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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2022.86)

Zusammenfassung des Urteils STBER.2022.86: Verwaltungsgericht

Am 30. Oktober 2023 fand vor dem Obergericht eine Berufungsverhandlung in einem Fall von Angriff statt. Der Beschuldigte A.___ und sein Verteidiger Dominic Nellen forderten einen Freispruch und die Abweisung der Zivilklagen. Die Staatsanwaltschaft hatte A.___ wegen Angriffs verurteilt, und das Obergericht bestätigte das Urteil. A.___ wurde zu einer Freiheitsstrafe von 110 Tagen verurteilt und zur Zahlung von Genugtuung an die Geschädigten. Die Gerichtskosten und die Anwaltskosten wurden ebenfalls festgelegt. In dem Fall waren mehrere Personen beteiligt, darunter auch der Bruder des Beschuldigten.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts STBER.2022.86

Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2022.86
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2022.86 vom 30.10.2023 (SO)
Datum:30.10.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Beschuldigte; Beschuldigten; Geschädigte; Geschädigten; Schläge; Person; Täter; Aussage; Schläger; Urteil; Schlägerei; Zeuge; Angriff; Bruder; Apos; Recht; Personen; Aussagen; Video; Gruppe; Freiheit; Polizei; McDonalds; Freiheitsstrafe; Zeugen; Gesicht
Rechtsnorm: Art. 10 StPO ;Art. 122 StGB ;Art. 134 StGB ;Art. 32 BV ;Art. 34 StGB ;Art. 391 StPO ;Art. 41 StGB ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 47 StGB ;Art. 49 StGB ;Art. 50 StGB ;
Referenz BGE:105 IV 225; 115 IV 286; 117 IV 7; 120 Ia 36; 133 I 33; 134 IV 97; 135 IV 152; 136 IV 1; 136 IV 55; 138 IV 120; 142 IV 265; 144 IV 217;
Kommentar:
Stefan Trechsel, Mark Pieth, Marti, Schweizer, Praxis, 4. Auflage , Art. 47 StGB, 2021

Entscheid des Verwaltungsgerichts STBER.2022.86

 
Geschäftsnummer: STBER.2022.86
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 30.10.2023 
FindInfo-Nummer: O_ST.2023.90
Titel: Angriff

Resümee:

 

Obergericht

Strafkammer

 

 

 

 

 

 

Urteil vom 30. Oktober 2023

Es wirken mit:

Vizepräsident Marti, Vorsitz

Oberrichter von Felten

Oberrichter Frey

Gerichtsschreiberin Lupi De Bruycker

In Sachen

Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,

Anklägerin

 

gegen

 

A.___, amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Dominic Nellen,

Beschuldigter und Berufungskläger

 

betreffend     Angriff


Es erscheinen zur Berufungsverhandlung vom 30. Oktober 2023 vor Obergericht:

1.    A.___, Beschuldigter und Berufungskläger;

2.    Rechtsanwalt Dominic Nellen, amtlicher Verteidiger;

3.    Dolmetscher (französisch).

 

Als Zuschauer: Familienangehörige des Beschuldigten

Rechtsanwalt Dominic Nellen stellt und begründet folgende Schlussanträge (vgl. auch Plädoyernotizen, Aktenseiten Berufungsverfahren [ASB] 152 ff.):

« I.

  A.___ sei freizusprechen:

-        der Anschuldigung des Angriffs, angeblich begangen am 13. Mai 2018 in [Ort 1] mit B.___, C.___, D.___ und E.___;

 

unter Auferlegung der Verfahrenskosten an den Kanton Solothurn und Ausrichtung einer Entschädigung in der Höhe der von Rechtsanwalt Nellen eingereichten Honorarnote für die angemessene Ausübung seiner Verfahrensrechte.

 

II.

Die Zivilklagen des F.___, G.___ und H.___ seien abzuweisen, soweit darauf eingetreten wird, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

 

Eventualiter seien die Zivilklagen des F.___, G.___ und H.___ auf den Zivilweg zu verweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

 

III.

Weiter sei zu verfügen:

 

1.    Die Entschädigung der amtlichen Verteidigung sei gemäss der eingereichten Honorarnote zu bestimmen;

2.    Die weiteren Verfügungen seien von Amtes wegen zu treffen.»

 

In Bezug auf die an der Berufungsverhandlung vorgenommenen Verfahrenshandlungen wird auf folgende Dokumente verwiesen:

 

-       Verhandlungsprotokoll (ASB 143 ff.);

-       Protokoll der Einvernahme des Beschuldigten (ASB 146 ff.);

-       Audiodokument der Einvernahme des Beschuldigten (ASB 151).

 

Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:

I. Prozessgeschichte

 

1.

Am Sonntag, 13. Mai 2018, 01:38 Uhr, meldete I.___ der Polizei, vor dem McDonalds in [Ort 1] sei eine Schlägerei im Gang und die Tätergruppe sei nun in Richtung Innenstadt geflüchtet (Strafanzeige vom 23. April 2019, Akten Seiten [AS] 110 ff.). Die ausgerückten Polizeibeamten konnten vor Ort ein von J.___ erstelltes Video ansehen, das die Tätergruppe beim Wegrennen zeigte. Damit konnten detaillierte Signalemente der Tätergruppe verbreitet werden. In der Innenstadt wurden entsprechend Kontrollen durchgeführt, wobei in der […]-Bar eine fünfköpfige Gruppe betroffen werden konnte, auf welche die Signalemente passten. Wegen des Aufenthalts der Gruppe in der […]-Bar in der [Unterführung] wurden die Videoaufnahmen dieser Unterführung gesichert. Auf diesen ist ersichtlich, wie fünf Männer um 01:44 Uhr in der Unterführung eintreffen und einzelne davon Gesten machen, die eine Schlägerei nachstellen, bevor sie um 01:45 Uhr die […]-Bar betreten. K.___, Türsteher der […]-Bar, gab an, einer der Beschuldigten, E.___, habe ihm gegenüber erwähnt, dass er eine Schlägerei gehabt habe, sie hätten die anderen «kaputtgeschlagen». Es habe sogar eine Ambulanz kommen müssen. Dieser habe ihn gebeten, zu sagen, sei seien den ganzen Abend bei ihnen in der Bar gewesen. Der Mann mit den roten Schuhen und dem weissen Hemd habe Blutspuren am Hemd gehabt (AS 175).

 

2.

Die fünfköpfige Gruppe – allesamt knapp 20 Jahre alt – setzte sich wie folgt zusammen:

-       E.___ (Beschuldigter 1);

-       A.___ (Beschuldigter 2, nachfolgend: der Beschuldigte);

-       C.___ (Beschuldigter 3);

-       D.___ (Beschuldigter 4, Bruder des Beschuldigten 1);

-       B.___ (Beschuldigter 5, Bruder des hierortigen Beschuldigten).

 

Die Geschädigten der Schlägerei waren:

-       H.___ (Geschädigter 1);

-       F.___ (Geschädigter 2);

-       G.___ (Geschädigter 3).

 

3.

Das Tatvorgehen wurde in der Strafanzeige wie folgt umschrieben: «Nach angeblicher vorausgehender Provokation der Geschädigten, wobei es um die französische Sprache der Beschuldigten ging, entstand eine Rudelbildung unter den Beschuldigten 1 - 5. In dem Moment, als der Geschädigte 2 ins Freie trat, wurde er, für ihn unerwartet, vom Beschuldigten 5 ins Gesicht geschlagen. Durch diesen Schlag ging der Geschädigte 2 zu Boden. Danach trat angeblich der Beschuldigte 5 mit Füssen gegen den Körper des Geschädigten 2. Eine bis zwei weitere beschuldigte Personen sollen ebenfalls auf den am Boden liegenden Geschädigten 2 losgegangen sein. Worauf zuerst der Geschädigte 1 und anschliessend der Geschädigte 3 helfend eingriffen. Diese wurden durch die Beschuldigten im weiteren Verlauf ebenfalls tätlich angegangen.» (AS 112).

 

4.

Nach ersten Befragungen und Abklärungen wurde die Staatsanwaltschaft erst am 4. Dezember 2018 über den Fall orientiert, worauf sie am 4. März 2020 ein Verfahren eröffnete. Die Beschuldigten wurden zwischen Januar und März 2019 polizeilich befragt, die drei französisch sprechenden Beschuldigten 2, 3 und 5 rechtshilfeweise in ihren Wohnkantonen. Dabei gaben die Beschuldigten 1, 4 und 5 ihre Teilnahme an der fraglichen Schlägerei zu. Der Beschuldigte 4 gab nach anfänglichem Bestreiten zu, er sei auf dem Video zu sehen. Der hierortige Beschuldigte (2) gab an, sein Bruder (Beschuldigter 5) habe die Schlägerei begonnen; er selbst habe sich nicht daran beteiligt und sei nur dabei gestanden.

 

5.

Mit Strafbefehl vom 18. August 2020 wurde der Beschuldigte wegen Angriffs mit einer Freiheitsstrafe von 120 Tagen, bedingt erlassen auf eine Probezeit von vier Jahren, verurteilt (AS 303 f.). Dagegen liess der Beschuldigte am 31. August 2020 Einsprache erheben (AS 377). Die analogen Strafbefehle gegen die Beschuldigten 1, 3 und 4 wegen Angriffs erwuchsen in Rechtkraft (AS 308 ff.), das Verfahren gegen den Beschuldigten 5 wurde jugendstrafrechtlich geführt.

 

6.

Mit Verfügung vom 16. November 2020 hielt der zuständige Staatsanwalt am Strafbefehl vom 18. August 2020 fest und überwies die Akten dem Gerichtspräsidium vom Olten-Gösgen zum Entscheid.

 

7.

Die a.o. Amtsgerichtsstatthalterin von Olten-Gösgen erliess am 23. November 2021 folgendes Strafurteil:

 

« 1.  A.___ hat sich des Angriffs, begangen am 13. Mai 2018, schuldig gemacht.

2.   A.___ wird zu einer Freiheitsstrafe von 110 Tagen verurteilt, als Zusatzstrafe zum Urteil des Ministero pubblico del cantone Ticino Lugano vom 18. Juni 2018, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von 3 Jahren.

3.   Das bei A.___ sichergestellte weisse Herrenhemd (aufbewahrt bei der Polizei Kanton Solothurn) wird zufolge Verzicht auf Herausgabe eingezogen und ist nach Rechtskraft dieses Urteils durch die Polizei zu vernichten.

4.   A.___ wird wie folgt zur Bezahlung von Genugtuung verurteilt:

a)      H.___: CHF 500.00;

b)      F.___: CHF 700.00;

c)      G.___: CHF 700.00.

Die darüber hinausgehenden Forderungen werden abgewiesen.

5.   Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Dominic Nellen, wird auf CHF 5'546.10 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 2'013.70 (Differenz zum vollen Honorar), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

6.   Die Kosten des Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 600.00, total CHF 2'556.55, sind im Umfang von CHF 2'047.50 durch A.___ zu bezahlen. Im Übrigen sind die Kosten vom Staat Solothurn zu tragen.»

 

8.

Gegen dieses Urteil liess der Beschuldigte am 6. Dezember 2021 die Berufung anmelden (AS 551). Mit Berufungserklärung vom 1. November 2022 wird ein Freispruch vom Vorhalt des Angriffes beantragt, die Zivilklagen seien abzuweisen, eventualiter seien sie auf den Zivilweg zu verwiesen, subeventualiter seien sie erheblich zu reduzieren. Beweisanträge würden derzeit keine gestellt.

 

9.

Damit ist das erstinstanzliche Urteil wie folgt teilweise in Rechtskraft erwachsen:

 

-       Ziffer 3: Einziehung des weissen Hemdes des Beschuldigten;

-       Ziffer 5 (teilweise): Entschädigung des amtlichen Verteidigers der Höhe nach.

 

10.

Mit Verfügung vom 27. Juli 2023 wurden der Beschuldigte und sein amtlicher Verteidiger auf den 30. Oktober 2023 zur Berufungsverhandlung vorgeladen.

 

 

II. Sachverhalt

 

1. Vorhalt

 

Dem Beschuldigten wird vorgehalten, er habe am 13.05.2018, um ca. 01:35 Uhr, in [Ort 1], [Adresse], Platz vor dem McDonalds, zum Nachteil der Geschädigten 1 - 3 einen Angriff begangen, indem sich die Beschuldigten 1 - 4 sowie der mitbeschuldigte Jugendliche (Beschuldigter 5, separates Verfahren) einseitig in feindlicher Absicht an einem Angriff auf die drei Geschädigten beteiligt hätten, wobei alle drei Geschädigten mindestens einfache Körperverletzungen erlitten hätten.

