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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2022.6)

Zusammenfassung des Urteils STBER.2022.6: Verwaltungsgericht

Am 7. Oktober 2020 fährt B.___ als Fahrer eines Lieferwagens in [Ortschaft 1] an einer Personengruppe vorbei. Es kommt zu einem Vorfall, bei dem A.___ B.___ schlägt und bedroht. Beide erstatten Strafanzeige, und es wird eine Strafuntersuchung eröffnet. Die Staatsanwaltschaft verurteilt B.___ wegen Verkehrsregelverletzungen, während A.___ wegen Tätlichkeiten und Drohung verurteilt wird. Es folgen Berufungsverfahren, bei denen das Gericht den Vorfall untersucht und B.___ freispricht, während A.___ verurteilt wird. Die Gerichtskosten und Parteientschädigungen werden festgelegt. Das Gericht stützt sich hauptsächlich auf die Aussagen des Privatklägers B.___, da diese kohärent und detailliert sind. Die Aussagen des Beschuldigten und anderer Zeugen werden als nicht überzeugend angesehen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts STBER.2022.6

Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2022.6
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2022.6 vom 14.02.2023 (SO)
Datum:14.02.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Beschuldigte; Privatkläger; Beschuldigten; Strasse; Drohung; Berufung; Apos; Urteil; Verfahren; Privatklägers; Aussage; Person; Tätlichkeit; Parteien; Urteils; Vorinstanz; Angst; Recht; Ortschaft; Zeuge; Parteientschädigung; Verteidigung; Minuten; Tätlichkeiten; Polizei; Verfahren; Staat; Bezug; Sachverhalt
Rechtsnorm: Art. 10 StPO ;Art. 12 StGB ;Art. 126 StGB ;Art. 180 StGB ;Art. 32 BV ;Art. 356 StPO ;Art. 391 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 436 StPO ;Art. 44 StGB ;Art. 82 StPO ;Art. 83 StPO ;Art. 9 StPO ;Art. 90 SVG ;
Referenz BGE:117 IV 14; 120 Ia 36; 137 IV 352; 143 IV 63; 144 IV 198; 68 IV 85;
Kommentar:
Hans, Roth, Andreas, Basler Kommentar Strafrecht, Art. 126 StGB OR, 2019

Entscheid des Verwaltungsgerichts STBER.2022.6

 
Geschäftsnummer: STBER.2022.6
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 14.02.2023 
FindInfo-Nummer: O_ST.2023.13
Titel: Tätlichkeiten, Drohung

Resümee:

 

Obergericht

Strafkammer

 

 

 

 

 

 

Urteil vom 14. Februar 2023

Es wirken mit:

Präsident von Felten

Oberrichter Marti

Oberrichter Werner

Gerichtsschreiberin Lupi De Bruycker

In Sachen

Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,

Anklägerin

 

gegen

 

A.___, vertreten durch Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf,

Beschuldigter und Berufungskläger

 

betreffend     Tätlichkeiten, Drohung

 


 

Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:

I. Prozessgeschichte

 

1. Am 9. Oktober 2020 suchte B.___ um 16:45 Uhr den Polizeiposten in [Ortschaft 1] auf und meldete gemäss den Ausführungen in der polizeilichen Strafanzeige vom 2. Dezember 2020 (Akten Verfahren TGSPR.2021.48/ STA.2020.5217, Seiten [nachfolgend «AS»] 9 ff.), er sei am 7. Oktober 2020 um ca. 17:00 Uhr für Auslieferungen in [Ortschaft 1] mit dem Firmenlieferwagen in der [Strasse 1] an einer Personengruppe mit Kindern vorbeigefahren. Er schilderte im Weiteren, wie er sein Fahrzeug vor der folgenden Linkskurve zum Stillstand gebracht habe, um zu kontrollieren, ob er mit seinem Fahrzeug an der dortigen Baustelle vorbeikomme. In diesem Moment sei einer der beiden Männer gekommen, habe ihn an der Jacke gepackt und geohrfeigt. Diese Person habe ihm gesagt, es passiere etwas, wenn er erneut so durch die [Strasse 1] fahre, und habe ihm eine zweite Ohrfeige gegeben. Im Weiteren gab B.___ ein Signalement der Person ab und stellte wegen aller in Frage kommender Tatbestände Strafantrag gegen unbekannte Täterschaft (AS 15 f. sowie die ergänzenden Angaben der Polizei unter AS 19 f., die Personalien zur Täterschaft wurden von der Polizei nachträglich ergänzt).

 

2. Am 13. Oktober 2020 führte die Polizei des Kantons Solothurn (Wm G.___ und Wm H.___) mit B.___ einen Augenschein vor Ort ([Strasse 1] in [Ortschaft 1]) durch. Dabei begegneten sie draussen dem an der [Strasse 1, Nr.] 16 wohnhaften A.___. Nachdem Wm G.___ einen Vorfall im Bereich der [Strasse 1, Nr.] 18 erwähnt hatte, erklärte A.___, er selber sei wohl die gesuchte Person (vgl. AS 12).

 

3. A.___ stellte seinerseits im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 7. Oktober 2020 am 20. Oktober 2020 Strafantrag gegen B.___ (AS 17 f., vgl. auch seine diesbezügliche Ankündigung an den Polizisten mit E-Mail vom 14.10.2020: AS 60).

 

4. Am 21. Dezember 2020 wurde sowohl gegen A.___ als auch gegen B.___ eine Strafuntersuchung eröffnet (AS 84 f.). Mit Strafbefehl vom 25. Januar 2021 (AS 118 f.) verurteilte die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn B.___ wegen Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 1 SVG) durch Nichtanpassen der Geschwindigkeit sowie Belästigung durch vermeidbaren Lärm, begangen in [Ortschaft 1] am 7. Oktober 2020, zu einer Busse von CHF 150.00, ersatzweise zu zwei Tagen Freiheitsstrafe, sowie zur Tragung der Verfahrenskosten von CHF 150.00. A.___ wurde mit Strafbefehl vom 25. Januar 2021 (AS 98 f.) wegen Tätlichkeiten und Drohung, begangen in [Ortschaft 1] am 7. Oktober 2020 zum Nachteil von B.___, zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je CHF 150.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren, zu einer Busse von CHF 150.00, ersatzweise zu zwei Tagen Freiheitsstrafe, sowie zur Tragung der Verfahrenskosten von CHF 150.00 verurteilt.

 

5. Am 2. Februar 2021 liess A.___ durch seine private Verteidigerin, Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf, Einsprache erheben (AS 101). Die Einsprache von B.___ erfolgte am 3. Februar 2020 (AS 121). Mit Eingabe vom 6. Februar 2021 zeigte Advokat Gabriel Giess der Staatsanwaltschaft an, dass er in beiden Strafverfahren mit der Vertretung von B.___ beauftragt worden sei.

 

6. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn nahm am 15. April 2021 in Bezug auf den Strafbefehl vom 25. Januar 2021 gegen A.___ gestützt auf Art. 83 StPO zwei Berichtigungen vor (AS 3 f. bzw. AS 96 f.: Streichung des Zusatzes «Niederlassungsbewilligung C», da A.___ Schweizer Staatsbürger ist; Gewährung des Unterstützungsabzugs für das 2. Kind bei der Tagessatzberechnung, Reduktion der Tagessatzhöhe von CHF 150.00 auf CHF 130.00) und verzichtete auf eine erneute Eröffnung des Strafbefehls an die Parteien (vgl. die Erörterung hierzu unter AS 1 f.). Noch gleichentags überwies sie die beiden Strafbefehle an das Richteramt Thal-Gäu zur Beurteilung (AS 1 ff. und nicht paginierte Überweisungsverfügung in Sachen B.___ vom 15.4.2021).

 

7. B.___ und A.___ wurden am 2. November 2021 zur Hauptverhandlung vorgeladen und zur Sache und Person befragt. Weiter wurde der Zeuge I.___ zur Sache befragt (vgl. AS 199 ff., 203 ff. und 193 ff.). Gleichentags fällte der Amtsgerichtspräsident von Thal-Gäu folgendes Urteil:

 

« 1.  B.___ wird vom Vorhalt der Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtanpassen der Geschwindigkeit sowie durch Belästigung durch vermeidbaren Lärm, angeblich begangen am 7. Oktober 2020, in [Ortschaft 1], freigesprochen.

2.   A.___ hat sich wie folgt schuldig gemacht:

a)      Tätlichkeiten, begangen am 7. Oktober 2020, in [Ortschaft 1], zum Nachteil von B.___,

b)      Drohung, begangen am 7. Oktober 2020, in [Ortschaft 1], zum Nachteil von B.___.

3.   A.___ [wird] verurteilt zu:

a)      einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je CHF 170.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von 2 Jahren,

b)      einer Busse von CHF 150.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise zu 2 Tagen Freiheitsstrafe.

4.   Die Genugtuungsforderung von B.___ gegenüber A.___ wird abgewiesen.

5.   Die Genugtuungsforderung von A.___ gegenüber B.___ wird abgewiesen.

6.   B.___, verteidigt durch Advokat Gabriel Giess, wird eine reduzierte Parteientschädigung von CHF 2'365.70 (inkl. Auslagen und MwSt.) zugesprochen, zahlbar durch den Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse.

7.   A.___ hat dem Privatkläger B.___, vertreten durch Advokat Gabriel Giess, im Strafpunkt eine reduzierte Parteientschädigung von CHF 1'182.85 (inkl. Auslagen und MwSt.) zu bezahlen.

8.   Die Verfahrenskosten mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'200.00, total CHF 1'600.00, hat A.___ im Umfang von CHF 800.00 zu tragen. Im Übrigen trägt sie der Staat Solothurn.»

 

8. Innert Frist gingen bei der Vorinstanz die Berufungsanmeldung (AS 236) und schliesslich beim Berufungsgericht die Berufungserklärung (Berufungsverfahren, Aktenseiten [nachfolgend BAS] 1 ff.) von A.___ (nachfolgend auch Beschuldigter bzw. Berufungskläger) ein. Angefochten werden die Ziffern 2 lit. a und b, 3 lit. a und b, 7 und 8 des vorinstanzlichen Urteils. Der Berufungskläger beantragt, er sei von Schuld und Strafe freizusprechen, die Parteientschädigung zu Gunsten von B.___ sei aufzuheben, die Verfahrenskosten seien dem Staat aufzuerlegen und es sei ihm eine Parteientschädigung nach Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO zuzusprechen.

