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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2022.64)

Zusammenfassung des Urteils STBER.2022.64: Verwaltungsgericht

Ein Instagram-Nutzer wurde aufgrund eines CyberTipLine-Berichts des NCMEC der Verbreitung von kinderpornografischem Material schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Berufungsverfahren wurde die Verwertbarkeit des Berichts und die Richtigkeit der Angaben geprüft. Es stellte sich heraus, dass die Beweise aus dem Ausland grundsätzlich verwertbar sind. Instagram hat in diesem Fall gesetzlich vorgeschriebene Meldungen gemacht, die nicht gegen den Ordre public oder den Grundsatz des fairen Verfahrens verstiessen. Die Beweiswürdigung ergab, dass die im Bericht enthaltenen Angaben alleine nicht ausreichen, um die strafbare Handlung des Beschuldigten zu beweisen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts STBER.2022.64

Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2022.64
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2022.64 vom 08.03.2023 (SO)
Datum:08.03.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Beweis; Beweise; Instagram; Schweiz; Recht; Beweiserhebung; Schweizer; Ausland; NCMEC; Nutzungsbedingungen; Behörden; Report; Beschuldigten; Daten; Private; Verfolgungsbehörde; Verfolgungsbehörden; Person; Richtlinien; Nutzer; Verhalten; Beweismittel; Meldung; Verwertung; Verfahren; Meldepflicht; Unternehmen; Handlung
Rechtsnorm: Art. 13 DSG ;Art. 141 StPO ;Art. 147 StPO ;Art. 148 StPO ;Art. 265 StPO ;Art. 28 ZGB ;
Referenz BGE:138 II 346;
Kommentar:
Wolfgang Wohlers, Donatsch, Schweizer, Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, Zürich, 2020

Entscheid des Verwaltungsgerichts STBER.2022.64

 
Geschäftsnummer: STBER.2022.64
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 08.03.2023 
FindInfo-Nummer: O_ST.2023.57
Titel: harte Pornografie (tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen)

Resümee:

Art. 197 Abs. 4 Satz 2 StGB, Art. 141 Abs. 2 StPO: Ein CyberTipLine Report des amerikanischen NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children) ist grundsätzlich verwertbar. Analog einer jeden durch eine Schweizer Behörde (bspw. Konkursamt, Steueramt, MFK etc.) Private erstellten Strafanzeige, welche Angaben zu einem angeblich deliktischen Verhalten eines Beschuldigten enthält, handelt es sich bei den im NCMEC-Report enthaltenen Angaben jedoch nicht um gesicherte Tatsachen, sondern lediglich um erste Hinweise auf ein potentiell strafbares Verhalten, welche den Schweizer Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis gebracht werden. Es gilt unverändert, die in den Akten liegenden Beweismittel einer Beweiswürdigung zu unterziehen.
 

SOG 2023 Nr. 3

Art. 197 Abs. 4 Satz 2 StGB, Art. 141 Abs. 2 StPO: Art. 197 Abs. 4 Satz 2 StGB, Art. 141 Abs. 2 StPO: Ein CyberTipLine Report des amerikanischen NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children) ist grundsätzlich verwertbar. Analog einer jeden durch eine Schweizer Behörde (bspw. Konkursamt, Steueramt, MFK etc.) Private erstellten Strafanzeige, welche Angaben zu einem angeblich deliktischen Verhalten eines Beschuldigten enthält, handelt es sich bei den im NCMEC-Report enthaltenen Angaben jedoch nicht um gesicherte Tatsachen, sondern lediglich um erste Hinweise auf ein potentiell strafbares Verhalten, welche den Schweizer Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis gebracht werden. Es gilt unverändert, die in den Akten liegenden Beweismittel einer Beweiswürdigung zu unterziehen.

 

 

Sachverhalt:

 

Am 28. Dezember 2019 meldete Instagram dem amerikanischen NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children), dass es am 26. Dezember 2019, ca. 22:27 Uhr (23:27 Uhr MEZ), auf einem Profil eines Instagram-Nutzers zu einem Versand von Dateien mit kinderpornografischem Inhalt gekommen sei. Das NCMEC wiederum erstellte über die Meldung einen Bericht (sog. CyberTipLine Report) und leitete diesen zur Untersuchung der behaupteten Vorgänge an die Schweizer Strafverfolgungsbehörden weiter. Der Inhaber des gemeldeten Accounts wurde schliesslich durch den Amtsgerichtspräsidenten von Olten-Gösgen der Pornografie (tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen [Zugänglichmachen]) i.S.v. Art. 197 Abs. 4 Satz 2 StGB) schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je CHF 100.00, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von zwei Jahren, verurteilt. Im Rahmen des Berufungsverfahrens waren die Fragen der Verwertbarkeit des Berichts und der Richtigkeit der darin gemachten Angaben zu prüfen.

