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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2021.69)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2021.69
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2021.69 vom 18.10.2023 (SO)
Datum:18.10.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Das Obergericht hat am 18. Oktober 2023 in einem Fall von gewerbsmässigem Betrug entschieden. Die Staatsanwaltschaft klagte A.___ an, unterstützt von Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart, gegen die E.___ AG. A.___ wurde schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Zudem wurden ihm Schadensersatzzahlungen auferlegt. Die Kosten des Verfahrens und der Verteidigung wurden festgelegt. A.___ hat Berufung eingelegt, und die Staatsanwaltschaft sowie die IV-Stelle des Kantons Solothurn haben Anschlussberufungen eingereicht.
Schlagwörter: Beschuldigte; Richt; Beschuldigten; Urteil; Betrug; Explorand; IV-Stelle; Recht; Beweis; Staat; Apos; Ausführung; Ausführungen; Solothurn; Akten; Verhalten; Betrugs; Beruf; Gutachten; Staatsanwalt; Mutter; Berufung; Staatsanwaltschaft
Rechtsnorm: Art. 1 StGB ; Art. 10 StPO ; Art. 104 StPO ; Art. 105 StPO ; Art. 115 StPO ; Art. 118 StPO ; Art. 122 StPO ; Art. 135 StPO ; Art. 139 StGB ; Art. 140 StPO ; Art. 141 StPO ; Art. 145 StPO ; Art. 146 StGB ; Art. 147 StGB ; Art. 152 ZPO ; Art. 165 StGB ; Art. 2 StGB ; Art. 22 StGB ; Art. 248 StPO ; Art. 271 StPO ; Art. 277 StPO ; Art. 282 StPO ; Art. 289 StPO ; Art. 29 BV ; Art. 302 StPO ; Art. 309 StPO ; Art. 32 BV ; Art. 325 StPO ; Art. 335 StPO ; Art. 34 StGB ; Art. 350 StPO ; Art. 36 BV ; Art. 398 StPO ; Art. 40 StGB ; Art. 41
Referenz BGE:115 IV 286; 120 Ia 36; 122 IV 197; 122 IV 279; 131 IV 83; 133 I 33; 134 I 1; 134 IV 17; 134 IV 82; 134 IV 974; 134 IV 97; 135 IV 76; 136 IV 1; 136 IV 55; 138 IV 120; 140 IV 11; 140 IV 188; 140 IV 206; 141 IV 132; 141 IV 244; 142 IV 153; 142 IV 401; 143 I 377; 143 IV 302; 143 IV 361; 143 IV 387; 144 IV 217;
Kommentar:
Eugster, Basler Kommentar Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, Art. 282 OR StPO, 2014
Entscheid
 
Geschäftsnummer: STBER.2021.69
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 18.10.2023 
FindInfo-Nummer: O_ST.2023.88
Titel: gewerbsmässiger Betrug (sowie Versuch dazu), mehrfacher Betrug, evtl. mehrf. betrügerischer Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage, etc.

Resümee:

 

Obergericht

Strafkammer

 

 

 

 

 

 

Urteil vom 18. Oktober 2023

Es wirken mit:

Präsident Werner

Oberrichter von Felten

Oberrichterin Hunkeler  

Gerichtsschreiberin Schenker

In Sachen

Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,

Anschlussberufungsklägerin

 

gegen

 

A.___, amtlich verteidigt durch Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart, 

 

Beschuldigter und Berufungskläger

 

betreffend     gewerbsmässiger Betrug (sowie Versuch dazu), mehrfacher Betrug, evtl. mehrf. betrügerischer Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage etc.


Zur Berufungsverhandlung vom 16. Oktober 2023, 08:30 Uhr, sind erschienen:

 

1.    B.___, Staatsanwältin, für die Staatsanwaltschaft als Anklägerin und Anschlussberufungsklägerin;

2.    A.___, Beschuldigter und Berufungskläger;

3.    Franziska Ryser-Zwygart, Rechtsanwältin, amtliche Verteidigerin des Beschuldigten und Berufungsklägers A.___;

4.    C.___ Dolmetscherin;

5.    Journalistin, Solothurner Zeitung.

 

In Bezug auf die behandelten Vorfragen, die vorgenommenen Verfahrenshandlungen, die durchgeführte Einvernahme des Beschuldigten und Berufungsklägers (nachfolgend Beschuldigter) und die im Rahmen der Parteivorträge vorgetragenen Standpunkte wird auf das separate Protokoll der Hauptverhandlung vom 16. Oktober 2023, das Einvernahmeprotokoll, die Tonaufnahme und die Plädoyernotizen in den Akten verwiesen.

 

Im Rahmen der Parteivorträge stellen und begründen die Parteien die folgenden Anträge:

 

Staatsanwältin B.___ für die Staatsanwaltschaft:

1.   A.___ sei schuldig zu sprechen

a.   des gewerbsmässigen Betruges, begangen vom 8. November 2007 bis am 28. August 2012;

b.   des versuchten gewerbsmässigen Betruges, begangen vom 8. Juli 2013 bis am 6. Mai 2016;

c.   des mehrfachen Betruges, begangen in der Zeit vom 24. Juni 2015 bis am 10. September 2015.

2.   A.___ sei mit einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren, zu bestrafen.

3.   Die Kosten des Berufungsverfahrens seien A.___ aufzuerlegen.

4.   Die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechts-
anwältin Dr. Franziska Ryser-Zwygart, sei nach richterlichem Ermessen festzusetzen und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn, unter Vorbehalt des Rückforderungsrechts, zu bezahlen.

 

Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart als amtliche Verteidigerin des Beschuldigten:

 

 I.    Rechtsbegehren bezüglich Parteistellung der IV-Stelle bzgl. Berechtigung der IV-Stelle hinsichtlich der Beschwerde gegen die Teileinstellungsverfügung vom 27. Juli 2016

1.   Ziff. 1 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 sei bezüglich des Schuldspruchs betreffend den Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB), angeblich begangen vom 25. Mai 2010 bis am 8.Dezember 2011, und des Vorwurfs des versuchten gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), angeblich begangen vom 8. Juli 2013 bis am 12. März 2015, aufzuheben.

2.   Der Beschuldigte sei vom Vorhalt gemäss Ziff. 1 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 betreffend den Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB), angeblich begangen vom 25. Mai 2010 bis am 8. Dezember 2011, und vom Vorwurf des versuchten gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), angeblich begangen vom 8. Juli 2013 bis am 12. März 2015, freizusprechen.

3.   Es sei festzustellen, dass die Invalidenversicherungsstelle des Kantons Solothurn im Strafverfahren gegen A.___ betreffend den gewerbsmässigen Betrug (Art. 146 Abs. 2 StGB) und den versuchten gewerbsmässigen Betrug (Art. 146 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) nicht Geschädigte im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO ist.

4.   Es sei festzustellen, dass die Invalidenversicherungsstelle des Kantons Solothurn im Strafverfahren gegen A.___ betreffend den gewerbsmässigen Betrug (Art. 146 Abs. 2 StGB) und den versuchten gewerbsmässigen Betrug (Art 146 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) nicht Privatklägerin im Sinne von Art. 118 Abs. 1 StPO ist.

5.   Es sei festzustellen, dass die Invalidenversicherungsstelle des Kantons Solothurn im Strafverfahren gegen A.___ betreffend den gewerbsmässigen Betrug (Art. 146 Abs. 2 StGB) und den versuchten gewerbsmässigen Betrug (Art. 146 Abs. 2 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) keine Parteirechte im Sinne von Art. 104 Abs. 2 StPO hat.

6.   Es sei festzustellen, dass die Invalidenversicherungsstelle des Kantons Solothurn im Strafverfahren gegen A.___ betreffend den gewerbsmässigen Betrug (Art. 146 Abs. 2 StGB) und den versuchten gewerbsmässigen Betrug (Art. 146 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) keine Parteirechte im Sinne von Art. 105 Abs. 2 StPO hat.

7.   Es sei festzustellen, dass die IV-Stelle des Kantons Solothurn nicht legitimiert ist, mit Beschwerde im Sinne von Art. 282 Abs. 1 StPO gegen die Teil-Einstellungsverfügung vom 26. Juli 2016 (recte: 27. Juli 2016) Beschwerde zu erheben.

8.   Es sei festzustellen, dass die Teil-Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn in der Sache STA.2012.4542 vom 27. Juli 2016 in Rechtskraft erwachsen ist und deshalb ein freisprechender Endentscheid vorliegt.

9.   Eventualiter sei das Verfahren bezüglich der Vorhalte gemäss Ziff. 1 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 betreffend den Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB), angeblich begangen vom 25. Mai 2010 bis am 8. Dezember 2011, und des versuchten gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), angeblich begangen vom 8. Juli 2013 bis am 12. März 2015, einzustellen.

10.   Ziffer 5 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 sei aufzuheben, insofern der Rückforderungsanspruch des Staates vorbehalten wird.

11.   Ziffer 6 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 sei aufzuheben, insofern der Rückforderungsanspruch des Staates vorbehalten wird.

12.   Ziffer 8 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 sei aufzuheben.

13.   Der Staat habe die Verfahrenskosten vor dem Amtsgericht und vor dem Obergericht zu tragen und dem Beschuldigten für das Verfahren vor dem Amtsgericht und vor dem Obergericht eine Parteientschädigung für die Bemühungen seiner Anwältin zu bezahlen.

Ebenfalls hat er dem ehemaligen amtlichen Verteidiger eine Parteientschädigung auszurichten.

u.K.u.E.F.

 

II.    Rechtsbegehren betreffend die Zulässigkeit der Observation und der Verwertbarkeit gegen den Beschuldigten im Strafverfahren

1.      Der erste Ermittlungsbericht vom 5. Juni 2011 und der zweite Ermittlungsbericht vom 5. Oktober 2011 mitsamt allen Fotos und Videos sind aus den Akten zu weisen und dürfen nicht gegen den Beschuldigten verwertet werden.

2.      Eventualiter: Alle Textstellen, alle Fotos und alle Videos in den beiden Ermittlungsberichten, in denen der Beschuldigte mit Drittpersonen auf dem Balkon zu sehen ist, seien aus den Akten zu weisen und dürfen nicht gegen den Beschuldigten verwertet werden.

3.      Der Bericht von Dr. D.___ vom 2. März 2012 sei aus den Akten zu weisen und dieser darf nicht gegen den Beschuldigten verwertet werden.

4.      Alle Aktenstücke, die nach Aktennahme der beiden Ermittlungsberichte vom 5. Juni 2011 und vom 5. Oktober 2011 erstellt wurden, sind aus den Akten zu weisen. Alle diese Aktenstücke dürfen nicht gegen den Beschuldigten verwertet werden.

u.K.u.E.F.

 

III.    Rechtsbegehren zum Urteil des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021

1.    Ziffer 1, 2, und 8 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 seien aufzuheben.

2.    Der Beschuldigte sei vom Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs (Art 146 Abs. 2 StGB), angeblich begangen vom 25. Mai 2010, eventualiter vom 6. März 2006 bis am 8. Dezember 2011, eventualiter bis am 28. August 2012, freizusprechen.

3.    Der Beschuldigte sei vom Vorwurf des versuchten gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), angeblich begangen vom 8. Juli 2013 bis am 12. März 2015, eventualiter bis 6. Mai 2016, freizusprechen.

4.    Der Beschuldigte sei vom Vorwurf des mehrfachen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 StGB), evtl. des mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage (Art. 147 Abs. 1 StGB), sowie subevtl. des versuchten mehrfachen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), subsubevtl. des versuchten mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage (Art. 147 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), angeblich begangen in der Zeit vom 24. Juni 2015 bis am 10. September 2015, freizusprechen.

5.    Die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft vom 19. August 2021 sei abzuweisen.

6.    Die Anträge der Staatsanwaltschaft seien abzuweisen.

7.    Die Anträge der IV-Stelle seien abzuweisen.

8.    Im Falle einer Verurteilung sei der Beschuldigte zu einer Geldstrafe von maximal 120 Tagessätzen zu je CHF 10.00, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von einem Jahr, zu verurteilen.

Eventualiter sei der Beschuldigte zu einer Freiheitsstrafe von maximal vier Monaten zu verurteilen, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von einem Jahr.

9.    Ziffer 5 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 sei aufzuheben, soweit es dem Beschuldigten auferlegt, der Privatklägerin E.___ AG (zwischenzeitlich in Liquidation) CHF 1'007.00 als Schadenersatz zu bezahlen. Die Zivilforderung von CHF 1'007.00 sei abzuweisen auf den Zivilweg zu verweisen.

10.  Ziffer 5 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 sei aufzuheben, insofern der Rückforderungsanspruch des Staates vorbehalten wird.

11.  Ziffer 6 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 sei aufzuheben, insofern der Rückforderungsanspruch des Staates vorbehalten wird.

12.  Es sei dem Beschuldigten eine Genugtuung von CHF 2'000.00 nach richterlichem Ermessen zuzusprechen.

13.  Der Staat habe die Verfahrenskosten vor dem Amtsgericht und vor dem Obergericht zu tragen und dem Beschuldigten für das Verfahren vor dem Amtsgericht und vor dem Obergericht eine Parteientschädigung für die Bemühungen seiner Anwältin zu bezahlen.

Ebenfalls habe er dem ehemaligen amtlichen Verteidiger eine Parteientschädigung für seine Bemühungen zu bezahlen.

14.  Die Kosten der amtlichen Verteidigung seien festzulegen und vom Staat zu tragen und vom Beschuldigten nicht zurück zu verlangen.

 

Zur mündlichen Urteilseröffnung vom 18. Oktober 2023, 16:00 Uhr, sind erschienen:

 

1.    B.___, Staatsanwältin, für die Staatsanwaltschaft als Anklägerin und Anschlussberufungsklägerin;

2.    A.___, Beschuldigter und Berufungskläger;

3.    Franziska Ryser-Zwygart, Rechtsanwältin, als amtliche Verteidigerin des Beschuldigten und Berufungsklägers A.___;

4.    C.___ Dolmetscherin;

5.    Journalistin, Solothurner Zeitung;

6.    F.___, Vertreterin der IV-Stelle des Kantons Solothurn, auf der Tribüne als Zuhörerin;

7.    Vertreter des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn, auf der Tribüne als Zuhörer.

 

***

 

Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:

I.   FORMELLES

 

A. Prozessgeschichte

 

1. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn (nachfolgend IV-Stelle) sprach A.___ (Beschuldigter und Berufungskläger, nachfolgend nur noch mit Beschuldigter bezeichnet) mit Verfügung vom 30. September 2008 rückwirkend per 1. Juni 2001 ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Rente zu (Akten der Staatsanwaltschaft [AS] 1942 ff.). Gestützt auf die Abklärungsergebnisse sei festgestellt worden, dass dem Beschuldigten eine Tätigkeit in der freien Wirtschaft nicht zugemutet werden und auch eine Arbeit im geschützten Rahmen derzeit nicht ausgeübt werden könne.

 

2. Im Rahmen der im Jahr 2010 eingeleiteten Revision des Rentenanspruchs des Beschuldigten fand am 11. Januar 2011 ein erstes Revisionsgespräch der IV-Stelle mit dem Beschuldigten statt (AS 1920 ff.). Dabei soll der Beschuldigte ein Verhalten gezeigt haben, welches mit den bisherigen Annahmen der IV-Stelle nicht in Einklang gebracht werden konnte. Zur besseren Überprüfung der Einschränkungen erteilte die IV-Stelle deshalb am 1./2. Februar 2011 der G.___ AG einen Überwachungsauftrag zur Observation des Beschuldigten (AS 039 f.). In der Folge wurde dieser an mehreren Tagen durch Mitarbeiter der G.___ AG überwacht.

 

3. Am 18. Juni 2012 erstattete die Polizei Kanton Solothurn (nachfolgend Polizei) Strafanzeige gegen den Beschuldigten wegen mehrfacher Nötigung, mehrfacher Tätlichkeit und mehrfacher Beschimpfung (AS Ordner 4 [unpaginiert], in den elektronischen Akten pdf-Seite 337 ff.). Der Beschuldigte soll im November und Dezember 2010 unter 2 - 3 Malen während je 10 - 120 Minuten seine Lebenspartnerin H.___ in der Wohnung eingeschlossen haben, so dass diese die Wohnung im 2. Stock nicht mehr habe verlassen können. Am 11. Juni 2012, ca. 13:30 Uhr, soll der Beschuldigte auf der [Strasse] in [Ort 1] mit seinem Portemonnaie zweimal auf den Rücken seiner Lebenspartnerin geschlagen haben. Am 13. Juni 2012, ca. 13:00 Uhr, soll der Beschuldigte die Geschädigte zu Hause mit seiner Hand einmal auf den Kopf und zweimal auf ihre linke Schulter geschlagen haben. Zudem soll er sie mit seiner Hand kräftig und schmerzhaft an ihrem linken Oberarm gepackt haben. Am 13. Juni 2012, ca. 13:00 Uhr, soll der Beschuldigte seine Lebenspartnerin zu Hause mit "Schlampe, Nutte, gefickt und sie sei Penis süchtig" beschimpft haben.

 

4. Nach Eingang der Strafanzeige der Polizei vom 18. Juni 2012 eröffnete die Staatsanwaltschaft am 9. Oktober 2012 das Verfahren gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der Nötigung, evtl. Freiheitsberaubung, der Beschimpfung und der wiederholten Tätlichkeiten (AS Ordner 4 [unpaginiert], in den elektronischen Akten pdf-Seite 360).

 

 

5. Gestützt auf die Überwachungsergebnisse der G.___ AG verfügte die IV-Stelle am 28. August 2012 rückwirkend auf fünf Jahre die revisionsweise Aufhebung der Rente des Beschuldigten i.S.v. Art. 53 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1), da gar nie ein invalidisierender Gesundheitsschaden bestanden habe (AS 1792 ff.). Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 16. Oktober 2013 ab (AS 547 ff.).

 

6. Mit Verfügung vom 20. September 2012 forderte die IV-Stelle die dem Beschuldigten für die Zeit vom 1. Oktober 2007 - 30. September 2012 ausgerichtete Invalidenrente über CHF 91'062.00 zurück. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht mit Urteil vom 24. Oktober 2014 ab, soweit es darauf eintrat (VSBES.2012.267, AS 1306 ff.).

 

7. Mit Verfügung vom 2. Oktober 2012 forderte die Ausgleichskasse die dem Beschuldigten für die Zeit vom 1. Oktober 2007 - 30. September 2012 ausgerichteten Ergänzungsleistungen in Höhe von CHF 69'936.00 zurück (AS 1747 ff.).

 

8. Mit Verfügung vom 20. November 2012 wurde das Verfahren gegen den Beschuldigten wegen Verdachts der Nötigung, evtl. Freiheitsberaubung, Beschimpfung und der wiederholten Tätlichkeiten infolge Rückzugs des Strafantrags durch die Geschädigte entschädigungslos eingestellt (AS Ordner 4 [unpaginiert], in den elektronischen Akten pdf-Seite 375 ff.).

 

9. Am 30. November 2012 reichte die IV-Stelle des Kantons Solothurn bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Anschlussberufungsklägerin, nachfolgend Staatsanwaltschaft) eine schriftliche Strafanzeige gegen den Beschuldigten wegen Vergehens gegen das Bundesgesetz (BG) über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG, SR 831.10) sowie Übertretung des AHVG ein (001 ff.). Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, wissentlich und willentlich durch unrichtige wahrheitswidrige Angaben Leistungen erwirkt zu haben, die ihm nicht zugekommen seien.

10. Mit Datum vom 7. Dezember 2012 eröffnete die Staatsanwaltschaft gegen A.___ ein Verfahren wegen Betrugs und wegen Vergehens gegen das AHVG (AS 485 f., im Journal mit Verfügung vom 10.12.2012 vermerkt).

11. Am 26. Januar 2013 wurde dem Beschuldigten Rechtsanwalt Jürg Walker als amtlicher Verteidiger beigeordnet (AS 493).

12. Unter Geltendmachung einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes seit August 2012 meldete sich der Beschuldigte via seinen amtlichen Verteidiger am 8. Juli 2013 erneut bei der IV-Stelle zum Leistungsbezug an (AS 1597 ff. sowie die zugehörige Eingangsbestätigung vom 11.07.2013 in AS 1600).  

13. Nachdem am 16. September 2013 ein erster Begutachtungsversuch von Dr. med. I.___ abgebrochen werden musste, weil der Beschuldigte bedrohlich und ausfallend geworden war (AS 1579 f.), konnte die Untersuchung nachgeholt werden. Am 8. März 2014 erstattete Dr. med. I.___ gestützt auf den Auftrag der Staatsanwaltschaft vom 28. Mai 2013 (AS 527 ff.) schliesslich ein forensisch-psychiatrisches Gutachten über den Beschuldigten (AS 140 ff.).

14. Gestützt auf das Gutachten von Dr. med. I.___ stellte die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 10. April 2014 die Strafuntersuchung gegen den Beschuldigten wegen Betrugs und Widerhandlung gegen das AHVG ein (AS 591 ff.). Mit Beschluss vom 14. August 2014 hiess die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn eine dagegen erhobene Beschwerde der IV-Stelle Solothurn gut und hob die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 10. April 2014 auf (BKBES.2014.41, AS 907 ff., insb. das begründete Urteil in AS 1088 ff.). Die Staatsanwaltschaft wurde angewiesen, das Verfahren gegen den Beschuldigten weiterzuführen.

15. Am 2. November 2014 zog sich der Beschuldigte bei einem Treppensturz eine Zahnfraktur sowie multiple Prellungen zu. Da die Ursache des Sturzes nicht eruiert werden konnte, veranlasste die IV-Stelle am 11. Februar 2015 eine psychiatrische Begutachtung bei Dr. med. J.___, Facharzt für Psychiatrie, welche am 8. April 2015 erfolgte (AS 989 ff.). Vom 12. Januar 2015 - 15. Januar 2015 hielt sich der Beschuldigte stationär in der [Psychiatrischen Klinik] auf (vermerkt im Urteil des Versicherungsgerichts vom 31.10.2017, VSBES.2016.166, AS 851 ff., konkret Ziff. 2 AS 853).

16. Mit Stellungnahme vom 3. Juni 2015 sprach der Regionale ärztliche Dienst RAD dem Gutachten von Dr. J.___ 17. April 2015 jeglichen Beweiswert ab (AS 703 ff.).

17. Parallel zur psychiatrischen Begutachtung bei Dr. med. J.___ erstattete Dr. med. K.___ gestützt auf den Auftrag der Staatsanwaltschaft vom 3. Dezember 2014 (AS 635 ff.) am 12. April 2015 ein wissenschaftlich forensisch-psychiatrisches (Ober)Gutachten über den Beschuldigten (AS 219 ff.). Am 18. April 2015 erstattete Dipl. Psych. K.___ ein Neuropsychiatrisches Zusatzgutachten (AS 187 ff.). Beide Gutachten gingen am 18. Mai 2015 bei der Staatsanwaltschaft ein.

18. Am 24. September 2015 erstattete die E.___ AG (in Liquidation) Strafanzeige gegen Unbekannt bzw. die Kunden «H.___», «A.___», «A.___» und «H.___» [unterschiedliche Schreibweisen]. Unter den erwähnten Namen seien innert kurzer Zeit im Online-Shop zehn Kundenkonten eröffnet und über 20 Bestellungen aufgegeben worden, ohne Absicht, diese auch zu bezahlen (AS 304 ff.).

19. Am 29. Oktober 2015 wurde der Beschwerdeführer auf der Notfallstation des [Spital] […] wegen eines erstmaligen epileptischen Anfalls behandelt (vermerkt im Urteil des Versicherungsgerichts vom 31.10.2017, AS 851 ff., konkret Ziff. 4 AS 853). Vom 18. bis 25. Februar 2016 hielt er sich alsdann stationär bei den Psychiatrischen Diensten […] auf (vermerkt im Urteil des Versicherungsgerichts vom 31.10.2017, VSBES.2016.166, AS 851 ff., konkret Ziff. 4 AS 853).

 

20. Am 2. November 2015 fand im Anschluss an eine polizeiliche Einvernahme des Beschuldigten eine Hausdurchsuchung an der [Adresse 1] in [Ort 1] statt (AS 439 ff.). Die anlässlich dieser Durchsuchung sichergestellten Gegenstände wurden mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2018 formell beschlagnahmt (AS 906.102).

21. Mit Verfügung vom 6. Mai 2016 wies die IV-Stelle den Anspruch des Beschuldigten auf weitere berufliche Massnahmen sowie eine Invalidenrente ab. Die medizinischen Abklärungen hätten ergeben, dass das Vorliegen einer schweren psychischen Erkrankung nicht positiv belegt werden könne (AS 1138 ff.). Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 31. Oktober 2017 ab (Urteil des Versicherungsgerichts vom 31.10.2017, VSBES.2016.166, AS 851 ff.).

22. Mit Schreiben vom 13. April 2016 teilte der amtliche Verteidiger der Staatsanwaltschaft mit, der Beschuldigte sei vom 18. Februar 2016 bis 25. Februar 2016 in den Kliniken der Psychiatrischen Dienste […] hospitalisiert gewesen. Anlass scheine ein Suizidversuch mit dem Medikament Lorazepam gewesen zu sein (AS 735).

23. Am 27. Juli 2016 stellte die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung gegen den Beschuldigten teilweise, d.h. betreffend den angeblichen Betrug und das Vergehen gegen das AHVG, ein (AS 780 ff.). Zusammenfassend sei festzuhalten, dass mittlerweile mehrere Gutachten vorlägen, deren jeweilige Diagnosen sich widersprechen würden. Der Beschuldigte bestreite vehement, zu Unrecht Leistungen der IV-Stelle bezogen zu haben; weitere Beweismittel seien nicht vorhanden und es könne ausgeschlossen werden, dass sich der Verdacht durch allfällig weitere Beweiserhebungen erhärten lasse.

24. Mit Beschluss vom 14. November 2016 hiess die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn eine dagegen erhobene Beschwerde der IV-Stelle gut (BKBES.2016.96, AS 1103 ff., insb. das begründete Urteil in AS 1174 ff.). Mit Urteil vom 18. August 2017 trat das Bundesgericht auf eine gegen den Beschluss der Beschwerdekammer erhobene Beschwerde nicht ein (AS 1192 ff., insb. das begründete Urteil in AS 1221 ff.).

25. Mit Verfügung vom 19. Januar 2017 wurde neu Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart als amtliche Verteidigerin des Beschuldigten eingesetzt (AS 825).

26. Am 26. Februar 2018 (AS 906.4 ff.) und am 29. August 2018 (AS 906.74 ff.) erliess die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn je eine bereinigte Eröffnungsverfügung gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts des gewerbsmässigen Betrugs, des versuchten gewerbsmässigen Betrugs sowie des Betrugs.

27. Am 15. November 2018 erhob die Staatsanwaltschaft ein erstes Mal Anklage gegen A.___ wegen gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB), angeblich begangen (soweit nicht verjährt) bis 28. August 2012, versuchten gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), angeblich begangen in der Zeit vom 8. Juli 2013 (Neuanmeldung zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung) bis 6. Mai 2016 (Ablehnung des Gesuchs zum erneuten Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung) sowie des mehrfachen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 StGB), angeblich begangen in der Zeit vom 24. Juni 2015 bis 10. September 2015 (Akten des Richteramts Solothurn Lebern [S-L] Ordner 1 pag. 001 ff.).

28. Mit Verfügung vom 28. August 2019 sistierte das Amtsgericht von Solothurn-
Lebern das Verfahren gegen den Beschuldigten und wies die Anklage mit den Akten zurück an die Staatsanwaltschaft (S-L Ordner 1 pag. 034 f.).

29. Am 23. Oktober 2019 erhob die Staatsanwaltschaft erneut Anklage gegen den Beschuldigten. Dies wegen gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 StGB), begangen (soweit nicht verjährt) bis 28. August 2012, versuchten gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), begangen in der Zeit vom 8. Juli 2013 bis 6. Mai 2016 und wegen mehrfachen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 StGB), evtl. mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage (Art. 147 Abs. 1 StGB), begangen in der Zeit vom 24. Juni 2015 bis 10. September 2015 (S-L Ordner 1 pag. 036 ff.).

 

30. Mit Verfügung vom 4. Dezember 2019 wurde die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht von Solothurn-Lebern angesetzt auf den 9. April 2020 (S-L 049 f.). Aufgrund der damals aktuellen Covid-19-Pandemie wurde die Verhandlung mit Verfügung vom 20. März 2020 vorläufig abgesetzt (S-L 066 f.), bevor sie mit Verfügung vom 28. April 2020 neu auf den 7. Juli 2020 angesetzt wurde (S-L Ordner 1 pag. 070 f. sowie die zugehörigen Vorladungen und Terminbestätigungen in S-L Ordner 1 pag. 158 ff.).

 

31. Gestützt auf den Antrag der amtlichen Verteidigerin im Rahmen der erstinstanzlichen Verhandlung vom 7. Juli 2020 sistierte das Amtsgericht von Solothurn-Lebern das Verfahren und wies die Anklage zusammen mit den Akten ein weiteres Mal zurück an die Staatsanwaltschaft (S-L Ordner 1 pag. 154 f.).

 

32. Am 10. Juli 2020 erhob die Staatsanwaltschaft ein drittes Mal Anklage gegen den Beschuldigten. Dies wegen gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB), angeblich begangen vom 10. Juli 2005 (soweit nicht in der Zwischenzeit verjährt) bis 28. August 2012 (Erlass der Verfügung bezüglich rückwirkender Aufhebung der Invalidenrente), wegen versuchten gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), angeblich begangen in der Zeit vom 8. Juli 2013 (Neuanmeldung zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung) bis 6. Mai 2016 (Ablehnung des Gesuchs zum erneuten Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung) und wegen mehrfachen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 StGB), evtl. mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage (Art. 147 Abs. 1 StGB), subevtl. versuchten mehrfachen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), subsubevtl. versuchten mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage (Art. 147 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), angeblich begangen in der Zeit vom 24. Juni 2015 bis 10. September 2015 zum Nachteil der E.___ AG (in Liquidation, S-L Ordner 2 pag. 001 ff.).

 

 

33. Mit Verfügung vom 18. August 2020 wurden die Parteien zur Hauptverhandlung vor das Amtsgericht von Solothurn-Lebern auf den 10. Dezember 2020 geladen
(S-L Ordner 2 pag. 019 f.). Gestützt auf die Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 4. Dezember 2020, wonach sich der fallführende Staatsanwalt bis mindestens 11. Dezember 2020 in Quarantäne befinde, da er engen Kontakt mit einer Corona-infizierten Person gehabt habe (S-L Ordner 2 pag. 027 bzw. Ordner 2 046 f.), wurde die Hauptverhandlung vom 10. Dezember 2020 abgesetzt (S-L Ordner 2 pag. 028) bzw. mit Verfügung vom 15. Dezember 2020 auf den 5. März 2021 neu angesetzt (S-L Ordner 2 pag. 029 f. sowie die zugehörigen Vorladungen und Terminbestätigungen in S-L Ordner 2 pag. nach 252 [unpaginiert]).

 

34. Am 5. März 2021 und 8. März 2021 fand die mündliche Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht von Solothurn-Lebern statt (s. das Protokoll in S-L Ordner 2 pag. 048 ff.).

 

35. Am 15. März 2021 fällte das Amtsgericht von Solothurn-Lebern folgendes Urteil (S-L Ordner 2 pag. 217 ff. [Urteilsanzeige] und S-L Ordner 2 pag. 231 ff. [begründetes Urteil]):

 

1.      A.___ hat sich schuldig gemacht:

-        des gewerbsmässigen Betrugs, begangen vom 25. Mai 2010 bis am 8. Dezember 2011;

-        des versuchten gewerbsmässigen Betrugs, begangen vom 8. Juli 2013 bis am 12. März 2015;

-        des mehrfachen Betrugs, begangen in der Zeit vom 24. Juni 2015 bis am
10. September 2015.

 

2.      A.___ wird verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von 2 Jahren.

 

3.      Folgende bei A.___ sichergestellten Gegenstände werden der Berechtigten E.___ AG, nach Rechtskraft des Urteils auf entsprechendes Verlangen hin ausgehändigt:

Objekt

Befindet sich bei

Leder Damenhandtasche, Marke: Clarks, (Farbe: schwarz, gold)

Leder Portemonnaie, Marke:                    Guess

(Farbe: schwarz, gold)

Polizei Kanton Solothurn

 

 

Polizei Kanton Solothurn

Leder Damenhandtasche, Marke: Guess, (Farbe: beige, weiss)

Polizei Kanton Solothurn

Rucksack, Spiderman (gross), Material: Kunststoff, (Farbe: schwarz, rot)

Polizei Kanton Solothurn

Rucksack, Spiderman (klein), (Farbe: schwarz, rot)

Polizei Kanton Solothurn

Rucksack, Disney «Mini Mouse», (Farbe: rosa, weiss)

Polizei Kanton Solothurn

Etui, Disney «Mini Mouse», (Farbe: rosa, weiss)

 

Polizei Kanton Solothurn

 

Ohne ein solches Begehren werden die Gegenstände 30 Tage nach Ablauf der Rechtsmittelfrist verwertet, evtl. vernichtet, wobei ein allfälliger Netto-Verwertungserlös (nach Abzug der Aufbewahrungs- und Verwertungskosten) in die Staatskasse fällt.

