.).

 

Die Staatsanwaltschaft geht sowohl im erstinstanzlichen wie auch im Berufungsverfahren davon aus, dass die vorliegend zu beurteilenden Delikte einen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang aufweisen, weswegen für alle Delikte eine Gesamtfreiheitsstrafe (recte: Einheitsstrafe) auszusprechen sei.

 

Die Vorinstanz verwirft die Argumentation der Verteidigung und führt aus, es gelange das Asperationsprinzip gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB zur Bildung einer Gesamtstrafe zur Anwendung. Nach Ansicht der Vorderrichterin könne es bei der Frage der Bildung einer Einheits- Gesamtstrafe nicht allein auf den engen und sachlichen Zusammenhang ankommen, da es ansonsten bspw. auch bei Einbruchdiebstählen keine Einzeltatbeurteilung unter Anwendung des Asperationsprinzips mehr geben könne. Auch dort werde nach Diebstahl, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch aufgeschlüsselt (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 2., S. 20 f.). Die erste Instanz bestimmte somit zunächst die schwerste Strafe und erhöhte diese unter Würdigung der weiteren Delikte angemessen (a.a.O., Ziff. 2.1., S. 21 f. und Ziff. 2.2., S. 22 ff.).

 

Vorliegend ist der Staatsanwaltschaft insofern zuzustimmen, als dass unbestrittenermassen zwischen den einzelnen Taten des Beschuldigten ein enger und sachlicher Zusammenhang gegeben ist. So ist bspw. aufgrund der Vielzahl der Delikte, die der Beschuldigte nur pauschal zugestanden hat, verunmöglicht, die Anzahl Fahrten des Beschuldigten näher zu eruieren diese gar zeitlich noch genauer einzugrenzen, als dies die Anklageschrift bereits getan hat (s. diesbezüglich auch vorstehende Ausführungen zu den vom Beschuldigten gemachten Zugeständnissen in Ziff. III. / Ziff. 2.1.2.2.). Der Zusammenhang zwischen den Handlungen des Beschuldigten ist jedoch entgegen den Vorbringen der Staatsanwaltschaft nicht derart enger Natur, als dass eine Aufschlüsselung der einzelnen Handlungen des Beschuldigten in mehrere Tatgruppen gänzlich verunmöglicht wäre. Es liegt bspw. kein Fall analog des Urteils 6B_241/2018 vom 4. Oktober 2018 vor, bei welchem es aus den objektiven Umständen – wie i.c. beim Versand einer Paketbombe – gar nicht möglich ist, eine schwerste Tat zu bestimmen. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung die Bildung einer Einheitsstrafe immer noch sehr umstritten zu sein scheint (s. diesbezüglich ausführlich vorstehend Ziff. III. / Ziff. 1.6. zur Bildung einer Einheits- einer Gesamtstrafe). Im Ergebnis ist somit der Vorgehensweise der ersten Instanz beizupflichten.

 

In einem ersten Schritt ist damit für das schwerste zu beurteilende Delikt eine Einsatzstrafe zu bestimmen; in einem zweiten Schritt ist diese Einsatzstrafe zur Abgeltung der weiteren zur Beurteilung stehenden Delikte in Anwendung des Asperationsprinzips zur Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe angemessen zu erhöhen.

 

Eine Ausnahme von der konkreten Methode ist vorliegend insofern dennoch gegeben, als dass die Bildung dieser Gesamtstrafe nicht unter Einzeltatbeurteilung, sondern unter Bildung von Deliktsgruppen erfolgt (s. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens bspw. das Urteil des Bundesgerichts 6B_1186/2019 vom 09.04.2020).

 

2.4.2. Einsatzstrafe

 

Vorliegend beinhalten alle vorliegend zu beurteilenden Delikte einen Strafrahmen von Geldstrafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

 

Gemäss Art. 63 Abs. 1 SVG darf kein Motorfahrzeug in den öffentlichen Verkehr gebracht werden, bevor eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen ist. Diese Versicherung deckt die Haftpflicht des Halters und der Personen, für die er nach Gesetz verantwortlich ist. Art. 96 Abs. 2 SVG dient demnach nicht der Verkehrssicherheit, sondern bezweckt den Schutz von Unfallopfern. So ist es bspw. für schwerverletzte und später invalide Opfer katastrophal, wenn keine Haftpflichtversicherung für den Schaden aufkommt, bloss, weil sich der Unfallverursacher nicht um eine solche kümmerte. Das Fahren ohne Haftpflichtversicherung ist deshalb in hohem Masse egoistisch und verwerflich, was der Gesetzgeber auch mit dem Strafrahmen berücksichtigt hat (Doris Bühlmann, a.a.O., Art. 96 N 107 f.).

 

In Bezug auf die objektive Tatschwere ist dieser Auffassung vorliegend zu folgen. Das Fahren ohne Haftpflichtversicherung hat im Vergleich mit den weiteren Delikten somit als die schwerste Tat zu gelten.

