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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2022.8)

Zusammenfassung des Urteils STBER.2022.8: Verwaltungsgericht

Das Obergericht hat am 3. Mai 2023 das Urteil gefällt in Bezug auf die grobe Verletzung der Verkehrsregeln und mehrfache Übertretung der Chauffeurverordnung. Der Beschuldigte A.___ wurde schuldig gesprochen und zu einer Busse von CHF 600.00 verurteilt. Die Privatklägerin B.___ wurde auf den Zivilweg verwiesen. Die Kosten des Verfahrens belaufen sich auf insgesamt CHF 3'739.35 für die Parteientschädigung der Privatklägerin. Der Beschuldigte muss zudem die Gerichtskosten in Höhe von CHF 1'200.00 für das erstinstanzliche Verfahren und CHF 2'200.00 für das Berufungsverfahren tragen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts STBER.2022.8

Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2022.8
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2022.8 vom 03.05.2023 (SO)
Datum:03.05.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Beschuldigte; Berufung; Beschuldigten; Aussage; Urteil; Verkehr; Unfall; Verkehrs; Urteils; Fahrzeug; Gericht; Apos; Stunden; Verfahren; Privatklägerin; Zeuge; Lenker; Protokoll; Verfahren; Verletzung; Aussagen; Beweis; Übertretung; Berufungsverfahren; Verfahrens; Fahrstreifen; Kollision; Chauffeurverordnung; Person
Rechtsnorm: Art. 106 StGB ;Art. 3 VRV ;Art. 31 SVG ;Art. 356 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 44 SVG ;Art. 47 StGB ;Art. 49 StGB ;Art. 90 SVG ;
Referenz BGE:134 IV 17;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts STBER.2022.8

 
Geschäftsnummer: STBER.2022.8
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 03.05.2023 
FindInfo-Nummer: O_ST.2023.59
Titel: grobe Verletzung der Verkehrsregeln, mehrfache Übertretung der Chauffeurverordnung

Resümee:

 

Obergericht

Strafkammer

 

 

 

 

 

 

Urteil vom 3. Mai 2023

Es wirken mit:

Präsident von Felten

Oberrichter Marti

a.o. Ersatzrichter Kiefer

Gerichtsschreiberin Lupi De Bruycker

In Sachen

Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,

Anklägerin

 

gegen

 

A.___, vertreten durch Fürsprecher Daniel Buchser,

Beschuldigter und Berufungskläger

 

betreffend     grobe Verletzung der Verkehrsregeln, mehrfache Übertretung der Chauffeurverordnung


Es erscheinen zur Hauptverhandlung vor Obergericht vom 3. Mai 2023:

1.    A.___, Beschuldigter und Berufungskläger;

2.    Fürsprecher Daniel Buchser, privater Verteidiger des Beschuldigten;

3.    Rechtsanwalt Roger Zenari, Vertreter der Privatklägerin;

4.    C.___, Zeuge;

5.    Wmmba L.___, Zeuge;

6.    Pol K.___, Zeugin.

 

In Bezug auf die an der Berufungsverhandlung vom 3. Mai 2023 vorgenommenen Verfahrenshandlungen wird auf das Verfahrensprotokoll (Aktenseiten Berufungsverfahren [nachfolgend ASB] 73 ff.), die Einvernahmeprotokolle (ASB 85 ff., 90 ff., 93 ff., 97 ff.) und die Audio-Dokumente (ASB 100 und 127) verwiesen.

 

Die Parteien stellen folgende Schlussanträge:

 

Rechtsanwalt Roger Zenari im Namen und Auftrag der Privatklägerin B.___ (Plädoyernotizen: ASB 104 ff.):

 

«1.  Die Berufung des Beschuldigten sei vollumfänglich abzuweisen.

  2.  Das vorinstanzliche Urteil des Amtsgerichtspräsidenten vom 16. November 2021, Verfahrens-Nr. TGSPR.2021.75-ATGWAG, sei vollumfänglich zu bestätigen.

  3.  Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Beschuldigten.»

 

Fürsprecher Daniel Buchser im Namen und Auftrag des Beschuldigten und Berufungsklägers A.___ (Plädoyernotizen: ASB 111 ff.):

 

« 1.  In Gutheissung der Berufung sei der Beschuldigte vom Vorwurf der groben Verkehrsregelverletzung von Schuld und Strafe freizusprechen.

  2.  Der Beschuldigte sei wegen einer einfachen Übertretung der Chauffeurverordnung, begangen am 9. Dezember 2020, schuldig zu sprechen und hierfür mit einer Busse von CHF 100.00 zu bestrafen.

  3.  Die Zivilforderungen seien abzuweisen, eventualiter auf den Zivilweg zu verweisen.

  4.  Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen inklusive MWST zu Lasten des Staates.

  5.  Es sei, sofern aufgrund der Akten kein Freispruch erfolge, ein verkehrstechnisches Gutachten einzuholen.»

 

Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:

I. Prozessgeschichte

 

1. Am 10. Dezember 2020, 15:42 Uhr, meldete A.___ (nachfolgend: Beschuldigter) telefonisch der Alarmzentrale der Polizei Kanton Solothurn, dass es zu einem Unfall zwischen einem Personenwagen und einem Sattelmotorfahrzeug gekommen sei (AS 7).

 

2. Am 12. März 2021 erliess die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten einen Strafbefehl und sprach ihn wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Mangel an Aufmerksamkeit sowie Gefährdung beim Fahrstreifenwechsel (Art. 31 Abs. 1, Art. 44 Abs. 1 und Art. 90 Abs. 2 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV) sowie wegen mehrfacher Übertretung der Chauffeurverordnung ARV1 (Art. 8 Abs. 3, 9 Abs. 1 - 3 und 21 Abs. 1 ARV1) schuldig (AS 22 f.).