 

9. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Anschlussberufung sowie auf die weitere Teilnahme am Berufungsverfahren (BAS 11). Ebenso sah B.___ (nachfolgend auch Privatkläger) davon ab, Anschlussberufung zu erklären. Demzufolge ist festzustellen, dass im Berufungsverfahren das Verschlechterungsverbot (Art. 391 Abs. 2 StPO) zur Anwendung gelangt und folgende Dispositivziffern des erstinstanzlichen Urteils in Rechtskraft erwachsen sind:

 

-        Ziff. 1 (Freispruch von B.___ vom Vorwurf der einfachen Verkehrsregelverletzung durch Nichtanpassen der Geschwindigkeit sowie durch Belästigung durch vermeidbaren Lärm);

-        Ziff. 4 (Abweisung der Genugtuungsforderung von B.___ gegenüber A.___);

-        Ziff. 5 (Abweisung der Genugtuungsforderung von A.___ gegenüber B.___);

-        Ziff. 6 (Zusprechung einer reduzierten Parteientschädigung an B.___, zahlbar durch den Staat Solothurn).

 

10. Nachdem sich der Beschuldigte und Berufungskläger explizit und der Privatkläger implizit (Verzicht auf Einwände innert angesetzter Frist) mit dem schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt hatten, wurde mit Verfügung des Instruktionsrichters vom 24. März 2022 das schriftliche Verfahren angeordnet (BAS 15).

 

11. Die Berufungsbegründung ging am 12. Mai 2022, die Stellungnahme des berufungsbeklagten Privatklägers hierzu am 18. August 2022 bei der Berufungsinstanz ein (vgl. (BAS 18 ff., BAS 43 ff.).

 

 

II. Sachverhalt

 

1. Vorhalte

 

Dem Beschuldigten wird mit Strafbefehl vom 25. Januar 2021, der vorliegend als Anklageschrift gilt (Art. 356 Abs. 1 StPO), folgender Lebenssachverhalt zur Last gelegt:

 

«1.1 Tätlichkeiten (Art. 126 Abs. 1 StGB)

begangen am 7. Oktober 2020, um ca. 17:00 Uhr, in [Ortschaft 1], [Strasse 1], zum Nachteil von B.___, indem der Beschuldigte dem in seinem Lieferwagen sitzenden Geschädigten mit der flachen Hand insgesamt zwei Ohrfeigen, davon eine mit dem Handrücken, verpasste, wodurch er an B.___ vorsätzlich Tätlichkeiten verübte.

 

1.2. Drohung (Art. 180 Abs. 1 StGB)

begangen am 7. Oktober 2020, um ca. 17:00 Uhr, in [Ortschaft 1], [Strasse 1], zum Nachteil von B.___, indem der Beschuldigte dem Geschädigten vorsätzlich mit den Worten ‘nächstes Mal wenn du so fährst, bringe ich dich um’ drohte, wodurch er B.___ in Schrecken und Angst versetzte.»

 

2. Grundsätze der Beweiswürdigung

 

2.1 Gemäss der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie Art. 10 Abs. 3 StPO verankerten Maxime «in dubio pro reo» ist bis zum Nachweis der Schuld zu vermuten, dass die einer Straftat angeklagte Person unschuldig ist: Es gilt demnach die Unschuldsvermutung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 120 Ia 36 ff., 127 I 40 f.) betrifft der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowohl die Verteilung der Beweislast als auch die Würdigung der Beweise. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Als Beweiswürdigungsregel ist der Grundsatz «in dubio pro reo» verletzt, wenn sich der Strafrichter von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklärt, obschon bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, dass sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, da solche immer möglich sind. Obwohl für die Urteilsfindung die materielle Wahrheit wegleitend ist, kann absolute Gewissheit bzw. Wahrheit nicht verlangt werden, da diese der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen ist. Mit Zweifeln ist deshalb nicht die entfernteste Möglichkeit des Andersseins gemeint. Erforderlich sind vielmehr erhebliche und schlechthin nicht zu unterdrückende Zweifel, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei mehreren möglichen Sachverhaltsversionen hat der Richter auf die für den Beschuldigten günstigste abzustellen.

 

2.2 Das Gericht folgt bei seiner Beweisführung dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO): Es würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung und ist damit bei der Wahrheitsfindung nicht an die Standpunkte und Beweisführungen der Prozessparteien gebunden. Unterschieden wird je nach Art des Beweismittels in persönliche (Personen, welche die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen bekannt geben: Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen und Beschuldigten) und sachliche Beweismittel (Augenschein und Beweisobjekte wie Urkunden Tatspuren). Dabei kommt es nicht auf die Zahl Art der Beweismittel an, sondern auf deren Überzeugungskraft Beweiskraft. Das Gericht entscheidet nach der persönlichen Überzeugung, ob eine Tatsache bewiesen ist nicht.

 

3. Unbestrittener bzw. rechtskräftig festgestellter Sachverhalt

 

Am 7. Oktober 2020 galt auf der [Strasse 1] in [Ortschaft 1] in Bezug auf das Verkehrsregime eine Ausnahmeregelung: Der [Quartierweg 1] wurde einer Sanierung unterzogen und wegen Bauarbeiten ab Ende Juli 2020 bis Ende Oktober 2020 etappenweise gesperrt. Eine Umfahrung dieser Baustelle wurde den Verkehrsteilnehmern via [Quartierweg 2] und [Strasse 1] ermöglicht (AS 26 und 29), wohingegen die [Strasse 1] üblicherweise als Sackgasse konzipiert war (Poller Stangen ab Liegenschaft Nr. 28, vgl. AS 56 f., AS 65 f.).

 

Am besagten Tag befuhr der Privatkläger als Lenker eines Lieferwagens der Firma […] (nachfolgend «[Lieferfirma]») um ca. 17:00 Uhr zwecks Zustellung von Paketen, von der [Hauptstrasse] herkommend, die [Strasse 1] in Richtung [Quartierweg 3 nahe der Strasse 1], während sich der Beschuldigte, wohnhaft an der [Strasse 1, Nr.] 18, auf der einen Strassenseite und der an der [Strasse 1, Nr.] 16 wohnhafte I.___ auf der gegenüberliegenden Strassenseite befanden. Ebenfalls vor Ort befanden sich die Ehefrauen des Beschuldigten und von I.___ sowie die […] drei Kleinkinder beider Familien im Alter von […] Monaten, […] und […] Jahren, die unmittelbar vor der Durchfahrt des Lfw. noch auf der Strasse gespielt hatten. Erstellt ist des Weiteren aufgrund der diesbezüglich übereinstimmenden Aussagen aller befragten Personen, dass I.___ dem Privatkläger mit einem Handzeichen signalisierte, er solle seine Fahrgeschwindigkeit drosseln. Auch der Privatkläger gab stets zu, diese Handgeste wahrgenommen und als Aufforderung zur Geschwindigkeitsreduktion interpretiert zu haben.

 

Es ist davon auszugehen, dass sich der Lfw.-Lenker während der gesamten Fahrt durch die [Strasse 1] am 7. Oktober 2020 regelkonform verhielt. Die vom Beschuldigten erhobenen Vorwürfe, welche dem gegen den Privatkläger eröffneten Strafverfahren zu Grunde lagen, konnten anhand objektiver Beweismittel (vgl. insbesondere ausgedruckte GPS-Überwachung: AS 52, 122; CD-Rom mit Video GPS-Tracker: AS 138, Screenshots des Videos: AS 139 ff., Distanz- und Geschwindigkeitsangaben: AS 148 ff., eingeholte Unterlagen zur Signalisation und zu den Bauarbeiten im Tatzeitpunkt: AS 26 ff. und AS 89 ff.) widerlegt werden. Es ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass der Privatkläger am 7. Oktober 2020 die [Strasse 1] befahren durfte (keine Missachtung des Vorschriftssignals «Einfahrt verboten»), er die [Strasse 1] nicht zu schnell befuhr (durchschnittliche Geschwindigkeit von 24 km/h und maximale Geschwindigkeit von 29 km/h) und auch keine Belästigung durch vermeidbaren Lärm erstellt ist. Wie eingangs bereits erwähnt, wurde der Privatkläger von sämtlichen gegen ihn erhobenen SVG-Vorwürfen rechtskräftig freigesprochen.

 

Der Beschuldigte und I.___ wussten als Anwohner der [Strasse 1], dass sich in der folgenden Linkskurve aufgrund einer weiteren Baustelle ([…]) die Fahrbahn stark verengte und demzufolge die Durchfahrt für einen Lieferwagen deutlich erschwert war (vgl. die Aussagen von I.___, AS 65: «Dort hat man auch mit dem Auto Mühe durchzufahren. Mit einem Lieferwagen ist es Präzisionsarbeit»; Angaben des Beschuldigten: AS 24). Beide entschlossen sich spontan (d.h. ohne vorgängige Absprache), dem Lieferwagen hinterher zu rennen, um den Lenker wegen seiner Fahrt bzw. Fahrweise zur Rede zu stellen, wobei der Beschuldigte schneller unterwegs war. Dies hatte zur Folge, dass der Beschuldigte während einer gewissen Zeitspanne von wenigen Sekunden gänzlich aus dem Blickfeld von I.___ verschwand und Letzterer erst einige Sekunden später beim Lfw. eintraf, der vom Privatkläger bei der Baustellenabschrankung bereits bis zum Stillstand abgebremst worden war. Was sich ereignete, unmittelbar bevor I.___ beim Lfw. eintraf, ist strittig und Gegenstand der nachfolgenden Beweiswürdigung (Ziff. II.4.).

 

Unstrittig ist hingegen angesichts der diesbezüglich übereinstimmenden Aussagen der Beteiligten (vgl. im Einzelnen: AS 48, oben; AS 77 [Antwort auf Frage 28], AS 197 Z. 176 ff. und AS 200 Z. 57 ff.), dass I.___ später an den Privatkläger, der zwischenzeitlich aus seinem Fahrzeug ausgestiegen war, herantrat und (in Abwesenheit des Beschuldigten) das Gespräch mit diesem suchte. Der Privatkläger teilte I.___ mit, dass er vom anderen Mann (dem Beschuldigten) soeben geschlagen worden sei. I.___ erklärte, er habe das nicht gesehen, und warf die Frage auf, ob der Privatkläger die Polizei rufen wolle, was dieser vor Ort verneinte. Beide gingen nach dem Gespräch friedlich auseinander: I.___ gab zu Protokoll, der Fahrer sei «ein bisschen aufgeregt» gewesen, als er mit diesem über den Beschuldigten gesprochen habe (AS 197 Z. 176). Nachdem er dessen Kontrollschild fotografiert und im angekündigt habe, er werde den Chef der Firma kontaktieren, sei er «ganz nett und ruhig gewesen» (Antwort auf Frage 18, AS 64), man habe sich zum Schluss die Hände gereicht (Antwort auf Frage 1, AS 62 sowie AS 196 Z. 122 f). Der Privatkläger hielt fest, er habe sich mit diesem zweiten Mann normal unterhalten können und dieser habe ihm noch einen schönen Abend gewünscht (AS 48, oben).

