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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2021.83)

Zusammenfassung des Urteils STBER.2021.83: Verwaltungsgericht

Zusammenfassung: In einem Verfahren wegen einer Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz wurde der Beschuldigte A.___ beschuldigt, das Vortrittsrecht missachtet zu haben und dadurch eine Kollision verursacht zu haben. In der Hauptverhandlung vor dem Obergericht am 17. März 2022 wurden verschiedene Zeugen befragt, darunter B.___, C.___ und D.___. Der Vorsitzende wies die Anträge des Verteidigers des Beschuldigten auf Einstellung des Verfahrens und Unverwertbarkeit der Ersteinvernahme ab. Das Gericht entschied, dass die Aussagen der Zeugen verwertbar seien und stellte fest, dass der Beschuldigte die Verkehrsregeln grob verletzt hatte. Das Gericht verurteilte den Beschuldigten zu einer Geldstrafe, einer Busse und den Verfahrenskosten.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts STBER.2021.83

Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2021.83
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2021.83 vom 17.03.2022 (SO)
Datum:17.03.2022
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Beschuldigte; Beschuldigten; Person; Recht; Verkehr; Aussage; Personen; Auskunftsperson; Verfahren; Polizei; Urteil; Aussagen; Solothurn; Erstbefragung; Einvernahme; Beweis; Zeugin; Verfahren; Obergericht; Verletzung; Urteils; Verfahrens; Fahrzeug; Staat; Verkehrsregeln; Vorinstanz; üssen
Rechtsnorm: Art. 100 SVG ;Art. 106 StGB ;Art. 14 VRV ;Art. 140 StPO ;Art. 141 StPO ;Art. 142 StPO ;Art. 143 StPO ;Art. 158 StPO ;Art. 179 StPO ;Art. 181 StPO ;Art. 27 SVG ;Art. 312 StPO ;Art. 34 StGB ;Art. 36 SVG ;Art. 422 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 44 StGB ;Art. 82 StPO ;Art. 90 SVG ;
Referenz BGE:118 IV 285; 123 II 106; 123 IV 88; 126 IV 192; 130 IV 32;
Kommentar:
Donatsch, Hans, Hansjakob, Lieber, Kommentar StPO, Art. 147 StPO, 2014

Entscheid des Verwaltungsgerichts STBER.2021.83

 
Geschäftsnummer: STBER.2021.83
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 17.03.2022 
FindInfo-Nummer: O_ST.2022.42
Titel: Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz

Resümee:

 

Obergericht

Strafkammer

 

 

 

 

 

 

Urteil vom 17. März 2022

Es wirken mit:

Präsident von Felten

Oberrichterin Hunkeler

Oberrichter Kiefer

Gerichtsschreiber Wiedmer

In Sachen

Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn

 

Anklägerin

 

gegen

 

A.___, vertreten durch Patrick Hasler, Rechtsanwalt und Notar,

 

Beschuldigter und Berufungskläger

 

betreffend     Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz


Es erscheinen zur Hauptverhandlung vor Obergericht vom 17. März 2022:

1.      A.___, Beschuldigter und Berufungskläger;

2.      Rechtsanwalt Patrick Hasler als privater Verteidiger des Beschuldigten;

3.      B.___ als Zeugin;

4.      C.___ als Auskunftsperson;

5.      D.___ als Zeugin.

 

Der Vorsitzende eröffnet um 08.30 Uhr die Verhandlung, stellt die Anwesenden fest und gibt die Besetzung des Berufungsgerichts bekannt.

 

Die Staatsanwaltschaft als Anklägerin hat mit Stellungnahme vom 19. Mai 2021 erklärt, dass sie auf eine weitere Teilnahme am Berufungsverfahren verzichte.

 

In der Folge weist der Vorsitzende auf das angefochtene Urteil der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern vom 31. Mai 2021 hin und fasst dieses zusammen. Er weist darauf hin, dass das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich angefochten wurde.

 

Der Vorsitzende skizziert den vorgesehenen weiteren Verhandlungsablauf wie folgt:

 

1. Vorfragen, Vorbemerkungen und Anträge der Parteivertreter;

2. Einvernahme der Zeugin B.___;

3. Einvernahme der Auskunftsperson C.___;

4. Einvernahme der Zeugin D.___;

5. Befragung des Beschuldigten;

6. weitere Beweisanträge und Abschluss des Beweisverfahrens;

7. Parteivorträge;

8. letztes Wort des Beschuldigten;

9. geheime Urteilsberatung;

10. Urteilseröffnung, vorgesehen gleichentags um 16:00 Uhr.

 

 

Vormerkungen der Parteien

 

Rechtsanwalt Patrick Hasler stellt die folgenden Anträge:

 

1.    Das Verfahren sei einzustellen.

2.    Die Erstbefragung des Beschuldigten vom 22. August 2020 sei für unverwertbar zu erklären und aus den Akten zu weisen.

 

Er führt dazu aus, dass der Antrag, das Verfahren sei einzustellen, entsprechend seiner schriftlichen Eingabe vom 15. März 2022 bestätigt werde. Er verweise auf die entsprechende Begründung. Er mache noch einmal darauf aufmerksam, dass keine strafbare Verletzung der Verkehrsregeln vorliege. Es sei nicht ersichtlich, worin konkret das angeblich fehlbare Verhalten von Herrn A.___ liegen solle. Der im Strafbefehl beschriebene Lebenssachverhalt lasse gar keine rechtliche Würdigung durch das Gericht zu. Man wisse gemäss Strafbefehl nicht, was Herr A.___ falsch gemacht haben soll. Habe er zu langsam die Strasse überquert? Habe er distanzmässig zu knapp abgebogen? Das Tatverhalten sei nicht umschrieben. Fest stehe jedenfalls, dass einzig basierend auf dem in der Anklageschrift umschriebenen Sachverhalt kein strafbares Verhalten von Herrn A.___ erstellt werden könne. Es sei irrelevant, was die vorgeladenen Personen aussagen würden. Das Verfahren sei deshalb einzustellen.

 

Betreffend Unverwertbarkeit der Ersteinvernahme des Beschuldigten vom 22. August 2020 durch die Polizei führte Rechtsanwalt Hasler aus, dass die Polizei die Befragung mittels Erstbefragungsprotokoll durchgeführt habe. Es brauche aber eine Rechtsmittelbelehrung. Ohne diese Hinweise sei die Einvernahme unverwertbar. Die Beweislast, dass diese Rechtsmittelbelehrung erfolgt sei, liege bei den Behörden. Die Vorinstanz habe die entsprechenden Aussagen als Schutzbehauptungen abgetan. Es liege am Gericht, die formellen Aspekte eingehend zu prüfen. Die Arbeit der Polizei müsse geprüft werden. Dem Formular könne nicht entnommen werden, dass der Beschuldigte über die Einleitung des Vorverfahrens belehrt worden sei. Für einen Laien sei nicht abschätzbar, was das für ihn bedeute. Rechtsbelehrungen müssten korrekt durchgeführt werden. Auf die Aussagen des Beschuldigten im Erstbefragungsprotokoll könne infolge Unverwertbarkeit nicht abgestellt werden. Es können nicht sein, dass der Beschuldigte gar nicht wisse, ob es sich um eine grobe leichte Verkehrsregelverletzung handle. Er müsse wissen, um was es konkret gehe. Das Formular genüge hierzu aber nicht. Er sei nicht über die konkret vorgeworfenen Straftaten aufgeklärt worden. Er sei auch nicht über die Möglichkeit einer Verteidigung informiert worden. Die Unterschrift von Herrn A.___ fehle auf der Rückseite und ein Visum gebe es auch nicht.

