Zusammenfassung des Urteils STBER.2022.79: Verwaltungsgericht
Zusammenfassung: Der Beschuldigte A.___ wurde wegen unbefugten Nichttragens einer Gesichtsmaske an einer politischen oder zivilgesellschaftlichen Kundgebung verurteilt. Er hatte Einspruch gegen den Strafbefehl erhoben, der ihm eine Busse von CHF 100.00 auferlegte. Nachdem die Staatsanwaltschaft am Verfahren festhielt, wurde A.___ vom Obergericht zu einer Busse von CHF 100.00 verurteilt. Er legte Berufung ein, die jedoch abgewiesen wurde. Die Vorinstanz bestätigte die Verurteilung und die Kosten von insgesamt CHF 2'300.00 wurden A.___ auferlegt.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | STBER.2022.79 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Datum: | 15.05.2023 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Beschuldigte; Kundgebung; Person; Vorinstanz; Maske; Urteil; Solothurn; Massnahmen; Verfahren; Personen; Recht; Berufung; Beschuldigten; Polizei; Gesichtsmaske; Urteils; Abend; Kundgebungen; Busse; Teilnehmer; Verordnung; Masken; Nichttragen; Verfahrens; Sachverhalt; Corona-Massnahmen; Kanton |
Rechtsnorm: | Art. 106 StGB ;Art. 145 StPO ;Art. 398 StPO ;Art. 4 BV ;Art. 428 StPO ;Art. 9 BV ; |
Referenz BGE: | 118 Ia 144; 127 I 54; 129 I 173; 131 IV 100; |
Kommentar: | Niklaus Schmid, Schweizer, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxis, 3. Auflage, Zürich, 2018 |
Geschäftsnummer: | STBER.2022.79 |
Instanz: | Strafkammer |
Entscheiddatum: | 15.05.2023 |
FindInfo-Nummer: | O_ST.2023.33 |
Titel: | Widerhandlung gegen die COVID-19-Verordnung besondere Lage - Unbefugtes Nichttragen einer Gesichtsmaske an einer politischen zivilgesellschaftlichen Kundgebung |
Resümee: |
Obergericht Strafkammer
Urteil vom 15. Mai 2023 Es wirken mit: Präsident von Felten Oberrichter Marti Gerichtsschreiberin Schmid In Sachen Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Anklägerin
A.___, vertreten durch Rechtsanwältin Therese Hintermann, Beschuldigter und Berufungskläger
betreffend Widerhandlung gegen die COVID-19-Verordnung besondere Lage – Unbefugtes Nichttragen einer Gesichtsmaske an einer politischen zivilgesellschaftlichen Kundgebung Die Berufung wird in Anwendung von Art. 406 Abs. 1 lit. c StPO im schriftlichen Verfahren behandelt. Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:
I. Prozessgeschichte
1. Am 13. Mai 2021 hielt sich A.___ (nachfolgend Beschuldigter) um 19:46 Uhr auf dem Kronenplatz in Solothurn auf, als dort nach Angaben der Stadtpolizei Solothurn eine Kundgebung erfolgte. Wegen unbefugten Nichttragens einer Gesichtsmaske wurde dem Beschuldigten ein Bussenzettel mit Bedenkfrist ausgestellt, dessen Frist er ungenutzt verstreichen liess (Aktenseite [AS] 24).
2. Mit Strafbefehl vom 2. Juli 2021 wurde der Beschuldigte wegen unbefugten Nichttragens einer Gesichtsmaske an einer politischen zivilgesellschaftlichen Kundgebung einer Unterschriftensammlung (Art. 13 lit. i i.V.m. Art. 6c Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage) zu einer Busse von CHF 100.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise 1 Tag Freiheitsstrafe, und zur Übernahme der Verfahrenskosten von CHF 100.00 verurteilt. Mit Eingabe vom 15. Juli 2021 erhob der Beschuldigte Einsprache gegen den Strafbefehl (vor Paginierung).
3. Die Staatsanwaltschaft überwies daraufhin am 17. August 2021 die Einsprache mit den Akten dem zuständigen Gericht und hielt an ihrem Strafbefehl fest. Mit Verfügung vom 26. August 2021 sistierte der Amtsgerichtspräsident von Solothurn-Lebern das Verfahren, retournierte die Anklage mit den Akten der Staatsanwaltschaft und schrieb das Verfahren von der Geschäftskontrolle ab; bis zu einer allfälligen Wiedereinreichung der Anklage liege die Verfahrensherrschaft bei der Staatsanwaltschaft.
4. Am 4. Oktober 2021 erliess die Staatsanwaltschaft einen inhaltlich ergänzten Strafbefehl und überwies die Einsprache des Beschuldigten dem Gerichtspräsidium zum Entscheid (Aktenseite [AS] 1 ff.).
5. Am 21. Februar 2022 fand die erste Hauptverhandlung statt. Aufgrund einer weiteren Zeugenbefragung wurde die Verhandlung unterbrochen und am 5. Juli 2022 fand die Fortsetzung der Hauptverhandlung statt. Gleichentags erliess der Amtsgerichtspräsident von Solothurn-Lebern folgendes Urteil:
1. A.___ hat sich des unbefugten Nichttragens einer Gesichtsmaske an einer politischen zivilgesellschaftlichen Kundgebung, begangen am 13. Mai 2021, schuldig gemacht. 2. A.___ wird zu einer Busse von CHF 100.00 verurteilt, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 1 Tag. 3. A.___ hat die Kosten des Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 600.00, total CHF 700.00, zu bezahlen. Wird kein Rechtsmittel ergriffen und verlangt keine Partei ausdrücklich eine schriftliche Begründung des Urteils, so reduziert sich die Urteilsgebühr um CHF 300.00, womit die gesamten Kosten CHF 400.00 betragen.
