Zusammenfassung des Urteils STBER.2022.22: Verwaltungsgericht
Das Obergericht hat in einem Strafverfahren am 23. Mai 2023 über den Fall eines Beschuldigten entschieden, der wegen versuchter vorsätzlicher Tötung, evtl. schwerer Körperverletzung, Gewalt und Drohung gegen Behörden sowie Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz angeklagt war. Es waren verschiedene Personen wie Staatsanwälte, Verteidiger und Zeugen anwesend. Die Verhandlung wurde eröffnet, Beweisanträge gestellt und Plädoyers vorgetragen. Der Beschuldigte äusserte sein letztes Wort und bat um eine weitere Chance. Nach der geheimen Urteilsberatung wurde die mündliche Urteilseröffnung auf den 23. Mai 2023 um 16:00 Uhr angesetzt. Das Gericht zog verschiedene Aspekte wie die Lebensgeschichte des Beschuldigten, seine Gesundheit, sein Verhältnis zu seinem Sohn und seinen Drogenkonsum in Betracht. Das forensisch-psychiatrische Gutachten spielte ebenfalls eine Rolle bei der Beurteilung der Legalprognose.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | STBER.2022.22 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Datum: | 23.05.2023 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Beschuldigte; Urteil; Recht; Solothurn; Kanton; Urteils; Beschuldigten; Staat; Apos; Aufbewahrungsort:; Polizei; Asservate; Landes; Berufung; Schweiz; Landesverweis; Ziffer; Landesverweisung; Verteidiger; Kosovo; Entschädigung; Interesse; Vorinstanz; Hinweis; Privat; Verfahren |
Rechtsnorm: | Art. 111 StGB ;Art. 13 BV ;Art. 135 StPO ;Art. 138 StPO ;Art. 16 KRK ;Art. 3 EMRK ;Art. 36 BV ;Art. 433 StPO ;Art. 5 BV ;Art. 63 StGB ;Art. 66a StGB ;Art. 69 StGB ;Art. 8 EMRK ;Art. 9 KRK ; |
Referenz BGE: | 143 I 21; 144 I 266; 144 II 1; 145 I 227; 145 IV 161; 145 IV 364; 145 IV 455; 146 IV 105; 146 IV 297; 147 IV 340; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | STBER.2022.22 |
Instanz: | Strafkammer |
Entscheiddatum: | 23.05.2023 |
FindInfo-Nummer: | O_ST.2023.39 |
Titel: | versuchte vorsätzliche Tötung, evtl. schwere Körperverletzung, Gewalt und Drohung gegen Behörden, Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz |
Resümee: |
Obergericht Strafkammer
Urteil vom 23. Mai 2023 Es wirken mit: Oberrichter Marti Ersatzrichterin Lamanna Merkt Gerichtsschreiberin Schmid In Sachen Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Anklägerin
A.___, amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Daniel Frey, Beschuldigter und Berufungskläger
betreffend versuchte vorsätzliche Tötung, evtl. schwere Körperverletzung, Gewalt und Drohung gegen Behörden, Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz Es erscheinen zur Verhandlung vor Obergericht: 1. C.___, Staatsanwältin, für die Staatsanwaltschaft als Anklägerin; 2. A.___ als Beschuldigter und Berufungskläger, zugeführt von zwei Polizisten der Kantonspolizei Solothurn; 3. Rechtsanwalt Daniel R. Frey als amtlicher Verteidiger.
Zudem erscheinen als Zuhörer: - die Eltern des Beschuldigten; - zwei Schulklassen […]; - eine Journalistin […].
Die Verhandlung beginnt um 08:44 Uhr.
Der Vorsitzende eröffnet die Verhandlung, gibt die Zusammensetzung des Gerichts bekannt und stellt die weiteren Anwesenden fest. Er legt kurz den Prozessgegenstand, das Urteil des Amtsgerichts von Olten-Gösgen vom 14. September 2021, dar und erklärt den weiteren Verhandlungsablauf wie folgt:
- Vorfragen und Vorbemerkungen der Parteivertreter; - Befragung des Beschuldigten; - allfällige weitere Beweisabnahmen und Abschluss des Beweisverfahrens; - Parteivorträge; - letztes Wort des Beschuldigten; - geheime Urteilsberatung; - Urteilseröffnung (derzeit vorgesehen am 23. Mai 2023, 16:00 Uhr, im Obergerichtssaal).
Der Verteidiger wird gebeten, gleich seine Honorarnote der Staatsanwältin zur Einsicht vorzulegen und dem Gericht einzureichen. Die Staatsanwältin teilt mit, sie habe sie bereits erhalten.
Es werden keine Vorbemerkungen Vorfragen aufgeworfen.
Der Verteidiger stellt folgenden Beweisantrag: Es seien die ins Recht gelegten Unterlagen zu den Akten zu nehmen und im Rahmen der Urteilsfällung entsprechend zu würdigen. Er werde im Plädoyer darauf zurückkommen. Es sei wichtig zur Kenntnis zu nehmen, dass der Beschuldigte sich im Rahmen des Vollzugs Mühe gebe à jour zu bleiben und Weiterbildungen absolviere (Zertifikat in den Beilagen). Er bemühe sich, sich im Justizbereich weiterzubilden. Im aktuellen Vollzugsstadium sei eine Lehre und Ausbildung nicht möglich, soweit möglich, nehme er seine Möglichkeiten wahr. Beilage 2 sei der Bericht vom 25. April 2022 in Bezug auf die medizinische Situation, dann der Bericht vom 28. Juli, 14. November und 24. November 2023. Er habe gerade erst eine entsprechende Konsultation betreffend den Gesundheitszustand gehabt. Im Weiteren sei vor erster Instanz die Rede von den familiären Banden gewesen, zu diesem Zweck würden Besuchsrapporte eingereicht. Aufgrund von Recherchen habe er nichts Näheres zu den Behandlungsmöglichkeiten von MS im Kosovo gefunden. Die Staatsanwaltschaft hat keine Einwände gegen die Aktennahme. Die Dokumente werden zu den Akten genommen (Aktenseite Berufungsverfahren [ASB] 161 ff.).
Der Beschuldigte und Berufungskläger wird, nachdem er vom Referenten Marti auf seine Rechte und Pflichten hingewiesen worden ist, als Beschuldigter zur Person befragt (ASB 202 ff.). Die Einvernahme wird mit technischen Hilfsmitteln aufgezeichnet (Tonträger in den Akten [ASB 216]).
Die Parteien stellen keine weiteren Beweisanträge.
Das Beweisverfahren wird daraufhin vom Vorsitzenden geschlossen und das Wort zum Parteivortrag erteilt. Es stellen und begründen folgende Anträge: Staatsanwältin C.___ für die Anklägerin (die Anträge werden schriftlich zu den Akten gegeben [ASB 206], das Plädoyer wird aufgezeichnet [Tonträger in den Akten]):
1. Es sei festzustellen, dass die Ziffern 1 – 4 und 7 – 17 des Urteils des Richteramts Olten-Gösgen vom 14. September 2021 in Rechtskraft erwachsen sind. 2. A.___ sei für die Dauer von 10 Jahren des Landes zu verweisen. 3. A.___ sei im SIS auszuschreiben. 4. Die Entschädigung der amtlichen Verteidigung durch Rechtsanwalt Daniel R. Frey sei durch das erkennende Gericht festzusetzen und zufolge des amtlichen Mandats vom Staat Solothurn zu bezahlen. Es sei weiter zu verfügen, dass der Beschuldigte die entsprechenden Kosten anteilsmässig dem Kanton zurückzuerstatten habe, sobald es seine finanziellen Verhältnisse zulassen. 5. Die Verfahrenskosten, inklusive der Kosten für das zweitinstanzliche Verfahren, seien A.___ zur Bezahlung aufzuerlegen.
Rechtsanwalt Frey für den Beschuldigten und Berufungskläger (die Plädoyernotizen inkl. der Anträge werden zu den Akten gegeben [ASB 207 ff.]):
1. Von diesen Plädoyernotizen sei Kenntnis zu nehmen. 2. Die Berufung sei im Sinne der Berufungserklärung, datiert vom 28. Februar 2022, gutzuheissen, von einer Landesverweisung wie auch von einer Ausschreibung im SIS sei abzusehen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. Die dem urteilenden Gericht eingereichte Honorarnote im ausgewiesenen Umfang, zuzüglich Spesen und Auslagen im ausgewiesenen Umfang, zuzüglich 7,7 % Mehrwertsteuer, sei wohlwollend zu prüfen, zu genehmigen und der in richterlich bestätigtem Umfang festgelegte Betrag sei dem Unterzeichneten auf sein Konto […] zu überweisen. Dabei sei das Kreisschreiben des Obergerichts zur Handhabung der unentgeltlichen Rechtspflege und der amtlichen Verteidigung (inkl. Vorbehalt des Rückforderungsrechts) vom 19. Dezember 2019 zu berücksichtigen, wobei insbesondere die Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO zu (CHF 280.00/h) im Dispositiv festzuhalten sei und im Dispositiv zu Gunsten des amtlichen Verteidigers aufzuführen sei.
Der Beschuldigte macht von seinem Recht auf das letzte Wort Gebrauch und sagt: «Ich habe so viel verloren, ich will nicht noch meine Heimat verlieren. Bitte geben Sie mir noch eine Chance.»
Damit endet der öffentliche Teil der Verhandlung um 09:53 Uhr und das Gericht zieht sich zur geheimen Urteilsberatung zurück.
Es erscheinen zur mündlichen Urteilseröffnung am 23. Mai 2023 um 16:00 Uhr:
1. C.___, Staatsanwältin, für die Staatsanwaltschaft als Anklägerin; 2. A.___ als Beschuldigter und Berufungskläger, zugeführt von zwei Polizisten der Kantonspolizei Solothurn; 3. Rechtsanwalt Daniel R. Frey als amtlicher Verteidiger.