 

Das Gericht zieht sich zur Beratung der Anträge zurück. Die Verhandlung wird für 30 Minuten unterbrochen.

 

 

Beschluss

 

1.      Der Antrag, das Verfahren sei einzustellen, wird abgewiesen.

2.      Der Antrag, die Erstbefragung des Beschuldigten vom 22. August 2020 sei für unverwertbar zu erklären und aus den Akten zu weisen, wird abgewiesen.

 

 

 

 

Der Vorsitzende begründet kurz den Beschluss:

 

Der Beschuldigte müsse den ihm zur Last gelegten Lebenssachverhalt wissen und auch, welche Strafbestimmungen ihm vorgeworfen würden. Vorliegend handle es sich um einen einfachen Sachverhalt. Es gehe um ein Abbiegemanöver bei entgegenkommendem Verkehr. Aus Sicht des Gerichts sei im Strafbefehl alles enthalten, was gesetzlich vorgeschrieben sei. Dem Gericht sei nicht ersichtlich, was zusätzlich noch hätte aufgeführt werden müssen. Der Lebenssachverhalt im Strafbefehl sei genügend klar umschrieben. Es werde geschildert, was ihm konkret zur Last gelegt werde.

 

Betreffend Verwertbarkeit der Erstbefragung auf dem Formular müsse der Beschuldigte über seine Verfahrensrechte belehrt werden. Das Erstbefragungsprotokoll sei alltäglich. Diesem lasse sich hinreichend entnehmen, dass Herr A.___ als Beschuldigter einvernommen und hinreichend belehrt worden sei. Der Polizist habe das Kreuz auf dem Formular gesetzt, unterschrieben und damit bestätigt, dass der Beschuldigte über seine Verfahrensrechte belehrt worden sei. Auch dem Vorwurf, der Verfahrensgegenstand sei ungenügend aufgeführt worden, könne nicht gefolgt werden. Dem Beschuldigten sei der ihm vorgeworfene Lebenssachverhalt genügend klar gewesen. Das Bundesgericht sei streng bei komplexen Sachverhalten, was vorliegend nicht der Fall sei. Es sei zu einem Unfall gekommen. Die Befragung sei direkt nach dem Unfall durchgeführt worden. Herrn A.___ sei bewusst gewesen, dass er als Beschuldigter befragt worden sei. Die Rechtsbelehrungen auf dem Erstbefragungsprotokoll seien diesbezüglich ebenfalls genügend erfolgt.

 

 

Beweisabnahme

 

C.___, B.___ und D.___ werden, nachdem sie vom Vorsitzenden auf ihre Rechte und Pflichten hingewiesen worden sind, als Auskunftsperson bzw. Zeuginnen einvernommen.

 

Der Beschuldigte wird, nachdem er vom Vorsitzenden auf sein Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen sowie die Aussage und die Mitwirkung verweigern zu dürfen, hingewiesen worden ist, zur Sache und Person befragt.

 

Die Parteien stellen keine weiteren Beweisanträge, so dass das Beweisverfahren vom Vorsitzenden geschlossen wird.

 

 

Parteivorträge

 

Rechtsanwalt Patrick Hasler stellt und begründet für den Beschuldigten die folgenden Anträge:

 

1.    A.___ sei in Abweichung von Ziffer 1 des angefochtenen Urteils vom Vorhalt der groben Verletzung der Verkehrsregeln freizusprechen.

2.    A.___ sei in Abweichung von Ziffer 2 lit. a des angefochtenen Urteils von einer Geldstrafe freizusprechen.

3.    A.___ sei in Abweichung von Ziffer 2 lit. b des angefochtenen Urteils von einer Busse freizusprechen.

4.    A.___ seien die Aufwendungen der Verteidigung für das ganze Strafverfahren in der Höhe der nachzureichenden Kostennote zu ersetzen.

5.    In Abweichung von Ziffer 4 des angefochtenen Urteils seien die Kosten des Verfahrens vom Staat Solothurn zu tragen.

 

 

Letztes Wort des Beschuldigten

 

Der Beschuldigte verzichtet auf sein Recht auf das letzte Wort.

 

Damit endet der öffentliche Teil der Hauptverhandlung um 11:30 Uhr und das Gericht zieht sich zur geheimen Urteilsberatung zurück.

 

Der Beschuldigte verzichtet auf eine mündliche Urteilseröffnung. Das Urteil wird durch den Gerichtsschreiber mündlich eröffnet.

 

 

Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:

I. Prozessgeschichte

 

1. Mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 12. Oktober 2020 wurde A.___ wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachten des Vortrittsrechts zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 100.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von 2 Jahren, sowie einer Busse von CHF 500.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise zu 5 Tagen Freiheitsstrafe, verurteilt. Ausserdem wurden dem Beschuldigten die Verfahrenskosten von CHF 550.00 auferlegt.

 

2. Am 23. Oktober 2020 erhob der Beschuldigte gegen diesen Strafbefehl fristgerecht Einsprache.

 

3. Mit Verfügung vom 23. November 2020 hielt die Staatsanwaltschaft am Strafbefehl fest und überwies ihn dem Richteramt Solothurn-Lebern zur Beurteilung.

 

4. Am 31. Mai 2021 erging folgendes Urteil der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern:

 

1.      A.___ hat sich der groben Verletzung der Verkehrsregeln (Missachtung des Vortrittsrechts), begangen am 22. August 2020, schuldig gemacht.

2.      A.___ wird verurteilt zu:

a)    einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 100.00, unter Gewährung des bedingten Vollzuges bei einer Probezeit von 2 Jahren.

b)    einer Busse von CHF 500.00, bei Nichtbezahlung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Tagen.

3.     […]

4.     A.___ hat die Kosten des Verfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 600.00, total CHF 870.00, zu bezahlen.

5.     […]

 

5. Gegen das erstinstanzliche Urteil meldete der Beschuldigte am 23. Juni 2021 fristgerecht die Berufung an. Das motivierte Urteil wurde ihm am 18. August 2021 zugestellt. Mit Berufungserklärung vom 6. September 2021 liess der Beschuldigte das erstinstanzliche Urteilsdispositiv vollumfänglich anfechten.

 

6. Die Staatsanwaltschaft verzichtete mit Eingabe vom 13. September 2021 auf eine Anschlussberufung und die weitere Teilnahme am Berufungsverfahren.