 

3. Der Beschuldigte erhob gegen diesen Strafbefehl am 19. März 2021 Einsprache (AS 26), worauf die Staatsanwaltschaft die Akten am 25. Juni 2021 zum Entscheid an das Strafgericht Thal-Gäu überwies (AS 41).

 

4. Am 16. November 2021 fällte der Gerichtspräsident von Thal-Gäu nach Einvernahme des PW-Lenkers C.___ als Zeuge und B.___ als Auskunftsperson folgendes Urteil (AS 117 ff., 151 ff.):

 

«1.  A.___ wird freigesprochen vom Vorhalt der Übertretung Chauffeurverordnung ARV1 durch Nichteinhalten der täglichen Ruhezeit, angeblich begangen am 9. und 10. Dezember 2020, festgestellt am 10. Dezember 2020, in Härkingen.

  2.  A.___ hat sich wie folgt schuldig gemacht:

a)         Verletzung der Verkehrsregeln, begangen am 10. Dezember 2020, in Härkingen,

b)         Übertretung der Chauffeurverordnung ARV1 durch Nichteinhalten der Arbeitspausen, begangen am 9.  Dezember 2020, festgestellt am 10. Dezember 2020, in Härkingen.

3.  A.___ wird verurteilt zu einer Busse von CHF 600.00, ersatzweise zu 6 Tagen Freiheitsstrafe (Art. 90 Abs. 1 SVG).

4.  Die Forderung von B.___ gegenüber A.___ wird auf den Zivilweg verwiesen.

5.  Die Kosten des Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 600.00, total CHF 1'200.00, hat A.___ zu tragen. Wird kein Rechtsmittel ergriffen und verlangt keine Partei ausdrücklich eine schriftliche Begründung des Urteils, so reduziert sich die Urteilsgebühr um CHF 300.00, womit die gesamten Kosten für A.___ noch CHF 900.00 betragen.»

 

5. Der Beschuldigte meldete am 23. November 2021 gegen dieses Urteil die Berufung an (AS 160).

 

6. Gemäss Berufungserklärung vom 17. Januar 2022 (Akten Obergericht; OG 1) richtet sich die Berufung gegen folgende Ziffern des erstinstanzlichen Urteils:

-           Ziff. 2 lit. a (Schuldspruch Verletzung von Verkehrsregeln);

-           Ziff. 3 (Sanktion);

-           Ziff. 5 (Verfahrenskosten).

 

7. Mit Eingabe vom 17. Januar 2022 teilte die Staatsanwaltschaft mit, auf eine weitere Beteiligung am Berufungsverfahren zu verzichten (ASB 13). Die Privatklägerin verzichtete ebenso auf ein Rechtsmittel, so dass für das Berufungsverfahren das Verschlechterungsverbot gilt (Art. 391 Abs. 2 Satz 1 StPO).

 

8. In Rechtskraft erwachsen und nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens sind somit folgende Ziffern des erstinstanzlichen Urteils:

 

-           Ziff. 1 (Freispruch vom Vorhalt der Übertretung der Chauffeurverordnung am 9. und 10. Dezember 2020);

-           Ziff. 2 lit. b (Schuldspruch wegen Übertretung der Chauffeurverordnung am 9. Dezember 2020);

-           Ziff. 4 (Verweis der Zivilforderung der Privatklägerin auf den Zivilweg).

 

9. Mit Verfügung vom 7. März 2022 ordnete der Instruktionsrichter für die Berufungsverhandlung die Einvernahme von zwei Polizeibeamten sowie des PW-Lenkers als Zeugen an; den Beweisantrag des Beschuldigten auf Einholung eines verkehrstechnischen Gutachtens wies er dagegen ab (ASB 21).

 

10. Die Berufungsverhandlung fand am 3. Mai 2023 statt.

 

 

II.  Sachverhalt

 

1.  Vorhalt

 

Der Strafbefehl vom 12. März 2021 (AS 22), der als Anklageschrift gilt (Art. 356 Abs. 1 StPO), umschreibt den dem Beschuldigten zur Last gelegten Vorhalt wie folgt:

 

«Ziff. 1.1 Grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 2 SVG) durch Mangel an Aufmerksamkeit (Art. 31 Abs. 1 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV) sowie Gefährdung beim Fahrstreifenwechsel (Art. 44 Abs. 1 SVG)

 

begangen am 10. Dezember 2020, um 15:40 Uhr, in Härkingen, Autobahn A1, indem er als Lenker des schweren Sattelmotofahrzeugs […], [Nummernschild] mit Sattel-Anhänger […], [Nummernschild], auf dem mittleren Fahrstreifen fahrend, nach der Einmündung der Autobahn A2 auf die A1 nach rechts auf den rechten Fahrstreifen wechseln wollte, und dabei durch mangelnde Aufmerksamkeit den sich auf dem rechten Fahrstreifen befindenden PW Opel, [Nummernschild], Lenker C.___, übersah und beim Fahrstreifenwechsel eine frontal-seitliche Kollision mit diesem verursachte. Dadurch gefährdete er sowohl die Insassen des PW Opel, [Nummernschild], als auch nachfolgende Fahrzeuge und deren Insassen. Durch seine Fahrweise rief A.___ eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer hervor und handelte dabei zumindest unbewusst grobfahrlässig.»

 

2.  Unbestrittener Sachverhalt

 

Der PW-Führer C.___ war in Begleitung seiner Ehefrau B.___ und seiner Enkelin D.___ am 10. Dezember 2020 von der Autobahn A2 herkommend unterwegs über die Rampe in Richtung A1 in der Absicht, auf dieser Richtung Zürich weiterzufahren. Er fuhr auf der 3. Spur ganz rechts. Seine Geschwindigkeit betrug ca. 100 - 110 km/h.