Zudem erscheinen:
- die Eltern des Beschuldigten; - eine Journalistin […].
Der Vorsitzende stellt die Anwesenden fest und erklärt den Ablauf der Urteilseröffnung. Der Referent gibt anschliessend das Berufungsurteil bekannt und begründet es kurz summarisch. Nach der Begründung weist der Vorsitzende darauf hin, dass das Urteilsdispositiv in den nächsten Tagen zugestellt werde. Dieses löse keine Rechtsmittelfristen aus, sondern die Zustellung des begründeten Urteils, die in wenigen Wochen erfolge. Gegen das Urteil stehe die Beschwerde an das Bundesgericht offen.
Damit endet die mündliche Urteilseröffnung um 16:06 Uhr.
Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung: I. Prozessgeschichte
1. Das Amtsgericht von Olten-Gösgen fällte am 14. September 2021 folgendes Strafurteil:
1. Das Verfahren gegen den Beschuldigten A.___ wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes, angeblich begangen in der Zeit vom 26. März 2017 bis 21. April 2018, wird eingestellt (AnklS. Ziff. 4). 2. Der Beschuldigte A.___ hat sich der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, angeblich begangen am 21. April 2018, nicht schuldig gemacht und wird freigesprochen (AnklS. Ziff. 2). 3. Der Beschuldigte A.___ hat sich schuldig gemacht: - der versuchten vorsätzlichen Tötung, begangen am 21. April 2018 (AnklS. Ziff. 1); - des mehrfachen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz, begangen in der Zeit vom 10. Dezember 2017 bis 21. April 2018 (AnklS. Ziff. 3). 4. Der Beschuldigte A.___ wird verurteilt zu: a) einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren; b) einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 10.00. Die Untersuchungshaft seit 21. April 2018 sowie der vorzeitige Strafvollzug seit 16. Januar 2019 sind dem Beschuldigten an die Freiheitsstrafe anzurechnen. 5. Der Beschuldigte A.___ wird für die Dauer von 10 Jahren des Landes verwiesen. 6. Der Beschuldigte A.___ wird im Schengener Informationssystem (SIS) ausgeschrieben. 7. Für den Beschuldigten A.___ wird vollzugsbegleitend eine ambulante Massnahme angeordnet. 8. Folgende beschlagnahmte Gegenstände werden eingezogen und sind nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils zu vernichten: - 1 Messer Klappmesser, Ganzo (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Drugwipe (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Herrenarmbanduhr, silberfarbig, Rolex (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate). 9. Folgende beschlagnahmte Gegenstände sind nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils dem Berechtigten B.___ herauszugeben: - 1 Herrenkopfbedeckung Mütze, Jack Jones (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Shirt T-Shirt, Hanes (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Herrenunterwäsche Unterleibchen, American A. (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Herrenunterwäsche Boxershorts, H+M (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Tasche Bauchtasche, Cleptomanicx (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Verpackungshilfsmittel, Minigrip (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Brille (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, KTD). 10. Folgende beschlagnahmte Gegenstände sind nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils dem Berechtigten A.___ herauszugeben: - 1 Mobiltelefon (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Sportschuhe Turnschuhe, Gr. 44, Nike (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Herrenhose Jeans, Clockhouse (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Feuerzeug gelb, Bic (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Feuerzeug schwarz / silberfarbig, Davidoff (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Kopfhörer Kopfhörerkabel, iPhone (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Lebensmittel / Esswaren Kaugummipaket (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Shirt Polo-Shirt, Gr. S, C & A (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Herrenunterwäsche Unterhose, Armani (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate). 11. Folgender beschlagnahmte Gegenstand ist nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils der Berechtigten Schweizerische Bundesbahn SBB (Transportpolizei) herauszugeben: - 1 Sanitätsmaterial Flasche Desinfektionsmittel (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate). 12. Der Beschuldigte A.___ ist dem Privatkläger B.___, vertreten durch Rechtsanwältin Rahel Ritz, für den durch die von ihm am 21. April 2018 begangene versuchte vorsätzliche Tötung verursachten Schaden zu 100% schadenersatzpflichtig. 13. Der Beschuldigte A.___ hat dem Privatkläger B.___, vertreten durch Rechtsanwältin Rahel Ritz, Schadenersatz in Höhe von CHF 15'680.00, sowie eine Genugtuung in Höhe von CHF 15'000.00, jeweils zzgl. Zins zu 5% seit 21. April 2018, zu bezahlen. 14. Die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin des Privatklägers B.___, Rechtsanwältin Rahel Ritz, wird auf CHF 7'403.20 festgesetzt und ist vom Staat zu bezahlen. 15. Der Beschuldigte A.___ hat Rechtsanwältin Rahel Ritz, als Vertreterin des Privatklägers B.___, eine Parteientschädigung von CHF 2'539.00 (Differenz zu vollem Honorar, inkl. 7.7% MwSt und Auslagen) zu bezahlen. 16. Die Entschädigung des vormaligen unentgeltlichen Rechtsbeistandes des Privatklägers B.___, Rechtsanwalt Christian Werner, wird auf CHF 16'411.60 festgesetzt und ist vom Staat zu bezahlen. 17. Der Beschuldigte A.___ hat Rechtsanwalt Christian Werner, als vormaliger Vertreter des Privatklägers B.___, eine Parteientschädigung von CHF 5'196.70 (Differenz zu vollem Honorar, inkl. 7.7% MwSt und Auslagen) zu bezahlen. 18. Die Entschädigung für den amtlichen Verteidiger des Beschuldigten A.___, Rechtsanwalt Daniel Frey, wird auf CHF 21'329.25 (inkl. 7.7% MwSt und Auslagen) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 19'196.30 sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 6'947.90 (Differenz zu vollem Honorar, inkl. 7.7% MwSt und Auslagen), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die restlichen Kosten gehen definitiv zu Lasten des Staates Solothurn. 19. Die Verfahrenskosten, mit einer Gerichtsgebühr von CHF 13'000.00, belaufen sich auf total CHF 28'570.20. Davon hat der Beschuldigte 90% = CHF 25'713.20 zu bezahlen, die restlichen Kosten gehen zu Lasten des Staates Solothurn.
2. Der Beschuldigte liess am 24. September 2021 gegen das Urteil die Berufung anmelden. Mit Berufungserklärung vom 28. Februar 2022 liess er das Rechtsmittel sinngemäss auf die Anordnung der Landesverweisung und deren Ausschreibung im SIS (Ziffern 5 und 6 des erstinstanzlichen Urteils) beschränken. «Aufgrund des Resultats des Berufungsverfahrens» seien zudem die Ziffern 18 und 19 dem Ausgang des Verfahrens anzupassen.
3. Der Oberstaatsanwalt beantragte mit Eingabe vom 7. März 2022, es sei auf die Berufung nicht einzutreten: Entgegen den gesetzlichen Vorgaben in Art. 399 Abs. 3 lit. d StPO werde einzig die «Anpassung gewisser Urteilsziffern an den Ausgang des Verfahrens» verlangt. Namentlich werde dabei hinsichtlich Urteilsziffer 5 in keiner Weise geklärt, ob das Absehen von der Landesverweisung verlangt werde ob die Berufung auf eine Verkürzung allenfalls sogar eine Verlängerung der Verweilungsdauer abziele. Für den Fall des Eintretens auf die Berufung verzichte die Staatsanwaltschaft auf eine Anschlussberufung.
4. Mit Eingabe vom 24. März 2022 schloss sich der Privatkläger dem Nichteintretensantrag der Staatsanwaltschaft an und verzichtete eventualiter auf eine Anschlussberufung.
5. Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs des Beschuldigten stellte der Verfahrensleiter des Berufungsgerichts mit Verfügung vom 1. Juni 2022 fest, es gehe aus seiner Sicht aus der Berufungserklärung in Verbindung mit der Vernehmlassung vom 9. Mai 2022 deutlich genug hervor, welche Abänderungen des erstinstanzlichen Urteils verlangt würden. Sofern die Staatsanwaltschaft einen formellen Eintretensentscheid des Berufungsgerichts zur Frage des Eintretens wünsche, wäre dies dem Gericht bis zum 22. Juni 2022 schriftlich mitzuteilen (was nicht erfolgte). Der Privatkläger habe im Berufungsverfahren keine Parteistellung mehr. Zudem wurde jedenfalls die Rechtskraft folgender Ziffern des erstinstanzlichen Urteils festgestellt: - Ziffer 1: Einstellung; - Ziffer 2: Freisprüche; - Ziffer 3: Schuldsprüche; - Ziffer 4: Strafe; - Ziffer 8: Einziehung; - Ziffern 9, 10 und 11: Herausgaben; - Ziffern 12 und 13: Zivilforderungen; - Ziffern 14 bis 18 (jeweils teilweise): Entschädigungen, soweit die Höhe betreffend.
6. Mit Verfügung vom 15. Juni 2022 wurde ergänzend festgestellt, dass auch Ziffer 7 des erstinstanzlichen Urteils (Anordnung einer ambulanten Massnahme) rechtskräftig sei.