6. Gegen dieses Urteil meldete der Beschuldigte mit Schreiben vom 18. Juli 2022 die Berufung an (AS 100).
7. Nach Erhalt des begründeten Urteils am 18. August 2022 erklärte der Beschuldigte mit Eingabe vom 7. September 2022 die Berufung gegen sämtliche Ziffern des erstinstanzlichen Urteils, u.a. mit dem Rechtsbegehren, es sei der Beschuldigte von Schuld und Strafe freizusprechen. Begründend führte die Verteidigerin aus, dass unter der Geschäftsnummer STBER.2022.41 ein paralleles Verfahren hängig sei und aus prozessökonomischen Gründen sei das vorliegende Verfahren zu sistieren, bis im anderen Verfahren ein rechtskräftiges Urteil gefällt sei.
8. Mit Verfügung vom 3. Februar 2023 wurde der Antrag auf Sistierung abgewiesen und das schriftliche Verfahren angeordnet.
9. Die Berufungsbegründung datiert vom 1. Mai 2023 und es wurden folgende Anträge gestellt:
1. Der Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen. 2. Die Verfahrenskosten seien vom Staat Solothurn zu tragen. 3. Der Staat Solothurn sei zu verpflichten, dem Beschuldigten aus der Staatskasse eine angemessene Parteientschädigung gemäss eingereichter Kostennote zu bezahlen.
II. Kognition des Berufungsgerichts bei Übertretungen
1. Bildeten – wie vorliegend – ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils, so kann mit der Berufung nur geltend gemacht werden (Art. 398 Abs. 4 StPO): – das Urteil sei rechtsfehlerhaft oder – die Feststellung des Sachverhalts sei offensichtlich unrichtig beruhe auf einer Rechtsverletzung.
Bei Übertretungen sind die Rügemöglichkeiten somit limitiert, allerdings nur dann, wenn ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens bildeten. Die Rügemöglichkeiten lassen sich mit den früheren kantonalen Nichtigkeitsbeschwerden bzw. der heutigen Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vergleichen. Sämtliche Rechtsfragen sind mit freier Kognition zu prüfen, und zwar nicht nur materiellrechtliche, sondern auch prozessuale. Soweit die Beweiswürdigung bzw. die Feststellung des (rechtmässig erhobenen) Sachverhalts gerügt werden, beschränkt sich die Überprüfung auf offensichtliche Unrichtigkeit, also auf Willkür. Die Regelung entspricht somit derjenigen nach Art. 97 BGG. Auch bei der Überprüfung der Strafzumessung entspricht die Kognition des Berufungsgerichts derjenigen des Bundesgerichts. Solange die vom erstinstanzlichen Richter ausgesprochene Strafe als vertretbar erscheint, besteht kein Anlass, eine Korrektur am Strafmass vorzunehmen (Markus Hug in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Hrsg. Donatsch/Hansjakob/Lieber, 3. Auflage, Zürich/ Basel/Genf 2020, Art. 398 StPO N 23 mit Verweisen). Eine qualifizierte Rügepflicht ist eher zu verneinen, da es dazu an einer hinreichend klaren Rechtsnorm fehlt (Hug, a.a.O., Art. 398 StPO N 24).
Gerügt werden können wegen Rechtsverletzung Sachverhaltsfeststellungen, welche auf einer Verletzung von Bundesrecht, in erster Linie von Verfahrensvorschriften der StPO, beruhen, welche unter offensichtlich ungenügendem Ausschöpfen zur Verfügung stehender Beweismittel erfolgten und bei welchen der Sachverhalt daher unvollständig festgestellt worden und mithin in Missachtung des Grundsatzes der Wahrheitsforschung von Amtes wegen (Untersuchungsgrundsatz) erfolgt ist (Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Auflage, Zürich/St. Gallen 2018, Art. 398 StPO N 13).
Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung einzig vor, wenn der angefochtene Entscheid auf einer schlechterdings unhaltbaren widersprüchlichen Beweiswürdigung beruht bzw. im Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 129 I 173 E. 3.1, BGE 6B_811/2007 E. 3.2). Dass auch eine andere Beweiswürdigung in Betracht kommt sogar naheliegender ist, genügt praxisgemäss für die Begründung von Willkür nicht (BGE 131 IV 100 E. 4.1; 127 I 54 E. 2b mit Hinweisen). Willkür liegt sodann nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 127 I 54 E. 2b, 60 E. 5a, je mit Hinweisen; BGE 1P.232/2003 vom 14. Juli 2003, BGE 6B_811/2007 vom 25. Februar 2008, E. 3.2 mit weiteren Hinweisen). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann das Abstellen auf eine nicht-schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen einen Verstoss gegen Art. 4 BV (Verbot willkürlicher Beweiswürdigung) nach sich ziehen (BGE 118 Ia 144).
2. Neue Behauptungen und Beweise können nicht vorgebracht werden (Art. 398 Abs. 4 StPO). Neu im Sinne dieser Bestimmung sind Tatsachen und Beweise, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgebracht wurden. Nicht darunter fallen demgegenüber Beweise, die beantragt, erstinstanzlich jedoch abgewiesen wurden. Der Berufungskläger kann im Berufungsverfahren namentlich rügen, die erstinstanzlich angebotenen Beweise seien (in antizipierter Beweiswürdigung) willkürlich abgewiesen worden. Desgleichen kann auch der Berufungsgegner seine erstinstanzlichen Beweisanträge im Berufungsverfahren erneuern (Urteil des Bundesgerichts 6B_362/2012 vom 29. Oktober 2012).