 

Zur Festlegung der Einsatzstrafe ist vorab auf die Ausführungen der Vorinstanz zu verweisen (Urteil S-L, Ziff. 2.1. lit. a, S. 21). Vorliegend ist der Beschuldigte während 21 Monaten regelmässig zu seiner Arbeitsstelle und zurück und allenfalls weitere Strecken gefahren, ohne jemals im Besitz einer entsprechenden Versicherung gewesen zu sein. Gemäss vorstehenden Ausführungen ist von mindestens 17 Mal auszugehen, in welchen der Beschuldigte ohne Haftpflichtversicherung gefahren ist (15x gemäss EV vom 18.04.2019, 1x am 28.11.2019 und 1x am 21.02.2020). Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte, während er wiederholt unrechtmässig Motorrad gefahren ist, noch zahlreiche weitere Widerhandlungen gegen das SVG begangen hat. Dass in der gesamten Zeitspanne niemand zu Schaden gekommen ist, ist demnach vielmehr dem Glück als den objektiven Umständen zuzuschreiben.

 

Einzig positiv zu berücksichtigen ist, wie dies auch die Vorinstanz anerkannte, dass es sich beim vom Beschuldigten verwendeten Motorrad immerhin nicht um ein noch grösseres Fahrzeug gehandelt hat, welches noch grösseren Schaden hätten verursachen können. Das Verschulden wiegt insgesamt nicht mehr leicht.

 

Auch in Bezug auf die subjektive Tatschwere ist vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz zu verweisen (Urteil S-L, Ziff. 2.1. lit. b, S. 21 f.). Der Beschuldigte handelte mit direktem Vorsatz. Der Beschuldigte wusste um die Versicherungspflicht, kümmerte sich aber – sei es aus finanziellen egoistischen Motiven – nicht darum. Das egoistische Verhalten ist aber grundsätzlich bereits im objektiven Tatverschulden abgegolten, weswegen sich keine weitere Erhöhung rechtfertigt.

 

Das Tatverschulden für das mehrfache Fahren ohne Haftpflichtversicherung ist deshalb insgesamt im Grenzbereich zwischen dem ersten Drittel und dem zweiten Drittel des Strafrahmens festzulegen. Mit der Vorinstanz ist von einer Einsatzstrafe von 12 Monaten auszugehen.

 

2.4.3. Asperation für die weiteren Delikte

 

Mehrfaches Führen eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis

 

Das Fahren trotz Ausweisentzug zieht aus administrativer Sicht deutlich schwerwiegendere Folgen nach sich als ein «blosses» Fahren ohne Ausweis: Ersteres gilt als schwere Widerhandlung gegen die strassenverkehrsrechtlichen Vorschriften (Art. 16c Abs. 1 lit. f SVG, s. Adrian Bussmann, Basler Kommentar Strassenverkehrsgesetz, 1. Aufl. 2014, Art. 95 N 41).

 

Der Beschuldigte hat vom Mai 2018 bis im Dezember 2020 und damit während rund einem Jahr und sieben Monaten wiederholt verschiedene Motorräder wie auch verschiedene Personenwagen geführt. Insgesamt ist er mind. 21 Mal ohne Führerausweis gefahren (mind. 15x gemäss Einvernahme vom 18.04.2019, mind. 3x beim Führen eines PW [Marke], mind. 1x anlässlich der Kontrolle vom 28.11.2019, mind. 1x anlässlich der Kontrolle vom 21.02.2020 mit einem Motorrad und mind. 1x seit dem 11.12.2020 mit dem PW [Marke]). Dies, obwohl er seit dem 9. Juli 2002 nicht mehr im Besitz einer gültigen deutschen Fahrerlaubnis ist bzw. seit dem 5. November 2008 (AS 441) bzw. seit der Verfügung des deutschen Kraftfahrt-Bundesamtes vom 14. Oktober 2014 (AS 433) in der Schweiz mit einem Verwendungsverbot für sämtliche Kategorien belegt ist. Hauptbeweggrund des Beschuldigten war einzig, zur Arbeit zu kommen. Er zeigte damit ein egoistisches und grundsätzlich rücksichtsloses Verhalten; er ist als absolut unbelehrbarer Überzeugungstäter zu qualifizieren. Auch hier ist anzumerken, dass unter Berücksichtigung der zahlreichen weiteren Widerhandlungen gegen das SVG es einzig dem Glück zuzuschreiben ist, dass es keine Verletzten gab. Das Verschulden des Beschuldigten ist damit zwar noch im ersten Drittel des Strafrahmens, aber in dessen mittleren Bereich anzusetzen.

 

Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände erscheint die von der Vorinstanz festgesetzte Erhöhung der Einsatzstrafe um einen Monat (was einer hypothetischen Einsatzstrafe von zwei Monaten entspricht) als zu tief. Vielmehr ist die hypothetische Einsatzstrafe – analog dem Fahren ohne Haftpflichtversicherung – auf 12 Monate festzusetzen. Infolge der vorliegenden Idealkonkurrenz (die gleiche Fahrt erfüllt in den meisten Fällen noch weitere Tatbestände) erfolgt die Asperation derselben aber lediglich in Teilen, konkret mit drei Monaten.

 

Mehrfache widerrechtliche Aneignung von Kontrollschildern

 

Gemäss Erkenntnissen der Vorinstanz eignete sich der Beschuldigte in lediglich zwei Fällen Kontrollschilder an und befestigte bzw. verwendete diese anschliessend mit den von ihm gebrauchten Fahrzeugen. Er handelte damit vorsätzlich. Nach Ansicht der Vorinstanz könne ihm keine erhebliche kriminelle Energie vorgeworfen werden, hätte er die Schilder bspw. doch viel häufiger auswechseln können, um nicht erwischt zu werden. Auch hier sei es dem Beschuldigten lediglich darum gegangen, mit den Motorfahrzeugen zur Arbeit zu fahren. Mangels Führerausweis und Haftpflichtversicherung sei es ihm nicht möglich gewesen, die Kontrollschilder selber zu besorgen (Urteil S-L, Ziff. 2.2. lit. b, S. 22 f.).