 

 

II. Sachverhalt

 

1. Prozessökonomie

 

Mit Blick auf die Prozessökonomie erlaubt Art. 82 Abs. 4 StPO den Rechtsmittel-instanzen, für die tatsächliche und rechtliche Würdigung des in Frage stehenden Sachverhalts auf die Begründung der Vorinstanz zu verweisen, wenn sie dieser beipflichten. Hingegen ist auf neue tatsächliche Vorbringen und rechtliche Argumente einzugehen, die erst im Rechtsmittelverfahren vorgetragen werden (Brüschweiler, SK-Schulthess Kommentar StPO, 3. Auflage, 2020, Art. 82 N 10).

 

 

2. Allgemeines zur Beweiswürdigung

 

Die Vorinstanz legte die Grundsätze der Beweiswürdigung zutreffend dar (AS 5 ff.; Art. 82 Abs. 4 StPO). Darauf kann verwiesen werden. Dem Personalbeweis kommt dann grosse Bedeutung zu, wenn objektive Messungen Aufzeichnungen in Form von Foto- Videoaufnahmen wie hier gänzlich fehlen.

 

 

3. Vorhalt

 

Dem Beschuldigten wird im Strafbefehl vom 12. Oktober 2020 der folgende Vorhalt zur Last gelegt:

 

Grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 2 SVG) durch Missachten des Vortrittsrechts (Art. 36 Abs. 3 SVG, Art. 14 Abs. 1 VRV)

begangen am 22. August 2020, um ca. 08:35 Uhr, in Riedholz, Baselstrasse, Fahrtrichtung Olten. Der Beschuldigte bog als Lenker des [PW 1], von der Baselstrasse nach links in Richtung Sonnenrainstrasse ab. Dadurch missachtete er das Vortrittsrecht des korrekt in Richtung Solothurn fahrenden [PW 3], Lenkerin C.___. Um eine Kollision mit dem [PW 1] zu verhindern, musste C.___ eine Vollbremsung einleiten. Durch sein Verhalten rief der Beschuldigte eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer, insbesondere von C.___, hervor und handelte dabei zumindest unbewusst grobfahrlässig.

 

 

4. Beweismittel

 

4.1 Strafanzeige der Polizei

 

Der Strafanzeige der Polizei Kanton Solothurn vom 24. August 2020 kann entnommen werden, dass sich am 22. August 2020 um 08:35 Uhr an der Baselstrasse in Riedholz (innerorts) ein Verkehrsunfall ereignet habe, in welchen der Beschuldigte, B.___ und C.___ involviert gewesen seien. Die signalisierte Höchstgeschwindigkeit habe 60 km/h betragen. Das Verkehrsaufkommen sei normal, der Strassenzustand feucht und die Witterung bedeckt gewesen. Die Unfallstelle habe sich auf einer geraden Strecke befunden. Das Fahrzeug des Beschuldigten habe keinen Schaden erlitten. Der PW von B.___ habe an der Frontseite, an der Stossstange, am Kontrollschild mit Umrahmung, an der Motorhaube und am Kühlergrill Schäden aufgewiesen. Auch das Fahrzeug von C.___, habe an der Stossstange heckseitig einen Schaden (Abriebspuren) aufgewiesen. D.___, die mit [PW 4] unterwegs gewesen sei, sei hinter B.___ gefahren und habe sich als Auskunftsperson zur Verfügung gestellt.

Beim Eintreffen der Polizei seien drei Fahrzeuge hintereinander – vorne der [PW 3], in der Mitte der [PW 2] und hinten der [PW 4] – auf dem Radweg an der Baselstrasse in Richtung Solothurn gestanden. Der PW des Beschuldigten sei auf dem westlichen Parkplatz der „Chäsi“ an der Baselstrasse 17 gestanden. Der Beschuldigte sei nicht vor Ort gewesen, die übrigen Lenkerinnen seien neben ihrem Fahrzeug gestanden.

 

Auf den fotografischen Aufnahmen ist die Einspurstrecke – mit den drei auf dem Radstreifen parkierten Fahrzeugen – ersichtlich. Andere Fotos wurden von der Gegenseite her aufgenommen. Des Weiteren wurden auch Fotos vom [PW 3] und vom [PW 2] erstellt.

 

Gemäss dem Situationsplan beträgt die Distanz vom weissen Stoppbalken bei der Einspurstrecke bis ca. zur gelben Werbetafel bei der „Chäsi“ 38,15 m.

 

 

4.2 Verwertbarkeit der Aussagen

 

4.2.1 Bereits vor der Vorinstanz und auch vor Obergericht liess der Beschuldigte vorbringen, dass die Einvernahmen der Auskunftspersonen B.___, C.___ und D.___ mangels Einhaltung des Konfrontationsrechtes des Beschuldigten nicht verwertbar seien. Des Weiteren sei die durch die Polizei vorgenommene Einvernahme des Beschuldigten vom 22. August 2020 unverwertbar. Es sei nicht erwiesen, dass die rechtliche Belehrung nach Art. 158 StPO gegenüber dem Beschuldigten erfolgt bzw. ob die Belehrung über die Rechte und Pflichten auf der Rückseite des Erstbefragungsformulars dem Beschuldigten vorgehalten worden sei. Das Kreuz beim Kästchen, wonach die Belehrungen über die Rechte und Pflichten der befragten Person eröffnet worden seien, könne nachträglich angebracht worden sein. Ausserdem sei die Unterschrift des Beschuldigten nur auf der Vorderseite vorhanden. Dem Formular könne auch nicht entnommen werden, dass der Beschuldigte darüber informiert worden sei, dass gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet und welcher Tat dieser verdächtigt werde – das SVG sei nirgends vermerkt. Der Beschuldigte habe deshalb nicht wissen können, was ihm konkret vorgeworfen werde. Schliesslich sei der Beschuldigte auch nicht darüber informiert worden, dass er einen amtlichen bzw. einen privaten Verteidiger beiziehen könne. Weil die Einvernahme des Beschuldigten unverwertbar sei, seien auch die Ausführungen in der Strafanzeige nicht verwertbar, da diese auf den Aussagen des Beschuldigten basierten.

 

4.2.2.1 Gemäss Art. 141 Abs. 1 StPO sind Beweise, die in Verletzung von Art. 140 StPO erhoben wurden, in keinem Fall verwertbar. Dasselbe gilt, wenn dieses Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet. Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise unter Verletzung der Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich (Art. 141 Abs. 2 StPO). Unter den Anwendungsbereich von Art. 141 Abs. 1 Satz 2 StPO fallen unter anderem Einvernahmen eines Beschuldigten, die ohne Hinweis auf die Rechte des Einvernommenen durchgeführt worden sind (Art. 158 Abs. 2 StPO). Zu Beginn der Einvernahme wird die einzuvernehmende Person in einer ihr verständlichen Sprache a) über ihre Personalien befragt, b) über den Gegenstand des Strafverfahrens und die Eigenschaft, in der sie einvernommen wird, informiert und c) umfassend über ihre Rechte und Pflichten belehrt (Art. 143 Abs. 1 StPO). In einem Protokoll ist zu vermerken, dass die Bestimmungen nach Absatz 1 eingehalten worden sind (Art. 143 Abs. 2 StPO). Im Zusammenhang mit der Einvernahme einer beschuldigten Person ist diese zu Beginn der ersten Einvernahme in einer ihr verständlichen Sprache unter anderem darauf hinzuweisen, dass gegen sie ein Vorverfahren eingeleitet worden ist und welche Straftaten Gegenstand des Verfahrens bilden, dass sie die Aussage und die Mitwirkung verweigern kann sowie dass sie berechtigt ist, eine Verteidigung zu bestellen gegebenenfalls eine amtliche Verteidigung zu beantragen (Art. 158 Abs. 1 StPO).