 

4.      A.___ wird bei seiner Anerkennung behaftet, der Privatklägerin E.___ AG, CHF 4'733.05 als Schadenersatz zu schulden. Darüber hinausgehend wird A.___ verurteilt, der Privatklägerin E.___ AG CHF 1'007.00 als Schadenersatz zu bezahlen.

 

5.      Es wird festgestellt, dass der ehemalige amtliche Verteidiger von A.___, Rechtsanwalt Jürg Walker, von der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn am 2. Februar 2017 mit CHF 4'929.40 (inkl. Auslagen und MWST) entschädigt worden ist. Vorbehalten bleiben bezüglich dieser Entschädigung der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des ehemaligen amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 1'278.00 (Differenz zum vollen Honorar von CHF 230.00 pro Stunde inkl. 8% MWST), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

 

6.      a) Die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart, wird auf CHF 22'674.60 (Honorar 106.41 Stunden à CHF 180.00, ausmachend CHF 19'153.80, Auslagen CHF 1'888.70, 8% MWST auf CHF 3'941.90, ausmachend CHF 315.35, und 7.7% MWST auf CHF 17'100.60, ausmachend CHF 1'316.75) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

 

b) Es wird festgestellt, dass die Zentrale Gerichtskasse der amtlichen Verteidigerin am 16. April 2020 bereits CHF 10'000.00 als Vorschuss überwiesen hat, so dass ihr noch die Differenz von CHF 12'674.60 auszubezahlen ist.

 

7.      Das Amtsgericht verzichtet auf eine schriftliche Begründung des Urteils, wenn keine Partei ein Rechtsmittel ergreift innert 10 Tagen seit Zustellung der Urteilsanzeige niemand ausdrücklich eine schriftliche Begründung verlangt.

 

8.      A.___ hat die Kosten des Verfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 13'000.00, total CHF 51'000.00, zu bezahlen. Wird kein Rechtsmittel ergriffen und verlangt keine Partei ausdrücklich eine schriftliche Begründung des Urteils, so reduziert sich die Staatsgebühr um CHF 3'000.00, womit die gesamten Kosten CHF 48'000.00 betragen.

 

36. Gegen dieses Urteil meldete der Beschuldigte am 23. März 2021 die Berufung an (S-L Ordner 2 pag. 227).

 

37. Nachdem dem Beschuldigten das begründete Urteil des Amtsgerichts von Solothurn vom 15. März 2021 am 21. Juli 2021 zuging (S-L Ordner 2 pag. 347), erklärte er am 6. August 2021 die Berufung (Akten des Obergerichts [OGer] OGer 003 ff.) und stellte folgende Rechtsbegehren (für die definitiven Rechtsbegehren, welche sich von den vorliegenden teilweise unterscheiden, wird auf das Protokoll der Hauptverhandlung vom 16.10.2023 [OGer 252 ff.], die von der Verteidigerin schriftlich abgegebenen Plädoyernotizen [OGer 291 ff.] sowie die eingangs des Urteils aufgeführten Begehren verwiesen):

A.    Rechtsbegehren zum Beschluss betreffend Vorfragen vom 15.03.2021

  1. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 15. März 2021 über die Anträge 3 bis 6 der Vorfragen des Beschuldigten während der Hauptverhandlung sei aufzuheben.
  2. Der erste Ermittlungsbericht vom 5. Juni 2011 und der zweite Ermittlungsbericht vom 5. Oktober 2011 mitsamt allen Fotos und Videos seien aus den Akten zu weisen und dürfen nicht gegen den Beschuldigten verwendet werden.
  3. Eventualiter: Alle Textstellen alle Fotos und alle Videos in den beiden Ermittlungsberichten, in denen der Beschuldigte mit Drittpersonen auf dem Balkon zu sehen ist, seien aus den Akten zu weisen und dürfen nicht gegen den Beschuldigten verwendet werden.
  4. Der Bericht von Dr. D.___ vom 2. März 2012 sei aus den Akten zu weisen und darf nicht gegen den Beschuldigten verwendet werden.
  5. Alle Aktenstücke, die nach Aktennahme der beiden Ermittlungsberichte vom 5. Juni 2011 und 5. Oktober 2011 erstellt wurden, sind aus den Akten zu weisen, alle Aktenstücke dürfen nicht gegen den Beschuldigten verwendet werden.

u.K.u.E.F.

 

  1. Rechtsbegehren zum Urteil vom 15.03.2021
  1. Ziffer 1, 2 und 8 des Urteils des Amtsgerichts Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 seien aufzuheben.
  2. Der Beschuldigte sei vom Vorwurf des gewerbsmässigen Betruges, angeblich begangen vom 25. Mai 2021 bis am 8. Dezember 2011, freizusprechen.
  3. Der Beschuldigte sei vom Vorwurf des versuchten gewerbsmässigen Betruges, angeblich begangen vom 8. Juli 2013 bis am 12. März 2015, freizusprechen.
  4. Der Beschuldigte sei vom Vorwurf des mehrfachen Betruges, angeblich begangen in der Zeit vom 24. Juni 2015 bis 10. September 2015, freizusprechen.
  5. Im Falle einer Verurteilung sei der Beschuldigte zu einer Geldstrafe zu verurteilen.

Eventualiter sei er zu einer Freiheitsstrafe von maximal 10 Monaten zu verurteilen, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von 2 Jahren.

  1. Ziffer 4 sei aufzuheben, soweit es dem Beschuldigten auferlegt, der Privatklägerin E.___ AG CHF 1'007.00 als Schadenersatz zu bezahlen. Die Zivilforderung von CHF 1’007.00 sei abzuweisen auf den Zivilweg zu verweisen.
  2. Ziffer 5 des Urteils sei aufzuheben, insofern der Rückforderungsanspruch des Staates und der Nachzahlungsanspruch des ehemaligen amtlichen Verteidigers vorbehalten wird.
  3. Ziffer 6 des Urteils sei aufzuheben, insofern der Rückforderungsanspruch des Staates vorbehalten wird.
  4. Ziffer 8 des Urteils sei aufzuheben. Der Staat habe die Verfahrenskosten zu tragen.
  5. Es sei dem Beschuldigten eine Genugtuung von CHF 2'000.00 zuzusprechen.
  6. Der Staat habe die Verfahrenskosten vor dem Amtsgericht und vor dem Obergericht zu tragen und dem Beschuldigten für das Verfahren vor dem Amtsgericht und vor dem Obergericht eine Parteientschädigung für die Bemühungen seiner Anwältin zu bezahlen.

Ebenfalls hat er dem ehemaligen amtlichen Verteidiger eine Parteientschädigung auszurichten.

  1. Die amtliche Verteidigung sei vor dem Obergericht weiterzuführen. Die Kosten der amtlichen Verteidigung seien vom Beschuldigten nicht zurück zu verlangen.
  2. Eventualiter: Es sei dem Beschuldigten für das Verfahren vor Obergericht die vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege und der unentgeltliche Rechtsbeistand ab Prozessbeginn zu gewähren und die unterzeichnende Rechtsanwältin als unentgeltliche[r] Rechtsbeistand zu bezeichnen.

u.K.u.E.F.

C. Rechtsbegehren zum Urteil vom 15.03.2021 bzgl. Berechtigung IV Stelle hinsichtlich Beschwerde gegen Teileinstellungsverfügung

  1. Ziff. 1 des Amtsgerichtsurteils vom 15.03.2021 sei bezüglich des Schuldspruchs betreffend den Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs, angeblich begangen vom 25. Mai 2010 bis am 8. Dezember 2011, und des Vorwurfs des versuchten gewerbsmässigen Betrugs, angeblich begangen vom 8. Juli 2013 bis am 12. März 2015, aufzuheben.
  2. Der Beschuldigte ist von den Vorhalten des gewerbsmässigen Betrugs und des Vorwurfs des versuchten gewerbsmässigen Betrugs freizusprechen.
  3. Es sei festzustellen, dass die Teileinstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 27. Juli 2016 in Rechtskraft erwachsen ist.
  4. Eventualiter sei das Verfahren einzustellen.
  5. Ziffer 5 des Urteils sei aufzuheben, insofern der Rückforderungsanspruch des Staates und der Nachzahlungsanspruch des ehemaligen amtlichen Verteidigers vorbehalten wird.
  6. Ziffer 6 des Urteils sei aufzuheben, insofern der Rückforderungsanspruch des Staates vorbehalten wird.
  7. Ziffer 8 des Urteils sei aufzuheben. Der Staat habe die Verfahrenskosten zu tragen.
  8. Der Staat habe die Verfahrenskosten vor dem Amtsgericht und vor dem Obergericht zu tragen und dem Beschuldigten für das Verfahren vor dem Amtsgericht und vor dem Obergericht eine Parteientschädigung für die Bemühungen seiner Anwältin zu bezahlen.

Ebenfalls hat er dem ehemaligen amtlichen Verteidiger eine Parteientschädigung auszurichten.

  1. (versehentlich mit Ziff. 11 bezeichnet)

Die amtliche Verteidigung sei vor Obergericht weiterzuführen. Die Kosten der amtlichen Verteidigung seien vom Beschuldigten nicht zurück zu verlangen.

  1. (versehentlich mit Ziff. 12 bezeichnet)

Eventualiter: Es sei dem Beschuldigten für das Verfahren vor Obergericht die vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege und der unentgeltliche Rechtsbeistand ab Prozessbeginn zu gewähren und die unterzeichnende Rechtsanwältin als unentgeltliche[r] Rechtsbeistand zu bezeichnen.

u.K.u.E.F.

 

38. Mit Eingabe vom 19. August 2021 erklärte die Staatsanwaltschaft die Anschlussberufung (OGer 067 f.). Sie focht das Urteil in folgenden Punkten an:

-        Schuldpunkt gemäss Ziff. 1 Alinea 1 insofern, als beim gewerbsmässigen Betrug lediglich von einem Deliktszeitraum vom 25. Mal 2010 bis 8. Dezember 2011 ausgegangen wird;

-        Schuldpunkt gemäss Ziff. 1 Alinea 2 insofern, als beim versuchten gewerbsmässigen Betrug lediglich von einem Deliktszeitraum bis 12. März 2015 ausgegangen wird;

-        Bemessung der Strafe gemäss Ziff. 2.

 

Die Staatsanwaltschaft beantragte einen Schuldspruch wegen gewerbsmässigen Betrugs, begangen vom 8. November 2007 bis 28. August 2012, einen Schuldspruch wegen versuchten gewerbsmässigen Betrugs, begangen vom 8. Juli 2013 bis 6. Mai 2016, sowie die Verurteilung des Beschuldigten zu einer höheren Freiheitsstrafe.

 

39. Mit Eingabe vom 30. August 2021 (Eingang beim Obergericht via interne Post am 31. August 2021) erhob die IV-Stelle des Kantons Solothurn ebenfalls Anschlussberufung (OGer 071 ff.). Sie focht das Urteil in folgenden Punkten an:

-        Schuldpunkt gemäss Ziff. 1, sofern beim gewerbsmässigen Betrug lediglich von einem Deliktszeitraum vom 25. Mai 2010 bis 8. Dezember 2011 ausgegangen wird;

-        Schuldpunkt gemäss Ziff. 1, sofern beim versuchten gewerbsmässigen Betrug lediglich von einem Deliktszeitraum vom 8. Juli 2013 bis 12. März 2015 ausgegangen wird.

Die IV-Stelle verlangte einen Schuldspruch wegen gewerbsmässigen Betrugs im Deliktzeitraum vom 15. März 2006 bis 28. August 2012 sowie einen Schuldspruch wegen versuchten gewerbsmässigen Betrugs im Deliktzeitraum vom 8. Juli 2013 bis 6. Mai 2016.

40. Am 25. Oktober 2021 fällte die Strafkammer den Beschluss, infolge fehlender Nachweisbarkeit einer rechtzeitigen Rechtsmitteleinlegung auf die Anschlussberufung der IV-Stelle nicht einzutreten (OGer 117 ff., Ziff. 1). Über Kosten und Entschädigung sei im Rahmen des Entscheides in der Hauptsache zu befinden (Ziff. 2).

41. Mit Verfügung vom 16. Dezember 2022 hielt die Strafkammer des Obergerichts fest, dass über die im Rahmen der Berufungserklärung gestellten Anträge der amtlichen Verteidigerin im Endentscheid befunden werde (OGer 124, Ziff. 1). Die amtliche Verteidigung des Beschuldigten durch Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart für das Berufungsverfahren wurde bestätigt (Ziff. 2). Die amtliche Verteidigerin wurde aufgefordert, dem Gericht bis am 6. Januar 2023 mitzuteilen, ob für die Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht ein Dolmetscher beigezogen werden muss (Ziff. 3). Innert erstreckter Frist liess der Beschuldigte mitteilen, dass für die Hauptverhandlung der Beizug eines Türkisch-Dolmetschers nötig sei (OGer 127).

42. Mit Verfügung vom 12. Mai 2023 wurden die Parteien zur Berufungsverhandlung vor das Berufungsgericht geladen auf den 16. Oktober 2023 (OGer 129 f.). Den Privatklägern (IV-Stelle und E.___ AG [in Liquidation]) wurde das Erscheinen freigestellt.

43. Am 24. Mai 2023 wurde die Vorladung des Beschuldigten mit dem Vermerk «Nicht abgeholt» an das Gericht retourniert. Nach Verifizierung der Adresse bei der Einwohnerkontrolle Solothurn wurde dem Beschuldigten die Vorladung gleichentags mit A-Post nachgereicht (OGer 139).

 

44. Am 16. Oktober 2023 fand die Verhandlung vor dem Berufungsgericht statt (OGer 252 ff.).

 

 

B. Gegenstand des Berufungsverfahrens

 

Die folgenden Ziffern des erstinstanzlichen Urteils sind ganz teilweise in Rechtskraft erwachsen:

-        Ziff. 3: Aushändigung von beim Beschuldigten sichergestellten Gegenständen an die Berechtigte E.___ AG (in Liquidation), allenfalls Verwertung / Vernichtung derselben;

-        Ziff. 4 (teilweise): Behaftung des Beschuldigten bei seiner Anerkennung, der Privatklägerin E.___ AG (in Liquidation) den Betrag von CHF 4'733.05 als Schadenersatz zu schulden;

-        Ziff. 5 (teilweise): Entschädigung des vormaligen amtlichen Verteidigers für das erstinstanzliche Verfahren (die Höhe der Entschädigung betreffend);

-        Ziff. 6 lit. a (teilweise): Entschädigung der amtlichen Verteidigerin für das erstinstanzliche Verfahren (die Höhe der Entschädigung betreffend);

-        Ziff. 6 lit. b: Feststellung einer Vorschussleistung an die amtliche Verteidigerin in Höhe von CHF 10'000.00.

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens bilden somit:

-        Ziff. 1 Erstes Lemma: Schuldspruch wegen gewerbsmässigen Betrugs, angeblich begangen vom 25. Mai 2010 bis am 8. Dezember 2011;

-        Ziff. 1 Zweites Lemma: Schuldspruch wegen versuchten gewerbsmässigen Betrugs, angeblich begangen vom 8. Juli 2013 bis am 12. März 2015;

-        Ziff. 1 Drittes Lemma: Schuldspruch wegen mehrfachen Betrugs, angeblich begangen in der Zeit vom 24. Juni 2015 bis am 10. September 2015;

-        Ziff. 2: Strafzumessung;

-        Ziff. 4 (teilweise): Verurteilung des Beschuldigten, der Privatklägerin E.___ AG (in Liquidation) den Betrag von CHF 1'007.00 als Schadenersatz zu bezahlen;

-        Ziff. 5 (teilweise) und Ziff. 6 lit. a (teilweise): Fragen des Rückforderungsanspruchs des Staates der Entschädigung an die amtlichen Verteidiger bzw. im Fall des vormaligen Verteidigers auch dessen Nachzahlungsanspruchs;

-        Ziff. 8: Regelung der Kostentragung durch die erste Instanz.

 

 

C. Vorfragen

 

1. Vorbemerkungen

 

In der Berufungserklärung vom 6. August 2021 lässt der Beschuldigte diverse Vorfragen aufwerfen (Lit. B Ziff. 1 [Antrag, der Beschluss des Amtsgerichts vom 15.03.2021 über die Anträge 3-6 der Vorfragen des Beschuldigten während der Hauptverhandlung sei aufzuheben] bzw. Lit. B Ziff. 2 bis Ziff. 5 [Wiederholung der gestellten Anträge]). Ebenso stellt er im Laufe der Berufungserklärung mehrere «Beweisanträge» hinsichtlich bestimmter Beweismittel. Anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht wird an den gestellten Anträgen festgehalten.

 

Wie die amtliche Verteidigerin des Beschuldigten in der Berufungserklärung selbst feststellt, befinden sich sämtliche als Beweismittel beantragten Dokumente bereits in den Akten. Die «Beweisanträge» sind somit dahingehend zu interpretieren, als dass die amtliche Verteidigerin die genannten Dokumente als Beweismittel anzurufen gedenkt. Über die Aktennahme muss damit nicht mehr befunden werden. Ebenso wurde der Beschuldigte bereits mehrfach zur Sache befragt, weswegen auch darauf nicht mehr zurückzukommen ist.

 

Soweit das Verbot der Verwertung bestimmter Beweismittel wie insb. die Ermittlungsberichte der Observation des Beschuldigten beantragt wird, ist – wie bereits mit Verfügung vom 16. Dezember 2022 in Aussicht gestellt und zu Beginn der mündlichen Berufungsverhandlung bestätigt – darüber im Urteil und nicht vorfrageweise zu entscheiden. Entsprechend wird auf die Ausführungen in nachfolgender Ziff. II. / Lit. A, Ziff. 3.1., verwiesen. Dies aus folgenden Gründen:

 

Der Beschuldigte moniert, bei gleichbleibender Aktenlage hätte bereits 2007 ermittelt werden müssen. Ob das zutrifft, kann offengelassen werden. Wesentlich ist vielmehr, ob die Staatsanwaltschaft gestützt auf diese Umstände im Jahr 2011 (noch) hatte ermitteln dürfen. Die Einleitung eines Strafverfahrens ist in den Art. 300 ff. StPO geregelt. Soweit die Polizei mögliche Straftaten nicht selber feststellt, ist jede Person berechtigt, bei der Strafverfolgungsbehörde schriftlich mündlich eine Anzeige zu deponieren. Das gilt auch für Behörden. Bestimmungen darüber, zu welchem Zeitpunkt eine Anzeige eingereicht werden muss, bestehen nicht, solange die angezeigte Straftat nicht verjährt ist. Eine Anzeigepflicht besteht lediglich für Strafbehörden (Art. 302 StPO), was hier nicht relevant ist. Der Beschuldigte kann daher aus dem Zeitpunkt der Anzeige der IV-Stelle resp. dem Umstand, dass diese «erst» 2012 und nicht bereits 2007 erfolgt ist, nichts zu seinen Gunsten ableiten. Gegen die Beweiserhebung mittels Observation spricht daher grundsätzlich nichts. Sodann ist die Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln grundsätzlich dem Sachrichter bzw. der den Sachentscheid fällenden Strafbehörde zu unterbreiten. Vom Sachrichter kann erwartet werden, dass er in der Lage ist, die unzulässigen Beweise von den zulässigen zu unterscheiden und sich in der Würdigung ausschliesslich auf Letztere zu stützen. Anders ist es nur dort, wo das Gesetz ausdrücklich die sofortige Rückgabe aus den Akten bzw. Vernichtung rechtswidriger Beweise vorsieht (vgl. Art. 248 StPO, Art. 271 Abs. 3 StPO, Art. 277 StPO und Art. 289 Abs. 6 StPO). Ebenso verhält es sich, wenn aufgrund des Gesetzes der Umstände des Einzelfalles die Unverwertbarkeit bereits ohne weiteres feststeht (BGE 143 IV 387 E. 4.4. m.w.Verweisen). Das trifft hier nicht zu. Ergebnisse von Observationen sind keine verbotenen Beweismittel i.S.v. Art. 140 StPO. Der Entscheid über die Verwertbarkeit der Beweismittel ist daher im Rahmen des materiellen Entscheids zu fällen.

 

2. Teileinstellungsverfügung vom 27. Juli 2016 / Parteistellung der IV-Stelle

 

Der Beschuldigte beantragt zusammengefasst, es sei festzustellen, dass die IV-Stelle des Kantons Solothurn zu keinem Zeitpunkt zur Erhebung der Beschwerde gegen die Teil-Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 27. Juli 2016 berechtigt gewesen sei, da sie nicht über Partei- Verfahrensrechte verfügt habe (Rechtsbegehren anlässlich der Berufungsverhandlung, Ziff. I.).

 

Zur Begründung, weshalb diesen Anträgen nicht entsprochen werden kann, ist auf die Verfahrensgeschichte zu verweisen:

 

Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 27. Juli 2016 wurde das Verfahren gegen den Beschuldigten, damals geführt wegen des Verdachts des mehrfachen Betrugs und der Widerhandlungen gegen das AHVG, vollumfänglich eingestellt (AS 780 ff.). Gegen diese Einstellungsverfügung erhob die IV-Stelle des Kantons Solothurn das Rechtsmittel der Beschwerde (BKBES.2016.96, AS 1105 ff.). Sowohl die Staatsanwaltschaft wie auch der Beschuldigte bestritten die rechtliche Legitimation der IV-Stelle zur Erhebung der Beschwerde (AS 1157 ff. und AS 1163, letztere u.a. unter Verweis auf den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 12.08.2014, AS 1164 ff.). Mit Urteil vom 14. November 2016 bejahte die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn die Legitimation der IV-Stelle des Kantons Solothurn und hiess die Beschwerde vollumfänglich gut (zur Begründung kann ergänzend auf die zusammenfassenden Ausführungen der ersten Instanz im Urteil S-L, Ziff. II. / Ziff. 4.2.2., Lit. C, lit. c, S. 62, verwiesen werden, s. zum Urteil AS 1174 ff.). Die Teil-Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 27. Juli 2016 wurde aufgehoben (Ziff. 1) und die Akten gingen zur Fortsetzung des Verfahrens im Sinne der Erwägungen zurück an die Staatsanwaltschaft (Ziff. 2). Auf eine dagegen durch den Beschuldigten erhobene Beschwerde in Strafsachen trat das Bundesgericht mangels Vorliegen eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils (Art. 93 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz, BGG, SR 173.110] sowie mangels Nachweises, dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit Kosten für ein Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG), nicht ein (Urteil des Bundesgerichts 1B_478/2016 vom 18.08.2017, AS 1221 ff.). Dieser Entscheid ist in Rechtskraft erwachsen.

 

Dem Beschuldigten ist damit zwar zuzustimmen, als dass sich das Bundesgericht – mangels Eintreten auf die Beschwerde des Beschuldigten – nicht explizit zur Frage der Legitimation der IV-Stelle geäussert hat. Das Bundesgericht hat jedoch verbindlich festgehalten, dass der Beschuldigte durch den Beschluss der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 14. November 2016 nicht in seinen Rechten beschränkt ist. Mit anderen Worten: Sollte es so sein, dass sich der Beschuldigte der ihm gemachten Vorhalte nicht schuldig gemacht hat, so wird er im ordentlichen Verfahren freigesprochen und befindet sich mithin in derselben Situation, wie wenn die Einstellung bestehen geblieben wäre. Ein Recht darauf, vor der Durchführung eines gerichtlichen Strafverfahrens bewahrt zu werden, besteht nicht. Mit dem Beschluss der Beschwerdekammer liegt somit ein rechtskräftiger Entscheid vor, auf welchen im Hauptverfahren nicht mehr zurückzukommen ist. Die Anträge des Beschuldigten sind vollumfänglich abzuweisen.

 

3. Verletzung des Anklagegrundsatzes

 

Im Rahmen des Plädoyers anlässlich der mündlichen Berufungsverhandlung vom 16. Oktober 2023 monierte die amtliche Verteidigerin des Beschuldigten mehrfach, die Staatsanwaltschaft habe es unterlassen, in der Anklageschrift vom 10. Juli 2020 (S-L 001 ff.) ausformulierte Vorhalte zu definieren, wann der Beschuldigte wen mit welche Handlungen in welcher Form getäuscht haben soll. Da nicht ersichtlich sei, wann dem Beschuldigten welche Handlung gegenüber welchem Arzt Gutachter angelastet werde, sei eine effektive Verteidigung unmöglich gewesen. Gerügt wird damit eine Verletzung des Anklagegrundsatzes.

 

Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Art. 9 StPO und Art. 325 StPO, Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK). Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (Art. 350 StPO). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Der Anklagegrundsatz bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 141 IV 132 E. 3.4.1., BGE 140 IV 188 E. 1.3., je mit Hinweisen). Unter dem Gesichtspunkt der Informationsfunktion muss die beschuldigte Person aus der Anklage ersehen können, wessen sie angeklagt ist. Dies bedingt eine zureichende Umschreibung der Tat. Entscheidend ist, dass die beschuldigte Person genau weiss, welcher konkreter Handlungen sie beschuldigt und wie ihr Verhalten rechtlich qualifiziert wird, damit sie sich in ihrer Verteidigung richtig vorbereiten kann. Sie darf nicht Gefahr laufen, erst an der Gerichtsverhandlung mit neuen Anschuldigungen konfrontiert zu werden. Solange für die beschuldigte Person klar ist, welcher Sachverhalt ihr vorgeworfen wird, kann auch eine fehlerhafte und unpräzise Anklage nicht dazu führen, dass es zu keinem Schuldspruch kommen darf. Die nähere Begründung der Anklage erfolgt an Schranken; es ist Sache des Gerichts, den Sachverhalt verbindlich festzustellen (Urteil des Bundesgerichts 6B_747/2016 vom 27.10.2016 E. 2.2.; Urteil des Bundesgerichts 6B_1151/2015 vom 21.12.2016 E. 2.2., je mit Hinweisen).

 

Werden diese durch Gesetz und Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, so ist festzustellen, dass die Rüge der Verteidigung fehl geht. In der Anklageschrift vom 10. Juli 2020 wird dem Beschuldigten in Ziff. 1 vorgehalten, er habe im Zeitraum vom 10. Juli 2005 bis zum 28. August 2012 an mehreren Orten ([Ort 1] [Privatadresse des Beschuldigten, Arztpraxis Dr. med. M.___ und Arztpraxis Dr. med. N.___, Psychiatrische Klinik Spital], [Ort 2] [zwischenzeitliche Privatadresse des Beschuldigten, [Behörde]], [Ort 3] [Arztpraxis Dr. O.___], [Ort 4] [Arztpraxis Dr. med. P.___, Arztpraxis Dr. med. D.___ und Psychiatrische Klinik [Spital]) und allenfalls anderswo, zum Nachteil der IV-Stelle des Kantons Solothurn gehandelt, indem er wissentlich und willentlich sowie in ungerechtfertigter Bereicherungsabsicht massive gesundheitliche Probleme sowohl in physischer als auch in psychischer Natur vorgespiegelt hat. Sowohl Zeit und Ort der jeweiligen Handlungen sind damit soweit möglich eingegrenzt. Die Staatsanwaltschaft führt aus, der Beschuldigte habe insbesondere durch seine verweigernde und mutistische Haltung gegenüber den Fachpersonen die untersuchenden Personen sowie die jeweiligen Entscheidungsträger der Invalidenversicherung arglistig über seinen tatsächlichen Gesundheitszustand und seine Leistungs- und Arbeitsfähigkeit getäuscht. Die Anklageschrift selbst ist mit detaillierten Beispielen (Fragebogen, diverse Schreiben, konkrete ärztliche Untersuchungen) untermauert. Die Anklage hat damit die dem Beschuldigten zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise umschrieben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht konkretisiert wurden und der Beschuldigte jederzeit erkennen konnte, welcher Handlungen er beschuldigt wird. Die Anklageschrift umschreibt die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft erfüllten Straftatbestände unter Angabe der anwendbaren Gesetzesbestimmungen. Der Beschuldigte konnte jederzeit ersehen, welcher er angeklagt ist. Das wesentliche Fehlverhalten ist ohne weiteres erkennbar; eine effektive Verteidigung jederzeit möglich. Verlangt die Verteidigung darüber hinausgehend für jede einzelne ärztliche Behandlung eine detaillierte Nennung in der Anklageschrift selbst, so übersteigt dies die an eine Anklageschrift gestellten gesetzlichen Anforderungen gemäss Art. 325 StPO. Ob und wenn ja welcher Sachverhalt als erstellt zu gelten hat, wird Frage der Beweisführung sein. Eine Verletzung des Anklagegrundsatzes in Bezug auf den in Ziff. 1 der Anklageschrift aufgeführten Lebenssachverhalt ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.

 

Dasselbe gilt denn auch für die in der Anklageschrift unter Ziff. 2 und 3 dargestellten Lebenssachverhalte. Der Beschuldigte war zu jeder Zeit über die ihm gemachten Vorhalte betreffend Ort, Zeitraum und wesentlichem Fehlverhalten genügend informiert, so dass eine effektive Verteidigung zu keinem Zeitpunkt verwehrt war. Eine Verletzung des Anklagegrundsatzes ist damit auch hier nicht ersichtlich.

 

 

D. Vorhalte

 

Betreffend die dem Beschuldigten gemachten Vorhalte des gewerbsmässigen Betrugs, des versuchten gewerbsmässigen Betrugs und des mehrfachen Betrugs (sowie der zugehörigen Eventualtatbestände) wird auf die Ziff. 1 - 3 der Anklageschrift vom 10. Juli 2020 verwiesen (S-L Ordner 2 pag. 001 ff., einsehbar auch im Urteil der ersten Instanz [Urteil S-L] Ziff. I. / Ziff. 1. - 3, Seite 10 ff., S. 17 ff. und S. 22 ff.).

 

 

II. MATERIELLES

 

A.  Vorhalt des gewerbsmässigen Betrugs zum Nachteil der IV-Stelle

 

1. Bestrittener Sachverhalt

 

Der Beschuldigte bestreitet den ihm vorgehaltenen gewerbsmässigen Betrug zum Nachteil der IV-Stelle und bringt vor, er sei mit der Schlussfolgerung des Amtsgerichts nicht einverstanden (insb. Berufungserklärung S. 9 – 20, s. auch das Plädoyer vom 16.10.2023).

 

Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass in die vom Amtsgericht festgelegte Deliktszeit vom 25. Mai 2010 bis 8. Dezember 2011 nur zwei Dokumente fielen, welche von einem Arzt erstellt worden seien, nämlich der Arztbericht von Dr. med. O.___ vom 25. November 2010 und das Gutachten von Dr. med. D.___ vom 17. Januar 2012, welcher sich auf persönliche Untersuchung des Beschuldigten vom 8. Dezember 2011 stütze. Da das Amtsgericht nicht ausgeführt habe, welche physischen und psychischen Probleme der Beschuldigte anlässlich der den Berichten zugrundeliegenden Untersuchungen vorgespielt habe, sei nicht eruierbar, welches Verhalten der Beschuldigte gespielt haben soll. So habe Dr. med. D.___ festgestellt, dass beim Beschuldigten die Schmerzen nicht mehr im Vordergrund stünden – der Beschuldigte habe somit bei der Untersuchung offenbar nicht besonders über Schmerzen geklagt. Auch wenn der Beschuldigte während der Observation, die im gleichen Jahr wie die Untersuchung bei Dr. med. D.___ stattgefunden habe, einmal einen Flachbildschirm habe tragen können (30.07.2011), decke sich das mit den Feststellungen von Dr. D.___. Der Beschuldigte habe bezüglich der Schmerzsituation während der angeblichen Deliktszeit nicht gelogen. Auch habe er kein Verhalten gezeigt, welches auf eine affektive Problematik bzw. eine Psychose hindeuten könnte. Der Gutachter habe nicht feststellen können, dass der Beschuldigte Anzeichen einer intellektuellen Minderbegabung zeige. Auch bei den Revisionsgesprächen habe der Beschuldigte weder ein Lügengebäude erstellt noch etwas vorgespielt. Da ein betrügerisches Verhalten nicht auszumachen sei, habe das Amtsgericht den Sachverhalt falsch festgestellt.

 

Weiter gehe das Amtsgericht davon aus, ein Arzt habe in der angeblichen Deliktszeit eine Persönlichkeitsstörung, eine somatoforme Schmerzstörung und eine intellektuelle Minderbegabung diagnostiziert, weil der Beschuldigte etwas vorgespiegelt habe. Woher das Amtsgericht diese Auffassung habe, sei nicht ersichtlich. In den Akten finde sich kein Arztbericht mit den genannten Diagnosen in der angeblichen Deliktszeit. Auch hier habe das Amtsgericht den Sachverhalt falsch festgestellt.

 

Das Amtsgericht halte auf Seite 49 des Urteils fest, dass der Beschuldigte die in den Überwachungsvideos gezeigten Fähigkeiten im Rahmen einer Erwerbstätigkeit hätte nutzen können, womit es das Gericht als erwiesen erachte, dass der Beschuldigte in gewisser Weise und mit geeigneten Massnahmen sehr wohl in das Arbeitsleben hätte integriert werden können. Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens sei aber nicht, ob der Beschuldigte in gewisser Weise und mit geeigneten Massnahmen beruflich hätte integriert werden können, wenn er das nur gewollt hätte, sondern die Frage, ob der Beschuldigte im Tatzeitpunkt Dritten vorgespielt habe, dass er psychisch physisch krank intellektuell minderbegabt sei bzw. dass er Drittpersonen arglistig darüber getäuscht habe. Das sei dem Bericht von Dr. med. D.___ nicht zu entnehmen. Der RAD-Arzt der IV-Stelle, welcher am 2. Juni 2008 zum Schluss gekommen sei, die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sei naheliegend, habe den Beschuldigten nie untersucht, weswegen dieser ihn auch nie angelogen und ihm nie etwas vorgespielt habe. Auch der medizinische Zustand des Rückens des Beschuldigten sei unbekannt, datiere die letzte Untersuchung der Rückenproblematik doch vom 27. Juni 2002 (Dr. med. N.___). Das Gericht gehe auch hier von einer falschen Ausgangslage aus.