III. Sachverhalt und Beweiswürdigung
1. Vorhalt
Dem Beschuldigten wird gemäss inhaltlich ergänztem Strafbefehl vom 4. Oktober 2021 folgendes vorgehalten:
Unbefugtes Nichttragen einer Gesichtsmaske an einer politischen zivilgesellschaftlichen Kundgebung (Art. 13 lit. i i.V.m. Art. 6c Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage [Stand 13. Mai 2021]) Begangen am 13. Mai 2021, um 19:46 Uhr, in Solothurn, Kronenplatz, indem sich der Beschuldigte vorsätzlich Massnahmen betreffend örtlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe sowie Veranstaltungen widersetzt habe. Konkret habe der Beschuldigte zur Tatzeit zumindest eventualvorsätzlich anlässlich einer Kundgebung keine Gesichtsmaske getragen, obwohl ihm aufgrund der COVID-19-Pandemie und der medialen Berichterstattung über die aktuell geltenden Massnahmen habe bekannt sein müssen, dass anlässlich einer Kundgebung eine Maskentragepflicht bestehe. Durch das Nichttragen der Gesichtsmaske anlässlich der Kundgebung habe der Beschuldigte zumindest in Kauf genommen, sich den aktuell geltenden Massnahmen betreffend öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe sowie Veranstaltungen zu widersetzen.
2. Unbestrittener Sachverhalt und Beweisergebnis der Vorinstanz
2.1. Wie die Vorinstanz festhält (Urteilsseite [US] 5), bestreitet der Beschuldigte nicht, sich zum Tatzeitpunkt am Tatort auf dem Kronenplatz aufgehalten zu haben. Auch bestreitet er nicht, keine Maske getragen zu haben. Strittig ist, ob er zum Tatzeitpunkt verpflichtet gewesen wäre, eine Maske zu tragen. Der Beschuldigte behauptet, er habe nicht an einer Kundgebung teilgenommen bzw. es habe gar keine Kundgebung stattgefunden, sondern er habe lediglich einen Ausflug mit Familie und Freunden in die Altstadt von Solothurn unternommen.
2.2. Die Vorinstanz erachtete als erstellt, dass sich am Auffahrts-Donnerstag, 13. Mai 2021, Corona-Massnahmen-Gegner zu einem «Abendspaziergang» getroffen hätten, um gegen die besagten Massnahmen ein Zeichen zu setzen. Der Beschuldigte habe sich deshalb am 13. Mai 2021 am Abend um ca. 19:40 Uhr auf dem Kronenplatz mit der Absicht aufgehalten, sich gegen die Corona-Massnahmen zu wehren. Der Beschuldigte habe bis zuletzt nicht bestritten, zum Tatzeitpunkt keine Maske getragen zu haben. Auch habe er kein gültiges Arztzeugnis zu den Akten gereicht, welches ihn von der Maskentragepflicht befreit hätte. Dem Beschuldigten habe bekannt sein müssen, dass eine Maskenpflicht bestanden habe und er habe zumindest in Kauf genommen, sich den geltenden Massnahmen zu widersetzen.
Bei objektiver Betrachtung bestünden keine Zweifel, dass sich der Sachverhalt so abgespielt habe, wie dies im Strafbefehl vom 2. Oktober 2021 (recte: 4. Oktober 2021) festgehalten sei.
3. Beweismittel
3.1. Videoaufnahme auf USB-Stick (vor AS 25)
Das von der Verteidigerin eingereichte Video zeigt eine sieben sekündige Aufnahme des Klosterplatzes in Solothurn. Die filmende Person steht dabei am Rand der Terrasse der Suteria, die Kamera richtet sich auf den Platz mit der St. Ursen Kathedrale im Hintergrund. Es sind mindestens 15 16 Polizisten und Polizistinnen (eine Person nicht zweifelsfrei als Polizeibeamte erkennbar) zu sehen und mindestens sieben Personen ohne eine Gesichtsmaske. Gesamthaft sind rund 28 Personen auszumachen, die sich auf dem Platz aufhalten. Einige Personen ohne Maske sprechen mit Polizisten, mehrere Polizisten schreiben etwas auf. Mehr ist nicht zu sehen und es sind auch keine Gesprächsinhalte hörbar.
3.2. Schreiben der Kantonspolizei vom 15. Februar 2022 (AS 31)
Mit Verfügung vom 9. Februar 2022 setzte die Vorinstanz der Kantonspolizei Solothurn Frist, den Polizeirapport des Einsatzes vom 13. Mai 2021 einzureichen (AS 25). Das Schreiben vom 15. Februar 2022 erklärt, dass ein solcher Rapport nicht vorliege. Der Meldungseingang, die Feststellungen und Massnahmen der Polizei seien im Behördentagebuch festgehalten. Dieser Eintrag werde im Sinne eines Amtsberichts wie folgt zusammengefasst: Am Donnerstag, 13. Mai 2021, 17:09 Uhr, sei bei der Alarmzentrale der Polizei Kanton Solothurn die Meldung eingegangen, «Gegner» der Corona-Massnahmen riefen in Sozialen Medien für diesen Abend zu einem Abendspaziergang in Solothurn auf, Treffpunkt sei die St. Ursen Kathedrale, Beginn der Kundgebung sei 19:30 Uhr. Korpsangehörige der Stadtpolizei Solothurn und der Polizei Kanton Solothurn seien aufgeboten worden. Sie hätten vor der Kathedrale zehn Kundgebungsteilnehmende festgestellt. Insgesamt habe die Polizei neun Ordnungsbussen (damalige OB-Ziffer 16006) erhoben, u.a. auch gegen den Beschuldigten. Eine Person sei verzeigt worden. Die Akzeptanz der Amtshandlungen habe sich «in Grenzen gehalten», heisse es im Behördentagebuch. Nach der Bussenerhebung habe sich die Kundgebung aufgelöst, heisse es abschliessend.