 

4. Konkrete Beweiswürdigung

 

4.1.1 In Bezug auf das Aussageverhalten des Beschuldigten fällt auf, dass dieser – soweit es um das Verhalten des Privatklägers ging – Angaben machte, die sich nicht mit den objektiven Beweismitteln in Einklang bringen liessen. Es kam zu Übertreibungen, die in ihrer Summe und Schwere von einem Belastungseifer des Beschuldigten gegenüber dem Privatkläger zeugen. Als Beispiele seien folgende Aussagen erwähnt: Der Lfw.-Lenker sei nach der Kurve «sicherlich etwa 40 - 45 km/h» gefahren (AS 58), er habe «auf uns zu beschleunigt» (AS 58), sie seien genötigt worden, die spielenden Kinder von der Strasse zu reissen, ansonsten diese und auch sie [die Eltern] überfahren worden wären (AS 56). Vor erster Instanz (AS 204) führte der Beschuldigte aus, der Lenker habe sich gegensätzlich zu dem verhalten, was man machen sollte, wenn Kinder auf der Strasse seien. Es sei gemeingefährlich gewesen.

 

4.1.2 Hinsichtlich den ihm selbst zur Last gelegten Vorhalte machte der Beschuldigte hingegen anfänglich gar keine Angaben und berief sich auf sein Aussageverweigerungsrecht (vgl. AS 71 sowie die entsprechende Vorankündigung per E-Mail vom 29.10.2020 an den Polizisten G.___, AS 24: «Ich möchte dir bereits jetzt mitteilen, dass ich keine Aussage in der Anschuldigung gegen meine Person machen werde»). Auf die Frage, weshalb er nichts sagen wolle, gab er anlässlich der polizeilichen Einvernahme zur Antwort, er sei hier, um eine Strafanzeige aufzugeben (AS 71). Inhaltlich Stellung nahm der Beschuldigte zu den beiden Vorhalten erstmals anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung (AS 204): Er sei damals aufgebracht gewesen und dem Lieferwagen gefolgt, um dem Lenker seine Meinung zu «geigen». (Auf die richterliche Nachfrage, was man sich darunter vorstellen müsse) Wahrscheinlich habe er ihm gesagt, dass er ein «Schafseckel» sei und ihn gefragt, ob er von allen guten Geistern verlassen sei und was der ‘Scheiss’ solle, ob er seine Kinder totfahren wolle. (Auf die Frage, ob er den Lenker angefasst habe) Nein, dies sei nicht möglich gewesen. Auf der Aussenseite der Kurve habe es einen Strassengraben mit einer Tiefe von ca. 1 ½ Metern gehabt, auf der Innenseite der Kurve habe sich eine 3 ½ Meter hohe Thuja-Hecke befunden. (Auf die Frage, ob keine Drohungen gefallen seien) Nein, er sei aufgebracht gewesen. Es folgen hierauf diverse Satzfragmente, die sich nicht zu einer zusammenhängenden Aussage formen und den Eindruck vermitteln, der Beschuldigte wolle dieser Thematik ausweichen (AS 205 Z. 93 ff.). (Auf die Bemerkung des Richters, die Fragestellung sei eigentlich klar gewesen, und auf die nochmalige Frage, ob es möglich sei, dass er in der Aufregung das gesagt habe, was Herr B.___ ausgeführt habe, ob er dies ausschliesse): Nein, das schliesse er nicht aus, aber es sei in Bezug auf die Polizei gemeint gewesen, nicht von seiner Seite her (AS 205 Z.103 f.). Letzteres ist als Schutzbehauptung zu werten. Hätte der Beschuldigte tatsächlich die Intention gehabt, dem Lfw.-Fahrer den Beizug der Polizei in Aussicht zu stellen, sofern dieser nochmals auf diese Weise durch die [Strasse 1] fahren würde, bleibt unerfindlich, weshalb er sich derart schwertat, dies im Rahmen der richterlichen Befragung darzulegen. Auch erweist es sich als abwegig, dass der Beschuldigte den Beizug der Polizei mit den Worten «es werde etwas Schlimmeres passieren» angekündigt hätte.

 

Auf die Frage, weshalb der Privatkläger die Sache mit der Ohrfeige erfinden und ihn bei der Polizei anzeigen sollte, wenn das Ganze gar nie passiert sei, gab der Beschuldigte Folgendes zur Antwort: Das möchte er auch wissen und interessiere ihn ebenfalls. Er empfinde es nicht als Drohung, wenn die Polizei komme. Sie (der Beschuldigte und I.___) seien dafür offen gewesen, doch der Privatkläger habe die Polizei nicht beiziehen wollen.

 

4.2.1 Stellt man den Aussagen des Beschuldigten jene des Privatklägers gegenüber, so fällt auf, dass Letzterer nicht nur diverse Angaben zum Verhalten des Beschuldigten machte, sondern von Anfang an auch auf sein eigenes Verhalten einging, indem er differenziert seine Fahrt durch die [Strasse 1] vom 7. Oktober 2020 schilderte. So machte er in seiner ersten Befragung als Beschuldigter Angaben zur Gangschaltung, zu den Geschwindigkeiten, die sich weitestgehend mit den beigezogenen GPS-Daten deckten, und er thematisierte – von sich aus – von Anbeginn die Kinder am Strassenrand (vgl. AS 75, erster Satz auf die erste, offen gehaltene Frage anlässlich der der tatnächsten Einvernahme: «Ich bin auf der Strasse gefahren und sah zwei Kinder auf der rechten Seite.»). Er führte aus, wie er wegen der Kinder in den zweiten Gang heruntergeschaltet und leicht abgebremst habe. Nachdem er an den Kindern vorbei gewesen sei (AS 76), habe er leicht (handschriftlich hinzugefügte Ergänzung des Befragten «mittel») beschleunigt. Beide Elemente (leichtes Abbremsen bei der Personengruppe, anschliessende Beschleunigung) wurden vom Zeugen I.___ ausdrücklich bestätigt (vgl. in der polizeilichen Befragung, Antwort auf Frage 7, AS 63: «Ich habe ihn aufgefordert, langsam zu fahren. Er bremste leicht und gab, als er an uns vorbei war, wieder Gas»; sowie vor erster Instanz, Zeile. 60 f. AS 195: «Dann hat er bei uns abgebremst. (…). Dann hat er wieder Gas gegeben»).

 

4.2.2 Die Vorwürfe zu Lasten des Beschuldigten formulierte der Privatkläger im Rahmen der tatnächsten Befragung und vor erster Instanz im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmend (vgl. AS 47 und AS 200 Z. 52 ff.). Demnach soll der Beschuldigte ihn gepackt haben (gemäss der tatnächsten Einvernahme am Hemdkragen, vor erster Instanz: mit einem Griff an die Jacke) und ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt haben. Hierauf habe der Beschuldigte ihm angekündigt, es werde etwas Schlimmeres passieren, wenn er hier nochmals so durchfahre. Schliesslich habe der Beschuldigte ihn ein zweites Mal geschlagen und ihm mitgeteilt, er solle abhauen. Eine Aggravationstendenz ein Belastungseifer ist beim Privatkläger nicht zu erkennen.

 

In Bezug auf das Ausmass der gegen ihn ausgeübten Gewalt führte er relativierend hinzu, er sei mit der offenen Hand geschlagen worden (AS 201 Z. 68), einmal mit der offenen Handfläche der rechten Hand und einmal mit dem Handrücken der rechten Hand, der Beschuldigte habe zu «100 % nicht mit der Faust» geschlagen (AS 50, Antwort auf Frage 26). In der tatnächsten Einvernahme vom 14. Oktober 2020 lokalisierte er einen Schlag auf der rechten und den anderen auf der linken Gesichtsseite, im Bereich der Wange/Schläfe (AS 50, Antwort auf Frage 27). Er zeigte (wohl auf dem Mobiltelefongerät) dem befragenden Polizisten ein Foto, das er in der Folge zu den Akten reichte und das eine Kontusion am Rande des Augenlids dokumentiert (AS 50, 54). Gemäss den von seinem Rechtsvertreter mit Eingabe vom 1. Juli 2021 nachgereichten Metadaten (vgl. AS 171 und 173) wurde diese Aufnahme am Sonntag, 11. Oktober 2020, um 11:28 Uhr, gemacht.

 

Vor erster Instanz führte der Privatkläger im Unterschied zur tatnächsten Einvernahme aus, der erste Schlag habe ihn oberhalb seines rechten Auges getroffen (AS 200 AS 53 f.). Er bezog sich nun ausschliesslich auf die rechte Gesichtsseite (vgl. AS 201 Z. 68 f.). Diese beiden Abweichungen sind indes nicht gravierend und nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit seiner Aussagen zu erschüttern.

 

Für die Glaubhaftigkeit des Privatklägers sprechen eine Vielzahl von Realkennzeichen. So sind seine Schilderungen detailreich. Er gab in beiden Einvernahmen den Wortlaut der Äusserungen des Beschuldigten wieder und gab anschauliche Einzelheiten zu Protokoll, indem er beispielsweise schilderte, der zweite Mann (I.___) habe den Täter angesprochen, als sie sich gekreuzt hätten, dieser habe aber nur mit den Schultern gezuckt (AS 47). Schliesslich fällt auch auf, wie der Privatkläger auf innere Vorgänge (seine Gedanken) Bezug nahm und darlegte, wie sich seine Erwartungen nicht erfüllten (vgl. AS 47): «Der Mann kam von hinten. Ich dachte, dass dieser kam, um mir zu helfen, dass ich durch die Baustelle fahren kann. Dann kam der Mann zu mir, packte mich am Hemdkragen und gab mir eine Ohrfeige. Er setzte das Ereignis auch in Relation zu anderen Vorfällen im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Chauffeur und betonte glaubhaft den Ausnahmecharakter des Vorfalls (vgl. AS 202 Z. 119 ff.): Er habe sich nicht sehr gut gefühlt. Es komme zwar manchmal vor, dass jemand sage, er solle irgendwo anderswo parkieren. Darüber könne man reden. Hier sei er geschlagen worden, noch bevor er überhaupt etwas habe sagen können. Er sei geschockt gewesen.