 

Konkret habe sich der Ablauf wie folgt gestaltet:

 

Bereits im Kassenbereich des McDonalds sei es zu einer wechselseitigen verbalen Auseinandersetzung zwischen der Gruppierung der Beschuldigten auf der einen Seite und der Gruppierung der Geschädigten auf der anderen Seite gekommen. Ausserhalb des McDonalds habe der Beschuldigte 5 den Geschädigten 2 unvermittelt mit mindestens einem starken Faustschlag ins Gesicht attackiert, woraufhin dieser zu Boden gestürzt sei. Am Boden liegend sei er durch den hierortigen Beschuldigten (2) und den Beschuldigten 5 weiter mit Fusstritten und Schlägen gegen den Körper traktiert worden. Zudem habe der Beschuldigte 5 dem wehrlos am Boden liegenden Geschädigten 2 einen wuchtigen Fusstritt gegen den Kopf verpasst. Die Geschädigten 1 und 3 hätten versucht, ihrem Kollegen, dem Geschädigten 2, zu helfen. Dabei hätten ihnen die Beschuldigten mehrere Faustschläge, Fusstritte und Ohrfeigen an den Kopf und den Körper verpasst. Die Beschuldigten hätten erst von den Geschädigten abgelassen, als eine unbekannte Drittperson dazwischen gegangen sei und eine weitere unbeteiligte Drittperson die Polizei alarmiert und dies den Beschuldigten laut mitgeteilt habe.

 

Der hierortige Beschuldigte (2) habe sich an dem oben beschriebenen Angriff beteiligt, indem er insbesondere den am Boden liegenden Geschädigten 2 mit mehreren Fusstritten und Schlägen gegen den Körper traktiert und den Geschädigten 1 und 3 Faustschläge an den Kopf und Fusstritte gegen den Körper verpasst habe. Der Beschuldigte 4 habe sich an dem oben beschriebenen Angriff beteiligt, indem er insbesondere den Geschädigten 1 und 3 Faustschläge an den Kopf verpasst habe.

 

Der Beschuldigte 1 habe sich an dem oben beschriebenen Angriff beteiligt, indem er insbesondere den Geschädigten 1 und/oder 3 mehrere Ohrfeigen verpasst habe.

 

Der Beschuldigte 3 habe sich an dem oben beschriebenen Angriff beteiligt, indem er in unbekannter Weise tätlich auf die Geschädigten eingewirkt habe. Der Geschädigte 2 habe sich eine Hirnerschütterung und eine Prellmarke unterhalb des rechten Auges (ca. 7 mm lange bleibende Narbe) zugezogen.

 

Der Geschädigte 3 habe sich ein stumpfes Thoraxtrauma mit einmaliger Hämoptoe (Rippenkontusion rechts; DD kleine Lungenkontusion), eine Kontusion des linken Ellbogens (kleiner Erguss über der Bursa Olecrani), eine Contusio Capitis sowie eine Kontusion der linken Schulter zugezogen und sei in der Zeit vom 13. Mai 2018 bis 20. Mai 2018 zu 100 % arbeitsunfähig gewesen.

 

Der Geschädigte 1 habe sich Rippen- und Weichteilprellungen zugezogen und habe in der Folge während ca. 4 Wochen Kopf- und Ohrenschmerzen gehabt, weshalb er sich in ärztliche Behandlung habe begeben müssen. Zudem sei der Geschädigte 2 vom 14.05.2018 bis 16.05.2018 zu 100 % arbeitsunfähig gewesen.

 

2. Allgemeines zur Beweiswürdigung

 

2.1 Gemäss der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie Art. 10 Abs. 3 StPO verankerten Maxime «in dubio pro reo» ist bis zum Nachweis der Schuld zu vermuten, dass die einer Straftat angeklagte Person unschuldig ist: Es gilt demnach die Unschuldsvermutung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 120 Ia 36 ff, 127 I 40 f) betrifft der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowohl die Verteilung der Beweislast als auch die Würdigung der Beweise. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Als Beweiswürdigungsregel ist der Grundsatz «in dubio pro reo» verletzt, wenn sich der Strafrichter von derExistenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklärt, obschon bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, dass sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, da solche immer möglich sind. Obwohl für die Urteilsfindung die materielle Wahrheit wegleitend ist, kann absolute Gewissheit bzw. Wahrheit nicht verlangt werden, da diese der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen ist. Mit Zweifeln ist deshalb nicht die entfernteste Möglichkeit des Andersseins gemeint. Erforderlich sind vielmehr erhebliche und schlechthin nicht zu unterdrückende Zweifel, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei mehreren möglichen Sachverhaltsversionen hat der Richter auf die für den Beschuldigten günstigste abzustellen. Eine Verurteilung darf somit nur erfolgen, wenn die Schuld des Verdächtigten mit hinreichender Sicherheit erwiesen ist, d.h. wenn Beweise dafür vorliegen, dass der Täter mit seinem Verhalten objektiv und subjektiv den ihm vorgeworfenen Sachverhalt verwirklicht hat. Voraussetzung dafür ist, dass der Richter einerseits persönlich von der Tatschuld überzeugt ist und andererseits die Beweise die Schuld des Verdächtigen in einer vernünftige Zweifel ausschliessenden Weise stützen. Der Richter hat demzufolge nach seiner persönlichen Überzeugung aufgrund gewissenhafter Prüfung der vorliegenden Beweise darüber zu entscheiden, ob er eine Tatsache für bewiesen hält nicht (BGE 115 IV 286).

 

2.2 Das Gericht folgt bei seiner Beweisführung dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO): Es würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung und ist damit bei der Wahrheitsfindung nicht an die Standpunkte und Beweisführungen der Prozessparteien gebunden. Unterschieden wird je nach Art des Beweismittels in persönliche (Personen, welche die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen bekannt geben: Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen und Beschuldigten) und sachliche Beweismittel (Augenschein und Beweisobjekte wie Urkunden Tatspuren). Dabei kommt es nicht auf die Zahl Art der Beweismittel an, sondern auf deren Überzeugungskraft Beweiskraft. Das Gericht entscheidet nach der persönlichen Überzeugung, ob eine Tatsache bewiesen ist nicht.

 

2.3 Bei der Beurteilung von Zeugenaussagen wird das Konzept einer «allgemeinen Glaubwürdigkeit» in der Aussagepsychologie als wenig brauchbar bewertet. Der allgemeinen Glaubwürdigkeit eines Zeugen im Sinne einer dauerhaften persönlichen Eigenschaft kommt nach heutiger Erkenntnis bei der Würdigung von Zeugenaussagen daher kaum mehr relevante Bedeutung zu. Weitaus bedeutender für die Wahrheitsfindung als die allgemeine Glaubwürdigkeit ist die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage. Dabei wird die konkrete Aussage durch methodische Analyse ihres Inhalts (Vorhandensein von Realitätskriterien, Fehlen von Fantasiesignalen) darauf überprüft, ob die auf ein bestimmtes Geschehen bezogenen Angaben einem tatsächlichen Erleben der befragten Person entspringen (BGE 133 I 33 E. 4.3; Urteile 6B_257/2020 vom 24. Juni 2021 E. 5.4.3; 5A_550/2019 vom 1. September 2020 E. 9.1.3.1; je mit Hinweisen). Entscheidend für den Beweiswert einer Zeugenaussage ist daher die Glaubhaftigkeit der konkreten Zeugenaussage und nicht die allgemeine Glaubwürdigkeit des Zeugen als persönliche Eigenschaft (Urteil des Bundesgerichts 6B_323/2021 vom 11. August 2021 E.2.3.3). Zu prüfen ist die Aussage auch auf Übereinstimmungen mit objektiven Beweismitteln (Urteil des Bundesgerichts 6B_32/2016 vom 20. April 2016 E. 1.5).

 

Eine beschuldigte Person erzählt im Gegensatz zu einem Zeugen/einer Zeugin bzw. einem Opfer im Regelfall nicht eine Geschichte, die sich unter Berücksichtigung der Aussageentstehung und -entwicklung anhand der Aussagequalität auf ihren Realitätsbezug überprüfen lässt. Eine beschuldigte Person ist aufgefordert, eine bestehende Geschichte zu bestätigen zu verneinen. Die Realkennzeichenanalyse ist damit bei beschuldigten Personen in aller Regel kein taugliches Mittel der Glaubhaftigkeitsbeurteilung. In der Aussagepsychologie wurden dennoch verschiedene Erkenntnisse zum Aussageverhalten schuldiger und unschuldiger Personen gewonnen (vgl. Daphna Tavor, Aussagepsychologie zur Beurteilung der Aussagen des Angeklagten, Referat im Seminar «Zwischen Wahrheit und Lüge», durchgeführt am 22. und 23. Juni 2015 vom Institut für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis der Universität St. Gallen, Kompetenzzentrum für Rechtspsychologie):

 

-      Ein unschuldiger Beschuldigter antwortet detailreich, spontan und ohne Ausflüchte. Er will die Wahrheit ans Licht bringen, ist gesprächig, kooperativ im Gespräch und bleibt beim Thema. Er verwendet treffende und starke Ausdrücke bezüglich des Inhalts der Vorwürfe und beteuert die Unschuld spezifisch zum jetzigen Fall, ohne dazu aufgefordert zu werden.

 

-      Ein schuldiger Beschuldigter erzählt demgegenüber nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich; er neigt zu Auslassungen. Er will die Wahrheit verheimlichen, ist zurückhaltend, unkooperativ im Gespräch und weicht auf irrelevante Themen aus. Er verwendet schwache und ausweichende Ausdrücke bezüglich des Inhalts der Vorwürfe und spricht nicht spontan über seine Unschuld.

 

3. Beweismittel

 

3.1 Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Aussagen sei vorweg auf die Fotos der fünf Beschuldigten in den Akten hingewiesen, welche am frühen Morgen des 13. Mai 2018 vor der […]-Bar gemacht wurden (AS 141). Der hierortige Beschuldigte (2) trägt (als Einziger) ein weisses Hemd und rote Schuhe (oben rechts). Daher ist er auch auf dem Video beim Wegrennen gut erkennbar (Standbilder daraus auf AS 142). Das weisse Hemd des Beschuldigten wurde dabei beschlagnahmt, darauf konnten mehrere blutartige Antragungen auf der Vorderseite wie auch auf der Rückseite und am rechten Ärmel festgestellt werden. DNA-Untersuchungen ergaben Übereinstimmungen mit dem bereits gespeicherten Profil des Beschuldigten 5 (AS 144 ff.).

 

Auf einer vom Zeugen J.___ mit dem Handy am Tatabend erstellten Videoaufnahme ist ersichtlich, wie die Gruppe der fünf Beschuldigten vom Tatort wegrennt (AS 182). Der Beschuldigte anerkennt, auf diesem Video mit dem weissen Hemd zu sehen zu sein (AS 533). Das Video enthält aber keine Aufnahmen von der hier zu beurteilenden Schlägerei. Es beweist somit nur, dass der Beschuldigte am Ende des Vorfalles am Ort des Geschehens zugegen war und diesen zusammen mit den anderen vier Beschuldigten verlassen hat.

 

Ebenfalls vorweg kann festgehalten werden, dass die in der Anklage beschriebenen Verletzungen der Geschädigten, welche aus den Arztberichten hervorgehen, nicht bestritten werden (AS 534).

 