 

4.2.2.2 Beweiserhebungen im Untersuchungs- und Hauptverfahren sind parteiöffentlich. Dieser Grundsatz ist in Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO verankert. Die Bestimmung garantiert das Recht der Parteien, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein, und der einvernommenen Person Fragen zu stellen.

 

4.2.2.3 Nach Art. 181 Abs. 1 StPO machen die Strafbehörden die Auskunftspersonen zu Beginn der Einvernahme auf ihre Aussagepflicht (Privatkläger nach Art. 178 lit. a StPO) ihre Aussage- Zeugnisverweigerungsrechte (Auskunftsperson nach Art. 178 lit. b-g StPO) aufmerksam. Die Pflicht zum Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht beschränkt sich dabei auf Auskunftspersonen nach Art. 178 lit. b-g StPO, und nicht auf Personen, die an sich als Zeugen einzuvernehmen wären, von der Polizei jedoch nicht als solche einvernommen werden können (Schmid, Praxiskommentar, Art. 180 N 7). Dies bedeutet, dass Personen, welche nur wegen der diesbezüglichen Unzuständigkeit der Polizei nicht als Zeugen befragt werden, nicht auf das Aussageverweigerungsrecht aufmerksam zu machen sind bzw. der Hinweis darauf – entgegen der Verteidigung – kein Gültigkeitserfordernis darstellt, weil ihnen (später) kein solches zusteht (Donatsch, a.a.O., Art. 179 N 6). Allerdings ist die Aussage einer solchen Person, welche im späteren Verfahren als Zeuge befragt wird, nur dann verwertbar, wenn sie auf ihre Zeugnisverweigerungsrechte aufmerksam gemacht wurde (Donatsch, a.a.O., Art. 179 N 4; vgl. auch Schmid, Praxiskommentar, Art. 179 N 3 zur Belehrung von "Quasi-Zeugen" bei polizeilichen Einvernahmen).

 

4.2.3 Der Beschuldigte wurde am 22. August 2020 gemäss dem Erstbefragungsprotokoll von der Polizei Kanton Solothurn als Beschuldigter einvernommen, wurde das Kreuz doch bei „1.1 Beschuldigter“ gesetzt. Des Weiteren wurde dieser auf den Inhalt von Art. 158 StPO hingewiesen. Dies ergibt sich daraus, dass auf dem Erstprotokoll ein Kreuz beim Kästchen, dass der befragten Person die Belehrung über die Rechte und Pflichten gemäss der Rückseite eröffnet worden sind, vorhanden ist. Dadurch wird auch die Rückseite des Protokolls durch die auf der Vorderseite angebrachte Unterschrift des Beschuldigten abgedeckt. Dass dieses Kreuz erst nachträglich, d.h. nach der Befragung angebracht worden sein soll, ist als Schutzbehauptung zu qualifizieren. Gemäss der „Belehrung über die Verfahrensrechte der beschuldigten Person“ auf der Rückseite des Erstbefragungsprotokolles, wo ebenfalls ein Kreuz angebracht worden ist, wurde der Beschuldigte unter anderem darüber belehrt, dass er einen Rechtsbeistand und einen Übersetzer beiziehen kann, was Art. 158 Abs. 1 lit. c und lit. d StPO entspricht. Des Weiteren wurde er darauf hingewiesen, dass er nicht zur Aussage und Mitwirkung verpflichtet ist, was mit Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO übereinstimmt. Schliesslich muss auch der Hinweis auf Art. 158 Abs. 1 lit. a StPO als erfolgt erachtet werden. Dies deshalb, weil der Beschuldigte eben als Beschuldigter einvernommen und über seine Verfahrensrechte informiert worden ist. Des Weiteren kann der Strafanzeige der Polizei Kanton Solothurn vom 24. August 2020 entnommen werden, dass der Beschuldigte nach ersten Aussagen der Unfallbeteiligten im nahe gelegenen Restaurant der „Chäsi“ kontaktiert worden sei und sich daraufhin ebenfalls zur Unfallstelle begeben habe. Sämtliche Personen seien vor Ort mittels Erstbefragungsprotokoll unterschriftlich befragt worden. Der Beschuldigte wusste somit, dass es um einen Verkehrsunfall am Aufenthaltsort mit den anwesenden beteiligten Personen ging. So wurde auf dem Erstbefragungsprotokoll des Beschuldigten unter der Rubrik „Ereignis (Handlung, Ort, Zeit)“ denn auch „VU Riedholz“, also Verkehrsunfall Riedholz, vermerkt. Entsprechend machte der Beschuldigte denn auch Aussagen zu eben diesem Vorfall. Der Beschuldigte wusste folglich, dass es um einen Verkehrsunfall mit den vor Ort anwesenden Personen und am Ort, wo sie sich aufhielten, ging. Ein präziserer Vorhalt, d.h. welcher Tatbestand erfüllt sein könnte, war zu jenem Zeitpunkt nicht nötig.  Zusammengefasst lässt sich dem Erstbefragungsprotokoll entnehmen, dass Herr A.___ als Beschuldigter einvernommen und hinreichend belehrt worden ist. Auch der ihm vorgeworfene Lebenssachverhalt war dem Beschuldigten genügend klar. Die Einvernahme des Beschuldigten vom 22. August 2020 ist somit verwertbar.

 

4.2.4 Nicht anders verhält es sich mit den Aussagen der Auskunftspersonen und Zeuginnen. Diesbezüglich ist präzisierend festzuhalten, dass bei Beweiserhebungen, welche von der Polizei durchgeführt werden (So insbesondere Erstbefragungen, mit Ausnahme der delegierten Einvernahmen nach Art. 312 StPO) keine Anwesenheits- bzw. Teilnahmerechte des Beschuldigten bestehen, allerdings das Konfrontationsrecht desselben nachträglich gewährt werden muss, für den Fall, dass die Angaben der Auskunftsperson im Verfahren zum Nachteil des Beschuldigten verwertet werden sollen (Donatsch, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar StPO, 2. Auflage, Zürich 2014, Art. 147 N 2 mit Verweis auf N 12). Da das Konfrontationsrecht des Beschuldigten betreffend die von B.___, C.___ und D.___ deponierten Aussagen vorliegend vor Obergericht gewahrt wurde und der Beschuldigte Gelegenheit hatte, Ergänzungsfragen zu stellen, dürfen die polizeiliche Einvernahme ohne Weiteres zu Lasten des Beschuldigten verwertet werden.