 

Dieser Auffassung ist grundsätzlich zuzustimmen. Das Verschulden des Beschuldigten ist im untersten Bereich des ersten Drittels des Strafrahmens festzusetzen. Zusammen mit der Vorinstanz ist somit von einer hypothetischen Einsatzstrafe von einem Monat auszugehen. Asperiert entspricht dies einem halben Monat Freiheitsstrafe.

Mehrfache missbräuchliche Verwendung von Kontrollschildern

 

Gleiches gilt grundsätzlich für die missbräuchliche Verwendung von Kontrollschildern. Der Beschuldigte handelte bspw. nicht mit den durch ihn widerrechtlich angeeigneten Kontrollschildern, sondern er verwendete (nur) die von ihm gestohlenen Kennzeichen, und dies bis zu seiner jeweiligen Entdeckung; dies hauptsächlich, um zu seiner Arbeit gelangen und Einkäufe tätigen zu können, ohne dass jemandem auffällt, dass er über keine gültigen Papiere verfügt. Betreffend Einordnung des Verschuldens und Festlegung der Einsatzstrafe gilt das vorhin Gesagte. Die Einsatzstrafe ist um einen halben Monat Freiheitsstrafe zu erhöhen.

 

Grobe Verletzung der Verkehrsregeln durch Rechtsüberholen auf der Autobahn via Pannenstreifen

 

Überholen zählt zu den gefährlichsten Fahrmanövern. Verletzungen der Verkehrsregeln über das Überholen werden deshalb überwiegend zu den Verkehrsregelverletzungen nach Absatz 2 gezählt. Nach Auffassung des Bundesgerichts stellt das Rechtsüberholen auf Autobahnen grundsätzlich eine grobe Verkehrsregelverletzung dar. Das Rechtsüberholen stifte «Unsicherheit und Verwirrung» auf Autobahnen. Die besondere Gefährlichkeit des Rechtsüberholens wird daneben vielfach mit dem Risiko von Fehlreaktionen des Überholten begründet (Gerhard Fiolka, Basler Kommentar Strassenverkehrsgesetz, 1. Auflage 2014, Art. 90 N 84 m.w.Verw.).

 

Dies ist hier zu berücksichtigen. Wie die Vorinstanz richtig ausgeführt hat (Urteil S-L, Ziff. 2.2. lit. c, S. 23) stellt das Rechtsüberholen auf der Autobahn eine erhebliche Gefährdung der Verkehrssicherheit mit beträchtlicher Unfallgefahr dar. Eine konkrete Gefährdung ist bspw. denkbar, wenn ein Autofahrer zwecks Bildung einer Rettungsgasse auf den Pannenstreifen auszuscheren gedenkt, wobei er infolge Stau nicht mit von hinten kommenden Verkehr zu rechnen hat. Der Beschuldigte widersetzte sich dieser grundlegenden Norm mit direktem Vorsatz. Er war sich bewusst, dass der Pannenstreifen nur im Notfall befahren werden darf, wie er sich auch bewusst war, dass bei ihm kein solcher Notfall vorlag. Wie er selber ausführte, wollte er lediglich den Stau umfahren, der sich vor ihm gebildet hatte. Der Beschuldigte handelte somit auch hier rücksichtslos und egoistisch. Glücklicherweise wurden durch den Vorgang keine weiteren Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet. Das Verschulden kann gerade noch als leicht bezeichnet werden. Entgegen den Feststellungen der Vorinstanz rechtfertigt sich jedoch eine hypothetische Einsatzstrafe von zwei Monaten. Die Einsatzstrafe ist somit um einen Monat zu asperieren.

 

Zwischenfazit

 

Vor Festlegung der Täterkomponenten ist somit von einer verschuldensangemessenen Einsatzstrafe von 17 Monaten auszugehen.

 

2.4.4. Täterkomponente

 

2.4.4.1. Vorbemerkung

 

Am 23. Februar 2023 trat das Gesetz über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA (Strafregistergesetz, StReG) in Kraft. Dieses Gesetz regelt die Bearbeitung von natürlichen Personen im elektronisch geführten Strafregister-Informationssystem VOSTRA (Art. 1 Abs. 1 StReG). Es regelt namentlich die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der registerführenden Behörden (Abs. 2 lit. a); die Zusammenarbeit der registerführenden Behörden mit Behörden, die ihre Daten selber eintragen (lit. b); die Sorgfaltspflicht bei der Datenbearbeitung (lit. c), die Inhalte von VOSTRA (lit. d); die Fristen für die Eintragung der Daten, deren Erscheinungsdauer in den Strafregisterauszügen und ihre Entfernung aus VOSTRA (lit. e); die Kategorien der in die einzelnen Strafregisterauszüge aufzunehmenden Daten (lit. f); die Rechte und Pflichten der Behörden, die VOSTRA-Daten online abfragen Auskünfte via schriftliches Gesuch verlangen dürfen denen VOSTRA-Daten automatisch weitergeleitet werden (lit. g); die Schnittstellen zu anderen Datenbanken (lit. h); die Einsichts- und Auskunftsrechte der betroffenen Personen (lit. i); die Anforderungen an die Datensicherheit und an die technische Infrastruktur (lit. j) und die Verwendung von anonymisierten VOSTRA-Daten zu Forschungs-, Planungs- und Statistikzwecken (lit. k). Mit Inkrafttreten des StReG wurden die Bestimmungen des sechsten Titels des StGB aufgehoben.