 

 

Aus den Erwägungen:

 

III./4.2.2. Verwertbarkeit einer im Ausland erfolgten Beweiserhebung in der Schweiz

 

Sind Beweiserhebungen im Ausland erfolgt, stellt sich im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit des Beweismittels im Inland zunächst grundlegend die Frage, nach welchem Recht die Rechtmässigkeit einer solchen Beweiserhebung überhaupt zu beurteilen ist.

 

Diesbezüglich bestehen in der Lehre unterschiedliche Ansichten. Eine strenge Lehrmeinung spricht sich für die konsequente Anwendung des Schweizer Rechts aus: Wenn eine Beweiserhebung nach schweizerischem Recht nicht möglich wäre, darf diese Grenze nicht dadurch überschritten bzw. ausgehebelt werden, dass die entsprechende Beweiserhebung im Ausland durchgeführt wird. Soweit es um den Akt der Verwertung der im Ausland erlangten Beweise geht, ist umstritten, ob insoweit auch auf das im Ausland geltende Recht abzustellen ist ob die Beurteilung anhand der Massstäbe zu erfolgen hat, die das schweizerische Recht vorgibt. Für das konsequente Abstellen auf die Vorgaben des schweizerischen Rechts spricht, dass es um die Verwertung in einem schweizerischen Strafverfahren geht und dieses den Vorgaben des schweizerischen Rechts entsprechen muss. Die Zulässigkeit Unzulässigkeit der Verwertung eines Beweises kann nicht davon abhängig sein, ob die ausländische Rechtsordnung vergleichbaren aber gänzlich anderen Standards entspricht als die schweizerische, anderenfalls wären Beweise je nachdem verwertbar unverwertbar, in welcher Rechtsordnung sie erhoben worden sind (vgl. zum Ganzen Wolfgang Wohlers in: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers [Hrsg.]: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, Zürich 2020, N 10 zu Art 141).

 

Weniger streng ist diesbezüglich der Basler Kommentar (Sabine Gless, BSK StPO Art. 141 N. 29 ff.): Gemäss dieser Lehrmeinung sind im Ausland erhobene Beweise in folgenden Fällen in der Schweiz nicht verwertbar:

 

-        Ein Staat sammelt eigenmächtig im Ausland ohne Einwilligung des Territorialstaates Beweise; diesfalls dürfen die Beweise nicht ohne förmliche Zustimmung des fremden Staates verwertet werden;

-        Der Verwertbarkeit von im Ausland erhobenen Beweisen kann sodann der Spezialitätsvorbehalt im Rechtshilfeverfahren entgegenstehen;

-        Eine Verwertung von Auslandsbeweisen ist darüber hinaus dann abzulehnen, wenn andernfalls gegen den Ordre public verstossen würde, etwa bei Verwertung von (mutmasslichen) Folterbeweisen. Da der Forumsstaat den Ordre public bestimmt, verbietet sich die Verwertung solcher Beweise auch, wenn etwa bei Vernehmungen Vernehmungsmethoden angewendet werden, die zwar im Drittland als zulässig, im Forumsstaat aber als unzulässig angesehen werden;

-        Ebenfalls nicht verwertbar sind im Ausland erhobene Beweise, die aus Sicht der Schweizer Rechtsordnung nicht die Anforderungen an Zuverlässigkeit und «fair trial» erfüllen. Beispielhaft für die variierenden Standards sind etwa die unterschiedlichen Belehrungsformeln für die Beschuldigteneinvernahme, die verschieden ausgestalteten Mitwirkungsrechte der Parteien Voraussetzungen für die Anordnung von Zwangsmassnahmen. Wird ein nach ausländischem Recht gewonnenes Beweismittel im Inland verwertet, so ist allenfalls Kompensation für Beschränkungen von Beschuldigten-, Parteienrechte etc. zu gewähren. In den Fällen, in denen eine ausreichende Kompensation nicht möglich ist – so dass die Zuverlässigkeit der strafprozessualen Beweisführung das faire Verfahren nicht sichergestellt scheint – kann das Beweismittel aus dem Ausland nicht verwertet werden. Hinsichtlich Beweiserhebungen in einem Rechtshilfeverfahren ergibt sich aus Art. 148 Abs. 2 StPO, dass Beweise die der erleichterten Ausgestaltung der Teilnahmerechte im Sinne von Art. 148 Abs. 1 StPO nicht genügen, unverwertbar sind.