 

Schliesslich stelle auch das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten, er habe nie eine Abklärung zugelassen – was überdies bestritten werde – keine Lüge und kein Vortäuschen einer Krankheit dar. Eine Minderbegabung sei entgegen der Ansicht der Vorinstanz nie vorgespielt worden. Die Vorinstanz habe den Sachverhalt nicht richtig festgestellt und die Beweismittel nicht richtig gewürdigt, wenn es die angeblich durch den Beschuldigten verletzte Mitwirkungspflicht (und das Vorspielen einer Minderbegabung) als arglistige Täuschung beurteile.

 

Der Beschuldigte halte daran fest, dass er sich in der gesamten Deliktszeit gegenüber Dr. med. D.___ und gegenüber den abklärenden Personen der IV-Stelle anlässlich der Revisionsgespräche unauffällig verhalten habe. Die Observationen zeigten keinen anderen Eindruck eines Menschen, als den, den die abklärenden Personen der IV-Stelle und der Arzt erhalten hätten. Über Rückenschmerzen habe er sich bei der Untersuchung bei Dr. D.___ am 8. Dezember 2011 nicht besonders beklagt; darum sei es auch nicht überraschend, dass er einen Gegenstand habe tragen können. Beim Einkaufen sei er nicht allein gewesen, sondern er sei jeweils von seiner Partnerin seiner Schwester begleitet worden. Auch bei den Revisionsgesprächen auf der IV, die zwischen einer halben und einer Stunde gedauert haben dürften, habe er sitzen können. Den Besuch im Café in der Stadt habe er gemacht, damit er nicht immer alleine sei. Zu diesem Verhalten sei er regelmässig vom behandelnden Psychiater ausdrücklich aufgefordert worden. Dass der Beschuldigte nicht begeistert mit den Gesprächspersonen auf der IV habe sprechen wollen, sei weder ein Lügen noch ein Vorspielen falscher Tatsachen. Niemand sei verpflichtet, mit einer anderen Person zu sprechen, wenn er nicht wolle. Auch sei aus den Observationsunterlagen nicht ersichtlich, dass der Beschuldigte einer Arbeit nachgegangen sei Hobbies betrieben hätte. Das Amtsgericht schreibe nicht, welche «bewusst falschen Angaben über seinen Gesundheitszustand» er wem gegenüber gemacht habe und welche physischen und psychischen Probleme und wie er Minderbegabung gegenüber diesen beiden Ärzten vorgespielt habe. Die Behauptungen des Amtsgerichts deckten sich demnach auch hier nicht mit dem Sachverhalt und der Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen.

 

Anlässlich der Berufungsverhandlung hält der Beschuldigte an den gemachten Ausführungen gemäss Berufungserklärung fest und ergänzt diese weiter. Für weitere Ausführungen zum bestrittenen Sachverhalt kann deshalb stellvertretend auf die schriftlich abgegebenen Plädoyernotizen verwiesen werden.

 

Da der Beschuldigte die ihm zur Last gelegten Vorhalte bestreitet, muss vorab der rechtlich relevante Sachverhalt ermittelt werden.

 

2. Allgemeines zur Beweiswürdigung

 

2.1. Gemäss der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie Art. 10 Abs. 3 StPO verankerten Maxime „in dubio pro reo“ ist bis zum Nachweis der Schuld zu vermuten, dass die einer Straftat angeklagte Person unschuldig ist: Es gilt demnach die Unschuldsvermutung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 120 Ia 36 ff, 127 I 40 f.) betrifft der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowohl die Verteilung der Beweislast als auch die Würdigung der Beweise. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Als Beweiswürdigungsregel ist der Grundsatz „in dubio pro reo“ verletzt, wenn sich der Strafrichter von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklärt, obschon bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, dass sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, da solche immer möglich sind. Obwohl für die Urteilsfindung die materielle Wahrheit wegleitend ist, kann absolute Gewissheit bzw. Wahrheit nicht verlangt werden, da diese der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen ist. Mit Zweifeln ist deshalb nicht die entfernteste Möglichkeit des Andersseins gemeint. Erforderlich sind vielmehr erhebliche und schlechthin nicht zu unterdrückende Zweifel, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei mehreren möglichen Sachverhaltsversionen hat der Richter auf die für den Beschuldigten günstigste abzustellen.

 

Eine Verurteilung darf somit nur erfolgen, wenn die Schuld des Verdächtigten mit hinreichender Sicherheit erwiesen ist, d.h. wenn Beweise dafür vorliegen, dass der Täter mit seinem Verhalten objektiv und subjektiv den ihm vorgeworfenen Sachverhalt verwirklicht hat. Voraussetzung dafür ist, dass der Richter einerseits persönlich von der Tatschuld überzeugt ist und andererseits die Beweise die Schuld des Verdächtigen in einer vernünftige Zweifel ausschliessenden Weise stützen. Der Richter hat demzufolge nach seiner persönlichen Überzeugung aufgrund gewissenhafter Prüfung der vorliegenden Beweise darüber zu entscheiden, ob er eine Tatsache für bewiesen hält nicht (BGE 115 IV 286).

 

2.2. Das Gericht folgt bei seiner Beweisführung dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO): Es würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung und ist damit bei der Wahrheitsfindung nicht an die Standpunkte und Beweisführungen der Prozessparteien gebunden. Unterschieden wird je nach Art des Beweismittels in persönliche (Personen, welche die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen bekannt geben: Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen und Beschuldigten) und sachliche Beweismittel (Augenschein und Beweisobjekte wie Urkunden Tatspuren). Dabei kommt es nicht auf die Zahl Art der Beweismittel an, sondern auf deren Überzeugungskraft Beweiskraft. Das Gericht entscheidet nach der persönlichen Überzeugung, ob eine Tatsache bewiesen ist nicht.

 

2.3. Dabei kann sich der Richter auch auf Indizien stützen. Indizien (Anzeichen) sind Hilfstatsachen, die, wenn selber bewiesen, auf eine andere, unmittelbar rechtserhebliche Tatsache schliessen lassen. Der erfolgreiche Indizienbeweis begründet eine der Lebenserfahrung entsprechende Vermutung, dass die nicht bewiesene Tatsache gegeben ist. Für sich allein betrachtet deuten Indizien jeweils nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Tatsache hin. Auf das einzelne Indiz ist der In-dubio-Grundsatz denn auch nicht anwendbar. Gemeinsam – einander ergänzend und verstärkend – können Indizien aber zum Schluss führen, dass die rechtserhebliche Tatsache nach der allgemeinen Lebenserfahrung gegeben sein muss. Der Indizienbeweis ist dem direkten Beweis gleichgestellt (vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_360/2016 vom 01.06.2017 E. 2.4., nicht publ. in: BGE 143 IV 361 sowie 6B_332/2009 vom 04.08.2009 E. 2.3.; je mit Hinweisen).

 

2.4. Im Rahmen der Beweiswürdigung ist die Aussage auf Glaubhaftigkeitsmerkmale bzw. Lügensignale hin zu analysieren. Die Aussage ist gestützt auf eine Vielzahl von inhaltlichen Realkennzeichen zu beurteilen, wobei zwischen inhaltlichen Merkmalen (Aussagedetails, Individualität, Verflechtung), strukturellen Merkmalen (Strukturgleichheit, Nichtsteuerung, Widerspruchsfreiheit bzw. Homogenität) sowie Wiederholungsmerkmalen (Konstanz, Erweiterung) unterschieden wird. Das Vorliegen von Realitätskriterien bedeutet, dass die betreffende Person mit hoher Wahrscheinlichkeit über erlebnisfundierte Geschehnisse berichtet. Zwar besitzt jedes Realitätskriterium für sich allein betrachtet meist nur eine geringe Validität, die Gesamtschau aller Indikatoren kann jedoch einen wesentlich höheren Indizwert für die Glaubhaftigkeit der Aussage haben, wobei sie in der Regel in solchen mit realem Erlebnishintergrund signifikanter und ausgeprägter vorkommen als in solchen ohne. Zunächst wird davon ausgegangen, dass die Aussage gerade nicht realitätsbegründet ist, und erst, wenn sich diese Annahme (Nullhypothese) aufgrund der festgestellten Realitätskriterien nicht mehr halten lässt, wird geschlossen, dass die Aussage einem wirklichen Erleben entspricht und wahr ist (BGE 133 I 33 E. 4.3.). Im Bereich rechtfertigender Tatsachen trifft den Beschuldigten eine gewisse Beweislast. Seine Behauptungen müssen plausibel sein; es muss ihnen eine gewisse Überzeugungskraft zukommen. Zumindest bedarf die Behauptung des Beschuldigten gewisser Anhaltspunkte, sei es in Form konkreter Indizien einer natürlichen Vermutung für seine Darstellung, damit sie als Entlastungstatsache dem Urteil zugrunde gelegt wird. Wenn die belastenden Beweise nach einer Erklärung rufen, welche der Beschuldigte geben können müsste, dies jedoch nicht tut, darf nach Massgabe des gesunden Menschenverstandes der Schluss gezogen werden, es gebe keine mögliche Erklärung und er sei schuldig. Nichts Anderes kann gelten, wenn er zwar eine Erklärung gibt, diese aber unglaubhaft gar widerlegt ist. Der Grundsatz "in dubio pro reo" zwingt somit nicht dazu, jede entlastende Angabe des Beschuldigten, für deren Richtigkeit Unrichtigkeit kein spezifischer Beweis vorhanden ist, als unwiderlegt zu betrachten. Nicht jede aus der Luft gegriffene Schutzbehauptung braucht durch einen hieb- und stichfesten Beweis widerlegt zu werden (vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_453/2011 vom 20.12.2011 E. 1.6. und 6B_562/2010 vom 28.10.2010 E. 2.1.).

 

3. Beweismittel

 

3.1. Vorfrage der Verwertbarkeit der Observationsergebnisse

 

3.1.1. Wie sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch das Bundesgericht entschieden haben, verstiessen die vor Inkrafttreten der aktuellen Regelungen (Art. 43a ATSG, eingefügt durch Ziff. I des BG vom 16. März 2018 [Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten], in Kraft seit 01.10.2019) durch private Observationen in Unfall- und Sozialversicherungsverfahren vorgenommenen Eingriffe in die Privatsphäre von Betroffenen gegen Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 36 Abs. 1 BV (Urteil des EGMR Vukota-Bojic gegen Schweiz vom 16.10.2006, Nr. 61838/10, § 69 – 77, in Plädoyer 2016 6 S. 71; BGE 143 IV 387 E. 4.1.1. m.w.Verw.). In BGE 143 I 377 hat sich das Bundesgericht (in einem Verwaltungsverfahren betreffend Invalidenversicherung) der dargelegten Rechtsprechung des EGMR angeschlossen: Zwar finde sich in Art. 59 Abs. 5 IVG eine spezialgesetzliche Grundlage, die es ermögliche, zur Bekämpfung des ungerechtfertigten Leistungsbezugs Spezialisten beizuziehen. Insgesamt präsentiere sich jedoch keine andere Rechtslage als im Unfallversicherungsverfahren. Insbesondere seien die Dauer der Observation, das Verfahren ihrer Anordnung und die zulässigen Überwachungsmodalitäten nicht gesetzlich geregelt. Da das Gesetz solche privaten Observationen nicht vorsieht, verletzten die erfolgten Eingriffe in die Grundrechte die Bundesverfassung und die StPO (BGE 143 IV 387 m.w.Verw., insb. Verweis auf BGE 143 I 377 E. 4.). Aus dem Gesagten folge jedoch nicht, dass die rechtswidrig (ohne ausreichende gesetzliche Grundlage) erhobenen Beweismittel automatisch strafprozessual unverwertbar wären. In BGE 143 I 377 E. 5. hat das Bundesgericht denn auch für das Verwaltungsverfahrensrecht entschieden, dass die von einer kantonalen IV-Stelle (wegen mutmasslichen Versicherungsmissbrauchs) angeordneten und mittels Privat-Observationen im öffentlich frei einsehbaren Raum erfolgten Beweiserhebungen (Videos und Fotos) aufgrund einer sorgfältigen Interessenabwägung im IV-Verwaltungsverfahren (in Analogie zu Art. 152 Abs. 2 ZPO) grundsätzlich verwertbar sein können. Ob und inwiefern aus einer festgestellten Verfassungs- und EMRK-Widrigkeit ein Beweisverwertungsverbot folgt, ist nach dem anwendbaren schweizerischen Verfahrensrecht zu prüfen. Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergibt sich insofern lediglich der Anspruch auf ein insgesamt faires Verfahren (zit. Urteil Vukota-Bojic, § 91, 93 f. und 96, s. zum Ganzen BGE 143 IV 387 E. 4.3.).

 

Die Schweizerische Strafprozessordnung enthält Bestimmungen zu den verbotenen Beweiserhebungen (Art. 140 StPO) und zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise (Art. 141 StPO). Gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO dürfen Beweise, welche die Strafbehörden in strafbarer Weise in Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich. Inwieweit die Beweisverbote auch greifen, wenn nicht staatliche Behörden, sondern Privatpersonen Beweismittel sammeln, wird in der Strafprozessordnung nicht geregelt. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel nur verwertbar sind, wenn sie auch von den Strafbehörden hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht. Von Privaten beschaffte Beweise sind demnach unverwertbar, wenn der Staat selbst nicht auf rechtmässigem Weg auf das Beweismittel hätte zugreifen können und die Interessenabwägung für die Nichtverwertung spricht (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_22/2012 vom 11.05.2012 E. 2.4.4., Urteil des Bundesgerichts 6B_323/2013 vom 03.06.2013 E. 3.4., Urteil des Bundesgerichts 6B_983/2013 vom 24.02.2014, E. 3.2.). Bei der Interessenabwägung gilt: Je schwerer die zu beurteilende Straftat ist, umso eher überwiegt das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung das private Interesse des Angeklagten daran, dass der fragliche Beweis unverwertet bleibt (Urteil des Bundesgerichts 9C.806/2016 vom 14.07.2017 E. 5.1.1., m.w.Verw.). In concreto prüft das Bundesgericht diesbezüglich, ob die angeordnete Observation aufgrund ausgewiesener Zweifel eingeleitet wurde, ob sie nur im öffentlichen Raum stattgefunden hat und ob der Beschuldigte keiner ständigen und systematischen Überwachung ausgesetzt gewesen ist (s. bspw. Urteil des Bundesgerichts 9C.806/2016 vom 14.07.2017 E. 5.1.2.).

 

3.1.2. Vorliegend bestreitet der Beschuldigte die Verwertbarkeit der Observationsergebnisse der G.___ AG. Zusammengefasst wird die Auffassung vertreten, dass sich aus dem ausgefüllten Fragebogen zur Revision und dem Gespräch auf der IV-Stelle vom 11. Januar 2011 keine neuen Anhaltspunkte ergeben hätten, die nicht bereits im Jahr 2007 bestanden haben. Da sich in der Zwischenzeit das Verhalten des Beschuldigten nicht verändert habe, habe kein Anfangsverdacht für eine Observation bestanden. Wäre die IV-Stelle bereits im Jahr 2008 den Schlussfolgerungen des Gutachters Dr. med. D.___ gefolgt (wonach der Beschuldigte durch den psychischen bzw. psychosomatischen Gesundheitsschaden im Umfang von lediglich 15 % in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sei), wäre nie eine Rente gesprochen worden. Die IV-Stelle habe einen Anfangsverdacht für die Observation konstruiert. Die Observation sei vor diesem Hintergrund unzulässig. Zudem sei die Überwachung des Beschuldigten auf dem Balkon, wo er mit seiner Frau und seinen Familienmitgliedern an einem Tisch sitze, unzulässig, da es sich um eine besonders persönliche Situation handle, die einen engen Bezug zur Privatsphäre habe (s. zum Ganzen auch die zusammenfassenden Ausführungen im Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 3.1., S. 26).

 

3.1.3. Im Sinne der vorstehend genannten Kaskade ist vorab zu prüfen, ob die Observationsberichte der G.___ AG als Beweismittel auch von der Staatsanwaltschaft rechtmässig hätten erworben werden resp. ob die diesen Berichten zugrundeliegenden Observationen auch von der Staatsanwaltschaft hätte angeordnet werden können.

 

Die Staatsanwaltschaft kann Personen und Sachen an allgemein zugänglichen Orten verdeckt beobachten und dabei Bild- Tonaufzeichnungen machen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass Verbrechen Vergehen begangen worden sind und die Ermittlungen sonst aussichtslos wären unverhältnismässig erschwert würden (Art. 282 Abs. 1 StPO). Die Verdachtsmomente müssen entsprechend konkret sein. Vage Hinweise auf ein Verbrechen Vergehen, die noch keinen Tatverdacht begründen, dürften nicht ausreichend sein, während wohl plausible Hinweise Anhaltspunkte, die einen ersten vagen Tatverdacht begründen, genügend dürften. Auch wenn wohl nicht jeder vage Anfangsverdacht ausreichend ist, wird man keine allzu strengen Anforderungen an die konkreten Anhaltspunkte stellen dürfen (Luzius Eugster/Annegret Katzenstein, in: Basler Kommentar Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, BSK StPO, 2. Auflage 2014, Art. 282 N 11 m.w.Verw.).

 

Zur Begründung, weshalb diese Voraussetzung vorliegend gegeben ist, ist vorab auf die detaillierten Ausführungen der ersten Instanz in ihrem Urteil vom 15. März 2021 (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 3.3. Erstes Lemma, S. 28 f.) zu verweisen. Die Vorinstanz hat die der Beurteilung der IV-Stelle zugrundeliegende Ausgangslage (Feststellung von Dr. med. D.___ im Gutachten vom 20.12.2007 [AS 1969 ff.], wonach davon ausgegangen werden müsse, dass das Verhalten des Beschuldigten grösstenteils gesteuert werde) und anschliessend die Angaben des Beschuldigten anlässlich des Revisionsgesprächs vom 11. Januar 2011 (AS 1920 ff.), die die Vermutung aufkommen liessen, der Verdacht von Dr. med. D.___ könnte zutreffen, korrekt wiedergegeben. Die Vorinstanz zeigt nachvollziehbar und auf die vorhandenen Akten abgestützt auf, dass es bereits seit 2007 Ungereimtheiten zwischen den medizinischen Befunden und dem Verhalten des Beschuldigten gab, die mindestens auf eine Aggravierung der Beschwerden durch den Beschuldigten hindeuteten. Führt die Vorinstanz aus, dass die IV-Stelle zum Schluss gelangt sei, ein vernünftiges Gespräch sei mit dem Beschuldigten nicht möglich bzw. man könne sich das Verhalten des Beschuldigten zu Hause schlecht vorstellen (AS 1921), so ist dies demnach korrekt. Diesbezüglich ist auch vollumfänglich auf die zusammenfassenden Ausführungen der IV-Stelle in ihrem Vorbescheid zur Aufhebung der IV-Rente vom 12. März 2012 (AS 1823 ff.) zu verweisen.

 

Die Annahme der Vorinstanz wird auch durch die weiteren, von der Vorinstanz nicht explizit angeführten Akten gestützt. Deutlich wird dies bspw. im Rahmen des Erstgesprächs bei den Ambulanten Diensten der Psychiatrischen Dienste [der Klinik] vom 10. März 2008, als unter «Psychostatus» ausgeführt wird (AS 1956 ff.):

 

«Beim Gang ins Büro unauffällige Psychomotorik mit unauffälligem Gang, aufmerksam wirkendem und Anteilnahme signalisiertem Umherblicken. Im Büro Gespräch durchwegs abweisend wirkendes Verhalten mit fehlender Gespräch- und Auskunftsbereitschaft, oft Beantworten von Fragen mit einem Schweigen «Ich weiss es nicht», nicht Aufnehmen des direkten Blickkontaktes, abgewandter Körperhaltung und abgesehen von meist vorhandener motorischer Unruhe in den Fingern vorhandenem Mutismus und Hypokinese. Daneben aber auch wiederholt Beantworten von gewissen Fragen resolut und ohne Antwortlatenz. (…) Kognitive und mnetische Funktionen wegen fehlender Kooperationsbereitschaft nicht konklusiv beurteilbar, jedoch keine Hinweise auf erhebliche Defizite. Denken formal wegen meist vorhandenem Mutismus nicht konklusiv beurteilbar, inhaltlich ohne Anhaltspunkte für Wahn, Sinnestäuschungen Ich-Störungen. Grundstimmung dysphorisch. Zunehmende Gereiztheit und Angespanntheit. Im Verlauf, insbesondere im Kontakt mit der am Schluss des Gesprächs zugezogenen Pflege unserer Tagesklinik des Sektor West, drängen auf Beendigung des Gesprächs und Verweigern der Beantwortung von weiteren Fragen.»

 

Auch der regionale ärztliche Dienst kommt in seiner Stellungnahme vom 21. September 2007 zu keinem schlüssigen Ergebnis, wie das Verhalten des Beschuldigten eingeordnet werden soll (AS 1981 f.):

 

«Somit sind die gestellten Diagnosen in der psychiatrischen Klinik im Bericht vom 10.5.04 grundsätzlich zu hinterfragen, denn es stellt sich die Frage, ob nicht auch bewusstseinsnahes Handeln vorliegt. Die Psychiater selbst äusserten den Verdacht auf „histrionische" Struktur, eine Umschreibung, welche einer Simulation nahe kommt. Immerhin ist auch in den Akten klar, dass der Versicherte nicht motiviert war (kurze Spitalaufenthalte, reiste ins Ausland statt sich um die verlangte stationäre Behandlung zu kümmern). Die Angaben von Dr.O.___ sind nicht konklusiv: Er stellt die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Bei den angegebenen Beschwerden berichtet der Patient, er frage sich warum er nicht wie die anderen gesund sei und nicht mehr Fussball spielen könne, klagt über Rückenschmerzen, er könne sich nicht konzentrieren, im Status psychomotorisch unruhig und verlangsamt, spricht sehr wenig, erwidert auf meine Fragen erst nach einer langen Phase mit ein zwei Wörtern, meistens heisst dies, ich weiss nicht ich erinnere mich nicht daran, eine ausführliche Anamnese konnte nicht gemacht werden. Die Kriterien für eine schwere Depression gemäss ICD-10 sind aus den Angaben von Dr. O.___ nicht nachvollziehbar respektive unvollständig.»

 

Dr. med. Q.___ gelangt zum Schluss:

 

«Somit kann ich die Frage nicht beantworten, ob wirklich ein invalidisierendes Problem vorliegt. Der Versicherte ist diagnostisch unklar (Schizophrenie? Depression? Simulation?»

 

Die von der Vorinstanz zutreffend vorgenommene Beurteilung der Unstimmigkeiten im Verhalten des Beschuldigten wurde schliesslich im Überwachungsauftrag der IV-Stelle zu Handen der G.___ AG vom 1./2. Februar 2011 noch einmal mit einem konkreten Beispiel festgehalten (AS 039 f.):

 

«Der Versicherte verlasse seine Wohnung nur sehr selten. Nur für kleine Spaziergänge. Zum Gespräch kommt vP aber alleine, gepflegt, modisch und sauber gekleidet.»

 

Auch das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn stellte Unstimmigkeiten im Verhalten des Beschuldigten fest. Im Urteil vom 16. Oktober 2013 führte das Gericht diesbezüglich aus (AS 547 ff., Ziff. 3.2.2. S. 567):

 

«Die Observation des Beschwerdeführers war im Rahmen des Revisionsverfahrens objektiv geboten, da sein Krankheitsbild für die Ärzte nach wie vor rätselhaft war und teils inkonsistente Angaben vorlagen (z.B. dass er nie allein einkaufe, seinen Psychiater aber ohne Begleitung aufsuche), womit der Verdacht auf eine bewusste Steuerung des Verhaltens in Untersuchungssituationen bestand. (…) Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sich im Alltag unauffällig verhält und eine psychische Störung bloss vorspielte, ist eine neue Tatsache, die im Zeitpunkt der Rentenzusprache noch nicht bekannt war. Die beteiligten Ärzte, welche eine Arbeitsunfähigkeit attestierten, hätten daran zweifellos nicht festgehalten, wenn man sie mit dieser Sachlage konfrontiert hätte. Dies gilt insbesondere auch mit Blick darauf, dass eine bewusste Steuerung des Verhaltens seit jeher als mögliche Erklärung im Raum stand (vgl. RAD-Bericht vom 2. Juni 2008, IV-Nr. 73 S. 3 oben) resp. auf erhebliche Unsicherheiten hingewiesen wurde (s. Gutachten von Dr. P.___ vom 16. Januar 2003, IV-Nr. 24 S. 5 f. und 7 f.). Vielmehr hätte man schon damals zwangsläufig zum Resultat kommen müssen, dass gar kein für die Arbeitsfähigkeit relevanter Gesundheitsschaden vorlag. Diese neue Tatsache ist auch erheblich, da es nicht um eine ärztliche Schätzung resp. Ermessensfrage geht (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 9C__834/2012 vom 1. Juli 2013, E. 3.4.2).»

 

Darauf ist abzustellen. Die geschilderten Tatsachen reichten für einen Anfangsverdacht gemäss Art. 309 StPO aus. Von einem «konstruierten Tatverdacht», wie dies die Verteidigung in ihrer Berufungserklärung vorbringt, kann somit nicht ausgegangen werden. Vielmehr häuften sich die Indizien für eine bewusste Steuerung des Verhaltens des Berufungsklägers. Es lag ein konkreter Verdacht i.S.v. Art. 282 Abs. 1 lit. a StPO auf einen potentiellen gewerbsmässigen Betrug der IV-Stelle i.S.v. Art. 146 Abs. 2 StGB und damit auf ein Verbrechen i.S.v. Art. 10 Abs. 2 StGB vor.

 

Ohne die angeordnete Observation wäre es nicht möglich gewesen, die im Raum stehenden Verdachtsmomente auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, weswegen die Ermittlungen ohne die Observation auch i.S.v. Art. 282 Abs. 1 lit. b StPO unverhältnismässig erschwert gewesen wären. Insbesondere waren auch mit allfälligen weiteren Gesprächen mit dem Beschuldigten und dessen Verwandten weitere Informationen zum tatsächlichen Gesundheitszustand nicht zu erwarten. Die von der IV-Stelle am 1./2. Februar 2011 in Auftrag gegebene Observation hätte demnach auch von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben werden können und war rechtmässig angeordnet.

 

3.1.4. Weiter ist zu prüfen, ob das in Frage stehende Beweismittel zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich ist.

 

Auch diese Frage ist – unter Verweis auf die Ausführungen der ersten Instanz (Urteil S-L, Ziff. II. / Ziff. 3.3. Zweites Lemma, S. 29) und die dort gemachten Verweise auf die Gesetzgebung und Rechtsprechung) vorliegend zu bejahen. Zu untersuchen war ein potentieller gewerbsmässiger Betrug zum Nachteil der IV-Stelle. Damit bestand ein Tatverdacht auf ein qualifiziertes Verbrechen i.S.v. Art. 10 Abs. 2 StPO bzw. auf eine «schwere Straftat» i.S.v. Art. 141 Abs. 2 StPO. Bereits vorstehend wurde ausgeführt, dass es ohne die zur Diskussion gestellte Observation nicht möglich gewesen wäre, die im Raum stehenden Vorhalte auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Damit war und ist das Beweismittel zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich.

 

3.1.5. Schliesslich ist zu prüfen, ob eine Interessenabwägung der öffentlichen Interessen an der Wahrheitsfindung gegen die privaten Interessen des Beschuldigten für gegen die Verwertbarkeit spricht.

 

Vorliegend ist u.a. ein gewerbsmässiger Betrug zum Nachteil der IV-Stelle zur Anklage gebracht worden. Damit besteht das öffentliche Interesse in der Aufklärung eines qualifizierten Betrugs zu Lasten des Sozialversicherungssystems und damit verbunden auch in der Wahrung des Vertrauens in die öffentliche Hand. Das öffentliche Interesse ist als sehr gross einzustufen; angebliche Missbräuche müssen zwingend geprüft werden. Das private Interesse des Beschuldigten, dass der Beweis unverwertbar bleibt und der mit der Observation verbundene Eingriff in die Privatsphäre des Beschuldigten wiegen verglichen klar weniger schwer (s. diesbezüglich auch die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz in ihrem Urteil [Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 3.3. Drittes Lemma, S. 29 f.]). Auch wenn der Beschuldigte teilweise auf seinem Balkon observiert wurde, war dieses Bewegungsfeld jederzeit öffentlich einsehbar. Dass dabei teilweise weitere Familienmitglieder anwesend gewesen sind, ist unerheblich. In der Wohnung selbst und damit im absolut geschützten Bereich wurde der Beschuldigte nie observiert. Schliesslich war der Beschuldigte keiner ständigen und systematischen Überwachung ausgesetzt, wurde er doch gerade einmal an elf Tagen im Überwachungszeitraum von sechs Monaten observiert, wobei er an einem der elf Tage nicht angetroffen werden konnte. Die Anforderungen des Bundesgerichts an die Verwertbarkeit der Berichte sind damit allesamt erfüllt, die Interessenabwägung spricht ganz grundsätzlich für die Verwertung der Observationsergebnisse.

 

3.1.6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sämtliche gesetzlichen Anforderungen wie auch diejenigen der Rechtsprechung an die Verwertung des Beweismittels vorliegend erfüllt sind. Die Observationsberichte der G.___ AG sind verwertbar. Die vorfrageweise gestellten Anträge der amtlichen Verteidigerin des Beschuldigten sind demnach auch im Berufungsverfahren abzuweisen. Dies ist im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen zu berücksichtigen.

 

3.2. Vorfrage der Verwertbarkeit des Arztberichts von Dr. D.___ vom 2. März 2012 und weiterer Berichte

 

In Ziff. II. / Ziff. 3 der Rechtsbegehren anlässlich der mündlichen Berufungsverhandlung beantragt der Beschuldigte, der Bericht von Dr. med. D.___ vom 2. März 2012 sei aus den Akten zu weisen, wobei dieser nicht gegen den Beschuldigten verwertet werden dürfe. In Ziff. II. / Ziff. 4 seiner Rechtsbegehren anlässlich der Berufungsverhandlung beantragt der Beschuldigte, es seien alle Aktenstücke, die nach Aktennahme der beiden Ermittlungsberichte vom 5. Juni 2011 und vom 5. Oktober 2011 erstellt wurden, aus den Akten zu weisen. Alle diese Aktenstücke dürften nicht gegen den Beschuldigten verwendet werden. Diese Anträge decken sich mit den bereits anlässlich der Berufungserklärung gestellten Anträgen der amtlichen Verteidigerin.

 

Zur Begründung führt der Beschuldigte aus, sowohl der Bericht von Dr. D.___ vom 2. März 2012 wie auch die weiteren, zur Diskussion gestellten Arztberichte würden sich auf die Ermittlungsberichte der Observation vom 5. Juni 2011 und vom 5. Oktober 2011 beziehen und/oder seien zumindest von diesen beeinflusst worden. Da die Ermittlungsberichte aus den Akten zu weisen seien, seien auch die nachfolgenden Dokumentationen unverwertbar (s. stellvertretend für alle Ausführungen die Zusammenfassung in der Einleitung im Urteil S-L, S. 3). 

 

Vorstehend wurde ausgeführt, weswegen die Anträge des Beschuldigten betreffend die Unverwertbarkeit der Ermittlungsberichte nicht gutgeheissen werden können (Ziff. II. / Lit. A, Ziff. 3.1.). Da die Observationsergebnisse bzw. die genannten Ermittlungsberichte vorliegend verwertbar sind, sind auch alle nach diesem Zeitpunkt erstellten Berichte, welche diese in ihre Beurteilung mit einbeziehen, grundsätzlich verwertbar. Hinweise, dass die monierten Dokumentationen aus anderen Gründen als aufgrund der monierten Ermittlungsberichte aus den Akten zu weisen wären, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht geltend gemacht. Auch diese Anträge des Beschuldigten sind demnach abzuweisen.

 

 

3.3. Sachliche Beweismittel

 

3.3.1. Vorbemerkung

 

In Bezug auf die sachlichen Beweismittel ist zunächst auf die Ausführungen der Vor-instanz in ihrem Urteil vom 15. März 2021 (Ziff. 4.1.1. [Vorbemerkungen] und Ziff. 4.1.2. [Chronologischer Verlauf]) zu verweisen. Die von der Vorinstanz gemachten Ausführungen hinsichtlich Verwaltungsverfahren (Ziff. 4.1.1.) sind korrekt. Weiter finden die Ausführungen der Vorinstanz hinsichtlich Rentenzusprache (Ziff. 4.1.2. lit. A), Rentenrevision (Ziff. 4.1.2. lit. B) und Observation (Ziff. 4.1.2. lit. C) ihre Stütze in den vorliegenden Akten, weswegen grundsätzlich auf sie abzustellen ist. Die nachfolgenden Ausführungen verstehen sich einzig als Ergänzung dazu.