3.3. Aussage des Zeugen C.___ vor der Vorinstanz (AS 37 ff.)
Der Zeuge C.___ gab vor der Vorinstanz folgendes an: Sie hätten Hinweise gehabt, dass dort in Solothurn eine Corona-Demonstration stattfinden werde. So habe man entsprechend Leute aufgeboten. Er sei aus dem Pikett gekommen. Woher der Hinweis gekommen sei, wisse er nicht, auch wie die Demonstration angekündigt worden sei, habe er nicht mitbekommen. Vor Ort hätten sie zehn Personen als Demonstranten identifiziert und isoliert und dann kontrolliert. Auf die Frage, wie sie die Personen als Demonstranten identifiziert hätten, gibt der Zeuge an, niemand habe eine Maske getragen und sie hätten die Abstände nicht eingehalten. Und sonst habe es nicht viele Leute in der Stadt gehabt. Es sei die einzige Gruppe gewesen, die dort gewesen sei. Ob es sonstige Hinweise gegeben habe (z.B. Plakate), wisse er nicht mehr. Die Personalien seien festgestellt worden und direkt vor Ort Bussen ausgestellt worden. Eine Person habe die Busse nicht angenommen, die sei verzeigt worden. Die Reaktion der Leute sei Unverständnis für den Einsatz gewesen. Sie seien sehr viele Polizisten für zehn Leute gewesen. Es habe Diskussionen über Sinn und Unsinn gegeben. Ob vorgebracht worden sei, dass es gar keine Demonstration gegeben habe und sich diese Leute zufällig getroffen hätten, könne er nicht mehr sagen. Er erinnere sich an den Beschuldigten. Dieser sei mit seiner Mutter dort gewesen. Sie hätten miteinander diskutiert. Man habe einander nicht «angefeilt», man habe versucht, es zu erklären. Auf die Frage, ob man vorher nicht darauf hingewiesen habe, dass wenn sie demonstrieren wollen, sie eine Maske anziehen müssten und es dann in Ordnung gehe, sagte der Zeuge aus, doch, das hätten sie gesagt. Das habe der Einsatzleiter, Herr G.___ von der Kapo, übernommen. Zu demonstrieren sei, glaube er, nicht erlaubt gewesen. Herr G.___ habe gesagt, sie müssten es auflösen. Dann seien die Personen weiterhin in dieser Gruppierung gestanden und man habe Bussen verteilt. Im Auftrag der Kapo habe vorwiegend die Stadtpolizei die Bussen ausgestellt. Man habe sie schon ein wenig separiert. Auf die Frage, ob er der Meinung sei, dass man zu dieser Zeit gar nicht habe demonstrieren dürfen, gibt der Zeuge an, ja, zu dieser Zeit habe ein Versammlungsverbot gegolten. Auf die Ergänzungsfrage, wenn ein Versammlungsverbot gegolten habe, wofür dann die Busse ausgestellt worden sei, antwortete er, weil sie den Mindestabstand nicht eingehalten und keine Maske getragen hätten. Das habe zu der Zeit für jedermann gegolten.
3.4. Aussagen des Beschuldigten vor der Vorinstanz vom 21. Februar 2022 (AS 44 ff.)
Der Beschuldigte schilderte das Geschehen vor der Vorinstanz im Wesentlichen wie folgt: Seine Mutter sei am Nachmittag zu ihm gekommen und habe gefragt, ob sie einen Familienausflug machen und in der Stadt herumlaufen wollten, sein Onkel D.___ und E.___ kämen auch mit. Zwischen 18:00 und 18:30 Uhr wollten sie losfahren. So seien sie nach Solothurn gekommen. Das Ziel sei gewesen, dass sie durch die Altstadt laufen, sie hätten ja einen [Fachberuf] bei sich. Er habe ihnen über die verschiedenen Zeiten erzählt. Später hätten sie einen Kaffee trinken wollen, seien aber ja aufgehalten worden. Das sei vor der St. Ursen Kathedrale gewesen. Er sei vorher mit seinem Onkel die Müllerbäckerei anschauen gegangen. Das sei seine Lieblingsbäckerei, dort gebe es ganz gutes Brot. Anschliessend sei er mit seinem Onkel wieder Richtung St. Ursen Kathedrale gelaufen. Er habe seine Mutter vorne gesehen. Zudem seien vereinzelt Leute dort gewesen. Sein Vater habe Knieprobleme und habe sich bei der Suteria hingesetzt. Sein Onkel sei beim Vater geblieben. Er sei dann zur Mutter gegangen und habe wissen wollen, was sie dort mache. Keine fünf Minuten später seien sie eingekesselt worden. Auf die Frage, ob es nicht wie eine Kundgebung ausgesehen habe, gab der Beschuldigte an, nein, es habe keine Flyer Sticker und so gegeben. Es seien normale Leute wie sie dort gestanden. Mit ihnen seien es ca. zehn Nasen gewesen. Sie seien verstreut gewesen. Er habe nichts von einer Kundgebung gewusst dass eine Demonstration stattfinden sollte. Er habe wissen wollen, was seine Mutter mache. Sie sei dort gestanden, habe die St. Ursenkirche angeschaut und sei dort mit jemandem im Gespräch gewesen. Er sei dann hinzugekommen. Er sei daneben gestanden und habe sich umgeschaut. Er habe nicht zugehört, was sie gesprochen hätten. Dazu könne er nichts sagen. Keine fünf Minuten später seien sie eingekreist worden. Sie hätten alle keine Maske angehabt. Das stimme. Aber von einer Wegweisung Kundgebung habe man ihnen nichts gesagt. Sie seien auch nicht ermahnt worden, eine Maske anzuziehen. Sie seien einfach von oben nach unten gekommen. Sie hätten ihnen den Weg genommen. Und dann habe es geheissen, eine Personenkontrolle werde durchgeführt. Es seien mindestens 20 Polizisten dort gewesen. Die Polizei habe sie nicht aufgefordert, den Platz zu verlassen. Sie seien dort gestanden. Sie hätten keine Auskunft bekommen, was passiere. Erstmals Personenkontrolle. Aber der weitere Verlauf sei ihnen nicht beschrieben worden. So seien einige Minuten verstrichen. Irgendwann sei jemand auf sie zugekommen und dann habe es geheissen, dass sie eine Ordnungsbusse bekämen wegen «Nichttragen einer Maske». Er sei schockiert gewesen. Er habe gewusst, mehr als zehn Leute dürften nicht zusammen sein. Es habe das Versammlungsverbot gegolten. Sie seien ja aber als Familie gegangen. Sie seien garantiert weniger als 15 Leute gewesen. Er habe sich sicher gefühlt, dass sie kein Verbrechen begehen. Auf die Frage, ob er den Polizisten nicht gesagt habe, dass er nur mit der Familie ohne Maske in die Stadt gehen könne, gab der Beschuldigte an, das hätte man fragen können. Sie hätten das nicht gemacht, sie seien einfach «baff» gewesen. Niemand habe darauf aufmerksam gemacht, dass eine Maskenpflicht bei Kundgebungen gelte. Angesprochen auf seine Eingabe vom 15. Juni 2021 gab der Beschuldigte an, er habe sich mit seiner Mutter beraten, sie habe gesagt, was er machen solle. Die eingereichten 38 Seiten [eines alternativen Gesundheitsnetzwerks] hätte es von ihm aus nicht gebraucht, aber seine Mutter habe es so gewollt und für richtig empfunden.
