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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2021.76)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2021.76
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2021.76 vom 22.12.2022 (SO)
Datum:22.12.2022
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Es fand eine Party im Gemeinschaftszentrum statt, bei der es zu zwei tätlichen Auseinandersetzungen kam. Der Beschuldigte war alkoholisiert anwesend, aber nicht an der ersten Schlägerei beteiligt. Es gab Zeugenaussagen, die den Beschuldigten mit der zweiten Auseinandersetzung in Verbindung brachten. Der Beschuldigte konnte sich aufgrund seines Alkoholkonsums nicht an den Vorfall erinnern. Die Beweislage war aufgrund von Indizien und Zeugenaussagen nicht eindeutig. Letztendlich konnte die Schuld des Beschuldigten nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden.
Schlagwörter: Beschuldigte; Beschuldigten; Landes; Staat; Landesverweisung; Urteil; Schweiz; Recht; Interesse; Verletzung; Täter; Person; Körper; Freiheit; Freiheitsstrafe; Härte; Flüchtling; Körperverletzung; Staatsanwalt; Härtefall; Bundesgericht; Messer; Gericht; Apos; Auseinandersetzung; önne
Rechtsnorm: Art. 10 StPO ; Art. 12 StGB ; Art. 122 StGB ; Art. 13 BV ; Art. 134 StGB ; Art. 16 StGB ; Art. 18 StGB ; Art. 19a BetmG; Art. 22 StGB ; Art. 25 BV ; Art. 29 BV ; Art. 3 EMRK ; Art. 307 StGB ; Art. 32 BV ; Art. 369 StGB ; Art. 42 StGB ; Art. 43 StGB ; Art. 47 StGB ; Art. 48a StGB ; Art. 5 StPO ; Art. 66a StGB ; Art. 68 AIG ; Art. 73 StPO ; Art. 8 EMRK ;
Referenz BGE:115 IV 286; 116 IV 97; 117 IV 7; 120 Ia 36; 121 IV 49; 125 IV 242; 130 I 269; 134 IV 1; 135 II 110; 135 IV 58; 136 IV 1; 136 IV 55; 139 II 65; 143 IV 49; 144 II 1; 144 IV 277; 144 IV 332; 144 IV 362; 145 IV 364; 145 IV 455; 146 IV 172;
Kommentar:
Fanny de Weck, Spescha, Thür, Zünd, Bolzli, Hruschka, Kommentar zum Migrationsrecht, Art. 66 StGB SR, 2015
Entscheid
 
Geschäftsnummer: STBER.2021.76
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 22.12.2022 
FindInfo-Nummer: O_ST.2023.8
Titel: mehrfache versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache qualifizierte einfache Körperverletzung (mit Gift, Waffe gefährlichem Gegenstand) Angriff

Resümee:

 

Obergericht

Strafkammer

 

 

 

 

 

 

Urteil vom 22. Dezember 2022       

Es wirken mit:

Präsident von Felten

Oberrichter Marti

a.o. Ersatzrichter Kiefer  

Gerichtsschreiberin Schmid

In Sachen

Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,

Anschlussberufungsklägerin

 

gegen

 

A.___, amtlich verteidigt durch Jeannette Frech, Rechtsanwältin,

Beschuldigter und Berufungskläger

 

betreffend     mehrfache versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache qualifizierte einfache Körperverletzung (mit Gift, Waffe gefährlichem Gegenstand), Angriff


Es erscheinen zur Verhandlung vor Obergericht am 21. Dezember 2022:

1.      B.___, Staatsanwalt, für die Staatsanwaltschaft als Anschlussberufungsklägerin;

2.      A.___ als Beschuldigter und Berufungskläger;

3.      Rechtsanwältin Jeannette Frech als amtliche Verteidigerin des Beschuldigten;

4.      Rechtspraktikant von Rechtsanwältin Frech;

5.      C.___ als Dolmetscher (Eritreisch/Tigrinya).

 

Zudem erscheinen:

 

1.      eine Schulklasse der Berufsschule.

 

Die Verhandlung beginnt um 08:33 Uhr.

 

Der Vorsitzende eröffnet die Verhandlung und erkundigt sich nach den Deutschkenntnissen des Beschuldigten. Er verstehe gut Deutsch. Der Vorsitzende stellt fest, dass für die Befragung der Dolmetscher zum Zuge kommen wird. Sodann wird die übersetzende Person auf die Pflicht zur wahrheitsgemässen Übersetzung, auf die Straffolgen bei falscher Übersetzung gemäss Art. 307 StGB und auf die Straffolgen bei Verletzung der Geheimhaltungspflicht gemäss Art. 73 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 320 StGB hingewiesen. Der Beschuldigte gibt auf Frage des Vorsitzenden an, er verstehe den Dolmetscher. Er verstehe, dass er als Beschuldigter hier sei wegen der Anschuldigungen und dass er Berufung erhoben habe. Es wird festgestellt, dass die Verständigung funktioniere.

 

Der Vorsitzende stellt die Anwesenden fest und gibt die Besetzung des Berufungsgerichts bekannt. Er fasst das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Olten-Gösgen vom 27. Mai 2021 zusammen, gegen welches der Beschuldigte die Berufung anmelden liess. Er erörtert im Weiteren, in welchem Umfang der Beschuldigte mit Berufungserklärung vom 13. August 2021 das Rechtsmittel beschränken liess und inwiefern die Staatsanwaltschaft am 31. August 2021 Anschlussberufung erhob. Er gibt die beantragten Änderungen bekannt (vgl. hierzu im Detail die nachfolgenden Ziff. I.8.2., I.9. und I.10.) und skizziert den weiteren Verhandlungsablauf wie folgt:

 

-        Vorfragen und Vorbemerkungen der Parteivertreter, wobei die amtliche Verteidigerin gebeten werde, zu Beginn auch gleich ihre Honorarnote dem Staatsanwalt zur Einsicht vorzulegen;

-        Befragung des Beschuldigten zur Sache und zur Person;

-        allfällige weitere Beweisabnahmen und Abschluss des Beweisverfahrens;

-        Parteivorträge;

-        letztes Wort des Beschuldigten;

-        geheime Urteilsberatung;

-        Urteilseröffnung, derzeit vorgesehen am 22. Dezember 2022, 11:00 Uhr im Obergerichtssaal.

 

Der Vorsitzende macht die Parteien auf die Möglichkeit des Verzichts auf die öffentliche Urteilseröffnung und telefonische Mitteilung durch die Gerichtsschreiberin aufmerksam.

 

Rechtsanwältin Frech reicht auf Aufforderung ihre Kostennote ein.

 

Der Staatsanwalt wirft keine Vorfragen Vorbemerkungen auf.

 

Die amtliche Verteidigerin hat ebenfalls keine Vorfragen Vorbemerkungen.

 

Es folgt nach vorgängiger Belehrung die Befragung des Beschuldigten zur Sache und zur Person (vgl. separates Einvernahmeprotokoll: Aktenseite Berufungsverfahren [ASB] 91 ff.). Die Einvernahme wird mit technischen Hilfsmitteln aufgezeichnet (Audio-Dokument in den Akten: ASB 106).

 

Nachdem von den Parteien keine weiteren Beweisanträge gestellt worden sind, wird das Beweisverfahren vom Vorsitzenden geschlossen.

 

Der Dolmetscher wird um 9:47 Uhr entlassen.

Es stellen und begründen folgende Anträge:

Staatsanwalt B.___ für die Anschlussberufungsklägerin (die Plädoyernotizen inkl. der Anträge werden vorab zu den Akten gegeben [ASB 85 ff.]):

 

1.    Die Freiheitsstrafe sei um 5 Monate zu erhöhen, d.h. der Beschuldigte sei zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren, zu verurteilen.

2.    Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Beschuldigten.

3.    Im Übrigen sei das Urteil des Richteramtes Olten-Gösgen vom 27. Mai 2021 zu bestätigen.

 

Rechtsanwältin Jeanette Frech für den Beschuldigten und Berufungskläger (die Plädoyernotizen inkl. der Anträge werden vorab zu den Akten gegeben [ASB 74 ff.]):

 

1.    A.___ sei von sämtlichen Vorhalten freizusprechen.

2.    Es sei das beschlagnahmte und sichergestellte Sackmesser Victorinox blau einzuziehen und zu vernichten.

3.    Es sei dem Beschuldigten eine Entschädigung von CHF 81.60 und eine Genugtuung in der Höhe von CHF 200.00 zzgl. Zins zu 5 % seit 29. Januar 2017 auszurichten.

4.    Von einer Landesverweisung und von einer Ausschreibung im SIS sei abzusehen.

5.    Es sei A.___ eine Parteientschädigung für die angemessene Ausübung seiner Verfahrensrechte in der Höhe der von seiner amtlichen Verteidigerin eingereichten Honorarnote zzgl. der Aufwendungen für die Hauptverhandlung und Urteilseröffnung (inkl. MwSt.) auszurichten.

6.    Die Verfahrenskosten seien dem Staat zur Bezahlung aufzuerlegen.

7.    Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (inkl. MwSt.).

 

Der Staatsanwalt verzichtet auf eine Replik.

 

Der Beschuldigte verzichtet auf das letzte Wort und sagt, er habe nichts zu sagen und bedankt sich.

 

Der Staatsanwalt und die Verteidigerin (nach kurzer Besprechung mit dem Beschuldigten) verzichten auf eine mündliche Urteilseröffnung. Das Urteil wird den Parteien demnach durch die Gerichtsschreiberin telefonisch mitgeteilt und anschliessend das Urteilsdispositiv zugestellt.

 

Ende der Verhandlung um 10:30 Uhr.

 

 

Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:

I.          Prozessgeschichte

 

1. Am 29. Januar 2017, 03:57 Uhr, meldete sich D.___ telefonisch bei der Einsatzzentrale des Polizeikommandos Aargau und teilte mit, dass es einen Streit gebe und jemand nahezu am Sterben sei. Gemäss Geographischem Informationssystem kam der Anruf vom [Gemeinschaftszentrum] in [Stadt im Kanton Aargau] (Aktenseite [AS] 302). Es erfolgte umgehend ein Aufgebot einer Ambulanz sowie mehrerer Patrouillen der Kantons- und […]Polizei Aarau (AS 313).

 

2. Die Staatsanwaltschaft Solothurn führte zu diesem Zeitpunkt gegen A.___ (Beschuldigter) bereits eine Strafuntersuchung wegen diverser Delikte (Eröffnungsverfügung vom 11. Juni 2014; AS 899 f.). Nach dem Vorfall vom 29. Januar 2017 in [einer Stadt im Kanton Aargau] stellte die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau am 27. September 2017 deshalb bei der Staatsanwaltschaft Solothurn eine Gerichtsstandsanfrage, die positiv beantwortet wurde (AS 1006 f.). Am 6. Februar 2018 stellte die Staatsanwaltschaft Solothurn sodann das bis anhin im Kanton Solothurn geführte Verfahren gegen den Beschuldigten ein (AS 1026 ff.).

 

3. Am 31. Juli 2019 erliess die Staatsanwaltschaft eine bereinigte Eröffnungsverfügung wegen versuchter schwerer Körperverletzung (Art. 122 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 2 StGB), evtl. einfacher Körperverletzung (mit gefährlichem Gegenstand, Art. 123 Ziff. 2 Abs. 2 StGB) sowie Übertretung des BetmG (Art. 19a BetmG; AS 1039 f.).

 

4. Am 9. Dezember 2019 folgte eine bereinigte Eröffnungsverfügung. Die Strafuntersuchung wurde zusätzlich eröffnet wegen Angriffs (Art. 134 StGB; AS 1064 f.).

 

5. Zu Folge Eintritts der Verjährung stellte die Staatsanwaltschaft am 5. Februar 2020 die Strafuntersuchung wegen Übertretung des BetmG ein (AS 1067.25).

 

6. Die Anklageschrift datiert vom 15. Juli 2020 (Ordner 1, vor Paginierung).

 

7. Am 27. Mai 2021 fällte der Amtsgerichtspräsident von Olten-Gösgen das folgende Urteil:

 

1.      Der Beschuldigte A.___ hat sich schuldig gemacht:

-        der versuchten schweren Körperverletzung (z.N. von E.___), begangen am 29.01.2017;

-        des Angriffs, begangen am 29.01.2017.

2.      Der Beschuldigte A.___ wird verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren.

Die Polizeihaft vom 29.01.2017, total 1 Tag, ist dem Beschuldigten im Erstehungsfalle an die Freiheitsstrafe anzurechnen.

3.      Der Beschuldigte A.___ wird für die Dauer von 5 Jahren des Landes verwiesen.

4.      Der Beschuldigte A.___ wird im Schengener Informationssystem (SIS) ausgeschrieben.

5.      Folgender beschlagnahmte Gegenstand wird eingezogen und ist nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils zu vernichten:

-        1 Sackmesser, Victorinox, blau

6.      Der ordnungsgemäss vorgeladene Zeuge F.___, […], wird zufolge unentschuldigten Nichterscheinens an der Hauptverhandlung vom 27.05.2021 mit CHF 300.00 gebüsst.

7.      Die Entschädigung für die amtliche Verteidigerin des Beschuldigten A.___, Rechtsanwältin Jeannette Frech, wird auf CHF 6'688.90 (inkl. 7.7% MwSt und Auslagen) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen.

Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 2/3 = CHF 4'459.25, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die restlichen Kosten gehen definitiv zu Lasten des Staates Solothurn.

8.      Es wird festgestellt, dass der vormalige amtliche Verteidiger des Beschuldigten A.___, Rechtsanwalt Martin Heuberger, von der Kasse der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau mit CHF 1'051.70 (inkl. MwSt von CHF 77.90) bereits entschädigt wurde.

Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Kantons Aargau während 10 Jahren im Umfang von 2/3 = CHF 701.15, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die restlichen Kosten gehen definitiv zu Lasten des Kantons Aargau. 

9.      Die Verfahrenskosten, mit einer Gerichtsgebühr von CHF 2'500.00, belaufen sich auf total CHF 8'896.90 (davon CHF 6'090.00 nachträglich aufgelaufene Untersuchungskosten im Kanton Aargau). Der Beschuldigte A.___ hat davon CHF 5'931.25 zu bezahlen, die restlichen Kosten gehen zu Lasten des Staates.

 

8.1 Der Beschuldigte liess gegen dieses Urteil am 10. Juni 2021 die Berufung anmelden (Aktenseite Olten-Gösgen [O-G] 101).

 

8.2 Gemäss Berufungserklärung vom 13. August 2021 richtet sich die Berufung gegen folgende Ziffern des erstinstanzlichen Urteils:

-       Ziff. 1: Schuldsprüche;

-       Ziff.2: Sanktion;

-       Ziff. 3 und 4: Landesverweisung und SIS-Ausschreibung;

-       Ziff. 7 Abs. 2 und 8 Abs. 2: Rückforderungsanspruch Staat betr. Kosten der amtlichen Verteidigung;

-       Ziff. 9: Verfahrenskosten.

 

9. Am 31. August 2021 erklärte die Staatsanwaltschaft die Anschlussberufung. Das Rechtsmittel richtet sich gegen folgende Ziffern des erstinstanzlichen Urteils:

-       Ziff. 2: Sanktion;

-       Ziff. 7 Abs. 2 und 8 Abs. 2: Rückforderungsanspruch Staat betr. Kosten der amtlichen Verteidigung;

-       Ziff. 9: Verfahrenskosten.

 

10. In Rechtskraft erwachsen und nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens sind damit folgende Ziffern des erstinstanzlichen Urteils:

-       Ziff. 5: Einziehung;

-       Ziff. 6: Ordnungsbusse F.___;

-       Ziff. 7 Abs. 1 und 8 Abs. 1: Entschädigungen der amtlichen Verteidiger, soweit die Höhe betreffend.

 

 

II.         Gegenstand des Berufungsverfahrens

 

1. Die Anklageschrift vom 15. Juli 2020 hält dem Beschuldigten vor, sich der mehrfachen versuchten schweren Körperverletzung gemäss Art. 122 Abs. 1 i.V. mit Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig gemacht zu haben. «Mehrfach» deshalb, weil der Beschuldigte gemäss Anklageschrift mehrere Personen verletzt habe, nämlich G.___, F.___ und E.___.

 

2. Die Vorinstanz gelangte zum Beweisergebnis, dass der Beschuldigte dem Geschädigten E.___ mit dem sichergestellten Taschenmesser der Marke Victorinox am Bauch zwei Stichverletzungen zugefügt habe. Der Amtsgerichtspräsident sah es demgegenüber aber als nicht erstellt an, dass der Beschuldigte dem Geschädigten E.___ eine Kopfverletzung sowie weitere Verletzungen zugefügt habe. Auch bezüglich der Verletzungen von F.___ und G.___ erachtete die Vorinstanz die Täterschaft des Beschuldigten als nicht erstellt.

 

3. Entsprechend erfolgten Schuldsprüche wegen (einfacher) versuchter schwerer Körperverletzung zum Nachteil von E.___ sowie wegen Angriffs und nicht wegen mehrfacher versuchter schwerer Körperverletzung. Mit Blick auf die Rechtsprechung zum Grundsatz «ne bis in idem» (BGE 144 IV 362) erfolgte durch die Vorinstanz bezüglich der angeklagten weiteren Verletzungen von E.___ sowie von G.___ und F.___ kein Freispruch.

 

4. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind somit einzig die Schuldsprüche wegen versuchter schwerer Körperverletzung, der als Folge der beiden Stichverletzungen von E.___ ausgefällt wurde, und Angriffs.

 

 

III.        Versuchte schwere Körperverletzung zum Nachteil von E.___ (Art. 122 Abs. 1 StGB i.V. mit Art. 22 Abs. 1 StGB) und Angriff (Art. 134 StGB)

 

1.    Vorhalt gemäss Anklageschrift

 

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, er habe sich am 29. Januar 2017, um ca. 04:02 Uhr, [Stadt im Kanton Aargau], [Adresse], [Gemeinschaftszentrum], Vorplatz, zum Nachteil von G.___, F.___ und E.___, der mehrfachen versuchten schweren Körperverletzung, evtl. der mehrfachen qualifizierten einfachen Körperverletzung sowie des Angriffs strafbar gemacht, indem er mit einem gefährlichen Gegenstand versucht habe, die Geschädigten lebensgefährlich zu verletzen bzw. eine lebensgefährliche Verletzung der Geschädigten zumindest in Kauf genommen habe.

 

Konkret sei es nach einem Festanlass unter eritreischen Staatsangehörigen auf dem Vorplatz des [Gemeinschaftszentrums] zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen gekommen. Eine Gruppe, unter welcher sich der Beschuldigte befunden habe, habe dabei in feindseliger Absicht die andere Personengruppe, unter welcher sich die Geschädigten befunden hätten, angegriffen.