 

D.___ und B.___ wurden von der Polizei zunächst als Auskunftspersonen und sodann im weiteren Verlauf des Verfahrens vom Obergericht als Zeuginnen einvernommen. Die Polizei konnte sie mangels entsprechender Befugnis nicht selbständig als Zeuginnen (vgl. Art. 142 Abs. 2 StPO) befragen, sondern musste sie als Auskunftspersonen im Sinne von Art. 179 StPO einvernehmen. Befragt die Polizei eine Person als Auskunftsperson, welche im späteren Verfahren – wie vorliegend – als Zeugin befragt wird, so ist nicht zu beanstanden, dass die Polizei sich für die Belehrungen von D.___ und B.___ an jenen einer Auskunftsperson orientierte, war dies doch in jenem Zeitpunkt ihre prozessuale Stellung im vorliegenden Verfahren. Die Aussagen dieser beiden Personen sind ohne Weiteres verwertbar, da sie vor Obergericht als Zeuginnen befragt und auf ihre Zeugnisverweigerungsrechte aufmerksam gemacht wurden.

 

4.2.5 Entgegen der Annahme der Verteidigung sind sämtliche im Rahmen der im Recht liegenden Einvernahmen gemachten Aussagen der am Geschehen beteiligten Personen verwertbar.

 

 

4.3 Standpunkt Beschuldigter

 

Der Beschuldigte gab anlässlich der Erstbefragung vom 22. August 2020 als Beschuldigter gegenüber der Polizei Kanton Solothurn zu Protokoll, er sei mit seinem Personenwagen von Solothurn her auf der Baselstrasse in östliche Richtung gefahren. Vor der „Chäsi“ in Riedholz habe er den Blinker nach links gesetzt und habe die Einspurstrecke befahren. Dies in der Absicht, einen Kaffee in der „Chäsi“ zu trinken. Bevor er nach links abgebogen sei, habe er sein Fahrzeug bis zum Stillstand angehalten. Weiter vorne habe er ein weisses Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn, welches ihm entgegengefahren sei, gesehen. Seiner Meinung nach habe er genügend Abstand gehabt, weshalb er nach links abgebogen sei. Dann habe er sein Auto neben der „Chäsi“ parkiert. Als er seinen Hund aus dem Kofferraum habe nehmen wollen, sei eine ältere Dame zu ihm gekommen und habe ihm „au Schand“ gesagt. Diese habe gemeint, er hätte einen Blödsinn gemacht, dass er die Vorfahrt genommen habe und Schuld am Unfall sei. Dann habe er sich deren Auto angesehen und einen Schaden festgestellt – der Kotflügel vorne rechts an deren [PW 2] sei beschädigt gewesen. Am weissen Personenwagen, der vorne gestanden sei, habe er keinen Schaden feststellen können. Die ältere Dame habe ständig auf ihm herumgehackt. Deshalb habe er zu dieser gesagt, dass er im Kaffee sei, wenn noch etwas sein würde. Als er vorne an der Einspurstrecke losgefahren sei, habe der weisse entgegenkommende Personenwagen einen Abstand von ca. 30 bis 40 m gehabt. Dieser habe sich auf Höhe der „Chäsi“, ungefähr beim gelben Werbeschild am Gebäude, befunden. Er sei alleine im Auto unterwegs gewesen.

 

Anlässlich der erstinstanzlichen Verhandlung und vor Obergericht liess sich der Beschuldigte nicht mehr zum Vorhalt vernehmen.

 

 

4.4 Standpunkt B.___

 

4.4.1 Am 22. August 2022 wurde B.___ im Rahmen einer Erstbefragung als Auskunftsperson von der Polizei einvernommen. Hierbei führte sie aus, dass sie von Zuhause gekommen sei und vorgehabt habe, nach Solothurn zu fahren. In Riedholz sei sie auf der Baselstrasse hinter einem weissen PW [PW 3] mit weniger als 60 km/h, etwa 55 km/h, unterwegs gewesen. Beim Ortseingang habe sie mindestens 30 bis 50 Meter Abstand zum vorfahrenden Auto gehalten. Auf Höhe der «Chäsi» habe sie ein entgegenkommendes Auto gesehen, das blinkend nach links eingespurt sei. Als das braune Auto ohne anzuhalten in Richtung «Chäsi» abgebogen sei, habe der Personenwagen vor ihr sofort stark abgebremst. Sie habe zuvor gedacht, dass es ihm nicht reiche. Sie habe daraufhin ebenso stark abgebremst und obwohl sie nicht überrascht worden sei, sei es ihr nicht gelungen, die Kollision mit dem [PW 3] zu verhindern. Im Anschluss hätten sie und der [PW 3] bis zum Stillstand abgebremst. Sie habe beobachtet, wie der braune Personenwagen etwa ein bis zwei Meter vor dem [PW 3] abgebogen sei. Sie sei in die «Chäsi» gegangen und habe zum Beschuldigten gesagt, dass er einen Unfall verursacht habe; er habe aber nichts davon wissen wollen.

 

4.4.2 Anlässlich der Befragung vor Obergericht führte sie aus, dass drei Autos hintereinandergefahren seien. Auf der Strasse sei zuerst eine Tempolimite von 80 km/h und dann 60 km/h. Da müsse man abbremsen und das hätten alle Drei getan. Der Abstand zwischen den Autos sei nicht riesig gewesen. Sie habe das Auto von Herrn A.___ auf der entgegenkommenden Spur fahren und einspuren gesehen, um offenbar in das Café zu gelangen. Ihr sei aufgefallen, dass sicher ein Meter langer Ast beim Auto von Herrn A.___ auf der Seite herausgehangen sei. Sie habe zu lange auf den Ast geschaut und dann habe es «gebrätscht». Er habe das Auto schnell herumgerissen. Keine der drei Fahrerinnen habe gedacht, dass er nicht warten würde, denn sie seien ja vortrittsberechtigt gewesen. (Auf Frage:) Sie sei entschieden weniger als 60 km/h gefahren. (Auf Frage:) Sie habe eine Vollbremsung machen müssen, ebenso Frau C.___ und Frau D.___. (Auf Frage:) Vor dem Abbiegen habe er kurz angehalten. (Auf Frage:) Ob er geblinkt habe, wisse sie nicht mehr.

 

 

4.5 Standpunkt C.___

 

4.5.1 C.___ gab anlässlich der Erstbefragung vom 22. August 2020 als Auskunftsperson gegenüber der Polizei zu Protokoll, sie sei mit ihrem [PW 3] von Zuhause gekommen und habe vorgehabt, nach Solothurn zu fahren. Sie sei auf der Baselstrasse gefahren. Auf der Gegenfahrbahn habe sie ein Auto auf der Einspurstrecke gesehen, welches unvermittelt vor ihr abgebogen sei. Sie habe eine Vollbremsung einleiten müssen, sonst hätte sie das abbiegende Fahrzeug erwischt. Sie habe daraufhin einen Ruck verspürt und feststellen müssen, dass der Personenwagen hinter ihr in ihr Heck gefahren sei. Sie sei mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h unterwegs gewesen. Wenn sie nicht vorgängig gebremst hätte, wäre es ganz sicher zu einer Kollision mit Herrn A.___ gekommen. Sie sei sich sicher, dass der PW von Herrn A.___ auf der Einspurstrecke nicht angehalten habe, sondern einfach nach links abgebogen sei.