 

3.3.2. Erste Anmeldung zum Bezug von IV-Leistungen für Versicherte vor dem 20. Altersjahr vom 21. August 2001 (AS 126)

In der ersten Anmeldung zum Bezug von IV-Leistungen für Versicherte vor dem 20. Altersjahr (s. auch Urteil S-L, Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. A lit. a, S. 31) gab der Beschuldigte unter Ziff. 5.2. «Nähere Angaben über die Art der Behinderung» an:

 

«Lernschwäche / Lernbehinderung, Rückenleiden».

 

Unter Ziff. 5.3. führte er auf die Frage, seit wann die Behinderung bestehe, aus:

 

«Lernschwäche festgestellt im JUP [gemeint: Jugendprogramm] / März 01 / Rückenleiden seit 5 Jahren».

 

3.3.3. Psychiatrisches Gutachten Dr. med. P.___ vom 16. Januar 2003 (AS 2086 ff.)

Ergänzend zu den von der Vorinstanz erwähnten Ausführungen (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. A lit. c, S. 32) hielt der Gutachter zum Status des Beschuldigten Folgendes fest:

 

«Er wirkt sehr unsicher, bemüht, folgsam, ängstlich, blickt ständig unruhig, rat- und hilflos herum, sitzt im Stuhl ganz verspannt, grimassiert gelegentlich etwas mit Schmerzausdruck im Gesicht, verweist dabei auf seine Rückenprobleme und will ab und zu aufstehen. Zu Beginn der Testausführung, eine Aufgabe, die ihn offenbar ablenkt, ist haltungsmässig und mimisch keine Schmerzdemonstration zu beobachten; im späteren Verlauf grimassiert er wieder vermehrt und greift sich häufig schmerzdemonstrativ an den Rücken.»

 

«Er spricht etwas hastig mit sehr leiser, nuschelnder Stimme, unscharfer Diktion, auffallend rudimentärer und fehlerhafter sprachlicher Formulierung sowie sehr häufigem Gebrauch von Dings als Füllwort, sodass man zunächst grösste Mühe hat zu verstehen, was er sagen will. Antworten erfolgen sehr oft neben der Frage vorbei (Danebenreden); der formale Gedankengang ist ideenflüchtig, assoziativ, thematisch hin- und herspringend; teils verliert er den Faden, offenbar leidet er an Wortfindungs- und/oder Erinnerungsstörungen. Es besteht eine gewisse Echolalie (DD Suggestibilität), indem man ihm Worte in den Mund legen kann, die er selbst gar nicht so sagen wollte.»

 

Der Gutachter weist darauf hin, dass vorliegend eine gemischte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen diagnostiziert werden (DD: mit depressiver Störung) könne, ferner eine intellektuelle Minderbegabung v.a. im Verbalbereich sowie eine erworbene Störung der kognitiven Leistung unklarer Aetiologie.

 

3.3.4. Gesuch um Erteilung eines Lernfahrausweises vom 9. August 2003 (AS 169 ff.)

Am 9. August 2003 stellte der Beschuldigte bei der Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Solothurn ein Gesuch um Erteilung des Lernfahr- bzw. Führerausweises der Kategorie B. Die Frage, ob bei ihm Geisteskrankheiten vorhanden seien, kreuzt er mit «Nein» an. Auch die Frage, ob er je in einer Klinik für Geisteskrankheiten Gemütskranke hospitalisiert gewesen sei und die Frage, ob er an anderen Krankheiten Gebrechen leide, die ihn am sicheren Führen eines Motorfahrzeugs hindern könnten, wird vom Beschuldigten jeweils mit «Nein» angekreuzt.

 

3.3.5. Schreiben von Frau Dr. med. R.___, zu Handen der IV-Stelle vom 2. Februar 2004 (AS 2064 f.)

Im Schreiben von Frau Dr. med. R.___ wird wörtlich festgehalten:

 

«Der junge Patient ist schwer krank und bedarf dringend einer stationären Therapie, die Chronifizierung ist bereits weit fortgeschritten und seine Situation aktuell desolat.»

 

3.3.6. Bescheinigung Theorieprüfung MFK vom 6. Februar 2004 (AS 169 ff.)

Am 6. Februar 2004 erhält der Beschuldigte die Bescheinigung, die Theorieprüfung (mit 13 Fehlern) bestanden zu haben. Dies, nachdem er sie am 30. Oktober 2003 (35 Fehler), am 20. Januar 2004 (18 Fehler) und am 30. Januar 2004 (15 Fehler) nicht bestanden hatte.

 

3.3.7. Bericht [Spital], Austrittsbericht vom 21. Mai 2004 über die Hospitalisation des Beschuldigten vom 4. Mai 2004 - 19. Mai 2004 (AS 2014 f.)

Dem Beschuldigten wird nebst den von der Vorinstanz festgehaltenen Feststellungen (Urteil S-L Ziff. Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. A lit. d, S. 32 f.) konkret eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine sonstige gemischte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (DD: mit depressiver Störung) und eine intellektuelle Minderbegabung (v.a. im Verbalbereich), welche aber die ICD-10-Forschungskriterien von F70 (leichte Intelligenzminderung) nicht erfülle, diagnostiziert. Testmässig bestehe ein ernsthafter Hinweis auf eine erworbene Störung der kognitiven Leistung unklarer Ätiologie.

 

Zur Passivität und Initiativlosigkeit des Beschuldigten wurde die Vermutung ausgesprochen, eventuell sei er emotional überfordert mit Trauer und Ängsten nach der schweren Erkrankung einer nahestehenden Tante wie auch der Mutter.

 

3.3.8. Anmeldung zum Bezug von IV-Leistungen für Erwachsene vom 16. August 2004 (AS 131 ff.)

In der Anmeldung zum Bezug von IV-Leistungen für Erwachsene vom 16. August 2004 (erwähnt im Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. A lit. e 1. Absatz, S. 33) gab der Beschuldigte unter Ziff. 7 «Angaben über die Behinderung» an:

 

 «Rückenprobleme, psychische Probleme».

 

Auf Frage 7.3. seit wann diese Behinderung bestehe, gab der Beschuldigte an:

 

«Seit Kindheit».

 

3.3.9. Führerscheinprüfung November 2004 – Oktober 2005 (AS 177 ff.)

Nachdem der Beschuldigte am 23. November 2004 (AS 174) und am 20. Januar 2005 (AS 175) die praktische Prüfung nicht bestanden hatte (am 20.01.2005 mit dem handschriftlichen Vermerk «Uneinsichtig!» versehen), fiel der Beschuldigte auch durch die dritte Prüfung vom 17. August 2005. Vermerkt wurden ein Eingriff bei «Missachtung Vortritt», «Lichtsignal» und «Seitwärts Parkieren.» Am 24. August 2005 wurde entsprechend die Durchführung eines Eignungstests angeordnet (AS 178).

 

Dieser Test, durchgeführt am 6. Oktober 2005 (AS 179), fiel negativ aus (AS 180 ff.). Dem Beschuldigten wurde angezeigt, dass die Gültigkeit seines Lernfahrausweises erloschen und ihm das Führen von Motorfahrzeugen ab sofort untersagt sei (AS 181).

 

3.3.10. Bericht von Dr. med. S.___, Oberarzt [Spital], vom 20. Oktober 2005 (AS 1990 f.)

Dem von der Vorinstanz erwähnten Bericht (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. A lit. f, S. 33) ist unter Anamnese hinsichtlich der von der Vorinstanz angesprochenen «Gesprächspunkte» konkret Folgendes zu entnehmen:

 

«Es war ausserordentlich schwierig, mit dem Patienten ein Gespräch aufzubauen. Initial verwehrte er jeglichen Augenkontakt, bat danach aufgrund von Rückenschmerzen auf die Untersuchungsliege zu liegen.»

 

«Er gibt an, an sehr vielen Schmerzen zu leiden und nicht lange sitzen zu können. Während der letzten Hospitalisation habe sich nichts verbessert, und er befinde sich in genau der gleichen Situation wieder. Die Schmerzen seien während der Hospitalisation sogar schlimmer geworden. Er habe schlimme Schmerzen im Rücken, an den Armen und Beinen. Weiter sei er sehr müde und verspüre keine Kraft an Armen und Beinen. Aus diesem Grund könne er sich nicht viel bewegen. Aufgrund der vielen Schmerzen werde er schnell nervös und würde bspw. Schimpfwörter anwenden.»

 

Weiter wurde festgehalten:

 

«Ich versuchte durch eine Wunderfrage, wie das Leben des Patienten wäre, würde er keine Schmerzen und Nervosität erleben, das Gespräch zu verbessern. Der Patient gab an, dass er dann arbeiten würde und heiraten. Weiter würde er eine Familie gründen und seinem Vater und seiner Mutter viel helfen.»

 

3.3.11. Erwerb des Führerscheins (Oktober 2005 – Februar 2006 (AS 182 ff.)

Nachdem ein verkehrspsychologisches Gutachten nur sehr knapp zu seinen Gunsten ausfiel (AS 182 ff.), bestand der Beschuldigte am 24. Februar 2006 den praktischen Teil der Führerprüfung und erwarb somit seinen Führerausweis.

 

Im Gutachten wurde dazu Folgendes festgehalten (AS 184):

 

«Ausreichend sichere, theoretische und gut durchschnittliche, praktische Lernfähigkeit. Durchschnittlich sicheres Informationsverständnis. Gute visuell-motorische Koordination. Durchschnittlich sichere, sensomotorische Lern- und Leistungssicherheit. Sorgfältiges Aufmerksamkeitsverhalten.»

 

«Herr A.___ vermag den funktionellen Leistungsanforderungen an sich zu genügen. Er zeigt in seinen Leistungsabläufen eine gewisse Zaghaftigkeit und unsichere Zurückhaltung. Er ist in seiner Selbstsicherheit eher schwach, obwohl er sich recht selbstbewusst gibt. Dies ist aber schnell durchschaubar. Hinter der Fassade von Selbstsicherheit verbirgt sich viel Angst und Unsicherheit. (…) Es fehlt an einer gewissen intellektuellen Einsichtsmöglichkeit. Seine automobilistischen Leistungsmöglichkeiten sind aber genügend zuverlässig. Trotz seiner leicht verminderten, geistigen Möglichkeit (er besuchte die Werkklasse) ist ihm ein situativ angepasstes und zielsicheres Fahren zuzutrauen.»

 

3.3.12. Arztbericht Dr. med. O.___ z.H. IV vom 11. August 2007 (AS 1984)

Ergänzend zu den von der Vorinstanz gemachten Ausführungen (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. A lit. h 3. Absatz, S. 34) wurde im Arztbericht von Dr. med. O.___ vom 11. August 2007 festgehalten, dass der Versicherte stark regressiv wirke, wenig spreche und auf Fragen mit grosser zeitlicher Latenz antworte. Meist laute die Antwort: «Ich weiss es nicht.» «Ich kann mich nicht erinnern.» Insgesamt sei der Beschuldigte wenig aktiv, weise eine zunehmende Impulskontrollstörung auf (habe eine Frau auf der Strasse attackiert) und sei sehr unzufrieden.

 

3.3.13. Psychiatrisches Gutachten Dr. med. D.___ z.Hd. IV-Stelle vom 20. Dezember 2007 (AS 1969 ff.)

Ergänzend zu den von der Vorinstanz bereits ausgeführten Feststellungen (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. A lit. j, S. 35 f.) hält der Gutachter fest, dass der Beschuldigte seit Jahren z.B. Bemühungen der Ärzte und der IV unterlaufe, ihn stationär abklären und behandeln zu lassen. Angesichts von fehlenden psychiatrischen und körperlichen Begleiterkrankungen und der normalen frühkindlichen Persönlichkeitsentwicklung sei dem Exploranden das Überwinden der schmerzbedingten Einschränkungen zumutbar. Eine stationäre psychiatrische Behandlung sei sinnvoll und zumutbar.

 

3.3.14. Bericht Dr. med. T.___ vom RAD vom 2. Juni 2008 (AS 510 ff, pag. 1953 ff.)

Im Gutachten von Dr. med. I.___ vom 8. März 2014 (AS 140 ff., konkret AS 150) wird der Bericht von Dr. med. T.___ vom RAD ebenfalls erwähnt – gestützt auf das Datum der Anfrage zur Berichterstattung wurde dieser im Gutachten jedoch auf den 9. Mai 2008 datiert. Ansonsten ist auf die Ausführungen der ersten Instanz (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. A lit. m, S. 37) zu verweisen.

 

3.3.15. Verlaufsbericht Dr. med. O.___ z.Hd. IV vom 25. November 2010 (erwähnt in Gutachten Dr. I.___, AS 147, AS 1924)

Ergänzend zu den Feststellungen der Vorinstanz (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. B lit. b, S. 38) ist festzuhalten, dass nach Ansicht des Psychiaters die Prognose des Beschuldigten «eher negativ» zu werten sei.

 

3.3.16. Erstes Revisionsgespräch vom 11. Januar 2011 (AS 010 ff., AS 1920 ff.)

Am 11. Januar 2011 fand in den Räumlichkeiten der IV-Stelle des Kantons Solothurn ein Revisionsgespräch mit dem Beschuldigten statt (s. diesbezüglich auch das Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. B lit. c, S. 38 f.). Darüber werden im Besprechungsprotokoll folgende Einträge vorgenommen:

 

-        «Diagnose: Rückenleiden / Lernschwäche-Lernbehinderung»

-        «Situation heute und Zufriedenheit damit: Die Rückenschmerzen machen grosse Probleme. Liegen geht am besten.»

-        «Tagesablauf: Kommt darauf an. Je nach dem wie es ihm geht.»

-        «Psychosoziale Situation: Kontakt mit Familie vorhanden. Cousin und Cousine kommen zu Besuch und helfen auch im Haushalt. Er gehe selten aus dem Haus, nur für kleine Spaziergänge.»

-        «Familiäre Situation, Kinderbetreuung: Wohnt seit kurzem alleine in einer kleinen Wohnung. Macht alles mit Hilfe von seiner Cousine und seinem Cousin.»

-        Medizinische Situation: (…) Wenn Sie den Gesundheitszustand mit vor zwei Jahren vergleichen – was hat sich verändert? Nichts, die Schmerzen sind eher schlechter geworden. Können sie sich am Leben freuen? Keine sichere Antwort.»

-        «Medikamente: Kann er nicht nennen (nimmt 3 Sorten regelmässig ein.»

-        «Beobachtungen / Gesprächsklima: Kopf immer gesenkt. Macht einen sehr bedrückten Eindruck. Steht während dem Gespräch dreimal auf, wegen den Rückenschmerzen. Antwortet auf viele Fragen nicht. Gepflegt. Modisch und sauber gekleidet.»

-        «Selbstprognose: Er füllt (recte: fühlt) sich zu krank um zu arbeiten.»

-        «Motivation, eine Arbeit aufzunehmen: Wenn es ihm besser gehen würde, würde er gerne wieder arbeiten.»

Zudem wurden folgenden Verweise zu bisherigen Erkenntnissen angebracht:

«Bericht [Spital] / Aufenthalt 04.05.2004 – 19.05.2004 / 100 AUF

Versicherter kann niemandem zugemutet werden.

Gutachten Dr. D.___, 20.12.2007 / Eine Depression ist nicht zu beobachten. Der Beschuldigte ist dagegen gezielt abwehrend und abweisend. Es muss davon ausgegangen werden, dass das Verhalten des Versicherten grossteils bewusst gesteuert wird. Er hat gelernt, wie man im Leben den Forderungen ausweicht und trotzdem irgendwie durchkommt.»

 

3.3.17. Überwachungsauftrag IV-Stelle an G.___ AG vom 1./2. Februar 2011 (AS 039 f.)

Am 1. Februar 2011 erteilte die IV-Stelle der G.___ AG einen Auftrag zur Überwachung des Beschuldigten. Als Überwachungsgrund und Verdachtsmomente wurde angegeben:

 

«Der Versicherte verlasse seine Wohnung nur sehr selten. Nur für kleine Spaziergänge. Zum Gespräch kommt vP aber alleine, gepflegt, modisch und sauber gekleidet.»

 

Der Auftrag bestand darin, festzustellen, ob der Beschuldigte seine Wohnung verlässt, und – wenn ja – in welchem Zustand.

 

3.3.18. Observationsergebnisse der G.___ AG (AS 043 ff.)

Der Beschuldigte wurde im Auftrag der IV-Stelle durch die G.___ AG wie folgt überwacht:

 

1. Bericht der G.___ AG vom 10. Juni 2011 (Ermittlungsphase vom 07.02.2011 - 20.05.2011, AS 043 ff., s. auch die Zusammenfassung im Urteil S-L Ziff. II. / 4.1.2. lit. C lit. b, S. 40 f.)

 

-        Montag, 07.02.2011, 06:00 Uhr - 14:00 Uhr;

-        Dienstag, 08.02.2011, 09:15 Uhr - 16:00 Uhr;

-        Dienstag, 29.03.2011, 09:00 Uhr - 12:00 Uhr;

-        Dienstag, 19.04.2011, 09:00 Uhr - 16:00 Uhr;

-        Freitag, 20.05.2011, 17:00 Uhr - 22:00 Uhr.

 

Gemäss Feststellungen der observierenden Person wohnte der Beschuldigte zusammen mit seiner Lebenspartnerin im zweiten Obergeschoss. Der Beschuldigte verliess die Wohnung sowohl alleine als auch in Begleitung, dies zu Fuss. Am 7. Februar 2011 trugen sowohl der Beschuldigte als auch seine Partnerin verschiedene, teilweise schwere Taschen und Behältnisse zu Fuss nach Hause. Am 8. Februar 2011 konnte der Beschuldigte mehrfach telefonieren und hin- und herlaufend festgestellt werden sowie, wie er zu Fuss in die Altstadt von [Ort 1] lief. Am 29. März 2011 konnte der Beschuldigte festgestellt werden, wie er zwei prall gefüllte 35L-Abfallsäcke zum Container trug und dort entsorgte. Am 19. April 2011, nach dem Termin bei der IV-Stelle, habe der Beschuldigte offensichtlich Gäste gehabt und sich auf dem Balkon während 80 Minuten mit einem der Gäste unterhalten. Nach Ansicht des Observierenden handle es sich beim Beschuldigten um einen kontakt- und lebensfreudigen jungen Mann. Im Umgang mit ihm bekannten Personen wirke er liebevoll (Lebenspartnerin) als auch interessiert sowie mitteilungsfreudig (männlicher Gast). Offensichtliche körperliche Behinderungen konnte nicht festgestellt bzw. nicht augenscheinlich erkannt werden. Der Beschuldigte wurde als vital, mobil, geschmeidig und agil wahrgenommen. In Mimik und Gestik konnten keine Anzeichen festgestellt werden, welche den Schluss zuliessen, der Beschuldigte sei in irgendeiner Form handicapiert bzw. beeinträchtigt.

 

Die entsprechenden Feststellungen der Observierenden wurden im Bericht mit Fotos ergänzt.

 

2. Bericht der G.___ AG vom 05. Oktober 2011 (Ermittlungsphase vom 28.07.2011 - 19.08.2011, AS 068 ff., s. auch die Zusammenfassung im Urteil S-L Ziff. II. / 4.1.2. lit. C lit. c, S. 41)

-        Donnerstag, 28.07.2011, 16:00 Uhr - 23:45 Uhr; Beschuldigter nicht festgestellt;

-        Freitag, 29.07.2011, 15:00 Uhr - 24:00 Uhr;

-        Samstag, 30.07.2011, 18:00 Uhr - 23:15 Uhr;

-        Mittwoch, 17.08.2011, 13:00 Uhr - 19:00 Uhr;

-        Donnerstag, 18.08.2011, 12:00 Uhr - 20:00 Uhr;

-        Freitag, 19.08.2011, 12:00 Uhr - 18:30 Uhr.

 

Gemäss Feststellung der observierenden Person wohnte der Beschuldigte weiterhin mit seiner (schwangeren) Partnerin zusammen und war hauptsächlich mit dieser unterwegs. Am 29. Juli 2011 habe der Beschuldigte Besuch gehabt, worauf er sämtliche Personen im Laufe des Abends zu einer Mehrfamilienhaussiedlung in Solothurn chauffiert und diese Adresse bis Mitternacht nicht mehr verlassen habe. Am 30. Juli 2011 habe der Beschuldigte wiederum Gäste gehabt. Analog des Vortages sei er mit den Gästen wieder an die [Strasse] in [Ort 1] gefahren, wo er verschiedene Gegenstände aus dem Stauraum des Wagens ausgeladen und zur Liegenschaft getragen habe (u.a. Flachbildschirm/Monitor eine in Tüchern verpackte Glasplatte). Er sei, nachdem er eine Satelliten-Schüssel in der Hand aus dem MFH getragen habe, alleine an sein Privatdomizil zurückgefahren, bevor er dieses mit seiner Partnerin nachts noch einmal verlassen habe, um zur Liegenschaft an der [Strasse] zu fahren. Am 17. August 2011 sei er zusammen mit seiner Partnerin zu einer Probefahrt eines Opel Astra in [Ort 5] gefahren. Am 18. August 2011 hätten der Beschuldigte und seine Partnerin in [Ort 6] und [Ort 7] Einkäufe im Conforama, im Mediamarkt sowie in einem Einkaufszentrum getätigt, bevor sie in [Ort 1] durch die Altstadt gebummelt und im Interdiscount etwas gekauft hätten. Am 19. August 2011 sei der Beschuldigte erneut ins Conforama nach [Ort 6] bzw. nach [Ort 8] in die Lipo gefahren.

 

Am zweiten Überwachungstag habe festgestellt werden können, dass die Zielperson über einen weissen, handgeschalteten Mitsubishi Colt verfügte, welcher jeweils rechts vom Hauseingang auf einem Abstellplatz im Freien geparkt gewesen sei. Dieser sei auf einen Garagenbetrieb in [Ort 5] immatrikuliert. Der Beschuldigte sei teilweise mehrfach am Tag mit dem genannten Fahrzeug unterwegs, wobei er den Wagen sicher sowie ohne Auffälligkeiten durch den Verkehr gelenkt habe. Der Beschuldigte habe verschiedentliche soziale Kontakte, sei es als Gastgeber in der eigenen Wohnung, als er in [Ort 1] ihm bekannte Personen getroffen habe als er das MFH an der [Strasse] aufgesucht habe. Der Beschuldigte habe in den beobachteten, angeregten Gesprächen entspannt als auch gelöst gewirkt. Die involvierten Sachbearbeiter vermochten keine Anzeichen zu erkennen, wonach der Beschuldigte bezüglich seiner physischen psychischen Konstitution in gravierender Form gehandicapt gewesen wäre.

 

Folgende Bemerkung wurde angefügt:

 

«Erwähnenswert sind einzig die Feststellungen vom 29.07.2011, als die Zielperson mit bandagierter linker Hand und mit dem rechten Bein hinkend den Balkon betrat. Am Folgetag hatte sie den Verband abgenommen und auch das Hinken war in den folgenden Überwachungen nicht mehr feststellbar.».

 

Auch hier wurde der Observationsbericht mit Fotos ergänzt.

 

3.3.19. Drittes Revisionsgespräch vom 19. April 2011 (AS 017, AS 1910)

Zum dritten Revisionsgespräch (s. auch Urteil S-L Ziff. II. / 4.2.1. Lit. B lit. e, S. 39) erscheint der Beschuldigte in Begleitung seiner Cousine, U.___. Festgehalten wird konkret Folgendes:

 

-        «Wie oft besuchen sie Herr A.___? Er sei wie ein Bruder für sie. Im Moment arbeite sie nicht und verbringe den ganzen Tag bei ihm. Sie erledige den ganzen Haushalt und kiche (recte: koche) für den Versicherten.»

-        «Begleitet Herr A.___ sie zum einkaufen? Manchmal ja, alleine gehe er nie aus dem Haus. Auch kurze Spaziergänge werden zusammen unternommen.»

-        Was macht Herr A.___ den ganzen Tag? Er schaue ihr bei der Arbeit zu sitze vor dem Fernseher.»

-        «Spricht Herr A.___ mit ihnen? Sehr selten. Doch sie verstehe ihn auch ohne Worte.»

-        «Wer würde Herr A.___ betreuen, wenn sie arbeiten würden? Ihr Ehemann, er spreche noch kein Deutsch und könne aus diesem Grund nicht arbeiten. Er sei erst vor 3 Jahren in die Schweiz gekommen. Auch der Bruder des Versicherten schaue jeden Tag nach der Arbeit vorbei.»

-        «Weshalb hat er eine eigene Wohnung genommen. Er wollte es einfach. Weshalb wisse sie nicht. Herr A.___ zog nur die Schultern hoch – eine Antwort erhielten wir nicht.»

 

3.3.20. Viertes (und letztes) Revisionsgespräch vom 6. September 2011 (AS 018)

Zum vierten Gespräch wurde ergänzend zu den Feststellungen der Vorinstanz (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. B lit. f, S. 39) festgehalten, dass der Beschuldigte gemäss Angaben seiner Mutter noch immer alleine in seiner Wohnung lebe und immer noch auf die Hilfe Dritter angewiesen sei. Aus dem Haus gehe er nie ohne Begleitung.

 

3.3.21. Psychiatrische Verlaufsbegutachtung Dr. med. D.___ vom 8. Dezember 2011 bzw. Verlaufsbericht vom 17. Januar 2012 (AS 019 ff., AS 1893 ff.)

Dr. med. D.___ hält in seinem Bericht ergänzend zu den Feststellungen der Vorinstanz (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.2. lit. B lit. g, S. 30 f.) weiter Folgendes fest:

 

-        «Kontaktverhalten: Der Versicherte nimmt mit dem Gegenüber nur sporadisch Kontakt auf und vermeidet den Augenkontakt. Er steht mehrmals auf und geht im Zimmer herum. Er erklärt sein Verhalten nicht. Es bleibt unklar, ob der Versicherte so allfälligen Schmerzen ausweichen will. Gesamthaft ist der affektive Rapport schwer herstellbar.»

-        «Aufmerksamkeit und Konzentration: Soweit überprüfbar ist hier keine Einschränkung zu beobachten.»

-        «Affektivität: Der Versicherte ist nicht depressiv, ist aber beinahe mutistisch. (…)»

 

Als Diagnosen wurden – wenn auch angeblich nicht gesichert – aufgeführt:

 

-        «Vermutlich pathologische Familienstruktur (ICD-10: Z63)»

-        «Verdacht auf Persönlichkeitsstörung (F61.0)»

-        «Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung (Z73)»

 

Im Bericht selber wurde ausgeführt:

 

«Es haben sich noch andere Änderungen eingestellt, insbesondere steht, im Gegensatz zur Untersuchung vom November 2007, jetzt nicht mehr die Schmerzsituation im Vordergrund. Von sich aus spricht der Versicherte kaum darüber, auch wirkt er auf die Schmerzen nicht fixiert, er zeigt ein groteskes Schmerzverhalten. Entweder war die anhaltende somatoforme Schmerzstörung 2007 ein Artefakt es hat sich tatsächlich eine Änderung eingestellt, indem die Schmerzsituation in den Hintergrund getreten ist. Auch hier muss darauf hingewiesen werden, dass angesichts der mangelnden Gesprächsbereitschaft des Versicherten keine endgültige Beurteilung erfolgen kann.»

 

«Ausschliessen lässt sich aber noch heute nicht, dass Herr A.___ sein Verhalten bewusst steuert, kann er doch so einen sekundären Krankheitsgewinn erzielen.»

 

3.3.22. Wissenschaftlich forensisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. med. K.___ vom 12. Mai 2015 (AS 219 ff.)

Ergänzend zu den in den Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils (Ziff. II. / Ziff. 4.2.2. lit. B. lit. q, S. 59 f.) genannten Feststellungen des Gutachters hielt dieser Folgendes fest:

 

AS 273 zur psychiatrischen Untersuchung: «(…) Zum Explorationstermin erschien der Explorand in Begleitung seiner Mutter in gepflegter, modischer und adäquater Freizeitbegleitung. Auf dem Kopf trug er die Mütze mit der Aufschrift "99 Problems". Darauf angesprochen berichtete er, keine Ahnung zu haben, was darauf geschrieben sei. Nach Aufklärung über Sinn, Zweck und Ablauf des Gutachtens erklärte sich der Explorand einverstanden, am Gutachten teilzunehmen, bestätigte dies schriftlich und war diesbezüglich urteilsfähig. Er erkundigte sich dabei darüber, ob sein Rechtsvertreter im Verlauf Einsicht in die Begutachtung bekommen könne, was ihm insofern bestätigte wurde, dass sein Anwalt über die Auftraggeber ein Gutachten anfordern könne. Später vorgelegte Entbindungserklärungen zum Einholen von Informationen von Drittpersonen unterschrieb der Explorand später ohne zu zögern. Direkt befragt nach Personen, die ihn langfristig ärztlich betreut hätten bzw. der Schweigepflicht unterstehen, wirkte Herr A.___ des Öfteren ratlos, berichtete, darüber keine genaue Kenntnis zu haben. Er bat dann darum, dass seine Mutter dies genauer ausführen könnte. In seinen Ausführungen war Herr A.___ meist knapp und beschrieb Sachverhalte nicht im Detail. Fast ausschliesslich erzählte er nichts aus eigener Initiative und antwortete nur auf Fragen. Er machte dabei einen meist ratlosen Eindruck und berichtete des Öfteren, dass Befragungen dieser Art ihn "stressen" würden. Im zunehmenden Verlauf der ersten Exploration am 25.02.2015 stöhnte der Explorand dann wiederholt und bat nach Schilderung der aktuellen Beschwerdesymptome aufstehen zu können, da es ihn sonst zu sehr bedrücke. Zur weiteren Terminvereinbarung für die psychologische Zusatzuntersuchung wurde daraufhin mit Einverständnis des Exploranden die Mutter hinzugerufen. Nachdem die Termine vereinbart worden waren, bat er um eine Zigarettenpause, bei der ihn seine Mutter begleitete. Nach einer kurzen Unterbrechung erschien Herr A.___ dann selbstständig wieder im Untersuchungszimmer. In der Interaktion mit dem Dolmetscher, wünschte Herr A.___ zu Beginn, dass dieser für ihn übersetzt und fragte teilweise nach, wenn er etwas nicht verstand wie zum Beispiel den Begriff eines Beistandes. Er blickte im Gespräch jedoch meist an den Gesprächspartnern vorbei. Als seine Mutter anwesend war, um später noch Vorkommnisse aus der Kindheit des Exploranden zu berichten, stützte er seinen Kopf mit Blick auf den Boden auf seinen Händen ab. Zuvor hatte er nach anderthalb Stunden berichtet, dass ihn das Gespräch zunehmend beschwere, eine weitere halbe Stunde könne er jedoch aufbringen. In der affektiven Modulationsbreite wirkte der Explorand eingeschränkt, stärkere Affektzustände wurden bei der ersten Exploration nicht hervorgerufen. Er wirkte jedoch nicht feindselig abweisend, psychomotorisch eher ruhig.»

 

«Am 04.03.15 erschienen Mutter und Explorand in der Ambulanz zur abgemachten Untersuchung EEG/Neuropsychologie, wobei sie sich allerdings an einem nahe gelegenen anderen Raum einfinden sollten. Die Mutter machte dabei einen leidenden Eindruck und wollte über eine inzwischen stattgefundene Selbstverletzung des Exploranden berichten. Vom Sachverständigen darauf hingewiesen, dass ein örtlicher Irrtum vorliege und Herr A.___ erst in der folgenden Woche beim Gutachter an diesem Ort ein weiteres Gespräch habe, wurde die Mutter aufbrausend/gereizt und sprach von Fehlern der anderen, konnte jedoch rasch über die Verwechslung aufgeklärt werden.»

 

«Zur Exploration am 12.03.2015 erschien der Explorand ebenso in Begleitung seiner Mutter. Er merkte zu Beginn an, dass ihm schlecht sei. Er habe „Übelkeit im Magen", wahrscheinlich da er Medikamente auf nüchternen Magen genommen habe. Verlangsamt bewegte er sich zum Untersuchungszimmer. Der Gang war schlurfend, der getragene Pullover leicht fleckig. Er liess während der gesamten Exploration Mütze und Jacke trotz Aufforderung des Dolmetschers an, bei der warmen Umgebungstemperatur diese auszuziehen. Der Pelzkragen des Mantels hing halb ungeknöpft vom Mantel ab. Laut Angaben des Dolmetschers verwendete er auch im zweiten Gespräch einfache Hauptsätze mit einem normalen Wortschatz, jedoch mit "keinen tiefgründigen Inhalten". Während der Exploration bat er um einen Tee und eine Cola, welches er in der Folge auch trank. Dabei drehte er ungeschickt die Flasche auf und goss sich, jedoch ohne Flüssigkeit zu verlieren, recht flach ein Glas ein. Der grob kursorische Blick auf den Zahnstatus offenbarte hingegen gepflegte, weisse Zähne. Nach ca. 45 Minuten bat der Explorand um eine Zigarettenpause, erschien anschliessend wieder selbständig im Untersuchungsraum. Zuweilen stöhnte der Explorand hörbar und schaute zwischen den Fragen im Raum umher. Als die Mutter befragt wurde, erschien er nach ca. 45 Minuten im Raum schlurfenden Schrittes und halbgeschlossenen Augen, um sich dann kraftlos zu verabschieden.»