3.5. Einvernahme des Beschuldigten vor der Vorinstanz vom 5. Juli 2022 (AS 81 f.)
Der Beschuldigte wurde anlässlich der fortgesetzten Hauptverhandlung vom 5. Juli 2022 nochmals kurz befragt. Dabei wurde er lediglich gefragt, ob ihm bewusst sei, dass E.___, der auch an der Verhandlung anwesend war, ein sogenanntes […] erstellt habe. Der Beschuldigte verneinte.
3.6. Allgemeiner Bericht von G.___ vom 23. Mai 2022 (AS 70 f.)
3.6.1. Auf Verfügung der Vorinstanz wurde von G.___ ein Bericht verlangt, anstatt eine Zeugenbefragung durchzuführen. Die Verteidigerin bringt vor, der Bericht von G.___ dürfe nicht zu Lasten des Beschuldigten verwertet werden. Selbiges hatte sie bereits im Plädoyer vor der Vorinstanz ausgeführt. Auf die entsprechenden Ausführungen der Vorinstanz (US 4 f.) kann verwiesen werden, diese sind nicht zu beanstanden. Soweit sie die Rechtsbelehrung von G.___ beanstandet, ist festzuhalten, dass dieser als Polizeibeamter, der sich der Rechte und Pflichten einer einzuvernehmenden Person zweifellos bewusst ist, mit dem Hinweis auf Art. 145 StPO ausreichend belehrt wurde.
3.6.2. Dem Bericht kann entnommen werden, dass die Polizei Kanton Solothurn am 13. Mai 2021 aus den sozialen Medien erfahren habe, dass «Corona-Gegner» zu einem Abendspaziergang um 19:30 Uhr aufgerufen hätten. Als Besammlungsort sei der Kronenplatz / die Treppe vor der St. Ursen Kathedrale publiziert worden. Gestützt auf diesen Umstand habe der Kommandant ein spontanes personelles Aufgebot erlassen, mit der Absicht, die Einhaltung der geltenden Corona-Massnahmen zu überprüfen und allenfalls Widerhandlungen zu ahnden. Die Gesamteinsatzleitung habe dem Kommandanten selbst oblegen. Er selbst habe in der Dienstpflicht als Regionalchef Mitte die Funktion Einsatzleiter Front übernommen. Zu Fuss habe sich das Pol Detachement in Uniform gekleidet via Zeughausgasse in die Hauptgasse und anschliessend direkt zum Kronenplatz verschoben. Auf dem Kronenplatz bzw. vor der Treppe der St. Ursen Kathedrale habe sich eine kleinere Ansammlung von Personen befunden, plus minus zehn Personen. Die genaue Anzahl könne er aktuell nicht wiedergeben. Fakt sei aber, dass die Personen kaum Abstand untereinander eingehalten hätten und zudem keine Hygienemasken getragen hätten. Der vom BAG verfügte Mindestabstand von 1.5 m sei klar missachtet worden. Er habe zum Eigenschutz und vorschriftsgemäss eine Hygienemaske getragen und sei vor die Kundgebungsteilnehmer getreten. Dabei sei er stets bedacht gewesen, den vorgeschriebenen Mindestabstand einzuhalten. Er habe sich namentlich vorgestellt und ihnen mitgeteilt, dass er als Einsatzleiter agiere. Anschliessend habe er laut und deutlich die Direktive erteilt, Abstand untereinander einzuhalten und Hygienemasken anzuziehen, gemäss den damals geltenden Corona-Massnahmen. Diese Anweisungen habe er mehrfach mitgeteilt. Sämtliche Anweisungen seien weiterhin vehement und absichtlich ignoriert worden und ein konstruktiver Dialog habe nicht geführt werden können. Im Weiteren habe er informiert, dass sämtliche Kundgebungsteilnehmer einer Personenkontrolle unterzogen würden. Er habe folgende Ziele mit der Kontrolle zu erreichen versucht, nicht kommuniziert, aber als Strategie festgelegt: Gesetzlichen Mindestabstand unter den Demonstranten erreichen und Feststellung der Personalien zwecks allfälliger Ordnungsbussen. In der Folge habe er die anwesenden Mitarbeitenden angewiesen, die Personen einer Kontrolle zu unterziehen und entsprechende Ordnungsbussen auszustellen. Im Anschluss an diese Amtshandlung seien sie besorgt gewesen, dass die Mindestabstände von 1.5 m untereinander eingehalten würden und dass die Kundgebung aufgelöst worden sei. Nach einer gewissen Zeit hätten die vorerwähnten Massnahmen vollzogen werden können. Die eingesetzten Mitarbeiter hätten sich nicht provozieren lassen und verhältnismässig agiert.