3.2 Die Belastung des Beschuldigten gründet entscheidend auf den Aussagen des Zeugen J.___, der am 24. Juli 2018 erstmals polizeilich als Auskunftsperson einvernommen wurde (AS 177 ff.). Angesprochen auf die von ihm teilweise beobachtete Schlägerei vor dem McDonalds vom 13. Mai 2018 gab er zu Protokoll, er wisse nicht, warum die gestritten hätten worum es gegangen sei. Er habe im McDonalds sein Essen geholt und sich hingesetzt. Bereits da seien die beiden Gruppen heftig am Diskutieren am Streiten gewesen. Ein sehr kleiner Mann habe sich mit einem Mann im weissen Hemd gestritten. Da seien sie noch drinnen an der Kasse resp. in der Reihe gewesen. Der Kleine mit dem schwarzen T-Shirt (der Beschuldigte 5) habe schlagen wollen. Aber der mit dem weissen Hemd (der hierortige Beschuldigte) habe es nicht erlaubt. Der im weissen Hemd habe etwas zum Kleinen gesagt. Sie hätten dann aufgehört zu streiten und seien nach draussen gegangen. Sie hätten französisch gesprochen. (Auf Frage) Der Kleine habe eine andere Person schlagen wollen, nämlich den Jungen, den sie dann später draussen geschlagen hätten. (Auf Frage) Der Kleine mit dem schwarzen Hemd sei an der Theke gestanden neben dem Jungen, den sie später geschlagen hätten. Die Zwei hätten immer wieder diskutiert. Dann habe der mit dem schwarzen Hemd den Jungen schlagen wollen, aber der mit dem weissen Hemd sei hinter ihm gestanden und habe ihn von hinten an den Händen zurückgehalten (die Auskunftsperson erstellt eine Skizze: AS 181). (Auf die Frage, ob der Junge mitbekommen habe, dass der andere ihn habe schlagen wollen) Nein, er sei auch angetrunken gewesen. (Auf Frage) Er wisse nicht, worüber die Beiden gestritten hätten. (Auf die Bitte, weiter zu erzählen) Der Mann mit den schwarzen T-Shirt und der im weissen Hemd seien nach draussen gegangen, ohne etwas mitzunehmen. Er habe sich nicht mehr darauf geachtet, er habe gedacht, es sei vorbei und habe auf sein Handy geschaut. Dann habe er von draussen Stimmen gehört. Da sei er nach draussen gegangen. Als er draussen gewesen sei, habe er den Jungen von vorhin am Boden liegen gesehen. Dieser sei ohnmächtig gewesen und voller Blut. Zwei hätten auf ihn eingeschlagen. Drei hätten auf einen Kollegen des Jungen geschlagen. Die zwei von vorher, also der mit dem weissen Hemd und der Kleine mit dem schwarzen T-Shirt, hätten mal auf den Jungen und mal auf dessen Kollegen eingeschlagen. Die jungen Frauen vom McDonalds hätten später das Blut des Jungen auf dem Boden mit Servietten weggeputzt. (Auf die Frage, wie es weiter gegangen sei) Sie hätten weiterhin auf Beide eingeschlagen. Am Schluss habe der mit dem schwarzen T-Shirt stark mit dem Fuss auf das Gesicht des Jungen auf dem Boden gekickt. Dann habe er gedacht, er mache ein Video und er habe das gemacht. Ja, auf dem Video sehe man nur noch Personen wegrennen. Er sei ihnen mit etwas Distanz nachgerannt, damit er das der Polizei melden könne. (Auf Frage) Sie seien dann eine Treppe runter gerannt in Richtung Aare. (Auf Frage) Ev. könne er zwei vier wiedererkennen, dazu müsste er zuerst die Bilder sehen. Er habe nur fünf Personen gesehen: zwei Grosse, davon einer mit einem schwarzen T-Shirt, den Kleinen mit dem schwarzen T-Shirt, den im weissen Hemd und mit den roten Schuhen und einen Dicken mit Bart. Weil die Zwei wirklich sehr schlimm verschlagen worden seien, habe er das Bedürfnis gehabt, behilflich zu sein und etwas zu machen. Deshalb habe er das Video gemacht. Es sei sehr schlimm gewesen, zu sehen, wie der eine dem anderen so stark ins Gesicht gekickt habe. Da habe er mit dem Aufnehmen angefangen und sei ihnen nachgelaufen.

 

Vor der a.o. Amtsgerichtsstatthalterin gab J.___ am 17. November 2021 als Zeuge zu Protokoll (AS 526 ff.), er erinnere sich mehr weniger an den Vorfall vom 13. Mai 2018. Im McDonalds hätten sie diskutiert und gestritten. Er sei drinnen gesessen und habe das gesehen. (Auf die Frage, wer gestritten habe) Er wisse nicht, wer es gewesen sei, er habe die Leute nicht gekannt. Und draussen hätten sie dann auch gestritten. Er sei raus gegangen, weil er Stimmen gehört habe von draussen. (Auf die Frage, ob es beim Streit geblieben sei) Sie hätten gestritten und hätten draussen weiter gestritten. Als die Personen umgefallen seien, seien die anderen weggelaufen. (Auf Frage) Der Kleinere von denen, die geschlagen worden seien, sei zu Boden gefallen. Die Schläger seien grösser gewesen als die Opfer. Der Kleine von denen, die geschlagen worden seien, sei vermutlich bewusstlos gewesen. Sie hätten diesen weiter geschlagen, als er bereits auf dem Boden gelegen sei. (Auf die Frage nach der Kleidung der Schläger) Er könne sich nicht an alles erinnern. Einer habe ein weisses Hemd, Jeans und rote Schuhe getragen. (Auf die Frage, was diese Person gemacht habe) Dieser und der Kleine seien zuerst drinnen am Streiten gewesen und seien dann rausgegangen. (Auf Frage) Die, welche geschlagen hätten, seien rausgegangen und die beiden Anderen hätten zuerst Essen geholt und seien dann auch rausgegangen. Sobald die draussen gewesen seien, habe der Streit angefangen. (Auf die Frage, was die Person mit dem weissen Hemd draussen gemacht habe) Er sei an der Schlägerei beteiligt gewesen. Ein Grosser sei auch unter den Schlägern gewesen. Derjenige, der grösser sei, sei am Schlagen gewesen. Er sei grösser gewesen als diejenigen, die geschlagen worden seien. Einer der Schläger sei vermutlich etwas fest gebaut gewesen. Sie hätten dort geschlagen, es sei eine Schlägerei gewesen. Und dann habe der Kleine der Schläger denjenigen, der am Boden gewesen sei, nochmals mit dem Fuss ins Gesicht getreten und sei dann geflohen. (Auf die Frage, was die Person mit dem weissen Hemd genau gemacht habe) Drinnen hätten sie diskutiert. Der mit dem weissen Hemd sei nach seiner Erinnerung auch einer davon gewesen, mit dem Kleineren. Danach seien sie rausgegangen, er selbst sei drin geblieben. Als er Stimmen gehört habe, sei er auch rausgegangen. Dann hätten die fünf Personen die zwei Personen auf schlimme Weise geschlagen. (Auf die Frage, was die Person im weissen Hemd draussen gemacht habe) Er sei beteiligt gewesen. Er erinnere sich an den Grossen, den Kleinen und den im weissen Hemd, diese seien beteiligt gewesen. (Auf Frage) Seine Aussagen bei der Polizei könne er bestätigen. Das sei kurz nach dem Vorfall gewesen, da habe er sich noch gut erinnern können. Seine damaligen Aussagen seien korrekt. (Nach dem Verlesen seiner damaligen Aussagen) Er möchte dazu nichts ergänzen. Fünf hätten zwei geschlagen. Alles andere habe er der Polizei gesagt. (Auf die Frage, ob er den anwesenden Beschuldigten als die Person mit dem weissen Hemd erkennen könne) Er könne sich nicht mehr an die Gesichter der Täter erinnern. (Auf die Frage, warum er das Video gemacht habe) Die Personen seien schlimm geschlagen worden. Und die Täter hätten weiter auf jemanden eingeschlagen, der bereits ohnmächtig am Boden gelegen sei. (Auf die Ergänzungsfrage des Verteidigers, er solle detailliert die Szene draussen vor dem McDonalds wie in einem Film schildern) Schritt für Schritt gebe es nicht viel zu sagen. Fakt sei, dass fünf Personen auf zwei Personen eingeschlagen hätten. (Auf die Frage, was der «Grosse» gemacht habe) Der «Grosse» der Täter habe den Grösseren der Opfer geschlagen. (Auf die Frage, wie er ihn geschlagen habe) Der Grosse sei nicht zu Boden gefallen, diesen habe er stehend geschlagen. Wie genau er ihn geschlagen habe, könne er nicht mehr sagen. (Auf die Frage, was der «Dicke» gemacht habe) Dieser sei mit in der Schlägerei gewesen. Aber er könne sich nicht erinnern, wen der «Dicke» geschlagen habe. Aber er sei an der Schlägerei beteiligt gewesen. (Auf Frage) Wie der Dicke geschlagen habe, daran könne er sich nicht erinnern. (Auf Frage) Er könne nicht präzise sagen, wer wen exakt geschlagen habe, er könne sich nur an den Kleinen und den sehr Grossen erinnern und dass alle beteiligt gewesen seien. (Auf die Frage, wie wieso die Schlägerei geendet habe) Er wisse nicht, warum sie gestritten hätten. (Auf Nachfrage) Sie seien am Schlagen gewesen und einer sei ohnmächtig am Boden gewesen. Er habe sich um denjenigen am Boden gekümmert und dann seien sie weggelaufen. (Auf die Frage, ob es eine Täter- und eine Opfergruppe gegeben habe?) Ja, die zwei Gruppen sowie Zuschauer. (Auf die Frage, wie er sich um den Mann am Boden gekümmert habe) Als er (der Zeuge) rausgekommen sei, sei dieser schon am Boden gelegen. Die Täter seien dran gewesen, diesen am Boden weiter abzuschlagen. Als die Anderen gegangen seien, habe er das Opfer zusammen mit anderen vom Boden aufgehoben. (Auf die Frage, warum die anderen weggegangenen seien) Weil sie ihn ausreichend geschlagen gehabt hätten, seien sie gegangen. (Auf erneute Frage) Vermutlich seien sie gegangen, weil sei nicht auf die Polizei hätten warten wollen. (Auf Frage) Am meisten sei ihm vom Vorfall in Erinnerung geblieben, wie der Kleine der Gruppe den Mann am Boden mit dem Fuss ins Gesicht getreten habe. Das habe ihn sehr getroffen.

 

3.3 Zum Vorfall und zur Beteiligung des Beschuldigten an der Schlägerei gaben die weiteren Beteiligten kurz zusammengefasst Folgendes an:

 

-        I.___ sagte (Aussage vom 15. Oktober 2018, AS 183 ff.), er sei mit den Geschädigten im McDonalds am Anstehen gewesen, als der Geschädigte mit den späteren Angreifern französisch gesprochen habe. Er habe diesen dann weggezogen, da die Anderen nur aufs «Fäuste Verteilen» aus gewesen seien. Als er von innen nach draussen geschaut habe, sei der Geschädigte 2 am Boden gelegen und der Geschädigte 3 haben jemanden nach hinten gezogen, habe aber selbst einen Mann auf dem Rücken gehabt. Wer wen geschlagen habe, könne er nicht sagen, da es drinnen hell und draussen dunkler gewesen sei. Drinnen habe einer (nach der Beschreibung der Beschuldigte 1) Folgendes gesagt: «Wir wollen schauen, ob du draussen immer noch lachst.»

 

-        Der Geschädigte 1 gab an (Befragung vom 20. Juli 2018, AS 187 ff.), der Geschädigte 2 habe draussen einen Burger essen wollen, als er von einem kleineren Mann unvermittelt geschlagen worden sei. Hinter dem Kleinen sei eine sehr grosse Person gestanden, mit der dunkelsten Haut. Es seien sehr viele gewesen. Der Geschädigte 2 habe etwa fünf bis sechs Faustschläge von drei bis vier Personen erhalten und sei nach hinten zu Boden gegangen. Der Geschädigte 3 habe sich eingemischt und die Täter aufhalten wollen. Dieser sei dann von zwei bis drei Anderen von hinten angegriffen worden. Dann habe er (der Geschädigte 1) sich auch schon selber schützen müssen: Er habe auch von drei bis vier Personen Faustschläge aufs Ohr und in die Seiten erhalten. Das seien immer wieder neue Personen gewesen, also recht viele. Er habe gehört, dass auch die anderen weiter geschlagen hätten, habe es aber nicht mehr sehen können. Er habe dann in den McDonalds fliehen können. Von dort habe er gesehen, wie die beiden anderen Geschädigten am Boden gelegen seien. Er sei wieder nach draussen, um diesen zu helfen. Da sei der Mann mit dem Frisbee gekommen und habe zwei Angreifer weggeschlagen, resp. diese mit sich weggerissen. Als Herr I.___ laut gesagt habe, er rufe die Polizei, hätten die Täter sofort aufgehört und das Weite gesucht. (Auf Frage) Er habe seine Unterarme zum Schutz vor das Gesicht gehalten. Er habe nicht zu Boden gehen wollen. Er habe Schläge auf die Ohren und seitlich ins Gesicht erhalten, beidseitig, auch Kicks. Genau könne er es nicht sagen. Die Täter könnte er kaum identifizieren, evtl. die zwei, die zuerst auf den Geschädigten 2 eingeschlagen hätten, den Kleinen und den Grossen. Sicher drei Personen hätten auf den Geschädigten 2 eingeschlagen. Zuerst habe der Kleine dem Geschädigten fadengerade und unerwartet mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Der Grosse habe den Geschädigten 2 auch mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Nach kurzer Zeit sei der Geschädigte 2 zu Boden gefallen und der Geschädigte 3 habe ihm helfen wollen und sei auch geschlagen worden. Auch er selbst sei dann geschlagen worden. Wenn nicht der Mann mit dem Frisbee gekommen wäre, wäre es noch schlimmer geworden.

 

-        Der Geschädigte 2 erklärte (Einvernahme vom 20. Juli 2018, AS 193 ff.), er sei mit zwei Kollegen beim McDonalds angestanden. Neben ihm seien drei Personen gestanden, mit denen habe er keinerlei Diskussion gehabt. Sie hätten es unter sich lustig gehabt und einer der Drei habe dann zu ihm gesagt, ihm werde das Lachen noch vergehen, wenn er nach draussen komme. Er habe nicht realisiert, worum es gehen sollte, er habe ja mit denen nichts zu tun gehabt und das auch nicht ernst genommen. Als er dann mit dem Essen nach draussen gegangen sei, seien ihm die Lichter ausgegangen. Er habe einen so starken Schlag kassiert, dass er bewusstlos geworden sei. Er habe keine Ahnung, wer es gewesen sei und woher es gekommen sei. Er sei dann noch kurz zu sich gekommen, als er am Boden gelegen sei und es sei auf ihn eingeschlagen worden. Er habe aufstehen wollen, sei aber sofort wieder weg gewesen. Er sei dann wieder zu sich gekommen, als die Polizei und der Krankenwagen da gewesen seien. Von wem und von wie vielen er geschlagen worden sei, wisse er nicht. Sie hätten mit den Leuten keine verbale Auseinandersetzung gehabt. Das einzige, was er sich vorstellen könnte, sei, dass der Mann gedacht habe, er lache über ihn.