 

«Zusammenfassend kann bezüglich des Psychostatus, der während der psychiatrischen Untersuchungen erhoben wurde, Folgendes festgehalten werden: Es präsentierte sich ein zum Zeitpunkt der Exploration 31-jähriger, im äusseren Habitus altersentsprechend wirkender Explorand türkischer Herkunft in gutem Allgemein- und Ernährungszustand. Herr A.___ erschien zum ersten Explorationstermin in gepflegtem Erscheinungsbild und modischer Alltagsbekleidung, zum zweiten Explorationstermin wirkte diese leicht beschmutzt, der Pelzkragen des Mantels falsch geknöpft und die Mütze falsch aufgesetzt. Er sprach ohne Hinweise auf das Vorliegen einer Sprach- Sprechstörung wie z. B. Heiserkeit, Stimmlosigkeit Stottern. Er antwortete in verlangsamtem Gesprächstempo und verfügte laut Dolmetscher über ein dem Bildungsstand entsprechendes, einfaches Ausdrucksvermögen. Zeitweilig verstand Herr A.___ vom Gutachter Gesagtes auf Deutsch, in diesem Fall war eine Übersetzung nicht nötig. Der Explorand war bei allen Untersuchungsterminen wach und bewusstseinsklar, machte aber meist zu Ende der Exploration durch halbgeschlossene Lider einen eher müden Eindruck. Er konnte jedoch dem Gesprächsverlauf weiter folgen, auf Inhalte rasch reagieren und wirkte dabei nicht somnolent. Befragt nach der Orientierung war der Explorand zeitlich nicht sicher orientiert, benannte das Jahr mit 2014 und konnte die Jahreszeit nicht richtig benennen. Angaben zur eigenen Person bzw. biographische Angaben konnte der Explorand nur in ein sehr grobes chronologisches Zeitgitter einordnen, genauere Angaben zu Jahreszahlen bzw. basale biographische Angaben waren trotz wiederholter Nachfrage nicht möglich. Der Explorand konnte zunehmend den Augenkontakt halten, der Blick wirkte jedoch zeitweise im Raum herumwandernd bzw. am Gesprächspartner vorbeisehend. Davon abgesehen war er im Verlauf von beiden Explorationen meist euthym gestimmt und äusserte sich auch ruhig bei subjektiv belastenden Themen. Die Konzentration wurde mit Hilfe von Rechenaufgaben (wiederholte Subtraktion von 7 von wo: eine von drei richtig) und Rückwärtsbuchstabieren (Wort: Radio, vom Exploranden nicht wiederholt) geprüft. Die Merkfähigkeit (drei von drei Begriffen wiederholen) konnte er trotz dreimaligem Wiederholen des Dolmetschers nur verzögert und fehlerhaft wiedergeben (zwei von drei). Die Gedächtnisfähigkeit wurde anschliessend nicht explizit geprüft, Angaben zu vergangen Inhalten waren dabei jedoch stark subjektiv fehlerbelastet. Transferleistungen und Auffassungsgabe erschienen vordergründig beeinträchtigt. Im formalen Gedankengang wirkte der Explorand soweit kohärent und inhaltlich nachvollziehbar, die Antwortqualitäten erinnerten aber teils an Vorbeireden, so schien er teils formal eingeengt auf eine Episode mit dem Messer, berichtete dann, dass ihm zeitweilig der Kopf "stehenbleibe" und er nicht mehr denken könne. Der Kopf leere sich auf einmal und er denke nicht mehr, was fünf- bis zehnmal pro Tag passieren würde. Dieses Phänomen könnte im weitesten Sinne im Rahmen eines Gedankenabreissens bzw. eines Gesperrtseins interpretiert werden. Nachfragen nach Gedankendrängen bzw. Gedankenkreisen verneinte der Explorand jedoch. Es bestanden keine Hinweise für spezifisch ausgeprägte Phobien, Zwangsgedanken Zwangshandlungen. Hingegen berichtete der Explorand, dass er Angst habe, wenn die Stimme ihm ins Ohr reden würde und er Angst vor deren Schreien habe. Ebenso berichtete er, dass die Stimme dann sagen würde: „Tue jemandem etwas an, wenn du es nicht tust, bringe ich dich um!" und dass wenn er in ein Zimmer gehe, er dann aus Angst um sich schaue. Andere Befürchtungen äusserte Herr A.___ nicht. Nachgefragt nach inhaltlichen Denkstörungen im Sinne eines Wahngeschehens einer Wahnwahrnehmung berichtete er, dass die Stimmen ihm etwas Böses tun wollten. Leute im Allgemeinen würden ihm jedoch nichts Böses wollen. Angesprochen auf Phänomene einer Wahnstimmung entgegnete der Explorand, dass er letztes Mal in der Exploration einen Mann in der Ecke gesehen habe, der mit dem Finger vor dem Mund ihm bedeutet habe still zu sein. Manchmal fühle er sich wie Gott bzw. mächtig. Angesprochen auf etwaiges Stimmenhören, optische akustische Phänomene, berichtete Herr A.___, dass er eine männliche Stimme höre, die jeweils die Stimmhöhe verändern würde. Sie würde ihm ca. zwei- bis dreimal pro Tag Befehle erteilen. Angesprochen auf deren Beeinflussbarkeit berichtete er, diese auf den Rat der Ärzte zu ignorieren, manchmal tue er aber auch, was die Stimme ihm sage. Auf die Frage, ob diese auch häufiger auftreten würde und unter welchen Bedingungen, war keine verwertbare Antwort zu erhalten. Das letzte Mal habe ihm die Stimme befohlen: "Schneide dich mit dem Messer!" Er entblösste daraufhin den linken Unterarm und den rechten Unterschenkel, an denen man kleinere oberflächliche Kratzspuren ca. von 3-5 cm Länge feststellen konnte. Angesprochen auf olfaktorische und zönästhetische Halluzinationen berichtete er, manchmal "stinkige Luft" zu riechen. Wenn er eindöse, habe er den Eindruck, in eine andere Welt überzugehen. Einmal pro Woche rieche er etwas wie Leichengeruch. Des Abends sehe er einen Geist, der in der Wohnung herumschwebe und dann wieder verschwinde, dies ca. zweimal die Woche. Im Fernsehen sehe er in der Werbung dann einen Mann, der an die Stelle der Figuren trete und ihn frage, wie es ihm gehe. Dies mache ihm Angst. Die Frequenz dieser Erscheinungen konnte er nicht genau benennen. Manchmal sehe er ein komisches Gesicht im Zusammenhang mit seinem Stimmenhören, das Wunden trage, das er jedoch nicht kenne. Dies könne öfters vorkommen, auch wenn er schlafe. Er habe Angst vor diesem. Zu Phänomenen von Ich-Störungen, wie z. B. Gedankenausbreiten, berichtete der Explorand, dass, wenn Leute ihn schief anschauen würden, er wütend werden würde und diese umbringen wolle. Gedankeneingebung bzw. -entzug verneinte er hingegen. Angesprochen auf andere Fremdbeeinflussungserlebnisse berichtete er, dass, wenn Licht erscheine, er den Eindruck habe, dass heute Ausserirdische kommen würden. In seiner Wohnung zu Hause würde er sich wie in einer anderen Wohnung fühlen. Die Angaben zu Ich-Störungen waren dahingehend inkongruent bzw. anderen psychopathologischen Phänomenen zuordenbar. Auf einer Affektskala von 0-10 ordnete er sich selbst auf einen Wert von 0 ein. Er habe kein Bedürfnis etwas zu tun und wolle lieber sterben. Er fühle sich selbst traurig. Er verneinte zirkadiane Besonderheiten und berichtete über den Wunsch, im Himmel fliegen zu wollen. Nachgefragt nach Antrieb bzw. Interesse / Lust etwas zu unternehmen, sagte er, "dass dies schon sein könnte". Er wirkte motorisch ruhig und psychomotorisch verlangsamt. Angesprochen auf etwaige Suizidgedanken berichtete er, diese fast jeden Tag zu haben. Auf die Frage, ob er einen konkreten Plan habe, antwortete er dahingehend, dass er vom Balkon springen eine grosse Anzahl von Medikamenten einnehmen würde. Diese Idee komme von den Stimmen, die ihm dies befehlen würden. Er habe jedoch Angst vor dem Tod, was ihn davon abhalten würde. Hinsichtlich einer allfälligen Fremdgefährdung entgegnete er, dass er einen Jungen im Manor, der ihn schief angeschaut habe, ca. eine Woche gesucht und sich ein Messer besorgt habe und diesen sonst abgestochen hätte. Ansonsten habe er keine Handlungsabsichten bzw. äusserte keine akuten Drohungen. Es ergaben sich in den Explorationen deutliche Hinweise auf Aggravation bzw. manipulative Symptompräsentation von psychopathologischen Befunden bzw. einer psychischen Störung.»

 

AS 278: «Nach seinem Selbstbild befragt berichtete er, dass er sich selbst nicht beschreiben könne. Er sei jedoch immer traurig.»

 

AS 279: «Als Diagnosen werden gestellt: Nicht-authentische kognitive Minderleistungen im Sinne vorgetäuschter aggravierter kognitiver Störungen Nicht-authentische, vorgetäuschte aggravierte psychische Beschwerden.»

 

AS 279: «Keine der in den Akten jemals diskutierten psychiatrischen Erkrankungen (somatoforme Schmerzstörung, Depression, Schizophrenie) vermag einzeln in Kombination ein solches Leistungsverhalten, wie in den durchgeführten Testverfahren demonstriert, zu erklären. (...) Bezüglich der gesamten Krankengeschichte ist festzustellen, dass auch von den Angehörigen des Exploranden in der Vergangenheit wie aktuell keine validen Informationen zu erhalten waren. (...) Zusammenfassend lässt sich mit ausreichender diagnostischer Sicherheit kein Störungsbild festmachen, welches das vom Exploranden demonstrierte Verhalten vollumfänglich erklären würde. (...) Damit kann die demonstrierte kognitive Leistungsfähigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als vorgetäuschte neuropsychologische Störung eingestuft werden.»

 

AS 279: «In Bezug auf den gesamten Gesundheitszustand des Exploranden lässt sich jedoch nicht ausschliessen, dass er subjektiv unter psychischen Beschwerden leidet und sich aufgrund dieser Beschwerden in seinen Alltagsfunktionen beeinträchtigt eingeschränkt fühlt. Es ist aber aufgrund der Untersuchungsergebnisse, insbesondere der Ergebnisse in den Beschwerdenvalidierungsverfahren sowie aufgrund der aufgezeigten Inkonsistenzen und Widersprüche sehr unwahrscheinlich, dass er die Beschwerden in der jeweils angegebenen Qualität und Ausprägung aufweist. Der Explorand konnte in der Untersuchung somit nicht den Nachweis erbringen, dass die von ihm beklagten Beschwerden so schwerwiegend und die dadurch bedingten Funktions- und Leistungsbeeinträchtigungen so erheblich ausgeprägt sind, wie er dies zu früheren Zeitpunkten (u.a. Gespräch anlässlich der Rentenrevision, Darstellung bei den psychiatrischen Begutachtungen) angegeben bzw. demonstriert hatte.»

 

Im Rahmen der Zusammenfassung:

 

AS 285: «Die neuropsychologische Zusatzuntersuchung kam zum Schluss, dass eine invalide Beschwerdeschilderung durch den Exploranden vorliegt und es sehr unwahrscheinlich ist, dass er die Beschwerden in der jeweils angegebenen Qualität und Ausprägung tatsächlich aufweist, so dass man zumindest von einer aggravierten Darstellung psychischer Beschwerden bzw. einer kognitiven Störung ausgehen muss. Es ist also festzuhalten, dass der Explorand konsistent etwas darzustellen versuchte, was in einem derartigen Ausmass bei ihm nicht bestand. Insofern ist aus gutachterlicher Sicht festzuhalten, dass eine schwere psychische Störung an sich positiv nicht belegbar ist und der Kern einer allfälligen Funktionseinschränkung sich „vernebelt" darstellt. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass das Ausmass dieser allfälligen Funktionseinschränkung bei weitem nicht wie vom Exploranden subjektiv angegeben vorliegt.»

 

AS 292: «Fasst man die Ergebnisse der klinischen Beurteilung und der Auswertung der in den Akten zur Verfügung stehenden Informationen als auch die neuropsychologische Zusatzuntersuchung zusammen, so ist die diagnostische Einschätzung des Exploranden durch die Beschwerdeverzerrung als auch mangelnde Kooperationsbereitschaft deutlich erschwert. Das genaue Ausmass einer möglichen Funktionseinschränkung ist verfälscht; zu postulieren ist aber, dass das präsentierte Ausmass bei weitem nicht so ausgeprägt ist wie vom Exploranden vorgegeben. (…)»

 

Abschliessend attestiert der Gutachter dem Beschuldigten sogar eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit hinsichtlich der zur Beurteilung stehenden Betrugsdelikte (AS 299):

 

«Aufgrund der statistischen, idiografischen als auch hypothesengeleiteten Fallbeurteilung ist von Sachverständigenseite davon auszugehen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Explorand seine aktuelle Beschwerdepräsentation auch in Zukunft weiter so fortführen wird. Sollte er rechtsgenüglich aufgrund dieses Problemverhaltens wegen des Straftatbestandes des Betruges verurteilt werden, so ist hinsichtlich der Mitwirkungspflicht bzw. der offenen Selbstdarstellung gegenüber der Sozialversicherungsträger von einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit des aktuell vorgeworfenen Straftatbestandes auszugehen. Hinsichtlich der in den Akten zu findenden Hinweise auf häusliche Gewalt ergibt sich aufgrund des unkooperativen Verhaltens des Exploranden die Schwierigkeit, eine valide Einordnung des Bedrohungsszenarios für Familie bzw. Ehefrau aufzeigen zu können. Festzuhalten ist jedoch, dass keine derartig schwerwiegende Psychopathologie zum aktuellen Zeitpunkt anzunehmen ist, dass eine risikoerhöhende Beeinflussung eines allfälligen Rückfallrisikos zu konstatieren ist. Dementsprechend ist am ehesten von einer Rückfallrate für häusliche Gewalt analog der spezifischen Basisrate der Normalbevölkerung auszugehen.»

 

Schliesslich betreffend Therapie und Massnahme:

 

AS 299: «Eine Behandlung würde entgegen dem erhofften Erfolg eine Bestätigung der Krankenrolle für den Exploranden bedeuten.»

 

3.3.23. Neuropsychologisches Zusatzgutachten von Dipl. Psych. L.___ vom 18. April 2015 (AS 187 ff.)

Diesbezüglich wird zunächst auf die zusammenfassenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil (Ziff. II. / Ziff. 4.2.2. lit. B. lit. p., S. 58 f.) verwiesen. Ergänzend zu den gemachten Ausführungen ist darauf hinzuweisen, dass Frau Dipl. Psych. L.___ einleitend zu ihren Ausführungen festgestellt hat, dass sämtliche Untersuchungen im Beisein eines Dolmetschers stattgefunden haben.

 

Weiter hielt die Psychologin fest (AS 194 f.):

 

«Der rechtshändige Explorand erschien zu beiden Zeitpunkten pünktlich in Begleitung seiner Mutter zur Untersuchung. Der Händedruck des schläfrig wirkenden Exploranden war bei der Begrüssung schlaff, den Blickkontakt vermied der Explorand zunächst. Er war beim ersten Termin sehr leger mit olivgrüner Hose, blauem Pullover, Parka und schwarzer Mütze bekleidet und legte weder die Mütze noch den Parka während der mehrstündigen Untersuchung ab. Im Unterschied zum kurzen, gestutzten Bart, welchen er während der Überwachung 2011 trug, fand sich nun ein unrasierter Bartwuchs. Gleich zu Untersuchungsbeginn, nach erfolgter Blutentnahme, fiel auf, dass der Explorand den Pullover mit der Innenseite nach aussen und der Rückseite vorn trug, so dass das Etikett zu sehen war. Darauf angesprochen stellte der Explorand in gereiztem Ton klar, dass es sich nicht um ein Versehen, sondern um einen bewussten Kleidungsstil handle, der ihm so gefalle. Direkt nach dieser Episode berichtete der Explorand von sich aus, dass die Stimme, welche er höre, ihm befohlen habe, sich selbst zu verletzen. Er habe sich deshalb tags zuvor tief mit dem Messer in den linken Unterarm und die linke Wade geschnitten, so dass die Blutungen kaum zu stoppen gewesen seien. Der Aufforderung der Referentin, die Verletzungen doch zu zeigen, kam der Explorand nur widerstrebend nach. Schliesslich präsentierte der Explorand zwei verkrustete, längere Kratzer in der oberen Epidermis; ein Pflaster sonstigen Verband trug er nicht.»

 

«Ein affektiver Rapport war im gesamten Untersuchungsverlauf kaum herstellbar. Der Explorand wirkte gleichgültig bis missmutig, verhielt sich ausgesprochen passiv und interagierte bis auf wenige Ausnahmen nur mit dem Dolmetscher, wobei er andeutete, selbst kaum Deutsch zu verstehen zu sprechen. Selbst schriftliche Testinstruktionen in [ausländischer] Sprache liess sich der Explorand vom Dolmetscher mehrfach erklären. Gelegentlich zeigte er auch auf dessen Äusserungen zunächst keine Reaktion. Zu spontanen Äusserungen des Exploranden kam es nur, wenn dieser genervt war, sich „gestresst" fühlte wissen wollte, wie lange die Untersuchung noch daure. Diese waren mehrheitlich dysphorischer Natur, wobei der Dolmetscher nach Eindruck der Referentin nicht alle Inhalte (wörtlich) übersetzte. Fragen explorativer Natur wurden äusserst knapp und mehrheitlich mit „Weiss nicht" „Ich erinnere mich nicht" beantwortet. Analoges galt für das Antwortverhalten bei der Durchführung von Testverfahren. Bei der Bearbeitung von computergestützten Forced-Choice Aufgaben (ein Proband muss eine von zwei möglichen Antwortalternativen auswählen, von denen nur eine richtig ist) bevorzugte er es auf die gewählte Antwortalternative zu zeigen, anstatt eine verbale Antwort zu geben. Motivation und Kooperationsbereitschaft waren durchgängig eingeschränkt. Wenn beispielsweise bei Zwangswahlaufgaben der Explorand, trotz der meist erfolgten Aussage „weiss nicht", zu einer Entscheidung ermutigt bzw. auf einer solchen beharrt wurde, mit dem Hinweis, er dürfe auch raten, reagierte er verärgert und forderte die Testleiterin auf doch selbst eine Antwort zu wählen bzw. die Testverfahren überhaupt selbst zu bearbeiten. In solchen Situationen erfolgten spontane Äusserungen manchmal auf Deutsch. Ein ähnliches Verhalten fand sich bei der Bearbeitung von Fragebögen, in welchen bestimmte Aussagen als für den Exploranden zutreffend falsch beurteilt werden sollten. Instruktionen folgte der Explorand in der Regel widerstrebend und/oder verzögert, andere befolgte er gar nicht. Die Testantworten lagen bei offenen Aufgabenstellungen weit ausserhalb des üblichen Verhaltensspektrums von Exploranden und nahmen mitunter skurrile Züge an.»

 

«Bereits nach kurzer Untersuchungsdauer fragte der Explorand nach einer ersten Pause. Eine solche wurde ihm innert den kommenden Minuten mit dem Hinweis zugesichert, dass der genaue Zeitpunkt von der Referentin bestimmt werde. Dies wurde seitens des Exploranden mit einem verächtlichen „Bist du Gott?' kommentiert. Kurz nach Beginn einer weiteren Pause kehrte der Dolmetscher in den Untersuchungsraum zurück, um zu melden, dass es dem Exploranden übel sei und dieser die Untersuchung nicht fortsetzen könne. Die Referentin fand den Exploranden, flankiert von seiner Mutter, auf dem Boden des Flurs sitzend an. Die Mutter erklärte, diese Übelkeit sei nicht ungewöhnlich, ihr Sohn bekomme dagegen Medikamente, die er aber leider nicht bei sich führe. Vom Angebot, sich auf einer Liege zu erholen, mit der Option, die Untersuchung je nach Befinden fortzuführen, wollten Mutter und Explorand nicht Gebrauch machen. Erfahrungsgemäss werde die Symptomatik erst mit Einnahme des Medikaments besser. Als die Untersucherin daraufhin die Untersuchung für diesen Tag für beendet erklärte und mit Explorand und Dolmetscher einen (dritten) Ersatztermin festlegen wollte, ging es dem Exploranden plötzlich besser und er bestand — trotz Protestes der Mutter - darauf, die Untersuchung weiterzuführen. Er wolle keinesfalls ein drittes Mal zur testpsychologischen Untersuchung anreisen. Etwa eine Stunde später klopfte die Mutter, betrat den Untersuchungsraum und erklärte ihrerseits, sich nun schlecht zu fühlen. Sie selbst sei ja auch krank und müsse nun sofort die Heimreise antreten, andernfalls könne sie nicht garantieren, dass Mutter und Sohn heil zu Hause ankämen.»

 

«Zum zweiten Untersuchungstermin waren Mutter und Sohn bereits vorzeitig erschienen. Als die Referentin im Untersuchungsgebäude eintraf, sass die Mutter mit einem ausgezogenen, etwas entfernt auf dem Boden liegenden Stiefel und weit von sich gestrecktem Bein im hinteren Teil des Wartezimmers. Der Explorand lag neben ihr - quer über den übrigen Stühlen entlang dieser Wand - und schien zu schlafen. Später trat er im Gefolge des Dolmetschers in den Untersuchungsraum. Der Explorand trug an diesem Tag ein graues Rollkragenshirt und eine beige Hose, darüber den bekannten Parka, den er wiederum während der gesamten Untersuchungsdauer nicht ablegte. Eine Mütze trug er an diesem Tag nicht. Das allgemeine Verhalten entsprach im Wesentlichen jenem vom ersten Untersuchungstag. Wiederum fragte er rasch nach Pausen, welche ihm mehrfach gewährt wurden. Die Pausen nutzte der Explorand mehrheitlich, um draussen vor dem Gebäude zu rauchen. Die Mutter verbrachte den Vormittag (vereinbart waren 3 Stunden Untersuchungszeit) mit dem Besuch von Bekannten Verwandten.»

 

AS 197: «Der Explorand war örtlich und situativ ausreichend orientiert. Zur Person konnte er zwar seinen Namen, aber nicht sein Geburtsdatum nennen. Selbst Monat und Jahrgang schienen ihm nicht erinnerlich.»

 

AS 198: «Das Bearbeitungstempo war so niedrig, dass sich dieses Resultat selbst bei 100% korrekten Zuordnungen ergeben hätte. Eine so tiefe Leistung muss selbst bei Personen mit weit unterdurchschnittlicher Intelligenz gemäss Literatur als nicht valide bezeichnet werden (Spezifität 93%). Bei nochmaliger Nachfrage für den Grund der nicht nachvollziehbaren Kodierungen anhand konkreter Einzelbeispiele, erklärte der Explorand, die Symbole in variierender Weise wahrzunehmen, so erscheine ihm ein Querstrich mal als solcher, mal als inverses T usw.. Von einer 6 behauptete der Explorand, es handle sich um eine 8, eine 2 deklarierte er in einer Zeile als 1, in einer anderen als 5, wobei er stets implizierte, die Wahrnehmung der Referentin sei fehlerhaft.»

 

AS 200: «Die visuelle Wahrnehmung bzw. Objekterkennung erschien am ersten Untersuchungstag im Untertest „Bilder ergänzen" schwerst beeinträchtigt. Er schien die dargestellten Objekte nicht erkennen zu können. So verkannte er einen Kamm als „Lineal", einen Tisch als „Stuhl" und umgekehrt, eine Aktenmappe als „Arbeitstisch", ein Männergesicht als das einer Frau, ein Frauengesicht als „schwarzer Baum", eine Kuh als „Schwein", einen Tennisschuh als „Boot" usw.. Auf Verhaltensebene benutzte der Explorand jedoch alle im Raum befindlichen Gegenstände entsprechend ihrem Zweck. D.h. er setzte sich auf einen Stuhl und nicht auf einen der Tische, er erkannte ein Blatt Papier und Schrift als solche, er griff bei der Aufforderung etwas abzuzeichnen intuitiv nach dem Bleistift und benutzte diesen korrekt, er wählte die bevorzugten Sorte von drei Arten Mineralwasser, griff nach dem Becher, wenn er Durst hatte, etc.. Bei einem visuellen Gedächtnistest, durchgeführt am zweiten Untersuchungstag, gab es keinerlei Hinweise darauf, dass er die abgebildeten Tiere und Objekte nicht erkennen würde. Zumindest die frei erinnerten Dinge wurden bei der Abfrage korrekt benannt.»

 

AS 204: «Die gezeigte Antworttendenz des Exploranden stellt daher ein Zeichen von mangelnder Motivation, negativer Einstellung dem Test gegenüber aber eine bewusste Übertreibung von Beschwerden dar. Die Auswertung der verfahrensinternen Validitätsskalen belegt, dass der Explorand überwiegend wahrscheinlich bestehende Probleme stark übertrieben auch nichtbestehende simuliert hat.»

 

Frau Dipl. Psych. L.___ kam zu folgenden Diagnosen (AS 204):

 

Nicht-authentische kognitive Minderleistungen im Sinne vorgetäuschter und/oder aggravierter kognitiver Störungen;

Nicht-authentische, vorgetäuschte und/oder aggravierte psychische Beschwerden.

 

Unter dem Titel «Evidenzen aus der Beschwerdeschilderung» hielt Dipl. Psych. L.___ Folgendes fest (AS 210):

 

« C1 – Diskrepanz zwischen berichteter und dokumentierter Krankengeschichte

Der Explorand gab aktuell an, nur sehr schlecht Deutsch zu verstehen und zu sprechen so dass er sich vom anwesenden Dolmetscher alle Gesprächsinhalte übersetzen liess und selbst - mit wenigen Ausnahmen - nur [in Fremdsprache] antwortete. Bei den psychiatrischen Vorgutachten und den Gesprächen anlässlich der Rentenrevision auf der IV-Stelle Solothurn jedoch, war - soweit aus den Akten ersichtlich – eine Kommunikation auf Deutsch durchaus möglich. Ausserdem besuchte der Explorand 2003 den theoretischen Unterricht einer Fahrschule und legte im Februar 2004 die theoretischen Prüfungen - soweit bekannt - in deutscher Sprache ab.»

 

«C4 – Diskrepanz zwischen jetziger und früherer Beschwerdenschilderung und fremdanamnetischen Informationen

Gegenüber verschiedenen Gutachtern negierte der Explorand entweder einen

Führerschein zu besitzen und/oder jemals Auto gefahren zu sein, aber er behauptete, sich bezüglich beider Punkte nicht erinnern zu können. Die Videoaufnahme (als fremdanamnestische Informationsquelle) belegt jedoch, dass er im Überwachungszeitraum ein Personenfahrzeug gelenkt hat. Der Erwerb des Führerscheins Klasse B, ausgestellt am 24.02.2006, ist aktenkundig. Die Diskrepanz zwischen dem auf den Videoaufnahmen zu beobachtenden Verhalten (inkl. Kleidungsstil, Körperhaltung, Gangart) im privaten Rahmen gegenüber dem Verhalten beim Gang zur IV-Stelle und dem dortigen, im Rapport vom 07.03.2011 festgehaltenen, Verhalten im Gespräch vom 11.01. und 07.03.2011 weist stark auf eine verzerrte Beschwerdendarstellung gegenüber der IV hin. Auf den Überwachungsvideos ist mehrfach zu sehen, wie sich der Explorand über längere Zeiträume hinweg angeregt, engagiert und flüssig unterhält, ohne dass es nonverbale Hinweise auf Unterbrüche im Redefluss, wie sie bei Wortfindungsstörungen, Faden - bzw. Gedankenabreissen Erinnerungslücken zu erwarten wären, gegeben hätte. Auch wirkt sein Gesprächsverhalten keineswegs mutistisch.»

 

3.4. Persönliche Beweismittel

 

3.4.1. Angaben des Beschuldigten

 

3.4.1.1. Polizeiliche Einvernahme des Beschuldigten vom 14. Januar 2013 (AS 102 ff.)

 

Am 14. Januar 2013 fand die erste polizeiliche Einvernahme des Beschuldigten statt. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen der ersten Instanz in ihrem Urteil (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.3. lit. a, S. 42 f.) verwiesen. Ergänzend dazu führte der Beschuldigte weiter Folgendes aus:

 

(Wie lange er ohne Schmerzen spazieren könne?) Das wisse er nicht. Auf Vorhalt der Observationsergebnisse (Fragen 11 – 14), sagte er jeweils «Nüt». (Auf Vorhalt, er habe während 80 Minuten mit einem männlichen Gast auf dem Balkon diskutiert:) Es sei nicht verboten. Es sei seine Wohnung. (Auf Frage des Verteidigers:) Es sei ein Verwandter seiner Freundin. Den Namen wisse er nicht. (Auf Vorhalt, er habe am 20.05.2011 minutenlang auf dem Balkon intensiv mit seiner Freundin diskutiert und mit den Händen gestikuliert:) Es sei alles blöd. (Auf Vorhalt, die Detektive hätten ihn als vital, mobil, geschmeidig und agil wahrgenommen:) «Nüt». (Auf Vorhalt, er sei mit dem Auto von [Ort 2] nach [Ort 1] an die [Strasse] gefahren und soll dort Sachen getragen haben:) «Nüt». (Auf Vorhalt der Glasplatte:) Es sei eine ganz leichte Antenne gewesen. (Auf die jeweiligen Vorhalte der Satellitenschüssel, der Abfallsäcke, zum Besuch des Conforama zum Besuch des Interdiscounts:) «Ich weiss gar nicht.» (Auf Vorhalt, er solle zu Hause unter Einsatz beider Arme die Gegenstände scheinbar mühelos zum Liegenschaftseingang getragen haben:) «Nüt». (Auf Vorhalt, die Detektive hätten ihn an jenem Tag als überaus aktiv und auch als vital wahrgenommen:) Wenn er gesund gewesen wäre, wäre er arbeiten gegangen. (Auf Vorhalt des erneuten Besuchs des Conforama der Lipo:) «Nüt». (Auf Vorhalt, er habe sich an jenem Tag auch während rund 40 Minuten in gelöster Stimmung mit einem Gast im Bistro [Bahnhof] in [Ort 1] unterhalten:) Er sei mit seiner Freundin H.___ da gewesen. Es sei kein anderer Gast dabei gewesen. (Auf Vorhalt, die involvierten Sachbearbeiter des Detektivbüros hätten im gesamten Überwachungszeitraum keine Anzeichen zu erkennen vermocht, wonach er bezüglich seiner physischen als auch psychischen Konstitution in gravierender Form gehandicapt gewesen wäre:) «Ich weiss nicht.»

 

3.4.1.2.Begutachtung durch Dr. med. I.___ vom 8. Januar 2014 (AS 154 ff.):

 

Im Rahmen der Begutachtung von Dr. med. I.___ machte der Beschuldigte diverse Angaben. Zitiert aus dem Gutachten von Dr. med. I.___ vom 8. März 2014:

 

«Der Beschuldigte berichtete, er sei in einer [ausländischen] Familie aufgewachsen, erzogen in katholischem Glauben, [im Ausland]. Er habe eine ältere Schwester und einen jüngeren, in der Schweiz geborenen Halbbruder. Wann er mit der Mutter in die Schweiz gekommen sei, könne er nicht sagen. Den Vater kenne er nicht. Dieser lebe in Deutschland und sei wieder verheiratet.»

 

«In der Schule sei er schlecht gewesen, habe darum 8 9 Jahre die „Werkklasse" besucht. Im Turnen habe er gerne mitgemacht, besonders schlecht sei er im Rechnen und im Deutsch gewesen. Warum er heute so mangelhaftes Deutsch spreche, könne er nicht sagen. Mit seinen Kollegen habe er schon Deutsch gesprochen, aber er habe sehr oft nicht alles verstanden. Zuhause werde nur [Fremdsprache] gesprochen.»

 

«Mit etwa 16 Jahren sei er aus der Schule gekommen und habe danach [in einer Institution] [Ort 9] Beschäftigung gefunden. Eine Lehrstelle habe er nicht gekriegt, vermutlich habe er auch nie für einen normalen Lohn gearbeitet – aber das könne er nicht mit Sicherheit sagen. Die Lehrerin [der Institution] habe ihn bei der IV angemeldet, er könne nicht sagen, warum. Einige Arbeitsversuche z.B. bei der VEBO ähnlich seien misslungen. Alkohol trinke er nur gelegentlich, nicht jede Woche, jeweils 1 bis 4 Stangen à 3 dl. Drogen nehme er gar keine, nicht einmal Cannabis. Seit einigen Jahren rauche er zunehmend viele Zigaretten, aktuell bis zu 2 Päckli pro Tag. Er nehme keine anderen Medikamente, als die vom Psychiater verordneten. Er habe oft Mühe, mit Fremden zu sprechen. Jetzt, da er zum 2. Mal beim Gutachter sei, gehe es besser. Er fühle sich krank, körperlich und psychisch. Er habe Nackenschmerzen und einen hohen Blutdruck, leide daneben aber zunehmend an psychischen Störungen wie Stimmenhören, Nervosität und Aggression. Es mache ihn oft nervös, wenn das Kind (gemeint das 2. Kind, ein Mädchen, geboren vor ca. 4-5 Monaten, das genaue Datum wisse er nicht) schreie. Darum habe er es auch schon geschlagen. Ja, seine Frau habe er auch schon mehrfach geschlagen. Das tue ihm leid, aber er habe es damals nicht verhindern können. Ferner habe er alle Mädchenkleider zerschnitten und das Kind in Knabenkleider gesteckt, weil die Stimme ihm das so befohlen habe. Ja, er hätte lieber nochmals einen Sohn gehabt. Der erste Sohn sei etwa 2 1/2 Jahre alt.»