4. Rechtsrelevanter Sachverhalt
4.1. Der Bericht der Polizei Kanton Solothurn vom 15. Februar 2022 und die Schilderungen des Einsatzleiters G.___ vom 23. Mai 2022 stimmen in ihren Aussagen überein, wonach aufgrund eines Aufrufes in den sozialen Medien von Gegnern der Corona-Massnahmen zu einer Kundgebung in Form eines Abendspazierganges um 19:30 Uhr bei der St. Ursen Kathedrale ein spontanes Aufgebot erlassen und die der Kundgebung beiwohnenden Personen kontrolliert wurden. Auch der Zeuge C.___ bestätigte diese Angaben. Es sind keinerlei Gründe ersichtlich, weshalb die Angehörigen der Kantonspolizei Solothurn allesamt falsche Angaben machen sollten. Auf ihre Ausführungen kann ohne Weiteres abgestützt werden. Die Akten enthalten zwar keine Unterlagen zu diesem Abendspaziergang und zum heutigen Zeitpunkt können mittels Internet-Suche auch keine Hinweise mehr gefunden werden. Dies ist aber denn auch nicht ungewöhnlich, da sich zahlreiche Corona-Massnahmen-Gegner auf Plattformen von sozialen Medien austauschen, die nicht ohne Weiteres öffentlich einsehbar nur für bestimmte Gruppen Mitglieder zugänglich sind. Aufgrund der geringen Anzahl Teilnehmer erstaunt es denn auch nicht, dass dieser Abendspaziergang nicht in den Medien erwähnt wurde. Die von der Vorinstanz angenommene Gerichtsnotorietät ist daher heute nicht mehr überprüfbar. Durch die übereinstimmenden Aussagen des Zeugen und G.___ ist aber dennoch erstellt, dass Gegner der Corona-Massnahmen für den 13. Mai 2021 zu einem organisierten Abendspaziergang in Solothurn aufriefen und die Kantonspolizei deswegen ausrückte. Ebenfalls ist aufgrund der übereinstimmenden Aussagen erstellt, dass sich ca. zehn Personen an besagtem Spaziergang beteiligten. Dies ist denn auch aus der eingereichten Videoaufnahme der Kontrolle ersichtlich. Die Feststellungen der Vorinstanz sind demnach nicht unrichtig willkürlich.
4.2. Der Beschuldigte bestreitet, an diesem Abendspaziergang teilgenommen zu haben und führt aus, er habe lediglich mit seiner Familie und E.___ einen Spaziergang in der Stadt gemacht. Auch diese Ausführungen sind unglaubwürdig. Wie die Vorinstanz korrekt feststellte, bekannte sich der Beschuldigte mit seiner Eingabe vom 16. Juli 2021 eindeutig als Gegner der Corona-Massnahmen. Seine diesbezüglichen Angaben an der Hauptverhandlung und in der Berufungsbegründung, seine Mutter habe gewollt, dass er dies einreiche, sind nicht zu hören. Ebenso unglaubwürdig sind die Angaben des Beschuldigten, ihm sei das massnahmenkritische Auftreten und Wirken des angeblichen Familienfreundes E.___ nicht bekannt. Diesen Schluss unterstrich dessen Teilnahme an der Hauptverhandlung vor der Vorinstanz vom 5. Juli 2022, an der auch andere offensichtliche Massnahmengegner anwesend waren. Wie die Vorinstanz festhielt, ist die massnahmenkritische Haltung des Beschuldigten nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Der Vorinstanz ist jedoch auch zuzustimmen, wenn sie ausführt, dass seine Haltung seine Behauptung als sehr unwahrscheinlich erscheinen lässt, er sei an diesem Abend nur zufällig am Ort des Abendspazierganges gewesen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz kann vollumfänglich verwiesen werden (Urteilsseite [US] 9).
4.3. Der Sachverhalt gemäss Strafbefehl vom 4. Oktober 2021 ist erstellt, was von der Vorinstanz korrekt und willkürfrei festgestellt wurde. Es ist erstellt, dass der Beschuldigte an diesem Abendspaziergang von Massnahmengegnern teilnahm und dabei – was er auch nie bestritten hatte – keine Maske trug.
IV. Rechtliche Würdigung
1. Rechtliche Grundlagen
1.1. Die Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie vom 19. Juni 2020 (Covid-19-Verordnung besondere Lage, SR 818.101.26 [Stand am 13. Mai 2021]) sah unter Art. 6c («besondere Bestimmungen für Versammlungen politischer Körperschaften, politische und zivilgesellschaftliche Kundgebungen sowie Unterschriftensammlungen») u.a. folgende Ausnahme der nach Art. 6 («besondere Bestimmungen für Veranstaltungen sowie für Messen») Abs. 1 geltenden Bestimmung, wonach die Durchführung von Veranstaltungen mit mehr als 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmern verboten ist, vor:
Für politische und zivilgesellschaftliche Kundgebungen und für Unterschriftensammlungen sind die Artikel 4–6 nicht anwendbar. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen eine Gesichtsmaske tragen; es gelten jedoch die Ausnahmen nach Artikel 3b Absatz 2 Buchstaben a und b. (Abs. 2)
Unter den Strafbestimmungen sah Art. 13 lit. i sodann vor, dass mit Busse bestraft wird, wer an einer politischen zivilgesellschaftlichen Kundgebung einer Unterschriftensammlung vorsätzlich fahrlässig keine Gesichtsmaske trägt, sofern nicht eine Ausnahme nach Artikel 6c Absatz 2 zweiter Satz gegeben ist.
Bei den unter Art. 3b Abs. 2 lit. a und b genannten Ausnahmen handelte es sich sodann um Kinder vor ihrem 12. Geburtstag (lit. a) und Personen, die nachweisen können, dass sie aus besonderen Gründen, insbesondere medizinischen, keine Gesichtsmasken tragen können (lit. b).