 

Artikel 18 StReG regelt die Eintragungsvoraussetzungen für schweizerische Grundurteile; Art. 19 des Gesetzes diejenigen ausländischer Grundurteile, die eine von einer Person schweizerischer Staatsangehörigkeit begangene Tat betreffen. Nicht im StReG geregelt und damit nicht ins VOSTRA eintragungspflichtig sind ausländische Urteile, welche Taten betreffen, welche von ausländischen Staatsangehörigen begangen wurden. Die Anwendung der Bestimmungen des StReG auf den Beschuldigten für dessen ausländischen Urteile ist deshalb ausgeschlossen.

 

Für den Beschuldigten bedeutet dies, dass die in den Tatzeitpunkten geltende Norm von aArt. 369 StGB zur Anwendung gelangt. Die Würdigung der Täterkomponente ist nach altrechtlichen Vorschriften zum Strafregister vorzunehmen und dem Beschuldigten dürfen nur noch jene Urteile vorgehalten werden, welche in Anwendung von aArt. 369 StGB im Strafregister noch eingetragen wären (s. diesbezüglich auch das Urteil des Bundesgerichts 6b_518/2022 vom 16.06.2023 E. 1.3. m.w.Verw., s. zum Ganzen auch BGE 135 IV 87 E. 2.4. unter Verweis auf aArt. 369 Abs. 7 StGB).

 

2.4.4.2. Täterkomponente im konkreten Fall

 

Der Beschuldigte ist bereits mehrfach, teilweise einschlägig vorbestraft:

-        Mit Urteil des Amtsgerichts […] vom 13. August 2007 wurde der Beschuldigte im Rahmen einer nachträglich durch Beschluss gebildeten Gesamtstrafe zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ein Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt und ein Bewährungshelfer bestellt; abschliessend wurde die Strafaussetzung widerrufen (AS 410, aArt. 369 Abs. 1 lit. b StGB i.V.m. aArt. 369 Abs. 2 StGB);

-        Gemäss Urteil des Amtsgericht […] vom 6. März 2008 wurde der Beschuldigte wegen Betrugs in zehn Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Ihm wurde eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis 13. März 2010 auferlegt. Ein Strafrest wurde ausgesetzt bis 10. Januar 2016; die Strafaussetzung wurde schliesslich widerrufen (AS 410 f., aArt. 369 Abs. 1 lit. b StGB i.V.m. aArt. 369 Abs. 2 StGB);

-        Gemäss Urteil des Amtsgericht […] vom 7. Juni 2010 wurde der Beschuldigte wegen gewerbsmässigen Betrugs in fünf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt (AS 411, aArt. 369 Abs. 1 lit. b StGB i.V.m. aArt. 369 Abs. 2 StGB);

-        Gemäss Urteil des Amtsgerichts […] vom 6. Februar 2012 wurde der Beschuldigte wegen Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je EUR 3.00 verurteilt (AS 412, aArt. 369 Abs. 3 StGB, aArt. 369 Abs. 2 StGB);

-        Gemäss Urteil des Amtsgerichts […] vom 21. Januar 2017 wurde der Beschuldigte wegen gewerbsmässigen Betrugs in 19 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt (AS 412, aArt. 369 Abs. 1 lit. b StGB i.V.m. Art. 369 Abs. 2 StGB);

-        Gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Solothurn vom 13. September 2018 wurde der Beschuldigte wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand (qualifizierte Blutalkoholkonzentration, Art. 91 Abs. 2 lit a SVG, Art. 31 Abs. 2 SVG, Art. 55 Abs. 6 SVG, Art. 2 Abs. 1 VRV), des Führens eines Motorfahrzeugs ohne erforderlichen Führerausweis (Art. 95 Abs. 1 lit. a SVG, Art. 10 Abs. 2 SVG), der widerrechtlichen Aneignung und missbräuchlichen Verwendung von Kontrollschildern (Art. 97 Abs. 1 lit. g SVG, Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG), des Fahrens ohne Haftpflichtversicherung (Art. 96 Abs. 2 SVG) sowie ohne Fahrzeugausweis (Art. 96 Abs. 1 lit a SVG) zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie einer Busse von CHF 5'300.00 verurteilt (AS 295 ff., AS 386 f., AS 392 ff., AS 412 f.);

-        Gemäss Strafbefehl vom 8. Oktober 2018 wurde der Beschuldigte wegen geringfügiger Widerhandlung gegen das BG über Ausländerinnen und Ausländer (Art. 120 Abs. 1 lit. a AuG) zu einer Busse von CHF 150.00, ersatzweise zu zwei Tagen Freiheitsstrafe, verurteilt (AS 291 f. und AS 395 f.);