II. Der Schuldspruch wegen versuchter vorsätzlicher Tötung
Das Amtsgericht ging beim rechtskräftigen Schuldspruch wegen versuchter vorsätzlicher Tötung namentlich gestützt auf die Videoaufnahmen, welche den Tatverlauf praktisch vollständig wiedergeben, von folgendem Sachverhalt aus (US 20): - dass der Geschädigte am 21. April 2018 um 18:04 Uhr in der Bahnhofunterführung in [Ort 3] zum Beschuldigten «loh die Frau los, me längt ke Froue a» gesagt hat, da er davon ausgegangen war, dass der Beschuldigte gegenüber seiner Begleiterin handgreiflich geworden sei; - dass der Beschuldigte den Geschädigten daraufhin mit geöffneten Handflächen gegen die Brust schubste, wobei er da noch kein Messer in der Hand hielt; - dass der Geschädigte unmittelbar mit einem Faustschlag gegen den Kopf des Beschuldigten reagierte und es in der Folge zu einem Gerangel zwischen den beiden kam, im dessen Rahmen beide Beteiligten zu Boden gingen; - dass sich der Geschädigte als erster wieder aufrichtete, dabei seine Wollmütze vom Boden aufhob und durch eine entsprechende Handgeste begleitet zum Beschuldigten sagte: «es ist gut, jetzt lass es sein, du liegst am Boden»; - dass der Geschädigte gehen wollte, da die Auseinandersetzung aus seiner Sicht beendet war; - dass der Beschuldigte sich aufgrund der Unterlegenheit im Kampf gedemütigt fühlte, und deshalb beim Aufstehen mit der rechten Hand einhändig ein Klappmesser aufklappte und vier Mal schwungvoll und zielgerichtet von unten herauf in den Bauchraum des Geschädigten einstach; - dass sich der verwundete Geschädigte danach rückwärts weg vom Beschuldigten Richtung [eines Cafés] bewegte; - dass der Beschuldigte das Messer in seiner rechten Hand umdrehte, erneut auf den Geschädigten zuging und nun von oben herab mit dem Messer in den Brustkorbbereich des Geschädigten einstach; - dass es dem Geschädigten gelang, den rechten Unterarm des Beschuldigten zu blockieren und diesen nach einem Gerangel am Boden zu fixieren, bis schliesslich Hilfe heraneilte; - der Geschädigte durch den Messereinsatz des Beschuldigten lebensgefährliche Verletzungen erlitten hat.
Das Gericht ging von direktem Tötungsvorsatz aus, eine Notwehrsituation sei nicht vorgelegen. Bei der Strafzumessung wurde gestützt auf das psychiatrisch-forensische Gutachten eine mittelgradig reduzierte Schuldfähigkeit berücksichtigt.
III. Landesverweisung
1. Allgemeines zur Landesverweisung
1.1 Gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. a StGB verweist das Gericht den Ausländer, der wegen vorsätzlicher Tötung (Art. 111 StGB) verurteilt wird, unabhängig von der Höhe der Strafe für 5 bis 15 Jahre aus der Schweiz. Die obligatorische Landesverweisung wegen einer Katalogtat im Sinne von Art. 66a Abs. 1 StGB greift grundsätzlich unabhängig von der konkreten Tatschwere. Sie muss zudem unabhängig davon ausgesprochen werden, ob es beim Versuch geblieben ist und ob die Strafe bedingt, unbedingt teilbedingt ausfällt (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1 mit Hinweis).
1.2 Von der Anordnung der Landesverweisung kann nur «ausnahmsweise» unter den kumulativen Voraussetzungen abgesehen werden, dass sie (1.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren aufgewachsen sind (Art. 66a Abs. 2 StGB; sog. Härtefallklausel). Die Härtefallklausel dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (vgl. Art. 5 Abs. 2 BV). Sie ist restriktiv anzuwenden (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2 mit Hinweisen). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich zur kriteriengeleiteten Prüfung des Härtefalls im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB der Kriterienkatalog der Bestimmung über den «schwerwiegenden persönlichen Härtefall» in Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) heranziehen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.2). Zu berücksichtigen sind namentlich der Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration, einschliesslich familiärer Bindungen des Ausländers in der Schweiz bzw. in der Heimat, die Aufenthaltsdauer, der Gesundheitszustand und die Resozialisierungschancen. Ebenso ist der Rückfallgefahr und wiederholter Delinquenz Rechnung zu tragen. Das Gericht darf auch vor dem Inkrafttreten von Art. 66a StGB begangene Straftaten berücksichtigen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1; 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteil 6B_149/2021 vom 3. Februar 2022 E. 2.3.2 mit Hinweis). Bei der Härtefallprüfung ist nicht schematisch ab einer gewissen Aufenthaltsdauer von einer Verwurzelung in der Schweiz auszugehen. Es ist vielmehr anhand der gängigen Integrationskriterien eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.2; 6B_1368/2020 vom 30. Mai 2022 E. 4.3.1; je mit Hinweisen). Erforderlich sind besonders intensive, über eine normale Integration hinausgehende private Beziehungen beruflicher gesellschaftlicher Natur (BGE 144 II 1 E. 6.1; Urteil 6B_1368/2020 vom 30. Mai 2022 E. 4.3.1 je mit Hinweisen). Der besonderen Situation von in der Schweiz geborenen aufgewachsenen Ausländern wird dabei Rechnung getragen, indem eine längere Aufenthaltsdauer – zusammen mit einer guten Integration – in aller Regel als starke Indizien für ein gewichtiges Interesse an einem Verbleib in der Schweiz und damit für das Vorliegen eines Härtefalls zu werten sind (BGE 146 IV 105 E. 3.4.4).
1.3 Von einem schweren persönlichen Härtefall ist in der Regel bei einem Eingriff von einer gewissen Tragweite in den Anspruch des Ausländers auf das in Art. 13 BV und Art. 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auszugehen (Urteil 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.3.5 mit Hinweisen). Das durch Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ist berührt, wenn eine staatliche Entfernungs- Fernhaltemassnahme eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz gefestigt anwesenheitsberechtigten Person beeinträchtigt, ohne dass es dieser ohne weiteres möglich bzw. zumutbar wäre, ihr Familienleben andernorts zu pflegen (BGE 144 I 266 E. 3.3; 144 II 1 E. 6.1; je mit Hinweisen; Urteile 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.4.1; 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.1). Zum geschützten Familienkreis gehört in erster Linie die Kernfamilie, d.h. die Gemeinschaft der Ehegatten mit ihren minderjährigen Kindern. In den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallen aber auch andere familiäre Verhältnisse, sofern eine genügend nahe, echte und tatsächlich gelebte Beziehung besteht. Hinweise für solche Beziehungen sind das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt, eine finanzielle Abhängigkeit, speziell enge familiäre Bande, regelmässige Kontakte die Übernahme von Verantwortung für eine andere Person. Bei hinreichender Intensität sind auch Beziehungen zwischen nahen Verwandten wie Geschwistern Tanten und Nichten wesentlich, doch muss in diesem Fall zwischen der über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht verfügenden Person und dem um die Bewilligung nachsuchenden Ausländer ein über die üblichen familiären Beziehungen bzw. emotionale Bindungen hinausgehendes, besonderes Abhängigkeitsverhältnis bestehen (vgl. dazu BGE 144 II 1 E. 6.1 mit diversen Hinweisen; Urteil 6B_255/2021 vom 3. Oktober 2022 E. 1.3.3). Volljährigen Kindern kann Art. 8 EMRK ein Anwesenheitsrecht verleihen, wenn ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht, namentlich infolge von Betreuungs- Pflegebedürfnissen bei körperlichen geistigen Behinderungen und schwerwiegenden Krankheiten (BGE 145 I 227 E. 3.1; Urteile 6B_1178/2019 vom 10. März 2021 E. 3.4.1, nicht publ. in: BGE 147 IV 340; 6B_1087/2020 vom 25. November 2020 E. 5.2 mit Hinweis).
Die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB hat sich daher an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren (BGE 145 IV 161 E. 3.4; Urteile 6B_1077/2020 vom 2. Juni 2021 E. 1.2.3; 6B_1178/2019 vom 10. März 2021 E. 3.2.5, nicht publ. in: BGE 147 IV 340). Sind Kinder involviert, ist bei der Interessenabwägung als wesentliches Element dem Kindeswohl Rechnung zu tragen (BGE 143 I 21 E. 5.5.1; Urteile 6B_140/2021 vom 24. Februar 2022 E. 6.4.2; 6B_1258/2020 vom 12. November 2021 E. 4.2.3; je mit Hinweisen). Nach Art. 9 KRK achten die Vertragsstaaten das Recht des Kindes, das von einem beiden Elternteilen getrennt lebt, regelmässige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen pflegen zu können, soweit dies nicht seinem Wohl widerspricht (BGE 143 I 21 E. 5.5.1 mit Hinweisen). Art. 16 Abs. 1 KRK gewährleistet u.a. das Recht auf Schutz der Familie im Zusammenleben sowie bei aufenthaltsbeendenden Massnahmen, die das Kind von den Eltern trennen (Urteile 6B_1037/2021 vom 3. März 2022 E. 6.2.2; 6B_1275/2020 vom 4. März 2021 E. 1.4.3). Eine Landesverweisung, die zu einer Trennung der vormals intakten Familiengemeinschaft von Eltern und Kindern führt, bildet einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens, der im Interesse des Kindes nur nach einer eingehenden und umfassenden Interessenabwägung und nur aus ausreichend soliden und gewichtigen Überlegungen erfolgen darf (vgl. Urteile 6B_1319/2020 vom 1. Dezember 2021 E. 1.2.3; 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.2; je mit Hinweisen).
1.4 Ferner kann die Landesverweisung aus der Schweiz für den Betroffenen im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand die Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsland einen schweren persönlichen Härtefall gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB darstellen unverhältnismässig im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK sein (BGE 145 IV 455 E. 9.1 mit Hinweisen). Ein aussergewöhnlicher Fall, in dem eine aufenthaltsbeendende Massnahme unter Verbringung einer gesundheitlich angeschlagenen Person in ihren Heimatstaat Art. 3 EMRK verletzt, liegt vor, wenn für diese im Fall der Rückschiebung die konkrete Gefahr besteht, dass sie aufgrund fehlender angemessener Behandlungsmöglichkeiten fehlenden Zugangs zu Behandlungen einer ernsthaften, rapiden und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustands ausgesetzt wird, die intensives Leiden eine wesentliche Verringerung der Lebenserwartung nach sich zieht (BGE 146 IV 297 E. 2.2.3 mit Hinweisen).