1.2. Der Basler Kommentar zur Bundesverfassung führt folgendes aus: Das Bundesgericht versteht unter Versammlungen i.S.v. Art. 22 «unterschiedlichste Arten des Zusammenfindens von Menschen im Rahmen einer gewissen Organisation mit einem weit verstandenen gegenseitig meinungsbildenden meinungsäussernden Zweck». Eine Versammlung ist somit eine Zusammenkunft von mehreren Personen, wobei zwei Teilnehmende nach herrschender Lehre ausreichen. Im Unterschied zur Vereinigungsfreiheit gewährleistet die Versammlungsfreiheit eine vorübergehende, rechtlich nicht organisierte Verbindung. Eine Mindest- Höchstdauer lässt sich nicht abstrakt festlegen. Geschützt werden sowohl statische Zusammenkünfte (z.B. Platzkundgebungen) als auch dynamische Veranstaltungen (Umzüge, Marschkundgebungen), unabhängig davon, ob sie auf privatem öffentlichem Grund, unter freiem Himmel in geschlossenen Räumen stattfinden, ob der Kreis der Teilnehmer offen geschlossen ist. Die Meinungsbildung und -kundgabe kann sich primär gegen innen (d.h. an die anderen Teilnehmenden) gegen aussen (Appellfunktion an Dritte) richten, auf verbalem nicht verbalem (d.h. symbolischem) Weg erfolgen (Schweigemärsche, Lichterketten, Bummelfahrten auf der Autobahn). An das Kriterium der «gewissen Organisation» dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden: Eine minimale Verbindung zwischen den Teilnehmenden genügt. Erfasst werden somit Spontankundgebungen, nicht jedoch zufällige Ansammlungen von Einzelpersonen und Schaulustigen ohne verbindendes Ziel, wie z.B. ein Menschenauflauf bei einem Verkehrsunfall Warteschlangen an einer Bushaltestelle (Maya Hertig in: Basler Kommentar Bundesverfassung, Hrsg. Waldmann/Belser/Epiney, Basel, 2015 [BSK BV-Hertig], Art. 22 N 3 f. m.w.H.).
1.3. Zu Art. 6c Abs. 2 der Covid-19-Verordnung besondere Lage hielt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in den damals gültigen Erläuterungen zur Verordnung vom 19. Juni 2020 über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der COVID-19-Epidemie (Version vom 12. Mai 2021) fest, dass diese Bestimmung spezifische Vorgaben für politische und zivilgesellschaftliche Kundgebungen beinhaltet. Für diese sind die Artikel 4–6 nicht anwendbar. Auch das Verbot von Menschenansammlungen in Artikel 3c findet keine Anwendung. Als politische und zivilgesellschaftliche Kundgebungen bzw. Demonstrationen gelten Veranstaltungen, die der politischen und gesellschaftlichen Meinungsäusserung und -bildung dienen und typischerweise im öffentlichen Raum stattfinden. Nicht darunter fallen z.B. Parteiversammlungen, Versammlungen von sozialen Bewegungen, Einreichungen von Volksinitiativen fakultativen Referenden, Sitzungen und Sessionen legislativer Organe wie Landsgemeinden Gemeindeversammlungen sowie Parlamente von Kantonen und Gemeinden; diese sind nach den Voraussetzungen von Absatz 1 (und gegebenenfalls Art. 7) zulässig. Zur Abgrenzung der politischen und zivilgesellschaftlichen Kundgebungen von den Veranstaltungen zur politischen Meinungsbildung (Art. 6 Abs. 1 Bst. b) ist Folgendes festzuhalten: erstere sind primär auf die Aussenwirkung bedacht und finden meist im öffentlichen Raum zumindest im öffentlich einsehbaren Raum statt (Umzüge etc., bspw. Klimastreik, 1.-Mai-Umzüge). Letztere finden meist in Einrichtungen statt (Hallen, Säle) und bezwecken – im Sinne einer Innenwirkung – hauptsächlich die politische Meinungsbildung jeder einzelnen anwesenden Person; die Aussenwirkung auf Dritte steht nicht im Zentrum (bspw. Versammlungen von Parteien und Komitees, Informationsveranstaltungen von Gemeinden für Bürgerinnen und Bürger zu einem konkreten Projekt, über das abzustimmen ist etc.). Da Kundgebungen in einer grund- und staatsrechtlichen Perspektive eine hohe Bedeutung zukommt, sind sie besonders geregelt und werden insofern privilegiert, als dass nicht sämtliche an übrige Veranstaltungen gestellten Anforderungen erfüllt sein müssen. Bei Kundgebungen gilt keine Begrenzung der teilnehmenden Personen. Diese Freigabe geht einher mit der Pflicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, eine Gesichtsmaske zu tragen. Auf diese Art und Weise kann das Recht auf freie Meinungsäusserung bei Kundgebungen mit dem erforderlichen Schutz gewährleistet werden. Von der Pflicht, eine Gesichtsmaske zu tragen, gelten gemäss Artikel 3b Buchstaben a und b die gleichen Ausnahmen wie im öffentlichen Verkehr (Kinder vor ihrem 12. Geburtstag sowie besondere, insb. medizinische Gründe). Bei Kundgebungen besteht keine Pflicht zur Erarbeitung und Umsetzung eines Schutzkonzepts. Die Durchführung von Kundgebungen im öffentlichen Raum untersteht aber im Übrigen kantonalem Recht; im Rahmen der Beurteilung des Bewilligungsgesuchs kann die zuständige kantonale Behörde deshalb Auflagen machen, die letztlich auch dem Schutz vor Übertragungen dienen, beispielweise zur geplanten Route zur Vermeidung enger Strassen zu kleiner Plätze.