-        Gemäss Strafbefehl vom 11. Oktober 2018 wurde der Beschuldigte wegen des Überschreitens der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts (nach Abzug der Sicherheitsmarge) um 6 – 10 km/h (Art. 4a Abs. 1 lit a VRV, Art. 32 Abs. 2 SVG, Art. 90 Abs. 1 SVG) zu einer Busse von CHF 120.00, ersatzweise zu zwei Tagen Freiheitsstrafe, verurteilt (AS 293 f.);

 

Weiter hat der Beschuldigte mehrere Administrativmassnahmen auferlegt bekommen:

 

-        Für die Widerhandlung vom 2. Mai 2018 (Angetrunkenheit, Fahren trotz Entzug/Verbot, schwerer Fall / Unfall) wurde dem Beschuldigten der ausländische Führerausweis aberkannt und der Besuch eines Verkehrspsychologen angeordnet. Ebenso wurde ihm eine Sperrfrist für den ausländischen Führerausweis auferlegt vom 2. Mai 2018 bis am 1. August 2018 (AS 441, Massnahmen 1 und 2);

-        Für die Widerhandlung vom 14. September 2018 (Fahren trotz Entzug / Verbot, schwerer Fall) wurde dem Beschuldigten die Sperrfrist für den ausländischen Führerausweis auferlegt vom 14. September 2018 bis 13. September 2019 (AS 442, Massnahme 3; in AS 446 als Widerhandlung vom 29.11.2018 bezeichnet);

-        Für die Widerhandlung vom 18. April 2019 (Fahren trotz Entzug / Verbot, Überholen, schwerer Fall) wurde dem Beschuldigten die Sperrfrist für den ausländischen Führerausweis auferlegt vom 18. April 2019 bis 17. April 2020 (AS 442 und AS 446, Massnahme 4);

-        Für die Widerhandlung vom 21. Februar 2020 (Fahren trotz Entzug, Verbot, schwerer Fall) wurde dem Beschuldigten die Sperrfrist für den ausländischen Führerausweis auferlegt vom 21. Februar 2020 bis 20. Februar 2022 (AS 445, Massnahme 5);

-        Für die Widerhandlung vom 5. Juni 2020 (Fahren trotz Entzug, Verbot, schwerer Fall) wurde dem Beschuldigten die Sperrfrist für den ausländischen Führerausweis auferlegt ab 5. Juni 2020 bis 4. Juni 2025 (AS 445, Massnahme 6).

 

Das Vorleben des Beschuldigten ist insgesamt negativ zu werten.

 

Während den Einvernahmen berief sich der Beschuldigte hauptsächlich darauf, «dumm» zu sein und zeigte grundsätzlich trotz entsprechender Beteuerungen wenig Einsicht und Reue. Bspw. hat er, obwohl er mit Schreiben 17. Juni 2019 seitens der Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen wurde, dass er im Falle einer erneuten Delinquenz allenfalls mit dem Widerruf seines bedingt gewährten Vollzugs der Geldstrafe zu rechnen hat (AS 257), mehrfach und während mehrerer Monate weiter delinquiert. Dies zeugt von Unbelehrbarkeit, welche ebenfalls negativ zu werten ist.

 

Zumindest ist der Beschuldigte aktuell – soweit bekannt – seit dem letzten Tatzeitpunkt, d.h. dem 25. Dezember 2020, und damit seit gut 2 ½ Jahren nicht mehr deliktisch in Erscheinung getreten. Er geht einer unbefristeten und damit geregelten Erwerbstätigkeit nach. Dieser Punkt der Täterkomponente ist jedoch nichts anderes als das, was vom Beschuldigten erwartet werden darf. Er ist somit neutral zu werten.

 

Die Vorinstanz wiegt das negativ auswirkende Vorleben des Beschuldigten gegen das positiv auswirkende Nachtatverhalten ab und gelangt insgesamt zu einer Reduktion der Strafe von zwei Monaten (Ziff. 2.3. lit. a-d, S. 23 ff.). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Der Beschuldigte legte zwar ein Geständnis ab, dieses erfolgte jedoch erst nach Bestehen einer erdrückenden Beweislage. Die Strafuntersuchung wurde somit in keinster Weise durch das Verhalten des Beschuldigten erleichtert. Das Geständnis kann somit nicht strafmildernd berücksichtigt werden. Ebenso ist das Nachtatverhalten des Beschuldigten nicht als derart positiv einzuordnen, als dass es das Verschulden der begangenen Delikte vollständig zu relativieren vermöchte. Bringt der Beschuldigte vor, der Chef der Bewährungshilfe, C.___, habe ihn mit seinen Gesprächen auf den rechten Weg gebracht, so hegt das Gericht Zweifel daran. Der Beschuldigte kann trotz mehrfacher entsprechender Nachfrage durch das Gericht nicht näher benennen, weshalb er in solch notorischer Art und Weise immer wieder aufs Neue delinquiert hat: Ausser «Dummheit» fällt ihm kein Grund für sein deliktisches Verhalten ein. Weiterhin scheint es an Einsicht zu fehlen. Ebenso darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass sich der Beschuldigte keineswegs aus freien Stücken zu den Gesprächen mit Herrn C.___ bereit erklärte, sondern dies einzig tat, um von der von der Staatsanwaltschaft in Aussicht gestellten Untersuchungshaft Abstand nehmen zu können. Diesbezüglich zu konstatieren ist ebenso, dass es sich beim Beschuldigten um einen mehrfach verurteilten Betrüger handelt, der sich durchaus bewusst ist, was von ihm gehört werden will. Ergänzend ist auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer zu verweisen.