 

Ebenso schilderte der Privatkläger anschaulich die Konversation, die er in der Folge mit I.___ führte. Dass der Privatkläger gegenüber diesem ein Schlagen des Beschuldigten sofort thematisierte und vom Zeugen wissen wollte, ob er dies gesehen habe, spricht klar dafür, dass die Aussagen des Privatklägers über das Verhalten des Beschuldigten erlebnisbasiert sind. Ausgehend von der Annahme, der Beschuldigte habe, wie dieser vor erster Instanz angab, den Privatkläger nicht angefasst, ergibt diese – unmittelbar erfolgte und vom Zeugen I.___ ausdrücklich bestätigte – Schilderung bei einem Dritten keinen Sinn.

 

4.3 Zu prüfen bleibt, ob die Sachverhaltsversion des Privatklägers durch die Angaben von I.___ in Frage gestellt werden.

 

4.3.1 Dieser mutmasste anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme als Auskunftsperson, der Privatkläger habe aus Angst die Polizei nicht beiziehen wollen. Er glaube, dass der Lfw.-Fahrer Angst gehabt habe, weil er zu schnell gefahren sei (AS 62 f.). Diese These verfängt aber schon deshalb nicht, weil sich der Privatkläger in Bezug auf seine Fahrt vom 7. Oktober 2020 kein automobilistisches Fehlverhalten vorwerfen lassen muss. Er wurde, wie bereits eingangs dargelegt, von sämtlichen SVG-Vorwürfen rechtskräftig freigesprochen. Es ist festzustellen, dass nicht nur die Darstellung des Beschuldigten, sondern auch jene des Zeugen I.___ hinsichtlich der Fahrgeschwindigkeit des Privatklägers (vgl. AS 64: «Er fuhr ja auch mit Minimum 50 km/h auf uns zu») ganz erheblich von den dokumentierten GPS-Daten (maximal 29 km/h) abwich. Der Privatkläger räumte von Anfang an ein, dass er den sofortigen Beizug der Polizei abgelehnt habe, und begründete dies mit den von ihm noch zu absolvierenden Auslieferungen (vgl. AS 48, oben: «Ich sagte ihm, dass ich noch meine Tour beenden muss»). Der Privatkläger ergänzte, er sei, nachdem er seinen letzten Kunden beliefert gehabt habe, zum dortigen Polizeiposten gefahren und habe das Ganze melden wollen. Da es bereits 18:00 Uhr gewesen sei, habe er die Aussensprechanlage gedrückt, worauf ihm mitgeteilt worden sei, dass er den Vorfall in [Ortschaft 1] bei der Polizei melden müsse. Letzteres tat der Beschuldigte dann auch nachweislich zwei Tage später, am 9. Oktober 2020 (vgl. Strafanzeige vom 2.12.2020: AS 11). Mit Blick auf die Chronologie der Ereignisse steht folglich fest, dass der Privatkläger den Kontakt mit der Polizei suchte, wohingegen der Strafantrag des Beschuldigten als Reaktion auf dessen Begegnung mit dem Privatkläger und den Polizisten Wm G.___ und Wm H.___ im Rahmen des Augenscheins an der [Strasse 1] vom 13. Oktober 2020 zu werten ist (vgl. hierzu auch die E-Mail des Beschuldigten vom 14.10.2020, AS 24, in welcher er offenlegte, dass er ursprünglich die Sache als erledigt betrachtet habe und nicht nur Anzeige habe bringen wollen, nun ihn aber «das Verhalten und die Uneinsichtigkeit des [Lieferfirma]-Fahrers» zu einer anderen Haltung veranlasst hätten).

 

4.3.2 Weiter behauptete I.___, der Beschuldigte habe den Privatkläger gar nicht schlagen können, weil dieser einen Meter (AS 62) bis maximal eineinhalb Meter (AS 196 Z. 136) vom Fahrzeug entfernt gestanden sei. Zwischen den beiden sei «ein Pfosten, also eine Absperrung» gewesen. (Auf entsprechende Nachfrage der Verteidigerin des Beschuldigten, weshalb der Beschuldigte nicht näher zum Fahrzeug habe herantreten können) Es sei ein rotweisser Pfosten zwischen dem Beschuldigten und dem Fahrzeug gewesen, ein bauchhoher Pfosten von der Baustelle (AS 196 Z. 140 f.).

 

4.3.3 Der Beschuldigte berief sich vor erster Instanz ebenfalls auf die örtlichen Gegebenheiten (vgl. bereits vorstehende Ziff. II.4.1.2) und nannte exakt die gleiche Distanzangabe wie bereits der Zeuge (AS 205 Z. 84 f.: «1 1/2 Meter wäre die maximale Distanz gewesen»). Die Verteidigung rückte diesen Aspekt in der Berufungsbegründung in den Vordergrund (vgl. Ziff. B.3. Ziff. 1., BAS 21): Sowohl der Berufungskläger als auch der Zeuge hätten vor erster Instanz ergänzt, dass unmittelbar neben dem Lieferwagen einerseits ein Loch in der Strasse und andererseits eine Thuja-Hecke gewesen seien. Dementsprechend habe der Beschuldigte den Privatkläger gar nicht schlagen können, während dieser im Auto auf dem Fahrersitz gesessen sei.

 

All dies hält jedoch einer näheren Prüfung nicht stand. Den Ausführungen der Verteidigung ist entgegenzuhalten, dass sich der Privatkläger im Zeitpunkt der Tathandlung gar nicht mehr auf dem Fahrersitz, sondern bereits auf der Beifahrerseite befand, um sich zu vergewissern, ob er für die Durchfahrt genug Platz hatte. Dabei habe er – so seine Angaben – den Kopf aus dem rechten Seitenfenster gehalten (AS 47, Antwort auf Frage 1). Auch I.___ bestätigte dies ausdrücklich, indem er ausführte, als er eingetroffen sei, habe der Kopf des Fahrers aus dem Beifahrerfenster herausgeragt (AS 62). Wenig glaubhaft ist sodann die Behauptung, eine Bauabsperrung habe sich zwischen dem Fahrzeug des Privatklägers und dem Beschuldigten befunden. Der Privatkläger verneinte dies ausdrücklich vor erster Instanz (vgl. AS 201 Z. 73). Vergegenwärtigt man sich, dass der Beschuldigte (zugestandenermassen) in einer aufgebrachten Verfassung den Privatkläger zu Rede stellen und diesem seine Meinung «geigen» wollte, so ist wesentlich wahrscheinlicher, dass er auf der Beifahrerseite an diesen herantrat, sich demnach nicht hinter, sondern vor der Absperrung positionierte. Wenn die Platzverhältnisse es dem Beschuldigten gar nicht erlaubt hätten, den Bereich zwischen dem Fahrzeug und der Abschrankung zu betreten, bleibt unerfindlich, weshalb der Beschuldigte dies nicht zu seiner eigenen Entlastung von Beginn an, sondern erstmals über ein Jahr nach dem Vorfall vorgebracht hat. Es ist diesbezüglich von einer Schutzbehauptung auszugehen und es ist hinsichtlich der örtlichen Verhältnisse auf die vom Privatkläger angefertigte und im Berufungsverfahren ins Recht gelegte Handskizze abzustellen, welche den Beschuldigten direkt neben der Beifahrerseite und vor der Baustelle zeigt (BAS 50). Die (vom Beschuldigten und Zeugen) genannte Thuja-Hecke befand sich auf der gegenüberliegenden Strassenseite (so wie auch auf der Handskizze dargestellt) und wie es auch aus der fotografischen Dokumentation hervorgeht (vgl. AS 33 - 35). Diese Hecke hatte folglich für die Frage, ob der Privatkläger auf der rechten (d.h. beifahrerseitigen) Seite tätlich angegangen werden konnte, gar keine Relevanz.

 

4.3.4 Schliesslich lassen sich auch die zeitlichen Angaben des Zeugen nicht gegen die Darstellung des Privatklägers ins Feld führen. I.___ gab immer zu, dass er für ein gewisses Zeitintervall von wenigen Sekunden, nach seiner Schätzung ging es um ca. «15 - 20 Sekunden» bzw. «zehn Sekunden» (vgl. AS 65 und AS 196 Z. 128), keine Sicht auf den Beschuldigten hatte. Entgegen den Vorbringen der Verteidigung in der Berufungsbegründung (vgl. Ziff. B.3. Ziff. 2, AS 21) war bereits ein kurzes Zeitintervall von wenigen Sekunden ausreichend, um einer anderen Person zwei Ohrfeigen zu geben und ihr gegenüber eine Drohung auszusprechen.

 

4.4.1 Im Weitern bringt die Verteidigung vor, der Beschuldigte sei am 13. Oktober 2020 anlässlich des Augenscheins auf die Polizisten und den Privatkläger zugegangen. Es ist unbestritten, dass sich der Beschuldigte, als er an jenem Tag draussen mit dem Hund unterwegs war, als die gesuchte Person bezeichnete (vgl. hierzu bereits vorstehende Ziff. I.2.). Wenn die Verteidigung nun aber aus diesem Umstand folgert, der Beschuldigte hätte dies wohl nicht getan, wenn er etwas zu befürchten gehabt hätte (Berufungsbegründung, B.3. Ziff. 4, AS 21), so vermag dies nicht zu überzeugen. Die erste Begegnung mit dem Beschuldigten lag erst sechs Tage zurück und der Beschuldigte musste damit rechnen, vom Privatkläger wiedererkannt zu werden. Dass sich der Beschuldigte bei dieser Ausgangslage und in Anwesenheit des ihm bekannten Polizisten gleich selber zu erkennen gab, lag nahe und vermag ihn jedenfalls nicht entscheidend zu entlasten.

 

4.4.2 Nicht gefolgt werden kann schliesslich der Verteidigung, wenn sie in der Berufungsbegründung vorbringt, der nicht beschuldigte und daher grundsätzlich unbeteiligte Zeuge habe festgehalten, dass es zu keinen Tätlichkeiten Drohungen gekommen sei (AS 21). Der Zeuge und der Beschuldigte standen in einer vertrauten, (direkt-)nachbarschaftlichen Beziehung zueinander und hatten aufgrund ihrer Anwohnersituation und ihrer familiären Situation (ihre Kleinkinder nutzten die [Strasse 1] üblicherweise als Spielstrasse) gleichgelagerte Interessen. Der Zeuge stand damit in einem Näheverhältnis zum Beschuldigten, weshalb die von der Verteidigung vorgenommene Qualifikation, es habe sich bei ihm um einen grundsätzlich unbeteiligten Zeugen gehandelt, die Sache gerade nicht trifft. Wesentlich ist des Weiteren, dass der Zeuge lediglich verneinte, selber eine Drohung und/oder einen Schlag des Beschuldigten zu Lasten des Privatklägers wahrgenommen zu haben (vgl. AS 197 Z. 168 und 172). Da der Zeuge in beiden Befragungen aber auch stets ausführte, er habe für ein kurzes Zeitintervall keine Sicht mehr auf den Beschuldigten gehabt, schloss dieser folgerichtig eine drohende tätliche Einwirkung des Beschuldigten auf den Privatkläger nie generell aus (vgl. insbesondere AS 65, Frage 23: «Wurde A.___ tätlich gegen den Fahrer?»; Antwort: «Das kann ich nicht sagen.»).