 

Anlässlich dieser gewaltsamen Auseinandersetzung habe der Beschuldigte die Geschädigten in einem Gewaltexzess mit einem Taschenmesser (Victorinox, Klingenlänge ca. 65 mm, Klingenbreite ca. 11 mm) durch wahlloses Schlagen, Einstechen und Schneiden angegriffen und habe sie nicht unerheblich verletzt. Er habe den Geschädigten folgende Verletzungen zugefügt:

-       G.___ eine ca. 3.3 cm lange, halbmondförmige Verletzung über dem linken Ellenbogengelenk,

-       F.___ eine maximal 2.3 cm lange, schwalbenschwanzförmige, glattrandige, in den Bauchraum hineinreichende Stichverletzung an der linken Körperseite mit initialem Hervorquellen des Bauchnetzes und

-       E.___ im Bereich der rechten Flanke eine glattrandige Stichwunde, d.h. auf Bauchnabelhöhe, eine spindelförmige, von vorne-oben nach hinten-unten verlaufende, ca. 1.2 cm lange Durchtrennung von Haut und Unterhautfettgewebe (der obere Wundwinkel quer abgesetzt, 0.1 cm breit), eine weitere (schwalbenschwanzförmige) von hinten-oben nach vorne-unten verlaufende (max. 1.4 cm lange Durchtrennung von Haut und Unterhautfettgewebe; der untere bzw. vordere Wundwinkel quer abgesetzt, 0.1 cm breit) glattrandige Stichwunde an der linken Flanke bzw. oberhalb des linken Beckenkamms, eine Schnittwunde rechtsseitig in der vorderen Scheitelpartie sowie (als Folgen von stumpfer Gewalt) Blutergüsse und Schwellung in der linken Jochbeinpartie, einen bandförmigen Bluterguss mit Schürfungsanteilen in der linken Schläfenpartie, Schürfungen und einen Bluterguss an der Unterlippeninnenseite, einen Bluterguss am Hals linksseitig und Hautabschürfungen an den Händen, Handgelenken und am rechten Knie.

 

Die Verletzungen von F.___ und E.___ seien am 29. Januar 2017 operativ bzw. chirurgisch versorgt worden.

 

Die Verwendung eines Sackmessers, mit welchem wahllos eingestochen und geschnitten werde, könne in jedem Fall eine lebensbedrohliche Verletzung zur Folge haben. Insbesondere Stiche mit einem spitzen scharfen Gegenstand gegen den Bauch bzw. die Bauchregion könnten aufgrund der engen räumlichen Beziehung zu lebenswichtigen Strukturen zu schwerwiegenden bzw. tödlichen Verletzungen führen. Aufgrund des Vorgehens des Beschuldigten sei davon auszugehen, dass er die Geschädigten lebensgefährlich bzw. schwer habe verletzen wollen eine lebensgefährliche bzw. schwere Körperverletzung zumindest für möglich gehalten habe, aber dennoch gehandelt habe, weil er diese in Kauf genommen habe.

 

Da die Geschädigten sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befunden haben sollen, sei es bei einer versuchten Tatbestandsverwirklichung geblieben.  

 

2.    Die objektiven Beweismittel

 

2.1  Überwachungskamera

 

Das [Gemeinschaftszentrum] ist mit Überwachungskameras ausgestattet. Die Aufnahmen der Kameras des Foyers sowie des Eingangsbereichs zur Tatzeit wurden von der Staatsanwaltschaft Aarau-Lenzburg beigezogen (AS 317). Die aufgezeichneten Daten finden sich in den Akten auf einem USB-Stick (AS 513).

 

Die Vorinstanz hat den relevanten Inhalt der Aufzeichnungen umfassend und präzis umschrieben (Urteil S. 9 f.); darauf kann verwiesen werden.

 

2.2  Das sichergestellte Taschenmesser

 

Im Verlauf der Arbeiten am Tatort stellte die Polizei im Bereich des Einganges zum Gemeinschaftszentrum in einem Aschenbecher, welcher an einem Betonpfeiler angebracht ist, ein blaues Taschenmesser der Marke Victorinox sicher. Es handelt sich um ein Taschenmesser mit dem Aufdruck «www.[…].ch»; auf der Rückseite des Griffes ist ein Schweizerkreuz aufgedruckt. Das Messer hat eine grosse Klinge mit einer Länge von 65 mm und einer Breite von 11 mm (Fotos AS 421 f.).

 

2.3  DNA-Spuren

 

Auf der Jeanshose des Beschuldigten (Foto AS 450 f.) wurde ein Blutstropfen sichergestellt. Gemäss Analysenbericht des Instituts für Rechtsmedizin des Kantonsspitals Aarau vom 13. Februar 2017 sind die DNA-Merkmale von E.___ in allen 13 STR-Loci des ermittelten Mischprofils als Hauptkomponente ersichtlich. E.___ kann damit als Mitspurengeber dieser Spur nicht ausgeschlossen werden (AS 490 f.)

 

Ab der Tatwaffe wurden ab der nicht-blutigen und der blutigen Seite der grossen Klinge sowie ab dem Griff DNA-Sicherungen vorgenommen (AS 405 f.). Gemäss dem Analysenbericht der Auswertung der DNA-Spuren des Instituts für Rechtsmedizin des Kantonsspitals Aarau vom 3. Februar 2017 (AS 480 ff.) stimmt das DNA-Profil von E.___ an den ermittelten 15 STR-Loci mit der DNA-Spur auf der nicht-blutigen Seite ab Klinge des Taschenmessers überein. E.___ könne deshalb als Hauptspurengeber der Spur nicht ausgeschlossen werden (AS 486). Dagegen konnte der Geschädigte bezüglich sämtlicher sichergestellten DNA-Spuren ab dem Griff des Taschenmessers ausgeschlossen werden (AS 486 f.).

 

Ab der blutigen Seite der Klinge des Sackmessers wurde ein inkomplettes Mischprofil von mindestens 2 Spurengebern erstellt. Dabei stimmte das DNA-Profil von G.___ in allen 16 STR-Loci mit der Spur überein. E.___ konnte von der Hauptspurengeberschaft ausgeschlossen werden. Die Vorinstanz erachtete gestützt auf dieses Spurenbild eine fahrlässige Verletzung von G.___ durch den Beschuldigten im Rahmen einer dynamischen Auseinandersetzung als möglich, nicht aber als erstellt (Urteil S. 26; O-G 129).

 

Aus dem Abstrich ab dem Griff des Taschenmessers wurden an drei Stellen DNA-Spuren gesichert («Schweizerkreuz-Bereich», «ch-Bereich» und «www-Bereich»), wobei ein Hauptprofil in 15 STR-Loci ermittelt werden konnte. Dieses Hauptprofil war an allen drei Orten identisch und stimmt mit dem DNA-Profil des Beschuldigten überein (AS 494, 498, 499).

 

2.4  Verletzungen von E.___

 

Das Institut für Rechtsmedizin des Kantonsspitals Aarau erstellte am 9. Februar 2017 im Auftrag der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau ein rechtsmedizinisches Gutachten bezüglich E.___ (AS 514 ff.). Soweit vorliegend relevant, gelangte der Gutachter im Gutachten und dem Untersuchungsprotokoll (AS 523 f.) zu folgenden Schlüssen:

 

Der Gutachter stellte am Rumpf zwei Stichwunden fest (Fotos: AS 532 f.; 863, 864):

 

-       Im Bereich der rechten Flanke, auf Bauchnabelhöhe, eine spindelförmige, von vorne-oben nach hinten-unten verlaufende, 1,2 cm lange Durchtrennung von Haut und Unterhautfettgewebe;

 

-       Oberhalb des linken Beckenkamms, auf Höhe der mittleren Achsellinie, eine schwalbenschwanzförmige, von hinten-oben nach vorne-unten verlaufende, max. 1,4 cm lange Durchtrennung von Haut und Unterhautfettgewebe.

 

Die Ausbildung eines Schwalbenschwanzes erkläre sich durch ein dynamisches Geschehen im Sinne eines sog. Drehstiches. Bei einem Drehstich unterscheide sich der Stichkanal beim Herausziehen des Messers von jenem beim Hineinstechen durch eine relativ-Bewegung zwischen dem Messer und dem durchstochenen Objekt – entweder durch eine aktive Bewegung der Klinge durch eine aktive Bewegung des Rumpfes des Betroffenen während des Stiches.

 

Die wundmorphologischen Merkmale könnten zwangslos auf die Einwirkung eines Messers ohne Wellenschliff zurückgeführt werden. Ein einseitig geschliffenes Sackmesser, wie es sichergestellt worden sei, sei ohne Weiteres geeignet, solche Verletzungen zu verursachen.

 

Aufgrund der klinischen Feststellungen ergäben sich aus rechtsmedizinischer Sicht keine Anhaltspunkte für einen kreislaufrelevanten Blutverlust eine Verletzung lebensgefährlicher Organe und damit das Vorliegen einer konkreten Lebensgefahr.

 

2.5  Verletzungen von G.___ und F.___

 

2.5.1    Gemäss dem Gutachten des IRM des Kantonspitals Aarau vom 3. Februar 2017 (AS 561 ff.) erlitt G.___ eine ca. 3.3 cm lange, halbmondförmige Verletzung über dem linken Ellenbogengelenk (vgl. Abbildungen, AS 571 f.). Gemäss dem Gutachten wurde bei G.___ eine forensisch-klinische Untersuchung durchgeführt. Die wundmorphologischen Merkmale würden gemäss Gutachten für die Einwirkung eines Messers ohne Wellenschliff sprechen. Ob es sich um eine Stich-, Schnitt- kombinierte Stich-/Schnittwunde handle, habe bei der rechtsmedizinischen Untersuchung nicht mehr festgestellt werden können, da die Wunde bereits chirurgisch verschlossen und damit auch keine Aussage mehr zur Wundtiefe möglich gewesen sei. Aus den Bildaufnahmen der Notaufnahme könne jedoch ersehen werden, dass die Wundränder auf ein dynamisches Geschehen mit Drehung des Werkzeuges beim Hineinstechen bzw. Herausziehen hinweisen. Trotz der von eigener Hand gut erreichbaren Körperregion zeige die Läsion nicht die typischen Kriterien einer Selbstverletzung.

 

Aufgrund der festgestellten Verletzung ergäben sich gemäss Gutachten keine Anhaltspunkte für einen kreislaufrelevanten Blutverlust und damit das Vorliegen einer konkreten Lebensgefahr (AS 563).

 

2.5.2    F.___ erlitt gemäss dem Untersuchungsprotokoll des IRM des Kantonspitals Aarau vom 7. Februar 2017 (AS 552 f.) unterhalb der linken Brustwarze, auf Höhe der vorderen Achsellinie, im Bereich des Rippenbogens, eine maximal 2.3 cm lange, schwalbenschwanzförmige Durchtrennung von Haut und Unterhautfettgewebe, mit initialem Hervorquellen des Bauchnetzes (vgl. Abbildungen, AS 559 f.). Auch bei F.___ wurde eine forensisch-klinische Untersuchung durchgeführt. Die wundmorphologischen Merkmale könnten gemäss Gutachten zwangslos auf die Einwirkung eines Messers ohne Wellenschliff zurückgeführt werden, wobei der Schwalbenschwanz durch ein dynamisches Geschehen im Sinne eines Drehstichs zu erklären sei. Die Stichwunden würden zudem nicht die typischen Kriterien einer Selbstverletzung aufweisen und könnten aufgrund ihrer Morphologie allesamt ohne weiteres mit dem Ereigniszeitraum in Einklang gebracht werden. Bei den Hautabschürfungen am rechten Ellenbogen könnte es sich um ältere Verletzungen handeln.

 

Aufgrund der Verletzung ergäben sich aus rechtsmedizinischer Sicht keine Anhaltspunkte für einen kreislaufrelevanten Blutverlust eine Verletzung lebenswichtiger Organe und damit das Vorliegen einer konkreten Lebensgefahr (AS 549).

 

2.6  Alkoholtest

 

Die Polizei führte mit dem Beschuldigten am 29. Januar 2017, 05:47 Uhr, einen Atemalkoholtest durch, der einen Wert von 0,89 mg/l ergab, was dem Wert einer Blutalkoholkonzentration von 1,78 ‰ entspricht (AS 296).

 

3.    Die Aussagen des Geschädigten

 

3.1 E.___ wurde am 3. Februar 2017 als Auskunftsperson polizeilich befragt (AS 694 ff.). Er führte aus, dass er um ca. 02:00 Uhr mit F.___ an das Fest gekommen sei. Nach einer Stunde sei das Fest zu Ende gewesen. Er und F.___ hätten im Vorraum zwei Personen gesehen, die sich gestritten hätten. Der Organisator der Party habe sie nach Hause geschickt und beleidigt. F.___ und er hätten den Vorraum verlassen und seien nach links gegangen, um zur Strasse hinunter zu gehen. Noch auf dem Platz sei er von hinten angegriffen worden. Es seien verschiedene Personen gekommen. Eine Person habe mit dem Fuss gegen seine Beine geschlagen, so dass er zu Boden gestürzt sei. Er habe dann den Weg nach unten gehen und sich auf einen Stein setzen können. Dann habe er bereits die Polizei gesehen.

 

F.___ sei auch geschlagen worden. Er wisse nicht, warum sie geschlagen worden seien. Er habe nie ein Messer gesehen. Er habe gedacht, dass er mit etwas aus Metall mit einer Spitze im Bereich vom Bauch angegriffen worden sei. Er wisse nicht, wer ihn verletzt habe. Er habe Verletzungen am Bauch, einmal links und einmal rechts.

 

Auf Vorlage von Fotos führte E.___ aus, dass folgende Personen in der Gruppe gewesen seien, die ihn angegriffen hätten (AS 703):

 

-       H.___ (Person Nr. 3, AS 462, 708);

-       I.___ (Person Nr. 7, AS 466, 708);

-       J.___ (Person Nr. 10, AS 469, 709);

-       A.___, Beschuldigter (Person Nr. 11, AS 470, 709).

 

3.2 E.___ konnte im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr befragt werden; er ist gemäss Auskunft des Kantonalen Sozialdienstes des Kantons Aargau seit dem 26. April 2017 unbekannten Aufenthaltes (O-G 17).

 

4.    Die Aussagen von Drittpersonen

 

4.1 D.___ führte in der polizeilichen Einvernahme vom 29. Januar 2017 (AS 663 ff.) aus, dass sie eine Eritreer-Party organisiert hätten und er als Organisator aufgetreten sei.

 

4.2.1 G.___ führte anlässlich der polizeilichen Befragung vom 29. Januar 2017 als Auskunftsperson aus (AS 684 ff.), dass er während des Festes einmal nach draussen gegangen sei. Es seien ihm zwei Personen gefolgt, worauf ihn eine dieser Personen geschlagen habe. Er sei am Ellenbogen verletzt worden. Von einer Schlägerei habe er nichts mitbekommen. Er habe auch nie ein Messer gesehen. Er habe auch nicht gesehen, wer ihn verletzt habe.

 

4.2.2 Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wurde G.___ als Zeuge befragt (O-G 48 ff.). Er führte aus, dass er sich an einen Streit draussen erinnere. Er erinnere sich nicht, dass er verletzt worden sei. Er habe die anderen nicht gekannt. Zu den Verletzungen von E.___ könne er nichts sagen.

 

4.3.1 F.___ wurde ebenfalls am 3. Februar 2017 polizeilich als Auskunftsperson befragt (AS 711). Er bestätigte die Aussagen von E.___, wonach er mit diesem um ca. 02:00 Uhr an das Fest gegangen sei. Er bestätigte auch, dass im Vorraum zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Personen gekommen sei. Der Organisator des Festes habe sie daraufhin weggeschickt, worauf sie mit ihm wegen des eben erst bezahlten Eintrittsgeldes für das Fest gestritten hätten. Sie seien dann nach draussen gegangen. Dort seien mehrere Personen gewesen. Der Organisator des Festes habe einen Stock geholt und habe sie aufgefordert zu gehen. Darauf hätten der Organisator und die anderen Leute E.___ geschlagen. Es seien total vier bis fünf Personen gewesen, der Organisator habe mit dem Stock geschlagen. Er habe versucht, zu schlichten und sei dann auch geschlagen worden. Er habe nie ein Messer gesehen. F.___ bezeichnete nach Vorlage von Fotoblättern (AS 725 ff.) die Nr. 11 als diejenige Person, welche hinter ihm gestanden sei und ihn an den Schultern gehalten habe (bei der Nr. 11 handelt es sich um den Beschuldigten, vgl. AS 726, 470). Der Beschuldigte habe sich in der Gruppe befunden, die ihn geschlagen habe, da sei er sicher.

 

Der Organisator des Festes sei D.___ gewesen. Dies sei derjenige mit dem Stock gewesen. F.___ bezeichnete dabei die «Nr. 5» des Fotoblattes als «D.___». Es handelt sich dabei um D.___ (AS 469, 464).

 

4.3.2 An die erstinstanzliche Hauptverhandlung wurde F.___ als Zeuge vorgeladen; er blieb dieser unentschuldigt fern (O-G 28).

 

4.4 D.___ wurde am 29. Januar 2017 und am 21. Februar 2017 polizeilich als Auskunftsperson befragt (AS 618 ff; 778 ff.). Er führte aus, er habe der Polizei telefoniert, weil im Vorraum L.___ bewusstlos am Boden gelegen sei; er sei geschockt und gestresst gewesen. Anschliessend sei er draussen gewesen und habe den Leuten gesagt, dass das Fest zu Ende sei und sie nach Hause gehen sollten. Er habe draussen nichts von einer Auseinandersetzung mitbekommen. Er habe niemanden geschlagen. Er wisse nicht, wer E.___, F.___ und G.___ die Stichverletzungen zugefügt habe. Er wisse nichts von einem Messer.

 

4.5 Am 22. Februar 2017 wurde J.___ als Auskunftsperson befragt (AS 819 ff.). J.___ ist der Sohn von D.___. Er bestätigte, dass sein Vater die Leute habe nach Hause schicken wollen. Als er hinzugekommen sei, sei der Streit schon im Gange gewesen. Er (J.___) habe versucht, zu schlichten. Er habe kein Messer gesehen. Ausser seinem Vater und den Verletzten konnte er keine weiteren Personen nennen, die sich draussen aufgehalten hätten.

 

5.    Die Aussagen des Beschuldigten

 

5.1 Am 29. Januar 2017 wurde A.___ als Auskunftsperson einvernommen (AS 641 ff.). Er sei allein an das Fest gegangen und habe viel getrunken. Er habe eine Schlägerei gesehen, wisse aber nicht, um was es gegangen sei.

 

5.2 Am 17. März 2017 erfolgte eine weitere polizeiliche Einvernahme von A.___, diesmal als Beschuldigter (AS 831 ff.). Er führte aus, nichts von Verletzungen von E.___, F.___ und G.___ zu wissen; er sei betrunken gewesen und habe gekifft. Er könne sich erinnern, dass L.___ mit jemandem gestritten habe und dann die Polizei gekommen sei (dies betrifft die Auseinandersetzung im Vorraum).

 

Er sei draussen gewesen, aber hin und her gegangen, von drinnen nach draussen und umgekehrt. Er erinnere sich nicht, was draussen passiert sei. Von einem Messer, welches bei der Auseinandersetzung eingesetzt worden sei, wisse er nichts. Er selber trage manchmal ein Taschenmesser auf sich, um Flaschen zu öffnen. Auf Vorlage eines Fotos des sichergestellten Messers (AS 848) führte der Beschuldigte aus, dass er solche Messer manchmal bei sich habe.

 

Auf Frage führte der Beschuldigte aus, er wisse nicht, wie das Blut von E.___ auf seine Hose komme. Auf Konfrontation mit den DNA-Spuren auf dem Griff des Messers führte der Beschuldigte aus, dass er nicht wisse, was er gemacht habe, weil er viel getrunken habe. Er erinnere sich nicht.