 

Zur gleichen Zeit fuhr der Beschuldigte mit seinem Sattelmotorfahrzeug auf der A1 ebenfalls Richtung Zürich. Er fuhr auf dem 1. Überholstreifen der A1. Zwischen den beiden Fahrzeugen kam es zu einer seitlichen Kollision, während deren Verlauf der PW um 90° vor das fahrende Sattelmotorfahrzeug und anschliessend um weitere 90° gedreht wurde, so dass die Front des PW schliesslich gegen die Fahrtrichtung gedreht war (AS 7).

 

Beim Eintreffen der Polizeipatrouille befanden sich die Unfallfahrzeuge nicht mehr in der Unfallendsituation. Beide Fahrzeuge standen auf dem Pannenstreifen. Da beide Fahrzeuge noch fahrbar waren, verschoben sich die Beteiligten zum Rastplatz Gunzgen Süd, wo die Erstbefragung durchgeführt wurde (AS 7 f.).

 

3.  Bestrittener Sachverhalt

 

Bestritten ist der Unfallhergang. Beide Unfallbeteiligten stellen sich auf den Standpunkt, der jeweils andere Fahrzeugführer habe die Spur wechseln wollen und dabei die erforderlichen Sorgfaltspflichten verletzt.

 

4.  Aussagen

 

4.1.1 C.___ wurde am Unfalltag als Beschuldigter befragt (AS 10). Er führte aus, dass er auf dem Einspurstreifen ganz rechts gefahren sei, als er den Lkw auf seiner linken Seite bemerkt habe. Dieser sei auf seine Seite gekommen und habe sein Fahrzeug auf der linken Seite touchiert. Es habe dabei sein Fahrzeug um 45° gedreht und der Lkw habe sie noch ca. 20 Meter weitergeschoben.

 

4.1.2 Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wurde C.___ als Zeuge befragt (AS 120 ff.). Er bestätigte, aus Richtung Basel auf die A1 gefahren zu sein. Er sei auf der rechten Spur geblieben. Seine Frau habe plötzlich gesagt: «Wieso kommt er so nahe zu uns?» Er habe dann nach links geschaut, dann habe es «geklöpft». Es habe ihn nach dem Knall gedreht, der Lkw habe seinen PW nochmals berührt und so «geschliffen» auf der Autobahn. Es habe sie vor den Lkw gedreht und er habe sie mitgeschleift.

 

4.1.3 Anlässlich der Berufungsverhandlung wurde C.___ ebenfalls als Zeuge befragt (ASB 90 ff., 100). Er führte im Wesentlichen aus, er habe, von Basel herkommend, die rechte Spur befahren und habe auf ca. 100 km/h beschleunigt. Den Lkw habe er auf der mittleren Spur gesehen. Der Lkw-Fahrer sei rechts auf die von ihm befahrene Spur eingebogen und habe ihn (bzw. seinen PW) links getroffen. Er denke, der Lkw-Fahrer sei zu früh eingebogen. Dieser hätte ihn (C.___) sehen müssen. (Auf entsprechende Frage) Nein, es sei auf keinen Fall so gewesen, dass er auf die mittlere Fahrspur habe wechseln wollen und es deshalb zur Kollision gekommen sei. Der Lkw-Lenker sei rechts eingebogen, wohingegen er (C.___) auf seiner Spur geblieben sei.

 

4.2 Die Privatklägerin B.___ wurde anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung als Auskunftsperson befragt (AS 124 ff.). Sie sei im PW hinten links gesessen. Sie habe zufällig nach hinten geschaut und den grünen Lastwagen gesehen. Sie habe zu ihrem Mann gesagt: «Warum kommt der immer näher?» Es sei schnell gegangen.

 

4.3.1 Der Beschuldigte wurde ebenfalls am Unfalltag einvernommen (AS 12). Gemäss der protokollierten Aussage habe er Richtung Luzern fahren und von der mittleren auf die äusserste Spur rechts fahren wollen. Dabei habe er den PW mit der rechten Stossstangenecke in der Mitte des Personenwagens auf der Fahrerseite touchiert. Der PW habe sich dabei um 90° gedreht und anschliessend um weitere 90° und sei dann auf der äussersten linken Fahrspur zum Stillstand gekommen. Zu der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit mache er keine Aussagen.

 

Der Beschuldigte verweigerte die Unterzeichnung der Einvernahme.

 

4.3.2 Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung machte der Beschuldigte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch (AS 129).

 

4.3.3 Anlässlich der Berufungsverhandlung beantwortete der Beschuldigte lediglich Fragen zu seinen persönlichen Verhältnissen (vgl. ASB 97 ff., 100), Fragen zur Sache wollte er wiederum nicht beantworten.

 

4.4 Anlässlich der Berufungsverhandlung wurde WmmbA L.___ als Zeuge befragt (ASB 85 ff., 100). Er führte im Wesentlichen aus, er erinnere sich, dass die Beifahrerin des Personenwagens damals verbal recht aggressiv gegen den Lkw-Chauffeur gewesen sei. Er habe sie deshalb mehrmals darauf aufmerksam machen müssen, dass sie sich gegenüber dem Lkw-Chauffeur nicht so verhalten solle. Nach seiner Erinnerung habe der Beschuldigte im Zusammenhang mit dem Erhebungsbericht keine Angaben machen wollen. Er könne sich nicht daran erinnern, dass dieser die Erstbefragung nicht habe unterzeichnen wollen. (Auf entsprechende Frage) Ja, es werde im Protokoll selbst festgehalten, wenn eine befragte Person rüge, etwas an der protokollierten Aussage stimme nicht. Das müsse so gemacht werden. In einem solchen Fall könne man die protokollierte Aussage nicht einfach so stehen lassen. (Befragt nach der in der polizeilichen Strafanzeige vermerkten Entschuldigung des Beschuldigten) Er wisse noch, dass sich der Beschuldigte beim PW-Lenker und dessen Beifahrerin entschuldigt habe, wobei diese damit nicht einverstanden gewesen seien und den Lkw-Chauffeur erneut verbal angegangen seien, er könne aber nicht mehr sagen, wofür sich der Beschuldigte entschuldigt habe. Der Polizeirapport werde immer zeitnah verfasst. Eine solche Entschuldigung werde nur in den Rapport aufgenommen, wenn sie auch wirklich gefallen sei. Im Weiteren stellte die Verteidigung dem Zeugen die Frage, ob er sich an die beiden Aussagen des Beschuldigten («Ich weiss nicht, wie es zum Unfall kam»; «Den PW sah ich erstmals, als er quer vor meinem Lastwagen war») erinnere, was dieser verneinte.