 

Unter Berücksichtigung sämtlicher Täterkomponenten rechtfertigt sich deshalb insgesamt eine Erhöhung der Einsatzstrafe um vier Monate.

 

2.4.5. Zwischenfazit

 

Unter Berücksichtigung der Tat- und Täterkomponente ist der Beschuldigte für sämtliche Delikte mit einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten zu bestrafen.

 

2.4.6. Vollzugsform

 

Für die rechtlichen Voraussetzungen betreffend den bedingten bzw. teilbedingten Vollzug ist vorab auf vorstehende Ausführungen (Ziff. III. / Ziff. 1.8. und Ziff. III. / Ziff. 1.9.) zu verweisen.

 

Der Beschuldigte geht derzeit einer geregelten Erwerbstätigkeit nach und ist – soweit bekannt – seit dem 20. Dezember 2020 deliktisch nicht mehr in Erscheinung getreten. Die Vorinstanz attestiert dem Beschuldigten vor diesem Hintergrund eine besonders günstige Prognose, weil dieser nun Einsicht in sein Fehlverhalten gewonnen habe und seit nun mehr als zwei Jahren nicht mehr deliktisch in Erscheinung getreten sei. Der Sinneswandel des Beschuldigten ist jedoch – wie bereits vorstehend im Rahmen der Täterkomponente ausgeführt – mit Vorsicht zu geniessen. Es gilt bspw., die bisher unbekümmerte deliktische Tätigkeit des Beschuldigten in die richtigen Verhältnisse zu setzen. So zeugt bspw. von besonderer Dreistigkeit und Hartnäckigkeit, dass der Beschuldigte am 28. Februar 2020 und damit noch am Tag der polizeilichen Einvernahme ein neues Fahrzeug bei der MFK einlöste. Seine Aussage vom gleichen Tag, dass er endlich «reinen Tisch» machen wolle, war deshalb lediglich hohle Phrase (s. EV vom 28.02.2020, AS 057). Ebenso von Dreistigkeit zeugt die Aussage der Auskunftsperson D.___, wonach er vom Beschuldigten zu einem Platz ausserhalb seines Grundstücks verwiesen worden sei, wo dieser jeweils seine Fahrzeuge abgestellt habe – auf einem Platz wo mehrere Lastwagen gestanden seien (AS 101, Z. 46 ff.). Dies lässt vermuten, dass der Beschuldigte dies getan hat, um nicht aufzufallen bzw. keine Fahrzeuge bei seinem Haus zu haben. Ebenso seltsam mutet an, dass der Beschuldigte dem Bewährungshelfer gegenüber angibt, vorläufig nicht an Therapiesitzungen teilnehmen zu können, weil jemand vom Team und schliesslich er selber an Corona erkrankt seien, nur um – auf einen erforderlichen Nachweis angesprochen – auszuführen, es sei ein Missverständnis gewesen: Es sei jemand aus einem anderen Team gewesen, der sich angesteckt habe und nicht er selber; die Termine könnten lediglich infolge Ferienabwesenheit des Bewährungshelfers nicht wahrgenommen werden (s. zum Ganzen AS 234 f. und AS 236 f.).

 

Das aktuelle Wohlverhalten des Beschuldigten vermag demnach zwar grundsätzlich zu Gunsten des Beschuldigten zu sprechen, es wiegt aber nicht derart schwer, als dass es die notorische Delinquenz des Beschuldigten dessen Verweigerungshaltung in den Hintergrund treten zu lassen gar aufzuwiegen vermöchte.

 

Vorliegend erscheint deshalb unter Würdigung sämtlicher Umstände, insbesondere dem doch notorischen Rechtsbruch durch den Beschuldigten, angemessen, für die auszufällende Freiheitsstrafe von 21 Monaten einen bedingten Vollzug für elf Monate zu gewähren, dies bei einer maximal zulässigen Probezeit von fünf Jahren. Eine Teilstrafe von zehn Monaten ist zu vollziehen.

 

2.5. Busse für das Nichteinholen eines neuen Fahrzeugausweises bei Halterwechsel

 

Mit Busse bis zu CHF 100.00 wird bestraft, wer nach Übernahme eines Motorfahrzeugs Motorfahrzeuganhängers mit einem anderen Halter nach Verlegung des Standorts in einen anderen Kanton nicht fristgemäss einen neuen Fahrzeugausweis einholt (Art. 99 Abs. 2 SVG).

 

Die Vorinstanz hat hier die Busse auf den maximal zulässigen Betrag von CHF 100.00 festgesetzt. Dies ist in Würdigung aller vorstehend bereits ausgeführten Umstände als angemessen zu beurteilen und wurde von den Parteien nicht beanstandet. Der Beschuldigte ist somit nebst der auszusprechenden teilbedingten Freiheitsstrafe und der bedingten Geldstrafe auch zu einer (unbedingten) Busse von CHF 100.00, ersatzweise zu einem Tag Freiheitsstrafe, zu verurteilen.