Vorliegend ist auf diese weniger strenge Lehrmeinung abzustellen, da diese die Rechte des Betroffenen in genügendem Masse zu schützen vermag. Zu prüfen ist demnach insbesondere, ob allenfalls eine Verletzung des Ordre public eine Verletzung des Grundsatzes des «fair trial» gegeben ist. Dies ist vorliegend zu verneinen.

 

Hinsichtlich des Ordre public sind keine Verletzungen grundlegender Verfahrensrechte, welche bspw. dem Folterverbot gleich kämen, auszumachen. Zwar kennt die Schweiz keine entsprechende Meldepflicht im Bereich der Internetkriminalität. Meldepflichten von einer Geheimhaltungspflicht unterliegenden Personen Unternehmen sind der Schweizerischen Rechtsordnung indes nicht unbekannt. So bestehen bspw. im Bereich der Bekämpfung der Geldwäscherei entsprechende Meldepflichten. In diesem Zusammenhang kann zudem auch auf das internationale Übereinkommen über die Cyberkriminalität hingewiesen werden, welchem sowohl die USA als auch die Schweiz beigetreten sind. Art. 32 lit. b dieser Vereinbarung erlaubt es einer Vertragspartei auf gespeicherte Computerdaten, die sich im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei befinden, mittels eines Computer-
systems in ihrem Hoheitsgebiet zuzugreifen diese Daten zu empfangen, wenn sie die rechtmässige und freiwillige Zustimmung der Person einholt, die rechtmässig befugt ist, die Daten mittels dieses Computersystems an sie weiterzugeben. Zustimmungs- und weiterleitungsberechtigt sind namentlich ausländische Internetprovider und Anbieter sozialer Netzwerke, welche sich in ihren Allgemeinen Nutzungsbedingungen bzw. Datenverwendungsrichtlinien eine solches Weiterleitungsrecht an in- und ausländische Strafverfolgungsbehörden gegenüber ihren Kunden ausbedungen haben (BGE 141 IV 108 E. 5.10.).

 

Ebenso nicht ersichtlich ist, dass die in den USA durchgeführte Beweiserhebung nach Schweizerischen Grundsätzen dem Gebot des «fair trial» widersprechen würde. Da im Moment der Beweiserhebung noch kein Strafverfahren gegen den Beschuldigten lief, wäre dieser an einer entsprechenden Beweiserhebung in der Schweiz auch nicht teilnahmeberechtigt im Sinne von Art. 147 StPO gewesen.

 

Zwar wäre die Beweiserhebung, wie sie im konkreten Fall erfolgte, in der Schweiz durch die hiesigen Ermittlungsbehörden grundsätzlich nicht möglich gewesen: Auch wenn sogenannte «abgeleitete» Internetdienste wie vorliegend «Instagram», welche keine eigenen Fernmeldedienst betreiben, nicht den Vorschriften von Art. 269 ff. StPO betreffend die Überwachung des Fernmeldeverkehrs unterstehen, hätten die Ermittlungsbehörden mangels konkreter Kenntnis einer Straftat die inkriminierten Videos resp. die Übermittlungsdaten bei Instagram nicht in Form einer Editionsverfügung (Art. 265 StPO) herausverlangen können. Auch bestand keine Meldepflicht von Instagram nach Schweizer Recht. Festzustellen ist jedoch, dass auch nach Schweizer Recht die autonome Beweiserhebung und Weiterleitung der Beweise an die Strafverfolgungsorgane durch Instagram selbst zulässig gewesen wäre.

 