 

-        Der Geschädigte 3 gab zu Protokoll (Befragung vom 8. August 2018, AS 197 ff.), er sei draussen gewesen. Da sei einer zu ihm gekommen und habe gefragt, ob er zu dem dort (dem Geschädigten 2) gehöre. Er habe das bejaht und gesagt, sie sollten den Geschädigten 2 in Ruhe lassen, der mache keine Probleme. Der Mann sei dann ein Stück weggegangen und er habe ihn nicht mehr beachtet. Dann sei der Geschädigte 2 rausgekommen, hinter ihm ein Kleiner. Als der Geschädigte 2 in den Burger habe beissen wollen, habe er eine Fadengerade mit der Faust ins Gesicht kassiert, so stark, dass er zu Boden gegangen sei. Der Geschädigte 2 habe keine Chance gehabt, da der Kleine von der Seite gekommen sei. Und man rechne ja auch nicht mit so etwas. Der Kleine habe dann weiter auf den am Boden liegenden Geschädigten 2 einschlagen wollen und er habe diesen dann wegziehen wollen. Dann sei einer von hinten gekommen. Er habe also einen im Schwitzkasten gehabt und einen auf dem Rücken. Er habe das Gleichgewicht verloren und sei zu Boden gekippt. Ab da könne er nichts mehr beschreiben. Er habe von jeder Seite Hiebe und Tritte bekommen und sei damit beschäftigt gewesen, sein Gesicht zu schützen. Dies habe angedauert, bis jemand die Polizei gerufen habe. Derjenige, der ihn angesprochen habe, sei rund 180 cm gross und habe ein Pferdeschwänzchen und spreche deutsch (die Beschreibung passt auf den Beschuldigten 1).

 

-        Der Beschuldigte 4 (D.___) gab an (Einvernahme am 30. Januar 2019, vormittags, AS 203 ff.), er sage nichts zu diesem Vorfall. Er sei nicht auf dem Video abgebildet (grinst). Ob die anderen auch diese Befragung machen müssten? (Ja) Die hätten aber noch nichts erhalten. Ob sein Bruder einen Türsteher um ein Alibi gefragt habe, müsse man den Bruder fragen. (Auf die Frage, ob er eine Schlägerei gehabt habe) «Schulterzucken» (Auf die Frage, wie es angefangen habe) Wegen Rassismus. Er wisse nicht, was der «Wixer» gehabt habe. Nur weil sie französisch gesprochen hätten. Er sei aber genauso Schweizer wie die Anderen. (Auf die Frage, ob er an der Schlägerei beteiligt gewesen sei) Er habe geschlichtet (grinst). (Auf die Frage, was das heisse) Einer zwei seien die ganze Zeit zu ihnen gekommen. Da sei er nach draussen gegangen und habe gesagt: «Geh jetzt lieber». Aber dann seien die nach draussen gekommen und hätten weiter gemacht. Was er da hätte machen sollen? Sich beschimpfen lassen und dann die Polizei rufen? (Auf die Frage, was die Anderen den genau gesagt hätten) Das wisse er jetzt nicht mehr. So etwas wie «Scheiss»-Franzosen «Scheiss»-Ausländer. Man müsse nicht meinen, er lasse sich von einem «Bodenknopf» so anmachen. (Auf Frage) Er wisse nicht, wer alles reingeschlagen habe. Er habe auf sich geachtet. Er habe selbst zwei Fäuste gegeben. Dies dem Stabilsten der Anderen. Die hätten im McDonalds ja provoziert. Ja, draussen habe schon ihre Gruppe angefangen. Aber was hätten sie machen sollen? Er habe zu dem gesagt, sie sollten gehen, und der habe nur mit den Schultern gezuckt. Das habe ihn (den Beschuldigten 4) noch mehr provoziert. (Auf Frage) Ev. habe er mehr als zwei Fäuste verteilt. Ob seine Kollegen die Geschädigten auch geschlagen hätten, wisse er nicht. Es sei eine Massenschlägerei gewesen. (Auf Frage) Wenn die anderen seine Antworten lesen könnten, sage er nun gar nichts mehr. Was er aber hundertprozentig sagen könne, sei, dass er den hierortigen Beschuldigten nicht habe schlagen sehen. Den einen anderen habe er schlagen sehen, er nenne aber keine Namen. (Auf Frage) Es könne sein, dass sie zu viert auf drei Personen losgegangen seien. Ja, der Kleine sei drinnen schon heiss gewesen. Deshalb sei er selbst rausgegangen. Aber draussen hätten die anderen gelacht und das habe noch mehr provoziert. Da habe halt einer dreingeschlagen. Ja, auf dem Video erkenne er seine Gruppe. Der in der Mitte in weiss sei der hierortige Beschuldigte. Er selbst sei der Grösste, der zweitvorderste auf dem Video. Ja, er habe mit seinem Verhalten in Kauf genommen, dass die Geschädigten verletzt worden seien. (Auf Frage, wer sonst noch beteiligt gewesen sei?) «Wir fünf.»

 

-        Der Beschuldigte 1 (E.___) gab an (Einvernahme vom 30. Januar 2019, nachmittags, AS 212 ff.), sie seien im McDonalds gewesen und hätten französisch gesprochen. Die Anderen seien rassistisch gewesen und hätten gesagt, man spreche Deutsch in der Schweiz. Sie hätten erwidert, sie sollten aufhören, sonst gehe es ihnen draussen nicht gut. Das habe er ihnen gesagt. Dann seien sie rausgegangen und es sei losgegangen. Wie es draussen begonnen habe, wisse er nicht mehr. (Auf Frage) Er selbst habe einem vielleicht zwei Ohrfeigen gegeben. Das habe er wohl aus Dummheit gemacht. (Auf Frage) Wer angefangen habe, wisse er nicht, auch nicht, welche Gruppe angefangen habe. Er sei glaublich als letzter aus dem McDonalds gekommen, da habe es gerade angefangen gehabt. (Auf Vorhalt) Ja, man sollte nicht zu viert auf drei losgehen. Ob seine Kollegen auch geschlagen hätten, wisse er nicht. An der Auseinandersetzung seien die Beschuldigten 1, 2, 4 und 5 beteiligt gewesen, beim Beschuldigten 3 wisse er es nicht. Wer geschlagen habe und wer nicht, wisse er nicht. (Auf Frage) Die Stimmung habe sich bei ihnen aufgeheizt, weil sie vielleicht ein paar Sachen falsch verstanden hätten die anderen frech gewesen seien. (Auf Frage) Er habe seinem kleinen Bruder helfen müssen, der bereits an der Schlägerei beteiligt gewesen sei.

 

-        Beschuldigter 5 führte auf den Vorhalt hin aus (B.___, Einvernahme vom 22. Februar 2019, AS 228 ff.), er sei an diesem Tag in [Ort 1] gewesen, weil gewisse seiner Cousins da Kämpfe im Thai-Boxen gehabt hätten. Danach sei er mit seinem Bruder, dem hierortigen Beschuldigten, und seinen beiden Cousins, den Beschuldigten 1 und 4, unterwegs gewesen. Vor der Kasse des McDonalds hätten sich Leute rassistisch geäussert und gesagt, man spreche hier Deutsch, nicht Französisch. Sein Bruder habe ihm gesagt, er solle nichts sagen, er wolle keine Geschichten. Sie hätten bezahlt und das Essen mit nach draussen genommen und die andere Gruppe auch. Einer habe ihn beim Vorbeigehen mit dem Arm gestossen. Deshalb habe er diesem einen Faustschlag ins Gesicht gegeben. Danach sei es zur Schlägerei gekommen. Er habe mehrere Schläge ausgeteilt und auch eingesteckt von seinem Gegner. Auch die Kollegen des Gegners hätten ihn geschlagen. (Auf Frage) Der Grund sei gewesen, dass sich die Geschädigten rassistisch verhalten hätten, es seien Skinheads gewesen, schwarz gekleidet. (Auf Frage) Er habe nur mit den Händen zugeschlagen. (Auf Frage) Sie hätten nur zu viert auf die Gegner eingeschlagen, sein Bruder habe nicht mitgemacht, weil er keine Probleme gewollt habe. Ob seine beiden Cousins mitgemacht hätten, könne er nicht sagen. (Auf Frage) Ja, auf dem Video sei ihre Gruppe zu sehen. (Auf Frage) Ja, er habe sich schon im Restaurant über die Personen genervt. Sein Bruder habe aber keine Probleme gewollt und ihm gesagt, er solle nichts machen. Deshalb habe er im Restaurant auch nichts gemacht. (Auf Frage) Ja, es sei ihm bewusst gewesen, dass er die Anderen verletzten könne. Der Mann habe ihn aber gestossen und gewusst, was ihn erwarte. (Auf Frage) Wer von seiner Gruppe geschlagen habe, wisse er nicht. Sicher habe sein Bruder nicht geschlagen. (Auf Frage) Ja, er habe den ersten Schlag abgegeben. (Auf Frage) Der fünfte der Gruppe sei sein Cousin, der Beschuldigte 3. Ob sich dieser beteiligt habe, könne er nicht mehr sagen, er habe das vergessen.

 

-        Beschuldigter 3 (C.___, Befragung vom 8. März 2019, AS 247 ff.): Er sei um ca. 20:00 Uhr mit seinen vier Cousins im McDonalds gewesen und habe sich dann mit dem hierortigen Beschuldigten (2) entfernt und eine Shisha-Bar besucht. Später seien die anderen auch in diese Bar gekommen und etwas später seien sie von der Polizei kontrolliert worden. Vor dieser Kontrolle habe er nichts gewusst von einer Schlägerei. (Auf Frage) Warum er auf dem Video abgebildet sei, könne er nicht sagen. Er könne sich nicht erinnern. Wenn er belastet werde, könne das stimmen, es sei ein Jahr her. Deshalb könne er sich nicht mehr erinnern. Er könne sich wirklich nicht mehr an die Schlägerei erinnern. Er habe damals auch viel Alkohol konsumiert an diesem Abend. (Auf Frage) Ja, er sei als Nummer 3 auf den Fotos der Polizei abgebildet. Die anderen seien seine vier Cousins. (Auf Vorhalt) Wenn der Beschuldigte 4 ihn auf dem Video identifiziert habe, werde er wohl darauf abgebildet sein. (Auf die Frage, ob er zugebe, an der Aggression teilgenommen zu haben) Er gebe zu, damals vor Ort gewesen zu sein. Es sei möglich, dass er an der Schlägerei teilgenommen habe, ohne dies aber bestätigen zu können. Er erinnere sich wirklich an nichts. (Auf Frage) Er erinnerte sich auch nicht an rassistische Provokationen. Leider könne er nichts sagen, wer an der Schlägerei beteiligt gewesen sei.

 

3.4 Der Beschuldigte A.___ wurde am 5. März 2019 rechtshilfeweise befragt (AS 234 ff.) und gab an, an diesem Tag hätten sie nach den Thai-Kämpfen Alkohol getrunken. Als sie im McDonalds auf Französisch bestellt hätten, seien sie vor der Kasse von einer Gruppe von drei Personen beleidigt worden. Sie hätten wie Rassisten ausgesehen und gesagt, man spreche in der Deutschschweiz nicht Französisch. Trotzdem habe er nichts gesagt, wohl aber sein Bruder, der sich aufgeregt habe. Er habe diesen dann mit sich nach draussen genommen. Draussen habe sie eine andere Gruppe provoziert. Das seien wohl Kollegen der Männer im Lokal gewesen. Sein Bruder habe dann sofort eine Person geschlagen. Er habe dieser Person mehrere Faustschläge ins Gesicht und einen Tritt am Boden gegeben. Sein Bruder habe so zwei bis drei Personen geschlagen. Er selbst habe einen seiner Cousins, den Beschuldigten 3, genommen und sich etwas entfernt. Währenddessen habe sein Bruder weiter zugeschlagen und er könne nicht sagen, ob die beiden anderen Cousins auch Leute geschlagen hätten. Dann hätten sie sich entfernt und seien in eine andere Bar gegangen. (Auf Vorhalt eines Fotos aus dem Video) Ja, ein Teil seiner Gruppe sei an der Schlägerei beteiligt gewesen, er selbst habe sich aber nicht beteiligt und nur weggehen wollen. Er habe nichts gemacht. Sein Bruder habe sich beteiligt, bei den anderen beiden Cousins könne er es nicht sagen. Es sei auch möglich, dass sein Bruder alleine gegen die Gruppe gekämpft habe. (Auf Frage) Sein Bruder habe sich entschlossen zuzuschlagen, als sie aus der Türe des McDonalds getreten seien, dies wegen der Beleidigungen vorher. Er müsse hier auf seine bisherige Aussage etwas zurückkommen: Er habe sich nicht sofort entfernt und habe der Schlägerei etwas zugeschaut. Er habe aber keine Schläge ausgeteilt. Er habe auch den Beschuldigten 3 nicht aus der Schlägerei genommen. Er wolle nun bei dieser Version bleiben. Den Rest könnten die Anderen erzählen. (Auf Frage) Sein Bruder habe den ersten Schlag geführt. (Auf Frage) Er selbst sei mehrfach bei der Polizei verzeichnet, immer wegen Schlägereien.