 

4.5 Pol K.___ wurde an der Berufungsverhandlung ebenfalls als Zeugin befragt (ASB 93 ff., 100). Sie führte im Wesentlichen aus, sie könne sich an den genauen Unfallhergang nicht mehr erinnern. Sie wisse noch, dass es zu einer seitlichen Kollision gekommen sei und sie zusammen mit Herrn L.___ die polizeiliche Erstbefragung gemacht habe. (Auf Vorlage des Protokolls der Erstbefragung) Ja, das sei ihre Handschrift, sie habe das Protokoll verfasst und auch nachträglich die Ergänzungen eingefügt. (Auf Frage) Ja, man könne davon ausgehen, dass alles, was in diesem Protokoll aufgeschrieben worden sei, auch tatsächlich so von der befragten Person gesagt worden sei. Zudem ergänzte die Zeugin von sich aus, dass der Befragte die Möglichkeit gehabt habe, das Protokoll durchzulesen. Ob er diese Gelegenheit auch wahrgenommen habe, wisse sie nicht mehr. Sie könne nicht mehr sagen, weshalb die Erstbefragung vom Beschuldigten nicht unterzeichnet worden sei. Wenn die befragte Person kritisiere, es sei nicht so aufgeschrieben worden, wie sie es gesagt habe, dann werde die Stelle im Protokoll durchgestrichen und die Aussage der befragten Person werde unten auf der Seite hinzugefügt. Sie habe noch in Erinnerung, dass sich der Beschuldigte entschuldigt habe, wofür könne sie aber nicht mehr sagen. Sie wisse noch, dass die andere Partei etwas aufgebracht gewesen sei und sie (K.___) zusammen mit Herrn L.___ versucht habe, vor Ort zu schlichten. Auf die entsprechende Ergänzungsfrage des Verteidigers konnte sich die Zeugin nicht an die bereits unter vorstehender Ziff. II.4.4 erwähnten Sätze des Beschuldigten erinnern.

 

5. Schadensbilder an den Fahrzeugen

 

5.1 Das Sattelmotorfahrzeug wies an den Scheinwerfern vorne links und rechts, dem Kotflügel vorne links und rechts, der Stossstange vorne, dem Frontgitter vorne und dem Positionslicht vorne links Beschädigungen auf (AS 5).

 

5.2 Am PW von C.___ ([...]) wurden an folgenden Stellen Beschädigungen festgestellt: Kotflügel vorne links, Fahrertüre und Türe hinten links stark eingedrückt und zerkratzt, Radkasten hinten links und Kotflügel hinten links stark eingedrückt und zerkratzt, Pneu und Felge vorne links beschädigt und zerkratzt (AS 6).

 

6. Beweiswürdigung und Beweisergebnis

 

6.1 Pol K.___ führte (damals noch in Ausbildung als Polizistin) gemäss der Strafanzeige vom 21. Dezember 2020 zusammen mit WmmbA L.___ beim Rastplatz Gunzgen Süd am 10. Dezember 2020 die Erstbefragung des Beschuldigten durch und protokollierte dessen Aussage, er habe einen Spurwechsel vornehmen wollen und dabei den auf der äussersten rechten Spur fahrenden PW seitlich touchiert. Der Verteidiger des Beschuldigten führte im Parteivortrag vor erster und zweiter Instanz aus, der Beschuldigte habe das Protokoll nicht unterzeichnet, weil seine Aussage falsch protokolliert worden sei (AS 141, ASB 111 ff.). Es handle sich nicht um die Aussagen seines Klienten, sondern bloss um Unterstellungen und Annahmen der Polizisten (ASB 115).

 

Diese Argumentation verfängt nicht. Wenn der Beschuldigte im Protokoll der polizeilichen Erstbefragung Fehler festgestellt hätte, als er dieses selbst durchlas als ihm dieses vorgelesen wurde, hätte er auf diese hinweisen und auf deren Korrektur bestehen können. Es ergeben sich aus den Akten keine Hinweise, dass der Beschuldigte nicht in der Lage gewesen wäre, seine Rechte geltend zu machen. So erhob der Beschuldigte am 19. März 2021 gegen den Strafbefehl vom 12. März 2021 in eigenem Namen Einsprache (AS 26). Der Beschuldigte machte anlässlich der erst- und zweitinstanzlichen Hauptverhandlung keine Aussagen zur Sache, wies also auch bei dieser Gelegenheit nicht auf den vom Verteidiger geltend gemachten Mangel der unrichtigen Protokollierung hin. Dabei hätte sich eine Erklärung des Beschuldigten zu seiner eigenen Entlastung aufgedrängt. Dass dieser darauf verzichtete, selbst auf sein Verfahren einzuwirken und seine Interessen aktiv wahrzunehmen, ist nicht nachvollziehbar und darf im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_439/2010 vom 29.6.2010 E. 5.1 mit Hinweis auf die Urteile 6B_676/2008 vom 16.2.2009 E. 1.3 und 6B_41/2009 vom 1.5.2009 E. 5). Darin liegt weder eine Verletzung des Aussageverweigerungsrechts noch der Unschuldsvermutung, denn dem Beschuldigten wurde uneingeschränkt zugestanden, keine Aussagen zur Sache zu machen und damit jede Kooperation hinsichtlich der Sachverhaltsabklärung zu verweigern. Sich auf das Aussageverweigerungsrecht zu berufen, hindert jedoch nicht, eine Täterschaft anzunehmen, wenn diese – was nachfolgend zu prüfen sein wird – nicht zweifelhaft ist (6B_439/2010 vom 29.6.2010 E. 5.1, 6B_571/2009 vom 28.12.2009 E. 3.).