 

4.5.2 Anlässlich der Befragung vor Obergericht führte sie aus, sie sei von Zuhause in Richtung Stadt unterwegs gewesen, weil sie in den Jumbo gewollt habe. Als sie bei der Kreuzung beim Restaurant «Pöstli» rechts in die Baslerstrasse eingebogen sei, habe sie Frau B.___ hinter sich gesehen. Auf der Höhe der «Chäsi» habe sie das Auto von Herrn A.___ einspuren gesehen. Dann habe er kurz gewartet und sei vor ihr abgebogen. Er habe das Auto herumgerissen; obwohl sie nicht mehr weit von ihm entfernt gewesen sei. Sie sei voll auf die Bremse gegangen und Frau B.___ sei in sie reingefahren. (Auf Frage:) Sie sei weniger als 60 km/h gefahren; schneller wäre auf dieser kurzen Strecke gar nicht möglich gewesen. (Auf Frage:) Sie habe voll auf die «Klötze» gehen müssen. (Auf Frage:) Vor dem Abbiegen habe er kurz bis zum Stillstand angehalten. (Auf Frage:) Ob er geblinkt habe, wisse sie nicht mehr.

 

 

4.6 Standpunkt D.___

 

4.6.1 D.___ gab anlässlich der Erstbefragung vom 22. August 2020 als Auskunftsperson gegenüber der Polizei zu Protokoll, sie sei von Attisholz herkommend auf der Baselstrasse in Richtung Solothurn gefahren. Vor ihr seien [PW 2] und [PW 3] gefahren. Sie sei mit etwa 55 km/h unterwegs gewesen. Bei der «Chäsi» sei ihnen ein bräunliches Auto entgegengekommen, das nach links eingespurt habe. Der Blinker sei eingeschaltet gewesen. Der braune Wagen sei «vollgas» vor dem [PW 3] nach links abgebogen. Die Autos vor ihr und sie selber hätten sofort stark abbremsen müssen. Wenn das weisse Auto nicht abgebremst hätte, wäre es in das abbiegende Fahrzeug gefahren.

 

4.6.2 Anlässlich der Befragung vor Obergericht führte sie aus, sie sei an jenem Samstagmorgen durch Riedholz gefahren. Vor ihr seien zwei Autos gefahren. An der Kreuzung in Richtung Avia-Tankstelle sei Herr A.___ auf sie zugefahren und mit Schwung über ihre Fahrbahn abgebogen. Er habe ihnen den Weg abgeschnitten. Das vorderste Auto habe extrem bremsen müssen. Das zweite Auto sei in das erste gefahren und sie habe, weil sie Nahe beim zweiten Auto gewesen sei, auch voll abbremsen müssen. Das ABS habe eingeriegelt. (Auf Frage:) Sie sei 60 km/h gefahren, wenn nicht sogar weniger. (Auf Frage:) Sie habe extrem bremsen müssen. (Auf Frage:) Ob er geblinkt habe und ob er vor dem Abbiegen kurz angehalten habe, wisse sie nicht mehr.

 

 

4.7 Würdigung

 

Vorweg ist festzuhalten, dass die Auskunftspersonen bzw. Zeuginnen ihre Aussagen jeweils nach Hinweis auf die Straffolgen einer falschen Aussage (falsche Anschuldigung und Irreführung der Rechtspflege) machten. Bei den genannten Personen ist keine Interessenlage zur Falschaussage ersichtlich. Ein Interesse am Prozessausgang haben diese nicht und in einer solchen Konstellation gibt es keine objektiven Gründe, warum diese falsch aussagen sollten. Insbesondere die beiden Zeuginnen sind in einer neutralen, unbefangenen und aussenstehenden Position. In den Aussagen der befragten Personen lassen sich keine Spuren von emotionalen Einfärbungen, von tendenziösen Sichtweisen unnötigen und deshalb verräterischen Seitenhieben erkennen. Insofern ist ihren Aussagen eine hohe Beweiskraft zuzuerkennen. Die Schilderungen der befragten Personen beruhen auf ihren eigenen Beobachtungen vor Ort. Sie haben das Fahrzeug des Beschuldigten und dessen Fahrweise über eine genügend lange Wegstrecke und auf kurze Distanz beobachten können. Zudem bestehen keine Bedenken, auf ihre Aussagen abzustellen, da im Tatzeitpunkt das Verkehrsaufkommen normal war, die Stelle übersichtlich war, klare Sichtverhältnisse herrschten sowie der Vorfall sich bei Tageslicht ereignete.

 

Die drei Frauen schilderten den Vorfall vor Obergericht konstant und in nachvollziehbarer Weise. Sie alle führten aus, dass

-       sie mit weniger als 60 km/h unterwegs gewesen seien;

-       sie das Auto von Herrn A.___ auf der entgegenkommenden Spur fahren und einspuren gesehen hätten;

-       Herr A.___ abrupt abgebogen sei bzw. das Auto «herumgerissen» habe;

-       alle drei Autos eine Vollbremsung hätten einleiten müssen.

Aufgrund der vorhandenen Realitätskriterien der inneren Geschlossenheit, Folgerichtigkeit in der Darstellung des Geschehnisablaufs, konkreten und anschaulichen Wiedergabe des Erlebnisses, Schilderung des Vorfalles in so charakteristischer Weise, wie sie nur von demjenigen zu erwarten ist, der den Vorfall selber miterlebt hat, sowie die Konstanz der Aussagen bei verschiedenen Befragungen, erscheinen die Aussagen der befragten Personen allesamt glaubhaft.

 

Einzig hinsichtlich der Frage, ob Herr A.___ nach dem Abbiegen kurz angehalten habe, bestehen Diskrepanzen. Anlässlich der polizeilichen Ersteinvernahmen wurde ausgesagt, dass er nicht angehalten habe; vor Obergericht sagten zumindest Frau C.___ und Frau B.___ aus, er habe angehalten. Insbesondere bei einer langen Zeitdauer seit dem Unfall können sich die Aussagen von Auskunftspersonen bzw. Zeuginnen sowohl bei den Formulierungen als auch den Angaben über Nebenumstände verändern. Dass sich die Zeuginnen bzw. Auskunftsperson unmittelbar nach dem massgebenden Ereignis an kleine Einzelheiten zu erinnern vermochten, nunmehr aber mehr als 1.5 Jahre später ein anderes Bild des Anhaltemanövers des Beschuldigten im Kopf haben bzw. im Falle von D.___ sich nicht mehr erinnern kann, ist nachvollziehbar. Es ist daher in diesem Punkt auf die in der ersten und damit tatnächsten Befragung durch die Polizei am 22. August 2020 gemachten Aussagen abzustellen, wonach der Beschuldigte vor dem Abbiegen nicht angehalten hat.