 

Vor der a.o. Amtsgerichtsstatthalterin gab der Beschuldigte an, er sage nichts zum angeklagten Vorfall. (Auf Frage) Er sei nicht am Angriff beteiligt gewesen. Im McDonalds habe es Provokationen und Beleidigungen gegeben. Er habe seinen kleinen Bruder genommen und sei mit ihm rausgegangen. (Auf Frage) Er habe einen Zettel in der Hand mit Notizen, was er denke. (Auf Aufforderung legt der Beschuldigte den Zettel weg) Es habe dann eine Schlägerei gegeben, dann sei die Gruppe weiter weg gewesen, dann sei es einfach fertig gewesen. (Auf die Frage, was er gemacht habe) Er habe zugeschaut. (Auf die Frage, ob er seinem Bruder nicht geholfen habe) Nein, mehr möchte er dazu nicht sagen. (Auf Frage) Ja, die vier Anderen hätten an der Schlägerei teilgenommen. Zum Video sage er nichts, ebenso wenig zum Blut auf seinem Hemd. Der Zeuge J.___ habe den Vorgang drinnen richtig beschrieben. Zu dessen Aussagen zum Vorgang draussen sage er nichts, auch nicht zu den weiteren vorliegenden Aussagen. (Auf Vorhalt seiner ersten Aussagen) Er habe beobachtet und sei dann gegangen.

 

Vor Obergericht blieb der Beschuldigte dabei, dass er sich nicht aktiv beteiligt und das Opfer nie geschlagen habe. Er behauptete mehrmals, er habe draussen gar keine Person am Boden liegen gesehen (ASB 147).

 

4. Beweisergebnis

 

4.1 Wie bereits erwähnt, basiert die Anklage im Wesentlichen auf den Aussagen des Tatzeugen J.___, sodass diese näher zu prüfen sind.

 

-        Der Zeuge hat – vorerst als Auskunftsperson, danach als Zeuge – seine Aussagen nach Hinweis auf die Strafbarkeit falscher Aussagen bzw. falscher Anschuldigungen getätigt.

 

-        Seine Aussagen sind detailliert, plausibel und widerspruchsfrei.

 

-        Er hatte freie Sicht auf das Geschehen, war nicht beteiligt und hatte zu keiner der beiden Gruppen irgendwelche Beziehungen. Ein Grund für eine strafbare Falschaussage ist nicht erkennbar und wird auch nicht vorgebracht. Im Gegenteil versuchte der Zeuge, aus Angst vor möglichen Reaktionen der Beschuldigten eine Aussage vor der Vorinstanz zu vermeiden (AS 513 f.).

 

-        Er war vom Gesehenen derart schockiert, dass er mit seinem Handy eine Videoaufnahme der weglaufenden Tätergruppe erstellte.

 

-        Der Zeuge hat den hierortigen Beschuldigten detailliert und zutreffend beschrieben (weisses Hemd, rote Schuhe), sodass eine Verwechslung - auch mit Blick auf die Kleidung der anderen Beschuldigten (AS 141) - ausgeschlossen werden kann.

 

-        Seine Aussage zeichnet sich namentlich hinsichtlich des hierortigen Beschuldigten keineswegs durch Belastungseifer aus, im Gegenteil: Er beschreibt, dass der Beschuldigten den «Kleinen» - den jüngeren Bruder – im Restaurant zurückgehalten hatte und er stellte dessen Rolle bei der anschliessenden tätlichen Auseinandersetzung vor dem Restaurant auch als untergeordnet dar.

 

-        Ebenso klar und widerspruchsfrei war der Zeuge aber in der Aussage, der Beschuldigte habe an der Auseinandersetzung aktiv teilgenommen und auch Schläge an die Geschädigten ausgeteilt.

 

-        Der Zeuge räumte ein, er wisse nicht, worum es beim Streit gegangen sei und er unterscheidet bei den Verhaltensweisen zwischen den einzelnen Mitgliedern der Tätergruppe (der «Kleine», der «Grosse», der «mit dem weissen Hemd», der «Feste»). Seine Angaben sind denn auch hinsichtlich des Haupttäters, des Beschuldigten 5 und Bruder des hierortigen Beschuldigten (2), allseits anerkannt worden, die Aussagen des Zeugen sind diesbezüglich demnach richtig. Auch andere Details hat der Zeuge korrekt beschrieben: Die Tätergruppe habe französisch gesprochen und das Ganze habe beim Anstehen vor der Kasse/Theke angefangen; als er nach draussen gekommen sei, sei der Geschädigte 2 schon bewusstlos und blutend am Boden gelegen. Es seien fünf Angreifer gewesen.

 

-        Ein weiteres Realitätszeichen bilden unstrukturierte Teile der Aussage des Zeugen: Er beschreibt zunächst die Szene, als er aus dem Restaurant nach draussen getreten ist: Der «Junge» von vorhin sei ohnmächtig und voller Blut am Boden gelegen; zwei hätten auf den «Jungen» eingeschlagen, drei hätten auf die Kollegen des «Jungen» eingeschlagen. Die beiden von vorher, also der mit dem weissen Hemd und der Kleine mit dem schwarzen T-Shirt, hätten mal auf den Jungen und mal auf dessen Kollegen eingeschlagen. Dann macht der Zeuge einen Zeitsprung und gibt an, die jungen Frauen vom McDonalds hätten später das Blut des Jungen mit Servietten weggeputzt, bevor er wieder auf den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung zu sprechen kommt mit dem Kick des Beschuldigten 5 in das Gesicht des «Jungen» am Boden.

 

-        Weiter schildert der Zeuge eigene Empfindungen: Es sei sehr schlimm gewesen, zu sehen, wie der Eine dem Anderen so stark ins Gesicht gekickt habe. Deshalb habe er mit dem Aufnehmen angefangen und sei den Tätern nachgelaufen.

 

-        Der Zeuge schilderte die Vorgänge auch dreieinhalb Jahre später vor der Vorinstanz ohne Widersprüche gleich, auch wenn er sich verständlicherweise nicht mehr an alle Details erinnern konnte (und das auch so einräumte, ebenso wie er angab, den Beschuldigten nicht wieder erkennen zu können). Insbesondere gab er an, der «mit dem weissen Hemd, den Jeans und den roten Schuhen» und der Kleine seien zuerst drinnen am Streiten gewesen und seien danach auch draussen an der Schlägerei beteiligt gewesen. Er schilderte auch erneut den Kick des Beschuldigten 5 ins Gesicht des am Boden liegenden Geschädigten 2. Er sprach davon, fünf Männer hätten auf deren zwei geschlagen, die Personen seien «schlimm geschlagen worden». Der Tritt mit dem Fuss ins Gesicht des Mannes am Boden habe ihn «sehr getroffen». Seine Aussagen bei der Polizei könne er bestätigen, es sei kurz nach dem Vorfall gewesen und er habe sich da noch gut erinnern können.

 

Insgesamt zeichnen sich die Aussagen des Zeugen durch eine hohe inhaltliche Qualität aus und Gründe für eine Falschbezichtigung sind nicht auszumachen. Seine Aussagen sind sehr glaubhaft. Daran ändert auch nichts, dass der Zeuge nicht von einem «Mann mit Frisbee» berichtet, der am Schluss in die Auseinandersetzung eingegriffen habe: Die Beschreibung des Vorfalles durch den Zeugen endet mit dem Fusstritt des Beschuldigten 5 an den Kopf des am Boden liegenden Opfers. Da ihn dies schockiert hat, entschloss er sich, eine Videoaufnahme zu machen. Er nahm dafür sein Handy hervor, was eine gewisses Zeit in Anspruch nahm. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass er das Eingreifen eines Dritten ganz am Schluss der Auseinandersetzung nicht wahrgenommen hat.

 

4.2 Bei den Aussagen des hierortigen Beschuldigten (2) fällt vorweg auf, dass er sich in Bezug auf sein eigenes Verhalten bereits bei der ersten Einvernahme widersprochen hat: Gab er zunächst an, er habe sich mit dem Beschuldigten 3 sofort vom Tatort entfernt, als die tätliche Auseiendersetzung begonnen habe, erklärte er wenig später, er habe der Auseinandersetzung zunächst noch zugesehen und sei erst später gegangen. Dies erfolgte auf Vorhalt des Videos, welches ihn beim Weglaufen am Schluss zeigt und seine Erstaussage als falsch entlarvte. Wenig glaubhaft ist auch, dass er zunächst angab, er könne nicht sagen, ob seine Cousins auch aktiv an der Schlägerei teilgenommen hätten, obwohl er nach seinen Angaben nur zugesehen haben will. Im Übrigen wollte er sich nicht zu den Vorgängen äussern. Dabei ist zu bemerken, dass der Beschuldigte natürlich ein grosses Interesse hatte, sich zu entlasten, namentlich weil zur Zeit der ersten Befragung zwei weitere Strafuntersuchungen gegen ihn liefen bzw. abgeschlossen waren wegen Schlägereien (Kantone Bern und Tessin), die kurz nach dem hierortigen Vorfall stattgefunden hatten. Die Aussagen des Beschuldigten sind als wenig glaubhaft zu qualifizieren.

 

Nur der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass angesichts der rechtskräftigen Verurteilungen des Beschuldigten wegen Teilnahme an Schlägereien kurz nach dem vorliegend zu beurteilenden Vorfall (mehr dazu hinten) kaum glaubhaft ist, dass er einer Schlägerei mit Beteiligung seines «kleinen Bruders» und seiner Cousins tatenlos zugeschaut hätte. In beiden Fällen, Tessin und Bern, betätigten sich die beiden Brüder als Hauptpersonen an den Attacken auf andere Personen und der Beschuldigte gab in Bern an, er habe zur Verteidigung seines jüngeren Bruders eingegriffen.

 

4.3 Die Mitbeschuldigten machten zur Beteiligung des hierortigen Beschuldigten unterschiedliche Angaben. Dabei fällt namentlich die Aussage des Beschuldigten 4 auf, der angab, er wisse, nicht, wer alles reingeschlagen habe, er habe sich auf sich geachtet. Danach konnte er aber «hundertprozentig» sagen, dass er den hierortigen Beschuldigten nicht habe schlagen gesehen. Zuletzt antwortete er aber auf die Frage, wer beteiligt gewesen sei, wörtlich: «Wir fünf». Der Beschuldigte 1 gab an, an den Auseinandersetzungen seien die Beschuldigten 1, 2 (der hierortige Beschuldigte), 4 und 5 beteiligt gewesen. Der Beschuldigte 3 äusserte sich nicht zur Teilnahme des hierortigen Beschuldigten, seine teilweise grotesken Aussagen sprechen im Übrigen ohnehin für sich. Der Beschuldigte 5 wusste auch nicht zu sagen, wer von seiner Gruppe geschlagen habe, sicher aber habe sein Bruder nicht geschlagen. Wie der Beschuldigte 4 äusserte er sich hinsichtlich der anderen Beschuldigten einzig explizit zur (Nicht-)Teilnahme des hierortigen Beschuldigten. Die Aussagen der Mitbeschuldigten vermögen keine vernünftigen Zweifel an den glaubhaften Aussagen des Zeugen J.___ zu erwecken.

 

4.4 Gleiches gilt für die Aussagen der Geschädigten und deren Kollegen I.___. Letzterer konnte zu den Signalementen der Angreifer keine Angaben machen, weil er von drinnen (hell) nach draussen (dunkel) geschaut hat. Die beiden Mitgeschädigten 1 und 3 waren vom Geschehen selbst betroffen/absorbiert und konnten nur zwei der Täter nach der Grösse (der «Grosse», der «Kleine») beschreiben, nicht aber anhand der Kleidung. Auch aus diesen Aussagen ergibt sich nichts zu Gunsten des Beschuldigten, schon gar nicht schmälern sie die Beweiskraft der Aussagen des Zeugen J.___.

 

4.5 Als Fazit ist auf die überzeugenden Angaben des Zeugen J.___ abzustellen, der angeklagte Sachverhalt ist damit erstellt. Hinsichtlich des Tatbeitrages des hierortigen Beschuldigten ist aufgrund der Zeugenaussage mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass dieser sich – nach Eröffnung der tätlichen Auseinandersetzung durch seinen Bruder - mit Schlägen gegen den am Boden liegenden Geschädigten 2 sowie gegen den Geschädigten 1 3 an der Schlägerei beteiligt hat (vgl. US 11 Ziffer 2.4). Aufgrund der Aussage des Zeugen J.___ ist auch klar erstellt, dass die fünf Beschädigten gegen die Geschädigten tätlich vorgingen und sich Letztere nur gegen die Schläge/Tritte wehrten bzw. der Geschädigte 3 versuchte, einen Angreifer vom Geschädigten 2 wegzuziehen und dabei sofort selbst auch angegriffen wurde.