 

Hinzu kommt, dass K.___ die Aussage des Beschuldigten, wenn er diese denn nicht gemacht haben sollte, hätte erfinden müssen. Dies erscheint jedoch als ausgeschlossen. Die Polizistin bestätigte unter der strengen Strafdrohung von Art. 307 StGB, dass in dem von ihr handschriftlich verfassten Protokoll nur aufgeführt worden sei, was die befragte Person auch tatsächlich gesagt habe. Bestätigt wurde ebenfalls, dass der befragten Person stets die Möglichkeit eingeräumt werde, den Inhalt des Protokolls zur Kenntnis zu nehmen und dass eine Beanstandung der befragten Person (z.B. falsche, unvollständige unpräzise Wiedergabe der gemachten Äusserung) zwingend eine Anpassung des Protokolls nach sich ziehe. Letzteres wurde denn auch im vorliegenden Fall umgesetzt: K.___ ergänzte nachträglich das Protokoll der Erstbefragung des Beschuldigten, indem sie eine präzisierende Angabe einfügte (vgl. AS 12 am Schluss: «* vor den Lastwagen und anschliessend weitere 90° auf den Überholstreifen»). Die protokollierte Aussage: «Wie genau der Spurwechsel stattgefunden hat, kann ich auch nicht mehr sagen. Normalerweise schaue ich in den Seitenspiegel, schaue ob ein Fahrzeug kommt und setze den Richtungsblinker ein» enthält implizit die Frage des Beschuldigten an sich selbst, wie es zur Kollision gekommen ist, und wirkt sehr authentisch. Auch hier ist eine Erfindung durch die protokollierende Polizistin ausgeschlossen.

 

Im Weiteren kann die Aussage, auf welche sich der Beschuldigte gemäss seiner Verteidigung beruft (er habe gegenüber den Polizisten gesagt, er wisse nicht, wie es zum Unfall gekommen sei), nicht als glaubhaft eingestuft werden. Gerade auch in Anbetracht der Verkehrsführung an der Unfallstelle erweist sich der im Strafbefehl umschriebene Spurwechsel als plausibel bzw. naheliegend: Da sich die A1 aufgrund der Einmündung der A2 um eine dritte Fahrspur erweiterte, hatte der Beschuldigte eine Veranlassung, das schwere und gemäss den Angaben der Verteidigung auf 90 km/h plombierte Sattelmotorfahrzeug auf die äusserste rechte Fahrspur zu lenken und demnach einen Spurwechsel einzuleiten.

 

6.2 Der PW-Führer C.___ wurde anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung und der Berufungsverhandlung als Zeuge unter Androhung der Straffolgen bei einer wahrheitswidrigen Aussage sowie einer falschen Anschuldigung einvernommen. Als Geschädigter hat er zwar ein Interesse, an der Kollision schuldlos zu sein, da im Falle eines Schuldnachweises des Beschuldigten dessen Haftpflichtversicherung für den Schaden von C.___ aufkommen muss. Der Geschädigte machte im Verlauf des Verfahrens jedoch gleichlautende Aussagen, die vor erster Instanz von seiner Ehefrau bestätigt wurden. Die von ihm geschilderte Primär- und Sekundärkollision, welche der Lkw-Lenker verursacht haben soll, lässt sich mit dem an den beiden unfallbeteiligten Fahrzeugen festgestellten Schadensbildern vereinbaren. Die gleichlautenden Aussagen von C.___ sind deshalb als glaubhaft einzustufen. Der persönliche Eindruck des Zeugen C.___ anlässlich der Berufungsverhandlung bestätigt diese Schlussfolgerung, war doch bei dessen Einvernahme keinerlei Belastungseifer erkennbar.

 

6.3.1 Die vom Verteidiger im Parteivortrag vorgebrachten technischen Argumente sind nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussagen des PW-Lenkers C.___ zu erschüttern. Der Verteidiger legte seinen Ausführungen gefahrene Geschwindigkeiten von 110 km/h (PW C.___) bzw. 80 km/h (Beschuldigter) und damit einen erheblichen «Geschwindigkeitsüberschuss» (AS 143) des PW gegenüber dem Sattelmotorfahrzeug zu Grunde. Diese Geschwindigkeiten lassen sich aber den Akten nicht zwingend so entnehmen. Die Berechnungen des Verteidigers sind deshalb auch nicht geeignet, den vom PW-Führer geschilderten Sachverhalt auszuschliessen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass sich die seitliche Kollision nicht nach Abschluss des Spurenwechsels des Sattelmotorfahrzeuges, sondern während des Spurwechsels ereignet hat. Es kann deshalb, weil nicht relevant, ohnehin offen bleiben, ob ein Sattelmotorfahrzeug für einen Spurenwechsel tatsächlich fünf sechs Sekunden benötigt, wie dies von Seiten der Verteidigung ausgeführt wurde.

 

6.3.2 Auch die «biologische» Beweisführung des Verteidigers (AS 145) vermag nicht zu überzeugen. Der Verteidiger führte aus, der PW-Führer sei nicht nach rechts ausgewichen. Dies hätte er aber reflexartig getan, wenn das Sattelmotorfahrzeug einen Spurenwechsel vorgenommen hätte.