 

Er habe zwischen 17:00 Uhr und 20:00 Uhr mit einem Kollegen eine Flasche Whisky getrunken. An der Party habe er ab 20:30 Uhr ca. 15 kleine Dosen Heineken-Bier sowie einen halben Becher Whisky getrunken. Zudem habe er ca. um 00:30 Uhr Marihuana geraucht. Danach wisse er nichts mehr.

 

5.3 Anlässlich der Schlusseinvernahme durch den Staatsanwalt (AS 849 ff.) führte der Beschuldigte erneut aus, sich zu Folge Konsums von Alkohol und Marihuana nicht an den Vorfall zu erinnern.

 

Auf Vorhalt der Videoüberwachung, auf welcher ersichtlich ist, dass er sich beim Betonpfeiler aufhält und etwas an M.___ übergibt, als die Polizei erscheint (AS 858), führte er aus, er könne sich nicht erinnern. Er habe keine Ahnung, er habe das Messer nicht benutzt.

 

5.4 Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung bestätigte der Beschuldigte, sich nicht daran zu erinnern, was passiert sei (O-G 33 ff.).

 

5.5 Bei der Befragung durch das Berufungsgericht erklärte er erneut, sich nur erinnern zu können, an dem Abend dort gewesen zu sein, sonst an nichts. Er habe viel Alkohol getrunken und auch Marihuana konsumiert (ASB 91 ff.).

 

6.    Beweiswürdigung und Beweisergebnis

 

6.1. Allgemeines zur Beweiswürdigung

 

Gemäss der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie Art. 10 Abs. 3 StPO verankerten Maxime «in dubio pro reo» ist bis zum Nachweis der Schuld zu vermuten, dass die einer Straftat angeklagte Person unschuldig ist: Es gilt demnach die Unschuldsvermutung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 120 Ia 36 ff, 127 I 40 f.) betrifft der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowohl die Verteilung der Beweislast als auch die Würdigung der Beweise. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Als Beweiswürdigungsregel ist der Grundsatz «in dubio pro reo» verletzt, wenn sich der Strafrichter von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklärt, obschon bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, dass sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, da solche immer möglich sind. Obwohl für die Urteilsfindung die materielle Wahrheit wegleitend ist, kann absolute Gewissheit bzw. Wahrheit nicht verlangt werden, da diese der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen ist. Mit Zweifeln ist deshalb nicht die entfernteste Möglichkeit des Andersseins gemeint. Erforderlich sind vielmehr erhebliche und schlechthin nicht zu unterdrückende Zweifel, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei mehreren möglichen Sachverhaltsversionen hat der Richter auf die für den Beschuldigten günstigste abzustellen. Eine Verurteilung darf somit nur erfolgen, wenn die Schuld des Verdächtigten mit hinreichender Sicherheit erwiesen ist, d.h. wenn Beweise dafür vorliegen, dass der Täter mit seinem Verhalten objektiv und subjektiv den ihm vorgeworfenen Sachverhalt verwirklicht hat. Voraussetzung dafür ist, dass der Richter einerseits persönlich von der Tatschuld überzeugt ist und andererseits die Beweise die Schuld des Verdächtigen in einer vernünftige Zweifel ausschliessenden Weise stützen. Der Richter hat demzufolge nach seiner persönlichen Überzeugung aufgrund gewissenhafter Prüfung der vorliegenden Beweise darüber zu entscheiden, ob er eine Tatsache für bewiesen hält nicht (BGE 115 IV 286).

 

Indizien (Anzeichen) sind Hilfstatsachen, die, wenn selber bewiesen, auf eine andere, unmittelbar rechtserhebliche Tatsache schliessen lassen. Der erfolgreiche Indizienbeweis begründet eine der Lebenserfahrung entsprechende Vermutung, dass die nicht bewiesene Tatsache gegeben ist. Für sich allein betrachtet deuten Indizien jeweils nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Tatsache hin. Gemeinsam – einander ergänzend und verstärkend – können Indizien aber zum Schluss führen, dass die rechtserhebliche Tatsache nach der allgemeinen Lebenserfahrung gegeben sein muss. Der Indizienbeweis ist dem direkten Beweis gleichgestellt. Im Urteil 6B_291/2016 vom 4. August 2016 legte das Bundesgericht die Bedeutung des Grundsatzes «in dubio pro reo» im Zusammenhang mit Indizien wie folgt dar (E. 2.1): «Strafurteile ergehen häufig auf der Grundlage von Indizien, was weder die Unschuldsvermutung noch die aus ihr abgeleiteten Teilrechte verletzt. Dabei findet der Grundsatz ‹in dubio pro reo› nicht auf einzelne Indizien Anwendung, sondern entfaltet seine Wirkung bei der Beweiswürdigung als Ganzes. Massgebend ist nicht eine isolierte Betrachtung der einzelnen Beweise, welche für sich allein genommen nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit begründen und insofern Zweifel offenlassen, sondern deren gesamthafte Würdigung (Urteile 6B_913/2015 vom 19. Mai 2016 E. 1.3.3; 6B_759/2014 vom 24. November 2014 E. 1.1; je mit Hinweisen)».

 

6.2  Konkrete Beweiswürdigung und Beweisergebnis

 

6.2.1 Am 29. Januar 2017 fand im [Gemeinschaftszentrum] in [einer Stadt im Kanton Aargau] eine Party unter eritreischen Staatsangehörigen statt, an welcher offenbar reichlich Alkohol floss. Im späteren Verlauf des Abends kam es zu zwei tätlichen Auseinandersetzungen mit verschiedenen Beteiligten, die miteinander nichts zu tun hatten. An der ersten Auseinandersetzung, die sich im Vorraum des Gemeinschaftszentrums abspielte, war L.___ beteiligt. Dieser wurde geschlagen und lag schliesslich bewusstlos am Boden. Unmittelbar nach dieser ersten tätlichen Auseinandersetzung kam es vor dem Eingangsbereich des Gemeinschaftszentrums zu einer zweiten tätlichen Auseinandersetzung. Der Organisator der Party, D.___, alarmierte unter dem Eindruck der ersten Auseinandersetzung um 03:57 Uhr die Polizei, die wenige Minuten nach 04:00 Uhr am Tatort eintraf.

 

6.2.2 Der Beschuldigte war an der ersten tätlichen Auseinandersetzung im Vorraum des Gemeinschaftszentrums nicht beteiligt. Er kam nach eigenen Aussagen um ca. 20:30 Uhr an die Party, hatte aber bereits vorher erhebliche Mengen Whisky getrunken. An der Party trank er weiterhin Bier und Whisky. Um 05:47 Uhr ergab ein beim Beschuldigten durchgeführter Atemalkoholtest eine Blutalkoholkonzentration von 1,78 ‰. Der Beschuldigte war somit erheblich alkoholisiert.

 

6.2.3 Der Beschuldigte bestätigte, eine Schlägerei gesehen zu haben, an welcher L.___ beteiligt gewesen sei. Er befand sich im Zeitpunkt dieser Schlägerei somit im Vorraum des Gemeinschaftszentrums, ging aber nach eigenen Worten «hin und her», d.h. von drinnen nach draussen.

 

Eine Vielzahl der befragten Partygäste wollte sich an nichts erinnern können und sagte aus, nichts von einer Schlägerei einem Messer mitbekommen zu haben. Für ihre Erinnerungslücken machten sie den Alkoholkonsum verantwortlich. Einzig der Geschädigte E.___ und F.___ machten Angaben zu Personen, welche sich draussen aufhielten. Beide sagten aus, dass der Beschuldigte eine dieser Personen gewesen sei. E.___ erwähnte zudem J.___, was von diesem bestätigt wurde und damit die Glaubhaftigkeit der Aussagen von E.___ unterstreicht. Die Videoaufnahmen bestätigen denn auch, dass sich der Beschuldigte zur relevanten Zeit draussen im Eingangsbereich aufhielt. Gestützt auf die erwähnten Drittaussagen, die Aussagen des Beschuldigten selbst sowie der Videoaufnahmen ist somit erstellt, dass sich der Beschuldigte unmittelbar nach der ersten tätlichen Auseinandersetzung im Vorraum und damit im Zeitpunkt der zweiten tätlichen Auseinandersetzung draussen im Eingangsbereich des Gemeinschaftszentrums aufgehalten hat.

 

6.2.4 Anlass der zweiten tätlichen Auseinandersetzung war die Aufforderung von D.___ an die Gäste, die Party zu verlassen und nach Hause zu gehen. Grund war die erste Schlägerei im Vorraum, welche D.___ veranlasst hatte, die Polizei zu alarmieren. E.___ und F.___ waren erst um ca. 02:00 Uhr an die Party gekommen und waren deshalb mit der Aufforderung, nach Hause zu gehen, nicht einverstanden. Es kam deshalb zum Streit und zu einer tätlichen Auseinandersetzung, indem eine Gruppe, zu der H.___, J.___, I.___, D.___ und der Beschuldigte gehörten, die opponierenden E.___ und F.___ angriffen und schlugen.

 

Dieser Geschehensablauf stützt sich auf die Aussagen von E.___ und F.___ ab. Beide standen zum Beschuldigten in keinerlei persönlicher Beziehung und hatten deshalb keinen Grund, ihn zu Unrecht zu belasten. E.___ sagte aus, er habe gedacht, er sei mit etwas aus Metall mit einer Spitze angegriffen worden; F.___ gab zu Protokoll, der Beschuldigte sei hinter ihm gestanden und habe ihn an den Schultern gehalten. Für Beide wäre es somit ein Leichtes gewesen, den Beschuldigten mit einem Messereinsatz zu belasten und sie hätten dies mit Sicherheit auch getan, wenn sie ihn zu Unrecht hätten belasten wollen. Sowohl E.___ als auch F.___ sagten aber aus, nie ein Messer gesehen zu haben. Es liegen somit keine Hinweise auf einen Belastungseifer der beiden Auskunftspersonen vor und es gibt keinen Grund, die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen in Frage zu stellen. Die Beteiligung des Beschuldigten am tätlichen Übergriff auf F.___ und E.___ ist damit erstellt und wird erhärtet durch die Videoaufnahmen.

 

6.2.5 E.___ erlitt bei dieser tätlichen Auseinandersetzung zwei Stichverletzungen: Eine Stichverletzung im Oberbauch rechts lateral auf Bauchnabelhöhe und eine Stichverletzung Flanke links mit Hämatom oberhalb des linken Beckenkamms auf Höhe der mittleren Achsellinie (vgl. Ziff. 2.4 hiervor).

 

G.___ erlitt eine ca. 3.3 cm lange, halbmondförmige Verletzung über dem linken Ellenbogengelenk und F.___ eine maximal 2.3 cm lange, schwalbenschwanzförmige Durchtrennung von Haut und Unterhautfettgewebe, mit initialem Hervorquellen des Bauchnetzes unterhalb der linken Brustwarze, auf Höhe der vorderen Achsellinie, im Bereich des Rippenbogens (vgl. Ziff. 2.5 hiervor).

 

6.2.6 Die Polizei stellte in einem Aschenbecher, welcher im Eingangsbereich des Gemeinschaftszentrums an einem Betonpfeiler angebracht ist, ein blaues Taschenmesser der Marke Victorinox sicher. Gestützt auf die ab der Klinge des Messers sichergestellten DNA-Spuren ist erstellt, dass E.___ die beiden Stichverletzungen mit diesem Taschenmesser zugefügt worden sind, weil gemäss dem Analysenbericht der Auswertung der DNA-Spuren des Instituts für Rechtsmedizin des Kantonsspitals Aarau vom 3. Februar 2017 (AS 480 ff.) das DNA-Profil von E.___ an den ermittelten 15 STR-Loci mit der DNA-Spur auf der nicht-blutigen Seite ab Klinge des Taschenmessers übereinstimmt. An diesem Schluss ändert der Umstand, dass die Klingenseite «nicht-blutig» war, nichts, weil ein Messerstich in den Körper eines Menschen mit einem verzögerten Blutaustritt verbunden sein kann und dieser deshalb unter Umständen erst erfolgt, wenn das Messer bereits wieder herausgezogen worden ist.

 

6.2.7 Gestützt auf die sichergestellten DNA-Spuren am Griff des Taschenmessers ist sodann erstellt, dass der Beschuldigte dieses Messer in der Hand trug. An drei Stellen des Griffs des Taschenmessers wurden DNA-Spuren sichergestellt, welche mit dem DNA-Profil des Beschuldigten übereinstimmen (vgl. Ziff. 2.3 hiervor). Der Beschuldigte räumte ein, solche Taschenmesser auf sich zu tragen, um Flaschen öffnen zu können. Allerdings bestritt er, von diesem Messer etwas zu wissen. In Verbindung mit dem Blutstropfen, der an der Jeanshose des Beschuldigten sichergestellt wurde und ab welchem eine DNA-Spur gesichert wurde, bei welcher E.___ als Hauptspurengeber nicht ausgeschlossen werden konnte, steht jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Beschuldigte E.___ während der tätlichen Auseinandersetzung in einem dynamischen Geschehen mit dem Taschenmesser die beiden Stichverletzungen am Oberkörper zufügte und sich in diesem Moment ein austretender Blutstropf auf den Jeanshosen des Beschuldigten festsetzte.

 

6.2.8 Den Aufnahmen der Überwachungskamera lassen sich einige wesentliche Punkte entnehmen: Der Beschuldigte verliess das Gebäude um 04:02:23 Uhr und eilte in dieselbe, von der Kamera nicht mehr erfasste, Richtung wie der Geschädigte. Er hielt sich damit nachweislich mit diesem zusammen draussen auf. Um 04:05:20 Uhr ist zu sehen, wie der Beschuldigte draussen mit M.___ diskutiert und dabei sehr aufgeregt wirkt. Eine Erklärung für seine Aufregung lieferte der Beschuldigte jedoch nie. Die Diskussion fand unmittelbar neben einem Betonpfeiler statt. Unmittelbar vor dem Erscheinen der Polizei ist schliesslich zu sehen, wie der Beschuldigte um 04:06:26 Uhr etwas mit seiner rechten Hand in die linke Hand von M.___ übergab. Beim Betonpfeiler handelt es sich um jenen Ort, an dem später das Sackmesser gefunden wurde. Der Beschuldigte hat damit nachweislich einem anderen etwas unauffällig übergeben, bevor die Polizei eintraf, und das genau an dem Ort, an dem daraufhin die Tatwaffe sichergestellt werden konnte.

 

6.2.9 Das Aussageverhalten des Beschuldigten ist ein weiteres gewichtiges Indiz für seine Tatbeteiligung. Während des gesamten Verfahrens sagte er fast nichts, was nicht dem zu erwartenden Verhalten eines zu Unrecht Beschuldigten entspricht. Vielmehr wäre zu erwarten gewesen, dass er bestrebt ist, die Sache aufzuklären und daher umfangreich mitwirkt. Stattdessen gab er immer nur an, sich nicht erinnern zu können.

 

6.2.10 Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass der Sachverhalt gemäss Anklageschrift vom 15.Juli 2020 erstellt ist, soweit dieser den Geschädigten E.___ und die zwei von ihm erlittenen Stichverletzungen betrifft. Ebenso ist der Sachverhalt der Anklageschrift hinsichtlich des Vorhalts des Angriffs erstellt.

 

 

IV.       Rechtliche Subsumtion

 

A.    Versuchte schwere Körperverletzung (Art. 122 Abs. 1 i.V. mit Art. 22 Abs. 1 StGB)

 

1.1 Den Tatbestand der schweren Körperverletzung gemäss Art. 122 StGB erfüllt u.a., wer einen Menschen willentlich und wissentlich lebensgefährlich verletzt, den Körper, ein wichtiges Organ Glied eines Menschen verstümmelt ein wichtiges Organ Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig macht eine andere schwere Schädigung des Körpers der körperlichen geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht.

 

1.2 Wie dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Kantonsspitals Aarau vom 9. Februar 2017 zu entnehmen ist, ergaben sich aus rechtsmedizinischer Sicht keine Anhaltspunkte für eine Verletzung lebenswichtiger Organe das Vorliegen einer konkreten Lebensgefahr. Der objektive Tatbestand der schweren Körperverletzung ist deshalb nicht erfüllt.

 

2.1 In subjektiver Hinsicht erfordert Art. 122 StGB Vorsatz, der sich auf die Schwere der Verletzung beziehen muss, wobei Eventualvorsatz genügt (Trechsel/Geth in: Schweizerisches Strafgesetzbuch Praxiskommentar, 4. Auflage, Art. 122 StGB N 10).

 

2.2 Gemäss Art. 12 Abs. 2 StGB verübt ein Verbrechen Vergehen vorsätzlich, wer die Tat mit Wissen und Wollen ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt.

 

Direkter Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter um die Tatumstände weiss und er den Willen hat, den Tatbestand zu verwirklichen. Der Täter muss sich gegen das rechtlich geschützte Gut entscheiden, die Verwirklichung des Tatbestandes muss das eigentliche Handlungsziel des Täters sein ihm als eine notwendige Voraussetzung zur Erreichung seines Ziels erscheinen.

 

Dass der Beschuldigte mit direktem Vorsatz den Geschädigten lebensgefährlich verletzen wollte, lässt sich unter Beachtung des Grundsatzes «in dubio pro reo» nicht rechtsgenüglich nachweisen.

 

3.1 Ein eventualvorsätzliches Verhalten ist gegeben, wenn der Täter die Verwirklichung des tatbestandsmässigen Erfolges als Folge seines Verhaltens für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt bzw. sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 125 IV 242 E. 3c S. 251). Der eventualvorsätzlich handelnde Täter weiss um die Möglichkeit bzw. das Risiko der Tatbestandsverwirklichung (Urteil des Bundesgerichts 6S.378/2002 vom 11. Februar 2003).

 

Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft innere Tatsachen; bei einem fehlenden Geständnis des Täters muss aus äusseren Umständen auf diese inneren Tatsachen geschlossen werden. Zu den relevanten Umständen für die Entscheidung der Frage, ob ein Täter eventualvorsätzlich handelte, gehören die Grösse des ihm bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung und die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung. Je grösser das Risiko des Erfolgseintritts ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die tatsächliche Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen und damit eventualvorsätzlich gehandelt. Zu den relevanten Umständen können aber auch die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung gehören (BGE 135 IV 58 E. 8.4).

 

3.2 Der Beschuldigte setzte das Taschenmesser während einer tätlichen Auseinandersetzung gegen den Oberkörper von E.___ ein. Der Geschädigte erlitt die Stichverletzungen während eines dynamischen Geschehens, während dem der Beschuldigte keine Kontrolle darüber hatte, wie und wo das Taschenmesser auf den Körper des Geschädigten treffen würde. Das Risiko, dass das Tragen und Einsetzen eines offenen Messers während einer tätlichen Auseinandersetzung zu einer lebensgefährlichen Verletzung des Gegenübers führen kann, war aber sehr gross. Keiner weiteren Begründung bedarf die mit einem solchen Verhalten einhergehende Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung.