 

 

IV. Kosten und Entschädigung

 

1. Bei diesem Verfahrensausgang ist der erstinstanzliche Kosten- und Entschädigungsentscheid zu bestätigen.

 

 

2. Der Beschuldigte obsiegt mit seiner Berufung vollumfänglich. Antragsgemäss wird auf den Widerruf der mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Solothurn vom 13. September 2018 verhängten Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00 verzichtet; die Probezeit wird um ein weiteres Jahr verlängert. Ebenso obsiegt der Beschuldigte dahingehend, als dass aufgrund des zwischenzeitlich erfolgten Inkrafttretens des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der Strafrahmen die noch in aArt. 96 Abs. 2 SVG zwingend vorgesehene Geldstrafe – und damit verbunden die erstinstanzlich noch angeordnete Zusatzstrafe – wegfällt.

 

Vorliegend dringt auch die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anschlussberufung vollumfänglich durch. Die gegen den Beschuldigten ausgesprochene Sanktion fällt einerseits höher als noch vor erster Instanz aus und wird andererseits nunmehr teilbedingt und nicht mehr vollbedingt ausgesprochen.

 

Mit Blick auf die gesamten Umstände rechtfertigt sich daher, die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 2'500.00 und Auslagen von CHF 210.00, total CHF 2'710.00, im Umfang von 60 %, ausmachend CHF 1'626.00, dem Beschuldigten aufzuerlegen. Die anderen 40 %, ausmachend CHF 1'084.00, gehen zu Lasten des Staates.

 

3. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Christoph Schönberg, macht in seiner Honorarnote für das Berufungsverfahren einen Arbeitsaufwand von 14.40 Stunden resp. mittels im Nachgang zur Verhandlung deponierter Korrektur 9.40 Stunden geltend. Dies erscheint angemessen. Hinzuzurechnen sind der Aufwand für die Berufungsverhandlung (1.75 Stunden) und die telefonische Urteilseröffnung (0.50 Stunden).

 

Für die geltend gemachten Auslagen ist zu berücksichtigen, dass – wie vom amtlichen Verteidiger selbst an entsprechender Stelle vermerkt – gemäss geltendem Gebührentarif des Kantons Solothurn für Fotokopien lediglich CHF 0.50 veranschlagt werden dürfen (ausmachend insgesamt CHF 147.50), für die Kilometer-Entschädigung CHF 0.70 pro Kilometer (insgesamt CHF 1.40). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass gemäss Korrektur des amtlichen Verteidigers die Parkgebühren lediglich CHF 3.70, nicht wie in der Kostennote (versehentlich als Honorar) ausgewiesen CHF 5.00 betragen haben.

 

Daraus ergibt sich insgesamt folgende Berechnung:

 


Aufwand

Ansatz

CHF 190.00

Ansatz

CHF 240.00

9.40 h Kostennote

1.75 h Hauptverhandlung

0.50 h tel. Eröffnung

= 11.65 h

 

CHF 2'213.50

 

CHF 2'796.00

Auslagen

CHF 195.20

CHF 195.20

 

CHF 2'408.70

CHF 2'991.20

MwSt. 7.7 %

CHF 185.45

CHF 230.30

 

CHF 2'594.15

CHF 3'221.50

Nicht mwst.pflichtige

Auslagen

CHF 18.00

CHF 18.00

 

CHF 2'612.15

CHF 3'239.50

Differenz

 

CHF 627.35

 

Die Entschädigung der amtlichen Verteidigung wird demnach auf CHF 2'612.15 festgesetzt und ist vom Staat Solothurn zu bezahlen.

 

Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren im Umfang von CHF 1'567.30 (60 % von CHF 2'612.15). Ebenso vorbehalten bleibt der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 376.40 (60 % der Differenz zum vollen Honorar von CHF 627.35), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.

 

4. Die Ausrichtung einer Genugtuung i.S.v. Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO ist weder geltend gemacht, noch sind Gründe dafür ersichtlich. Entsprechend ist keine Genugtuung auszurichten.


 

Demnach wird in Anwendung von Art. 40 StGB, Art. 41 StGB, Art. 43 StGB, Art. 44 StGB, Art. 46 Abs. 2 und Abs. 3 StGB, Art. 47 StGB, Art. 49 Abs. 1 StGB, Art. 50 StGB, Art. 69 StGB, Art. 106 StGB, Art. 135 ff. StPO, Art. 267 Abs. 3 StPO, Art. 335 ff. StPO, Art. 379 ff. StPO, Art. 398 ff. StPO, Art. 416 ff. StPO, Art. 10 Abs. 2 SVG, Art. 11 Abs. 3 SVG, Art. 35 Abs. 1 SVG, Art. 63 Abs. 1 SVG, Art. 90 Abs. 2 SVG, Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG, Art. 96 Abs. 2 Satz 1 SVG, Art. 97 Abs. 1 lit. a SVG, Art. 97 Abs. 1 lit. g SVG, Art. 99 Abs. 2 SVG, Art. 8 Abs. 1 VRV, Art. 36 Abs. 3 und Abs. 5 VRV, § 146 Gebührentarif, § 158 Gebührentarif, GVB.2022.111

 

festgestellt und erkannt:

 

1.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 1 des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern vom 10. Januar 2023 wurde das Verfahren gegen A.___ wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln durch Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts, angeblich begangen am 29. November 2018 (Vorhalt Ziff. 6 der Anklageschrift), zufolge Verjährung eingestellt.