2. Im Konkreten
2.1. Die Vorinstanz setzte sich in ihrem Urteil ausführlich mit der rechtlichen Würdigung und den diesbezüglichen einzelnen Vorbringen des Beschuldigten auseinander (US 10 ff.). Wie sie korrekt ausführte, handelte es sich klar um eine Kundgebung, auch wenn der Teilnehmerkreis mit ca. zehn Personen eher klein ausfiel. Daran ändert auch das vom Beschuldigten eingereichte Merkblatt der Stadtpolizei Zürich betreffend Demonstrationen und Kundgebungen (Stand Mai 2020), die eine Grenze von «mehr als zehn Personen» für eine Kundgebung festlegt, nichts. Es handelt sich dabei lediglich um eine Richtlinie einer Kantonspolizei, die im Gesetz keinerlei Stütze findet und keineswegs allgemein gültig ist. Wie die Vorinstanz richtig festhielt, haben sich vorliegend mehrere Personen mit der gleichen Gesinnung zur selben Zeit am selben Ort zu einem meinungsbildenden und –äussernden Zweck zusammengefunden, womit sämtliche Kriterien einer Kundgebung erfüllt sind. Die Teilnehmenden wollten ein politisches Anliegen – die Kritik an den Massnahmen während der Corona-Pandemie – kundtun. Daran ändert auch die eingereichte Videoaufnahme und die vorgebrachte Kritik an der Verhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes nichts und es kann auf die ausführliche Begründung der Vorinstanz verwiesen werden.
2.2. Auch wenn der Beschuldigte behauptet, niemand habe ihn auf die geltende Maskenpflicht hingewiesen, kann auf die gegenteiligen Aussagen der Polizeibeamten abgestellt werden. Sowohl C.___ als auch G.___ gaben überzeugend an, G.___ als Einsatzleiter habe die Teilnehmer auf die Maskenpflicht aufmerksam gemacht und gefordert, eine solche anzuziehen. Es wäre im Weiteren jedoch gar nicht nötig gewesen, die Anwesenden auf die geltende Maskenpflicht aufmerksam zu machen. Die Teilnehmer der Kundgebung hatten die sie betreffenden Regeln zu kennen (und kannten sie bestimmt auch). Die Feststellung der Vorinstanz, der Beschuldige habe die geltenden Bestimmungen zur Maskenpflicht vorsätzlich verletzt, ist daher nicht zu beanstanden.
2.3. Die weiteren Vorbringen der Verteidigung beziehen sich einerseits auf die Verhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes. Diesbezüglich kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden. Es mag zwar zutreffen, dass sich in Anbetracht der geringen Teilnehmerzahl der Kundgebung sehr viele Polizeibeamte an der Kontrolle beteiligten. Wie bereits die Vorinstanz ausführte, war das Ausmass der Kundgebung im Vornerein für die Polizei sehr schwer abzuschätzen. Daraus kann der Beschuldigte nichts für sich ableiten. Wiederum hinkt der Vergleich der Verteidigung mit der Stadtpolizei Zürich (Beilage 10 der Berufungsbegründung). Aus einer abgewiesenen Aufsichtsbeschwerde betreffend die Nichtauflösung einer Demonstration wegen fehlenden Masken auf eine für die ganze Schweiz gültige Verhaltensregel der Polizei zu schliessen, geht vollends fehl. Zum anderen lässt sich die Verteidigung wiederum über die Wirksamkeit und Verhältnismässigkeit der Corona-Massnahmen an sich aus, was nicht Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens bildet, wie dies auch die Vorinstanz zu Recht festhielt. Ebenso wenig spielt es für das vorliegende Verfahren eine Rolle, was eine für den 29. Mai 2021 angekündigte Demonstration bzw. das daraus folgende Polizeiaufgebot in Solothurn an Kosten verursacht haben soll. Auf diese sämtlichen Ausführungen ist daher nicht näher einzugehen. Es kann wiederum auf die entsprechenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen werden.
2.4. Gemäss dem erstellten Sachverhalt trug der Beschuldigte damit vorsätzlich an einer Kundgebung keine Maske, obwohl gemäss Art. 6c Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage eine Maskenpflicht für Kundgebungen herrschte. Eine Ausnahme von der geltenden Maskenpflicht (ärztliches Attest) macht der Beschuldigte sodann nicht geltend. Er ist folglich wegen unbefugten Nichttragens einer Gesichtsmaske an einer politischen zivilgesellschaftlichen Kundgebung (Art. 13 lit. i i.V.m. Art. 6c Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage [Stand 13. Mai 2021]) schuldig zu sprechen.
V. Strafzumessung
Die Strafzumessung wurde vom Beschuldigten im Berufungsverfahren nicht gerügt. Vorliegend hat die Vorinstanz die Busse auf CHF 100.00 und den Umwandlungssatz auf CHF 100.00 für die Ersatzfreiheitsstrafe festgesetzt, was nicht zu beanstanden ist.
VI. Kosten
1. Bei diesem Verfahrensausgang ist der erstinstanzliche Kostenentscheid zu bestätigen. Dem Beschuldigten sind demnach die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, welche mit einer Urteilsgebühr von CHF 600.00 total CHF 700.00 ausmachen, aufzuerlegen.
2. Da der Beschuldigte mit der Berufung unterliegt, hat er auch die Kosten des Berufungsverfahrens, welche mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'500.00 insgesamt CHF 1'600.00 betragen, zu bezahlen.
3. Bei diesem Ausgang des Verfahrens steht dem Beschuldigten, privat vertreten durch Rechtsanwältin Therese Hintermann, weder für das erst- noch das zweitinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung zu. Demnach wird in Anwendung von Art. 13 lit. i i.V.m. Art. 6c Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage; Art. 47, Art. 106 StGB; Art. 398 Abs. 4, Art. 406 Abs. 1 lit. c, Art. 416 ff., Art. 428 Abs. 1 und 3 StPO erkannt: 1. Der Beschuldigte A.___ hat sich des unbefugten Nichttragens einer Gesichtsmaske an einer politischen zivilgesellschaftlichen Kundgebung, begangen am 13. Mai 2021, schuldig gemacht. 2. Der Beschuldigte wird zu einer Busse von CHF 100.00 verurteilt, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 1 Tag. 3. Der Beschuldigte hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 600.00, total CHF 700.00, zu bezahlen. 4. Der Beschuldigte auch hat die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'500.00, total CHF 1'600.00, zu bezahlen. 5. Dem Beschuldigten, privat vertreten durch Rechtsanwältin Therese Hintermann, wird weder für das erst- noch das zweitinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung zugesprochen. Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Strafkammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin von Felten Schmid |
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