 

Diese Argumentation übersieht, dass es sich bei Kollisionen um dynamische Geschehen handelt und sich regelmässig ereignen, weil ein Verkehrsteilnehmer ein sorgfaltswidriges Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers nicht bemerkt so spät bemerkt, dass ihm keine Zeit für eine Reaktion verbleibt. Aus der fehlenden Reaktion des PW-Führers C.___, seitlich rechts auszuweichen, kann deshalb nicht geschlossen werden, dass sich der Beschuldigte regelkonform verhalten hat.

 

6.3.3 Entgegen der Verteidigung taugt auch die Endlage des Lastwagens nach dem Unfall nicht als Beweis für einen unterbliebenen Spurwechsel des Beschuldigten. Die Verteidigung (ASB 114) beruft sich in diesem Zusammenhang auf eine Aussage des PW-Lenkers C.___ vor erster Instanz, wonach sich der Lastwagen nach dem Unfall «voll auf der Mitte der Autobahn» befunden habe (AS 122 Zeile 75). Diese Endlage schliesst jedoch einen vom Beschuldigten zuvor bereits eingeleiteten Spurwechsel auf die äusserste rechte Fahrspur nicht aus, ist doch plausibel, dass der Beschuldigte den Lastwagen als Reaktion auf die Kollision reflexartig auf die andere Seite, d.h. nach links, schwenkte.

 

6.4 Die beiden als Zeugen befragten Polizisten konnten sich hinsichtlich der Situation am Unfallort und der durchgeführten Befragungen kaum noch an Einzelheiten erinnern. Was jedoch sowohl dem Zeugen L.___ als auch der Zeugin K.___ übereinstimmend in Erinnerung blieb, war die aufgebrachte Verfassung des PW-Lenkers C.___ und dessen Beifahrerin. Dabei soll insbesondere die Privatklägerin verbal aggressiv aufgetreten sein. Beide Polizeibeamten schilderten von sich aus, wie sie versuchten, deeskalierend auf das Ehepaar C.___-B.___ einzuwirken. Diese Ausführungen decken sich mit den Angaben des PW-Lenkers C.___ selbst, der vor erster Instanz einräumte (vgl. AS 122 Zeile 76), er sei nach dem Unfall ausgerastet. Ginge man – im Sinne der Verteidigung – davon aus, ein Fehlverhalten des PW-Lenkers habe den Unfall verursacht, müsste ein solcher Auftritt gegenüber dem Lastwagenchauffeur unmittelbar nach dem Unfall als dreist und unverfroren bezeichnet werden. Auch vor diesem Hintergrund erscheint das von der Verteidigung geltend gemachte Unfallszenario als abwegig.

 

6.5 Wenn die Verteidigung schliesslich vorbringt, man habe keinen einzigen objektiven Beweis für ein Fehlverhalten des Beschuldigten, weshalb zumindest «in dubio pro reo» ein Freispruch zu erfolgen habe (vgl. ASB 112 und 114), kann dem nicht gefolgt werden: Alle Beweismittel und Indizien unterliegen der freien richterlichen Beweiswürdigung. Unter den Beweismitteln gibt es deshalb keine Rangordnung. Entscheidend ist allein die Überzeugungskraft eines Beweismittels. Der Tatnachweis ist erbracht, wenn keine unüberwindlichen Zweifel bestehen, dass sich der vorgehaltene Sachverhalt verwirklicht hat.

 

Zusammenfassend steht auf Grund der Aussagen des Beschuldigten im Rahmen der tatnächsten Befragung unmittelbar nach dem Unfall, des in der Folge nicht nachvollziehbaren Verhaltens des Beschuldigten, der keine weiteren Aussagen (insbesondere auch keine Richtigstellungen) zur Sache machen wollte, der glaubhaften Aussagen des PW-Führers C.___ und der beiden befragten Polizisten als Zeugen sowie des Schadensbildes an den unfallbeteiligten Fahrzeugen fest, dass der Beschuldigte, der Richtung Luzern fahren wollte, von der mittleren Fahrspur auf die äusserste Fahrspur rechts wechseln wollte. Er übersah dabei den auf dieser Spur fahrenden PW C.___ und verursachte auf dem rechten Fahrstreifen während des Fahrstreifenwechsels mit dessen PW eine seitliche Kollision.

 

Der Sachverhalt gemäss Strafbefehl vom 12. März 2021, der vorliegend als Anklageschrift gilt (Art. 356 Abs. 1 StPO), ist damit erstellt.

 

 

III. Rechtliche Subsumtion

 

1.1 Gemäss Art. 44 Abs. 1 SVG darf der Fahrzeugführer auf Strassen, die für den Verkehr in gleicher Richtung in mehrere Fahrstreifen unterteilt sind, seinen Streifen nur verlassen, wenn er dadurch den übrigen Verkehr nicht gefährdet. Art. 44 Abs. 1 SVG stellt nach der Rechtsprechung eine Vortrittsregel dar. Der auf seinem Fahrstreifen fahrende PW-Lenker hat einen Anspruch auf unbehinderte Fahrt auf diesem Streifen und ein Vortrittsrecht gegenüber einspurenden Fahrzeugen. Ein Wechsel des Fahrstreifens ist deshalb nicht nur bei einer Gefährdung, sondern bereits bei einer Behinderung des übrigen Verkehrs untersagt (Urteil des Bundesgerichts 6B_1190/2019 vom 11.2.2020 E. 1.2.1).

 

1.2 Gemäss Art. 31 Abs. 1 SVG muss der Führer das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Der Fahrzeugführer muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 VRV).

 

2. Der Beschuldigte übersah bei seinem Wechsel von der mittleren auf die äusserste rechte Fahrspur offensichtlich den PW zu Folge mangelnder Aufmerksamkeit. Ihm ist eine unbewusste Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Er führte damit nicht nur eine Gefährdung, sondern eine Verletzung der Rechtsgüter des PW-Führers herbei und verletzte die in den genannten Art. 31 Abs. 1 und 44 Abs. 1 SVG formulierten Vorsichtspflichten. Gestützt auf Art. 90 Abs. 1 SVG muss der Beschuldigte deshalb wegen Verletzung dieser Verkehrsregeln schuldig gesprochen und bestraft werden.