2.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 2 des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern vom 10. Januar 2023 hat sich A.___ wie folgt schuldig gemacht:

a)      mehrfaches Führen eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis, begangen in der Zeit vom 25. Mai 2018 bis am 11. Dezember 2020 (Vorhalt Ziff. 1 der Anklageschrift);

b)      mehrfache widerrechtliche Aneignung von Kontrollschildern, begangen am 25. Mai 2018 und am 18. April 2019 (Vorhalt Ziff. 2 der Anklageschrift);

c)      mehrfache missbräuchliche Verwendung von Kontrollschildern, begangen in der Zeit vom 25. Mai 2018 bis am 21. Februar 2020 (Vorhalt Ziff. 3 der Anklageschrift);

d)      grobe Verletzung der Verkehrsregeln durch Rechtsüberholen auf der Autobahn via Pannenstreifen, begangen am 18. April 2019 (Vorhalt Ziff. 4 der Anklageschrift);

e)      mehrfaches Fahren ohne Haftpflichtversicherung, begangen in der Zeit vom 25. Mai 2018 bis am 21. Februar 2020 (Vorhalt Ziff. 5 der Anklageschrift);

f)       Nichteinholen eines neuen Fahrzeugausweises bei Halterwechsel, begangen in der Zeit vom 25. Dezember 2020 bis 16. Februar 2021 (Vorhalt Ziff. 7 der Anklageschrift).

3.    A.___ wird verurteilt zu:

a)      einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten, unter Gewährung des bedingten Vollzugs für elf Monate bei einer Probezeit von fünf Jahren, womit eine Teilstrafe von zehn Monaten zu vollziehen ist;

b)      einer Busse von CHF 100.00, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von einem Tag.

4.    Der A.___ mit Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 13. September 2018 für eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je CHF 150.00 gewährte bedingte Vollzug wird nicht widerrufen, stattdessen wird die Probezeit um ein Jahr verlängert.

5.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 5 des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern vom 10. Januar 2023 wird festgestellt, dass folgende im Verfahren gegen A.___ beschlagnahmten Fahrzeuge eingezogen und vorzeitig verwertet wurden:

a)      [Marke], Fahrgestell-Nr. […], Stamm-Nr. […], Erlös CHF 1'600.00;

b)      Motorrad [Marke], Fahrgestell-Nr. […], Stamm-Nr. […], Erlös CHF 1'500.00;

c)      Personenwagen [Marke], Fahrgestell-Nr. […], Stamm-Nr. […], Erlös CHF 1'800.00.

6.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 6 des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern vom 10. Januar 2023 wird festgestellt, dass die nachfolgenden bei A.___ sichergestellten Gegenstände (aufbewahrt bei der Polizei Kanton Solothurn) eingezogen wurden und, soweit noch nicht erfolgt, durch die Polizei Kanton Solothurn zu vernichten sind:

a)    Personenwagen [Marke], Fahrgestell-Nr. […], Stamm-Nr. […];

b)    Schlüssel zu diversen Rollern der Marken [Marke], [Marke].

Ein allfälliger Netto-Verwertungserlös (nach Abzug der Aufbewahrungs- und Verwertungskosten) wird mit der Busse gemäss Ziff. 3 lit. b hiervor verrechnet; der Rest verfällt dem Staat Solothurn.

7.    Gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 8 lit. a des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern vom 10. Januar 2023 wurde die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Christoph Schönberg, für das erstinstanzliche Verfahren auf CHF 7'111.65 (Honorar CHF 6'322.80, Auslagen CHF 280.40, 7,7 % MwSt. CHF 508.45) festgesetzt und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse, bezahlt.

Es wird festgestellt, dass gemäss rechtskräftiger Ziffer 8 lit. b des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern vom 10. Januar 2023 die Zentrale Gerichtskasse dem amtlichen Verteidiger von A.___, Rechtsanwalt Christoph Schönberg, bereits CHF 2'800.00 (als Akontozahlung) ausgerichtet hat, so dass ihm noch die Differenz von CHF 4'311.65 auszubezahlen war.

Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 1'858.35 (Differenz zum vollem Honorar, inkl. 7,7 % Mwst. CHF 132.85), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

8.    A.___ hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 2'000.00, total CHF 4'729.45, zu bezahlen.

9.    Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Christoph Schönberg, wird für das Berufungsverfahren auf CHF 2'612.15 (Honorar CHF 2'213.50, Auslagen CHF 195.20, 7.7 % MwSt. CHF 185.45 sowie nicht mehrwertsteuerpflichtige Auslagen CHF 18.00) festgesetzt. Sie ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse, zu bezahlen.

Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren im Umfang von CHF 1'567.30 (60 % von CHF 2'612.15) sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 376.40 (60 % der Differenz zum vollen Honorar von CHF 627.35, inkl. 7.7 % MwSt.), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

10.  A.___ hat die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 2'500.00, total CHF 2'710.00, im Umfang von 60 %, ausmachend CHF 1'626.00, zu bezahlen. 40 %, ausmachend CHF 1'084.00, gehen zu Lasten des Staates.

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) und der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft im Rechtsmittelverfahren (Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona).

Im Namen der Strafkammer des Obergerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

Werner                                                                              Schenker



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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