 

4.4.3 Nicht stichhaltig ist ausserdem, was die Verteidigung in der Berufungsbegründung (BAS 22) zur sog. «Aussage-gegen-Aussage-Konstellation» vorbringt. «Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen», in welchen sich als massgebliche Beweise belastende Aussagen des mutmasslichen Geschädigten und bestreitende Aussagen der beschuldigten Person gegenüberstehen, müssen keineswegs zwingend auch nur höchstwahrscheinlich gestützt auf den Grundsatz «in dubio pro reo» zu einem Freispruch führen (vgl. insbesondere Urteil 1B_171/2015 vom 27.5.2015 E. 5.4.1). Die Verfahrensmaxime «in dubio pro reo» erlangt erst dann Bedeutung, wenn das Sachgericht aufgrund seiner Beweiswürdigung ernsthafte Zweifel hinsichtlich des Schuldnachweises hat (Urteil des Bundesgerichts 6B_1356/2016 vom 5.1.2018 E. 3.3). Demnach kommt sie nicht schon dann zur Anwendung, wenn Aussage gegen Aussage steht. Erst wenn die Überzeugung weder in die eine noch in der anderen Richtung zu gewinnen ist, muss gemäss der Unschuldsvermutung der für den Angeklagten günstigere Sachverhalt angenommen werden. Eine solche Konstellation liegt vorliegend jedoch nicht vor. Vielmehr fügen sich die Aussagen des Privatklägers, welche eine Vielzahl von Realkennzeichen aufweisen, zu einem in sich kohärenten Gesamtbild, welches weder durch die Ausführungen des Beschuldigten noch durch die Zeugenaussagen von I.___ in Frage gestellt wird. Es bestehen demnach keine unüberwindlichen Zweifel daran, dass sich der Sachverhalt, so wie vom Privatkläger behauptet, ereignete.

 

4.5 Es ist demnach mit der Vorinstanz auf die Aussagen des Privatklägers abzustellen und folgender Sachverhalt zum Beweisergebnis zu erheben:

 

B.___ befuhr am 7. Oktober 2020 um ca. 17.00 Uhr als Lenker des Lfw. Mercedes […]-[Nummernschild] während einer Auslieferungstour für seine Arbeitgeberin ([Lieferfirma]) bei sehr guten Strassen-, Witterungs- und Sichtverhältnissen und mit nicht übersetzter Geschwindigkeit (durchschnittlich 24 km, maximal 29 km/h) die [Strasse 1] in [Ortschaft 1] in südliche Richtung. Aufgrund von Bautätigkeiten am [Quartierweg 1] war der üblicherweise ab Höhe der Liegenschaft 31 bis zur Liegenschaft 28 für den Verkehr mittels Pfosten gesperrte Abschnitt der [Strasse 1] damals – als Umfahrungsroute für den etappenweise gesperrten [Quartierweg 1] – allgemein (d.h. nicht nur für Anwohner Baustellenfahrzeuge) befahrbar, was für die Anwohnerschaft eine Verschlechterung (deutlich höheres Verkehrsaufkommen) bedeutete und bereits seit Monaten für ein angespannte Situation sorgte, da die Kinder des Quartiers die [Strasse 1] als Spielstrasse nutzten (vgl. hierzu auch die Angaben des Beschuldigten [AS 57] sowie die Angaben von I.___ [AS 65 f. und 67]: Die [Strasse 1] sei in diesem Jahr [= 2020] bestimmt schon sieben Mal für die Durchfahrt geöffnet worden, im Quartier seien 10 - 13 Kinder, es sei deswegen oft, beinahe täglich, zu Problemen gekommen; die Kinder seien gewohnt, auf dieser Strasse zu spielen). Auf der Höhe der Liegenschaft [Strasse 1, Nr.] 16 traf der Lenker auf die dortigen Anwohner, die Familien des Beschuldigten und von I.___. Die Kleinkinder derselben hatten kurz zuvor noch auf der Fahrbahn gespielt und mussten von den Eltern auf die Seite genommen werden. Der Privatkläger schaltete in den zweiten Gang herunter und bremste leicht ab, als er am Strassenrand die Personengruppe mit den Kindern erblickte. Nach der Durchfahrt an derselben beschleunigte der Chauffeur seinen Lfw. wieder.

 

Den Beschuldigte versetzte die Durchfahrt des Privatklägers in grosse Aufregung und Sorge. Er war gemäss seinen eigenen Worten schockiert und aufgebracht. Bereits die Fahrt des Privatklägers als solche stufte der Beschuldigte – zu Unrecht – als rechtswidrigen Akt ein. Wie sich aus seiner E-Mail an den Polizisten G.___ vom 14. Oktober 2020 erschliesst (AS 24), ging er von der falschen Annahme aus, die Sackgasse sei in Anbetracht der Strassensanierungsarbeiten am [Quartierweg 1] ausschliesslich für die Anwohnerschaft aufgehoben gewesen. Dass der Privatkläger schliesslich sein Fahrtempo nach einem Abbremsen wieder erhöhte, obwohl er kurz zuvor von I.___ noch mittels Handzeichen und Zurufen unmissverständlich aufgefordert worden war, seine Geschwindigkeit zu drosseln, enervierte den Beschuldigten zusätzlich. Der Beschuldigte entschloss sich in hochemotionalem Zustand, dem Lfw. nachzurennen, um die Konfrontation mit dem Chauffeur zu suchen. Auf der Höhe der Liegenschaft [Strasse 1, Nr.] 10 erreichte der Beschuldigte schliesslich den Lieferwagen, der vom Privatkläger zwischenzeitlich bereits zum Stillstand gebracht worden war, weil sich dieser vergewissern wollte, ob er die sehr enge Linkskurve (vgl. Foto AS 35) passieren konnte, ohne die auf der rechten Seite positionierte Bauabschrankung zu touchieren.

 

Als der Privatkläger den Kopf durch die Beifahrertüre hinausstreckte, packte der Beschuldigte überraschend den Fahrer an seiner Kleidung und schlug ihn mit der flachen Hand ins Gesicht. In der Folge teilte er dem Privatkläger mit, wenn er nochmals so fahre, werde etwas noch Schlimmeres passieren. Nicht erstellt ist hingegen, dass der Beschuldigte dem Privatkläger androhte, ihn umzubringen, wenn er nochmals so fahre. Diese Worte, die schliesslich Eingang in den Strafbefehl vom 25. Januar 2021 fanden (vgl. AS 3), gehen ausschliesslich aus einer Handnotiz auf einer vom Privatkläger am 14. Oktober 2020 eingereichten Beilage (Routenplan gestützt auf die GPS-Daten: AS 52) hervor. Weder in den beiden polizeilichen Einvernahmen noch anlässlich der Befragung vor erster Instanz verwendete er jedoch diese Formulierung.

 

Im Weiteren ohrfeigte der Beschuldigte den Privatkläger ein weiteres Mal, teilte diesem schliesslich mit, er solle abhauen, und liess von ihm ab.

 

 

III. Rechtliches

 

1. Prozessuales

 

1.1 In Bezug auf die vorinstanzliche Verurteilung wegen Drohung lässt der Beschuldigte eine Verletzung des Anklageprinzips geltend machen. Die Verteidigung führt zur Begründung im Wesentlichen aus, gemäss Anklageschrift werde dem Berufungskläger vorgeworfen, er habe zum Privatkläger gesagt «nächstes Mal, wenn du so fährst, bringe ich dich um». Das Gericht sei an diesen angeklagten Sachverhalt gebunden. Aus den Akten gehe indessen klar hervor, dass dieser Satz so nie gefallen sei. Die Vorinstanz halte denn auch auf Seite 15 des begründeten Urteils fest, die Wortwahl gemäss Strafbefehl sei nicht erwiesen. Bei dieser Ausgangslage hätte das Richteramt Thal-Gäu feststellen müssen, dass sich der angeklagte Sachverhalt so nicht ereignet habe, womit ein Freispruch vom Vorwurf der Drohung erfolgen müsse.

 

1.2 Der Anklagegrundsatz bestimmt den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion) und bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person (Informationsfunktion). Gemäss Art. 9 Abs. 1 StPO kann eine Straftat nur gerichtlich beurteilt werden, wenn die Staatsanwaltschaft gegen eine bestimmte Person wegen eines genau umschriebenen Sachverhalts Anklage erhoben hat. Die Anklageschrift bezeichnet möglichst kurz aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfene Tat mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Entscheidend ist, dass die beschuldigte Person genau weiss, was ihr konkret vorgeworfen wird, damit sie ihre Verteidigungsrechte angemessen ausüben kann (BGE 143 IV 63 E. 2.2 mit Hinweisen). Die Anklageschrift ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck der Umgrenzung des Prozessgegenstandes und der Information des Angeklagten (Urteil des Bundesgerichts 6B_63/2020 vom 10.3.2021 E. 2.3.2 mit Hinweis auf die Urteile 6B_550/2019 vom 8.7.2019 E. 2.2; 6B_361/2017 vom 2.11.2017 E. 2.4.1). 