 

Nicht zu prüfen ist hingegen, ob die Voraussetzungen von Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt sind, denn das Verschlechterungsverbot gemäss Art. 391 Abs. 2 Satz 1 StPO, welches Anwendung findet, ist nicht nur bei einer Verschärfung der Sanktion, sondern auch bei einer härteren rechtlichen Qualifikation der Tat verletzt (BGE 139 IV 282 E. 2.5).

 

 

IV. Strafzumessung

 

1. Allgemeines zur Strafzumessung

 

Gemäss Art. 47 StGB misst der Richter die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Er berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahingehend präzisiert, dass dieses nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden (BGE 134 IV 17, E. 2.1, S. 19 f. mit Verweisen).

 

Hat der Täter durch eine mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen. Dabei ist es an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 StGB). Bei der Bildung der Gesamtstrafe gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB ist nach der Rechtsprechung vorab der Strafrahmen für die schwerste Tat zu bestimmen und alsdann die Einsatzstrafe für die schwerste Tat innerhalb dieses Strafrahmens festzusetzen. Schliesslich ist die Einsatzstrafe unter Einbezug der anderen Straftaten in Anwendung des Asperationsprinzips angemessen zu erhöhen, wobei er ebenfalls den jeweiligen Umständen Rechnung zu tragen hat (BGE 6B_405/2011 E. 5.4).

 

2. Schwerstes Delikt bildet die einfache Verkehrsegelverletzung gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG mit einem Strafrahmen von einer Busse bis CHF 10'000.00.

 

3. Die seitliche Kollision erfolgte nach einer momentanen Unachtsamkeit des Beschuldigten. Er übersah, als er den Spurwechsel vollziehen wollte, den PW auf der rechten Fahrspur, wobei davon auszugehen ist, dass die (gegenüber dem Lkw) höhere Fahrtgeschwindigkeit des PW diesen Vorgang begünstigt hat. Der Beschuldigte handelte unbewusst fahrlässig und damit mit der leichtesten Schuldform. Das subjektive Tatverschulden wiegt leicht. Nicht mehr leicht wiegt demgegenüber der objektive Taterfolg: Es blieb nicht bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung, sondern die Gefährdung realisierte sich in einem ziemlich spektakulären Unfall und einem beträchtlichen Sachschaden.

 

Ausgehend von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Beschuldigten (aktuelles durchschnittliches Monatseinkommen von netto CHF 4'700.00) sowie in Anbetracht der subjektiven und objektiven Tatschwere erscheint die von der Vorinstanz ausgefällte Busse von CHF 550.00 für die einfache Verkehrsregelverletzung eher als milde und jedenfalls nicht als zu hoch. Sie ist vom Berufungsgericht zu bestätigen.

 

4. Für die weitere Übertretung (Art. 21 ARV1: Nichteinhalten der Arbeitspausen) ist diese Strafe in Anwendung des Asperationsprinzips (Art. 49 Abs. 1 StGB) und in Bestätigung der vorinstanzlichen Erwägungen (vgl. US 11 oben/AS 174) um CHF 50.00 zu erhöhen.

 

5. Hinsichtlich der Täterkomponenten ist Folgendes zu berücksichtigen: Der Beschuldigte weist keine Vorstrafen und auch keine Eintragungen im IVZ (Informationssystem Verkehrszulassung) auf (AS 20).

 

Einen Entzug des Führerausweises hat der Beschuldigte nach seinen eigenen Angaben vor Obergericht wegen der einfachen Verkehrsregelverletzung nicht zu gewärtigen. Ihm wurde mit Blick auf den Vorfall vom 10. Dezember 2020 in administrativrechtlicher Hinsicht eine Verwarnung angedroht. Das Verfahren wurde bis zum Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens jedoch sistiert.

 

Insgesamt nehmen sich die Täterkomponenten neutral aus, so dass die erstinstanzlich ausgefällte Busse von CHF 600.00 zu bestätigen ist.

 

Für den Fall, dass diese Busse schuldhaft nicht bezahlt wird, spricht das Gericht eine Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Tagen aus (Art. 106 Abs. 2 StGB).

 

 

V. Kosten- und Entschädigungsfolgen

 

1. Kostenfolgen

 

1.1 In Anwendung von Art. 426 Abs. 1 i.V.m. Art. 428 Abs. 3 StPO hat der Beschuldigte die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 600.00, total CHF 1'200.00, zu bezahlen.

 

1.2 Der Beschuldigte unterliegt mit seiner Berufung vollständig, so dass er gemäss Art. 428 Abs. 1 StPO auch die gesamten Kosten des Rechtmittelverfahrens, welche mit einer Urteilsgebühr von CHF 2'000.00 total CHF 2'200.00 ausmachen, zu bezahlen hat.

 

2. Parteientschädigungen

 

2.1 Der Antrag des Beschuldigten, vertreten durch Fürsprecher Daniel Buchser, auf Zusprechung einer Parteientschädigung ist bei diesem Ausgang des Verfahrens abzuweisen (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO, e contrario).

 

2.2 Der Vertreter der Privatklägerin, Rechtsanwalt Roger Zenari, macht (inkl. den geschätzten Aufwand für die Teilnahme an der HV und Urteilseröffnung) für das Berufungsverfahren 22,29 Stunden zu je CHF 250.00, Auslagen von CHF 188.02 sowie 7,7 % MWST, total CHF 6'204.10, geltend.