 

 

III. Rechtliche Würdigung

 

1.

Gemäss Art. 134 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren mit Geldstrafe bestraft, wer sich an einem Angriff auf einen mehrere Menschen beteiligt, der den Tod die Körperverletzung eines Angegriffenen Dritten zur Folge hat.

 

Der Angriff ist eine einseitige, von feindseligen Absichten getragene, gewaltsame Einwirkung auf den Körper eines mehrerer Menschen. Der körperliche Angriff muss von mehreren, mindestens zwei Personen ausgehen, wobei es genügt, wenn sich eine Person dem bereits in Gang gesetzten Angriff eines anderen anschliesst. Die Beteiligung kann auf jede Art erfolgen, solange die Beteiligten an Ort und Stelle in das Geschehen eingreifen. Sie kann auch in einer sachlich unterstützenden, psychischen verbalen Mitwirkung zugunsten der angreifenden Partei liegen. Als objektive Strafbarkeitsbedingung muss der Angriff den Tod eine Körperverletzung eines Angegriffenen zur Folge haben. In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualvorsatz genügt. Der Tatbestand von Art. 134 StGB erfasst nur die im Angriff liegende abstrakte Gefährdung. Der Vorsatz richtet sich auf die Beteiligung am Angriff, nicht auf die Todes- Verletzungsfolge (BGE 135 IV 152 E.2.1). Ist die vorsätzliche fahrlässige Tötung Körperverletzung eines Teilnehmers durch einen bestimmten anderen Beteiligten an der tätlichen Auseinandersetzung nachgewiesen, tritt für diesen neben den Schuldspruch wegen Angriffs auch ein solcher wegen Art. 111 ff. bzw. Art. 122 ff. StGB (Urteile 6B_56/2020 vom 16. Juni 2020 2.3.2; 6B_157/2016 vom 8. August 2016 E. 6.3; je mit Hinweisen). 

 

2.

Der Schuldspruch der Vorinstanz wegen Angriffs ist zu bestätigen: Der Beschuldigte schloss sich dem von seinem jüngeren Bruder initiierten Angriff auf die Geschädigten an und versetzte sowohl dem bewusstlos an Boden liegenden Geschädigten 2 als auch dem Geschädigten 1 3, die ihrem Kollegen zu Hilfe eilen wollten, Faustschläge. Die drei Geschädigten erlitten die in der Anklage aufgeführten, unbestritten gebliebenen einfachen Körperverletzungen. Der Vorsatz des Beschuldigten muss sich wie erwähnt nur auf die Beteiligung am Angriff und nicht auf die Verletzungsfolgen beziehen, wobei das Zufügen von Verletzungen ohnehin naheliegt, wenn man auf ein bewusstlos am Boden liegendes Opfer einschlägt.

 

 

IV. Strafzumessung

 

1. Allgemeines zur Strafzumessung

 

1.1 Gemäss Art. 47 Abs. 1 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahingehend präzisiert, dass dieses nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden. Nach Art. 50 StGB hat das Gericht die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten.

 

Der Begriff des Verschuldens muss sich auf den gesamten Unrechts- und Schuld-gehalt der konkreten Straftat beziehen. Innerhalb der Kategorie der realen Straf-zumessungsgründe ist zwischen der Tatkomponente, welche nun in Art. 47 Abs. 2 StGB näher umschrieben wird, und der in Abs. 1 aufgeführten Täterkomponente zu unterscheiden (vgl. Stefan Trechsel/Martin Seelmann: Stefan Trechsel/Mark Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Auflage 2021, Art. 47 StGB N 18 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Praxis).

 

1.2 Bei der Tatkomponente können verschiedene objektive und subjektive Momente unterschieden werden. Beim Aspekt der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes (Ausmass des verschuldeten Erfolgs) geht es sowohl um den Rang des beeinträchtigten Rechtsguts wie um das Ausmass seiner Beeinträchtigung, aber auch um das Mass der Abweichung von einer allgemeinen Verhaltensnorm. Auch die Verwerflichkeit des Handelns (Art und Weise der Herbeiführung des Erfolgs) ist als objektives Kriterium für das Mass des Verschuldens zu berücksichtigen. Auf der subjektiven Seite ist die Intensität des deliktischen Willens (Willensrichtung des Täters) zu beachten. Dabei sprechen für die Stärke des deliktischen Willens insbesondere Umstände wie die der Wiederholung Dauer des strafbaren Verhaltens auch der Hartnäckigkeit, die der Täter mit erneuter Delinquenz trotz mehrfacher Vorverurteilungen sogar während einer laufenden Strafuntersuchung bezeugt. Hier ist auch die Skrupellosigkeit, wie auch umgekehrt der strafmindernde Einfluss, den es haben kann, wenn ein V-Mann bei seiner Einwirkung auf den Verdächtigen die Schranken des zulässigen Verhaltens überschreitet, zu beachten. Hinsichtlich der Willensrichtung ist es richtig, dem direkten Vorsatz grösseres Gewicht beizumessen als dem Eventualdolus. Die Grösse des Verschuldens hängt weiter auch von den Beweggründen und Zielen des Täters ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Delinquenz umso schwerer wiegt, je grösser das Missverhältnis zwischen dem vom Täter verfolgten und dem von ihm dafür aufgeopferten Interesse ist. Schliesslich ist unter dem Aspekt der Tatkomponente die Frage zu stellen, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden. Hier geht es um den Freiheitsraum, welchen der Täter hatte. Je leichter es für ihn gewesen wäre, die Norm zu respektieren, desto schwerer wiegt die Entscheidung gegen sie und damit seine Schuld (BGE 117 IV 7 E. 3aa).

 

1.3 Bei der Täterkomponente sind einerseits das Vorleben, bei dem vor allem Vor-strafen, auch über im Ausland begangene Straftaten (BGE 105 IV 225 E. 2), ins Gewicht fallen – Vorstrafenlosigkeit wird neutral behandelt und bei der Strafzumessung nur berücksichtigt, wenn die Straffreiheit auf aussergewöhnliche Gesetzestreue hinweist (BGE 136 IV 1) – und andererseits die persönlichen Verhältnisse (Lebensumstände des Täters im Zeitpunkt der Tat), wie Alter, Gesundheitszustand, Vorbildung, Stellung im Beruf und intellektuelle Fähigkeiten zu berücksichtigen. Des Weiteren zählen zur Täterkomponente auch das Verhalten des Täters nach der Tat und im Strafverfahren, also ob er einsichtig ist, Reue gezeigt, ein Geständnis abgelegt bei den behördlichen Ermittlungen mitgewirkt hat, wie auch die Strafempfindlichkeit des Täters.

 

In Bezug auf neue, hängige Strafverfahren, die noch nicht abgeschlossen sind, hat Bundesgericht im Urteil 6B_488/2011 vom 27. Dezember 2011 in E. 3.3 festgehalten: «Die Strafzumessung erfasst das gegenwärtig zu beurteilende Delikt und das damit in Zusammenhang stehende Nachtatverhalten. Tatvorwürfe, welche Gegenstand eines anderen Verfahrens sind, darf der Richter aufgrund der Unschuldsvermutung und wegen des Doppelbestrafungsverbotes nicht in die Strafzumessung einbeziehen.» Anders hatte das Bundesgericht noch mit Urteil 6B_459/2009 vom 10. Dezember 2009, E. 1.2, entschieden: «Ebenso wenig steht die Tatsache, dass der Beschwerdegegner im Falle einer späteren Verurteilung wegen Drogenhandels mit einer Zusatzstrafe zu rechnen hat, einer Berücksichtigung des anerkannten Nachtatverhaltens im vorliegenden Verfahren entgegen, zumal eine solche Zusatzstrafe nach Art. 49 Abs. 2 StGB die Einsatzstrafe und damit auch die Gewährung des hier in Frage stehenden teilbedingten Strafvollzugs in ihrem Bestand unangetastet liesse.» Der aktuelleren bundesgerichtlichen Rechtsprechung folgend haben neu vorgehaltene Straftaten bei der Strafzumessung unbeachtet zu bleiben. Hingegen hat das Bundesgericht in beiden zitierten Entscheiden ausgeführt, dass die in einem hängigen Strafverfahren zugegebenen Tatsachen in die Prognosestellung einfliessen dürfen bzw. sogar berücksichtigt werden müssen.

 

1.4 Das Gesamtverschulden ist zu qualifizieren und mit Blick auf Art. 50 StGB im Urteil ausdrücklich zu benennen, wobei von einer Skala denkbarer Abstufungen nach Schweregrad auszugehen ist. Hierauf ist in einem zweiten Schritt innerhalb des zur Verfügung stehenden Strafrahmens die (hypothetische) Strafe zu bestimmen, die diesem Verschulden entspricht (BGE 136 IV 55 E. 5.7). Die tat- und täterangemessene Strafe für eine einzelne Tat ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens festzusetzen. Dieser ist nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint. Die Frage einer Unterschreitung des ordentlichen Strafrahmens kann sich stellen, wenn verschuldens- bzw. strafreduzierende Faktoren zusammentreffen, die einen objektiv an sich leichten Tatvorwurf weiter relativieren, so dass eine Strafe innerhalb des ordentlichen Rahmens dem Rechtsempfinden widerspräche. Die verminderte Schuldfähigkeit allein führt deshalb grundsätzlich nicht dazu, den ordentlichen Strafrahmen zu unterschreiten. Dazu bedarf es weiterer, ins Gewicht fallender Umstände, die das Verschulden als besonders leicht erscheinen lassen (E. 5.8).

 

1.5 Strafen von bis zu 180 Tageseinheiten sind grundsätzlich in Form einer Geldstrafe auszusprechen (Art. 34 StGB). Das Gericht kann stattdessen auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn a) eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten, b) eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann (41 Abs. 1 StGB). Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen (Art. 41 Abs. 2 StGB). Die Freiheitsstrafe als eingriffsintensivste Sanktion ist nach der gesetzlichen Konzeption somit nach wie vor (auch nach der auf den 1. Januar 2018 in Kraft gesetzten Revision) ultima-ratio und kann nur verhängt werden, wenn keine andere, mildere Strafe in Betracht kommt (Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 2043 f. Ziff. 213.132; BGE 138 IV 120 E. 5.2 S. 122 f.; BGE 144 IV 217 vom 30. April 2018 E. 3.3. 3 mit Hinweisen). Bei der Wahl der Sanktionsart waren auch unter dem früheren Recht als wichtige Kriterien die Zweckmässigkeit einer bestimmten Sanktion, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein soziales Umfeld sowie ihre präventive Effizienz zu berücksichtigen (BGE 134 IV 97 E. 4.2 S. 100 f. mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat entschieden, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters und dessen voraussichtliche Zahlungsunfähigkeit keine Kriterien für die Wahl der Strafart sind. Sinn und Zweck der Geldstrafe erschöpfen sich nicht primär im Entzug von finanziellen Mittel, sondern liegen in der daraus folgenden Beschränkung des Lebensstandards sowie im Konsumverzicht. Nach der Meinung des Gesetzgebers soll die Geldstrafe auch für einkommensschwache Täter, d.h. für solche mit sehr geringem, gar unter dem Existenzminimum liegenden Einkommen ausgefällt werden können. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Geldstrafe als unzweckmässige Sanktion angesehen und deshalb vielfach auf eine Freiheitsstrafe erkannt werden müsste. Bei einkommensschwachen mittellosen Tätern, etwa Sozialhilfebezügern, nicht berufstätigen, den Haushalt führenden Personen Studenten ist somit die Ausfällung einer tiefen Geldstrafe möglich (BGE 134 IV 97 E. 5.2.3 mit Hinweisen). Nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit sollte bei alternativ zur Verfügung stehenden und hinsichtlich des Schuldausgleichs äquivalenten Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift (BGE 138 IV 120 E. 5.2 S. 122 f. mit Hinweis). Im Urteil 6B_93/2022 vom 24. November 2022 hat das Bundesgericht zudem das Verschulden als Kriterium bei der Bestimmung der Strafart bezeichnet (E. 1.3.8), es hielt überdies fest, «die konkret zur Beurteilung stehenden sexuellen Handlungen mit Kindern stellten in ihrer Gesamtheit viel zu gravierende Verbrechen dar, als dass die Geldstrafe der Schwere eines jeden der einzelnen Delikte gerecht würde» (E. 1.4.6).