 

3.3 Wie im rechtsmedizinischen Gutachten des Kantonsspitals Aarau vom 9. Februar 2017 ausgeführt, sind Stiche mit einem spitzen scharfen Gegenstand gegen den Bauch geeignet, zu schwerwiegenden tödlichen Verletzungen Komplikationen von lebenswichtigen Strukturen (grosse Blutleiter, stark durchblutete innere Organe, z.B. Milz Leber) zu führen. Bei der Penetration durch einen scharfen spitzen Gegenstand bildet die Haut den grössten Widerstand; nach dem Überwinden des Hautwiderstandes wird dem eindringenden Werkzeug durch das Weichteilgewebe (Unterhautfettgewebe, Muskulatur etc.) kein relevanter Widerstand mehr entgegengesetzt, der wesentlichen Einfluss auf die Wundtiefe haben könnte. Die Eindringtiefe eines Stichs kann deshalb bei einem dynamischen Vorgang durch den Angreifer nicht gesteuert werden (AS 519 f.).

 

3.4 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung wird generell ein hohes Risiko einer tödlichen Verletzung geschaffen, wenn in einer Auseinandersetzung unkontrolliert mit einem Messer in den Bauch eines Menschen gestochen wird (6B_759/2021 vom 16. Dezember 2021 E 1.3.2). Im gleichen Entscheid führte das Bundesgericht aus, dass es keiner besonderen Intelligenz bedürfe, um zu erkennen, dass ein solches Vorgehen schwere Körperverletzungen zur Folge haben könnte (E. 1.3.5). Im Entscheid 6B_239/2009, E. 2.4 hat das Bundesgericht das Risiko einer Tatbestandsverwirklichung bei einem Messerstich in den Brustbereich auch bei einer eher kurzen Messerklinge von 4,1 cm als hoch eingestuft (im vorliegenden Fall betrug die Klingenlänge 6,5 cm).

 

3.5 Es ist damit erstellt, dass dem Beschuldigten bewusst sein musste, dass mit seinem Verhalten ein grosses Risiko einer lebensgefährlichen Verletzung seiner Kontrahenten verbunden war. Das Verhalten des Beschuldigten kann deshalb nicht anders interpretiert werden, als dass er eine solche Verletzung in Kauf nahm. Er hat deshalb den subjektiven Tatbestand der schweren Körperverletzung i.S. von Art. 122 Abs. 1 StGB erfüllt.

 

4.1 Ein Versuch liegt vor, wenn der Täter sämtliche subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt und seine Tatentschlossenheit manifestiert hat, ohne dass alle objektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt wären. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale müssen bei allen Versuchstypen vollständig erfüllt sein, in erster Linie der Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt. Ferner müssen die tatbestandsmässigen Absichten, Gesinnungsmerkmale usw. gegeben sein (vgl. Stefan Trechsel/Christopher Geth in: StGB PK, Vor Art. 22 StGB N 1 ff.).

 

4.2 Der Beschuldigte hat sich somit der versuchten schweren Körperverletzung i.S. von Art. 122 Abs. 1 StGB i.V. mit Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

 

B.    Angriff (Art. 134 StGB)

 

1. Gemäss Art. 134 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren Geldstrafe bestraft, wer sich an einem Angriff auf einen mehrere Menschen beteiligt, der den Tod die Körperverletzung eines Angegriffenen eines Dritten zur Folge hat.

 

2. Ein Angriff ist die gewaltsame tätliche Einwirkung in feindlicher Absicht durch mindestens zwei Personen auf den Körper eines (oder mehrerer) Menschen (Stefan Trechsel/Martino Mona in: PK StGB, Art. 134 StGB N 2). Das strafbare Verhalten besteht in der Beteiligung an einem solchen Angriff. Liegt die Voraussetzung einer körperlichen Attacke durch zwei Aggressoren vor, kann die Beteiligung auch in einer psychischen verbalen einer sachlich unterstützenden Mitwirkung bestehen (z.B. Zustecken von Kampfinstrumenten, Anfeuerung, Warnung vor Gefahren; vgl. Stefan Maeder in: BSK StGB II, Art. 134 StGB N 8). Der Angriff muss als objektive Strafbarkeitsbedingung den Tod die Körperverletzung eines Angegriffenen zur Folge haben. In subjektiver Hinsicht verlangt Art. 134 StGB Vorsatz bezüglich der Teilnahme an einem Angriff, wobei Eventualvorsatz genügt. Der Vorsatz muss sich auf den Angriff, nicht aber auf das Eintreten des Todes der Körperverletzung des Angegriffenen beziehen (Stefan Maeder in: BSK StGB II, Art. 134 StGB N 9).

 

3.1 Nach dem Beweisergebnis waren an der tätlichen Auseinandersetzung, die gegen G.___, F.___ und E.___ gerichtet war, neben dem Beschuldigten mehrere weitere Personen beteiligt. Die tätliche Auseinandersetzung ging von der Gruppe, welcher der Beschuldigte angehörte, aus. E.___ erlitt anlässlich dieser Auseinandersetzung die bereits ausgeführten zwei Stichverletzungen. G.___ trug eine ca. 3.3 cm lange, halbmondförmige Verletzung über dem linken Ellenbogengelenk davon und F.___ eine maximal 2.3 cm lange, schwalbenschwanzförmige, glattrandige, in den Bauchraum hineinreichende Stichverletzung an der linken Körperseite mit initialem Hervorquellen des Bauchnetzes. Der Tatbestand von Art. 134 StGB ist deshalb objektiv und subjektiv erfüllt und der Beschuldigte ist entsprechend schuldig zu sprechen.

 

3.2 Zu der anlässlich des Angriffs begangenen schweren Körperverletzung besteht Idealkonkurrenz, weil neben E.___ auch F.___ und G.___ gefährdet waren und auch verletzt wurden (Trechsel/Mona in: Schweizerisches Strafgesetzbuch Praxiskommentar, 4. Auflage, Art. 134 StGB N 7).

 

 

V.        Strafzumessung

 

A.     Grundsätze der Strafzumessung

 

1. Nach Art. 47 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Abs. 1). Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden (Abs. 2).

 

2. Bei der Tatkomponente können fünf verschiedene objektive und subjektive Momente unterschieden werden. Beim Aspekt der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes (Ausmass des verschuldeten Erfolgs) geht es sowohl um den Rang des beeinträchtigten Rechtsguts wie um das Ausmass seiner Beeinträchtigung, aber auch um das Mass der Abweichung von einer allgemeinen Verhaltensnorm. Auch die Verwerflichkeit des Handelns (Art und Weise der Herbeiführung des Erfolgs) ist als objektives Kriterium für das Mass des Verschuldens zu berücksichtigen. Unter der subjektiven Seite ist die Intensität des deliktischen Willens (Willensrichtung des Täters) zu beachten. Dabei sprechen für die Stärke des deliktischen Willens insbesondere Umstände wie die der Wiederholung Dauer des strafbaren Verhaltens auch der Hartnäckigkeit, die der Täter mit erneuter Delinquenz trotz mehrfacher Vorverurteilungen sogar während einer laufenden Strafuntersuchung bezeugt. Hier ist auch die Skrupellosigkeit, wie auch umgekehrt der strafmindernde Einfluss, den es haben kann, wenn ein V-Mann bei seiner Einwirkung auf den Verdächtigen die Schranken des zulässigen Verhaltens überschreitet, zu beachten. Hinsichtlich der Willensrichtung ist dem direkten Vorsatz grösseres Gewicht beizumessen als dem Eventualdolus, während sich mit der Unterscheidung von bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit keine prinzipielle Differenz der Schwere des Unrechts der Schuld verbindet. Die Grösse des Verschuldens hängt weiter auch von den Beweggründen und Zielen des Täters ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Delinquenz umso schwerer wiegt, je grösser das Missverhältnis zwischen dem vom Täter verfolgten und dem von ihm dafür aufgeopferten Interesse ist. Schliesslich ist unter dem Aspekt der Tatkomponente die Frage zu stellen, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden. Hier geht es um den Freiheitsraum, welchen der Täter hatte. Je leichter es für ihn gewesen wäre, die Norm zu respektieren, desto schwerer wiegt die Entscheidung gegen sie und damit seine Schuld (BGE 117 IV 7 E. 3a/aa). Innere Umstände, die den Täter einengen können, sind unter anderem psychische Störungen mit einer Verminderung der Schuldfähigkeit, aber auch unterhalb dieser Schwelle, wie Affekte, die nicht entschuldbar, aber doch von Einfluss sind, Konflikte, die sich aus der Bindung an eine andere Kultur ergeben, Alkohol- Drogenabhängigkeit, subjektiv erlebte Ausweglosigkeit Verzweiflung. Auch äussere Umstände berühren die Schuld nur, wenn sie die psychische Befindlichkeit des Täters betreffen.

 

3. Bei der Täterkomponente sind einerseits das Vorleben, bei dem vor allem Vorstrafen ins Gewicht fallen – Vorstrafenlosigkeit wird neutral behandelt und bei der Strafzumessung nur berücksichtigt, wenn die Straffreiheit auf aussergewöhnliche Gesetzestreue hinweist (BGE 136 IV 1 E. 2.6) – und andererseits die persönlichen Verhältnisse (Lebensumstände des Täters im Zeitpunkt der Tat), wie Alter, Gesundheitszustand, Vorbildung, Stellung im Beruf und intellektuelle Fähigkeiten zu berücksichtigen. Des Weiteren zählen zur Täterkomponente auch das Verhalten des Täters nach der Tat und im Strafverfahren, also ob er einsichtig ist, Reue gezeigt, ein Geständnis abgelegt bei den behördlichen Ermittlungen mitgewirkt hat, wie auch die Strafempfindlichkeit des Täters.

 

4. Die tat- und täterangemessene Strafe ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens der (schwersten) anzuwendenden Strafbestimmung festzusetzen. Dieser wird durch Strafschärfungs- Strafmilderungsgründe nicht automatisch erweitert, worauf innerhalb dieses neuen Rahmens die Strafe nach den üblichen Zumessungskriterien festzusetzen wäre. Vielmehr ist der ordentliche Strafrahmen nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint. Die Frage einer Unterschreitung des ordentlichen Strafrahmens kann sich stellen, wenn verschuldens- bzw. strafreduzierende Faktoren zusammentreffen, die einen objektiv an sich leichten Tatvorwurf weiter relativieren, so dass eine Strafe innerhalb des ordentlichen Strafrahmens dem Rechtsempfinden widerspräche. Die verminderte Schuldfähigkeit allein führt deshalb grundsätzlich nicht dazu, den ordentlichen Strafrahmen zu verlassen. Dazu bedarf es weiterer, ins Gewicht fallender Umstände, die das Verschulden als besonders leicht erscheinen lassen (BGE 136 IV 55 E. 5.8 S. 63 mit Hinweisen).

 

5. Gemäss Art. 42 Abs. 1 StGB schiebt das Gericht den Vollzug einer Geldstrafe, von gemeinnütziger Arbeit einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten. Die Anforderungen an die Prognose der Legalbewährung für den Strafaufschub liegen nach neuem Recht etwas tiefer. Während nach früherem Recht eine günstige Prognose erforderlich war, genügt nunmehr das Fehlen einer ungünstigen Prognose. Der Strafaufschub ist nach neuem Recht die Regel, von der grundsätzlich nur bei ungünstiger Prognose abgewichen werden darf (6B_214/2007 vom 13. November 2007). Relevante Faktoren für die Einschätzung des Rückfallrisikos sind etwa die strafrechtliche Vorbelastung, Sozialisationsbiographie und Arbeitsverhalten, das Bestehen sozialer Bindungen Hinweise auf Suchtgefährdungen (6B_103/2007 vom 12. November 2007).

 

6. Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren nur teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen (Art. 43 Abs.1 StGB). Der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht übersteigen (Art. 43 Abs. 2 StGB). Nach Art. 43 Abs. 3 Satz 1 StGB muss bei der teilbedingten Freiheitsstrafe sowohl der aufgeschobene wie auch der zu vollziehende Teil mindestens sechs Monate betragen.  

 

Für Strafen von einem Jahr bis zu drei Jahren ist gemäss Art. 43 StGB somit neben dem bedingten Vollzug auch eine teilbedingte Strafe möglich, indem die Strafe dann nur teilweise bedingt aufgeschoben wird, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen. In diesem Bereich hat das Bundesgericht mit BGE 134 IV 1 (E. 5.5.1.) eine Konkretisierung vorgenommen:

 

«Für Freiheitsstrafen im überschneidenden Anwendungsbereich von Art. 42/43 StGB (zwischen einem und zwei Jahren) gilt Folgendes: Der Strafaufschub nach Art. 42 StGB ist die Regel, die grundsätzlich vorgeht. Der teilbedingte Vollzug bildet dazu die Ausnahme. Sie ist nur zu bejahen, wenn der Aufschub wenigstens eines Teils der Strafe aus spezialpräventiver Sicht erfordert, dass der andere Teil unbedingt ausgesprochen wird. Damit verhält es sich ähnlich wie bei der Beurteilung der Bewährungsaussichten im Falle eines Widerrufs einer bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe (BGE 116 IV 97). Ergeben sich – insbesondere aufgrund früherer Verurteilungen – ganz erhebliche Bedenken an der Legalbewährung des Täters, die bei der Gesamtwürdigung aller Umstände eine eigentliche Schlechtprognose noch nicht zu begründen vermögen, so kann das Gericht an Stelle des Strafaufschubs den teilbedingten Vollzug gewähren. Auf diesem Weg kann es im Bereich höchst ungewisser Prognosen dem Dilemma „Alles Nichts“ entgehen. Art. 43 hat die Bedeutung, dass die Warnwirkung des Teilaufschubs angesichts des gleichzeitig angeordneten Teilvollzuges für die Zukunft eine weitaus bessere Prognose erlaubt. Erforderlich ist aber stets, dass der teilweise Vollzug der Freiheitsstrafe für die Erhöhung der Bewährungsaussichten unumgänglich erscheint. Das trifft nicht zu, solange die Gewährung des bedingten Strafvollzuges, kombiniert mit einer Verbindungsgeldstrafe Busse (Art 42 Abs. 4 StGB), spezialpräventiv ausreichend ist. Diese Möglichkeit hat das Gericht vorgängig zu prüfen.» (s.a. BGE 144 IV 277 E. 3.1.1).

 

B.     Konkrete Strafzumessung

 

1.    Einsatzstrafe für das schwerste Delikt: Schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB)

 

Zu Beginn ist eine Einsatzstrafe für das schwerste Delikt, die schwere Körperverletzung, festzusetzen. Der Strafrahmen von Art. 122 StGB beträgt 6 Monate bis 10 Jahre Freiheitsstrafe. Bis zum 31. Dezember 2017 – und somit zur Tatzeit – lautete die Strafdrohung für schwere Körperverletzung auf Geldstrafe von mindestens 180 Tagessätzen Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten; bis zum genannten Zeitpunkt war eine Geldstrafe bis 360 Tagessätzen möglich. Im vorliegenden Fall ist, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen, eine Strafe von mehr als 360 Strafeinheiten auszusprechen, so dass die Sanktionsform der Geldstrafe ausser Betracht fällt. Es gelangt damit das zur Tatzeit geltende Recht zur Anwendung, das seit dem 1. Januar 2018 geltende Recht stellt keine lex mitior dar.

 

2.    Tatkomponenten

 

2.1  Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts

 

Beim versuchten Delikt ist der Erfolg nicht eingetreten. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat das Gericht für die Bemessung der Strafe in einem ersten Schritt eine hypothetische Strafe für das vollendete Delikt zu bestimmen und diese in der Folge unter Berücksichtigung des Versuchs zu reduzieren (Urteil des Bundesgerichts 6B_865/2009 vom 25. März 2010 E. 1.6.1). Wäre die strafbare Handlung entsprechend dem Eventualvorsatz des Beschuldigten vollendet worden, hätte der Geschädigte eine lebensgefährliche Verletzung erlitten.

 

2.2  Art und Weise der Herbeiführung des Erfolgs

 

Der Tat ging keine Planung und Vorbereitung voraus. Die Tat ist auf ein verantwortungsloses Verhalten in einer Konfliktsituation zurückzuführen. Dabei lag keine Provokation vor, und die Gruppe, der sich der Beschuldigte anschloss, war derjenigen, welcher das Opfer angehörte, überlegen. Es ist eine gewisse Heimtücke durch den unentschuldbaren Einsatz eines Messers im Rahmen einer laufenden Auseinandersetzung zwischen mehreren Beteiligten ausmachbar. Das Opfer hatte keinerlei Abwehrchancen. Zudem hat der Beschuldigte die Tatwaffe verschwinden lassen, was sich ebenfalls verschuldenserhöhend auswirkt.

 

2.3  Willensrichtung des Täters und Intensität des verbrecherischen Willens

 

Der Beschuldigte handelte mit Eventualvorsatz. Ihn trifft deshalb ein geringeres Verschulden als denjenigen, der die Tat mit direktem Vorsatz beging.

 

2.4  Beweggründe des Täters

 

Das Verhalten des Beschuldigten kann letztlich nicht erklärt werden. Der Streit zwischen dem Organisator der Party und den beiden Gästen betraf ihn in keiner Weise. Er kannte offensichtlich den Organisator (AS 836: «Ja, ihn kenne ich. Wir waren zusammen während zwei Jahren, das war vor ca. sieben Jahren»; AS 837: «mit ihm war ich zusammen im gleichen Asylheim»). E.___ und F.___ waren ihm demgegenüber nicht bekannt. Der Beschuldigte entschloss sich deshalb offenbar aus dem Moment heraus, seinen Bekannten zu unterstützen. Dieser hatte jedoch gar keine Unterstützung nötig, der Beschuldigte handelte deshalb aus nichtigem Anlass.

 

2.5  Vermeidbarkeit des deliktischen Handelns

 

Es war dem Beschuldigten ohne Weiteres zumutbar, den Einsatz des Messers und damit die Stichverletzungen des Geschädigten am Oberkörper zu vermeiden. Dabei muss in diesem Zusammenhang aber auch die erhebliche Alkoholisierung des Beschuldigten berücksichtigt werden (BAK 1,78 ‰). Aufgrund dessen bestand beim Beschuldigten im Tatzeitpunkt eine leicht verminderte Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2 StGB).

 

2.6  Fazit

 

Insgesamt ist unter ausschliesslicher Berücksichtigung der Tatkomponenten zu Folge des spontanen Charakters der Tat und dem Vorliegen von Eventualvorsatz von einem leichten bis mittelschweren Verschulden auszugehen. Nach Berücksichtigung der leicht verminderten Schuldfähigkeit aufgrund des Alkoholeinflusses bleibt ein noch leichtes Verschulden (oberstes Drittel des leichten Verschuldens).

 

Die Einsatzstrafe für das vollendete Delikt ist somit auf 38 Monate Freiheitsstrafe festzusetzen.

 

3.    Strafmilderung wegen versuchter Tatbegehung

 

3.1 Art. 22 StGB sieht vor, dass das Gericht beim Vorliegen eines Versuches die Strafe mildern kann. Das Gericht ist damit grundsätzlich nicht an die angedrohte Mindeststrafe gebunden (Art. 48a StGB). Der Umstand, dass der tatbestandsmässige Erfolg nicht eingetreten ist, muss aber zumindest bei der Strafzumessung gemäss Art. 47 StGB innerhalb des ordentlichen Strafrahmens strafmindernd berücksichtigt werden. Das Mass der Reduktion hängt beim vollendeten Versuch unter anderem von der Nähe des tatbestandsmässigen Erfolgs und von den tatsächlichen Folgen der Tat ab (BGE 121 IV 49).