1.5 Wird ein schwerer persönlicher Härtefall bejaht, entscheidet sich die Sachfrage in einer Interessenabwägung nach Massgabe der «öffentlichen Interessen an der Landesverweisung». Nach der gesetzlichen Systematik ist die obligatorische Landesverweisung anzuordnen, wenn die Katalogtaten einen Schweregrad erreichen, sodass die Landesverweisung zur Wahrung der inneren Sicherheit notwendig erscheint. Diese Beurteilung lässt sich strafrechtlich nur in der Weise vornehmen, dass massgebend auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und die Legalprognose abgestellt wird (so Urteile 6B_45/2020 vom 14. März 2022 E. 3.3.2; 6B_748/2021 vom 8. September 2021 E. 1.1.1; 6B_1428/2020 vom 19. April 2021 E. 2.4.2; je mit Hinweisen). Bei der entsprechenden Prüfung ist unter anderem der Rückfallgefahr und wiederholter Delinquenz Rechnung zu tragen (Urteil des Bundesgerichts 6B_651/2018 vom 17. Oktober 2018 E. 8.3.3 mit Hinweis).
1.6 Der Beschwerdeführer ist kosovarischer Staatsbürger; seine Verurteilung wegen versuchter vorsätzlicher Tötung ist rechtskräftig. Die Voraussetzungen für eine obligatorische Landesverweisung nach Art. 66a Abs. 1 lit. a StGB sind somit grundsätzlich erfüllt.
2. Die Lebensgeschichte des Beschuldigten
2.1 Der Beschuldigte ist kosovarischer Staatsbürger und wurde 1996 in der Schweiz geboren. Gemäss dem Protokoll betreffend Befragung zur Person vom 28. August 2018 (AS 1657 ff.) wuchs er gemeinsam mit […] Geschwistern bei seinen Eltern in [Ort 1] auf. Er sei zweisprachig aufgewachsen: deutsch und albanisch. Nach der Primarschule habe er die Realschule besucht und danach ein Motivationssemester beim RAV absolviert. Im August 2013 habe er bei der Firma E.___ AG in [Ort 4] eine Lehre […] begonnen, jedoch im September 2014 wieder abgebrochen, da er Ende 2013 Vater eines Sohnes geworden sei und Geld gebraucht habe. Ende September 2014 habe er bei der Firma F.___ AG eine Stelle […] angetreten; das Arbeitsverhältnis sei im Februar 2015 aber gekündigt worden, weil er zu faul gewesen sei. Von Mai 2015 bis Juli 2015 habe er dann temporär bei der Firma J.___ AG gearbeitet und danach für zwei Monate auf Abruf bei G.___ AG. Es folgten weitere Temporäreinsätze, u.a. bei der [Firma] H.___ und bei I.___ AG. Anlässlich der Einvernahme vom 28. August 2018 (AS 192 ff.) gab der Beschuldigte zu Protokoll, ihm sei kurz vor der Tat – konkret Ende März 2018 – die Arbeitsstelle bei der K.___ AG, wo er seit Januar Februar 2018 gearbeitet habe, gekündigt worden. Auf den Grund angesprochen, entgegnete der Beschuldigte, er habe sich am Knie verletzt und sei krankgeschrieben gewesen. Er habe Schmerzen gehabt und sei dann einfach – ohne sich abzumelden – nicht zur Arbeit erschienen (AS 194). Gegenüber dem Gutachter führte der Beschuldigte aus, er habe in den rund 3,5 Jahren ab Lehrabbruch bis zur Verhaftung etwa die halbe Zeit gearbeitet und die andere Zeit habe er keine Arbeit gefunden (AS 1695). Der Beschuldigte gab weiter zu Protokoll, dass er mit seiner Schwester bei den Eltern in [Ort 2] wohne. Vorher habe er von Oktober 2017 bis anfangs März 2018 mit seiner Freundin zusammengewohnt in [Ort 3]. Der Vater arbeite in einem Teilzeitpensum […] und die Mutter sei Hausfrau. Er kaufe für alle ein für CHF 300.00 bis 400.00 monatlich und gebe CHF 500.00 monatlich an die Miete (AS 194). Für Drogen habe er monatlich zwischen CHF 200.00 bis CHF 1'000.00 ausgegeben (AS 196). Das Verhältnis zu seinen Eltern und zu den Geschwistern sei gemäss eigenen Angaben «tiptop». Nach der Trennung von seiner Ex-Freundin im März 2018 habe er sich wegen Depressionen in Behandlung begeben (bei der Befragung zur Person am 28. August 2018 gab er hingegen an, er sei wegen Schizophrenie seit dem 24. April 2018 in Behandlung, AS 1695).
2.2 Was seine körperliche Gesundheit anbelangt, gab der Beschuldigte vor Amtsgericht an, dass sich der anfängliche Verdacht erhärtet habe und 2019 bei ihm Multiple Sklerose diagnostiziert worden sei (Verdachtsdiagnose 2018 im Rahmen der Begutachtung im vorliegenden Verfahren). Typische Symptome dieser Erkrankung wie z.B. Taubheitsgefühl Lähmung habe er bei sich bislang noch nicht feststellen können, da er Medikamente einnehme. Seit Februar 2019 und bis auf unbestimmte Zeit bekomme er drei Mal in der Woche eine Spritze. Anlässlich der Berufungsverhandlung liess er diverse Arztbericht zu den Akten geben, welche die Diagnose der Multiplen Sklerose bestätigen. Im Frühjahr war es zu einer Blasenspeicherstörung gekommen, die medikamentös behandelt werden konnte.
2.3 Als Beilage zur Berufungserklärung wurden eine Anmeldebestätigung für einen Lehrgang in Produktionsmanagement bei einer Fernakademie ab Januar 2022 (erfolgreich abgeschlossen im Januar 2023 gemäss Vollzugsbericht [JVA] vom 17. Februar 2023) sowie Bestätigungen über Bildungs-Freizeiten und absolvierte Workshops im Strafvollzug eingereicht. Anlässlich der Berufungsverhandlung wurde ein Zertifikat über einen absolvierten Kurs in Restaurativer Justiz abgegeben.
2.4 Zum Verhältnis zu seinem Sohn […], geb. […] 2013, ist Folgendes in Erwägung zu ziehen: Gemäss Angaben des Beschuldigten sei er mit der Kindsmutter, welche das alleinige Sorgerecht habe, nicht mehr zusammen und er habe auch gar keinen Kontakt zu ihr. Sie seien von Anfang 2012 bis Anfang 2015 ein Paar gewesen. Von Anfang 2018 bis Ende April 2018 habe er ein begleitetes Besuchsrecht gehabt; ab Anfang Mai 2018 hätte er seinen Sohn für die Besuche wieder zu sich nach Hause nehmen dürfen. Demgegenüber geht aus dem Urteil des Obergerichts Aargau vom 17. August 2020 nur ein begleitetes Tages-Besuchsrecht – das der Beschuldigte zudem mehrfach zum Teil unentschuldigt nicht wahrgenommen hatte – hervor. Mit diesem Urteil wurde sein Antrag auf einen persönlichen Verkehr mit dem Sohn abgewiesen (Beilage zur Berufungserklärung). Das Besuchsrecht habe er vor seiner Verhaftung alle zwei Wochen wahrgenommen, was offenbar nur die halbe Wahrheit ist (AS 1659). Er habe CHF 255.00 monatlich Kindsunterhalt an das Inkasso bezahlt; er sei jedoch mit den Zahlungen etwas im Rückstand (AS 195; EV HV Amtsgericht, Zeilen 393 ff.). Anlässlich der Hauptverhandlung vor Amtsgericht äusserte der Beschuldigte, dass er seinen Sohn seit der Inhaftierung nicht mehr gesehen habe. Er habe jedoch einen Antrag gestellt, dass ihm wieder ein Umgangsrecht eingeräumt werde. Aus dem psychiatrischen Gutachten kann entnommen werden, dass der Beschuldigte zu Fragen betreffend seine Lebensgeschichte angab, er habe zu seinem Sohn ein gutes Verhältnis aufbauen können. Er habe sich um das Baby gekümmert, es auch gewickelt und ihm das Fläschchen gegeben. Er sei stolz auf seinen Sohn. Die Kindsmutter, mit welcher er verlobt gewesen sei, habe sich Ende des Jahres 2014 von ihm getrennt. Sie habe ihm u.a. vorgeworfen, dass er sehr eifersüchtig sei und nicht gut mit dem Kind umgehe. Nach einer Droh-SMS an die Kindsmutter (vgl. beigezogene Strafakten des Bezirksgericht Baden) habe er während ungefähr einem Jahr das Kind nicht mehr gesehen. Der Beschuldigte räumte am 28. September 2017 vor dem Familiengericht Aarau ein, es habe Gewaltvorfälle gegenüber der Mutter des Sohnes gegeben und er habe diese bedroht. Danach habe er seinen Sohn zwar wieder sehen können, jedoch nur begleitet, alle zwei Wochen während eines Tages (AS 1383). Das letzte Mal habe er seinen Sohn an einem Sonntag, rund zwei Wochen vor der Inhaftierung gesehen (AS 1693 ff.). Der persönliche Verkehr des Beschuldigten mit seinem Sohn wurde mit zwei Verfügungen des Bezirksgerichts Aargau wegen des vorliegenden Verfahrens sistiert (Verfügungen vom 2. August und 5. Oktober 2021). Mit der Berufungsbegründung und anlässlich der Berufungsverhandlung wurden Besucherprotokolle der [JVA] eingereicht, das regelmässige Besuche namentlich seiner Eltern und auch Besuche seiner Geschwister ausweist.