 

1.6.1 Hat der Täter durch eine mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen und ist an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 StGB). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die Bildung einer Gesamtstrafe in Anwendung des Asperationsprinzips nach Art. 49 Abs. 1 StGB nur möglich, wenn das Gericht im konkreten Fall für jeden einzelnen Normverstoss gleichartige Strafen ausfällt (sog. «konkrete Methode»). Dass die anzuwendenden Strafbestimmungen abstrakt gleichartige Strafen androhen, genügt nicht. Geldstrafe und Freiheitsstrafe sind keine gleichartigen Strafen im Sinne von Art. 49 Abs. 1 StGB (BGE 142 IV 265 E. 2.3.2; BGE 138 IV 120 E. 5.2 S. 122).

 

1.6.2 Hat das Gericht eine Tat zu beurteilen, die der Täter begangen hat, bevor er wegen einer andern Tat verurteilt worden ist, so bestimmt es die Zusatzstrafe in der Weise, dass der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn die strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären (Art. 49 Abs. 2 StGB). Art. 49 Abs. 2 StGB will im Wesentlichen das in Art. 49 Abs. 1 StGB verankerte Asperationsprinzip auch bei retrospektiver Konkurrenz gewährleisten. Der Täter, der mehrere gleichartige Strafen verwirkt hat, soll nach einem einheitlichen Prinzip der Strafschärfung beurteilt werden, unabhängig davon, ob die Verfahren getrennt durchgeführt werden nicht (BGE 142 IV 265 E. 2.3.1 mit Hinweisen). Liegen die Voraussetzungen für eine Zusatzstrafe vor, setzt das Gericht zunächst eine hypothetische Gesamtstrafe fest. Es hat sich zu fragen, welche Strafe es ausgesprochen hätte, wenn es sämtliche Delikte gleichzeitig beurteilt hätte. Dabei hat es nach den Grundsätzen von Art. 49 Abs. 1 StGB zu verfahren. Bei retrospektiver Konkurrenz hat der Richter ausnahmsweise mittels Zahlenangaben offenzulegen, wie sich die von ihm zugemessene Strafe quotenmässig zusammensetzt (BGE 142 IV 265 E. 2.3.3 mit Hinweisen).

 

2. Konkrete Strafzumessung

 

2.1 Der Strafrahmen von Art. 134 StGB beträgt Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren Geldstrafe.

 

2.2 Im Rahmen der Tatkomponente ist zu berücksichtigen, dass zwischen der Gruppierung des Beschuldigten und jener der Geschädigten eine zunächst verbale Auseinandersetzung in einer tätlichen Auseinandersetzung endete. Dabei ist zu Gunsten des Beschuldigten davon auszugehen, dass der Geschädigte 2 vor der Kasse im Restaurant die Bemerkung, hier (in der Deutschschweiz) habe man Deutsch zu sprechen, getätigt hat. Dies wurde von der Tätergruppe (ob zu Recht nicht, kann offenbleiben) als Provokation aufgefasst. Zunächst konnte der Beschuldigte seinen jüngeren Bruder noch zurückhalten, dieser schlug aber draussen unverzüglich derart mit der Faust auf den Geschädigten 2 ein, dass Letzterer zu Boden ging und sein Bewusstsein verlor. Da griff auch der Beschuldigte mit Faustschlägen in die Auseinandersetzung ein. Die Gruppe der Angreifer bestand letztlich aus fünf Personen, jene der Angegriffenen aus drei Personen. Die Angreifer befanden sich folglich in der Überzahl. Zudem wurden beim Vorfall alle drei angegriffenen Personen – und nur diese – verletzt. Bei den Verletzungen handelt es sich zwar um einfache Verletzungen, der Geschädigte 2 erlitt jedoch eine Prellmarke unterhalb des rechten Auges, welche eine bleibende Narbe zurückliess. Dass es aufseiten der Angegriffenen zu keinen schweren Verletzungen gekommen ist, ist auch dem Zufall zu verdanken. Insbesondere Fusstritte gegen den Kopfbereich sind durchaus geeignet, auch schwere Verletzungen zu verursachen. Der Geschädigte 2 zog sich beim Vorfall eine Hirnerschütterung und die bereits erwähnte bleibende Prellmarke unterhalb des rechten Auges (ca. 7 mm) zu. Der Geschädigte 3 erlitt ein stumpfes Thoraxtrauma mit einmaliger Hämoptoe (Rippenkontusion rechts; DD kleine Lungenkontusion), eine Kontusion des linken Ellbogens (kleiner Erguss über der Bursa Olecrani), eine Contusio Capitis sowie eine Kontusion der linken Schulter und war in der Zeit vom 13. Mai 2018 bis 20. Mai.2018 zu 100 % arbeitsunfähig. Der Geschädigte 1 zog sich Rippen- und Weichteilprellungen zu und hatte in der Folge während ca. vier Wochen Kopf- und Ohrenschmerzen, weshalb er sich in ärztliche Behandlung begeben musste. Zudem war der Geschädigte 1 vom 14. Mai 2018 bis 16. Mai 2018 zu 100 % arbeitsunfähig. Der Tatbeitrag des Beschuldigten war wohl von untergeordneter Bedeutung. Er verpasste dem Geschädigten 2 sowie einem von dessen Kollegen einen Schlag. Belastend zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Schlag gegen den Geschädigten 2 erfolgte, welcher bereits am Boden lag. Zudem wäre die Tat problemlos vermeidbar gewesen, war es doch draussen nicht mehr zu Provokationen seitens der Geschädigten gekommen und lag der Geschädigte 2 bereits bewusstlos am Boden. Der Beschuldigte hätte sich somit ohne Weiteres rechtskonform verhalten können. Der Beschuldigte handelte mit direktem Vorsatz und aus Rache wegen der vorgängigen (vermeintlichen?) Provokation, mithin aus einem niederen Beweggrund. Auch aus den Akten der Kantone Tessin und Bern wird ersichtlich, dass «die Zündschnur» des Beschuldigten und seiner Entourage äusserst kurz ist. Dass er seinen jüngeren Bruder im Restaurant vorerst zurückgehalten hatte, ist verschuldensvermindernd zu berücksichtigen. Da es sich bei Angriffen um weitaus schwerwiegendere Vorfälle als den vorliegenden handeln kann, bspw. ein Angriff mit Waffen, und die Folgen eines Angriffes ebenso deutlich schwerwiegender sein können, ist das Tatverschulden des Beschuldigten noch als leicht und dort im mittleren bis oberen Bereich einzuordnen. Angesichts des zur Verfügung stehenden Strafrahmens entspricht dies einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten.

 

Keinen Einfluss auf das Verhalten des Beschuldigten haben beim vorliegenden Vorfall die im Berner Verfahren dargelegten Diagnosen einer Hyperaktivitätsstörung und von generellen Angstgefühlen. Das wird denn auch nicht geltend gemacht.

 

2.3.1 Zum Vorleben des Beschuldigten ist aus den Akten wenig bekannt, vor der
Vorinstanz verweigerte er zu seinen persönlichen Verhältnissen die Aussage. Aus der Befragung vom 5. März 2019 geht hervor, dass er nach Abschluss der Schulzeit in [Ort 2] keine Ausbildung absolviert, sondern für seinen Vater gearbeitet hat. Danach habe er sich selbständig gemacht und arbeite nun mit seinem Bruder als Altmetallhändler. Er verdiene durch diese Tätigkeit wohl rund CHF 1'000.00 pro Monat. Er habe zwar seine Adresse in [Ort 2] angegeben, sei aber fast nie da. Es handle sich um den Wohnort seines Grossvaters und sei eigentlich als Postadresse gedacht. Er arbeite allein, gehöre zu den Fahrenden und arbeite in der ganzen Schweiz. Er besitze keine Fahrzeuge auf seinen Namen und sein Führerausweis sei annulliert worden. Gemäss Eingabe vom 28. September 2023 erziele der Beschuldigte ein jährliches Nettoerwerbseinkommen von rund CHF 25'000.00. Anlässlich der Befragung zur Person vor Obergericht bestätigte der Beschuldigte sein monatliches Einkommen von netto rund CHF 2'000.00. Er sei ledig und kinderlos und arbeite nach wie vor als Altmetallhändler (ASB 148).

 

Zur Tatzeit wies der Beschuldigte zwei Vorstrafen auf:

 

-           Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg vom 18. Oktober 2017: Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 30.00, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren, und Busse CHF 100.00 wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden Beamte. Der bedingte Strafvollzug wurde am 4. September 2019 widerrufen.

 

-           Strafbefehl des Ministère public de l’arrondissement du Nord vaudois vom 21. Januar 2018: Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 30.00, bedingt vollziehbar mit einer Probezeit von drei Jahren, und Busse von CHF 300.00 wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln. Der bedingte Strafvollzug wurde am 4. September 2019 widerrufen.

 

Seit der vorliegend zu beurteilenden Tat wurde der Beschuldigte wie folgt rechtskräftig verurteilt:

 

-           Strafbefehl des Ministero pubblico del Cantone Ticino vom 18. Juni 2018: Freiheitsstrafe von 90 Tagen, bedingt vollziehbar mit einer Probezeit von zwei Jahren, und Busse von CHF 200.00 wegen Angriffs (Tatzeit: 16. Juni 2018, Campingplatz in [Ort 3], Angriff der Eltern sowie Gebrüder […]).

 

-           Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom 4. September 2019: 30 Monate Freiheitsstrafe, davon 10 Monate unbedingt und 20 Monate bedingt vollziehbar mit einer Probezeit von drei Jahren, wegen versuchter schwerer Körperverletzung (Tatzeit: 14. Juli 2018, Bern). Dazu kam eine Geldstrafe wegen Tragens seines einhändig bedienbaren Messers (Springmesser, Tatzeit: 28. April 2018).

 

Der Beschuldigte hat somit das hierortige Verbrechen während laufenden Probezeiten von zwei Vorstrafen begangen und hat kurz nach dem hier zu beurteilenden Vorfall (nämlich am 16. Juni und am 14. Juli 1018) erneut in zwei Fällen Menschen gewalttätig angegriffen. Dabei war es ihm bekannt, dass er nach dem Vorfall vom 13. Mai 2018 von der Polizei aufgegriffen und fotografiert worden war. Das Vorleben und das Nachtatverhalten des Beschuldigten wirken sich deutlich straferhöhend aus.

 

Vorliegend wurden gegen den Beschuldigten zwischen dem 4. September 2019 und dem 19. November 2019 durch das Ministère public de l’arrondissement du Nord vaudois drei neue Strafverfahren eröffnet wegen Widerhandlung gegen das Waffengesetz (Besitz eines Schlagringes), wegen Raubes (Niederschlagen und Berauben eines Mannes am 5. Juli 2019 im Bahnhof [Ort 4]) und wegen Beschimpfung und Drohung. Bei der Befragung vom 17. Dezember 2019 bestritt der Beschuldigte, sich am Angriff gegen den Mann beteiligt zu haben. Er habe nur zugeschaut, sei schockiert gewesen und über die Gleise davongerannt. Er und sein Bruder hätten den Mann nicht berührt. Den Schlagring habe er nur an einem Fest vorgezeigt. Er habe gewusst, dass dessen Besitz verboten sei, aber er habe damit nichts machen wollen. Die Beschimpfung und Drohung seien von seinem jüngeren Bruder getätigt worden. Die Zeugenaussagen seien falsch. Er habe die Frau eventuell Schlampe genannt, habe sich aber entschuldigt. Bedroht habe er sie nicht. Zusammengefasst kann folglich einzig das verbotene Tragen eines Schlagringes als eingestanden erachtet werden, was gestützt auf die unter vorstehender Ziff. IV.3.1 wiedergegebenen bundesgerichtlichen Erwägungen bei der Prognosestellung (vgl. nachfolgende Ziff. IV.2.5) zu berücksichtigen ist.

 

Der Beschuldigte war zur Tatzeit 19 Jahre alt. Der Strafmilderungsgrund von aArt. 64 StGB wurde zwar nicht ins neue Recht übernommen, kann aber weiterhin im Rahmen der persönlichen Verhältnisse berücksichtigt werden. Die Persönlichkeit des Beschuldigten, der nach der obligatorischen Schulzeit keine weitere Ausbildung absolviert hat, war zur Tatzeit in seiner Persönlichkeit wohl noch nicht ganz ausgereift (seit Sommer 2019 sind nun auch keinerlei Delikte mehr aktenkundig), weshalb sein jugendliches Alter leicht strafmindernd berücksichtigt werden kann.

 

Der Beschuldigte hat seine Tatbeteiligung durchgehend bestritten, was sich bei der Strafzumessung neutral auswirkt. Eine erhöhte Strafempfindlichkeit ist beim Beschuldigten nicht auszumachen.

 

Die Täterkomponenten wirken sich insgesamt straferhöhend aus, eine Freiheitsstrafe von 14 Monaten erscheint angemessen.