 

3.2 Nach der Praxis der Strafkammer wird bei versuchter Tatbegehung eine Strafreduktion im Umfang von 25 % - 35 % vorgenommen, wobei die Nähe des eingetretenen Erfolges sowie allfällige bleibende Verletzungsfolgen zu berücksichtigen sind.

 

3.3 Im vorliegenden Fall muss davon ausgegangen werden, dass es einzig glücklicher Fügung bzw. dem Zufall zu verdanken ist, dass E.___ nicht lebensgefährlich verletzt wurde. Folgen der Stichverletzungen sind weder in physischer noch in psychischer Hinsicht aktenkundig. Es rechtfertigt sich deshalb, die Strafe um rund einen Drittel und damit 13 Monate zu reduzieren, so dass sich eine Freiheitsstrafe von 25 Monaten ergibt.

 

4.    Asperation

 

4.1 Diese Strafe ist zu Folge des weiteren Schuldspruchs wegen Angriffs angemessen zu erhöhen. Angriff ist gemäss Art. 134 StGB mit Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht. Der beschuldigte ging mit einem Messer gegen Unbewaffnete vor. Es ist auch beim Angriff von einem leichten bis mittelschweren Verschulden auszugehen, das sich aufgrund der leicht verminderten Schuldfähigkeit auf noch leicht reduziert. Die Freiheitsstrafe ist entsprechend auf 16 Monate festzusetzen.

 

4.2 Das Tatverschulden des Beschuldigten ist durch den Schuldspruch wegen versuchter schwerer Körperverletzung zwar weitgehend, aber nicht vollumfänglich abgegolten, da durch den Angriff auch eine Gefährdung und Verletzung von F.___ und G.___ bestand. Zu berücksichtigen sind hier auch die weiteren Verletzungen von E.___. Angesichts des bereits mit dem Schuldspruch wegen versuchter schwerer Körperverletzung abgegoltenen Verschuldens ist verstärkt zu asperieren und die Strafe (nur) um 5 Monate auf 30 Monate Freiheitsstrafe zu erhöhen.

 

5.    Täterkomponenten

 

5.1 Der Beschuldigte ist am […] 1980 in Eritrea geboren (AS 1076 ff.). Er reiste am […] 2006 als Asylsuchender in die Schweiz ein (AS 1098). Er gab an, im Jahr 2005 aus dem Militär geflohen zu sein, wo er seit 1999 gedient hatte, weil damals der Krieg mit Äthiopien ausbrach (AS 1082).

 

5.2 Der Beschuldigte ist mehrfach vorbestraft (AS 1072 f.): Am 29. Dezember 2012 wurde er von der Oberstaatsanwaltschaft Aarau wegen Hehlerei und Hausfriedensbruch zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je CHF 30.00 verurteilt. Mit Urteil der Staatsanwaltschaft Emmenthal-Oberaargau vom 14. Mai 2013 wurde er sodann wegen Tätlichkeiten und Beschimpfung zu 20 Tagessätzen Geldstrafe zu je CHF 30.00 verurteilt. Aus den Migrationsakten des Kantons Aargau sind zudem diverse Bagatelldelikte ersichtlich: So wurde der Beschuldigte mit Strafbefehl vom 21. April 2022 der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau wegen Nichtausführenlassens der Abgaswartung zu einer Busse von CHF 230.00 verurteilt (Aktenseite Migrationsakten [ASM] 426 f.). Mit Strafbefehl vom 19. August 2021 wurde der Beschuldigte wegen Widerhandlung gegen ein gerichtliches Verbot zu einer Busse von CHF 80.00 verurteilt (ASM 410 f.). Mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Luzern vom 19. August 2019 wurde er wegen Überschreitens der signalisierten Höchstgeschwindigkeit innerorts zu einer Busse von CHF 250.00 verurteilt (ASM 384 f.). Am 19. November 2022 wurde der Beschuldigte von der Kantonspolizei Aargau wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,65mg/l (entspricht ca. 1,3 ‰) angehalten (ASM 419 f.). Er anerkannte den Tatbestand, ein Strafbefehl liegt indessen noch nicht vor. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dürfen in die Prognosebeurteilung auch die in einem hängigen Strafverfahren zugegebenen Tatsachen einfliessen, nicht aber bei der Strafzumessung (Urteile 6B_836/2016 vom 7. März 2017 E. 1.3.1; 6B_488/2011 vom 27. Dezember 2011 E. 4.3; 6B_459/2009 vom 10. Dezember 2009 E. 1.2) respektive es dürfen mit der erforderlichen Zurückhaltung bei der Beurteilung der Bewährungsaussichten auch nicht abgeurteilte Vortaten, welche Schlüsse auf das Vorleben und den Charakter eines Täters zulassen, beachtet werden (Urteil 6B_459/2009 vom 10. Dezember 2009 E. 1.2).

 

5.3 Der Beschuldigte hat in der Schweiz eine Tochter, geboren am […] 2016. Sie lebt bei der Mutter, mit welcher der Beschuldigte nicht zusammenlebt (AS 851). Die Mutter ist ebenfalls Eritreerin (AS 1082). Anlässlich der Verhandlung vor Obergericht führte der Beschuldigte aus, dass er seine Tochter regelmässig besucht. Er sei jeden Sonntag und zudem auch unter der Woche bei ihr. Mit der Mutter verstehe er sich gut, sie seien befreundet. Seine Tochter sei der wichtigste Mensch für ihn (ASB 99). Der Beschuldigte leistet einen Unterhaltsbeitrag für die Tochter von CHF 720.00, der direkt vom Lohn in Abzug gebracht wird.

 

5.4 Der Beschuldigte arbeitet [in einem Verteilzentrum] in einer Festanstellung. Er ist seit 1. Dezember 2020 dort angestellt (ASM 395) und war bereits vorher temporär arbeitstätig. Er erzielt einen Bruttolohn von CHF 4'800.00.

 

5.5 In der Schweiz lebten nebst seiner Tochter ein Bruder, zu dem der Beschuldigte regelmässigen Kontakt hat. Eine Schwester lebt in […] und eine in […]. In Eritrea leben eine weitere Schwester und die Mutter des Beschuldigten (ASB 98). Der Vater ist gemäss eigenen Angaben bereits im Jahr 2005 verstorben (ASM 14).

 

5.6 Der Beschuldigte versteht Deutsch und kann sich im Alltag verständigen (ASB 100 f.). Für das Gerichtsverfahren war er auf einen Dolmetscher angewiesen. Gesamthaft sind seine Deutschkenntnisse angesichts der mittlerweile langen Aufenthaltsdauer jedoch nicht so ausgeprägt, wie dies zu erwarten wäre.

 

5.7 Der Beschuldigte hat mittlerweile den Schweizer Führerausweis erhalten. Er war jedoch am 19. November 2022 mit Alkohol am Steuer, weshalb ihm der Führerausweis für eine gewisse Zeit entzogen wird (ASB 105). Der Beschuldigte gab vor Obergericht an, er trinke oft am Wochenende mit Freunden Alkohol. Er versuche nun, weniger zu trinken. Marihuana konsumiere er nicht mehr (ASB 100).

 

5.8 Der Beschuldigte ist im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung (AS 1098) und verfügt über den Flüchtlingsstatus. Eine Rückreise nach Eritrea ist nur freiwillig möglich (AS 1098).

 

5.9 Unter Berücksichtigung dieser Umstände sowie der Tatsache, dass der Beschuldigte seit nunmehr knapp sechs Jahren abgesehen von Bagatellen deliktsfrei war, wirken sich die Täterkomponenten noch knapp neutral aus. Es bleibt deshalb bei einer Strafe von 30 Monaten Freiheitsstrafe.

 

6.    Verletzung des Beschleunigungsgebotes

 

6.1 Das in Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 5 StPO geregelte Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörde, das Strafverfahren zügig voranzutreiben, um den Beschuldigten nicht unnötig über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Ungewissen zu lassen. Es gilt für das ganze Verfahren (BGE 143 IV 49 E. 1.8.2 S. 61 mit Hinweisen). Welche Verfahrensdauer angemessen ist, hängt von den konkreten Umständen ab, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind. Kriterien hierfür bilden etwa die Schwere des Tatvorwurfs, die Komplexität des Sachverhaltes, die dadurch gebotenen Untersuchungshandlungen, das Verhalten des Beschuldigten und dasjenige der Behörden sowie die Zumutbarkeit für den Beschuldigten (BGE 130 I 269 E. 3.1 S. 273 mit Hinweis).

 

6.2 In Bezug auf das vorliegende Verfahren ist festzustellen, dass das Verfahren bis zum Urteil der Berufungsinstanz knapp sechs Jahre dauerte, was als zu lang erscheint. Bei der Staatanwaltschaft ruhte das Verfahren zwischen dem 2. Juli 2018 und 31. Juli 2019, somit während mehr als einem Jahr.

 

6.3 Das Beschleunigungsgebot ist verletzt. Es rechtfertigt sich eine Strafreduktion von sechs Monaten Freiheitsstrafe. Somit resultiert eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten.

 

7.    Vollzugsform

 

Wie bereits ausgeführt, ist der Beschuldigte vorbestraft. Er ist arbeitstätig und verfügt mit seiner Tochter über eine familiäre Struktur. Aus den Migrationsakten und den Aussagen des Beschuldigten ist ersichtlich, dass er seine Freizeit überwiegend mit Landsleuten verbringt und er hat offenkundig Mühe mit Alkohol. Gerade nur rund vier Wochen vor der obergerichtlichen Verhandlung delinquierte er erneut, indem er mit einem Alkoholgehalt von mehr als 0.8 ‰ ein Fahrzeug steuerte. Auch die vorliegend zu beurteilenden Delikte beging der Beschuldigte unter erheblichem Alkoholeinfluss. Eine Problemeinsicht fehlt dem Beschuldigten jedoch. Zwar gab er an, künftig weniger trinken zu wollen, und er scheint zu erkennen, dass es immer zu Problemen kommt, wenn er zu viel trinkt (ASB 104). Doch gleichzeitig führte er aus, dass halt getrunken werde, wenn man sich am Wochenende mit Kollegen treffe. Der Beschuldigte scheint das Problem offensichtlich noch nicht richtig erkannt zu haben, obwohl er dadurch immer wieder in Strafverfahren verwickelt wird. Die zwei verzeichneten Vorstrafen liegen zwar weit zurück und sind nicht einschlägig, doch die Bagatelldelinquenz zieht sich durch sein Leben wie ein roter Faden. Zudem kann das Nachtatverhalten aufgrund der kürzlich erfolgten Strafanzeige nicht mehr als nur gut bezeichnet werden. Damit ist dem Beschuldigten bei einer Gesamtwürdigung grundsätzlich eine ungünstige Prognose zu stellen und der bedingte Vollzug der ganzen Strafe ist ausgeschlossen. Der Beschuldigte hatte aber noch nie eine Freiheitsstrafe zu vergegenwärtigen. Es besteht damit durchaus eine Hoffnung, dass der Vollzug eines Strafteils beim Beschuldigten die gewünschte Warnwirkung auslöst und er sich danach besser beherrscht. Deshalb ist es gerechtfertigt, für einen Teil der Strafe von 15 Monaten den (teil-)bedingten Strafvollzug zu gewähren, auch im Sinne einer letzten Chance, wobei die Probezeit angesichts der verbleibenden Zweifel auf drei Jahre festzusetzen ist. Neun Monate Freiheitsstrafe sind unbedingt zu vollziehen.

 

8.    Anrechnung Haft

 

Dem Beschuldigten wird ein Tag Polizeihaft vom 29. Januar 2017 an den unbedingten Teil der Freiheitsstrafe angerechnet.

 

 

VI. Landesverweisung

 

A.    Allgemeines

 

1. Gemäss Art. 66a StGB verweist das Gericht den Ausländer, der wegen einer in ebendiesem Artikel aufgelisteten Handlungen verurteilt wird, unabhängig von der Höhe der Strafe für 5 – 15 Jahre des Landes. Das Gericht kann gemäss Abs. 2 ausnahmsweise von der obligatorischen Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren aufgewachsen sind. Von einer Landesverweisung kann ferner abgesehen werden, wenn die Tat in entschuldbarer Notwehr (Art. 16 Abs. 1 StGB) in entschuldbarem Notstand (Art. 18 Abs. 1 StGB) begangen worden ist (Art. 66a Abs. 3 StGB).

 

2. Eine Landesverweisung umfasst den Verlust des Aufenthaltsrechts und den Verlust aller Rechtsansprüche auf Aufenthalt, die Verpflichtung zum Verlassen des Landes (Ausweisung) sowie ein Einreiseverbot für die verfügte Dauer. Damit eine Landesverweisung ausgesprochen werden kann, wird zunächst vorausgesetzt, dass es sich beim Täter um einen Ausländer handelt. Dies sind all jene Personen, die im Zeitpunkt der Tat nicht über das schweizerische Bürgerrecht verfügen. Des Weiteren muss der Ausländer zu einem in der Bestimmung aufgeführten Delikt und zu einer Strafe verurteilt worden sein. Mit dem Letzteren wird zum Ausdruck gebracht, dass eine Landesverweisung nicht gegen einen Täter verhängt werden kann, der zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war. Eine Landesverweisung kann zudem nicht angeordnet werden, wenn das Gericht von einer Strafe absieht. Auf die Höhe der Grundstrafe kommt es für die Anordnung der Landesverweisung nicht an, ebenso wenig darauf, ob der Täter zu einer unbedingten, bedingten teilbedingten Strafe verurteilt worden ist. Bei der Bemessung der Dauer hat das Gericht insbesondere den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten (zum Ganzen: BBl 2013 5975, 6020 ff.; Carlo Bertossa in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Auflage 2021, Art. 66a StGB N 1 ff.).

 

Liegt eine Anlasstat gemäss Art. 66a Abs. 1 StGB vor, so ist in der Regel eine Landesverweisung zu verhängen. Ein ausnahmeweises Absehen davon ist nur dann zulässig, wenn die Landesverweisung beim verurteilten Ausländer zu einem schweren persönlichen Härtefall führen würde. Bei der Prüfung, ob im konkreten Fall ein schwerer persönlicher Härtefall vorliegt, sind insbesondere folgende Aspekte zu beachten (vgl. zum Ganzen Marc Busslinger/Peter Uebersax, Härtefall-Klausel und migrationsrechtliche Auswirkungen der Landesverweisung, in: Plädoyer 5/16, S. 96 ff.):

 

-    Anwesenheitsdauer: Unter dem Aspekt der Anwesenheitsdauer ist die in Art. 66a Abs. 2 StGB aufgeführte Situation von Ausländern, die in der Schweiz geboren aufgewachsen sind, zu berücksichtigen. Von einem Aufwachsen in der Schweiz ist im Sinne einer Minimalvoraussetzung dann auszugehen, wenn die prägende Jugendzeit und Adoleszenzphase in der Schweiz verbracht wurde. In Anlehnung an die im schweizerischen Migrationsrecht geltenden Fristen für einen Nachzug von Kindern ist von einem Aufwachsen in der Schweiz dann auszugehen, wenn die Einreise in die Schweiz vor Abschluss des 12. Altersjahres erfolgte. Darüber hinaus ist ein Härtefall anzunehmen, wenn die Landesverweisung aufgrund der langen Aufenthaltsdauer zu einem Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privatleben führt.

 

-    Familiäre Verhältnisse: Hat ein Betroffener Familienangehörige in der Schweiz, kann die Landesverweisung zu einem Eingriff in die Beziehungssituation führen, sofern es den Familienangehörigen nicht zumutbar ist, die Schweiz gemeinsam zu verlassen.

 

-    Arbeits- und Ausbildungssituation: Bei der Arbeits- und Ausbildungssituation ist entscheidend, ob der Betroffene aus einem stabilen Umfeld herausgerissen wird, welches er im Heimatland nicht wiederaufbauen kann. Dabei sind in der Regel berufliche Veränderungen ohne weiteres zumutbar und hinzunehmen. Es stellt sich insbesondere nicht die Frage, in welchem Land der Betroffene bessere wirtschaftliche Bedingungen vorfindet. Ein Härtefall ist nur dann anzunehmen, wenn der Aufbau einer beruflichen Existenz praktisch unmöglich erscheint er sich derart beruflich spezialisiert hat, dass ein auch nur einigermassen äquivalentes Arbeitsumfeld in seinem Heimatland nicht existiert und eine Aufgabe seiner Tätigkeit für ihn einen sehr grossen Eingriff bedeuten würde.

 

-    Entwicklung der Persönlichkeit: Weist ein Betroffener nach der begangenen Anlasstat eine überaus positive Persönlichkeitsentwicklung aus, die durch die Landesverweisung zunichte gemacht würde, kann dies auf das Vorliegen eines Härtefalles hindeuten.

 

-    Grad der Integration und Reintegrationschancen im Heimatland: Unabhängig von der Aufenthaltsdauer ist einerseits zu prüfen, ob der Betroffene in sprachlicher, sozialer, kultureller, religiöser und persönlicher Hinsicht aufgrund weiterer Aspekte derart verwurzelt ist, dass ein Verlassen der Schweiz für ihn eine nicht hinzunehmende Härte bedeuten würde. Andererseits ist mit Blick auf die gleichen Aspekte zu klären, ob der Betroffene auf unüberwindbare Hindernisse bei der Reintegration in seinem Heimatland stossen würde. Reintegrationshindernisse sind dabei nicht leichthin anzunehmen. Immerhin muten sich viele freiwillig Migrierende zu, in einem neuen Land Fuss zu fassen, ohne dass sie die Sprache beherrschen auf ein enges Beziehungsnetz zurückgreifen können. Weshalb dies straffällig gewordenen Ausländern, die des Landes verwiesen werden sollen und in ihr Heimatland zurückkehren müssen, nicht ebenso zumutbar sein soll, ist nicht ersichtlich. Führt die Landesverweisung jedoch zu einer Verletzung des Non-Refoulement-Gebotes, liegt zwangsläufig ein Härtefall vor. Ist das Rückschiebungshindernis allerdings nur vorübergehender Natur und dessen Wegfall absehbar, etwa ein solches aufgrund einer heilbaren Krankheit, die vorläufig, aber nicht auf Dauer eine Ausreise verunmöglicht, rechtfertigt es sich nicht, deswegen einen Härtefall anzunehmen, sondern es genügt, diesem Umstand durch einen geeigneten Vollzugsauf-schub Rechnung zu tragen.

 

-    Resozialisierungschancen: Bezüglich der Resozialisierungschancen ist ein Härtefall nicht bereits dann anzunehmen, wenn diese in der Schweiz besser sind als im Heimatland, sondern erst, wenn die Resozialisierung im Heimatland praktisch unmöglich zumindest deutlich schlechter erscheint.

 

Bei sämtlichen Aspekten ist der Fokus einerseits auf die Situation in der Schweiz und andererseits auf die Situation im Heimatland zu legen. Bildlich gesprochen ist der Frage nachzugehen, ob der Betroffene in der Schweiz als Baum betrachtet derart verwurzelt ist, dass ein Herausreissen eine nicht hinzunehmende Härte darstellt, bzw. ob der Betroffene als keimendes Pflänzchen betrachtet in seinem Heimatland auf einen derart fruchtlosen Boden trifft, dass ihm eine Rückkehr nicht zugemutet werden kann. Härtefallbegründende Aspekte müssen den Betroffenen dabei grundsätzlich selbst treffen. Treten sie bei Dritten, zum Beispiel Familienangehörigen auf, sind sie nur dann zu berücksichtigen, wenn sie sich zumindest indirekt auch auf den Betroffenen auswirken. Ein schwerer persönlicher Härtefall ist dann anzunehmen, wenn die Summe aller Schwierigkeiten den Betroffenen derart hart trifft, dass ein Verlassen der Schweiz bei objektiver Betrachtung zu einem nicht hinnehmbaren Eingriff in seine Daseinsbedingungen führt (Marc Busslinger/Peter Uebersax, a.a.O., S. 101).