 

Die Hauptverhandlung nahm insgesamt 1,75 Stunden in Anspruch. Für die Hin- und Rückreise vom Wohnort zum Gericht ist eine weitere Stunde hinzu zu zählen. Auf die öffentliche Urteilseröffnung verzichteten die Parteien, so dass diese Position entfällt. Demzufolge sind für den 3. Mai 2023 2,75 Stunden zu entschädigen (Kürzung um 2,25 Stunden). Für die Nachbearbeitung sind unter Berücksichtigung des zu erwartenden Aufwandes 0,5 Stunden zu entschädigen (Kürzung um 0,5 Stunden). Für die Briefe an die Klientin (Privatklägerin) werden vom Rechtsvertreter total 3,04 Stunden geltend gemacht. Vergegenwärtigt man sich, dass die Zivilforderung der Privatklägerin bereits rechtskräftig auf den Zivilweg verwiesen worden ist, erweist sich dieser Aufwand für die rein strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem Fall als zu hoch. Sollte es sich hierbei auch um Korrespondenz im Kontext mit haftpflichtrechtlichen Fragestellungen handeln, ist dieser Aufwand als verfahrensfremd zu qualifizieren und im Strafverfahren nicht zu entschädigen. Für die Korrespondenz mit der Klientin sind insgesamt 2 Stunden in Abzug zu bringen. Vergegenwärtigt man sich im Weiteren, dass sich der Rechtsvertreter der Privatklägerin für das Berufungsverfahren auf seine bisher erarbeiteten Unterlagen abstützen konnte und der Gegenstand des Berufungsverfahrens überschaubar war (insbesondere Wegfall des Zivilpunktes als Verfahrensgegenstand), so drängt sich hinsichtlich der Positionen vom 26. April 2023 (Aktenstudium, Rechtsabklärungen: 2,50 Stunden), 27. April 2023 (Vorb. Verhandlung, Plädoyer: 2,50 Stunden) und 2. Mai 2023 (Vorb. Verhandlung: 2 Stunden), total 7 Stunden, eine weitere Kürzung um 4 Stunden auf. Demzufolge macht der zu entschädigende Aufwand für das Berufungsverfahren 13,54 Stunden zu je CHF 250.00 (= CHF 3'385.00) aus.

 

Bei den Spesen ist die geltend gemachte Position vom 3. Mai 2023 (28 km [4 x 7 km] zu je CHF 0.60: CHF 16.80) um die Hälfte zu reduzieren, da die Hin- und Rückreise für die Urteilseröffnung wegfiel. Hinsichtlich der geltend gemachten Spesen für die Korrespondenz mit der Klientin hat eine Kürzung um CHF 14.60 zu erfolgen, was 2/3 der gesamten Auslagen für die Korrespondenz mit der Klientin entspricht. Bei den Spesen für die Kopien können ausschliesslich jene Vervielfältigungen entschädigt werden, welche auch effektiv dem Rechtsmittelverfahren zuzurechnen sind. Dies sind ermessensweise 50 Kopien zu je CHF 0.50, folglich CHF 25.00. Dies entspricht einer Kürzung um CHF 78.00 (vgl. Position vom 11.3.2022: 206 Stck. zu je CHF 0.50: CHF 103.00). Unter Berücksichtigung dieser Korrekturen machen die Spesen total CHF 87.00 (CHF 188.02 - CHF 8.40 - CHF 14.60 - CHF 103.00 + CHF 25.00) aus.

 

Die Parteientschädigung zugunsten der Privatklägerin B.___, vertreten durch Rechtsanwalt Roger Zenari, ist für das Berufungsverfahren auf total CHF 3'739.35 (Aufwand: CHF 3'385.00, Auslagen: CHF 87.00, 7,7 % MWST: CHF 267.35) festzusetzen und in Anwendung von Art. 433 Abs. 1 lit. a StPO vom Beschuldigten zu bezahlen.

 

Demnach wird in Anwendung von Art. 47, Art. 49 Abs. 1, Art. 106 StGB; Art. 90 Abs. 1 SVG; Art. 21 ARV1; Art. 126 Abs. 2 lit. b StPO, Art. 379 ff., Art. 398 ff., Art. 426 Abs. 1, Art. 428 Abs. 1 und 3 sowie Art. 433 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 436 Abs. 1 StPO festgestellt und erkannt:

1.      Gemäss rechtskräftiger Ziffer 1 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu vom 16. November 2021 (nachfolgend erstinstanzliches Urteil) ist A.___ vom Vorhalt der Übertretung Chauffeurverordnung ARV1 durch Nichteinhalten der täglichen Ruhezeit, angeblich begangen am 9. und 10. Dezember 2020, freigesprochen worden.

2.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 2 lit. b des erstinstanzlichen Urteils hat sich A.___ der Übertretung der Chauffeurverordnung ARV1 durch Nichteinhalten der Arbeitspausen, begangen am 9.  Dezember 2020, schuldig gemacht.

3.    A.___ hat sich der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln, begangen am 10. Dezember 2020, schuldig gemacht.

4.    A.___ wird zu einer Busse von CHF 600.00, ersatzweise zu 6 Tagen Freiheitsstrafe, verurteilt.

5.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 4 des erstinstanzlichen Urteils ist die Forderung der Privatklägerin B.___ gegenüber A.___ auf den Zivilweg verwiesen worden.

6.    Der Antrag von A.___, vertreten durch Fürsprecher Daniel Buchser, auf Zusprechung einer Parteientschädigung wird abgewiesen.

7.    A.___ hat der Privatklägerin B.___, vertreten durch Rechtsanwalt Roger Zenari, für das Berufungsverfahren eine Parteientschädigung von total CHF 3'739.35 (inkl. Auslagen und MWST) zu bezahlen.

8.    Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 600.00, total CHF 1'200.00, sowie die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 2'000.00, total CHF 2'200.00, hat A.___ zu bezahlen.

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Im Namen der Strafkammer des Obergerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

von Felten                                                                         Lupi De Bruycker



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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