 

Aufgrund der Aussagen des Beschuldigten, der Auskunftsperson sowie der Zeuginnen ist erstellt, dass der Beschuldigte zur fraglichen Zeit die Einspurstrecke in Riedholz, um links abzubiegen, befahren und vor dem Abbiegen sein Fahrzeug nicht abgebremst hat. Dabei sah er auf der Gegenfahrbahn ein weisses Auto, das sich etwa auf der Höhe des Werbeschildes befunden hat und gemäss seinen Aussagen somit einen Abstand von ca. 30 bis 40 m gehabt habe. Aufgrund der Berechnung der Polizei Kanton Solothurn betrug dieser Abstand 38,15 m, was mit der Schätzung des Beschuldigten übereinstimmt. Indem der Beschuldigte ohne anzuhalten weitergefahren ist, waren die Fahrerin des [PW 3] und alle hinter ihr fahrenden Autos veranlasst, stark zu bremsen, was schliesslich in einer Kollision mündete.

 

Der dem Beschuldigten im Strafbefehl vom 12. Oktober 2020 vorgehaltene Sachverhalt ist nach dem Gesagten erstellt.

 

 

III. Rechtliche Würdigung

 

1. Tatbestand der groben Verletzung der Verkehrsregeln

 

In Bezug auf die theoretischen Ausführungen zur groben Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG sowie zu den vorliegend relevanten Verkehrsregeln im Sinne von Art. 14 Abs. 1 VRV, Art. 27 Abs. 2 SVG, Art. 36 Abs. 1 und Art. 75 Abs. 1 SVV kann zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (AS 9 f.; Art. 82 Abs. 4 StPO).

 

 

2. Objektiver Tatbestand

 

Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid 131 IV 133, E. 3.2 zum objektiven Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung Folgendes festgehalten:

 

„Der qualifizierte Tatbestand der groben Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist nicht erst bei einer konkreten, sondern bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben (BGE 130 IV 32 E. 5.1; BGE 123 II 106 E. 2a; BGE 123 IV 88 E. 3a, je mit Hinweisen). Ob eine konkrete, eine erhöhte abstrakte nur eine abstrakte Gefahr geschaffen wird, hängt von der Situation ab, in welcher die Verkehrsregelverletzung begangen wird. Wesentliches Kriterium für die Annahme einer erhöhten abstrakten Gefahr ist die Nähe der Verwirklichung. Die allgemeine Möglichkeit der Verwirklichung einer Gefahr genügt demnach nur zur Erfüllung des Tatbestands von Art. 90 Ziff. 2 SVG, wenn in Anbetracht der Umstände der Eintritt einer konkreten Gefährdung gar einer Verletzung nahe liegt (BGE 123 IV 88 E. 3a; BGE 118 IV 285 E. 3a)."

 

Bei den Vorschriften betreffend Vortritt handelt es sich ohne weiteres um wichtige bzw. grundlegende Verkehrsvorschriften (Weissenberger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2015, Art. 90 N 63). Durch die Vollbremsung von C.___ konnte gerade noch eine Kollision mit dem Beschuldigten vermieden werden. Jedoch konnte B.___, welche direkt hinter C.___ fuhr, nicht mehr rechtzeitig anhalten und kollidierte leicht mit deren Heck. Dadurch entstanden an den Personenwagen der beiden Frauen Sachschäden. Der [PW 2] von B.___ hat an der Frontseite, an der Stossstange, am Kontrollschild mit Umrahmung, an der Motorhaube und am Kühlgrill Schäden aufgewiesen. Das Fahrzeug von C.___, hat an der Stossstange heckseitig Abriebspuren aufgewiesen. Lediglich mit Glück sind weder der Beschuldigte noch C.___ B.___ bei diesem Unfall verletzt worden. Mithin bestand durch die Verletzung einer wichtigen Verkehrsvorschrift eine konkrete Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der am Unfall beteiligten Personen, weshalb der objektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ohne weiteres zu bejahen ist (vgl. auch Weissenberger, a.a.O., Art. 90 N 66 m.w.H.).

3. Subjektiver Tatbestand

 

Das Bundesgericht hat im bereits vorstehend genannten Entscheid 131 IV 133, E. 3.2, zum subjektiven Tatbestand Folgendes erwogen:

 

„Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG nach der Rechtsprechung ein rücksichtsloses sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit (BGE 130 IV 32 E. 5.1; BGE 126 IV 192 E. 3; BGE 123 IV 88 E. 2a und E. 4a; BGE 118 IV 285 E. 4). Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht gezogen, also unbewusst fahrlässig gehandelt hat (BGE 130 IV 32 E. 5.1 mit Hinweis). In solchen Fällen ist grobe Fahrlässigkeit zu bejahen, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht (BGE 118 IV 285 E. 4 mit Hinweisen). Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen. Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird Rücksichtslosigkeit subjektiv zu bejahen sein, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen (Urteile des Bundesgerichts 6S.100/2004 vom 29. Juli 2004 und 6S.11/2002 vom 20. März 2002)."

 

Aufgrund der glaubwürdigen Schilderungen der Zeuginnen und der Auskunftsperson betreffend das abrupte Abbiegen des Beschuldigten bzw. das «Herumreissen» des Autos ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte bewusst fahrlässig und rücksichtslos handelte. Der Beschuldigte wusste, dass ihm ein Personenwagen entgegenkam und hat es dennoch unterlassen, unmittelbar vor dem Abbiegen der Gefahrensituation entsprechend zu handeln. Mit Hinblick auf die Strafanzeige ist erstellt, dass an der besagten Stelle eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h galt. Wird zu Gunsten des Beschuldigten davon ausgegangen, dass C.___ mit ihrem [PW 3] nur mit 50 km/h unterwegs war, ergibt dies einen durchschnittlichen Reaktionsweg von 15 Metern ([50 km/h :10] x 3) und einen Bremsweg von 25 Metern ([50 km/h:10] x [50 km/h:10]), total 40 Meter – dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die Fahrbahn nass war. Aufgrund des Umstandes, dass der Beschuldigte bei der Einspurstrecke nicht abgebremst hatte, dieser somit mit Schwung links abgebogen ist, reichte der Abstand von 38,15 m nicht aus, um ohne eine Kollision mit dem entgegenkommenden und vortrittsberechtigten Fahrzeug von C.___ abzubiegen. Um eine solche zu vermeiden, musste diese nachvollziehbar eine Vollbremsung einleiten.

 

Der Beschuldigte war sich dieser Gefahrensituation bewusst, sagte er doch selber aus, dass er den Abstand zum Personenwagen von C.___ auf 30 bis 40 Meter geschätzt habe. Dem Beschuldigten musste auch bewusst sein, dass die von ihm geschätzte Distanz nicht ausreicht, um gefahrlos abbiegen zu können. Denn jeder – so auch der Beschuldigte – muss in der Fahrschule lernen, den Bremsweg zu berechnen. Doch nur die wenigsten Fahrer erinnern sich später noch daran, wie lange es tatsächlich dauert, bis das Auto zum Stillstand kommt. Viele verlassen sich – und das war vorliegend nicht anders – im Zweifelsfall auf die grobe Einschätzung. Dabei kann jede Sekunde und jeder Meter beim Bremsen entscheidend sein, um einen Unfall zu verhindern. 