 

1.3 Gemäss dem Beweisergebnis äusserte sich der Beschuldigte gegenüber dem Privatkläger dahingehend, dass etwas Schlimmeres passiere, wenn er hier nochmals so durchfahre. Nicht erstellt ist hingegen, dass der Beschuldigte drohte, den Privatkläger umzubringen. Insofern ist mit der Verteidigung festzustellen, dass die zur Anklage gebrachte Drohung – vom Wortlaut her – vom Beweisergebnis abweicht. Daraus auf eine Verletzung des Anklagegrundsatzes zu schliessen, geht jedoch aus folgenden Gründen fehl: Mit Blick auf die hohen Anforderungen an das Beweismass ist das Beweisergebnis vielfach nicht mit dem zur Anklage gebrachten Sachverhalt deckungsgleich, sondern bleibt – wie auch vorliegend – hinter diesem zurück: Der Nachweis, dass der Beschuldigte dem Privatkläger als künftiges Übel dessen Elimination (Tötung) in Aussicht gestellt hat, ist nicht erbracht. Gemäss dem Beweisergebnis drohte der Beschuldigte, es werde «etwas Schlimmeres» geschehen, wenn der Privatkläger an der [Strasse 1] nochmals so durchfahre. Eine Ausdrucksweise, die deutlich weniger drastisch ist und deren Tragweite sich erst im Kontext mit den Handlungen erschliesst, die sich unmittelbar vor und nach dieser Mitteilung ereigneten (vgl. hierzu nachfolgende Ziffer III.2.2). Damit steht fest, dass die Vorinstanz nicht über den angeklagten Sachverhalt hinausging. Ebenso wenig kann behauptet werden, der Beschuldigte sei überraschend erst im vorinstanzlichen Urteil mit neuen, ihm zuvor nicht zur Kenntnis gebrachten Vorhalten konfrontiert worden. Ihm war von Anfang an klar, dass es einzig und allein um seine Äusserung anlässlich der von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Lenker des [Lieferfirma]-Lfw. am 7. Oktober 2020 an der [Strasse 1] in [Ortschaft 1] ging. Das Ereignis war für den Beschuldigten klar eingegrenzt. Dem Beschuldigten war folglich klar, wogegen er sich zu wehren hatte. Dass und inwiefern ihm untern den vorliegenden Umständen eine wirksame Verteidigung nicht möglich gewesen sein sollte, ist nicht ersichtlich. Die Rüge der Verteidigung erweist sich deshalb als unbegründet. Der Anklagegrundsatz ist nicht verletzt.

 

 

2. Materielles

 

2.1 Tätlichkeiten nach Art. 126 StGB

 

2.1.1 Gemäss Art. 126 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers der Gesundheit zur Folge haben. Als Tätlichkeit gilt der geringfügige und folgenlose Angriff auf den Körper die Gesundheit eines anderen Menschen (BGE 68 IV 85; 103 IV 65). Es muss damit einerseits nach unten zu harmlosen, noch nicht strafwürdigen «Rempeleien» und andererseits nach oben zu den als Vergehen geltenden Körperverletzungen abgegrenzt werden (Andreas Roth/Tornike Keshelava in: Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Strafrecht, 4. Auflage, Basel 2019, nachfolgend «BSK StGB», Art. 126 StGB N 2). Das Bundesgericht nimmt eine Tätlichkeit an, wenn das allgemein übliche und gesellschaftlich geduldete Mass einer Einwirkung auf den Körper eines andern überschritten wird, dabei aber noch keine Schädigung bewirkt wird (BGE 117 IV 14; 119 IV 25; 134 IV 189). Subjektiv ist Vorsatz gefordert, wobei wiederum Eventualvorsatz genügt (Art. 12 Abs. 2 StGB).

 

2.1.2 Die beiden Ohrfeigen, die kurz aufeinander erfolgten und von einem Vorsatz getragen waren (keine mehrfache Tatbegehung), sind von der Vorinstanz rechtlich zutreffend unter den objektiven und subjektiven Tatbestand von Art. 126 StGB subsumiert worden. Eine Ohrfeige ist nach der Rechtsprechung eine typische Tätlichkeit (Andreas Roth/Tornike Keshelava in: BSK StGB, Art. 126 StGB N 3 mit Hinweisen auf die kantonale Judikatur). Es kann vollumfänglich auf die Ausführungen unter Ziff. II.D.4.a des vorinstanzlichen Urteils verwiesen werden (Art. 82 Abs. 4 StPO). Die rechtliche Würdigung ist in diesem Punkt denn auch von der Verteidigung unbestritten geblieben. Der Beschuldigte ist der Tätlichkeiten, begangen am 7. Oktober 2020 zu Lasten des Privatklägers, schuldig zu sprechen.

 

2.2 Drohung nach Art. 180 StGB

 

2.2.1 Nach Art. 180 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer jemanden durch schwere Drohung in Schrecken Angst versetzt. Der objektive Tatbestand setzt voraus, dass der Drohende seinem Opfer ein künftiges Übel ankündigt in Aussicht stellt. Eine Drohung im Sinne von Art. 180 StGB liegt nur vor, wenn der Eintritt des angekündigten Übels in irgendeiner Weise als vom Drohenden abhängig hingestellt wird. Der Bedrohte muss die Verwirklichung des angedrohten Übels befürchten. Dies bedeutet einerseits, dass er die Zufügung des Übels für möglich hält tatsächlich damit rechnet und andererseits, dass der angedrohte Nachteil von solcher Schwere ist, dass er – im Sinne des Taterfolgs – Schrecken Angst zu erzeugen vermag. Dadurch verletzt ein Täter den inneren Frieden bzw. das Sicherheitsgefühl seines Opfers. «Schrecken» ist eine heftige Erschütterung des Gemüts, die meist durch das plötzliche Erkennen einer Gefahr Bedrohung ausgelöst wird, während «Angst» ein beklemmendes, banges Gefühl ist, bedroht zu sein. Unter Drohung wird nicht bloss eine ausdrückliche Erklärung des Drohenden, sondern jegliches Verhalten verstanden, durch welches das Opfer vom Drohenden bewusst in Schrecken Angst versetzt wird. Dies kann durch Worte, aber auch durch Gesten, durch konkludentes Verhalten anderweitiges «Wissenlassen» erfolgen (BSK StGB-Vera Delnon/Bernhard Rüdy in: BSK StGB, Art. 180 StGB N 10 ff.).

 

Gemäss dem Wortlaut von Art. 180 Abs. 1 StGB muss die Drohung schwer sein und Angst machen. Damit sind zwei Elemente im Spiel: Einerseits ein objektives, aber schwer objektivierbares, nämlich das Tatmittel der «schweren» Drohung, anderseits ein subjektives, nämlich der beim Opfer hervorgerufene Schrecken die bei ihm erzeugte Angst. Das Gesetz geht von schwerwiegenden Angriffen auf das innere Gleichgewicht einer Person aus. Das Tatmittel der schweren Drohung ist dabei an einem objektiven Massstab zu messen. Nur diejenige Drohung soll als schwer gelten, die ein verständiger Mensch mit durchschnittlicher Belastbarkeit als solche empfindet. Bei der Androhung von strafbaren rechtswidrigen Handlungen von einigem Gewicht dürfte eine schwere Drohung im Rechtssinne regelmässig erfüllt sein. Zudem ist erforderlich, dass die betroffene Person durch das Verhalten des Täters tatsächlich in Schrecken Angst versetzt wird. Tritt dieser tatbestandsmässige Erfolg nicht ein, kommt nur eine Verurteilung wegen versuchter Drohung in Betracht (Vera Delnon/Bernhard Rüdy in: BSK StGB, Art. 180 StGB N 19 und 23 f.). Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz beziehungsweise zumindest Eventualvorsatz im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Satz 2 StGB. Die Täterschaft muss den Willen haben, ihr Opfer in Schrecken Angst zu versetzen und sich bewusst sein, dass ihre Drohung diese Wirkung hervorruft dies zumindest in Kauf nehmen (Vera Delnon/Bernhard Rüdy in: BSK StGB, Art. 180 StGB N 33).

 

2.2.2 Der Beschuldigte lässt hinsichtlich Art. 180 StGB eine falsche Rechtsanwendung rügen, indem in der schriftlichen Berufungsbegründung zusammengefasst Folgendes geltend gemacht wird (BAS 24): Der Privatkläger sei zu keinem Zeitpunkt in Angst und Schrecken versetzt worden. Er habe den Satz, wonach das nächste Mal etwas Schlimmes passiere, offensichtlich selber nicht als «drohend» wahrgenommen. Vor erster Instanz habe dieser auf die Frage seines Rechtsvertreters ausgeführt, er habe sich wegen des Vorfalls nicht gut gefühlt, und zwar weil er geschlagen worden sei. Er habe folglich gerade nicht geltend gemacht, dass er aufgrund der angeblichen Drohung in irgendeiner Weise Angst gehabt hätte. Letzteres erscheine auch nicht nachvollziehbar, weil der Berufungskläger weder den Namen noch die Adresse des Privatklägers gekannt habe. Der tatbestandsmässige Erfolg von Art. 180 StGB sei somit nicht eingetreten, so dass man dem Berufungskläger nur eine versuchte Drohung vorwerfen könnte, die jedoch nicht angeklagt worden sei. Es fehle aber auch am subjektiven Tatbestand. Die Vorinstanz halte diesbezüglich lediglich fest, der Berufungskläger habe bewusst in Kauf genommen, den Privatkläger in Angst und Schrecken zu versetzen, ohne dies aber zu begründen. Der Beschuldigte habe zugegeben, den besagten Satz geäussert zu haben. Der Beschuldigte sei aufgeregt gewesen und habe dem Privatkläger erklären wollen, dass bei einer solchen Fahrweise das nächste Mal etwas Schlimmes passieren könnte. Man könne und müsse den Satz so verstehen, dass der Privatkläger bzw. sie alle dieses Mal Glück gehabt hätten, dass nichts passiert sei. Das sei eine Feststellung und keine schwere Drohung.

 

2.2.3 Diese Argumentation verfängt aus mehreren Gründen nicht. Vorab ist klarzustellen, dass der Beschuldigte nach dem massgeblichen Beweisergebnis (vgl. vorstehende Ziff. II.4.5) nicht «etwas Schlimmes», sondern «etwas Schlimmeres» angedroht hatte. Mit diesen Worten setzte der Beschuldigte das von ihm in Aussicht gestellte Übel in Relation zu einem bereits erfolgten Ereignis. Dieser Äusserung ging eine Ohrfeige voraus und der Beschuldigte doppelte gleich nach, indem er den Privatkläger unmittelbar darauf nochmals ins Gesicht schlug. Wird die Bemerkung des Beschuldigten nicht – wie von der Verteidigung – aus dem konkreten Kontext herausgerissen, sondern in diesen eingebettet, erschliesst sich zweifelsfrei, was der Beschuldigte mit «etwas Schlimmeres» meinte: Es war dies die gewaltsame Einwirkung auf den Privatkläger, wobei die zu erwartende Schwere über die soeben erlittene Ohrfeige bzw. Tätlichkeit hinausging (= «etwas Schlimmeres»). Das in Aussicht gestellte Übel war damit nach objektiven Gesichtspunkten von erheblicher Schwere, die Drohung im Sinne des objektiven Tatbestandes folglich «schwer». Entgegen den Vorbringen der Verteidigung verfehlte diese Äusserung auch beim Privatkläger nicht ihre Wirkung. Der Privatkläger rückte die beiden Schläge ins Gesicht zwar in seinen Befragungen stärker in den Vordergrund als diese Äusserung. Dies ändert aber nichts daran, dass der Privatkläger in allen Einvernahmen nicht nur die Tätlichkeiten, sondern immer auch diese Äusserung erwähnte. Er wollte denn auch, dass der Beschuldigte für sein gesamtes Verhalten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. Der Privatkläger, der noch unter dem Eindruck der soeben erlittenen Ohrfeige stand, hatte sicherlich keine Zweifel an der Gewaltbereitschaft des Beschuldigten. Er nahm die Drohung ernst. Auf die Frage des Vorderrichters, wie er die Aussage, es werde etwas Schlimmeres passieren, aufgefasst habe, gab er zur Antwort, das habe ihm sehr Angst gemacht (AS 201 Z.63). Damit ist auch der erforderliche tatbestandsmässige Erfolg der Drohung eingetreten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Beschuldigte die Adresse des Privatklägers damals nicht kannte. Es konnte auf künftigen Auslieferungstouren, die der Privatkläger für seine Arbeitgeberin erledigen musste, ohne Weiteres wieder zu Konfrontationen mit dem Beschuldigten an dessen Wohnort bzw. an dessen Wohnstrasse kommen.