2.5 Der Beschuldigte ist mehrfach vorbestraft und hat bereits zu seiner Jugendzeit delinquiert: - 5. Juni 2013: Jugendanwaltschaft des Kantons Aargau: 30 Tage Freiheitsentzug mit bedingtem Strafvollzug wegen Raubes und Hehlerei; - 31. Oktober 2014: Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn: 150 Tagessätze Geldstrafe (Widerruf des bedingten Strafvollzugs am 5. April 2018) und Busse CHF 1'600.00 wegen diversen SVG-Widerhandlungen, darunter grobe Verletzung der Verkehrsregeln und Fahren in fahrunfähigem Zustand; - 30. Mai 2016: Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn: Freiheitsstrafe fünf Monate und Busse CHF 600.00 wegen diversen SVG-Widerhandlungen, darunter grobe Verletzung der Verkehrsregeln und Fahren in fahrunfähigem Zustand; - 22. Mai 2017: Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn: 120 Tagessätze Geldstrafe (Widerruf des bedingten Strafvollzugs am 5. April 2018) und Busse CHF 250.00, insbesondere wegen einfacher Körperverletzung mit Gift, Waffe gefährlichem Gegenstand, Drohung und Tätlichkeiten; - 5. April 2018: Gerichtspräsidium Baden: Geldstrafe 160 Tagessätze und gemeinnützige Arbeit 480 Stunden, insbesondere wegen Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz und mehrfacher Drohung.
Aufgrund seines straffälligen Verhaltens wurde der Beschuldigte mit Schreiben des Migrationsamtes vom 2. März 2015 ausländerrechtlich ermahnt (Bericht des Migrationsamtes, AS 1671).
2.6 Auf seinen Drogenkonsum angesprochen, gab der Beschuldigte an, er habe im Jahr 2012 angefangen, Ecstasy zu konsumieren. Anfangs 2013 habe er aufgehört, jedoch anfangs 2014 wieder damit begonnen. Ab da habe er auch noch angefangen, regelmässig Kokain zu konsumieren. Vor seiner Inhaftierung habe er sicher alle zwei Wochen Kokain genommen; aber nur, wenn sein Sohn nicht bei ihm gewesen sei (AS 1659 f.). Anlässlich der Einvernahme vom 28. August 2018 sagte der Beschuldigte aus, nebst Kokain und Ecstasy konsumiere er auch LSD, Amphetamine und selten Mal GBL, Kokain konsumiere er fast jedes Wochenende im Ausgang (AS 195 f.). Zu seiner finanziellen Situation äusserte sich der Beschuldigte dahingehend, dass er über CHF 50'000.00 Schulden habe (Handyrechnungen, Krankenkassenprämien etc., AS 1659, vgl. auch den Auszug aus dem Betreibungsregister vom 5. Februar 2019 mit zahlreichen Verlustscheinen: AS 1661 ff.). Vor Amtsgericht sprach er von Schulden im Umfang von CHF 150'000.00, seit dem Gefängnisaufenthalt seien es jetzt noch mehr. Gemäss eigenen Angaben sei er jemand, der nicht gut mit Geld umgehen könne (AS 1695). Nach den Angaben des Migrationsamtes des Kantons Solothurn (vgl. Bericht vom 22. Februar 2019, AS 1670 ff.) habe [das Sozialamt] am 6. Februar 2019 gemeldet, dass der Beschuldigte seit dem 1. Mai 2018 Sozialhilfe beziehe.
2.7 Aus dem forensisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. P.___ vom 24. Dezember 2018 ergibt sich zusammengefasst folgendes (AS 1673 ff.): Tatzeitaktuell habe der Beschuldigte an einer Persönlichkeitsakzentuierung mit dissozialen und emotional instabilen Anteilen, an einem Abhängigkeitssyndrom für Kokain und für Alkohol und an einem Verdacht auf chronisches Stimmenhören, ev. neurologisch-hirnorganisch bedingt (organische bedingte Halluzinose), ev. im Rahmen einer paranoiden Schizophrenie, gelitten. Zudem werde die Verdachtsdiagnose einer chronisch entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems gestellt. Nicht tatzeitaktuell sei von einer rezidivierenden depressiven Störung auszugehen (AS 1714). Hinsichtlich der Legalprognose hat der Gutachter nach einer Prüfung auf das Vorliegen von Psychopathy mittels PCS-R und neben dem statistischen Verfahren VRAG die klinisch orientierte Basler Kriterienliste nach Prof. Dittmann benutzt. Er kam dabei zu folgenden Schlüssen (AS 1725 f.): In einer wertenden Schau der legalprognostischen Faktoren sei die Prognose vor allem durch die Schwere der gezeigten Aggressionshandlung als auch durch mehrere psychosoziale Faktoren bedeutsam belastet. Weiter belasteten die Suchtproblematik und die Persönlichkeitsakzentuierung mit dissozialen und emotional instabilen Anteilen die Prognose. Das Rückfallrisiko für erneute Gewaltdelikte ohne weitere Behandlung komme in einem deutlich erhöhten Risikobereich zu liegen. Ein hohes Risiko bestehe auch für erneute Verkehrsdelinquenz: hier sei der Beschuldigte schon wiederholt auffällig geworden, hier träfen auch dissoziale Verhaltensbereitschaften mit einer Suchtstörung zusammen. Weiter bestehe erkennbar ein Risiko für Drogendelikte (im unteren Schwere-bereich) und damit verbunden Eigentumsdelikte, gebe der Beschuldigte doch an, im letzten Jahr recht intensiv verbotene Drogen (vor allem Kokain) konsumiert zu haben. Es liege denn auch eine entsprechende Abhängigkeitsproblematik vor. Der Gutachter hat seine Einschätzungen vor der Vorinstanz bestätigt.
In den Akten befinden sich diverse Therapieverlaufs- und Führungsberichte, aus den neueren geht zusammengefasst folgendes hervor: - Therapieabschlussbericht der [JVA] vom 23. September 2021 über die ambulante Behandlung vom 15. Januar 2020 bis 13. August 2021: Im Berichtszeitraum – mit einer dreimonatigen Therapiepause – hätten 35 Sitzungen auf freiwilliger Basis stattgefunden. Zudem habe sich der Beschuldigte in einem Programm zur freiwilligen Abgabe von Urinproben befunden: von 14 Urinproben sei eine (vom 20. Dezember 2020) auf Kokain positiv ausgefallen. Im Berichtszeitraum hätten die Fähigkeit zur Emotionsregulation verbessert, eine positive Zukunftsgestaltung entwickelt und ein Erklärungsmodell zur Abhängigkeitserkrankung, die Abstinenzmotivation sowie Strategien zu Rückfallprophylaxe ausgearbeitet werden können. Das Gelernte sollte nun ausserhalb des hoch strukturierten Settings des geschlossenen Strafvollzugs geprüft und angewendet werden können. Die deliktsorientierte Therapie im Rahmen des geschlossenen Vollzugs könne als abgeschlossen angesehen werden. - Vollzugsbericht der [JVA] vom 17. Februar 2023 (vollzugsbegleitende ambulante Behandlung nach Art. 63 Abs. 1 StGB: Suchtbehandlung, Berichtszeitraum vom 24. Juli 2021 bis 17. Februar 2023): Das Vollzugsverhalten des Beschuldigten könnte trotz zwei Disziplinarmassnahmen (davon einmal fünf Tage Arrest wegen Tätlichkeit) als gut beurteilt werden. Er verrichte seine Arbeit in der Gärtnerei pflichtbewusst und selbständig. Ausserdem habe er sich grösstenteils an die Hausordnung gehalten. Sein Verhalten gegenüber den Vollzugsangestellten und den Miteingewiesenen sei freundlich und er arbeite aktiv daran mit, seine Vollzugsziele zu erreichen. Seit dem 25. August 2022 befinde er sich in einer forensisch-deliktorientierten Therapie. Er habe insgesamt CHF 1'700.00 auf ein Wiedergutmachungskonto einbezahlt und vereinzelt Spenden an humanitäre Organisationen geleistet. Der Beschuldigte leide an Multipler Sklerose. Er habe zunächst Mühe gehabt, die Diagnose zu akzeptieren, habe sich aber mittlerweile damit arrangiert. Da die Krankheit so früh diagnostiziert worden sei und medikamentös behandelt werde, gehe es ihm den Umständen entsprechend gut. - Therapieverlaufsbericht des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes der [JVA] vom 13. April 2023: Seit Behandlungsbeginn am 22. August 2022 hätten insgesamt 24 Einzelsitzungen, in der Regel wöchentlich, stattgefunden. Im Rahmen der sequenziellen Behandlung sei die Behandlungssequenz I, «Indikation, Information & Motivation», weitgehend absolviert worden. Aktuell werde die Behandlungssequenz II «Deliktsanalyse» absolviert. Es folgten noch die Behandlungssequenzen «Deliktsprävention», «Evaluation» und «Risikomanagement». Nach einigen Schwierigkeiten zu Beginn und einem vorübergehenden Therapieabbruch seitens des Beschuldigten in der neunten Sitzung verlaufe die Therapie nun gut. Während der Beschuldigte zu Beginn der Therapie seine Tat externalisiert habe, sei es ihm während der Deliktsanalyse gelungen, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen und auch nicht aktenkundige Details transparent zu machen. Therapieziele für den weiteren Verlauf seien: Deliktsanalyse fertigstellen, darauf basierend vertiefte Erarbeitung von Risikomanagementstrategien, deren Erprobung in neuen Bewährungsfeldern, weitere Internalisierung funktionaler Emotionsregulations- und Konfliktlösestrategien, Auseinandersetzung mit dem Thema Partnerschaft, falls Landesverweis rechtskräftig: Vorbereitung dessen. Psychopharmaka habe der Beschuldigte im Berichtszeitraum keine eingenommen, die Multiple Sklerose werde seit dem 22. Oktober 2022 mit halbjährlichen Ocrevus-Infusionen behandelt. Alle im Berichtszeitraum abgegebenen Urinproben seien negativ auf die getesteten Substanzen ausgefallen. Die forensische Risikobeurteilung des Beschuldigten werde auf der Basis des HCR-2’ V3 vorgenommen, dessen Ergebnisse aber weder eine umfassende einordnende Gesamtanalyse eines Falles noch ein forensisch psychiatrisches/psychologisches Gutachten ersetzten. Von den beurteilten 20 Items seien 15 sowie ein Zusatzitem als zumindest teilweise vorhanden geratet worden. Neun davon sowie das Zusatzitem hätten eine hohe und sechs eine mittlere Relevanz bezogen auf die Entwicklung zukünftiger Risikomanagement-Strategien gezeigt. In der Gesamtschau zeige sich, dass das Rückfallrisiko des Beschuldigten für einschlägige Delikte im Vergleich zum Tatzeitpunkt gesunken sei (aktuell moderates Rückfallrisiko für schwere Gewalttaten, sollte der Beschuldigte erneut Substanzen konsumieren, sei die Wahrscheinlichkeit des Wiederholungsszenarios aber hoch). Nichtsdestotrotz bestehe bei ihm weiterhin ein Unterstützungs- respektive Therapiebedarf im Kontext der Deliktsprävention (beim Risikomanagement). Im geschlossenen Vollzug sowie bei allfälligen Vollzugsprogressionen in Form von begleiteten unbegleiteten Ausgängen seien die aktuellen Risikomanagement-Strategien (wöchentliche Therapiesitzungen, regelmässige Abstinenzkontrollen, Kontrolle der Sozialkontakte) ausreichend. Zukünftige Probleme könnten dann erwartet werden, wenn der Landesverweis für zehn Jahre vom Obergericht bestätigt werde, keine positive Entwicklung in Bezug auf seinen persönlichen Verkehr zu seinem Sohn möglich sein sollte sich der Gesundheitszustand des Beschuldigten im Zusammenhang mit der Multiplen Sklerose deutlich verschlechtern sollte. Die Priorität des Falles/zukünftige Gewalttätigkeit werde als mittel/erhöht eingestuft. Es lägen mehrere relevante Risikofaktoren vor und es brauche Risikomanagementstrategien sowie zumindest eine erhöhte Überwachungsfrequenz. Das Risiko für schwere körperliche Schädigungen werde als mittel eingestuft, die Imminenz der Gewalt werde als niedrig eingeschätzt. Die Widervorlage des Falles empfehle sich Ende September 2023. Eine frühere Wiedervorlage sei in folgenden Fällen indiziert: anstehende Vollzugsprogressionen, die über unbegleitete Ausgängen hinausgingen; Vorliegen rechtskräftiges Urteil bezgl. Landesverwies, Substanzkonsum Therapieabbruch.