 

«Die Stimme sei von einem Mann, den er gelegentlich neben sich sehe, der ihm Befehle erteile und ihn anschreie. Er habe Angst vor dem Mann. Er könne nicht sagen, wer das sei. Im vergangenen Jahr sei er mehrfach in der psychiatrischen Klinik gewesen, u.a. weil er in der Stadt ein Messer gekauft habe, um sich gegen einen Mann zu wehren, der ihn so komisch angeschaut habe. Die Stimme habe ihm befohlen, den Mann zu töten. Das sei 2x vorgekommen.»

 

«(Auf Frage) Momentan habe er keine Lebensziele. Er möchte einfach wieder gesund werden. Darum sei er auch in die psychiatrische Klinik gegangen und nehme Medikamente (kann nicht sagen, wie diese heissen). Manchmal, wenn er sich so ärgere, habe er einschiessende Selbstmord-Impulse und denke z.B. daran, vom Balkon zu springen. Seine Frau habe ihn auch schon zurückgehalten.»

 

«Seinen Tagesablauf schildert der Explorand wie folgt: Morgens stehe er zwischen 08 und 09 Uhr auf. Zuerst rauche er eine Zigarette, während seine Frau ein Frühstück zubereite. Danach sitze er viel herum. Oft gehe er zu Besuch bei seiner Mutter. So gehe der Tag dahin. Ein Mittagessen gebe es nicht, erst Abendessen. Nach dem Abendessen sitze er einfach herum, bis er zwischen 24 und 01 Uhr zu Bett gehe. Fernsehen möge er nicht, weil er oft das Gefühl habe, da werde über ihn gesprochen die Leute kämen aus dem Fernseher heraus zu ihm.»

 

«Im Frühsommer 2013 sei er mit Mutter, Cousin und Cousine [ins Ausland] in Urlaub gefahren. Seine Frau ging mit dem Kind derweil zu ihrer Schwester nach [Ort 10]. Er sei zuvor 4 bis 5 Jahre nicht mehr [im Ausland] gewesen, habe keine Ferien genommen. Er habe auch keine Hobbies, sei in keinem Verein, treibe keinen Sport.»

 

3.4.1.3. Begutachtung durch Dr. med. K.___ vom 25. Februar 2015 und 12. März 2015 (AS 258 ff.):

 

Auch im Rahmen der Begutachtung von Dr. med. K.___ machte der Beschuldigte Angaben. Dies wie folgt:

 

AS 262: «Angesprochen auf den Führerschein berichtete er, dass er keinen habe. Er könne sich nicht erinnern, ob er einen jemals gemacht habe ob er jemals Auto gefahren sei. Im Militär sei er nicht gewesen, den Grund dafür wisse er nicht.»

 

AS 262 f.: «Zu seiner Ehefrau und wann er diese kennengelernt habe, konnte der Explorand keine Angaben machen. Er könne sich auch nicht erinnern, wie sie sich kennengelernt hätten. Den Zeitpunkt seiner Heirat wisse er nicht mehr. Auf die Frage, wie er die Beziehung erlebe, antwortete der Explorand: "Wie soll ich das beschreiben?" Er liebe seine Frau und Kinder. Auf die Frage, ob es auch Wünsche der Frau gebe, die er nicht erfüllen könnte, antwortete er, dass er dies nicht wisse. Bei einem Streit sage sie, dass er geisteskrank bzw. dass er schizophren (sic!) sei. Auf die Frage nach Libido bzw. Sexualverkehr in der Ehe antwortete Herr A.___, indem er sagte, dass es diesen nicht mehr gebe, er erlebe den Sexualverkehr nicht mehr, könne sich auch nicht erinnern, wann es das letzte Mal zu Sexualverkehr gekommen sei. Angesprochen auf sonstige Intimitäten berichtete Herr A.___, dass es dies in der Ehe nicht geben würde, sie seien wie Fremde zueinander. Nachgefragt nach einer Vertrauensperson berichtete er, dass seine Mutter ihm am meisten helfen würde.»

 

AS 263 zur psychiatrischen Anamnese: «Zu Beginn der Exploration angesprochen auf seine aktuellen Beschwerden bzw. was seine grössten Probleme aktuell seien, berichtete er, dass er die lauten Kinderstimmen nicht ertrage und eine Stimme höre, die zu ihm reden würde. Er habe das Geschlecht seines Kindes gewechselt und habe dessen Kleider zerschnitten. Er höre eine Männerstimme, die ihm Befehle gebe. Er könne dann nicht anders und müsse tun, was diese ihm sage. Einmal habe er in der Folge in der Stadt ein Messer gekauft und jemanden verfolgt. Darauf angesprochen, was dies für einen Einfluss auf sein Leben habe, berichtete er, dass er dies nicht ertrage. Er wolle diese Stimme nicht mehr hören und denke über Selbstmord nach. Er kenne die Ursache der Stimme nicht. Diese würde ihn bedrohen und fordere ihn auf, etwas zu tun, was diese jeweils sage. Es sei die Stimme eines Mannes, die aber die Stimmlage und Stimmhöhe jeweils verändere, um ihn einzuschüchtern. Noch am Eingang zur Ambulanz vor der ersten Exploration habe er diese kurz gehört, im laufenden Gespräch berichtete Herr A.___ nicht darüber. Nachgehakt, welchen Einfluss diese Problematik auf sein Leben habe, entgegnete Herr A.___, dass diese ihn stressen würde, „es erstickt mich". Manchmal höre er die Aufforderung "Rede mit mir!" aus dem Fernsehen. Die dort gezeigte Reklame spreche dann über die Fernsehfigur mit ihm. Auf die Frage, ob er trotz dem Stimmenhören Aktivitäten im Alltag durchführen könne, berichtete er, dass er zuhause das Weinen der Kinder nicht ertrage und sich sehr unwohl fühle. Er habe zwei Kinder, das Alter von ihnen könne er aber nicht nennen. Daraufhin zeigte er mit der Hand die Grösse der Kinder an, eines in Höhe der Tischkante, eines ca. 20 cm höher. Er liebe seine Kinder. Als seine Ehefrau sein Kind mit Mädchenkleidern angezogen habe, habe er diese zerschnitten. Seine Stimme im Ohr habe ihm gesagt, dass das Kind Jungenkleider tragen solle, was er dann auch durchgesetzt habe. Auf die Frage, ob dies denn Sinn für ihn machen würde, entgegnete Herr A.___, das wisse er nicht, die Stimme habe dies gesagt, er habe es einfach getan.»

 

AS 264: «Auf die wiederholte Frage nach Aktivitäten im Alltag berichtete Herr A.___, dass zum Beispiel sein Cousin ihm einen Kaffee in einem Lokal spendiere. Er gehe nicht alleine heraus. Auch die Frau schalte manchmal den Fernseher für ihn ein. Angesprochen auf sein Interesse an Fussball, da er in der Vergangenheit dort selber aktiv gewesen sei, berichtete Herr A.___ auf die direkte Frage, nicht zu wissen, wer gestern Champions League gespielt habe wer Weltmeister sei. Früher habe er zwar gespielt, jetzt tue er dies aber nicht mehr. Den Namen seiner Kinder vergesse er manchmal. Mit einiger Verzögerung nannte er dann die Namen seiner Kinder V.___ und W.___. Sie seien zuhause und nicht in der Schule. Die Adresse seiner Wohnung könne er nicht nennen. Angesprochen auf seine gepflegte Erscheinung, berichtete Herr A.___, dass die Frau ihn ankleide und ihn pflege. Meistens erfolge die Morgenpflege durch sie, manchmal mache er es auch selber. Es sei erst seit ein bis zwei Jahren derart. Die Frage nach Ereignissen in der Familie in den letzten Wochen Monaten verneinte Herr A.___, es sei nichts Besonderes vorgefallen.

 

Die genauere Nachfrage nach einfachen Abläufen der Körperpflege wie Duschen kommentierte Herr A.___ insofern, dass seine Ehefrau meist Hand anlege. Manchmal mache er selbstständig etwas, seine Frau helfe ihm meistens dabei. Ihn würde die Angst vor den Stimmen daran hindern, er könne nicht alleine sein. Auf die explizite Nachfrage, ob Waschen möglich sei, entgegnete er ja, aber er habe eben Angst vor dem Stimmenhören. Auf die Frage, ob Brot schmieren für ihn möglich sei, entgegnete Herr A.___, dass dies die Frau für ihn mache. Er sei einmal in einer Klinik gewesen und dort sei ihm beigebracht worden, wie man dies mache. Ob er sich selbst versorgen könne, wenn er Durst habe, wie zum Beispiel eine Flasche aus dem Kühlschrank zu holen, entgegnete Herr A.___, dass er seine Frau bitte, ihm dies zu bringen. Er gehe auch manchmal selber an den Wasserhahn und lasse sich Leistungswasser heraus. Zu diesem Zeitpunkt berichtete er, dass ihn das Gespräch sehr bedrücke und er aufstehen wolle. In der Folge wurde ein Termin für die Folgeuntersuchungen vereinbart, während Herr A.___ eine Zigarettenpause in Begleitung der Mutter machte. Der Dolmetscher berichtete, dass der Explorand auch in der [fremden] Sprache einfache Worte benutzte und einen einfachen Satzbau pflegte.»

 

AS 265: «Er könne zu psychiatrischen Beschwerden bzw. Symptomen in der Vergangenheit nichts sagen. Aufgefordert, einen Symptomverlauf bzw. Beschwerden im Zeitverlauf darzustellen, antwortete Herr A.___, dass dies nicht in seiner Hand liege. Es komme von selbst, dass er Stimmen höre. An einen Zeitverlauf vor Stimmenhören könne er sich nicht erinnern. Ebenso wenig wisse er, welche Medikamente er einnehme, seine Frau gebe ihm diese jeweils (dies stand im Widerspruch zu den Angaben der Mutter, die angab, ihm jeweils die Medikamente abzugeben). Auf die Frage, wie häufig er zu Dr. O.___ gehe, berichtete er, dass dies unterschiedlich sei, aber ca. einmal die Woche. Er gehe nicht zu anderen Ärzten. Er sitze dort häufig, Dr. O.___ frage, was er gemacht habe. Er erzähle. Dies helfe ihm weiter. Darauf angesprochen, ob er über sein Krankheitsbild aufgeklärt worden sei bzw. was er zu deren positiver Beeinflussung tun könne, entgegnete Herr A.___: "ja, der Arzt versuche zu helfen". Auf die erneute Nachfrage, was er dabei gelernt habe, berichtete Herr A.___, dass es manchmal aus ihm herauskomme: "Töte alle Menschen!" Der Doktor rate ihm dann, ruhig zu bleiben und dies nicht zu tun. Ebenso habe ihm sein Psychiater geraten, falls er Stimmen höre, "dies jenes" zu machen und nicht auf die Stimmen zu hören.»

 

AS 266 zu den aktuellen Tatvorwürfen: «Er wisse eigentlich nicht, was ihm vorgeworfen werde. Auf die Erklärung des Tatvorwurfes des Betruges entgegnete Herr A.___: "Dies habe ich nicht gesagt." Er kenne sich nicht aus, was ein Betrug bedeute. Er habe niemanden betrogen. Angesprochen auf den genauen Zeitraum von Januar bis September 2011 und dass ihm vorgeworfen werde, dort Symptome einer Krankheit dargestellt zu haben, die so nicht vorgelegen hätten, entgegnete Herr A.___, dass dies nicht wahr sei. Konfrontiert mit den Widersprüchen aus den Observationen bzw. den vorliegenden Akten entgegnete Herr A.___ jeweils: Er habe niemals ein Fahrzeug gefahren und könne sich auch nicht daran erinnern. Auf die Vorhaltung, dass er in der Vergangenheit gemäss Observationen das Haus alleine verlassen habe, entgegnete Herr A.___, dass ihm sein Arzt dies geraten habe: "Geh raus, allein mit der Familie!" Insbesondere präzisiert, dass er am 19.04.2011 alleine aufgebrochen sei und seine Cousine unterwegs getroffen habe, entgegnete Herr A.___, sich nicht mehr daran zu erinnern. Auf den Vorhalt, dass in besagtem Zeitraum es aus den Observationen nicht klargeworden sei, dass er ohne Unterstützung nicht zurechtgekommen sei, entgegnete Herr A.___, dass er nicht alleine unterwegs gewesen sei. Er sei immer mit Frau und Cousine unterwegs gewesen. Abschliessend entgegnete Herr A.___, dass dies seine Aussage sei. Wenn seine Mutter etwas hinzufügen wolle, solle der Gutachter sie fragen. Er entgegnete zum Schluss dieser Fragen, dass sein Geist nun sehr müde sei.»

 

AS 267 zur aktuellen Situation und Zukunftsaussichten: «Angesprochen, wie er aktuell wohnen würde, entgegnete der Explorand, dass der Gutachter selber schauen kommen könne. Auf die Frage, ob er mit seiner Ehefrau zusammen wohne, antwortete Herr A.___: "Mit wem sonst, einem Esel?" Er stöhnte daraufhin. Er wohne mit seiner Frau und den zwei Kindern in der eigenen Wohnung. Seine Mutter komme ab und zu vorbei, ebenso seine Geschwister. Die Grösse der Wohnung könne er nicht angeben, er habe diese nie ausgemessen. Er lebe wohl in einer Zwei-Zimmer- Wohnung, sicher sei er sich nicht. Ob er Schulden habe, wisse er nicht. Die Mutter sei behilflich bei den Finanzen und dem Sozialamt, er bekomme Geld vom Sozialamt. Die IVRente sei sistiert. Angesprochen auf seinen Tagesablauf berichtete der Explorand lediglich, dass seine Ehefrau ihn hinausbringe, damit er frische Luft schnappen könne. Eigentlich wolle er es nie, jedoch gehe er kurz raus. Nach dieser Beschreibung stöhnte der Explorand. Danach gehe man zurück nach Hause und er schaue Fernsehen, das sei es gewesen. Wie häufig er esse und was er esse, wisse er nicht. Wenn er hungrig sei, esse er etwas. Die Ehefrau mache das Essen, es sei sehr gut. Angesprochen, ob er in der Kinderbetreuung mithelfe, berichtete er, dass er manchmal die Kinder küsse, wenn diese weinen würden. Dann wolle er Selbstmord begehen. Es komme dann in so einem Fall etwas über ihn. Er ertrage die Kinderstimmen nicht. Später ergänzte Herr A.___, dass er auch bis zu drei Stunden hinausgehen würde. Manchmal begleite er seine Ehefrau zum Einkaufen, er gehe etwas trinken besuche seine Mutter bei einer solchen Gelegenheit. Er ertrage es jedoch nicht, wenn ein Einkauf zu lange dauern würde, dann würde er eine Stimme hören: "Schlag deine Frau!" Er habe aktuell keine Arbeit. Wenn er gesund wäre, würde er wohl auch Einkäufe tätigen. Seine Frau ziehe ihn aber immer wieder auf, dass er schizophren (sic!) und krank sei und er nicht mehr gesund werde.

 

Angesprochen auf Zukunftswünsche Pläne berichtete der Explorand, keine zu haben. Jedoch wolle er wieder gesund werden. Sonstige Wünsche habe er keine.»

 

3.4.1.4. Staatsanwaltschaftliche Einvernahme des Beschuldigten vom 4. Oktober 2017 (AS 469 ff.)

Am 4. Oktober 2017 wurde der Beschuldigte durch die Staatsanwaltschaft einvernommen. Diesbezüglich ist auf die zusammenfassenden Ausführungen der ersten Instanz in ihrem Urteil (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.3. lit. b, S. 4) zu verwiesen.

Auf die Frage, mit wem er viel spreche, führte der Beschuldigte aus (Z. 65 f.), er rede mit fast niemandem. (Auf Frage:) Wenn ihn jemand etwas frage, spreche er, aber sonst rede er nicht so viel. (Auf den Widerspruch angesprochen, wonach seine Ehefrau von keinen Schwierigkeiten gesprochen habe:) Er wisse es nicht. Es sei viel später, er könne nicht mehr studieren. Er wisse nicht mal mehr, was er vor einer Woche gemacht habe, er vergesse alles.

Auf Frage, ob er den ihm gemachten Vorhalt des gewerbsmässigen Betrugs zum Nachteil der IV anerkenne (Z. 431 ff.), meinte er, dazu nichts zu sagen. Wenn er gespielt hätte, würde er weiterspielen. Er sei ja vor Gericht. (Auf die Feststellung, dass er ja aufgeflogen sei:) Aber er spiele nicht. Er höre die Stimme nicht, also was das Problem sei? Er wolle auch die Tabletten nicht nehmen.

 

Auf die Feststellungen von Frau Dipl. Psych. L.___, wonach seine Antworten nur gespielt gewesen seien, angesprochen, führt der Beschuldigte aus (Z. 473 ff.): Damals habe er die Stimme gehört. (Auf Frage, ob ihm die Stimme gesagt habe, er solle den Test falsch ausfüllen:) Er wisse es nicht, es sei schon lange her.

 

3.4.1.5. Schluss-Einvernahme der Staatsanwaltschaft vom 5. November 2018 (AS 484.1 ff.)

 

Für die Wiedergabe der gemachten Angaben wird auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.3. lit. c, S. 43) verwiesen. Ergänzend dazu ist festzuhalten (EV Z. 94 ff.):

 

Auf Frage, ob er bei der IV die zurückgeforderten Leistungen zurückbezahlt habe, führte der Beschuldigte aus, er verstehe nicht, weshalb er das der IV-Stelle schuldig sein solle. (…) Nein, wie er das bezahlen solle. Sie hätten alles dem Sozialamt geschickt, weil er ja vorher schon beim Sozialamt gewesen sei.

 

3.4.1.6. Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht von Solothurn-Lebern vom 5. März 2021 (S-L Ordner 2 pag. 057 ff.)

 

Zu den Angaben des Beschuldigten anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung kann auf die Ausführungen der Vorinstanz in ihrem Urteil (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.3. lit. d, S. 43 f.) verwiesen werden.

 

Zu den von der Vorinstanz gemachten Ausführungen ist ergänzend Folgendes festzuhalten:

 

Auf die Observationsergebnisse angesprochen führte der Beschuldigte aus, er habe nicht gesagt, er habe keine Angehörigen, er habe einen Beruf erlernen wollen und dort seien seine Cousins, seine Verwandten gewesen. Er habe kaum, auch in der Wohnung, etwas mit den Leuten gesprochen. Sein Hausarzt und sein Psychologe hätten gesagt, er müsse rausgehen und Kaffee trinken gehen, er versuche, das umzusetzen. Sein Psychologe habe Bescheid gewusst, er habe nichts Heimliches gemacht. (Auf Vorhalt, die Angaben würden nicht mit dem bisher Gesagten übereinstimmen:) Das sei überhaupt kein Widerspruch. Er sei ja nicht in eine Disco eine Bar gegangen. Ob er in einem Fitnesssalon gewesen sei? Auch nicht. (AF:) Er habe den Ärzten erzählt, was er habe, das sei immer noch so, sein Kopf sei immer noch so. Er sei manchmal abwesend, vergesse Dinge, auch wenn er arbeite, vergesse er manchmal gewisse Sachen. (Ob er noch wisse, wann er das erste Mal Stimmen gehört habe?) Nein, er erinnere sich nicht. (Ob er die Stimmen schon gehört habe, als er seine Exfrau kennengelernt habe?) Damals noch nicht, es sei später gekommen. Als er diese Stimmen gehört habe, sei es ihm nicht gut gegangen. Er habe sogar die Kleidungsstücke von seinem Kind zerrissen und aufgeschnitten, weil er einen Sohn gewollt habe. (AF:) Ja, damals hat es angefangen. Er erinnere sich nicht, wie alt seine Tochter damals gewesen sei. Sie könnte 3, 4 5-jährig gewesen sein. (Das zweite Kind sei ein Sohn gewesen, ob der damals schon auf der Welt gewesen sei?) Vermutlich. (Ob vor der Geburt des Sohnes die Stimmen noch nicht angefangen hätten?) Er könne sich nicht erinnern. (Wie der Altersunterschied zwischen den Kindern sei?) Entweder zwei drei Jahre. (Als er die Kleider der Tochter zerschnitten habe, wisse er nicht, ob der Sohn schon auf der Welt gewesen sei nicht?) Nein, er könne sich nicht erinnern, da sei noch die Sache mit dem Messer gewesen. Jemand habe ihn verrückt gemacht, er habe Stimmen gehört und sei in den Manor und habe dort ein Messer gekauft. (Er habe gesagt, er habe die Kleider der Tochter zerschnitten, weil er lieber einen Sohn gehabt hätte, wenn dieser ja schon auf der Welt gewesen sei, habe es dazu ja keinen Grund gegeben?) Er wisse es nicht mehr. Aber damals habe er gewollt, dass sie sich wie ein Sohn ankleidet.

 

Daran, dass er am 25. Februar 2015, 4. März 2015, 12. März 2015 und 18. März 2015 vier Mal in Basel gewesen und über mehrere Stunden untersucht worden sei, könne er sich nicht erinnern. Es sei eine lange Zeit her. Es sei möglich, dass er dort gewesen sei. (Auf Vorhalt, dass Dr. L.___ zum Schluss gelangt sei, dass in den gemachten Tests mutmasslich absichtlich falsche Angaben gemacht worden seien:) Wieso falsch? Wieso Täuschung? Er wisse nicht, was in diesen Papieren gestanden habe, er könne sich nicht erinnern. (Auf Vorhalt, Dr. L.___ habe gesagt, die Resultate seien so schlecht, schlechter als bei jemandem mit einer Hirnschädigung, weshalb der Verdacht bestehe, dass er das vorgetäuscht habe:) Er sage nichts dazu, er erinnere sich nicht. (Offenbar habe er Bilder erkennen müssen, dort habe er z.B. zu einem Kamm Lineal gesagt, zu einem Stuhl Tisch, zu einer Kuh Schwein und zu einem Tennisschuh Boot:) Ob er darauf jetzt etwas sagen müsse? Er könne sich nicht erinnern, er sei vergesslich. (Dr. L.___ habe gesagt, das Resultat sei so schlecht, damit habe man eine neurologische Störung vortäuschen wollen:) Er könne sich an nichts erinnern. (Ob das Resultat des Gutachtens je mit ihm besprochen worden sei?) Er könne sich nicht erinnern. Es sei lange Zeit vergangen.

 

(Auf Frage, ob er wisse, weshalb seine Rente aufgehoben worden sei:) Sie (die Amtsrichterin) sage doch selber, sie hätten ihm nicht geglaubt. Wie er das sagen solle? Sie hätten nicht gesehen, dass er irgendwo gearbeitet habe. Er spiele keine Spielchen, er mache auch niemandem zu schaden. Sie hätten das selber gemacht, er habe nicht selber darum ersucht, sein Lehrer habe die Anmeldung gemacht. (Auf Vorhalt, er habe im Juli 2013 – nach Aufhebung der ersten Rente im August 2012 – eine zweite IV-Anmeldung gemacht:) Er wisse nicht, wann das gewesen sei, an das könne er sich nicht erinnern, aber er wisse, dass er Probleme gehabt habe. (Auf Vorhalt der weiteren Prozessgeschichte bis zum zweiten Urteil des Versicherungsgerichts am 31.10.2017:) Das könne sein, was sei dabei? Er verstehe das nicht. (AF:) Nein, daran könne er sich nicht erinnern. (Auf Vorhalt:) «Ich verstehe nicht, sind wir vor das Gericht gezogen?» Auf die weiteren Fragen gab der Beschuldigte nur verwirrt Antwort gab an, sich nicht mehr erinnern zu können.

 

3.4.1.7. Berufungsverhandlung vor dem Obergericht vom 16. Oktober 2023
(OGer 252 ff.)

 

Anlässlich der Berufungsverhandlung vor dem Obergericht vom 16. Oktober 2023 bestätigte Beschuldigte auf entsprechende Frage der befragenden Oberrichterin, weiterhin an der [Adresse 1] in [Ort 1] wohnhaft zu sein. (Ob er alleine wohne?) Ja. (Ob er eine Anstellung habe, also derzeit arbeite?) Ja. (Auf Frage, wo:) [Firma 1]. (Da sei er schon länger?) Ein Jahr ungefähr. (Ob das eine Festanstellung sei, ob er immer wieder Einsätze habe?) Er habe da jetzt einen festen Lohn. (Wie viele Stunden pro Tag er arbeite?) Etwa sechs Stunden. (Jeden Tag?) Nein, nicht immer. (Wo er seinen Einsatz aktuell habe?) In [Ort 11], bei der [Firma 2]. (Was er dort mache?) Sein Chef melde es an, und er leite die Ankommenden an die richtige Stelle. (Also die ankommenden Lastwagen mit dem Abfall?) Ja genau. (Wann er am Morgen anfangen müsse?) Nicht immer am Morgen, manchmal auch am Nachmittag. (Demnach habe er verschiedene Schichten?) Ja, zwei. (Wenn er am Morgen anfange, wann er anfange?) Um sechs Uhr. (Und das gehe bis?) Bis um 12 Uhr. (Und wenn er am Mittag anfange, fange er um 12 Uhr an?) Ja, dann fange er um 12 Uhr an und arbeite bis sechs Uhr. (Das sei immer der gleiche Rhythmus in diesen zwei Schichten?) Ja. (Wie lange er schon in der [Firma 2] sei?) Er wisse es nicht (denkt nach). Ein Jahr. (Immer am gleichen Ort?) Ja. (Vorher sei er im Spital gewesen?) Im Spital? (Aus den Akten sei zu entnehmen, er sei im [Spital] gewesen, also auch von der [Firma 1]?) Das alte [Spital] hätten sie abgerissen, und es seien noch andere Kollegen von ihm, die hätten dort kontrolliert. (Wie lange er dort gewesen sei?) Wo? (Im [Spital]) Er sei nicht im [Spital], er sei bei der [Firma 2]. (Aber früher sei er im Spital gewesen?) Er sei immer bei der [Firma 2], dort, wo sie neu bauen. Dort, wo man den Abfall werfe. (Im alten [Spital], ob er nicht da gewesen sei?) Nein. (Nachdem die Frage von der Dolmetscherin wiederholt wurde:) Er sei nicht oft dort gewesen, nur ein zwei Mal. (Wie er bezahlt werde – nach Stunden ob er Ende Monat immer gleich viel ausbezahlt bekomme?) Er komme immer gleich, der Lohn. (Wie hoch der Lohn sei? Also das, was er ausbezahlt bekomme?) CHF 2'500.00 – CHF 2'600.00. Er arbeite 80 %. (Ob ihm etwas vom Betreibungsamt abgezogen werde?) Nein. (Ob ihm etwas für die Kinder abgezogen werde?) Es werde schon wegen den Kindern ein Abzug gemacht, aber nicht bei ihm. Weil sein Lohn sei nicht genug. Die CHF 2'600.00 reichten nicht einmal ihm. Dann habe er Miete, Krankenkasse, Strom. (Ob ihm vom Bruttolohn noch etwas abgezogen werde für die Kinder?) Das wisse er nicht. (Ob er die Kinderzulagen beziehe, ob diese direkt der Ehefrau bezahlt würden?) Seine Ex-Frau arbeite selber, man zahle sie ihr. (Weshalb er 80 % arbeite und nicht 100 %?) Weil nicht mehr Arbeit komme. (Also er könne nicht 100 % arbeiten?) Können schon, aber sie hätten gesagt er solle noch ein wenig warten. (Auf was?) Das wisse er nicht. (Ob er den Chef gefragt habe, ob er 100 % arbeiten könne?) Ja, er habe ihn gefragt. (Aber es sei nicht gegangen?) Nein, er habe gesagt, er solle noch etwas warten. (Er habe gesagt, er arbeite seit einem Jahr dort. Ob er noch wisse, wann er angefangen habe?)  Nein.

 

(Wie die Beziehung zu seinen Kindern sei, ob er seine Kinder regelmässig sehe?) Er könne sie sehen, ja. (Ob sie zu ihm auf Besuch kämen?) Ja. (Wie häufig?) Gemäss Urteil. Alle zwei Wochen einmal. (Und das kämen sie tatsächlich?) Ja. (Ob die Kinder auch in [Ort 1] wohnten?) Ja. (Wie alt die Kinder seien? In welche Klasse sie gehen?) Die Tochter sei 12-jährig, der Sohn 10-jährig. (Also gehe die Tochter in die sechste Klasse und der Sohn in die vierte?) Er glaube es, ja. (Was er sonst in seiner Freizeit mache, wenn die Kinder nicht bei ihm seien?) Dann sei er bei der Mutter. (Sie wohne auch in [Ort 1]?) Ja. (Ob er noch mit anderen Familienmitgliedern Kontakt habe, z.B. mit der Schwester, der Cousine dem Cousin?) Ja, er habe Kontakt. (Ob er sie denn regelmässig sehe?) Ja. (Ob sie auch zusammen irgendwo hin gingen? Ob sie Ausflüge machen, ob er zu jemandem auf Besuch gehe?) Zu Besuch. Er meine, er gehe zu ihnen nach Hause sie kämen zu ihm. Beides.

 

(Was er mache, wenn er alleine sei?) Was er machen solle? Er gehe zur Arbeit. (Was er am Nachmittag mache, wenn er um 12 Uhr aufhöre?) Was sie (die Richterin) das angehe? Er sitze zu Hause. Was das damit zu tun habe? (Es könne es sagen, wenn er eine Frage nicht beantworten wolle. Die Fragen seien, damit das Gericht verstehe, wer er sei) Es sei gut.

 

(Ob er derzeit bei einem Arzt in Behandlung sei?) Ja, er sei ein paar Mal beim Notfall gewesen, wegen Magenschmerzen. Sie hätten gesagt, es seien Helio-Bakterien. Danach hätten sie kontrolliert. Sie hätten eine Magenspiegelung gemacht. Mit dem Spiegel in den Mund hinein. Dann hätten sie gesagt, er habe Steine rechts und links. Gallensteine und Nierensteine. (Ob er das habe operieren müssen, ob es Medikamente dagegen gebe?) Er nehme, Medikamente ja. Der Arzt, der ihn hätte operieren sollen, sei in die Ferien gegangen. Wenn er zurück sei, werde er ihn operieren im [Spital]. (Auf Frage) Am 15. November 2023. (Wegen Gallensteinen?) Ja. (Und wegen den Nierensteinen nehme er Medikamente?) Nein. Zuerst gebe es diese Operation, dann würden sie noch schauen. (Also habe er zwei Operationen vor sich?) Er glaube es, ja. (Ob er noch wegen anderer Sachen in ärztlicher Behandlung sei, nur wegen dem?) Er wisse es nicht. Er sei auch beim Hausarzt gewesen. Er sei sich nicht sicher. Er glaube, sie hätten ihm seine Psyche kaputt gemacht. Er habe Angst, zum Arzt zu gehen. (Wen er mit «sie» meine?) Die Probleme seinerzeit. Und wegen seiner Frau. Und auch vorher sei seine Psyche nicht gut gewesen. Und es sei immer noch so: Er möchte schon zum Arzt gehen, aber sie sagten, er lüge. Und deswegen gehe er nicht. (Wen er mit «sie» meine?) Die Gerichtsurteile. So sei es herausgekommen. Er möchte zu einem Psychologen gehen, aber er könne nicht. (Weshalb er nicht zu einem Psychologen könne?) Sie würden solche Sachen über ihn sagen, und das setze ihm zu. Er könne nicht gehen. (Wann er das letzte Mal beim Hausarzt gewesen sei?) Vor einer Woche vor eineinhalb Wochen. (Weshalb?) Dieser habe ihn eben zum Chirurgen überwiesen. (Also wegen der Nieren- und Gallensteine?) Ja.

 

(Auf Frage der Verteidigerin, ob er beschreiben könne, was seine Arbeit genau sei?) Er arbeite draussen. Es seien drei Eingänge zur Baustelle. Es sei ein Bildschirm. Man komme da mit Gesichtserkennung rein. Die Neueingänge würden sie zum Chef schicken. Sie würden die Anmeldung machen. Also die würden das machen, nicht er. (Auf Frage der Oberrichterin, ob er auf dem Bildschirm sehe, wer reinkomme?) Es kämen Leute zur Baustelle. Sie würden sie nicht reinlassen. Sie würden sagen, wenn sie neu seien, müssten sie sich zuerst anmelden. (Auf Nachfrage) Wenn sie neu ankämen, sei da so ein Kreisel, da müssten sie durch. Da müssen sie in den Bildschirm schauen. Und erst dann könnten sie rein.