 

Auch der subjektive Tatbestand ist gegeben. Der Beschuldige wusste um den drohenden Charakter seiner Worte und wollte bzw. nahm zumindest in Kauf, dass diese beim Privatkläger Angst und Schrecken hervorriefen. Rechtfertigungs- Schuldausschliessungsgründe sind keine gegeben.

 

Treffen – wie vorliegend – Tätlichkeiten (Art. 126 StGB) und Drohung (Art. 180 StGB) zusammen, ist echte Konkurrenz anzunehmen, denn das Unrecht der Drohung (Erzeugen von Schrecken Angst in der Psyche des Opfers durch Ankündigung eines schweren Nachteils) ist nicht identisch mit dem erlittenen Unrecht der Tätlichkeiten (Andreas Roth/Tornike Keshelava in: BSK StGB, Art. 126 StGB N 17).

 

Folglich hat in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils auch ein Schuldspruch wegen Drohung, begangen am 7. Oktober 2020 zum Nachteil des Privatklägers, zu ergehen.

 

 

IV. Strafzumessung

 

1. Grundsätze der Strafzumessung

 

Die Vorinstanz hat die allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung ausführlich und korrekt dargelegt (vgl. US 16 unten/AS 265 unten), darauf kann vollumfänglich verwiesen werden.

 

2. Konkrete Strafzumessung

 

2.1 Drohung

 

2.1.1 Art. 180 StGB (Drohung) ist als Vergehen konzipiert. Die Strafbestimmung sieht als Sanktion eine Freiheitsstrafe von ein bis zu drei Jahren Geldstrafe vor. Die Vorinstanz hat hinsichtlich der Tatkomponenten zutreffend dargelegt, dass der Beschuldigte weder hinterlistig noch planmässig gehandelt habe. Die Drohung äusserte der Beschuldigte spontan, aus der Situation heraus, in einem aufgewühlten und hochemotionalen Zustand. Der Tat ging – objektiv betrachtet – keine Provokation des Privatklägers voraus, denn dieser verhielt sich regelkonform. Der Beschuldigte empfand die Fahrt des Privatklägers allerdings als eine (seine Kleinkinder gefährdende) Provokation, weil er zu Unrecht davon ausging, der Chauffeur des Lfw. habe die Quartierstrasse damals gar nicht befahren dürfen. Hierzu ist zu sagen, dass dieser Irrtum durchaus vermeidbar gewesen wäre, gerade wenn man sich das [Fach/Tätigkeitsfeld] des Beschuldigten vergegenwärtigt: Dieser war bereits im Tatzeitpunkt als [nähere Bezeichnung der Funktion] in [Ortschaft 1] im […] tätig (vgl. seine eigenen Angaben vor erster Instanz: AS 203 Z. 14 f.). Und selbst wenn der Privatkläger die Strasse tatsächlich nicht hätte befahren dürfen, hätte dies die Drohung des Beschuldigten in keiner Weise gerechtfertigt entschuldigt. Seine väterliche Sorge um die eigenen Kleinkinder und sein Ärger über den – bloss vermeintlichen – Regelbruch liefern aber zumindest einen Erklärungsansatz, weshalb es zu diesem stark gereizten Zustand des Beschuldigten und schliesslich zu dieser Grenzüberschreitung zum Nachteil des Privatklägers kommen konnte. Der Vorinstanz ist auch beizupflichten, wenn sie hinsichtlich der Tatfolgen festhält, der Privatkläger sei zwar nicht in Panik geraten, aber zumindest stark beunruhigt gewesen, habe er doch auch künftig – dies im Kontext mit seiner Berufsausübung als Chauffeur – dort durchfahren müssen. Zudem habe er den Beschuldigten nicht gekannt. Letzteres machte künftige Begegnungen gänzlich unberechenbar. Er musste mit der Anwendung von Gewalt rechnen, was als schwere Drohung zu werten ist, wobei es sich hierbei um ein tatbestandsimmanentes Element handelt. Art. 180 StGB erfasst nur schwere Drohungen. Auch ist mit Blick auf das gesamte Tatspektrum einzuräumen, dass es noch deutlich schwerere Drohungen gibt. Hier ist insbesondere an Formulierungen zu denken, bei welchen der Bedrohte nicht nur in Bezug auf sich selbst, sondern auch in Bezug auf seine Angehörigen (Partnerin und Kinder) in Angst und Schrecken versetzt wird. Das Tatverschulden wiegt noch sehr leicht. Angemessen erweisen sich hierfür bei einem Strafrahmen, der sich bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bzw. bis zu 1'095 Strafeinheiten erstreckt, sowie vor Berücksichtigung der Täterkomponenten 30 Tagessätze Geldstrafe.

 

Bei den Täterkomponenten ist Folgendes zu berücksichtigen: Der Beschuldigte ist nicht vorbestraft, was als Normalfall zu gelten hat und nach der bundesgerichtlichen Praxis deshalb neutral zu werten ist. Hinsichtlich des Vorlebens wird auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz (vgl. Ziff. III.B.3. lit. a, AS 257/US 18) verwiesen. Es geht daraus nichts hervor, was hinsichtlich der Strafzumessung von Relevanz wäre. In Bezug auf das Nachtatverhalten sind weder straferhöhende noch strafmindernde Aspekte auszumachen. Es fällt auf, mit welch drastischen Ausdrücken der Beschuldigte im vorliegenden Verfahren – zu Unrecht – das Verhalten des Privatklägers anprangerte, wohingegen eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und echte Reue Einsicht nicht zu erkennen waren. Eine besondere Strafempfindlichkeit ist nicht gegeben.

 

Insgesamt wirken sich die Täterkomponenten neutral aus.

 

Damit würde eine Strafe von 30 Tagessätzen Geldstrafe resultieren. In Anbetracht des Verschlechterungsverbots ist das Strafmass der Vorinstanz von 15 Tagessätzen Geldstrafe zu bestätigen.

 

2.1.2 Hinsichtlich der konkreten Tagessatzhöhe ist auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten im Zeitpunkt des Urteils abzustellen, wobei Ausgangspunkt der Bemessung das durchschnittliche Nettoeinkommen bildet. Gemäss dem Lohnausweis für das Jahr 2021 erzielte der Beschuldigte ein Nettoeinkommen von CHF 165'537.00, was monatlich CHF 13'794.75 entspricht. Davon sind für die steuerrechtliche Belastung und Krankenkassenprämien pauschal 30 % (= CHF 4'138.45) in Abzug zu bringen. Von den verbleibenden CHF 9'656.30 sind für die Ehegattin, die gemäss der eingereichten definitiven Steuerveranlagung 2020 kein eigenes Erwerbseinkommen mehr generiert, 15 %, für das 1. Kind weitere 15 % und für das 2. Kind 12,5 % (total CHF 4'103.95) abzuziehen, so dass ausgehend von monatlich CHF 5'552.35 ein Tagessatz von abgerundet CHF 180.00 resultiert. Die Vorinstanz hat – auf der Grundlage des damals deutlich tieferen Einkommens (massgebender Nettolohn von monatlich CHF 10'500.00) – einen Tagessatz von CHF 170.00 berechnet.

 

Aufgrund von Tatsachen, die dem erstinstanzlichen Gericht nicht bekannt sein konnten, kann die Rechtsmittelinstanz eine strengere Bestrafung ausfällen, auch wenn das Rechtsmittel nur zu Gunsten der beschuldigten Person ergriffen worden ist. Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Bemessung der Höhe des Tagessatzes nach Art. 34 Abs. 2 Satz 3 StGB können solche Tatsachen sein. In einem Leitentscheid stellte das Bundesgericht fest, dass das Berufungsgericht mit der Erhöhung des Tagessatzes angesichts der von ihm festgestellten und nach dem erstinstanzlichen Urteil verbesserten finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers das Verschlechterungsverbot nicht verletzt habe (BGE 144 IV 198, Regeste). Demzufolge ist der Tagessatz auf CHF 180.00 festzusetzen.

 

2.1.3 Der Beschuldigte ist nicht vorbestraft und seit den vorliegend beurteilten Taten, die nun bereits 2 1/3 Jahre zurückliegen, nicht mehr deliktisch in Erscheinung getreten. Er ist beruflich und politisch ([…]) etabliert und lebt in sehr stabilen Verhältnissen. Der Vollzug der Geldstrafe erscheint daher nicht als notwendig, um den Beschuldigten vor weiteren Straftaten abzuhalten. Es ist ihm deshalb der bedingte Strafvollzug zu gewähren und die Probezeit ist auf das gesetzliche Minimum von zwei Jahren festzusetzen (Art. 42 Abs. 1 und Art. 44 Abs. 1 StGB).

 

2.2 Tätlichkeiten

 

Art. 126 StGB (Tätlichkeiten) ist als Übertretung konzipiert, so dass dieses Delikt mit einer Busse zu ahnden ist.

 

In Bezug auf das Tatverschulden ist festzuhalten, dass der Beschuldigte in einer emotional aufgebrachten Stimmung die Selbstbeherrschung verlor und ausrastete, indem er den Privatkläger gleich zweimal ohrfeigte, ohne dass Letzterer den Beschuldigten zuvor provoziert hatte. Der von der Vorinstanz auf CHF 150.00 festgesetzte Bussenbetrag müsste, gerade auch unter Berücksichtigung der deutlich überdurchschnittlichen finanziellen Leistungsfähigkeit des Beschuldigten, die neben dem Verschulden bei der Bemessung der Busse Rechnung zu tragen ist, angehoben werden. Einer solchen Erhöhung der Busse steht indes das Verschlechterungsverbot entgegen. Das vorinstanzliche Urteil ist in Bezug auf den Bussenbetrag und die Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen zu bestätigen.