 

3. Erst wenn feststeht, dass die Landesverweisung einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde, ist in einem zweiten Schritt das private Interesse an einem Verbleib in der Schweiz dem öffentlichen Interesse an einem Verlassen der Schweiz gegenüberzustellen. Resultiert daraus ein überwiegendes öffentliches Interesse, muss die Landesverweisung verhängt werden. Von einer Landesverweisung darf also nur dann abgesehen werden, wenn das öffentliche Interesse kleiner gleich gross ist wie das private Interesse. Bei der Bestimmung des privaten Interesses müssen die für den Härtefall relevanten Aspekte mit den für die Bestimmung des privaten Interesses wesentlichen Gesichtspunkten bewertet werden. Das private Interesse an einem Verbleib in der Schweiz ist insbesondere umso höher zu veranschlagen, je länger ein Betroffener in der Schweiz lebt, je gravierender die Auswirkungen auf das Familienleben sind, je schwieriger sich die Reintegration im Heimatland gestaltet, je wahrscheinlicher eine positive Persönlichkeitsentwicklung zunichtegemacht wird und je wahrscheinlicher eine Resozialisierung im Heimatland scheitern wird (vgl. Marc Busslinger/Peter Uebersax, a. a. O., S. 102 f.).

 

Bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses ist zunächst festzulegen, aufgrund welcher Aspekte das öffentliche Interesse zu ermitteln ist, danach ist die Höhe des öffentlichen Interesses zu bestimmen. Ziel der Landesverweisung ist die Verhinderung weiterer Straftaten in der Schweiz durch den Betroffenen. Als massgebliche Aspekte kommen dabei insbesondere die ausgefällte Strafe, die Art der begangenen Delikte, die grosse Rückfallgefahr, die wiederholte Straffälligkeit, die erneute Straffälligkeit nach verbüsster Freiheitsstrafe und die Straffälligkeit nach migrationsrechtlicher Verwarnung in Frage. Ausgangspunkt für die Bemessung des öffentlichen Interesses ist die Höhe der ausgefällten Strafe. Je höher das Strafmass ausfällt, umso grösser ist das öffentliche Interesse zu veranschlagen. Dieses erhöht sich unter Umständen weiter, je nachdem, aufgrund welcher Delikte die Verurteilung erfolgte (vgl. Marc Busslinger/Peter Uebersax, a. a. O., S. 103).

 

4. Die Härtefallklausel stellt nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers eine Ausnahmeregelung dar. Damit die Ausnahme nicht zur Regel wird, darf auf die Anordnung einer Landesverweisung nicht leichthin verzichtet werden. Es ist deshalb nur bei überwiegenden privaten Interessen zwingend von der Landesverweisung abzusehen (vgl. hierzu Fanny de Weck in: Spescha/Thür/Zünd/Bolzli/Hruschka [Hrsg.], Kommentar zum Migrationsrecht, 4. Auflage 2015, Art. 66a StGB N 23). Auch das Bundesgericht hat in den bisherigen, seit der Einführung der Landesverweisung ergangenen Fällen immer wieder festgehalten, dass die Härtefallklausel nach der klaren Intention des Gesetzgebers restriktiv («in modo restrittivo») anzuwenden ist. Ein Härtefall lässt sich erst bei einem Eingriff von einer gewissen Tragweite («di una certa portata») in den Anspruch des Ausländers auf das in Art. 13 BV (bzw. Art. 8 EMRK) gewährleistete Privat- und Familienleben annehmen (Urteil 6B_371/2018 vom 21.8.2018 E. 2.5; zur Härtefallklausel ausführlich BGE 144 IV 332 E. 3.3 ff. S. 339 ff.). Weiter hat das Bundesgericht mehrfach darauf hingewiesen, dass die bisherige Ausschaffungspraxis nach dem AuG durch die Einführung der Landesverweisungsnorm klar verschärft worden ist (Urteil 6B_235/2018 E 4.3).

 

5. Die Prüfung der öffentlichen Interessen erschöpft sich nicht in einer isolierten Betrachtung des Anlassdeliktes. Einzubeziehen sind insbesondere die Vorstrafen des Beschuldigten, wobei das Gericht auch die vor dem Inkrafttreten von Art. 66a StGB begangenen Straftaten berücksichtigen darf (Urteil des Bundesgerichts 6B_651/2018 vom 17.10.2018 E. 8.3.3). Eine andere Frage ist, ob auch aus dem Strafregister entfernte Vorstrafen vor dem Hintergrund von Art. 369 Abs. 7 StGB bei der Prüfung des öffentlichen Interesses berücksichtigt werden dürfen. Das Bundesgericht hat die Tragweite von Art. 369 Abs. 7 StGB im Bereich des Migrationsrechts stark relativiert. Zwar stellte es zu Recht fest, dass das Verwertungsverbot grundsätzlich nicht nur für Strafverfolgungsbehörden, sondern für alle Behörden, die Daten aus VOSTRA beziehen würden, also auch für das Bundesamt für Migration und für kantonale Fremdenpolizeibehörden gelten würde, kam dann aber zum Schluss, dass der Gesetzgeber – soweit dies aus den Materialien ersichtlich sei – nur strafrechtlich überlegt und strafrechtliche Zusammenhänge angesprochen habe. Im Bereich des Ausländerrechts könne Art. 369 Abs. 7 StGB daher nur zur Folge haben, dass gestützt auf eine entfernte Straftat allein eine ausländerrechtliche Bewilligung nicht verweigert, widerrufen nicht verlängert werden könne. Es müsse eine genügend gewichtige aktuelle Straftat vorliegen, um eine entsprechende fremdenpolizeiliche Massnahme rechtfertigen zu können. Für die im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung vorzunehmende ausländerrechtliche Interessenabwägung sei das Verwertungsverbot jedoch insofern zu relativieren, als es den Migrationsbehörden nicht verwehrt sei, strafrechtlich relevante Daten, die sich in den Akten befänden ihnen anderweitig bekannt seien, namentlich solche, die Anlass zu einer fremdenpolizeilichen Verwarnung gegeben hätten, nach deren Entfernung im Strafregister in die Beurteilung des Verhaltens des Ausländers während seiner gesamten Anwesenheit in der Schweiz einzubeziehen. Weit zurückliegenden Straftaten könne i.d.R. keine grosse Bedeutung mehr zukommen, insbesondere wenn es sich um relativ geringfügige Verfehlungen handle (vgl. Urteile des Bundesgerichts 2C_477/2008 vom 24. Februar 2009 E. 3.2; 2C_148/2009 vom 6. November 2009 E. 2.3; 2C_43/2009 vom 4. Dezember 2009 E. 3.3.1; 2C_748/2009 vom 25. Mai 2010 E. 3.4; 2C_389/2011 vom 22. Dezember 2011 E. 3.3; 2C_522/2011 vom 27. Dezember 2011 E. 3.3.4; 2C_711/2011 vom 27. März 2012 E. 5.2; 2C_332/2009 vom 16. November 2009 E. 3.3).

 

In einem neueren, die Landesverweisung betreffenden Entscheid (6B_1044/2019 vom 17. Februar 2020) bestätigte das Bundesgericht seine bisherige Praxis. Es hielt fest, die Landesverweisung sei zwar eine eigenständige strafrechtliche Massnahme, es seien dabei aber auch ausländerrechtliche Kriterien, insb. die gängigen Integrationskriterien, heranzuziehen. In die Interessenabwägung seien strafrechtliche Elemente und frühere Urteile einzubeziehen. Als Anlasstaten kämen zwar angesichts des Rückwirkungsverbots nur nach Inkrafttreten der Art. 66a ff. StGB am 1. Oktober 2016 begangene Katalogtaten in Betracht. Zur Beurteilung der Integration im weiteren Sinne sei dagegen das Sozialverhalten insgesamt zu berücksichtigen und damit auch eine frühere Delinquenz. Ausländerrechtlich gelte die grundsätzlich gleiche Rechtslage: Gelöschte Straftaten würden zwar keinen Widerruf begründen, seien aber in der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Nicht zu übersehen sei, dass die strafrechtliche Landesverweisung nach dem Willen des Gesetzgebers zu einer klaren Verschärfung der ausländerrechtlichen Praxis führe (E. 2.6 mit weiteren Hinweisen). Auch wenn das Bundesgericht mit diesen Ausführungen nicht explizit sagt, aus dem Strafregister entfernte Urteile dürften bei der Landesverweisung nach Art. 66a ff. StGB berücksichtigt werden, so ist dies die logische Folge. Seit dem 1. Oktober 2016 hat alleine der Strafrichter über die migrationsrechtlichen Folgen strafbarer Handlungen zu befinden. Sieht der Strafrichter von einer Landesverweisung ab, so ist es i.a.R. auch den Migrationsbehörden verwehrt, migrationsrechtliche Fernhaltemassnahmen zu verfügen. Mit anderen Worten ist der Strafrichter in Fällen der Landesverweisung Migrationsrichter. Es entspräche nicht dem Willen des Gesetzgebers, wenn der Strafrichter, der Migrationsrecht anwendet, gelöschte Vorstrafe nicht berücksichtigen dürfte, die (freilich in Fällen der Landesverweisung nicht mehr zuständigen) Migrationsbehörden indessen schon. Dies würde im Endeffekt zu einer unter Berücksichtigung des klaren Willens des Gesetzgebers nicht hinnehmbaren Milderung der migrationsrechtlichen Folgen strafbaren Verhaltens führen. Demnach sind in Fragen der Landesverweisung auch aus dem Strafregister entfernte Vorstrafen bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, soweit diese aus den Akten, insbesondere den beigezogenen Migrationsakten, ersichtlich sind. Je weiter die begangene Straftat zurück liegt, desto weniger Gewicht ist ihr im Rahmen der migrationsrechtlichen Interessenabwägung beizumessen.

 

6. Art. 8 EMRK verschafft praxisgemäss keinen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt auf einen Aufenthaltstitel. Er hindert Konventionsstaaten nicht daran, die Anwesenheit auf ihrem Staatsgebiet zu regeln und den Aufenthalt ausländischer Personen unter Beachtung überwiegender Interessen des Familien- und Privatlebens gegebenenfalls auch wieder zu beenden. Dennoch kann das in Art. 8 Ziff. 1 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens berührt sein, wenn einer ausländischen Person mit in der Schweiz aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen das Zusammenleben verunmöglicht wird. Art. 8 EMRK ist berührt, wenn eine staatliche Entfernungs- Fernhaltemassnahme eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz gefestigt anwesenheitsberechtigten Person beeinträchtigt, ohne dass es dieser ohne weiteres möglich bzw. zumutbar wäre, ihr Familienleben andernorts zu pflegen. Der sich hier aufhaltende Familienangehörige muss nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht verfügen, was praxisgemäss der Fall ist, wenn er das Schweizer Bürgerrecht besitzt, ihm die Niederlassungsbewilligung gewährt wurde er über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt, die ihrerseits auf einem gefestigten Rechtsanspruch beruht. Zum geschützten Familienkreis gehört in erster Linie die Kernfamilie, d.h. die Gemeinschaft der Ehegatten mit ihren minderjährigen Kindern. In den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallen aber auch andere familiäre Verhältnisse, sofern eine genügend nahe, echte und tatsächlich gelebte Beziehung besteht. Hinweise für solche Beziehungen sind das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt, eine finanzielle Abhängigkeit, speziell enge familiäre Bande, regelmässige Kontakte die Übernahme von Verantwortung für eine andere Person (BGE 144 II 1, E. 6.1). Konkubinatspaare können sich nur insoweit auf Art. 8 EMRK berufen, als besondere Umstände vorliegen. Vorausgesetzt wird eine echte und eheähnliche Gemeinschaft (6B_704/2019 vom 28. Juni 2019 E. 1.3.2; 6B_841/2019 vom 15. Oktober 2019 E. 2.5.2).

 

Im bereits erwähnten Entscheid 6B_1044/2019 vom 17. Februar 2020 hielt das Bundesgericht fest, härtefallbegründende Aspekte seien auch bei Dritten zu berücksichtigen, wenn sie sich auf den Beschuldigten auswirken, was etwa bei einem schweren persönlichen Härtefall für Frau und Kinder zutreffe. Dem Kindswohl sei bei jeder Entscheidung Rechnung zu tragen (E. 2.5.4). An derselben Stelle betonte das Bundesgericht jedoch auch den Grundsatz, dass «Kriminaltouristen» auszuweisen sind. In E. 2.5.3 führte es aus, selbst bei einer stabilen Familie habe es der Täter, der den Fortbestand seines Familienlebens in der Schweiz selbstverschuldet und mutwillig aufs Spiel gesetzt habe, hinzunehmen, wenn die Beziehung zu seiner Ehefrau künftig nur noch unter erschwerten Bedingungen gelebt werden könne.

 

7. Das SIS ist eine europaweite Fahndungsdatenbank, welche sich aus einem zentralen System (C-SIS) sowie einem nationalen System in jedem Schengen-Mitgliedstaat (N-SIS) zusammensetzt (Nicole Schneider/Diego R. Gfeller: Landesverweisung und das Schengener Informationssystem in: Sicherheit & Recht 1/2019, S. 7). Auf europäischer Ebene finden sich die relevanten Bestimmungen in der sogenannten SIS-II-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation, Abl. L 381/4 vom 28. Dezember 2006). Auf nationaler Ebene ist die Verordnung über den nationalen Teil des Schengener Informationssystems (N-SIS) und das SIRENE-Büro (N-SIS-Verordnung, SR 362.0) massgebend.

 

In das SIS ausgeschrieben werden können nur sogenannte Drittstaatenangehörige. Darunter fallen gemäss Art. 3 lit. d SIS-II Personen, die weder Bürger der EU noch Drittstaatenangehörige sind, die sich auf ein Freizügigkeitsrecht berufen können. Eine Ausschreibung in das SIS hat für den Betroffenen weitreichende materiellrechtliche Folgen. Sie bildet gemäss Schengener Grenzkodex ein Einreisehindernis für den gesamten Schengen-Raum (Nicole Schneider/Diego R. Gfeller, a.a.O., S. 9). Damit werden die Wirkungen der Landesverweisung (d.h. Einreise- und Aufenthaltsverweigerung) auf alle Schengen-Staaten ausgedehnt. Auch Drittstaatenangehörige, die Familienangehörige eines Unionbürgers sind, können im SIS ausgeschrieben werden. Die Ausschreibung hat aber in diesen Fällen nach der von Schneider/ Gfeller vertretenen Auffassung (a.a.O., S. 8) nur die begrenzte Wirkung einer Warnung an die Adresse der anderen Schengen-Mitgliedstaaten.

 

Die SIS-Ausschreibung wird eingegeben, wenn die nationale Entscheidung mit der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung die nationale Sicherheit begründet wird, die die Anwesenheit der betreffenden Person in einem Mitgliedstaat darstellt (Art. 24 Ziff. 2 SIS-II-Verordnung). Dies ist insbesondere der Fall bei einem Drittstaatenangehörigen, der in einem Mitgliedstaat wegen einer Straftat verurteilt wurde, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist (lit. a), sowie bei einem Drittstaatenangehörigen, gegen den ein begründeter Verdacht besteht, dass er schwere Straftaten begangen hat, gegen den konkrete Hinweise bestehen, dass er solche Taten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats plant (lit. b).

 

Des Weiteren hat die Ausschreibung im SIS auch einer Verhältnismässigkeitsprüfung standzuhalten. Der ausschreibende Staat hat gemäss Art. 21 SIS-II-Verordnung zu prüfen, ob Angemessenheit, Relevanz und Bedeutung des Falles eine Aufnahme im SIS rechtfertigen (Nicole Schneider/Diego R. Gfeller, a.a.O., S. 9).

 

Art. 24 Ziff. 2 lit. a SIS-II-Verordnung knüpft an eine Verurteilung wegen einer Straftat an, «welche mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist». In einem neueren Entscheid 6B_1178/2019 vom 10. März 2021 hat das Bundesgericht klargestellt, dass dieses Kriterium erfüllt ist, wenn für die begangene Straftat im Gesetz eine Freiheitsstrafe im Höchstmass von einem Jahr mehr vorgesehen ist. An die «Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung» seien keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere sei nicht erforderlich, dass von der betroffenen Person eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung ausgehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Die Annahme einer «Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung» setze damit bei verurteilten Straftätern nicht zwingend ein schweres besonders schweres Delikt voraus. Es genüge, wenn die betroffene Person wegen einer mehrerer Straftaten verurteilt worden sei, welche die öffentliche Sicherheit Ordnung gefährden und die einzeln gemeinsam betrachtet von einer gewissen Schwere seien. Ausgenommen seien somit grundsätzlich lediglich Bagatellfälle. Entscheidend sei zudem nicht das Strafmass, sondern in erster Linie Art und Häufigkeit der Straftaten, die Tatumstände sowie das übrige Verhalten der Person. Auch eine bloss bedingt ausgesprochene Strafe stehe daher einer Ausschreibung im SIS nicht entgegen.

 

Schliesslich hat das Bundesgericht in BGE 146 IV 172 klargestellt, die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS unterliege – wie auch die       Landesverweisung selber – nicht dem Anklageprinzip. Spreche das Gericht eine Landesverweisung aus, müsse es auch bei Drittstaatsangehörigen unabhängig von einem Antrag der Staatsanwaltschaft zwingend darüber befinden, ob die Landesverweisung im SIS auszuschreiben sei (E. 3.2.5). Die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS sei vollzugs- bzw. polizeirechtlicher Natur. Im Berufungsverfahren gelange das Verschlechterungsverbot auf die Ausschreibung der Landesverweisung zumindest dann nicht zur Anwendung, wenn die Frage im erstinstanzlichen Verfahren unbehandelt geblieben sei (E. 3.3).

 

B.    Konkrete Prüfung

 

1. Der Beschuldigte ist eritreischer Staatsbürger und beging mit der versuchten schweren Körperverletzung und dem Angriff Anlasstaten gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB. Er ist damit grundsätzlich des Landes zu verweisen. In einem ersten Schritt ist somit zu prüfen, ob beim Beschuldigten ein persönlicher schwerer Härtefall vorliegt.

 

1.1 Der Beschuldigte kam 2006 als Asylsuchender in die Schweiz. Er war damals 26-jährig; die prägenden Kindheits- und Jugendjahre seines Lebens verbrachte er somit nicht in der Schweiz, sondern in Eritrea bzw. dem Sudan, wo er zeitweise lebte. Im heutigen Zeitpunkt lebt er nun aber bereits 16 Jahre in der Schweiz, was einen langen Zeitraum darstellt, und ist Inhaber einer Aufenthaltsbewilligung B für den Kanton Aargau.