 

2.3.2 Zu berücksichtigen ist weiter, dass das Strafverfahren zu lange dauerte. Zum einen wurde die Strafuntersuchung durch die Staatsanwaltschaft nicht besonders beförderlich geführt. Zum anderen benötigte die Vorinstanz ein Jahr bis zur Abhaltung der Hauptverhandlung und für die Erstellung der schriftlichen Urteilsbegründung nahezu ein Jahr, was angesichts des nicht besonders komplexen Sachverhaltes (20-seitige Urteilsbegründung) und des überschaubaren Aktenumfangs allein schon als Verletzung des Beschleunigungsgebotes zu qualifizieren ist. Dies ist im Urteilsdispositiv festzuhalten und dem ist mit einer Reduktion der Strafe auf zwölf Monate Freiheitsstrafe Rechnung zu tragen. Bei diesem Strafmass ist eine Geldstrafe gesetzlich ausgeschlossen.

 

2.4 Gegen den Beschuldigten wurden nach der Tat wie dargelegt zwei Freiheitsstrafen ausgefällt. In beiden Fällen hätte somit das dortige Gericht den hierortigen Vorfall im Rahmen einer Gesamtfreiheitsstrafe einbeziehen können, bzw. das Regionalgericht Bern-Mittelland hätte eine Zusatzstrafe zum Strafbefehl des Ministero pubblico del Cantone Ticino ausfällen müssen. Es ist vorliegend somit eine Zusatzstrafe zu diesen beiden Urteilen auszusprechen. Das Urteil des Regionalgerichts Bern-Mitteland vom 4. September 2019 betrifft mit der am 14. Juli 2018 versuchten vorsätzlichen Körperverletzung das schwerwiegendste Delikt von allen. Dieses ist nun zur Bildung einer hypothetischen Gesamtstrafe für den Angriff im Tessin vom 16. Juni 2018 asperationsweise um 45 Tage (bzw. um 1 ½ Monate) zu erhöhen. Für das hierortige Delikt wäre asperationsweise eine Straferhöhung von sechs Monaten Freiheitsstrafe vorzunehmen. So ergibt sich total eine hypothetische Gesamtstrafe von 37 ½ Monaten (30 Monate + 1 ½ Monate + 6 Monate). Davon abzuziehen sind die bereits ausgesprochenen Freiheitsstrafen von 30 Monaten und 90 Tagen (bzw. 3 Monaten), sodass sich im vorliegenden Verfahren eine Zusatzstrafe von 4 1/2 Monaten ergeben würde. Aufgrund des Verschlechterungsverbots bleibt es aber bei der erstinstanzlich verhängten Freiheitsstrafe von 110 Tagen.

 

2.5 Letzteres gilt auch für die Frage des bedingten Strafvollzugs: Die Vorinstanz hat diesen gewährt bei einer Probezeit von drei Jahren, eine unbedingte Strafe ist daher nicht möglich, auch nicht weil die hypothetische Gesamtstrafe nun 37 ½ Monate Freiheitsstrafe ausmacht, was den bedingten Vollzug nicht mehr zugelassen hätte. Eine erhöhte Probezeit von drei Jahren ist aber jedenfalls am Platz, hat der Beschuldigte doch trotz laufenden Probezeiten delinquiert und hat er sich kurze Zeit später erneut massiv strafbar gemacht. Im Sommer 2019 trug er überdies einen verbotenen Schlagring.

 

 

V. Zivilforderungen

 

1.

Die Vorinstanz hat auf US 17 (Ziffer V.1.) die gesetzlichen Grundlagen für die Zusprechung einer Genugtuung ausführlich dargelegt, darauf kann verwiesen werden.

 

2.

Ebenso hat die Vorinstanz die Bemessung der konkreten Genugtuungsbeträge, welche sie den drei Geschädigten zugesprochen hat, detailliert und korrekt begründet (US 18 f.), auch darauf kann verwiesen werden. Die von der Vorinstanz zugesprochenen Genugtuungssummen sind angemessen, konkrete Einwände wurden im Berufungsverfahren denn auch keine vorgebracht. Sie sind zu bestätigen.

 

 

VI. Kosten und Entschädigungen

 

1.

1.1 Gemäss dem Urteil der Vorinstanz belaufen sich die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens auf total CHF 2'556.55. Von diesem Betrag hat die Vorinstanz zu Recht jene Kosten ausgeschieden, welche für Übersetzungen anfielen, die durch die Fremdsprachigkeit des Beschuldigten nötig wurden (Art. 422 Abs. 3 lit. a StPO). Diese Dolmetscherkosten machten CHF 565.30 aus (vgl. US 20). Nicht begründet und auch nicht nachvollziehbar ist hingegen, weshalb die allgemeinen Polizeikosten von CHF 243.75 ebenfalls zu Lasten des Staates ausgesondert wurden, so dass dem Beschuldigten schliesslich in Anwendung von Art. 426 Abs. 1 StPO noch CHF 2'047.50 (= CHF 2'556.55 – CHF 265.30 – CHF 243.75) auferlegt wurden. Aufgrund des Verschlechterungsverbotes (Art. 391 Abs. 2 StPO) kann dieser Entscheid jedoch nicht zu Lasten des Beschuldigten abgeändert werden. Folglich ist das Urteil der Vorinstanz auch in diesem Punkt zu bestätigen.

 

1.2 Die Urteilsgebühr für das Berufungsverfahren ist auf CHF 3'000.00 festzusetzen. Zusammen mit den weiteren Auslagen, jedoch exkl. Dolmetscherkosten, belaufen sich die Kosten für das Berufungsverfahren auf CHF 3'200.00. Diese Kosten sind in Anwendung von Art. 428 Abs. 1 StPO vollumfänglich vom unterliegenden Berufungskläger zu bezahlen.

 

2.

2.1 Zu bestätigen ist der erstinstanzliche Entscheid hinsichtlich des Rückforderungsanspruches des Staates für die Entschädigung des amtlichen Verteidigers (Art. 135 Abs. 4 lit. a und Abs. 5 StPO).

 

Der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers ist von der Vorinstanz zu Lasten des Beschuldigten falsch berechnet worden, was nachfolgend zu korrigieren ist. Ausgangspunkt der Berechnung bildet der erstinstanzliche zugesprochene Aufwand von 26,33 Stunden (Aufwand des Anwaltes) und 0,76 Stunden (Aufwand des juristischen Mitarbeiters, MLaw). Dieser Aufwand ist mit dem Stundenansatz von CHF 230.00 (Anwalt) bzw. CHF 115.00 (juristischer Mitarbeiter) zu multiplizieren, was CHF 6'144.05 ergibt. Der (von Rechtsanwalt Dominic Nellen geltend gemachte) höhere Ansatz von CHF 250.00 wird zum Schutz des Beschuldigten für die Berechnung des Nachzahlungsanspruches bloss herangezogen, wenn eine Honorarvereinbarung eingereicht wird und darin der abgemachte Stundenansatz ersichtlich ist, was vorliegend jedoch nicht der Fall ist. Unter Hinzurechnung der Auslagen von CHF 341.80 und 7,7 % MWST (= CHF 499.40) resultiert ein Total von CHF 6'985.25. Nach Abzug der vom Staat ausgerichteten Entschädigung für den amtlichen Verteidiger von CHF 5'546.10 ist der Nachzahlungsanspruch auf CHF 1'439.15 festzusetzen. Der Beschuldigte ist, sobald es seine wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben, verpflichtet, diesen Differenzbetrag seinem Verteidiger zu erstatten (Ar. 135 Abs. 4 lit. b StPO).

 

Die von Rechtsanwalt Dominic Nellen ins Recht gelegte Honorarnote für das Berufungsverfahren setzt sich aus einem zeitlichen Aufwand von 23,5667 Stunden zum geltend gemachten Ansatz von CHF 180.00, Auslagen in der Höhe von CHF 943.50 und 7,7 % MWST zusammen. Für die Teilnahme an der Berufungsverhandlung inkl. Vorbesprechung mit dem Klienten und Wegzeit wurden mit Position vom 30. Oktober 2023 (im Sinne einer Schätzung) sieben Stunden geltend gemacht. Die Reisezeit (Hin- und Rückweg) ist mit 1 ½ Stunden zu veranschlagen. Die Teilnahme an der Hauptverhandlung nahm eine Stunde und 20 Minuten in Anspruch (8:30 Uhr bis 9:50 Uhr), zuzüglich der Vor- und Nachbesprechung mit dem Klienten (eine mündliche Urteilseröffnung entfiel) ist von zwei Stunden auszugehen. Damit ist die Position vom 30. Oktober 2023 mit 3 ½ Stunden (1 ½ und 2 Stunden) zu berücksichtigen (Abzug von 3 ½ Stunden). Demnach ist die Entschädigung für den amtlichen Verteidiger für das Berufungsverfahren auf total CHF 4'906.25 (Aufwand: 20,0666 x CHF 180.00: CHF 3'612.00; Auslagen CHF 943.50; 7,7 % MWST: CHF 350.75) festzusetzen, zahlbar durch den Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse.

 

Der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers berechnet sich wie folgt: Für die erbrachten Leistungen bis Ende 2022 ist auf den Stundenansatz von CHF 230.00 abzustellen. Es sind dies gestützt auf die eingereichte Honorarnote die Positionen vom 12. Oktober 2022 bis 8. Dezember 2022, welche zusammen 3,31666 Stunden ausmachen und mit dem Differenzbetrag von CHF 50.00 (CHF 230.00 - CHF 180.00) zu multiplizieren sind, was CHF 165.85 ergibt.

 

Mit Beschluss der Gerichtsverwaltungskommission vom 19. Dezember 2022 (GVB.2022.111) wurde der (minimale) Stundenansatz für die privat bestellte Verteidigung) für die ab dem 1. Januar 2023 erbrachten Leistungen in Anwendung von § 158 Abs. 4 des kantonalen Gebührentarifs (GT, BGS 615.11) an die Teuerung angepasst und von CHF 230.00 auf CHF 250.00 angehoben. Dies sind 16,75 Stunden, welche mit dem Differenzbetrag von CHF 70.00 (CHF 250.00 – CHF 180.00) zu multiplizieren sind, was CHF 1'172.50 ergibt. Zuzüglich 7,7 % MWST, was ausgehend von CHF 1'338.35 (CHF 165.85 + CHF 1'172.50) CHF 103.05 ausmacht, resultiert ein Nachzahlungsanspruch von CHF 1'441.40. Diesen Betrag hat der Beschuldigte, sobald es seine wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben, seinem amtlichen Verteidiger zu erstatten.


 

Demnach wird in Anwendung von Art. 40, Art. 42 Abs. 1, Art. 44 Abs. 1, Art. 49 Abs. 2, Art. 134 StGB; Art. 122 ff., Art. 135, Art. 267 Abs. 3, Art. 379 ff., Art. 398 ff., Art. 426 Abs. 1, Art. 428 Abs. 1 und 3 StPO festgestellt und erkannt:

1.    A.___ hat sich des Angriffs, begangen am 13. Mai 2018, schuldig gemacht.

2.    Es wird festgestellt, dass das Beschleunigungsgebot verletzt worden ist.

3.    A.___ wird – als Zusatzstrafe zum Urteil des Ministero pubblico del Cantone Ticino vom 18. Juni 2018 und zum Urteil des Regionalgerichts Bern - Mittelland vom 4. September 2019 – zu einer Freiheitsstrafe von 110 Tagen verurteilt, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von drei Jahren.

4.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 3 des Urteils der a.o. Amtsgerichtsstatthalterin von Olten-Gösgen vom 23. November 2021 (nachfolgend erstinstanzliches Urteil) wird das bei A.___ sichergestellte weisse Herrenhemd (aufbewahrt bei der Polizei Kanton Solothurn) zufolge Verzichts auf Herausgabe eingezogen und ist nach Rechtskraft dieses Urteils durch die Polizei zu vernichten.

5.    A.___ wird wie folgt zur Bezahlung von Genugtuung verurteilt:

a)      H.___: CHF 500.00;

b)      F.___: CHF 700.00;

c)      G.___: CHF 700.00.

Die darüber hinausgehenden Forderungen werden abgewiesen.

6.    Gemäss der diesbezüglich rechtskräftigen Ziffer 5 des erstinstanzlichen Urteils ist die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Dominic Nellen, für das erstinstanzliche Verfahren auf CHF 5'546.10 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn bezahlt worden.

Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 5'546.10 sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 1'439.15 (Differenz zum vollen Honorar), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

7.    Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Dominic Nellen, wird für das Berufungsverfahren auf CHF 4'906.25 festgesetzt (inkl. Auslagen und MwSt.) und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse, bezahlt.

Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 4'906.25 sowie der der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 1'441.40 (Differenz zum vollen Honorar), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

8.    Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 600.00, total CHF 2'556.55, hat A.___ im Umfang von CHF 2'047.50 zu bezahlen. Im Übrigen sind die Kosten vom Staat Solothurn zu tragen.

9.    Die Kosten des Berufungsverfahrens (exkl. Dolmetscherkosten) mit einer Urteilsgebühr von CHF 3'000.00, total CHF 3'200.00, hat A.___ zu bezahlen.

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona).

Im Namen der Strafkammer des Obergerichts

Der Vizepräsident                                                             Die Gerichtsschreiberin

Marti                                                                                  Lupi De Bruycker



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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