2.8 Zum Kosovo habe der Beschuldigte nach seinen Angaben vor Amtsgericht persönlich keine Beziehung. Er sei in der Schweiz geboren und dies sei seine Heimat. Im Kosovo habe er nichts, seine Grossmutter sei nun auch gestorben. Er sei bis 2017 regelmässig im Kosovo in den Ferien gewesen.
3. Würdigung
3.1.1 Der Beschuldigte wurde 1996 in der Schweiz geboren und hat hier die Schulen besucht. Den Kosovo kennt er von regelmässigen Ferien bis zu seiner Verhaftung im Frühling 2018. Die letzte dort lebende nähere Verwandte, die Grossmutter, ist nunmehr verstorben, so dass er zum Kosovo keine persönliche Verbindung mehr hat. Seine nahen Verwandten leben alle in der Schweiz, so seine Eltern, bei denen er vor der Verhaftung wieder gelebt hat, seine Geschwister und auch sein Sohn. Der Beschuldigte spricht mit seinen Eltern albanisch.
3.1.2 Wirtschaftlich hat sich der Beschuldigte in der Schweiz kaum integriert: seine Lehre hat er abgebrochen und danach hat er bis zur Verhaftung zeitweise, meist temporär, an verschiedenen Orten gearbeitet. Eine längere Anstellung ist nicht zu verzeichnen, kurz vor der Verhaftung verlor er auch die letzte Stelle. Die mangelnde Integration dürfte auch dem erheblichen Konsum von Alkohol und Betäubungsmitteln, vornehmlich Kokain, geschuldet sein. Aber auch eine soziale Integration in die Gesellschaft in der Schweiz ist kaum auszumachen: er pflegte auch vor der Anhaltung fast nur Kontakte mit der Familie und einzelnen Kollegen und ist in keinem Verein. Aktivitäten, die auf eine Verwurzelung im gesellschaftlichen Leben hinweisen würden, sind nicht ersichtlich. Bereits als Jugendlicher wurde er erheblich straffällig und auch zwischen 2014 (Mündigkeit) und 2018 (Anhaltung) machte er sich regelmässig strafbar. Diese mehrfachen Strafurteile vermochten ihn ebenso wenig wie die ausländerrechtliche Ermahnung vom 2. Mai 2015 eines Besseren zu belehren. Immerhin anerkannte er nunmehr den Schuldspruch und zahlte auch Beiträge auf ein Wiedergutmachungskonto ein. Ein Härtefall aufgrund des langen Aufenthaltes in der Schweiz (seit Geburt) liegt mangels guter Integration nicht vor.
3.1.3 Zum Kosovo hat der Beschuldigte keine persönliche Beziehung, er hat dort auch keine nahen Verwandten mehr. Allerdings spricht er fliessend albanisch und kann seine erworbenen praktischen Berufskenntnisse […] und das Diplom […] auch dort anwenden. Eine berufliche Integration im Kosovo, den er aus regelmässigen Ferienbesuchen kennt, erscheint nicht als wesentlich schwerer als in der Schweiz und liegt jedenfalls im Bereich des Zumutbaren gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_1417/2019 vom 13. März 2020).
3.1.4 In Bezug auf seinen Sohn ist bei einer Landesverweisung keine Verletzung des Kerngehaltes von Art. 8 EMRK feststellbar. Eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung zu seinem Kind (Kernfamilie) ist – mit Ausnahme der ersten Lebensmonate – nicht erkennbar. Lange Zeit hatte der Beschuldigte – wohl auch wegen des Zerwürfnisses mit der Mutter des Kindes – praktisch keinen Kontakt mit seinem Sohn, bis er anfangs 2018 einige wenige begleitete Besuchstage mit ihm verbrachte. Seit der Anhaltung im April 2018 besteht nun wieder keinerlei Kontakt, wobei der Beschuldigte sich darum bemüht hat. Aus dem Chatverkehr zwischen dem Beschuldigten und seiner damaligen Freundin «D.___» ist im Übrigen zu entnehmen, dass er auch sein Besuchsrecht nicht immer wahrnahm und sich plumper Ausreden bediente («Willi nöd ganz zit hindeniche sekle mag, mit ihm spiele und ganz zit nor blöd ummehocke bringts au nöd», vgl. AS 403). Auch seiner Unterhaltspflicht (CHF 255.00 monatlich) kam der Beschuldigte kaum nach, währenddem er nach eigenen Angaben monatlich CHF 200.00 bis CHF 1'000.00 für Betäubungsmittel ausgab. Seine Verantwortung für den Sohn hielt den Beschuldigten auch nicht von seiner mannigfaltigen Delinquenz ab (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_736/2019 vom 3. April 2020 E. 1.2.2). Nicht von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch seine Ursprungsfamilie (Urteile des Bundesgerichts 6B_600/2021 vom 25. Juli 2022 E. 2.4.2, 6B_244/2021 vom 17. April 2023 E. 6.3), bei der er zuletzt nach der Trennung von seiner Freundin wieder wohnte, auch wenn hier die Beziehung – namentlich zu seinem Vater – wieder besser geworden sein dürfte (vgl. dazu die Ausführungen der Vorinstanz auf US 48 und Besuchsprotokolle). Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis ist aber nicht erkennbar. Persönliche Kontakte können mit den modernen Kommunikationsmitteln und mit Besuchen der nahen Verwandten – allesamt kosovarischer Herkunft – im Kosovo aufrecht erhalten werden. Einen schweren persönlichen Härtefall vermag dies für sich alleine noch nicht zu begründen.
3.1.5 Der Beschuldigte ist an Multipler Sklerose erkrankt. Dank der frühen Erkennung und der eingenommenen Medikamente, derzeit eine Infusion alle sechs Monate, verläuft die Krankheit bisher symptomlos. Die nötigen Medikamente sind gemäss dem Gutachter P.___ sehr teuer, ob diese im Kosovo eingesetzt werden ob es Alternativpräparate gibt, konnte er nicht sagen (Angaben vor Amtsgericht).
Die Gesundheitsversorgung im Kosovo stellt sich gemäss dem «Fokus Kosovo, medizinische Grundversorgung» des SEM vom 9. März 2017 zusammenfassend wie folgt dar: «Die medizinische Grundversorgung ist sichergestellt. Die medizinische Grundversorgung im Kosovo ist im Sinn der allgemein anerkannten Definition des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) von Grundversorgung im ganzen Kosovo sichergestellt. In dieser Definition wird ausdrücklich festgehalten, dass die medizinische Grundversorgung nicht sämtliche Leistungen der Gesundheitsversorgung zu umfassen hat. Auch in ländlichen Regionen im Kosovo bestehen medizinische Strukturen für eine staatliche Erstbetreuung und -versorgung, respektive für eine Überweisung von Patienten in die nächstgelegenen grösseren staatlichen medizinischen Zentren. Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung sind auch im Kosovo die ergänzenden medizinischen Dienstleistungen der relativ weit verbreiteten privaten Dienstleister sowie der Apotheken dazuzuzählen. Selbst in westeuropäischen Ländern diskutieren die zuständigen Institutionen und Fachgremien in den letzten Jahren, wie für Berggebiete, gering besiedelte schwer zugängliche Gebiete (Randregionen) eine adäquate medizinische Grundversorgung sichergestellt werden kann.» Patienten mit chronischen Krankheiten – und dazu gehört zweifellos auch die Multiple Sklerose – werden gratis behandelt und sind daher auch von der Zahlung der Patientenbeteiligung (Co-Payment) befreit. «Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer aus dem Ausland, unabhängig von der jeweiligen Verweildauer, nicht nach denselben Regeln behandelt werden wie im Kosovo lebende Patienten. Von Rückkehrern mitgebrachte Verschreibungen von Medikamenten, auch von solchen der neusten Generation, können fortgeführt und medizinisch begleitet werden. Die dafür notwendigen medizinischen Kenntnisse sind in der Regel vorhanden. Im neuen Gesundheitsgesetz aus dem Jahr 2012 wird in Artikel 61 auch die kostenbefreite Behandlung von Rückkehren und repatriierten Personen geregelt sowie von noch nicht registrierten Personen aus informellen Siedlungen. Bei letzteren handelt es sich in der Regel um Roma, Ashkali und Ägypter (RAE).» Auch wenn die medizinische Versorgung im Kosovo zweifellos nicht den hohen Standart wie in der Schweiz erreicht, ist doch davon auszugehen, dass eine Landesverweisung Art. 3 EMRK im oben dargelegten Sinne nicht verletzen würde (vgl. dazu auch das Urteil des Bundesgerichts 6B_1087/2020 vom 25. November 2020 E. 5.3.2).