 

Zum Vorhalt gemäss Anklageschrift Ziff. 1 meinte der Beschuldigte, er könne nichts dazu sagen. (Was er dazu sage, dass ihm vorgeworfen werde, dass er die behandelnden Ärzte und die Gutachter über mehrere Jahre hinweg über seinen Gesundheitszustand getäuscht habe?) Er habe niemanden getäuscht. Es sei so gewesen, wie es gewesen sei. (Weshalb es jetzt, wo die Rente aufgehoben worden sie, möglich sei, dass er eine Anstellung gefunden habe und über längere Zeit arbeiten könne?) Es sei ja nicht so, dass er gleich eine Stellung gefunden habe, nachdem ihm die Rente gestrichen worden sei. Und zweitens, seine Psyche sei immer noch gleich. (Also sie sei immer noch gleich wie vorher, als er die Rente gehabt habe?) Beinahe gleich. Manchmal stehe sein Kopf still. Er gehe irgendwohin und wisse nicht, wohin er gehe. (Trotzdem sei er seit über einem Jahr bei der [Firma 1] angestellt und arbeite dort. Offenbar gehe es ja?) Ja, es sei möglich, aber wie er gesagt habe: Er mache da nicht viel. (Aber offenbar mache er genug, dass er Ende Monat den Lohn bekomme, und das schon seit einer Weile. Also mache er offenbar seine Arbeit recht?) Wenn sie (die Oberrichterin) meine. (Auf Vorhalt, dass sie nicht glaube, dass sein Chef ihn ein Jahr lang behalte, wenn er meine, dass er seine Arbeit nicht recht mache?) Er verstehe nicht, was das damit zu tun habe, seine Arbeit zu machen und dass es seiner Psyche gut gehe. (Es reiche ja offenbar, dass er bei der [Firma 1] arbeiten könne?) Wenn sie (die Oberrichterin) meine. (Was der Chef dazu sage, wie er arbeite? Er spreche ja regelmässig mit ihm, und er sage ihm sicher, ob er zufrieden sei?) Der Chef, der dort sei, sage nichts. (Welcher Chef dann etwas sage?) Der Chef, mit dem sie arbeiten würden, sage nichts zu ihm Zum Beispiel nicht, ob er gut arbeite so. (Ob er nie ein Gespräch mit dem Chef habe, der ihm sage, ob er gut arbeite nicht?) Einmal sei der grosse Chef gekommen. Nicht der grösste, der Unterstellte. Und er habe nicht gesagt, dass er gut arbeite so. (Ob ihm nie jemand gesagt habe, dass er gut schlecht arbeite?) Anscheinend mache er es gut, dass sie ihn dort behielten.

 

3.4.2. Angaben von Drittpersonen

 

3.4.2.1. X.___, Mutter des Beschuldigten

 

Hinsichtlich der Begutachtung bei Dr. med. I.___ hält der Gutachter im Gutachten vom 8. März 2014 Folgendes fest:

 

 «Bei der ersten Explorationen war Frau X.___, die Mutter des Exploranden, im Sprechzimmer mit anwesend. Der Explorand hatte dies ausdrücklich so gewünscht. Frau X.___ spricht Hochdeutsch mit sehr starkem Akzent und lückenhaftem, beschränktem Wortschatz. Im Anschluss an die zweite Exploration am 08.01.2014 berichtete sie im Gespräch „unter vier Augen" (der Explorand wartete in dieser Zeit im Wartezimmer), dass sie äusserst besorgt sei. Sie könne ihren Sohn nicht aus den Augen lassen, speziell müsse sie ihn seit 1-2 Jahren stets begleiten, wenn er aus dem Haus gehe. Sonst komme es zu Zwischenfällen. So habe er im vergangenen Jahr 2013 zweimal psychiatrisch hospitalisiert werden müssen, nachdem er sich in der Stadt von Unbekannten (einmal vom einem Mann, das andere Mal von einem Jungen) eindringlich angeschaut und beobachtet gefühlt hatte, und dann im Warenhaus „Manor" jeweils ein grosses Küchenmesser gekauft habe, um auf diese Personen loszugehen. Zum Glück habe er die Männer dann nicht mehr gefunden, sodass nichts passiert sei.»

 

«Der Vater des Exploranden, von dem Frau X.___ seit vielen Jahren geschieden sei, lebe in Deutschland. Man vermeide den Kontakt zu ihm. Er sei oft sehr gewalttätig gewesen, häufig nervös, zudem „extrem eifersüchtig", dabei sei er selber viel zu Prostituierten gegangen. Gearbeitet habe er nicht.»

 

«Ihre Tochter, die Schwester des Exploranden, stamme vom gleichen Vater. Sie sei heute bald 32 Jahre alt. Sie habe psychische Probleme, rede öfters nicht, sei „komisch und unreif", schlage oft die Mutter auch die Tante.»

 

«Der zweite Sohn, 21-jährig, lebe noch bei der Mutter und arbeite als […]. Er stamme vom 2. Ehemann, von dem sie aber auch bereits geschieden sei, und sei das einzige der 3 Kinder, das gesund sei. Er sei in der Schweiz geboren. Die beiden älteren Kinder (d.h. auch der Explorand) seien [im Ausland] geboren. Frau X.___ sei 1986 zum Arbeiten in die Schweiz gekommen und habe die beiden Kinder bei den Grosseltern gelassen. 1991 habe sie sie in die Schweiz geholt.»

 

«In der Säuglingszeit, ca. im Alter von 9 Monaten, sei der Explorand einmal fast gestorben. Sein Herz habe gestoppt und er habe nicht mehr geatmet. Sein Körper sei hart „wie ein Stein" geworden und das Gesicht habe sich blau-schwarz gefärbt. Sie habe ihn in kaltes Wasser getaucht und sei dann zum Arzt geeilt. Nach ca. 20 Minuten habe das Kind wieder zu atmen begonnen.«

 

«Als Kleinkind sei er immer ruhig gewesen und habe kaum gesprochen. Gespielt habe er schon, habe aber praktisch keine Kameraden Freunde gehabt. Still und schweigsam sei er auch in der Folge geblieben, ausser dass er in den letzten Jahren viel Streit mit anderen habe.»

 

«In der Schule habe der Lehrer sie einmal angerufen und habe ihr gesagt, dass mit dem Kopf des Sohnes etwas nicht in Ordnung sei. Nach Abklärung durch den Schulpsychologischen Dienst sei er in die Kleinklasse umgeteilt worden. Er verstehe einfach vieles nicht. Er sei fast in allen Fächern schlecht gewesen. Sie habe ihm so oft zu helfen versucht, z.B. bei den Mathematik-Hausaufgaben. Deutsch spreche er vermutlich so schlecht, weil er „schlechte Kontakte" resp. schlechte Kollegen gehabt habe.»

 

 «2002 sei der Explorand für 6 - 7 Wochen im [Spital] zur psychosomatischen Abklärung gewesen. Herausgefunden habe man aber nichts. Nach der Schule sei er in [einer Institution] [Ort 9] platziert worden. Nach 1-2 Monaten habe die Lehrerin angerufen und eine psychiatrische Behandlung sowie die Anmeldung bei der Invalidenversicherung empfohlen. In dieser Zeit sei ihr Sohn fast nur zuhause in seinem Zimmer gesessen. Gesprochen habe er mit niemandem, ausser mit dem Cousin und der Cousine. Ja, manchmal lache er schon, z.B. mit seinem Onkel (dem Bruder von Frau X.___). Daneben sei er zunehmend aggressiv, auch gegen die Mutter, die er oft „Hure" schimpfe. Zudem schlage er seine Frau und sei auch gegen die 2 Kinder bedrohlich. Dem kleinen Töchterchen habe er übrigens alle Mädchenkleider zerschnitten. Jetzt ziehe er ihr Knabenkleider an. Die Ehefrau des Exploranden habe vor Kurzem eine neue Klage wegen häuslicher Gewalt deponiert. Die 4 Hospitalisationen in der Psychiatrischen Klinik im Jahr 2013 hätten wenig Besserung gebracht.»

 

(Befragt zu den Fotos von den Observationen:) «Die Männer, mit denen der Explorand auf dem Balkon scherzte, seien der Onkel und dessen kleiner Sohn, der ihn von hinten umfange, sowie der erwähnte Cousin des Exploranden. Bei den Frauen handle es sich um die Ehefrau und die erwähnte Cousine. Das seien die einzigen Personen, denen es gelinge, ihren Sohn etwas aufzuheitern.»

 

Hinsichtlich der Begutachtung bei Dr. med. K.___ hält dieser für den 25. Februar 2015 Folgendes fest (AS 258 ff.):

 

 «Die Mutter des Exploranden bat im Anschluss an das Gespräch mit dem Sohn, noch einige Angaben machen zu dürfen. Sie führte aus, dass es dem Exploranden als Kleinkind einmal im Alter von 12-18 Monaten nachts schlecht gegangen sei. Er habe wohl tagsüber einen Hitzschlag bekommen, so hätten ihr dies die Ärzte später berichtet. Er sei "fast tot" gewesen, woraufhin sie ihm Fiebersirup gegeben habe, ihr Sohn sei daraufhin blass, eiskalt und wie ein Stein, später violett geworden. Sie habe ihn in kaltes Wasser getaucht. Angesprochen, ob ihr Kind noch geatmet habe, berichtete Frau X.___, dass sie dies nicht mehr wisse. Das Ganze sei in der Türkei geschehen. Sie sei in einem Panikzustand mit dem Kind nach draussen auf die Strasse gelaufen. Dort habe sie ein Taxi entdeckt, in dem Polizisten gesessen hätten. Die Polizisten hätten ihr gesagt, das Kind sei schon gestorben. Nach längerem Bitten habe man sie aber 40 Minuten lang ins Spital gefahren. Man habe nur noch das Weisse im Auge des Kindes gesehen. Kurz vor dem Spital habe das Kind geweint. Ihr Sohn habe drei Wochen im Spital verbracht und sei medikamentös behandelt worden. Sie wisse nicht mehr das Medikament (heisse). Es seien Kügelchen gewesen. Der Arzt habe ihr gesagt, ihr Sohn solle die nächsten Jahre dieses Medikament einnehmen, sonst würden bleibende Schäden im Hirnbereich zurückbleiben. Wegen fehlender Fürsorge von ihrer Seite bzw. der Tante habe ihr Sohn aber in den folgenden Jahren diese Medikamente nicht eingenommen. Sie erkläre sich deswegen seinen heutigen Zustand. Ebenso berichtete die Mutter des Exploranden, dass sie 1991 in der Schweiz gewesen sei. Die Grossmutter mütterlicherseits sei damals verstorben. Ihr Sohn habe dann die Grossmutter hängend vor sich gesehen, so dass er in eine Art "Schock" geraten sei und vier Wochen im Spital verbringen musste: Damals habe sie wegen politischen Gründen und da sie Asylbewerberin in der Schweiz gewesen sei, nicht bei ihrem Sohn sein können. In der Schule hätten diverse Lehrer ihr später gesagt, dass etwas nicht mit der Psyche ihres Sohnes stimme. Daraufhin sei er drei- bis viermal beim Schulpsychologen untersucht worden. Sie habe sich deswegen auch vom leiblichen Vater des Kindes getrennt, da sie Sorge gehabt habe, dass er dann auch krank werden könnte. Sie habe sich zunächst darüber geärgert, dass die Lehrer ihr berichtet hätten, dass ihr Kind krank sei. Später habe das RAV ihren Sohn nach [Ort 9] geschickt, um eine Lehre zu […] zu machen. Nach vier Wochen habe sie den Anruf bekommen, dass ihr Sohn krank sei und etwas mit der Psyche nicht stimme. Man habe in der Folge ein Arrangement mit Dr. O.___ gemacht, da ihr Sohn fehlende Sprachkenntnisse in Deutsch gehabt habe. Eine Lehrerin habe schliesslich die IV eingeschaltet.»

 

Hinsichtlich der Begutachtung bei Dr. med. K.___ hält dieser für den 12. März 2015 Folgendes fest (AS 269 ff.):

 

«Zu Beginn eröffnete die Mutter das Gespräch, indem sie äusserte, dass sie nachfragen wolle, wie es um die gesundheitliche Situation des Exploranden stehe, wartete jedoch nicht auf eine Antwort, sondern berichtete weiter. Es sei derzeit kein Zustand zu Hause. Er würde die Mädchensachen der kleinen Tochter des Exploranden zerstören und dieses als Jungen anziehen. Auch auf die Erklärung der Mutter bzw. Ehefrau hin, dass sie damals Mädchen gewesen seien, würde dieser sein Verhalten nicht ändern. Wenn jemand ihn schief angucke, würde aus einem ruhigen Jungen ein "gestörter". Vor zwei Jahren habe er ein grosses Messer gekauft. Sie habe nur mit Hilfe eines anderen jungen Mannes das Messer von ihm wegnehmen können. Bevor Herr A.___ mit seiner Ehefrau zusammen gewesen sei, sei er ruhig und nur am Denken, Grübeln am Fernsehschauen gewesen. Sie habe damals keine Sorgen wie heutzutage gehabt. Ihr Sohn sei verändert. Ihre Nichte habe ihrem Sohn seine zukünftige Frau vorgestellt. Schon damals habe sie zu der künftigen Schwiegertochter gesagt, er sei nicht gesund im Geist, es würde nicht gutgehen. Die Schwiegertochter sei damals noch liiert gewesen. Sie vermutet, dass sie wohl wegen dem Aufenthalt Kinder mit ihrem Sohn gezeugt habe, sonst könne sie es nicht erklären. Bis heute habe sie keinen Ausweis erhalten. Ihr Sohn würde es nicht begreifen. Es sei seine erste Partnerin.

 

Auf die Frage, ob sie wisse, warum ein Gutachten erstellt werde, entgegnete Frau X.___, dass sie es nicht wisse, genauso wenig wie ihr Anwalt. Konfrontiert mit dem Tatvorwurf des Betruges berichtete sie, dass ihr Sohn krank sei. Sie würde wünschen, dass er gesund wäre. Er sei auch bei anderen Ärzten gewesen, sonst wäre ja alles normal. Aufgefordert, Stellung zu den Observationen zu nehmen, berichtete sie, dass sich ihr Sohn mit Verwandten und der Ehefrau derart gut präsentiert habe. Er sei ja körperlich nicht, sondern geistig behindert. Wenn er seine Medikamente nicht einnehme, erscheine er noch eine Zeit lang normal. Aber wenn er etwas Einfaches gefragt werde, werde er unberechenbar, er könne jemanden anfallen. Auch der Vater des Exploranden sei so gewesen. Sie habe ihn damals in dem Glauben geheiratet, dass er normal sei. Ihre Tochter und der Explorand würden anders ticken, da sie vom gleichen Vater stammen würden, der Halbbruder sei gesund. Sie habe lange gebraucht um zu akzeptieren, dass ihr Sohn nicht gesund sei. Angesprochen, ob er aktuell regelmässig die Medikamente einnehme, berichtete Frau X.___, dass dem so sei. Vor der Heirat habe er nicht regelmässig Medikamente eingenommen. Darauf angesprochen, warum kein Spiegel dieser Medikamente im Blut nachzuweisen sei, entgegnete Frau X.___, er nehme mehrere Tabletten, jedoch nicht die Schlaftabletten. Angesprochen auf den Widerspruch zu den Laborbefunden berichtete sie, dass es ihm manchmal schlecht sei. Sie gebe ihm die Medikamente regelmässig ab. Schlaftabletten nehme er ab und zu nicht ein, er würde nicht die Dosis einnehmen, die das Spital verordnet habe, sondern die, die Dr. O.___ ihm verschreiben würde. Bei der "hohen Dosis 800-850 mg" sei es ihm sehr schlecht gegangen. Angesprochen auf die Widersprüche aus den Observationen und den angegebenen Beschwerden in den Arztgesprächen bezüglich Bewegungen, Interaktionen und Sozialverhalten berichtete sie, dass sie dazu damals keine Informationen gehabt habe. Sie hätte es nicht geduldet, wenn er Auto gefahren wäre. Die Widersprüche zwischen den geltend gemachten Einschränkungen und den Observationsergebnissen erklärte sich Frau X.___ damit, dass er etwas tue, wenn er in Begleitung von jemand sei. Dann könne er etwas. Ihr Sohn sei aber nicht immer gleich. Was in ihm herumschwirre, sei nicht möglich für andere zu begreifen. Ihre Nachbarn z. B. würden denken, dass er ein anständiger junger Mann sei. Gegenüber ihr sei er aber auch aggressiv und ausfallend bzw. zu Hause. Sie habe sich extra vom Vater der Kinder getrennt, da sie nicht so werden sollten wie der Vater. Wahrscheinlich sei es aber genetisch bedingt. Angesprochen auf die Gefährdungsmeldungen hinsichtlich der Kindssituation zu Hause entgegnete Frau X.___, dass ihr Sohn das Weinen seiner Kinder nicht ertrage, er ginge dann auf die Kinder zu und schreie sie an. Im November 2014 habe er versucht, seine Ehefrau zu treten, habe aber die Mutter getroffen. Sie sei daraufhin ohnmächtig geworden. Auf die Frage, ob er auch ausserhalb des Trittes gewalttätig sei, entgegnete Frau X.___, dass er seine Partnerin regelmässig ohrfeige bzw. häufig beschimpfe. Die beleidigte Partnerin sei eine Zeitlang aus dem Haushalt gegangen, dann aber wieder zurückgekehrt.»

 

AS 270: «Angesprochen darauf, ob sie Angst vor ihrem Sohn habe, entgegnete sie, dass sie dies nicht habe. Sie wolle ihren Sohn auch nicht anzeigen. Sie habe in der Zeit grosse Angst um jemand anderen gehabt, als ihr Sohn ein Messer besorgt habe, dies in seinen Hosenbund gesteckt habe und so seine Hose zerschnitten habe. Er habe den anderen verletzen wollen. Ihr Sohn ertrage es nicht lange in einer psychiatrischen Klinik und breche dann aus dieser aus. Angesprochen, dass ihre Schilderung der Situation eine Fremdgefährdung durch den Exploranden als wahrscheinlich erscheinen lasse und daraus mögliche rechtliche Konsequenzen mit einer Zwangsbehandlung resultieren könnten bzw. eine längere Behandlung in einer Klinik gegen seinen Willen, entgegnete Frau X.___, dass er doch dort erst verrückt werden würde. Schliesslich fügte sie an, dass er von ihrem Grossvater als Kind schlimm verprügelt worden sei. Er sei durch diesen mit einem Messer geängstigt worden und habe wohl viel erlitten. Sie habe damals nicht anwesend sein können, da sie ein Asylverfahren in der Schweiz hängig gehabt habe.»

 

Hinsichtlich der Begutachtung bei Dr. med. K.___ hält dieser für den 18. März 2015 Folgendes fest (AS 269 ff.):

 

«Die Mutter des Exploranden erschien ohne vorherige Terminabsprache an der Pforte der [der Klinik] zu einem Gespräch, das dann in einem nahe der Pforte gelegenen Raum stattfand. Das Gespräch erfolgte dementsprechend ohne Dolmetscher. Sie berichtete, dass alles, was sie bisher gesagt habe, richtig gewesen sei. Sie nehme ihren Sohn zu sich, wenn er Probleme mache. Sie lasse ihn nicht zu der Ehefrau. Sie drückte in der Folge ihre Angst aus, dass ihr Sohn für eine lange Zeit bzw. immer in einer Klinik sei. Er solle nicht bis zum Tod in der Klinik sein, sondern sie wolle ihren Sohn zuhause sehen. In der Nacht auf den 18.03.2015 sei er einfach verschwunden. Er sei zur Aare gegangen, habe aber nicht gesagt warum. Mit Hilfe der Familie sei er dann aber „unfreiwillig" zurückgekommen. Manchmal gehe es ihm wenige Zeit "normal", dann sei er wieder reizbar verstehe "wie eine Bombe" etwas falsch. Früher habe er seine Frau geschlagen, Schuld sei die Krankheit des Sohnes. Sie habe auch der Schwiegertochter im Hinblick auf dessen Erkrankung gesagt, sie solle nicht mit ihrem Sohn zusammenkommen. Da sich keine wesentlichen neuen Inhaltspunkte während des Gespräches zeigten, beendete der Sachverständige dieses nach 15 Minuten.»

 

Für die Angaben der Mutter des Beschuldigten anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 24. November 2015 (AS 436 ff.) wird auf die Zusammenfassung der ersten Instanz (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.3.6. lit. a, S. 76 f.) verwiesen.

 

3.4.2.2. H.___

 

Für die Angaben der Ehefrau des Beschuldigten anlässlich der polizeilichen Einvernahme als Auskunftsperson vom 4. Oktober 2017 (AS 446 ff.) wird grundsätzlich auf die zusammenfassenden Ausführungen der ersten Instanz in ihrem Urteil vom 15. März 2021 verwiesen (Urteil S-L Ziff. II. / 4.1.4. lit. a, S. 45).

Ergänzend dazu führt die Ehefrau zum Kennenlernen aus (AS 453, Z. 239 ff.):

«Wir haben uns in [Ort 10] in einem Restaurant kennen gelernt. Wir hatten einander dann die Telefonnummer gegeben. Und so kamen wir in Kontakt und fingen uns an zu treffen und dann bin ich zu ihm gezogen. Einen Monat zwei hatten wir Telefonkontakt. Im 2010 hatten wir dann in der gleichen Wohnung gelebt. AF: in [Ort 12] hatten wir uns kennen gelernt. AF: ah. In [Ort 2] lebten wir dann zusammen.»

 

bzw. Z. 257 f.: «Als wir uns kennen lernen kam er mit seinem Cousin in das Restaurant. AF: Y.___.» (…) Z. 269 ff.: «Sein Cousin sagte dem A.___, es tue ihm gut, wenn er raus komme. Sie wissen sicher auch, wo es die [ausländischen] Restaurants gibt. Eine Kollegin von mir hatte dort die Vorverlobung und wir gingen dann auch noch dorthin und hatten einander dort dann kennen gelernt.»

 

AS 459 Z. 480 f. auf Frage, wie ihr Mann Ende 2010 / Anfang 2011 war: «Das ist die Phase in der wir uns kennen lernten, ich mit unserer Tochter schwanger war. Da war es gut. (Auf Vorhalt, dass gemäss den vorhandenen Notizen am IV-Revisionsgespräch vom 11.01.2011 kein vernünftiges Gespräch mit ihrem Mann möglich gewesen sei:) Aber wissen Sie, wenn ich sage, dass es gut war, dann war er nicht gestresst traurig wollte mir einen Schaden zufügen. Aber dass er eher ein Verschlossener ist, das hat er auch jetzt. Das was er sagt, dass es ihm jetzt gut geht ist, dass er jetzt keine Stimmen mehr hört. Ich sage ja nicht, dass es ihm rund um die Uhr ununterbrochen gut geht. Es gibt schon Phasen, wo er traurig und bedrückt ist, es ihm nicht gut geht. Aber es geht.» (Auf Vorhalt, dass er bei ihr wohl kaum kein vernünftiges Gespräch zustandegebracht habe, ansonsten sie nicht zusammen gekommen wären:) Ich war ja nicht an der Sitzung dem Gespräch mit dabei. Ich weiss ja nicht, wie er da war. Ich sage nur, wie ich ihn erlebt habe. (…) Also so wie ich ihn erlebt hatte, war es gut. Ich hatte nicht festgestellt, dass er bedrückt wäre so. Ich habe alles erst später erfahren.»

 

4. Beweiswürdigung

 

4.1. Im Sinne einer Vorbemerkung ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die den Beschuldigten untersuchenden Ärzte im gesamten zur Beurteilung stehenden Zeitraum von 2001 bis 2011 zu keiner übereinstimmenden Diagnose gelangt sind. Vielmehr wird von den Ärzten explizit darauf hingewiesen, dass beim Beschuldigten von keiner gesicherten Diagnose ausgegangen werden kann bzw. nicht schlüssig eruiert werden kann, wie das Verhalten des Beschuldigten in psychiatrisch-psychologischer Sicht eingeordnet werden muss. Es ist umstritten, ob und wenn ja unter welcher Beeinträchtigung der Beschuldigte leidet und ob (und wenn ja inwiefern) ihn diese Beeinträchtigung im Alltag einschränkt. Dies nicht nur im heutigen Zeitpunkt, sondern es ist auch umstritten, ob der Beschuldigte überhaupt jemals, d.h. seit Zusprache der IV-Rente Ende September 2008 (rückwirkend per 1. Juni 2001, AS 1942 ff.) an einer invalidisierenden Beeinträchtigung gelitten hat ob davon auszugehen ist, dass der Beschuldigte bereits zum damaligen Zeitpunkt die zuständigen Behörden aktiv über seinen Gesundheitszustand getäuscht hat. Als einzige Gemeinsamkeit lässt sich feststellen, dass der Beschuldigte gemäss sämtlichen ihn untersuchenden Ärzten bei den jeweiligen Untersuchungen sich wortkarg, teilweise mit mutistischen Zügen, grossflächig vergesslich sowie zumindest teilweise stark unter Rückenschmerzen leidend, gezeigt hat, sofern er überhaupt gewillt war, Fragen zu beantworten. Es gilt daher im Folgenden, die objektiven Beweismittel einer vertieften Prüfung zu unterziehen und die vorhandenen Beweismittel in sachlicher wie zeitlicher Hinsicht zueinander in Relation zu setzen.

 

4.2. Zunächst ist festzuhalten, dass die Angaben des Beschuldigten selbst durchwegs unglaubhaft zu qualifizieren sind und darauf nicht abgestellt werden kann. So ist festzustellen, dass mehrere Angaben des Beschuldigten durch die vorliegenden Akten direkt widerlegt werden können. So gab der Beschuldigte bspw. bei der Begutachtung durch Dr. med. K.___ vom 25. Februar 2015 und 12. März 2015 (AS 258 ff.) an, über keinen Führerausweis zu verfügen. Er könne sich nicht erinnern, ob er jemals einen gemacht habe ob er jemals Auto gefahren sei (AS 262, s. diesbezüglich auch die Feststellung von Dipl. Psych. L.___ in AS 210). Auch die Ehefrau des Beschuldigten gab an, dass der Beschuldigte über keinen Führerausweis verfüge. Den von der MFK beigezogenen Akten ist jedoch zu entnehmen, dass der verkehrspsychologische Gutachter dem Beschuldigten zwar gewisse intellektuelle Einschränkungen und eine verlangsamte Lernfähigkeit bescheinigte (s. auch AS 186); diese Einschränkungen fielen jedoch nicht derart gravierend aus, als dass dem Beschuldigten ein sicheres Fahren nicht mehr zuzutrauen gewesen wäre. Nachdem der Beschuldigte am 6. Februar 2004 zunächst den theoretischen Teil der Führerausweisprüfung bestanden hatte (AS 169, Ziff. 3.3.6. vorstehend), bestand er am 24. Februar 2006 auch den praktischen Teil der Führerausweisprüfung und erwarb somit seinen Führerausweis (Ziff. 3.3.11. vorstehend). Anlässlich der von der G.___ AG durchgeführten Observationen wurde der Beschuldigte denn auch mehrfach dabei beobachtet, wie er einen Pw lenkte; gemäss Angaben des Observierenden bewegt sich der Beschuldigte dabei sicher und ohne Auffälligkeiten durch den Verkehr. Ebenso konnte seine Ehefrau dabei beobachtet werden, wie sie auf dem Beifahrersitz mit dem Beschuldigten im Fahrzeug unterwegs war wie sie am 17. August 2011 gemeinsam zu einer Probefahrt eines Opel Astra aufgebrochen sind (s. den 2. Bericht der G.___ AG in AS 068 ff., Ziff. 3.3.18. vorstehend). Die Angaben des Beschuldigten und dessen Ehefrau gegenüber dem Gutachter bzw. gegenüber den Strafverfolgungsbehörden entsprechen damit offensichtlich nicht der Wahrheit.

 

4.3. Weiter sind die angeblich schwachen Sprachverständnisse des Beschuldigten stark in Zweifel zu ziehen: Gewisse Einvernahmen und Befragungen konnte der Beschuldigte ohne Beizug eines Dolmetschers durchführen, in anderen Einvernahmen wiederum war der Beizug eines Dolmetschers zwingend notwendig und der Beschuldigte gab an, die Fragen bzw. deren Inhalt ansonsten nicht richtig zu verstehen. Diesbezüglich hielt bspw. Dipl. Psych. L.___ in ihrem Zusatzgutachten fest (AS 210):

 

«Der Explorand gab aktuell an, nur sehr schlecht Deutsch zu verstehen und zu sprechen, so dass er sich vom anwesenden Dolmetscher alle Gesprächsinhalte übersetzen liess und selbst – mit wenigen Ausnahmen – nur [in Fremdsprache] antwortete. Bei den psychiatrischen Vorgutachten und den Gesprächen anlässlich der Rentenrevision auf der IV-Stelle Solothurn jedoch, war – soweit aus den Akten ersichtlich, eine Kommunikation auf Deutsch durchaus möglich. Ausserdem besuchte der Explorand 2003 den theoretischen Unterricht einer Fahrschule und legte im Februar 2004 die theoretischen Prüfungen – soweit bekannt – in deutscher Sprache ab.»

 

Es drängt sich daher die Vermutung auf, der Beschuldigte spiele seine Kenntnisse der deutschen Sprache bewusst herunter. Dies zeigt sich auch anlässlich der mündlichen Berufungsverhandlung, wo der Beschuldigte gewisse Fragen, die auf Deutsch gestellt wurden, ohne weiteres auch auf Deutsch beantworten konnte.

 

4.4. In derselben Weise ist auch das Antwortverhalten des Beschuldigten vor Gericht zu würdigen: Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.3. lit. e, S. 44 f.), beantwortete der Beschuldigte alle Fragen zu seiner Person zunächst sehr bereitwillig. Von wortkargen Äusserungen mutistischen Zügen konnte nichts bemerkt werden. Demgegenüber musste sogar festgestellt werden, dass der Beschuldigte dann, als die Fragen tatsächlich eindringlicher unangenehmer wurden, zu bisweilen relativ frechen und auch patzigen Antworten neigte. Dies lässt sich beispielhaft der Schlusseinvernahme der Staatsanwaltschaft vom 5. November 2018 (AS 484.1 ff., Ziff. 3.4.1.5. vorstehend) entnehmen, als der Staatsanwalt den Beschuldigten relativ eindringlich und unmissverständlich mit den Vorhalten konfrontierte und der Beschuldigte schliesslich nicht mehr bereit war, Fragen zu beantworten. Mit dem in den Akten geschilderten Verhalten des Beschuldigten, wonach er scheu, zurückhaltend, ängstlich etc. sei, kann dieses Verhalten überhaupt nicht in Einklang gebracht werden. Anlässlich der mündlichen Berufungsverhandlung beantwortete der Beschuldigte zwar alle Fragen, zuweilen wurden die Antworten aber auch hier etwas patzig («Was geht Sie das an?» «Wenn Sie meinen.»).

 

4.5. Allgemein kann dem Beschuldigten gestützt auf die vorliegenden Akten ein ambivalentes Verhalten attestiert werden. Während er insbesondere in den ärztlichen Begutachtungen ein wortkarges, beinahe mutistisches Verhalten mit grosser Vergesslichkeit an den Tag legte (die Vorinstanz spricht hier vom «Paradebeispiel», wonach der Beschuldigte oft nicht mehr wisse, was er gegessen habe [Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.1.3. lit. e, S. 44 f.]), zeigte er anlässlich der durchgeführten Observation in keinerlei erkennbaren Einschränkungen. Dem Zusatzgutachten von Dr. L.___ ist diesbezüglich (anstelle vieler) zu entnehmen (AS 210):

 

«Die Diskrepanz zwischen dem auf den Videoaufnahmen zu beobachtenden Verhalten (inkl. Kleidungsstil, Körperhaltung, Gangart) im privaten Rahmen gegenüber dem Verhalten beim Gang zur IV-Stelle und dem dortigen, im Rapport vom 07.03.2011 festgehaltenen Verhalten im Gespräch vom 11.01. und 07.03.2011 weist stark auf eine verzerrte Beschwerdendarstellung gegenüber der IV hin. Auf den Überwachungsvideos ist mehrfach zu sehen, wie sich der Explorand über längere Zeit hinweg angeregt, engagiert und flüssig unterhält, ohne dass es nonverbale Hinweise auf Unterbrüche im Redefluss, wie sie bei Wortfindungen, Faden.- bzw. Gedankenabreissen Erinnerungslücken zu erwarten wären, gegeben hätte. Auch wirkt sein Gesprächsverhalten keineswegs mutistisch.»

 

Auch der Stellungnahme des RAD vom 3. Juni 2015 (AS 703 ff.) sind deutliche Widersprüche zu entnehmen:

 

 «Auch hier fällt die Diskrepanz zwischen der Amnesie bezüglich biographischer Ereignisse und dem Umstand, dass er zum Beispiel bezüglich Stand des IV-Verfahrens sehr wohl orientiert ist dass die Familie von der Sozialhilfe unterstützt wird, auf.»

 

Diese Ausführungen sind allesamt zutreffend. Die Observationsergebnisse zeigen ein völlig anderes Bild des Beschuldigten, als dieser von sich selbst während dem zu beurteilenden Zeitraum den untersuchenden Ärzten präsentierte. Er zeigte sich locker im Umgang mit weiteren Drittpersonen – bspw. im 80-minütigen Gespräch mit seinem Cousin auf dem Balkon im Plausch ringend mit seinem Neffen – und konnte ohne ersichtliche Probleme telefonieren und soziale Kontakte pflegen. Er konnte alleine zusammen mit seiner Ehefrau und/oder weiteren Personen die Wohnung verlassen, er konnte einen Flachbildfernseher sowie eine Satellitenschüssel transportieren und alleine wie auch zu zweit einkaufen gehen und schwere Sachen tragen. Er ging im zu beurteilenden Zeitraum mit seinem Cousin in den Ausgang und lernte dort – gemäss übereinstimmenden Angaben – seine Ehefrau kennen. Diese wiederum berichtete davon, beim Beschuldigten keinerlei sozialen psychischen Einschränkungen festgestellt zu haben, am Anfang sei die Beziehung schön gewesen; sie sei auch schnell schwanger geworden. Sie waren rund drei Jahre zusammen, bevor sie am 6. Februar 2013 nach der Geburt des ersten Kindes V.___ (geb. …) resp. während der Schwangerschaft mit dem zweiten Kind W.___ (geb. …) heirateten (AS 1582, AS 232).