Diesbezüglich ist vorab festzustellen, dass für den hinsichtlich eines drohenden Reputationsschadens besonders heiklen Bereich der Kinderpornografie das Unternehmen Instagram mit dem automatisierten Erkennungsprogramm (....) einen Mechanismus zur Anwendung bringt, der zweifellos in die Privatsphäre des einzelnen Nutzers eingreift. Nach innerstaatlichem Recht unterstehen Privatpersonen bzw. privatrechtliche Unternehmen, welche nicht auf eine staatliche Anordnung hin, sondern auf eigene Veranlassung Personendaten bearbeiten, der Datenschutzgesetzgebung. Das Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG, SR 235.1) bezweckt den Schutz der Persönlichkeit und der Grundrechte von Personen, über die Daten bearbeitet werden (Art. 1 DSG). Es ergänzt und konkretisiert den bereits durch das Zivilgesetzbuch (insb. Art. 28 ZGB) gewährleisteten Schutz der Persönlichkeit. Art. 13 Abs. 1 DSG übernimmt in diesem Sinne den in Art. 28 Abs. 2 ZGB verankerten Grundsatz, wonach eine Persönlichkeitsverletzung rechtswidrig ist, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates öffentliches Interesse durch Gesetz gerechtfertigt ist (BGE 138 II 346 E. 8). Der amerikanische Provider Instagram unterliegt dieser (für ihn ausländischen) Gesetzgebung nicht. Entscheidend ist vorliegend aber, dass das private Unternehmen Instagram nicht im Geheimen agiert, sondern dass jede Person, die das Angebot von Instagram nutzen will, vor Abschluss der vertraglichen Nutzungsvereinbarung umfassend aufgeklärt wird. Die Nutzungsbedingungen von Instagram – online einsehbar unter «https://de-de.facebook.com/help/instagram/581066165581870», letztmals besucht am 08.03.2023) – fungieren als Teil der Nutzungsbedingungen der Meta Platform Ireland Limited (Nachfolgerin der Facebook Ireland Limited). Diese weisen unter Ziff. 3 «Deine Verpflichtungen» auf Folgendes hin: «Du darfst nichts Rechtswidriges, Irreführendes Betrügerisches etwas für einen illegalen unberechtigten Zweck tun.» bzw. «Du darfst nicht gegen diese Nutzungsbedingungen unsere Richtlinien verstossen (oder andere bei einem Verstoß unterstützen sie dazu ermutigen). Besonders zu erwähnen sind hier die «Instagram-Gemeinschaftsrichtlinien», die Meta-Plattform-Nutzungsbedingungen und Entwickler-Richtlinien und die Musik-Richtlinien.». Die «Instagram-Gemeinschaftsrichtlinien», die «Meta-Plattform-Nutzungsbedingungen und Entwickler-Richtlinien» sowie die «Musik-Richtlinien» sind jeweils weitere Male verlinkt. Die «Instagram-Gemeinschaftsrichtlinien» bspw. beinhalten dann den ausdrücklichen Hinweis, dass mit den Strafverfolgungsbehörden zusammengearbeitet werden kann, wenn man der Ansicht ist, dass eine Gefahr für Leib und Leben einer Person eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit besteht. Die «Meta-Plattform-Nutzungsbedingungen und Entwickler-Richtlinien» (einsehbar unter «https://developers.facebook.com/terms») weisen in Ziff. 11 weiter darauf hin, dass alle geltenden Gesetze und Vorschriften einzuhalten sind. Wenn auch entgegen anderer Nutzungsbedingungen wie bspw. Facebook (einsehbar unter «de-de.facebook.com») in den Nutzungsbedingungen von Instagram kein direkter Bezug auf sexuell motivierte Straftaten und damit zusammenhängend ausdrücklich auf NCMEC genommen wird – dies erfolgt erst in den nicht in den allgemeinen Richtlinien eingeschlossenen Informationen des Helpdesk von Instagram für Strafverfolgungsbehörden – macht Instagram jedem interessierten Nutzer bereits in seinen Nutzungsbedingungen transparent, dass die Nutzung der Kommunikationsplattform mit einer Kontrolle der Einhaltung der geltenden strafrechtlichen Normen – und damit direkt verbunden auch der Kinderpornografie – einhergeht und sie bzw. er sich diesbezüglich einer Kontrolle des Providers aussetzt. Ebenso zeigt das Unternehmen auf, welche Konsequenzen drohen, wenn ein Nutzer gegen das Regelwerk von Instagram verstösst. Mit dem Gebrauch des Mediums Instagram erklärt sich jede Nutzerin bzw. jeder Nutzer mit den vom Unternehmen definierten Regeln betreffend Datenerhebung, -verwendung und -weitergabe an Dritte ausdrücklich einverstanden. Bei der Erstellung eines Benutzerkontos müssen diese Bestimmungen angenommen werden. Es liegt demnach eine auf einer umfassenden Aufklärung beruhende, freiwillig erfolgte und damit rechtsgültige Einwilligung des Nutzers vor.