Der Beschuldigte liess anlässlich der Berufungsverhandlung einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 31. August 2016 über die Behandlungsmöglichkeiten von Multipler Sklerose im Kosovo einreichen, der weniger günstig lautet. Es ist aber auf den jüngeren und fundierten Bericht des SEM, der zuständigen Schweizer Amtsstelle, abzustellen.
3.1.6 Im Rahmen einer Gesamtwürdigung sind somit doch erhebliche persönliche Interessen des Beschuldigten an einem Verbleib in der Schweiz festzustellen (Geburt und Aufenthalt in der Schweiz, Familie, keine persönlichen Beziehungen im Kosovo, diagnostizierte chronische, ernsthafte Krankheit und bessere Gesundheitsversorgung in der Schweiz), sodass gesamthaft vom Vorliegen eines schweren persönlichen Härtefalls im Falle einer Landesverweisung auszugehen ist.
3.2 Bei der Interessenabwägung stehen diesen unter Ziffer 3.1 hiervor ausführlich dargelegten persönlichen Interessen, welche einen schweren persönlichen Härtefall zu begründen vermögen, hohe öffentliche Interessen gegenüber: Mit einer versuchten vorsätzlichen Tötung hat der Beschuldigte mit direktem Vorsatz eines der schwersten Delikte des Strafgesetzbuches begangen, das mit einer Strafe von fünf bis 20 Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Die ausgefällte Freiheitsstrafe von acht Jahren – trotz Strafmilderungsgründen wie mittelgradig reduzierter Schuldfähigkeit und Versuchs – stellt eine hohe Strafe dar. Der Beschuldigte ist somit zu einer «längerfristigen Freiheitsstrafe» verurteilt worden. Für solch schwere Delikte sind gemäss Bundesgericht geringere Anforderungen an die Rückfallgefahr zu stellen (BGE 145 IV 364 E. 3.5.2 mit Verweisen). Der Beschuldigte hat sich überdies seit seiner Jugend regelmässig strafbar gemacht und dies keineswegs mit Bagatell-Straftaten (Urteil des Bundesgerichts 6B_1264/2021 vom 13. Juli 2022 E. 1.7). Zudem war er auch mehrfach in nicht aktenkundige gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt (S. Gutachten S. 12 f., AS 1684 f.). Überdies war eine Zunahme der Intensität der Delikte festzustellen; mehrere Verurteilungen, ein Strafvollzug und auch eine ausländerrechtliche Ermahnung vermochten den Beschuldigten nicht von weiteren Straftaten abzuhalten. Dementsprechend schlecht lautet die dem Beschuldigten vom Gutachter attestierte Legalprognose. Der Beschuldigte muss sich eine sich auf die Impulskontrolle auswirkende Charakterschwäche (Persönlichkeitsakzentuierung mit dissozialen und emotional instabilen Anteilen) attestieren lassen. Es besteht u.a. ein deutlich erhöhtes Risiko für erneute Gewaltdelikte. Daran ändert auch die derzeit laufende ambulante Therapie nichts: Wohl schätzen die behandelnden Therapeuten das Rückfallrisiko gegenüber dem Tatzeitpunkt als tiefer ein (moderates Rückfallrisiko). Sollte der Beschuldigte aber erneut Substanzen konsumieren, sei die Wahrscheinlichkeit des Wiederholungsszenarios hoch. Inwiefern sich der Beschuldigte nach der Entlassung aus dem engen und schützenden Setting des Strafvollzugs von Alkohol und Drogen mit den entsprechenden legalprognostischen Folgen fernhalten könnte, ist nicht zu beurteilen. Dazu ist auch noch in Rechnung zu stellen, dass der Beschuldigte hohe Schulden hat und sich kurz vor der Anhaltung bei der Sozialhilfe angemeldet hat. Er war auch fremdenpolizeilich ermahnt worden. Bei der Interessenabwägung überwiegen die öffentlichen Interessen an einer Landesverweisung die oben festgehaltenen, durchaus erheblichen persönlichen Interessen an einem Verbleib in der Schweiz (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 6B_429/2021 vom 3. Mai 2022 E. 3.3.1). Demnach ist der Beschuldigte in Anwendung von Art. 66a Abs. 1 lit. a StGB des Landes zu verweisen.
3.3 Die Dauer der Landesverweisung beträgt zwischen fünf und 15 Jahre. Die Rechtsfolge einer Landesverweisung ist aufgrund des Verschuldens und der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu bestimmen (Urteile des Bundesgerichts 6B_1508/2021 vom 5. Dezember 2022 E. 4.2.1; 6B_924/2021 vom 15. November 2021 E. 4.3 mit Hinweisen). Die Dauer der Landesverweisung muss verhältnismässig sein (vgl. Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 36 Abs. 3 BV; Art. 8 Ziff. 2 EMRK; Urteile 6B_1508/2021 vom 5. Dezember 2022 E. 4.2.1; 6B_924/2021 vom 15. November 2021 E. 4.3). Wie bei der Frage, ob überhaupt eine Landesverweisung auszusprechen ist, ist auch das private Interesse des von der Landesverweisung Betroffenen zu berücksichtigen. Bei der Bestimmung der Dauer der Landesverweisung ist nebst der Schwere der Straftat daher auch den persönlichen Umständen, insbesondere allfälligen familiären Bindungen der Person in der Schweiz einer aus einer langen Anwesenheit in der Schweiz folgenden Härte, Rechnung zu tragen (Urteile des Bundesgerichts 6B_1079/2022 vom 8. Februar 2023 E. 9.2.1, 6B_445/2021 vom 6. September 2021 E. 2; 6B_249/2020 vom 27. Mai 2021 E. 6.2.1).
Der Beschuldigte hat angesichts seines vergleichsweise jungen Alters bemerkenswert viele Strafregistereinträge auf unterschiedlichsten Rechtsgebieten. Bei der versuchten vorsätzlichen Tötung handelt es sich wie bereits erwähnt um eines der schwersten Verbrechen und der Beschuldigte handelte mit direktem Tötungsvorsatz. Das öffentliche Interesse an seiner Fernhaltung ist gross. Dass der Beschuldigte demgegenüber auch erhebliche persönliche Interessen an einem Verbleib in der Schweiz hat, wurde von der Vorinstanz bei der Bemessung der Dauer – zehn Jahre, genau in der Mitte des zur Verfügung stehenden Rahmens – angemessen berücksichtigt. Die Landesverweisung von zehn Jahren ist zu bestätigen, dazu kann auch auf das Urteil des Bundesgerichts 6B_1208/2022 vom 23. Februar 2023 E. 3 verwiesen werden.
3.4 Die Landesverweisung ist im SIS auszuschreiben, dazu kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz auf US 49 f. verwiesen werden.
IV. Kosten und Entschädigungen
1.1 Nach diesem Verfahrensausgang ist der erstinstanzliche Kosten- und Entschädigungsentscheid – soweit die Höhe der Entschädigungen betreffend – zu bestätigen.
1.2 Die erstinstanzlichen Formulierungen der Entschädigungen an die unentgeltliche Rechtsbeiständin des Privatklägers B.___, Rechtsanwältin Rahel Ritz, den vormaligen unentgeltlichen Rechtsbeistand des Privatklägers, Rechtsanwalt Christian Werner, sowie den amtlichen Verteidiger des Beschuldigten, Rechtsanwalt Daniel Frey, sind indessen zu korrigieren: Die Differenzen zum jeweiligen vollen Honorar sind gemäss Art. 135 Abs. 4 lit. b und Art. 138 StPO als entsprechende Nachzahlungsansprüche festzuhalten, wo sie gefordert wurden. Zudem ist ein Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben, vorzubehalten (Art. 135 Abs. 4 lit. a und Abs. 5 StPO), dies im Umfang von jeweils 90 %, analog der Kostenverteilung.
2.1 Der Beschuldigte unterliegt mit seinem Rechtsmittel vollumfänglich. Die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 2'000.00, total CHF 2'250.00, sind somit ihm aufzuerlegen.
2.2 Die unentgeltliche Rechtsbeiständin des Privatklägers B.___, Rechtsanwältin Rahel Ritz, macht für das Berufungsverfahren einen Aufwand von 6.01 Stunden geltend. Davon ist eine halbe Stunde in Abzug zu bringen, die die Rechtsvertreterin für die Einreichung der Kostennote am 1. Mai 2023 geltend macht, da es sich dabei um Kanzleiaufwand handelt. Bei der am 9. März 2022 verrechneten Position macht die Rechtsanwältin eine Stunde für «Kopien» geltend. Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um ein Versehen handelt und eine Kopie (ein Stück) verrechnet werden sollte. Da der Aufwand von einer Stunde jedoch in die Berechnung addiert wurde, ist diese Stunde zu streichen und eine Kopie dazuzurechnen. Im Übrigen ist der Aufwand angemessen. Rechtsanwältin Rahel Ritz ist damit eine Entschädigung von CHF 958.65 (4.51 Stunden Honorar à CHF 180.00 bzw. 190.00, Auslagen von CHF 54.90 und MwSt. von CHF 68.55) auszurichten. Diese ist vom Staat zu bezahlen, vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Ein Nachzahlungsanspruch wurde nicht geltend gemacht.