 

1.2 Der Beschuldigte ist Vater einer Tochter, die […] 2016 geboren wurde. […] 2020 hat er das Kind anerkannt. Er lebt nicht mit der Mutter, die ebenfalls Eritreerin ist, und dem Kind zusammen. Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung führte der Beschuldigte aus, dass 2019 mittels DNA bewiesen worden sei, dass er der Vater des Kindes sei. Dies deutet darauf hin, dass das Kindsverhältnis strittig war und er in einer entsprechenden Auseinandersetzung mit der Kindsmutter stand. Der Beschuldigte sagte aber an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung auch aus, er habe «sehr» Kontakt mit seiner Tochter und sei immer bei ihr, wenn er frei habe. Vor dem Obergericht führte der Beschuldigte aus, seine Tochter jeweils am Sonntag und auch unter der Woche mehrmals zu besuchen. Er habe auch ein gutes Verhältnis zur Kindsmutter, sie seien befreundet. Angesprochen auf die gerichtliche Anerkennung seiner Tochter, konnte wollte der Beschuldigte nicht genau erklären, weshalb diese nötig und derart langwierig war, sondern begnügte sich mit der Erklärung, er wisse auch nicht, weshalb das Gerichtsverfahren so lange gedauert habe, er habe von Anfang an gesagt, dass es sein Kind sei. Der Unterhaltsbeitrag von CHF 720.00 wird direkt von seinem Lohn in Abzug gebracht. Auch hierzu lieferte der Beschuldigte keine Erklärung, weshalb eine gerichtliche Anordnung von Unterhalt nötig war und er nicht aus eigenem Antrieb bezahlt hat. Letztlich leistet der Beschuldigte jedoch regelmässigen Unterhalt und besucht seine Tochter jede Woche mehrfach. Sie ist für ihn der wichtigste Mensch in der Schweiz.

 

1.3 In der Schweiz lebt weiter ein Bruder des Beschuldigten. Zu ihm pflegt der Beschuldigte regelmässigen Kontakt, sie sehen sich nach eigenen Angaben einmal im Monat. Andere enge Beziehungen bestehen in der Schweiz nicht. In Eritrea leben seine Mutter und eine Schwester. Weitere Geschwister leben in […] und […]. Zur Mutter pflegt der Beschuldigte regelmässigen Kontakt und er besuchte sie in den letzten zwei Jahren drei Mal. Er reiste im April 2021 und im März 2022 in den Sudan, um seine Mutter zu sehen und ihr bei einer Operation beizustehen, und im November 2021 besuchte er sie in Äthiopien (ASB 103). Der Vater des Beschuldigten ist verstorben.

 

1.4 Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung führte der Beschuldigte aus, er arbeite seit Mai 2019 [in einem Warenverteilzentrum]. Er verdiene netto CHF 4'000.00 pro Monat. Betreibungen habe er keine (O-G 36). An der Verhandlung vor dem Obergericht führte er aus, er arbeite nun [in einem anderen Warenverteilzentrum]. Er verdiene brutto rund CHF 4'865.00, ab Januar seien es dann CHF 5'000.00 (ASB 98). Auch zuvor war der Beschuldigte bereits seit 2014 temporär arbeitstätig.

 

1.5 Der Beschuldigte trank am Abend des 29. Januar 2017 erhebliche Mengen Whisky und Bier. Wie er anlässlich der Berufungsverhandlung ausführte, trinkt er aktuell am Wochenende immer noch Alkohol. Im November 2022 wurde der Beschuldigte mit Alkohol am Steuer von der Polizei angehalten. Er hatte eine Atemalkoholkonzentration von 0,65mg/l (entspricht ca. 1,3 ‰). Er erklärte, er habe sich überlegt, mit dem Trinken aufzuhören, aber am Wochenende treffe man sich mit Kollegen und dann trinke man. Marihuana gab der Beschuldigte an, nicht mehr zu konsumieren.

 

1.6 Der Beschuldigte ist mehrfach vorbestraft. Im Schweizerischen Strafregisterauszug ist der Beschuldigte aktuell mit zwei Vorstrafen verzeichnet: Mit Urteil der Oberstaatsanwaltschaft Aarau vom 29. November 2012 wurde er wegen mehrfacher Hehlerei und Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je CHF 30.00 verurteilt und am 14. Mai 2013 von der regionalen Staatsanwaltschaft Emmental-Oberaargau wegen Tätlichkeiten und Beschimpfung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 30.00 (ASB 32 f.). Aus den Migrationsakten ist zudem ersichtlich, dass der Beschuldigte seit seiner Einreise in die Schweiz wie folgt verurteilt wurde: Mit Strafbefehl des Bezirksamts Kulm vom 5. Juni 2008 wegen Widerhandlung gegen das Transportgesetz zu einer Busse von CHF 60.00 (ASM 38); mit Strafbefehl des Bezirksamts Rheinfelden vom 22. September 2008 wegen Raufhandels zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je CHF 30.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren, und einer Busse von CHF 300.00 (ASM 40 f.); mit Strafbefehl des Bezirksstatthalteramts Sissach vom 7. Oktober 2009 wegen Fälschung von Ausweisen und mehrfacher Widerhandlung gegen das Transportgesetz zu einer bedingten Geldstrafe von 13 Tagessätzen zu je CHF 10.00, bei einer Probezeit von zwei Jahren, und einer Busse von CHF 250.00 (ASM 57); mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 10. Januar 2012 wegen Übertretung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel zu einer Busse von CHF 100.00 (ASM 90); mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 5. September 2016 wegen Widerhandlung gegen das Personenbeförderungsgesetz zu einer Busse von CHF 80.00 (ASM 318); mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 7. Juni 2017 wegen Widerhandlung gegen das Personenbeförderungsgesetz zu einer Busse von CHF 120.00 (ASM 337); mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 22. Februar 2018 wegen Widerhandlung gegen das Personenbeförderungsgesetz zu einer Busse von CHF 120.00 (ASM 346); mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 29. August 2019 wegen Nichttragens der Sicherheitsgurte zu einer Busse von CHF 60.00 (ASM 382); mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Luzern vom 19. August 2019 wegen Überschreitens der signalisierten Höchstgeschwindigkeit innerorts zu einer Busse von CHF 250.00 (ASM 384); mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 19. August 2021 wegen Widerhandlung gegen ein gerichtliches Verbot zu einer Busse von CHF 80.00 (ASM 410); mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 21. April 2022 wegen Nichtausführenlassens der Abgaswartung zu einer Busse von CHF 230.00 (ASM 426). Im Weiteren wurde der Beschuldigte von der Kantonspolizei Aargau wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz angezeigt, weil er am 19. November 2022 anlässlich einer Verkehrskontrolle mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,65 mg/l angehalten wurde. Der Sachverhalt ist eingestanden.

 

1.7 Der Beschuldigte spricht angesichts der langen Aufenthaltsdauer von 16 Jahren nur sehr mittelmässig deutsch. Er kann sich in Alltagssituationen zwar verständigen, anspruchsvollere Gespräche kann er dagegen nicht führen. Er verkehrt denn auch überwiegend mit Landsleuten.

 

1.8 Dem Asylentscheid vom 27. Januar 2009 kann lediglich entnommen werden, dass der Beschuldigte die Flüchtlingseigenschaft erfülle und ihm Asyl gewährt werde (ASM 44). Der Beschuldigte führte anlässlich der Verhandlung vor Obergericht aus, dass er vor seiner Flucht aus Eritrea rund sieben Jahre in der Armee gedient habe. Wenn er zurückkehren würde, drohe im ein Verfahren wegen illegaler Ausreise. Es sei sein Todesurteil, wenn er zurück müsste. Er habe kein Land, er sei heimatlos. Er sei geflüchtet, weil es in Eritrea für junge Männer keine Zukunft und Perspektive gebe. Ausserdem sei sein Vater vom Regime ermordet worden. Er selbst sei nicht direkt verfolgt mit Repressionen bedroht worden. Seine Mutter sei verhaftet worden, als er das Land verlassen habe. Seither habe er nichts mehr erfahren, ob er gesucht werde gegen seine Mutter vorgegangen worden wäre (ASB 103). Gerichtsnotorisch ist, dass eine Reintegration in Eritrea sehr schwierig sein dürfte. Das Land weist eine grosse Armut und hohe Arbeitslosigkeit auf, so dass es sehr schwierig ist, sich dort eine wirtschaftliche Grundlage für ein materiell gesichertes Leben schaffen zu können.

 

1.9 Der Beschuldigte ist anerkannter Flüchtling. Es ist zu prüfen, ob und inwiefern sein Flüchtlingsstatus für die Beurteilung eines Härtefalls massgebend ist. Das Migrationsamt des Kantons Aargau teilte im Rahmen der Übermittlung der Migrationsakten mit, dass, wenn der Beschuldigte sich effektiv aus dem Militärdienst entfernt habe, eine konkrete Gefährdung bei seiner Rückkehr auch heute noch gegeben sein dürfte (ASB 63).

 

Das Bundesgericht äusserte sich in diversen Entscheiden zur Landesverweisung von Flüchtlingen:

 

In seinem Entscheid 6B_747/2019 vom 24. Juni 2020 hielt das Bundesgericht unter E. 2.2.3 das Folgende fest: «Im Allgemeinen ist die Prüfung einer Ausnahme von der obligatorischen Landesverweisung nach Art. 66a Abs. 2 StGB zweigeteilt: Die Feststellung eines persönlichen Härtefalls geht der Interessenabwägung voraus (vgl. BGE 144 IV 332 E. 3.3 S. 339). Bei anerkannten Flüchtlingen wird der Härtefall gleichsam vorausgesetzt. Wie gegenüber Angehörigen eines EU- EFTA-Staates die Landesverweisung nur angeordnet werden darf, wenn dies nach Massgabe von Art. 5 Abs. 1 Anhang I des Freizügigkeitsabkommens (FZA; SR 0.142.112.681) verhältnismässig ist (BGE 145 IV 364 E. 3.5 und 3.9), ist die Landesverweisung von Flüchtlingen nur unter den Voraussetzungen gemäss Flüchtlingskonvention zulässig (vgl. Art. 12 ff. FK; BGE 139 II 65 E. 4.1 S. 68; Urteil 2C_108/2018 vom 28. September 2018 E. 3.2). Nach Art. 32 FK darf ein Flüchtling, der sich rechtmässig in der Schweiz aufhält, nur aus Gründen der Staatssicherheit der öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden. Insofern wird die Möglichkeit der Ausweisung flüchtlings- resp. asylrechtlich beschränkt (BGE 135 II 110 E. 2.2.1 S. 113). Nach der ausländerrechtlichen Praxis setzt die Aus- Wegweisung eines anerkannten Flüchtlings – unabhängig davon, ob er über eine Aufenthalts- über eine Niederlassungsbewilligung verfügt (vgl. Art. 60 AsylG) – zumindest eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraus (Art. 65 AsylG in Verbindung mit Art. 64, Art. 63 Abs. 1 lit. b und Art. 68 AIG; Urteile 2C_108/2018 vom 28. September 2018 E. 3.2 und 2C_14/2017 vom 18. Dezember 2017 E. 2.2). Diese Voraussetzung ist im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 66a Abs. 2 StGB umzusetzen. Es handelt sich um eine Mindestanforderung an das dort zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Landesverweisung. Im Anwendungsbereich der Flüchtlingskonvention kann es sich nur in der umschriebenen Form gegen private Interessen des anerkannten Flüchtlings am Verbleib in der Schweiz durchsetzen.»

 

An dieser Rechtsprechung, wonach bei anerkannten Flüchtlingen der Härtefall gleichsam vorausgesetzt werde, hielt das Bundesgericht jedoch nicht fest. Im Entscheid 6B_348/2020 vom 14. August 2020 hielt es in E. 1.3.1 betreffend einen Eritreischen Staatsangehörigen mit Flüchtlingsstatus fest, die Vorinstanz begründe nachvollziehbar, weshalb sie einen Härtefall verneine.

 

Im Urteil 6B_368/2020 vom 24. November 2021 hielt das Bundesgericht in E. 3.4.1 sodann fest: «Zwar steht die Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen der Anordnung einer Landesverweisung nicht per se entgegen. Das Gericht hat jedoch, um dem Untersuchungsgrundsatz, dem Anspruch auf rechtliches Gehör und seiner Begründungspflicht gerecht zu werden, das Vorliegen eines persönlichen Härtefalls zu prüfen sowie die öffentlichen und privaten Interessen im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB zu bestimmen und einander gegenüberzustellen. Dabei stellt die Situation des Ausländers in seiner Heimat einen massgebenden Gesichtspunkt dar.» In E. 3.4.2 hielt es fest, die Vorinstanz habe «die Härtefallprüfung sowie allenfalls eine Interessenabwägung neu vorzunehmen» und dabei zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte anerkannter Flüchtling mit Asylstatus sei. Damit stellt das Bundesgericht klar, dass die Flüchtlingseigenschaft und sich daraus ableitende Rechte sowohl bei der Frage, ob ein Härtefall vorliegt, wie auch bei der anschliessenden Interessenabwägung als ein (wenn auch wesentliches) Kriterium unter anderen zu prüfen ist.

 

In E. 3.4.2 desselben Entscheides führt das Bundesgericht weiter aus: «Bei anerkannten Flüchtlingen ist die Landesverweisung nur unter den Voraussetzungen des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FIüchtlingskonvention [FK; SR 0.142.30]) zulässig. Nach Art. 32 Ziff. 1 FK darf ein Flüchtling, der sich rechtmässig in der Schweiz aufhält, nur aus Gründen der Staatssicherheit der öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden. Nach der ausländerrechtlichen Praxis setzt die Aus- Wegweisung eines Flüchtlings eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraus (vgl. Art. 5 Abs. 2 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31] und Art. 33 Ziff. 2 FK). Diese Voraussetzung ist im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 66a Abs. 2 StGB umzusetzen. Es handelt sich um eine Mindestanforderung an das dort zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Landesverweisung. Dieses kann sich nur in der umschriebenen Form gegen private Interessen des anerkannten Flüchtlings am Verbleib in der Schweiz durchsetzen (vgl. Urteil 6B_747/2019 vom 24. Juni 2020 E. 2.2 mit Hinweisen). Zudem dürfen Flüchtlinge nicht in einen Staat ausgeschafft werden, in dem sie verfolgt werden in dem ihnen Folter eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung Bestrafung droht (Non-Refoulement-Gebot; Art. 25 Abs. 2 und 3 BV, vgl. auch Art. 33 Ziff. 1 FK). Eritrea gilt grundsätzlich nicht als verfolgungssicherer Heimat- Herkunftsstaat (vgl. Anhang 2 zur Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen [AsylV 1; SR 142.311]). Zwar handelt es sich hierbei um eine generell-abstrakte Normierung, die einer Landesverweisung nach Eritrea nicht zwingend entgegensteht. Der Beschwerdeführer muss, wie bereits dargetan, sich individuell-konkret auf eine persönliche Gefährdungssituation berufen (Urteile 6B_555/2020 vom 12. August 2021 E. 1.4; 6B_1102/2020 vom 20. Mai 2021 E. 3.4.4). Dies kann er aber erst, wenn die Vorinstanz die nötigen Sachverhaltsabklärungen trifft.»

 

Bezogen auf Eritrea weist das Bundesgericht in seinem Urteil 6B_1038/2021 vom 9. Mai 2022 in E.3.2 auf das Urteil des EGMR vom 20. Juni 2017 (M.O. gegen CH) hin, wonach Deserteure des eritreischen Nationaldienstes Regimegegner bei einer Rückkehr ins Land je nach den Umständen Strafen riskieren, die mit einer Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen Folter einhergehen. In diesem Entscheid wurde indes ebenso festgestellt, dass eritreische Staatsangehörige neuerdings die Möglichkeit hätten, ihre Situation gegenüber dem Regime zu regularisieren, indem sie eine Diaspora-Steuer von 2 % zahlen ein Bedauernsschreiben unterzeichnen könnten, dass sie die Regierung beleidigt hätten, indem sie den Militärdienst nicht geleistet haben. Im Wesentlichen hielt der EGMR fest, dass die allgemeine Menschenrechtssituation in Eritrea besorgniserregend sei, aber als solche kein Hindernis für eine Abschiebung darstelle. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner neueren Rechtsprechung festgehalten, dass sich die Lebensbedingungen in Eritrea verbessert hätten. Der Vollzug der Wegweisung sei nur dann nicht mehr zumutbar, wenn besondere persönliche Umstände vorlägen, die die Überlebensfähigkeit der weggewiesenen Person gefährdeten, was in jedem Einzelfall zu prüfen sei (vgl. auch 6B_1449/2021 vom 21. September 2022, E. 3.4.2).

 

In Erwägung 3.3 des soeben erwähnten Entscheides 6B_1038/2021 hält das Bundesgericht sodann bezüglich den konkreten Beschwerdeführer fest, dieser habe Eritrea nicht irregulär verlassen und sei dort keinen besonderen Risiken ausgesetzt, wie sie bspw. für Deserteure des Nationaldienstes Regimegegner bestünden.

 

Im Urteil 6B_1449/2021 vom 21. September 2022 hielt das Bundesgericht in E.3.4.2 Folgendes fest: «Hinsichtlich der Rückführung eines Asylbewerbers nach Eritrea legte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gestützt auf Berichte der UNO, des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European asylum support office, EASO; heute: European Union Agency for Asylum, EUAA) und nationaler Behörden (wie dem Staatssekretariat für Migration) dar, dass Militärdienstverweigerer und Oppositionelle des Regimes bei einer Rückkehr ins Heimatland unter Umständen Sanktionen riskierten, die von einer Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen Folter begleitet sein könnten (Urteil des EGMR M.O. gegen die Schweiz vom 20. Juni 2017, Nr. 41282/16, § 40, 47 und 48). […] Das Bundesverwaltungsgericht hat sodann in seiner Rechtsprechung zum Ausländerrecht festgehalten, dass sich die Lebensumstände in Eritrea verbessert hätten, auch wenn die wirtschaftliche Situation schwierig bleibe. Deshalb falle der Vollzug einer Wegweisung lediglich dann ausser Betracht, wenn aussergewöhnliche persönliche Umstände vorliegen würden, die das Überleben der betroffenen Person gefährden würden (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-6449/2017 vom 18. April 2019 E. 7.4; Urteil 6B_1038/2021 vom 9. Mai 2022 E. 3.2).«

 

Im Entscheid 6B_921/2022 vom 11. Oktober 2022, E. 4.1, betonte das Bundesgericht in Bestätigung seiner früheren Rechtsprechung, Vollzugshindernisse, wie sie sich unter anderem aus der Flüchtlingseigenschaft ergäben, spielten schon bei der strafgerichtlichen Anordnung der Landesverweisung nach Art. 66a Abs. 2 StGB, das heisst bei der dort vorgesehenen Interessenabwägung, eine Rolle (BGE 144 IV 332 E. 3.3; Urteile 6B_555/2020 vom 12. August 2021 E. 1.3.4; 6B_747/2019 vom 24. Juni 2020 E. 2.1.2). Das Sachgericht prüfe die rechtliche Durchführbarkeit der Landesverweisung, soweit sie definitiv bestimmbar sei. Im Übrigen seien die Vollzugsbehörden zur Prüfung allfälliger Vollzugshindernisse, welche im Zeitpunkt des Sachurteils noch nicht feststünden, zuständig (vgl. Urteile 6B_747/2019 vom 24. Juni 2020 E. 2.1.2; 6B_1024/2019 vom 29. Januar 2020 E. 1.3.5; betreffend Gesundheitszustand auch BGE 145 IV 455 E. 9.4).