 

Durch sein Fahrverhalten hat der Beschuldigte eine elementare Vorsichtsmassnahme beim Linksabbiegen nicht beachtet und damit auch fremde Interessen gefährdet, zumal nicht bloss die Gefahr einer Kollision bestand, sondern sich diese Gefahr mit Blick auf die Personenwagen von C.___ und B.___ auch verwirklichte. Es gibt keine Gründe, die zu Gunsten des Beschuldigten sprechen. Die Stelle war übersichtlich, es herrschten klare Sichtverhältnisse, der Vorfall ereignete sich bei Tageslicht, das Verkehrsaufkommen war normal und es handelte sich um eine Strecke, die eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h vorsah sowie um eine Fahrbahn, die nass war, wodurch ohnehin eine erhöhte Aufmerksamkeit gefordert ist, da die Geschwindigkeit eines entgegenkommenden Personenwagens schwierig abschätzbar ist und der Bremsweg länger wird. Es wäre verfehlt, vorliegend von einer rein momentanen Unaufmerksamkeit zu sprechen. Vielmehr ist das Fahrverhalten des Beschuldigten als rücksichtslos einzustufen, weshalb der subjektive Tatbestand in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu bejahen ist.

 

Es wäre – wie erwähnt – eine bewusste Fahrlässigkeit des Beschuldigten zu bejahen, da ihm aber gemäss Anklageschrift nur eine unbewusste Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird, kann sein Fahrverhalten auch nur als solche qualifiziert werden.

 

 

4. Fazit

 

Der Beschuldigte hat sich der groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachtung des Vortrittsrechts, begangen am 22. August 2020, schuldig gemacht.

 

 

IV. Strafzumessung

 

1. Allgemeine Ausführungen

 

Die Vorinstanz hat die allgemeinen Ausführungen zur Strafzumessung korrekt vorgenommen und auch ausführlich begründet. Darauf kann verwiesen werden (AS 11 ff.; Art. 82 Abs. 4 StPO).

 

 

2. Konkrete Strafzumessung

 

Die Vorinstanz hob hervor, dass die Strafe von 20 Tagessätzen aufgrund des sehr leichten Verschuldens angemessen erscheine sowie aufgrund des Umstandes, dass der Beschuldigte nicht vorbestraft sei, in der Form einer Geldstrafe auszusprechen sei. In letzterem Punkt behält die Vorinstanz recht. Hinsichtlich Strafmass wäre hingegen eine höhere Geldstrafe von 50 Tagessätzen dem Verschulden des Beschuldigten angemessen gewesen. Aufgrund des Verbots der «reformatio in peius» kann das Obergericht das Strafmass allerdings nicht erhöhen. Mithin bleibt es bei den von der Vorinstanz auferlegten 20 Tagessätzen.

 

Nach Art. 34 Abs. 2 StGB beträgt ein Tagessatz der Geldstrafe in der Regel mindestens CHF 30.00 und höchstens CHF 300.00. Ausnahmsweise, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters dies gebieten, kann der Tagessatz bis auf CHF 10.00 gesenkt werden. Das Gericht bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum.

 

Aufgrund der sich in den Akten befindenden definitiven Staatssteuerveranlagung 2020 ist beim Beschuldigten von einem monatlichen Nettoeinkommen von CHF 3'000.00 auszugehen. Von diesem Einkommen ist ein Pauschalabzug von 30%, ausmachend CHF 900.00, für Krankenkasse und Steuern zu gewähren, was einen Betrag von CHF 2'100.00 ergibt. Der rechnerische Wert der Tagessatzhöhe beläuft sich somit auf CHF 70.00.

 

Der Beschuldigte ist nach dem Gesagten zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 70.00 zu verurteilen.

 

Die Vorinstanz geht richtig in ihrer Annahme, dass beim Beschuldigten aufgrund der Umstände grundsätzlich von einer günstigen Prognose auszugehen ist. Anhaltspunkte, die auf eine Schlechtprognose hindeuten würden, sind keine vorhanden. Demzufolge ist dem Beschuldigten für die Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 70.00 der bedingte Vollzug zu gewähren. Die Probezeit wird in Anwendung von Art. 44 Abs. 1 StGB auf das Minimum von zwei Jahren festgelegt. Beizupflichten ist der Vorinstanz schliesslich auch, dass eine Verbindungsbusse in der Höhe von CHF 500.00 angemessen erscheint, ersatzweise eine Freiheitsstrafe von 5 Tagen Freiheitsstrafe.

 

 

V. Kosten- und Entschädigungsfolgen

 

1. Allgemeine Ausführungen

 

Nach Art. 428 Abs. 1 StPO tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens die Kosten des Rechtsmittelverfahrens. Anspruch auf eine Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte hat die beschuldigte Person gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO nur, wenn sie ganz teilweise freigesprochen wird wenn das Verfahren gegen sie eingestellt wird.

 

 

2. Konkrete Festlegung

 

Der erstinstanzliche Kostenentscheid wird bestätigt. In Anwendung der Grundsätze nach § 146 Abs. 1 lit. c des Gebührentarifs des Kantons Solothurn und im Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen wird die Staatsgebühr für das Berufungsverfahren auf CHF 1’500.00 festgesetzt. Unter Berücksichtigung der Auslagen belaufen sich die Kosten des Verfahrens auf eine Summe von total CHF 1’600.00. Der Beschuldigte unterliegt im Berufungsverfahren grösstenteils. Lediglich die Tagessatzhöhe wird reduziert. Es rechtfertigt sich mithin, die Kosten dem Beschuldigten im Umfang von 100% aufzuerlegen.

 

Eine Entschädigung für die Aufwendungen von Rechtsanwalt Hasler kann dem Beschuldigten aufgrund seiner Verurteilung nicht zugesprochen werden.

Demnach wird in Anwendung von Art. 36 Abs. 3, Art. 90 Abs. 2 und Art. 100 SVG, Art. 14 Abs. 1 VRV, Art. 34, Art. 42 Abs. 1 und 4, Art. 44 Abs. 1, Art. 47 und Art. 106 StGB, Art. 335 ff., Art. 398 ff. und Art. 422 ff. StPO sowie § 146 Abs. 1 lit. c GT

erkannt:

1.      A.___ hat sich der groben Verletzung der Verkehrsregeln (Missachtung des Vortrittsrechts), begangen am 22. August 2020, schuldig gemacht.

2.      A.___ wird verurteilt zu:

a)  einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 70.00, unter Gewährung des bedingten Vollzuges bei einer Probezeit von 2 Jahren.

b)  einer Busse von CHF 500.00, bei Nichtbezahlung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Tagen.

3.      A.___ hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 600.00, total CHF 870.00, zu bezahlen.

4.      A.___ hat die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 1’500.00, total CHF 1’600.00, zu bezahlen.

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) und der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft im Rechtsmittelverfahren (Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona).

Im Namen der Strafkammer des Obergerichts

Der Präsident                                                                    Der Gerichtsschreiber

von Felten                                                                         Wiedmer



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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