2.3 Der amtliche Verteidiger des Beschuldigten, Rechtsanwalt Daniel Frey, veranschlagt in seiner Honorarnote einen Aufwand von insgesamt 38.47 Stunden. Dies erweist sich teilweise als überhöht: Wie der Verteidiger selbst vorbrachte, sind fälschlicherweise noch Aufwände enthalten, die von der ersten Instanz bereits vergütet wurden (22. und 23. September 2022, Aufwände im Zusammenhang mit der mündlichen Urteilseröffnung der Vorinstanz), weshalb der entsprechende Aufwand bis zur Berufungserklärung vom 24. September 2022, ausmachend 2.21 Stunden, zu kürzen ist. Weiter ist eine Kürzung des Aufwandes für die Ausarbeitung der Berufungserklärung von 4.55 Stunden auf 2.55 Stunden in Anbetracht deren Umfangs und Inhalts angezeigt. Im Weiteren listet der Verteidiger am 15. Juni 2022 eine Position «Korrespondenz verfassen» mit 0.25 Stunden auf, mit dem Vermerk «nicht verrechnen». An diesem Datum erfolgte keine Eingabe, weshalb diese 0.25 Stunden ebenfalls zu streichen sind. Die Urteilseröffnung wurde vom Verteidiger mit einer Stunde zudem zu hoch veranschlagt, hier ist ebenfalls eine halbe Stunde in Abzug zu bringen. Hinzuzurechnen ist dem Verteidiger wie beantragt eine Stunde für die Nachbearbeitung. Somit werden dem amtlichen Verteidiger 15.47 Stunden à CHF 180.00 und 19.54 Stunden à CHF 190.00 entschädigt. Die Entschädigung beträgt damit CHF 7'101.10 (Honorar von CHF 6'357.60, Auslagen von CHF 235.80 und 7.7% MwSt von CHF 507.70) und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 2'840.65 (Differenz zu vollem Honorar von CHF 280.00, inkl. 7.7% MwSt und Auslagen), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Demnach wird in Anwendung von Art. 111 i.V.m. 22 Abs. 1 StGB; Art. 19 Abs. 1 lit. c, Art. 19 Abs. 1 lit. g BetmG; Art. 20 N-SIS-Verordnung; Art. 19 Abs. 2, Art. 34, Art. 40, Art. 47, Art. 49, Art. 51, Art. 56 ff., Art. 63, Art. 66a, Art. 69 StGB; Art. 122 ff., Art. 135, Art. 138, Art. 267, Art. 398 ff., Art. 416 ff., Art. 433 StPO erkannt: 1. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 1 des Urteils des Amtsgerichts von Olten-Gösgen vom 14. September 2021 (Urteil der Vorinstanz) wird das Verfahren gegen den Beschuldigten A.___ wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes, angeblich begangen in der Zeit vom 26. März 2017 bis 21. April 2018, eingestellt (AnklS. Ziff. 4).
2. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 2 des Urteils der Vorinstanz hat sich der Beschuldigte A.___ der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, angeblich begangen am 21. April 2018, nicht schuldig gemacht und wird freigesprochen (AnklS. Ziff. 2).
3. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 3 des Urteils der Vorinstanz hat sich der Beschuldigte A.___ schuldig gemacht: - der versuchten vorsätzlichen Tötung, begangen am 21. April 2018 (AnklS. Ziff. 1); - des mehrfachen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz, begangen in der Zeit vom 10. Dezember 2017 bis 21. April 2018 (AnklS. Ziff. 3).
4. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 4 des Urteils der Vorinstanz wird der Beschuldigte A.___ verurteilt zu: a) einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren; b) einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 10.00. Die Untersuchungshaft seit 21. April 2018 sowie der vorzeitige Strafvollzug seit 16. Januar 2019 sind dem Beschuldigten an die Freiheitsstrafe anzurechnen.
5. Der Beschuldigte A.___ wird für die Dauer von 10 Jahren des Landes verwiesen.
6. Die Landesverweisung wird im Schengener Informationssystem (SIS) ausgeschrieben.
7. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 7 des Urteils der Vorinstanz wird für den Beschuldigten A.___ vollzugsbegleitend eine ambulante Massnahme angeordnet.
8. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 8 des Urteils der Vorinstanz werden folgende beschlagnahmte Gegenstände eingezogen und sind nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils zu vernichten: - 1 Messer Klappmesser, Ganzo (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Drugwipe (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Herrenarmbanduhr, silberfarbig, Rolex (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate).
9. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 9 des Urteils der Vorinstanz sind folgende beschlagnahmte Gegenstände nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils dem Berechtigten B.___ herauszugeben: - 1 Herrenkopfbedeckung Mütze, Jack Jones (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Shirt T-Shirt, Hanes (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Herrenunterwäsche Unterleibchen, American A. (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Herrenunterwäsche Boxershorts, H+M (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Tasche Bauchtasche, Cleptomanicx (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Verpackungshilfsmittel, Minigrip (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Brille (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, KTD).
10. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 10 des Urteils der Vorinstanz sind folgende beschlagnahmte Gegenstände nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils dem Berechtigten A.___ herauszugeben: - 1 Mobiltelefon (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Sportschuhe Turnschuhe, Gr. 44, Nike (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Herrenhose Jeans, Clockhouse (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Feuerzeug gelb, Bic (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Feuerzeug schwarz / silberfarbig, Davidoff (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Kopfhörer Kopfhörerkabel, iPhone (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Lebensmittel / Esswaren Kaugummipaket (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Shirt Polo-Shirt, Gr. S, C & A (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate); - 1 Herrenunterwäsche Unterhose, Armani (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate).
11. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 11 des Urteils der Vorinstanz ist folgender beschlagnahmter Gegenstand nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils der Berechtigten Schweizerische Bundesbahn SBB (Transportpolizei) herauszugeben: - 1 Sanitätsmaterial Flasche Desinfektionsmittel (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate).
12. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 12 des Urteils der Vorinstanz ist der Beschuldigte A.___ dem Privatkläger B.___, vertreten durch Rechtsanwältin Rahel Ritz, für den durch die von ihm am 21. April 2018 begangene versuchte vorsätzliche Tötung verursachten Schaden zu 100% schadenersatzpflichtig.
13. Gemäss rechtskräftiger Ziffer 13 des Urteils der Vorinstanz hat der Beschuldigte A.___ dem Privatkläger B.___, vertreten durch Rechtsanwältin Rahel Ritz, Schadenersatz in Höhe von CHF 15'680.00, sowie eine Genugtuung in Höhe von CHF 15'000.00, jeweils zzgl. Zins zu 5% seit 21. April 2018, zu bezahlen.
14. Gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 14 des Urteils der Vorinstanz wird die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin des Privatklägers B.___, Rechtsanwältin Rahel Ritz, im erstinstanzlichen Verfahren auf CHF 7'403.20 festgesetzt und ist vom Staat zu bezahlen.
Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 6'662.90 sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 2'539.00 (Differenz zu vollem Honorar, inkl. 7.7% MwSt und Auslagen), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die restlichen Kosten gehen definitiv zu Lasten des Staates Solothurn.
15. Gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 16 des Urteils der Vorinstanz wird die Entschädigung des vormaligen unentgeltlichen Rechtsbeistandes des Privatklägers B.___, Rechtsanwalt Christian Werner, auf CHF 16'411.60 festgesetzt und ist vom Staat zu bezahlen.
Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 14'770.45 sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 5'196.70 (Differenz zu vollem Honorar, inkl. 7.7% MwSt und Auslagen), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die restlichen Kosten gehen definitiv zu Lasten des Staates Solothurn.
16. Die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin des Privatklägers B.___, Rechtsanwältin Rahel Ritz, im Berufungsverfahren wird auf CHF 958.65 festgesetzt und ist vom Staat zu bezahlen.
Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.
17. Gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 18 des Urteils der Vorinstanz wird die Entschädigung für den amtlichen Verteidiger des Beschuldigten A.___, Rechtsanwalt Daniel Frey, für das erstinstanzliche Verfahren auf CHF 21'329.25 (inkl. 7.7% MwSt und Auslagen) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen.
Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 19'196.30 sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 6'947.90 (Differenz zu vollem Honorar, inkl. 7.7% MwSt und Auslagen), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die restlichen Kosten gehen definitiv zu Lasten des Staates Solothurn.
18. Die Entschädigung für den amtlichen Verteidiger des Beschuldigten A.___, Rechtsanwalt Daniel Frey, für das Berufungsverfahren wird auf CHF 7'101.10 (inkl. 7.7% MwSt und Auslagen) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen.
Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 2'840.65 (Differenz zu vollem Honorar, inkl. 7.7% MwSt und Auslagen), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.
19. Die Verfahrenskosten des erstinstanzlichen Verfahrens, mit einer Gerichtsgebühr von CHF 13'000.00, belaufen sich auf total CHF 28'570.20. Davon hat der Beschuldigte 90% = CHF 25'713.20 zu bezahlen, die restlichen Kosten gehen zu Lasten des Staates Solothurn.
20. Die Kosten des Berufungsverfahrens, mit einer Urteilsgebühr von CHF 2'000.00, von total CHF 2'250.00 hat der Beschuldigte zu bezahlen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) und der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft im Rechtsmittelverfahren (Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona). Im Namen der Strafkammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin von Felten Schmid |
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.