 

 

V. Kosten- und Entschädigungsfolgen

 

1. Verfahrenskosten

 

1.1 Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens machen mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'200.00 total CHF 1'600.00 aus. Von diesen Kosten hat die Vorinstanz die Hälfte (= CHF 800.00) dem gegen den Privatkläger geführten Strafverfahren zugeordnet und zufolge Freispruchs auf die Staatskasse genommen. Die verbleibenden Verfahrenskosten von CHF 800.00 wurden dem Beschuldigten auferlegt. In Anbetracht des Verfahrensausgangs ist dieser Kostenentscheid zu bestätigen.

 

1.2 Der Beschuldigte unterliegt vollständig mit seiner Berufung, so dass er die Kosten des Berufungsverfahrens, welche mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'000.00 total CHF 1'045.00 ausmachen, zu tragen hat (Art. 428 Abs. 1 StPO).

 

2. Parteientschädigungen

 

2.1 Der Kostenentscheid präjudiziert die Entschädigungsfrage (BGE 137 IV 352 E. 2.4.2 S. 357). Dem Beschuldigten, dem sowohl die Kosten des erst- als auch des zweitinstanzlichen Verfahrens vollumfänglich auferlegt worden sind, ist demzufolge keine Parteientschädigung auszurichten. Das entsprechende Begehren ist abzuweisen.

 

2.2 Der im Strafverfahren gegen den Beschuldigten vollständig (Berufungsverfahren) bzw. teilweise (erstinstanzliches Verfahren) obsiegende Privatkläger hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 433 Abs. 1 lit. a und Art. 436 Abs. 1 StPO).

 

Die Vorinstanz hat in Bezug auf den geltend gemachten Gesamtaufwand des Rechtsvertreters von B.___, Advokat Gabriel Giess, einige Kürzungen vorgenommen (vgl. tabellarische Übersicht auf AS 263/US 24) und (rechnerisch) ein Gesamthonorar CHF 4'731.35 festgesetzt, welches sowohl die Aufwendungen von Advokat Gabriel Giess im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen seinen Mandanten (= ½ von CHF 4'731.35) als auch jene im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen den Beschuldigten (= ½ von CHF 4'731.35) erfasst. Die Vorinstanz entschied, dass der Beschuldigte von diesem letztgenannten Betrag (= CHF 2'365.70) die Hälfte bzw. vom Gesamtbetrag einen Viertel, ausmachend CHF 1'182.85 (inkl. Auslagen und MWST), dem Privatkläger B.___, vertreten durch Advokat Gabriel Giess, als reduzierte Parteientschädigung zu bezahlen hat. Mit dieser Reduktion der Parteientschädigung wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass der Privatkläger erstinstanzlich als Zivilkläger unterlag. Eine weitere Reduktion dieser Entschädigung drängt sich nicht auf. In Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils hat der Beschuldigte dem im Strafpunkt obsiegenden Privatkläger eine reduzierte Parteientschädigung im Umfang von total CHF 1'182.85 zu bezahlen.

 

2.3 Im zweitinstanzlichen Verfahren obsiegt der Privatkläger vollumfänglich, weshalb ihm eine volle Parteientschädigung zu Lasten des Beschuldigten bzw. Berufungsklägers auszurichten ist.

 

Der in der Honorarnote vom 15. September 2022 (BAS 56 f.) geltend gemachte Aufwand macht 12,75 Stunden zu je CHF 250.00 aus.

 

Am 16. November 2021 wurde der Rechtsvertreter des Privatklägers von der Vorinstanz über die Berufungsanmeldung des Beschuldigten orientiert und Advokat Gabriel Giess orientierte seinerseits seinen Mandanten. Dieser minimale Aufwand ist mit 5 Minuten zu berücksichtigen (Kürzung von 15 Minuten, vgl. Position vom 16.11.2021). Bei der folgenden Position vom 31. Januar 2022 («Studium Urteil und Berufungserklärung, E-Mail Korr. mit Kl.») ist der geltend gemachte Aufwand von 75 Minuten um 30 Minuten zu reduzieren, da die Vorinstanz für die sog. Nachbearbeitung bereits 30 Minuten entschädigt hat (vgl. AS 263).

 

In der Folge wurde Advokat Gabriel Giess mit diversen standardisierten Kurzverfügungen des Gerichts bedient, deren Kenntnisnahme und Orientierung des Mandanten einen zeitlichen Minimalaufwand von je 5 Minuten bzw. hinsichtlich der Position vom 15. September 2022 von 10 Minuten in Anspruch nahmen. Es geht im Einzelnen um folgende Positionen:

 

-       Position vom 22.2.2022: Verfügung (nachfolgend Vfg.) vom 18.2.2022: Stellungnahme der Staatsanwaltschaft (Verzicht auf Anschlussberufung und weitere Verfahrensteilnahme) zur Kenntnis, Kürzung: 10 Minuten;

-       Position vom 15.3.2022: Vfg. vom 3.5.2022: Vorschlag schriftliches Berufungsverfahren inkl. Fristansetzung zur Stellungnahme, Kürzung: 10 Minuten;

-       Position vom 25.3.2022: Vfg. vom 24.3.2022: Anordnung des schriftlichen Verfahrens im Einverständnis mit den Parteien und Fristansetzung für Berufungsbegründung, Kürzung: 10 Minuten;

-       Position vom 4.7.2022: Vfg. vom 28.6.2022: Mitteilung über Eingang der beiden Fristerstreckungsgesuche und Gutheissung beider Gesuche, Kürzung: 5 Minuten;

-       Position vom 15.9.2022: Vfg. vom 13.9.2022: Zustellung der einseitigen Eingabe von RA Weisskopf, Fristansetzung für Einreichung der Honorarnote, Bekanntgabe der Zusammensetzung des Spruchkörpers, Kürzung: 15 Minuten.

 

Die von Advokat Gabriel Giess gestellten Fristerstreckungsgesuche sind praxisgemäss dem Kanzleiaufwand zuzurechnen, so dass folgende Positionen zu streichen sind:

 

-       Position vom 2.6.2022: 15 Minuten;

-       Position vom 24.6.2022: im Umfang von 10 Minuten, die verbleibenden 10 Minuten fallen auf die Durchsicht der vom Klienten eingereichten Unterlagen;

-       Position vom 25.7.2022: 10 Minuten.

 

Unter Berücksichtigung dieser Kürzungen von total 130 Minuten resultiert ein Gesamtaufwand von 10,583 Stunden zu je CHF 250.00 (= CHF 2'645.85). Zuzüglich Auslagen von CHF 104.20 und 7,7 % MWST auf CHF 2'750.05 (= CHF 211.75) hat der Beschuldigte dem Privatkläger, vertreten durch Advokat Gabriel Giess, für das Berufungsverfahren eine Parteientschädigung von CHF 2'961.80 zu bezahlen.

Demnach wird in Anwendung von Art. 34, Art. 42 Abs. 1, Art. 44 Abs. 1, Art. 47, Art. 126 Abs. 1, Art. 106, Art. 180 Abs. 1 StGB; Art. 426 Abs. 1, Art. 428 Abs. 1 und 3, Art. 433 Abs. 1 lit. a, Art. 436 Abs. 1 StPO festgestellt und erkannt:

1.    Es wird festgestellt, dass B.___ gemäss rechtskräftiger Ziffer 1 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu vom 2. November 2021 (nachfolgend erstinstanzliches Urteil) vom Vorhalt der Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtanpassen der Geschwindigkeit sowie durch Belästigung durch vermeidbaren Lärm (Ziff. 1 des Strafbefehls vom 25.2.2021) freigesprochen worden ist.

2.      A.___ hat sich wie folgt schuldig gemacht:

a)    Tätlichkeiten, begangen am 7. Oktober 2020, in [Ortschaft 1], zum Nachteil von B.___ (Ziff. 1.1 des Strafbefehls vom 25.1.2021);

b)    Drohung, begangen am 7. Oktober 2020, in [Ortschaft 1], zum Nachteil von B.___ (Ziff. 1.2 des Strafbefehls vom 25.1.2021).

3.      A.___ wird verurteilt zu:

a)    einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je CHF 180.00, unter Gewährung des bedingten Vollzuges bei einer Probezeit von zwei Jahren,

b)    einer Busse von CHF 150.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise zu zwei Tagen Freiheitsstrafe.

4.      Es wird festgestellt, dass gemäss rechtskräftiger Ziffer 4 des erstinstanzlichen Urteils die Genugtuungsforderung von B.___ gegenüber A.___ abgewiesen worden ist.

5.      Es wird festgestellt, dass gemäss rechtskräftiger Ziffer 5 des erstinstanzlichen Urteils die Genugtuungsforderung von A.___ gegenüber B.___ abgewiesen worden ist.

6.      Es wird festgestellt, dass gemäss rechtskräftiger Ziffer 6 des erstinstanzlichen Urteils B.___, verteidigt durch Advokat Gabriel Giess, für das erstinstanzliche Verfahren eine reduzierte Parteientschädigung von CHF 2'365.70 (inkl. Auslagen und 7,7 % MWST) zugesprochen worden ist, zahlbar durch den Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse.

7.      A.___ hat B.___, vertreten durch Advokat Gabriel Giess, für das erstinstanzliche Verfahren eine reduzierte Parteientschädigung von CHF 1'182.85 (inkl. Auslagen und 7,7 % MWST) zu bezahlen.

8.      Der Antrag von A.___, verteidigt durch Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf, auf Zusprechung einer Parteientschädigung für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren wird abgewiesen.

9.      A.___ hat B.___, vertreten durch Advokat Gabriel Giess, für das zweitinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung von CHF 2'961.80 (inkl. Auslagen und 7,7 % MWST) zu bezahlen.

10.  Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'200.00, total CHF 1'600.00, hat A.___ im Umfang von CHF 800.00 zu tragen. Im Übrigen trägt sie der Staat Solothurn.

11. Die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'000.00, total CHF 1'045.00, hat A.___ zu bezahlen.

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Im Namen der Strafkammer des Obergerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

von Felten                                                                         Lupi De Bruycker

 

Der vorliegende Entscheid wurde vom Bundesgericht mit Urteil 6B_425/2023 vom 14. August 2023 bestätigt.



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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