 

In E. 4.5 desselben Entscheides führt das Bundesgericht weiter aus: «Es rechtfertigt sich nicht, wegen der Flüchtlingseigenschaft auf die Anordnung der Landesverweisung zu verzichten. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts verlangt nicht, dass aufgrund der Flüchtlingseigenschaft eines Ausländers zwingend auf die Anordnung einer Landesverweisung zu verzichten wäre (Urteile 6B_507/2020 vom 17. August 2020 E. 3.2; 6B_348/2020 vom 14. August 2020 E. 1.3.2; 6B_423/2019 vom 17. März 2020 E. 2.2.2). Beim Beschwerdeführer sind ohnehin keine Hinweise auf ein herausragendes exilpolitisches Profil erkennbar, das auf eine Verfolgung in Eritrea schliessen liesse. Er macht auch nicht geltend, bei einer Rückweisung nach Eritrea konkret an Leib und Leben gefährdet zu sein. Dass die allgemeine soziale und wirtschaftliche Lebenssituation für die Mehrheit der Bevölkerung in einem Land schlechter ist als in der Schweiz, ist für sich allein kein Non-Refoulement-Grund (Urteil 6B_555/2020 vom 12. August 2021 E. 1.4).»

 

Die Rechtsprechung, wonach Vollzugshindernisse bereits bei der Anordnung der Landesverweisung zu berücksichtigen sind, wurde im Entscheid 6B_423/2019 vom 17. März 2020 ausführlich begründet. In E. 2.2.2 hielt das Bundesgericht dort aber auch fest: «Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, ist dabei zu beachten, dass sich die politische Situation im Zielland innerhalb des für die Landesverweisung relevanten Zeitraums von 5 - 15 Jahren massgeblich ändern kann, ebenso während der Dauer einer vorab zu vollziehenden Freiheitsstrafe freiheitsentziehenden Massnahme. Darauf hat das Bundesgericht auch im zur Publikation vorgesehenen Urteil 6B_2/2019 vom 27. September 2019 hingewiesen. Würde eine Landesverweisung bei anerkannten Flüchtlingen aufgrund der zum Entscheidzeitpunkt massgebenden Situation per se als unzulässig betrachtet, hätte dies ferner zur Konsequenz, dass ein Vollzug selbst bei nachträglichem Wegfall des Rückschiebungsverbots nicht mehr möglich wäre. Es erscheint indes stossend, dass ein Ausländer, der nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich zwingend des Landes hätte verwiesen werden müssen, bleiben dürfte, obwohl zum Zeitpunkt des möglichen Vollzugs kein Hinderungsgrund mehr besteht. Ferner wäre die Anordnung von Landesverweisungen bei anerkannten Flüchtlingen praktisch nicht mehr möglich.»

 

Weiter hielt es in derselben E. 2.2.2 fest, es sei zutreffend, «dass primär die für den Vollzug der Landesverweisung zuständigen Behörden über das diesbezüglich notwendige Fachwissen und die nötige Erfahrung verfügen, um die entsprechenden Anordnungen zu treffen. Im Übrigen ist der völkerrechtlichen Verpflichtung des Non-Refoulement-Gebots sowie auch den Interessen des Betroffenen genüge getan, wenn diesen auf der Ebene des Vollzugs Rechnung getragen wird, solange dies notwendig ist. Für diese Sichtweise spricht nicht zuletzt die gesetzliche Systematik, die die Flüchtlingseigenschaft lediglich als Vollzugshindernis resp. als Aufschubsgrund nennt».

 

1.10 Der Beschuldigte ist anerkannter Flüchtling. Seine Flüchtlingseigenschaft kann durch das Berufungsgericht gemäss konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht in Frage gestellt werden. Der Beschuldigte ist nach eigenen Aussagen nach rund 7-jährigem Militärdienst aus Eritrea geflohen. Gründe seien die Tötung seines Vaters durch die Behörden sowie die nicht vorhandenen Perspektiven gewesen. Dass er je selbst als «Regimegegner» verfolgt worden wäre, verneint er jedoch. Das Vorbringen des Beschuldigten, aus dem Militärdienst «geflohen» zu sein, erscheint angesichts seiner immer gleichlautenden Aussagen, seines Alters von 26 Jahren im Zeitpunkt der «Flucht» sowie der allgemein bekannten Situation in Eritrea glaubhaft. Allerdings kann der Beschuldigte keine konkreten Nachteile benennen, welche ihm bei einer Rückkehr nach Eritrea drohen. Er sprach diesbezüglich zwar von einem «Todesurteil», konnte dies auf konkrete Nachfrage aber nicht konkretisieren. Er nehme lediglich an, im Falle einer Rückkehr als Deserteur verurteilt zu werden. Konkret sei ihm aber nichts bekannt, dass die Behörden nach ihm suchen würden. Seine Mutter sei einmal kurz festgenommen worden, sie sei jedoch wieder freigelassen worden. Inzwischen könne seine Mutter jedoch das Land ungehindert verlassen, was sie aus medizinischen Gründen auch bereits mehrfach getan habe. Er habe sie in jüngster Vergangenheit in Sudan und Äthiopien besucht. Sie wohne jedoch immer noch in Eritrea.

 

Das «Refoulement-Verbot» wird in Art. 33 der Flüchtlingskonvention, in Art. 3 EMRK sowie in Art. 5 des Asylgesetzes jeweils praktisch gleichlautend formuliert. Verboten ist demnach die Abschiebung einer Person in ein Land, wo ihr Leben ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht ist. Alle diese Bestimmungen sehen jedoch vor, dass sich nicht darauf berufen kann, wer eine schwerwiegende Gefährdung der Sicherheit für das Aufenthaltsland darstellt. Dieser Grundsatz wird sodann in Art. 66d Abs. 1 lit. a StGB aufgenommen, in welchem ein entsprechendes Vollzugshindernis (mit der erwähnten Ausnahme) formuliert wird.

 

Das Vorliegen eines Härtefalles ist unter Berücksichtigung sämtlicher gängiger Kriterien zu prüfen, wobei der Flüchtlingseigenschaft des Beschuldigten und den ihm in seinem Heimatland drohenden Gefahren Rechnung zu tragen ist.

 

Der Beschuldigte ist beruflich in der Schweiz gut integriert, die soziale Integration lässt aber zu wünschen übrig. Seit seiner Einreise in die Schweiz verkehrt er hauptsächlich mit Landsleuten, was auch regelmässig zu Auseinandersetzungen und entsprechenden Problemen bis hin zu Strafverfahren führt. Aktenkundig sind zahlreiche Verurteilungen, u.a. auch wegen Raufhandel. Der Beschuldigte spricht nach 16-jährigem Aufenthalt in der Schweiz nur leidlich deutsch und brauchte für die Gerichtsverhandlung einen Dolmetscher. Seine engste Bezugsperson in der Schweiz ist seine Tochter, welche bei ihrer Mutter wohnt, mit welcher der Beschuldigte nicht zusammen ist. Der Beschuldigte macht geltend, diese regelmässig zu besuchen, lebt aber nicht mit ihr zusammen. Er kann aber nicht schlüssig erklären, weshalb die Anerkennung der […] 2016 geborenen Tochter erst […] 2020 erfolgte und weshalb er erst seit März 2021 Unterhalt für seine Tochter bezahlt. Dies deutet darauf hin, dass nicht von einer beständigen intensiven Beziehung auszugehen ist. Eine enge Beziehung, welche unter den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallen würde, liegt nicht vor. Insgesamt scheint der Beschuldigte nur mangelhaft integriert. Dafür sprechen auch seine regelmässigen Gesetzesverstösse, insbesondere auch die kürzlich erfolgte und vom Beschuldigten zugestandene Fahrt in angetrunkenem Zustand. Der Beschuldigte scheint nach wie vor ein Alkoholproblem zu haben, zeigt jedoch keine Bereitschaft, dieses aktiv anzugehen und zu lösen. Genau dieses Problem führte jedoch auch massgeblich zu der vorliegend zu beurteilenden Tat. Der Beschuldigte ist ansonsten gesund. In Eritrea leben seine Mutter und eine Schwester. In der Schweiz lebt nebst der Tochter noch ein Bruder des Beschuldigten, zu dem jedoch keine so nahe Beziehung besteht, dass diese bei der Beurteilung des Härtefalls eine Rolle spielen könnte. Die Integrationsaussichten in seinem Heimatland erscheinen vor diesem Hintergrund nicht schlechter als in der Schweiz.

 

Jedoch führen die bereits erwähnten Probleme, welche dem Beschuldigten in seinem Heimatland aufgrund seiner Desertation drohen könnten, trotzdem zur Bejahung eines schweren persönlichen Härtefalles. Wie bereits dargelegt, hat sich die Situation in Eritrea in letzter Zeit offenbar leicht verbessert. Militärdienstverweigerer und Oppositionelle des Regimes könnten ihren Status neuerdings regularisieren. Beim Beschuldigten handelt es sich jedoch nicht um einen Militärdienstverweigerer, wie bei nahezu allen männlichen eritreischen Flüchtlingen. Diese verlassen das Land meist bereits vor dem Antritt des nicht befristeten obligatorischen Militärdienstes. Der Beschuldigte dagegen diente mehrere Jahre in der Armee und desertierte aus dem aktiven bewaffneten Dienst. Seine Situation ist daher nicht ohne Weiteres mit derjenigen von zahlreichen anderen eritreischen Flüchtlingen vergleichbar. Auch wenn ein «herausragendes exilpolitisches Profil» nach aktuellem Wissensstand eher nicht zu bejahen ist, kann es aufgrund des Deserteurenstatus des Beschuldigten nicht ausgeschlossen werden, dass er bei einer Rückkehr nach Eritrea verhaftet werden könnte. Auch wenn sich die Situation insofern gebessert haben sollte, als gewisse Regularisierungsmöglichkeiten gegenüber dem Regime bestehen, kann nach wie vor nicht von einer stabilen Situation ausgegangen werden. Der schwere persönliche Härtefall nach Art. 66a Abs. 2 StGB ist daher zu bejahen. Weiter ist nun zu prüfen, ob die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz überwiegen.

 

2. Für ein öffentliches Interesse spricht die Straftat gegen die körperliche Integrität. Dass es sich bei der schweren Körperverletzung, vorliegend als Versuch begangen, um ein bedeutsames Verbrechen handelt, zeigen der Strafrahmen und die Sanktionsart. Das Gesetz droht eine Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren an und die weniger eingriffsintensive Strafform der Geldstrafe ist nicht vorgesehen. Relativierend wirkt sich – wie bereits dargelegt – aber aus, dass dem Beschuldigten nur ein gerade noch leichtes Tatverschulden vorzuwerfen ist. Die ausgefällte Strafe von 24 Monaten Freiheitsstrafe liegt am unteren Rand des ordentlichen Strafrahmens. Die Vorstrafen erhöhen das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung nur geringfügig, weil diese längere Zeit zurückliegen und eher Bagatellcharakter aufweisen, was auch in den tiefen Strafen (Geldstrafen von 20 bzw. 40 Tagessätzen) zum Ausdruck kam. Der Beschuldigte wurde bislang noch nie zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und es musste bis anhin auch noch keine migrationsrechtliche Verwarnung ausgesprochen werden. Jedoch wurde der Beschuldigte nur rund vier Wochen vor der Berufungsverhandlung mit Alkohol am Steuer angehalten. Der dabei festgestellte Alkoholpegel war mit 1,3 ‰ denn auch weit über den erlaubten 0,5 ‰. Die in der versuchten schweren Körperverletzung zu Tage getretene Aggression stand in sehr engem Zusammenhang mit einer schweren Alkoholberauschung im Tatzeitpunkt. Der Beschuldigte zeigt jedoch keine ersthafte Bereitschaft, sein Alkoholproblem in den Griff zu bekommen. Positiv zu würdigen ist zumindest seine Abkehr vom Marihuanakonsum. Es darf im Weiteren davon ausgegangen werden, dass der unbedingt zu vollziehende Teil der Freiheitsstrafe einen nachhaltigen Eindruck auf den Beschuldigten haben wird und ihn künftig von strafbarem Handeln abzuhalten vermag. Dasselbe gilt für die auf drei Jahre festgesetzte Probezeit. Ebenfalls positiv ins Gewicht fällt die berufliche Integration des Beschuldigten, der seit einigen Jahren erwerbstätig ist und mittlerweile in einem festen Arbeitsverhältnis mit einem guten Lohn steht. Der Beschuldigte kümmert sich mittlerweile regelmässig um seine Tochter und kommt auch für ihren Unterhalt auf. Der Beschuldigte lebt somit in wirtschaftlich und persönlich stabilen Verhältnissen. Von einer künftigen schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. Ziff. 1.9 hiervor) ist bei dieser Ausgangslage nicht auszugehen. Wie bereits anlässlich der Härtefallprüfung ausgeführt, hat der Beschuldigte aufgrund der drohenden Gefahr im Heimatland ein immenses Interesse am Verbleib in der Schweiz, auch wenn momentan und auch in absehbarer Zeit keine zwangsweisen Rückführungen nach Eritrea möglich sind. Die Bejahung eines schweren persönlichen Härtefalles impliziert stets ein erhebliches privates Interesse an einem Verbleib in der Schweiz. Eine Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einer Landesverweisung mit diesen privaten Interessen führt zum Schluss, dass das private Interesse des Beschuldigten überwiegt.

 

3. Folglich ist von der Anordnung einer Landesverweisung abzusehen. Damit fällt auch die Ausschreibung im SIS dahin.

 

 

VII.      Kosten und Entschädigungen

 

1.    Kosten

 

1.1 Bei diesem Verfahrensausgang ist der Kostenentscheid der ersten Instanz zu bestätigen.

 

1.2 Vor der Berufungsinstanz erzielt der Beschuldigte mit dem Verzicht auf eine Landesverweisung einen wesentlichen Erfolg. Gleichzeitig hat er aber eine höhere Freiheitsstrafe zu vergegenwärtigen. In Anbetracht dessen rechtfertigt es sich, dem Beschuldigten die Kosten des Berufungsverfahrens zu zwei Dritteln aufzuerlegen. Der Beschuldigte hat folglich an die Kosten von total CHF 6'420.00, mit einer Gerichtsgebühr von CHF 6'000.00, einen Anteil von CHF 4'280.00 zu bezahlen. Der Rest geht zu Lasten des Staates.

 

2.    Entschädigung

 

2.1 Analog zum Kostenentscheid der Vorinstanz sind auch die Urteilssprüche betreffend Entschädigungen zu bestätigen.

 

2.2 Für das Berufungsverfahren macht die amtliche Verteidigerin des Beschuldigten einen Aufwand von17.65 Stunden geltend. Dies ist nicht zu beanstanden. Lediglich 0.5 Stunden, die für die mündliche Urteilseröffnung veranschlagt wurden, sind in Abzug zu bringen. Die Entschädigung für die amtliche Verteidigerin des Beschuldigten im Berufungsverfahren wird somit auf CHF 3'453.75 (Honorar für 17.15 Stunden à CHF 180.00, Auslagen von CHF 119.85 und 7.7% MwSt von CHF 246.90) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 2/3, ausmachend CHF 2'302.50, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die restlichen Kosten gehen definitiv zu Lasten des Staates Solothurn.

 

Demnach wird in Anwendung von Art. 122 i.V.m. 22 Abs. 1, Art. 134, Art. 19 Abs. 2, Art. 40, Art. 43, Art. 44 Abs. 1, Art. 47, Art. 49 Abs. 1, Art. 51, Art. 66a Abs. 2, Art. 69, StGB; Art. 135, Art. 205 Abs. 4, Art. 267 Abs. 3, Art. 398 ff., Art. 405 i.V.m. Art. 335 ff., Art. 428 Abs. 1 und 3 StPO erkannt:

1.    Der Beschuldigte A.___ hat sich schuldig gemacht:

-       der versuchten schweren Körperverletzung, begangen am 29. Januar 2017;

-       des Angriffs, begangen am 29. Januar 2017.

 

2.    Der Beschuldigte A.___ wird verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges für einen Teil von 15 Monaten, mit einer Probezeit von 3 Jahren.

 

3.    Die Polizeihaft vom 29. Januar 2017, total 1 Tag, ist dem Beschuldigten an den unbedingt zu vollziehenden Teil der Freiheitsstrafe anzurechnen.

 

4.    Auf die Anordnung einer Landesverweisung wird verzichtet.

 

5.    Es wird festgestellt, dass das Beschleunigungsgebot verletzt worden ist.

 

6.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 5 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Olten-Gösgen vom 27. Mai 2017 (Urteil der Vorinstanz) wird folgender beschlagnahmte Gegenstand eingezogen und ist nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils zu vernichten:

-       1 Sackmesser, Victorinox, blau

 

7.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 6 des Urteils der Vorinstanz wird der ordnungsgemäss vorgeladene Zeuge F.___, […], zufolge unentschuldigten Nichterscheinens an der Hauptverhandlung vom 27. Mai 2021 mit CHF 300.00 gebüsst.

 

8.    Die Entschädigungs- und Genugtuungsforderung des Beschuldigten wird abgewiesen.

 

9.    Gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 7 des Urteils der Vorinstanz wird die Entschädigung für die amtliche Verteidigerin des Beschuldigten A.___ im erstinstanzlichen Verfahren, Rechtsanwältin Jeannette Frech, auf CHF 6'688.90 (inkl. 7.7% MwSt und Auslagen) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen.

 

Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 2/3, ausmachend CHF 4'459.25, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die restlichen Kosten gehen definitiv zu Lasten des Staates Solothurn.

 

10.  Gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 8 des Urteils der Vorinstanz wird festgestellt, dass der vormalige amtliche Verteidiger des Beschuldigten A.___, Rechtsanwalt Martin Heuberger, von der Kasse der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau mit CHF 1'051.70 (inkl. MwSt von CHF 77.90) bereits entschädigt wurde.

 

Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Kantons Aargau während 10 Jahren im Umfang von 2/3, ausmachend CHF 701.15, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die restlichen Kosten gehen definitiv zu Lasten des Kantons Aargau.

 

11.  Die Entschädigung für die amtliche Verteidigerin des Beschuldigten A.___ im Berufungsverfahren, Rechtsanwältin Jeannette Frech, wird auf CHF 3'453.75 (Honorar für 17.15 Stunden à CHF 180.00, Auslagen von CHF 119.85 und 7.7% MwSt von CHF 246.90) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen.

 

Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 2/3, ausmachend CHF 2'302.50, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die restlichen Kosten gehen definitiv zu Lasten des Staates Solothurn.

 

12.  Die Verfahrenskosten des erstinstanzlichen Verfahrens, mit einer Gerichtsgebühr von CHF 2'500.00, belaufen sich auf total CHF 8'896.90 (davon CHF 6'090.00 nachträglich aufgelaufene Untersuchungskosten im Kanton Aargau). Der Beschuldigte A.___ hat davon CHF 5'931.25 zu bezahlen, die restlichen Kosten gehen zu Lasten des Staates.

 

13.  Die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Gerichtsgebühr von CHF 6'000.00, total CHF 6'420.00, hat der Beschuldigte im Umfang von 2/3, ausmachend CHF 4'280.00, zu bezahlen. Der Rest geht zu Lasten des Staates.

 

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) und der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft im Rechtsmittelverfahren (Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona).

 

Im Namen der Strafkammer des Obergerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

von Felten                                                                         Schmid



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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