 

Weiter stellt sich die Frage, ob es sich bei der vorliegenden Konstellation um eine autonome Beweiserhebung durch Private um eine staatliche Beweiserhebung handelt. Keine autonome Beweiserhebung durch Private und damit eine staatliche Beweiserhebung liegt vor, wenn Private auf Anregung, im Auftrag und mit Unterstützung von staatlichen Behörden Beweise erheben. In dieser Fallkonstellation ist vielmehr von einer eigentlichen Beweissammlung durch die Strafbehörden auszugehen, womit Regeln zur Anwendung kommen müssen, die bei selbständigem Handeln der Strafverfolgungsbehörde gelten würden, da ansonsten das förmliche Verfahren umgangen würde (Sabine Gless, a.a.O. N. 41 zu Art. 141 StPO). Die Privatperson darf insbesondere auch nicht als staatliches Werkzeug eingesetzt werden. Bei geringfügiger staatlicher Beteiligung an der unmittelbaren Handlung der Privat­person bereitet die Zurechnung privater Handlungen zum Staat hingegen Schwierigkeiten. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen der Staat bloss die faktischen Voraussetzungen für die private Handlung schafft, bei der privaten Beweiserhebung mithilft, sie genehmigt duldet (Gundhild Godenzi: Private Beweisbeschaffung im Strafprozess, Zürich 2008, S. 176 f.).

 

Vorliegend ist eine autonome Beweisbeschaffung durch Private (hier Instagram) zu verneinen. Gemäss der dargelegten Rechtslage bestand hinsichtlich Instagram eine gesetzliche Meldepflicht. Auch wenn Instagram im vorliegenden Fall die Meldung nicht nur auf die obligatorischen Inhalte beschränkte, sondern von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit des erweiterten Meldungsinhalts nach lit. b des 18 U.S. Code § 2258A Gebrauch machte und auch beim Einsatz technischer Hilfsmittel zur Erkennung von kinderpornographischem Inhalt über die gesetzlichen Anforderungen hinausging, ist von einer staatlich veranlassten Beweisbeschaffung auszugehen. Ohne vorbestehenden konkreten Tatverdacht wäre diese Beweiserhebung seitens der Strafverfolgungsorgane wie bereits erwähnt nicht möglich gewesen. Eine tatverdachtsunabhängige Beweisausforschung, eine sog. «fishing expedition» ist nicht nur unrechtmässig. Vielmehr würde eine solche der Verletzung fundamentaler strafprozessualer Prinzipien gleichkommen, was ohne Weiteres zur Unverwertbarkeit der so erlangten Beweise führen würde. Dies ist aber nicht der entscheidende Ansatz, denn wie erwähnt bestand nach dem am Ort der Beweisbeschaffung geltenden Rechtslage eine gesetzliche Meldepflicht, welche aus Schweizer Sicht weder eine Verletzung des Ordre public noch des Grundsatzes des «fair trial» darstellt.

 

Der CyberTipline Report 61950247 vom 28. Dezember 2019 ist somit grundsätzlich verwertbar. Auch die weiteren Vorbringen der Verteidigung vermögen an dieser Feststellung nichts zu ändern. (…)

 

5. Konkrete Beweiswürdigung und Beweisergebnis

 

Analog einer jeden durch eine Schweizer Behörde (bspw. Konkursamt, Steueramt, MFK etc.) Private erstellten Strafanzeige, welche Angaben zu einem angeblich deliktischen Verhalten eines Beschuldigten enthalten, handelt es sich bei den im NCMEC-Report enthaltenen Angaben nicht um gesicherte Tatsachen, sondern lediglich um erste Hinweise auf ein potentiell strafbares Verhalten, welche den Schweizer Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis gebracht werden. Es gilt somit unverändert, die in den Akten liegenden Beweismittel einer Beweiswürdigung zu unterziehen.

 

(…)

 

[Ergänzung zum Entscheid: Kurze Zusammenfassung der Beweiswürdigung:

Im vorliegenden Fall vermögen die im NCMEC-Report enthaltenen Angaben keine strafbare Handlung des Beschuldigten zu beweisen. Die von Instagram initiierte Meldung enthält weder Angaben über eine natürliche Person, welche die der Meldung zugrunde liegenden Angaben überprüft hat, noch lassen sich diese sonst wie überprüfen. Eine alleine durch einen "Computer-Algorithmus" generierte Meldung betreffend elektronische Daten (im Wesentlichen aus zahlreichen Ziffern bestehende sog. "Hash-Werte") stellt keinen tauglichen Beweis dar. Zwar wurden mit dem NCMEC-Report auch strafrechtlich relevante Filmsequenzen mitgeliefert. Es lässt sich jedoch mangels entsprechender Angaben nicht überprüfen, ob diese Dateien tatsächlich vom Beschuldigten ins Netz gestellt, resp. Dritten zugänglich gemacht wurden. Beim Beschuldigten selbst wurden im Lauf des Strafverfahrens keine entsprechenden Daten gefunden.]

 

Obergericht Strafkammer, Urteil vom 8. März 2023, STBER.2022.64

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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