 

4.6. Die Widersprüche in den Angaben des Beschuldigten und dessen Entourage gehen dabei so weit, dass sie nicht nur als Unstimmigkeit, sondern bereits als Lüge qualifiziert werden müssen. Sinnbildlich hält Dr. med. D.___ in seinem psychiatrischen Gutachten vom 20. Oktober 2007 fest, der Beschuldigte versuche aktiv, eine eigentlich angezeigte stationäre Abklärung zu verhindern. «Er hat gelernt, wie man den Forderungen ausweicht und trotzdem irgendwie durchkommt.» Es sei davon auszugehen, dass der Beschuldigte sein Verhalten bewusst steuere (psychiatrisches Gutachten Dr. med. D.___ vom 20.10.2007, AS 1969 ff., Ziff. 3.2.12. vorstehend).

 

Gestützt auf die vorliegenden Ermittlungsergebnisse ist auch davon auszugehen, dass Dr. med. D.___ mit seiner Vermutung richtig lag. So sind bspw. folgende Widersprüche festzustellen:

 

-        Gegenüber dem behandelnden Oberarzt im [Spital] gibt der Beschuldigte im Oktober 2005 an, er habe viele Schmerzen, könne nicht lange sitzen, und die Schmerzen seien während der Hospitalisation sogar noch schlimmer geworden (Bericht Dr. med. A. S.___ vom 20.10.2005, AS 1990 ff., Ziff. 3.3.10. vorstehend). Dabei verschweigt der Beschuldigte bewusst, dass er bereits mehrmals versucht hat, den praktischen Führerschein zu erwerben (tatsächlich hat er diesen nur vier Monate später erworben). Aus den zugehörigen Akten der MFK gehen keinerlei körperliche übermässige geistige Einschränkungen hervor.

 

-        Anlässlich des ersten Revisionsgesprächs mit der IV vom 11. Januar 2011 (AS 1920 ff., Ziff. 3.3.16. vorstehend) gab der Beschuldigte an, nur für kleine Spaziergänge aus dem Haus zu gehen, nie alleine. Er habe keine sichere Antwort, ob er sich am Leben freue. Er habe keine Kraft, etwas zu machen. Er wohne alleine in der Wohnung. Den Observationsergebnissen der G.___ AG ist jedoch zu entnehmen, dass der Beschuldigte sich als lebenslustiger Mann herausstellt, der das Haus sowohl alleine als auch in Begleitung verlässt, Gäste empfängt, soziale Kontakte pflegt, schwere Einkaufstaschen tragen kann etc. Ebenso ist den Ergebnissen zu entnehmen, dass der Beschuldigte bereits zu diesem Zeitpunkt mit seiner schwangeren Freundin zusammenlebte.

 

-        Anlässlich des dritten Revisionsgesprächs mit der IV vom 19. April 2011 (AS 1910 ff., Ziff. 3.3.19. vorstehend) gab die Cousine des Beschuldigten an (der Beschuldigte selbst sprach zu diesem Zeitpunkt angeblich nicht), sein Tagesprogramm bestehe darin, ihr (der Cousine) beim Arbeiten zuzuschauen Fernsehen zu schauen. Wenn sie nicht da sei, kümmere sich ihr Ehemann um den Beschuldigten. Wiederum wird die schwangere Lebenspartnerin des Beschuldigten mit keinem Wort erwähnt.

 

-        Anlässlich des vierten Revisionsgesprächs vom 6. September 2011 (AS 018, Ziff. 3.3.20. vorstehend) gab die Mutter des Beschuldigten an (der Beschuldigte sprach wiederum nicht), der Beschuldigte wohne nach wie vor alleine und sei immer auf die Hilfe Dritter angewiesen, er gehe nie alleine aus dem Haus. Der Sohn sei zwar mittlerweile Vater geworden, aber er wohne nach wie vor alleine; die Freundin des Sohnes sei nur auf eine Aufenthaltsbewilligung aus. Dass die Freundin des Beschuldigten mit der gemeinsamen Tochter längstens beim Beschuldigten eingezogen ist, wird nicht erwähnt.

 

4.7. Der Beschuldigte bringt u.a. vor, es sei nicht er selber gewesen, der die Angaben gegenüber den behandelnden Ärzten gemacht habe; ihm selber könnten keine konkreten Handlungen vorgeworfen werfen. Dieses Argument vermag jedoch nicht, die dargestellten Diskrepanzen zwischen den Angaben des Beschuldigten und dessen Verhalten aufzuwiegen. Der Beschuldigte schuf sich zusammen mit seiner Mutter und seinen angeblichen Betreuungspersonen wie insb. der Cousine ein Konstrukt, gemäss welchem er über einen schlechten Gesundheitszustand verfügte, kaum, und wenn nur schlecht sprechen konnte und über kaum genügend Kraft zum Leben verfügte. Dass der Beschuldigte selber beinahe keine eigenen Angaben tätigte – da angeblich wortkarg und mustistisch veranlagt – gehörte als Element zu diesem System dazu und bildete Teil des dargestellten Problems. Aus dem Argument, er habe selbst nicht viel gesagt, vermag der Beschuldigte deshalb nichts zu seinen Gunsten abzuleiten.

 

4.8. Anstelle weiterer, zahlreicher Darstellungen, weshalb vorliegend nicht nur nicht auf die Angaben des Beschuldigten, sondern auch nicht auf die dem Beschuldigten grosse Einschränkungen attestierenden Gutachten abgestellt werden kann, ist auf die Ausführungen des Versicherungsgerichts in seinem Urteil vom 16. Oktober 2013 betr. die Verfügung der IV-Stelle vom 28. August 2012 hinsichtlich Aufhebung der IV-Rente (VSBES.2012.256, AS 547 ff., S. 18), zu verweisen. Dieses hält in stringenter Würdigung der in den Akten liegenden Berichte und Gutachten Folgendes fest:

 

«Die Beschwerdegegnerin holte nach der Anmeldung diverse Arztberichte sowie zwei Gutachten ein, welche zu völlig unterschiedlichen Diagnosen gelangten und dementsprechend auch die Arbeitsfähigkeit anders beurteilten. Gemeinsam ist diesen Stellungnahmen, dass die Ärzte grosse Mühe bekundeten, mit dem Beschwerdeführer ein Gespräch zu führen, da dieser mutistisch und abweisend war. Dr. P.___ erklärte denn auch in seinem Gutachten vom 16. Januar 2003, es sei ihm nicht möglich, eine klare Aussage zur Arbeitsfähigkeit zu machen (IV-Nr. 24 S. 9), während Dr. D.___ diese auf 85 % bezifferte (IV-Nr. 64 S. 9). Den Ausschlag für eine Rentenzusprache gab schliesslich die Einschätzung des RAD-Arztes, angesichts des Krankheitsbildes liege eine schwere psychische Störung vor, auch wenn diese je nach Arzt diagnostisch anders eingeordnet werde. Daran kann jedoch nicht länger festgehalten werden. Die Observation zeigte einen Beschwerdeführer, dessen normales Alltagsleben in einem krassen Gegensatz zum auffälligen Verhalten während der Abklärungen steht. Zu betonen ist namentlich, dass der Beschwerdeführer nur bei den Ärzten resp. der Beschwerdegegnerin schweigsam und in sich gekehrt war, während er im Privatleben stets kommunikativ und ohne erkennbare Probleme im Umgang mit anderen Menschen auftrat. Mutistisch erschien er dort nie, vielmehr stritt er sich am 20. Mai 2011 sogar aktiv mit seiner Partnerin. Auch die Angaben zur Lebensgestaltung widersprechen den tatsächlichen Verhältnissen: So verlässt der Beschwerdeführer alleine das Haus und fährt mit dem Auto, was er im Revisionsgespräch verneint hatte. Schmerzäusserungen eingeschränkte Bewegungsabläufe wurden keine registriert, der Beschwerdeführer konnte Lasten tragen und – entgegen seiner Darstellung – längere Zeit sitzen. Sein Aktivitätsniveau mit Einkäufen, Spaziergängen und Besuchen unterscheidet sich insgesamt kaum von dem, was viele gesunde Personen in ihrer Freizeit tun. Dr. D.___ gelangte gestützt auf diese Beobachtungen, welche weder die rigiden Verhaltensweisen einer Persönlichkeitsstörung noch eine Behinderung durch Schmerzen erkennen lassen, in nachvollziehbarer Weise zum Schluss, dass seit 2007 (d.h. dem Zeitpunkt der ersten Untersuchung durch ihn) keine relevante psychische Störung vorlag. Es besteht kein Anlass, diese Beurteilung anzuzweifeln. Dr. D.___ ist ein unabhängiger Facharzt auf dem Gebiet der Psychiatrie, dem die Vorgeschichte von der früheren Begutachtung her aus eigener Anschauung bekannt ist. Die Verneinung einer psychischen Störung überzeugt umso mehr, als nie eine wirklich gesicherte Diagnose vorlag und schon vor der Observation der Verdacht auf eine bewusste Verhaltenssteuerung geäussert worden war. Der Einwand des Beschwerdeführers, mehrere Ärzte hätten in der Vergangenheit eine Störung bestätigt, dringt vor diesem Hintergrund nicht durch. Die Umstände lassen schwerlich einen anderen Schluss als den zu, dass der Beschwerdeführer eine psychische Erkrankung nur vorgespielt und die Ärzte resp. die Beschwerdegegnerin bewusst getäuscht hat. Besonders aufschlussreich ist hier der 19. April 2011, an dem ein Gespräch mit der Beschwerdegegnerin stattfand. Der Beschwerdeführer wurde nicht etwa von seiner Cousine zu Hause abgeholt, sondern er brach alleine auf und traf sie erst unterwegs. Wie die Filmaufnahmen zeigen, unterhielt er sich mit ihr, bevor man das Gebäude der Beschwerdegegnerin betrat. Während des dortigen Gesprächs gab sich der Beschwerdeführer demgegenüber gewohnt schweigsam und widersprach nicht, als seine Cousine erzählte, er rede auch zu Hause sehr wenig und gehe nie allein nach draussen. Nach seiner Heimkehr empfing er sodann Besuch, mit dem er sich ausgiebig unterhielt. Dieses völlig unterschiedliche Verhalten am gleichen Tag, mit der Beschränkung des bizarren Auftretens auf das Abklärungsgespräch, zeigt unmissverständlich, dass der Beschwerdeführer sein Benehmen bewusst steuerte, um bei der Invalidenversicherung einen falschen Eindruck zu erwecken. Am 8. Dezember 2011 wiederum bestätigte er zwar auf Nachfrage von Dr. D.___ hin, dass er Vater geworden sei, erwähnte jedoch mit keinem Wort, dass er seit Monaten zusammen mit der Kindsmutter lebt und eine Partnerschaft führt; er sagte vielmehr nur, dass die von ihm gewünschte Heirat nicht möglich sei. Die Verschleierungsabsicht liegt bei derart selektiven Angaben auf der Hand.»

 

a.a.O., S. 19:

 

«Der Beschwerdeführer vermag mit seinen Vorbringen die Aussagekraft der Observation nicht zu relativieren. Sein Einwand, die Personen, mit denen er sich unterhalten habe, seien ihm alle vertraut gewesen, dringt nicht durch. Einerseits ist zu entgegnen, dass ja behauptet worden war, der Beschwerdeführer rede auch mit seinen Angehörigen nur sehr wenig; andererseits war er in der Lage, alleine Läden aufzusuchen und Einkäufe zu tätigen sowie eine Probefahrt mit einem Auto zu machen, was kaum möglich gewesen wäre, wenn er beim Garagier einen ähnlich merkwürdigen Eindruck wie bei den Ärzten hinterlassen hätte. Man kann auch nicht ernsthaft sagen, der Beschwerdeführer sei just dann observiert worden, als er gerade einen guten Tag gehabt habe, bot er doch an verschiedenen Tagen, verteilt auf sieben Monate, stets das ziemlich gleiche Bild, so dass von einem aussagekräftigen Querschnitt ausgegangen werden kann. Geradezu lächerlich ist die Erklärung von Dr. O.___, der Beschwerdeführer sei während der Beobachtung frisch verliebt gewesen, da verhalte man sich eben anders als sonst: Wohl kann eine harmonische romantische Beziehung sich günstig auf die Psyche auswirken, aber es ist schwer vorstellbar, dass eine bisher mutistische Person deshalb nun plötzlich locker und ungezwungen mit Menschen umgeht, nachdem die bisherigen therapeutischen Bemühungen ohne Erfolg geblieben waren. Man muss sich ohnehin die Frage stellen, wie ein Mann, der so verschlossen ist, wie der Beschwerdeführer vorgibt, überhaupt in der Lage sein soll, die Bekanntschaft einer Frau zu machen und eine sexuelle Beziehung aufzunehmen. Ebenfalls nicht stichhaltig ist der Einwand, der Beschwerdeführer sei mit einem IQ von 64 Punkten nicht intelligent genug, um über Jahre hinweg die Ärzte zu täuschen. Erstens besteht laut dem Gutachter Dr. P.___ mit 72 Punkten gar keine relevante Intelligenzminderung (was Dr. D.___ im Ergebnis bestätigt), und auch keiner der behandelnden Ärzte hat einen Test gemacht, der eine Minderintelligenz belegen würde. Zwar sprach die Psychologin Z.___ in der Tat von einem durchschnittlichen IQ von 64. Dies vermag aber nicht zu überzeugen, da der fragliche Bericht lediglich von verschiedenen angewendeten Testverfahren spricht, ohne dazu nähere Angaben zu machen; namentlich bleibt so die Frage offen, inwieweit der Beschwerdeführer motiviert mitgewirkt hat. Zweitens zeigt die Observation auf eindrückliche Weise, dass eine Täuschung faktisch möglich war. Im Übrigen ist zu betonen, dass das Vorgehen des Beschwerdeführers alles andere als raffiniert gut durchdacht war: Er spielte den Ärzten nicht etwa ein bestimmtes Krankheitsbild mit diversen spezifischen Symptomen vor (was wohl in der Tat intellektuell recht anspruchsvoll wäre), sondern verweigerte einfach das Gespräch, wobei er noch nicht einmal so schlau war, die Maskerade aufrechtzuerhalten, wenn er sich in die Öffentlichkeit begab. Dieses schlichte Täuschungsmanöver könnte auch von einer Person durchgezogen werden, die nicht überdurchschnittlich sogar unterdurchschnittlich intelligent ist.»

 

«Die rückwirkende Feststellung von Dr. D.___, es habe bereits 2007 kein Gesundheitsschaden vorgelegen, ist nicht zu beanstanden, denn die Observation von 2011 erlaubt in der Tat verlässliche Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand in früheren Jahren. Es geht hier nämlich nicht um ein Leiden wie z.B. eine Depression, die im Verlauf typischerweise stark schwanken kann und so einer retrospektiven Beurteilung nicht gut zugänglich ist (s. dazu Urteil des Bundesgerichts 9C 343/2012 vom 11. Oktober 2012, E. 4.3.2 f.); vielmehr steht eine Persönlichkeitsstörung zur Diskussion, also gemäss ICD-10 ein in der Regel verfestigter und über die Jahre hinweg stabiler Zustand. Das mutistische Verhalten des Beschwerdeführers, welches früher als psychische Störung aufgefasst wurde und nun als Täuschung entlarvt ist, war damals wie heute grundsätzlich gleich. Dies lässt nur den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer stets gesund war und sein Verhalten von Anfang an bewusst steuerte. Dies wird dadurch bekräftigt, dass bereits vor Jahren ein solcher Verdacht geäussert worden war, gerade auch von Dr. D.___ in seinem Gutachten vom 20. Dezember 2007. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer augenscheinlich schon vor der Observation seine Partnerin kennengelernt und das Autofahren erlernt haben muss, was ebenfalls ein Indiz dafür bildet, dass bereits vor diesem Zeitpunkt keine psychische Störung vorlag.»

 

«Mittlerweile soll der Beschwerdeführer offenbar unter einer paranoiden Schizophrenie leiden. Ob und inwieweit dies zutrifft, ist für den vorliegenden Fall jedoch unerheblich, denn dieses Leiden manifestierte sich erstmals im August 2012, hatte also im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung vom 28. August 2012 im Hinblick auf das Wartejahr noch nicht lange genug angedauert, um für die Invalidenversicherung relevant zu sein (s. Ziff. 2.2 hiervor). Ein früheres Auftreten der Psychose wird von Dr. D.___ verneint. Dies überzeugt umso mehr, als kein anderer Arzt in der Vergangenheit eine solche Diagnose gestellt hat und auch keine Symptome ersichtlich sind; namentlich wird der aktuelle Zustand offenbar durch das Stimmenhören geprägt, wovon früher nie die Rede war. Der Umstand, dass in der Familie des Beschwerdeführers allenfalls ähnliche Krankheiten vorkommen, sagt nichts über den Ausbruch bei ihm aus.»

 

«Von weiteren Abklärungen sind keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten. Die von Dr. O.___ empfohlene neuropsychologische Untersuchung erübrigt sich: Einerseits kann (wie schon der RAD-Arzt festgestellt hat) die dafür erforderliche volle Kooperation vom Beschwerdeführer angesichts seines bisherigen Verhaltens von vornherein nicht erwartet werden. Andererseits wären wohl angesichts der mittlerweile allenfalls ausgebrochenen Schizophrenie ohnehin keine aussagekräftigen Rückschlüsse auf die Zeit vor dem 28. August 2012 mehr möglich.»

 

«Zusammenfassend ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als erwiesen anzusehen, dass der Beschwerdeführer bis August 2012 keinen invalidisierenden psychischen Gesundheitsschaden - namentlich weder eine Persönlichkeits- noch eine Schmerzstörung - aufwies, sondern eine solche Krankheit nur vortäuschte, um die Beschwerdegegnerin in die Irre zu führen und von dieser Leistungen zu erschleichen.»

 

Diesen Ausführungen ist für die vorliegende Beweiswürdigung in Bezug auf den Gesundheitszustand des Beschuldigten nichts mehr hinzuzufügen. Die Gutachten, in welchen beim Beschuldigten ein Gesundheitsschaden mit Krankheitswert festgestellt wurde, geniessen somit keinen Beweiswert. Dass widersprüchliche Beurteilungen zum Gesundheitszustand des Beschuldigten vorliegen, ist rein auf das verzerrende und täuschende Verhalten des Beschuldigten zurückzuführen.

 

4.9. Nach Art. 82 Abs. 4 StPO kann das Gericht im Rechtsmittelverfahren für die tatsächliche (und die rechtliche) Würdigung des angeklagten Sachverhalts aus Gründen der Prozessökonomie auf die Begründung der Vorinstanz verweisen, wenn es dieser beipflichtet. Auf neue tatsächliche rechtliche Vorbringen, die erstmals im Rechtsmittelverfahren vorgebracht werden, ist einzugehen. Vom Instrument der Verweisung ist zurückhaltend Gebrauch zu machen, da andernfalls bei der das Rechtsmittel ergreifenden Person der Eindruck entstehen kann, die Rechtsmittelinstanz setze sich mit ihren Vorbringen nicht auseinander (vgl. Nils Stohner, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N 9 zu Art. 82 StPO). Bei strittigen Sachverhalten und Beweiswürdigungen kommt ein Verweis nur dann in Frage, wenn die Rechtsmittelinstanz den vorinstanzlichen Erwägungen vollumfänglich beipflichtet (BGE 141 IV 244 E. 1.2.3., m.w.Verw.).

 

Dies ist vorliegend zu tun. Es ist ergänzend zu den vorstehenden Ausführungen hinsichtlich der Würdigung der vorhandenen Beweismittel auf die detaillierten und zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz (Ziff. II. / Ziff. 4.1.5., S. 46 ff.) zu verweisen. Die Vorinstanz hat unter kritischer Würdigung der in den Akten liegenden Berichte und Gutachten wie auch unter Einbezug der Argumente der Verteidigung jeweils nachvollziehbar und aktenbasiert begründet, weswegen vorliegend nicht auf die gemachten Angaben und teilweise nicht auf die in den Akten liegenden Dokumente abgestellt werden kann bzw. weswegen die objektiven Beweismittel einen Gesundheitszustand des Beschuldigten belegen, der ihm grundsätzlich ermöglichte, ein aktives Leben zu führen. Es wurde schlüssig dargelegt, weswegen die Ausführungen der Verteidigung zur angeblichen Verbesserung des Gesundheitszustandes des Beschuldigten zwischen der Rentenzusprache und der Rentenrevision nicht nachvollzogen werden können, weswegen die behaupteten Rückenprobleme und die behauptete Minderbegabung des Beschuldigten in Zweifel zu ziehen ist, weswegen davon auszugehen ist, dass sich der Beschuldigte oft ahnungsloser darstellt, als er tatsächlich ist und weswegen seine Angaben allgemein als Schutzbehauptungen einzuordnen sind. Die Vor-instanz gelangt zum Schluss, dass erhebliche Zweifel an den angeblichen psychischen und physischen Einschränkungen des Beschuldigten bestehen bzw. dass ihm, mit geeigneten Massnahmen, sehr wohl eine Integration ins Arbeitsleben möglich gewesen wäre und er über viel mehr Ressourcen verfügt, als er dies gegenüber der IV-Stelle angab. Diese Erwägungen sind vollumfänglich zu übernehmen.

 

Im Sinne eines Zwischenfazits ist somit festzustellen, dass gemäss den Akten nachgewiesen ist, dass die Angaben des Beschuldigten über seinen Gesundheitszustand nicht den objektiven Gegebenheiten entsprochen haben wie auch nachgewiesen ist, dass beim Beschuldigten in Tat und Wahrheit von einem besseren Gesundheitszustand auszugehen war, als dieser gegenüber der IV-Stelle geltend gemacht hat.

 

4.10. Aus den Akten geht weiter hervor, dass der Beschuldigte mehrfach auf seine Pflicht hingewiesen wurde, der IV-Stelle jede Veränderung seines Gesundheitszustandes seiner persönlichen Verhältnisse, welche den Leistungsanspruch hätte beeinflussen können, unverzüglich mitzuteilen. Seine Pflicht war es, die Wahrheit über seinen Gesundheitszustand, seine Fortschritte und seine Möglichkeiten, sich in der Gesellschaft zu bewegen, darzulegen. Er wurde zudem darauf aufmerksam gemacht, dass er bei einer Verletzung der Meldepflicht rückerstattungspflichtig werden kann. Anstatt dies zu beachten, hat der Beschuldigte wiederholt die betroffene Behörde aktiv getäuscht.

 

4.11. Die Vorinstanz legt dar, dem Beschuldigten sei es mindestens seit Februar 2011 (Beginn der Observationen) physisch und psychisch so gut gegangen, dass er durchaus in der Lage gewesen wäre, einer seinen Fähigkeiten entsprechenden Beschäftigung nachzugehen. Mit Sicherheit habe er mindestens den Fragebogen vom 25. Mai 2010, welcher ihm anlässlich der IV-Revision zugesandt worden sei, falsch ausgefüllt, indem er angekreuzt habe, dass sein Gesundheitszustand gleich geblieben sei. Anhand der Ausführungen der Experten sei es aus medizinsicher Sicht unmöglich, dass der Beschuldigte zwischen Mai 2010 und Februar 2011 eine vollkommene Spontanheilung erfahren haben soll. Für die Zeit vor Mai 2010 lägen dem Gericht demgegenüber keine hinreichenden Beweise für allfällige Täuschungshandlungen vor. Letztmals habe der Beschuldigte am 8. Dezember 2011 anlässlich der Untersuchung bei Dr. med. D.___ gelogen. Danach habe er aktiv keine Täuschungshandlungen mehr vorgenommen. Auch die Anklageschrift erwähne für die Zeit nach dem 8. Dezember 2011 keine aktiven Täuschungshandlungen mehr. Passiv habe der Beschuldigte jedoch weitergehandelt, indem er weiterhin eine IV-Rente bezogen habe. Das Gericht erachtete beweismässig als erstellt, dass der Beschuldigte im Zusammenhang mit der Rentenrevision, d.h. vom 25. Mai 2010 (Ausfüllen Fragebogen) bis am 8. Dezember 2011 (letzte Untersuchung bei Dr. med. D.___) gegenüber der IV-Stelle bewusst falsche Angaben über seinen Gesundheitszustand gemacht habe und gegenüber den begutachtenden Ärzten physische und psychische Probleme sowie eine intellektuelle Minderbegabung im übertriebenen Mass vorgespielt habe, um weiterhin eine volle IV-Rente zu beziehen. Im betreffenden Zeitraum habe der Beschuldigte unrechtmässige Leistungen im Umfang von CHF 29'204.00 bezogen.

 

Diesen Ausführungen kann nur zum Teil gefolgt werden. Es mag zutreffen, dass der Beschuldigte auf dem ihm anlässlich der im Jahr 2010 eingeleiteten Revision zugestellten Formular vom 25. Mai 2010 angekreuzt hat, dass sich sein Gesundheitszustand nicht verbessert habe. Gestützt auf vorstehende Erwägungen hat jedoch als erstellt zu gelten, dass es bereits früher zu einem regelrechten Schauspiel des Beschuldigten gegenüber den ihn untersuchenden Ärzten gekommen ist. So ist bspw. bereits dem Gutachten von Dr. med. P.___ vom 16. Januar 2003 (AS 2086 ff., Ziff. 3.3.3. vorstehend) zu entnehmen, dass der Beschuldigte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht teilweise an den Rücken fasste, teilweise am Thema vorbeirede, wobei er Wortfindungs- und Erinnerungslücken geltend mache. Auch bei Dr. S.___ [Spital] machte er im Jahr 2005 Beschwerden geltend, die im parallel laufenden MFK-Verfahren zum Erwerb des Führerausweises in keinster Weise Thema waren (s. diesbezüglich vorstehende Ausführungen). Der Beginn der Tathandlungen muss damit entgegen den Feststellungen der Vorinstanz bereits vor den 25. Mai 2010, konkret mindestens auf 2003, datiert werden. Unter Berücksichtigung der Verjährung i.S.v. Art. 146 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 97 Abs. 1 lit. b StGB ist der Beginn des Deliktzeitraumes auf den 15. März 2006 festzusetzen.

 

Zutreffend sind die Ausführungen insofern, als dass der Beschuldigte letztmals am 8. Dezember 2011 anlässlich der Untersuchung bei Dr. med. D.___ gelogen hat. Der Beschuldigte hat demnach zu diesem Zeitpunkt den Betrug vollendet. Die Auswirkungen zeitigten sich dennoch bis zur Aufhebung der Rente am 28. August 2012, weswegen erst zu diesem Zeitpunkt der Betrug als tatsächlich beendet zu qualifizieren ist. Für die Festlegung des Deliktzeitraums ist deshalb auf diesen zweiten Zeitpunkt abzustellen.

 

 

5. Beweisergebnis

 

Gestützt auf die Akten ist demnach erstellt, dass der Beschuldigte sich in einem Jugendprogramm befand, als er zum Bezug einer IV-Rente angemeldet wurde, worauf ihm mit Verfügung vom 30. September 2008 rückwirkend per 1. Juni 2001 eine volle Invalidenrente zugesprochen wurde. Weiter ist erstellt, dass der Beschuldigte in der Folge seinen wahren Gesundheitszustand den betroffenen Stellen nie gemeldet hat. Vielmehr ist dem Beschuldigten sogar nachgewiesen, dass er über seinen Gesundheitszustand sowohl gegenüber den behandelnden Ärzten wie auch gegenüber der IV-Stelle mehrfach und nachweislich gelogen hat. Eine detaillierte Auflistung der entsprechenden Untersuchungen findet sich in der Anklageschrift vom 10. Juli 2020.

 

Gibt der Beschuldigte schliesslich auch im Revisionsfragebogen vom 25. Mai 2010 an, über keinen verbesserten Gesundheitszustand zu verfügen, so entsprachen diese Angaben nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Auch die gegenüber der IV-Stelle gemachten Angaben anlässlich der Revisionsgespräche vom 11. Januar 2011, 7.März 2011, 19. April 2011 und 6. September 2011 (er wohne alleine, er sei ständig auf die Hilfe Dritter angewiesen, er habe keine Kraft, er sei nicht sicher, ob er Lebensfreude habe, seine Cousine kümmere sich um ihn, er könne nicht sprechen und habe Erinnerungslücken etc.) entsprachen nicht der Realität. Daraus folgend ist erstellt, dass der Beschuldigte die IV-Stelle laufend aktiv über seinen Gesundheitszustand getäuscht hat.

 

Der rechtlichen Würdigung ist damit zugrunde zu legen, dass es dem Beschuldigten im gesamten Tatzeitraum möglich und zumutbar war, einer mindestens rentensenkenden wenn nicht gar rentenausschliessenden Erwerbstätigkeit nachzugehen, dies von Anfang an. Wer in solchem Umfang wie der Beschuldigte einkaufen, Taschen tragen, beim Umzug helfen, soziale Kontakte pflegen und eine Familie aufbauen kann, dem ist ohne Weiteres auch zuzumuten, einer (allenfalls angepassten) Arbeitstätigkeit nachzugehen.

 

Unter Berücksichtigung der 15-jährigen Verfolgungsverjährung seit Ergehen des erstinstanzlichen Urteils am 15. März 2021 ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte seit dem 15. März 2006 bis zum 28. August 2012 durch Täuschung der IV-Stelle aktiv versuchte, die IV-Rente weiter zu beziehen. Das Verhalten des Beschuldigten führte zu einem entsprechenden Irrtum der IV-Stelle über die Arbeitsfähigkeit des Beschuldigten und zur Gewährung einer vollen IV-Rente.

 

Mit Verfügung vom 28. August 2012 (AS 1780 ff.) wurden die bezogenen IV-Renten für fünf Jahre rückwirkend aufgehoben. Mit Verfügung vom 20. September 2012 forderte die IV-Stelle die dem Beschuldigten für die Zeit vom 1. Oktober 2007 - 30. September 2012 ausgerichtete Invalidenrente über CHF 91'062.00 zurück (AS 139). Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht mit Urteil vom 24. Oktober 2014 ab, soweit es darauf eintrat (VSBES.2012.267, AS 1306 ff.). Über den gesamten Deliktszeitraum entstand der IV-Stelle ein Schaden von CHF 116'385.50 (CHF 13'613.50 für das Jahr 2006 [9.5 Monate à CHF 1'433.00]; CHF 35'352.00 für die Jahre 2007 und 2008 [24 Monate à CHF 1'473.00], CHF 36'480.00 für die Jahre 2009 – 2010 [CHF 24 Monate à CHF 1'520.00], CHF 30'940.00 für die Jahre 2011 bis 31.08.2012 [20 Monate à CHF 1'547.00, s. für die Höhe der Auszahlungen insb. AS 847). Die Auszahlung für September 2012 fällt nicht mehr in den Deliktszeitraum und ist entsprechend nicht zu berücksichtigen. Mit Ausdehnung des Deliktszeitraums (15.03.2006 – 28.08.2012) gegenüber den Forderungen der Staatsanwaltschaft (08.11.2007 – 28.08.2012) erklärt sich auch die Diskrepanz zu der von der Staatsanwaltschaft berechneten Schadenssumme von CHF 84'599.85 (s. diesbezüglich das Plädoyer der Staatsanwaltschaft vom 16.10.2023, Ziff. 3.1., S. 12).

 

Zusammengefasst ist damit festzustellen, dass der Sachverhalt gemäss Ziffer 1 der Anklageschrift vom 10. Juli 2020 erstellt ist.

 

 

B. Vorhalt des versuchten gewerbsmässigen Betrugs zum Nachteil der IV-Stelle

 

1. Bestrittener Sachverhalt

 

Betreffend den Vorhalt des versuchten gewerbsmässigen Betrugs (Berufungserklärung S. 20 – 30) verweist der Beschuldigte auf die Ausführungen des Amtsgerichts hinsichtlich seiner Aussagefähigkeit. Die Vorinstanz habe ausgeführt, der Beschuldigte habe im Rahmen des Strafverfahrens, das die Ehefrau wegen des Vorwurfs der mehrfachen Nötigung, der mehrfachen Tätlichkeit und Beschimpfung im Jahr 2012 eingeleitet habe, sich in der Einvernahme vom 14. Juni 2012 in ganzen Sätzen äussern können. Er habe damit im Jahr 2012 ein selbstständiges und klares Verhalten gezeigt. Was das Amtsgericht daraus ableiten wolle, sei unklar. Das Amtsgericht spreche vom Zeitraum Juni 2012 (Einvernahme des Beschuldigten bei der Polizei). Dieser Zeitraum falle nicht in die vom Amtsgericht angenommene angebliche Deliktszeit vom 25.05.2010 – 08.12.2011 und vom 02.07.2013 – 12.03.2015. Zudem sei bekannt, dass die psychische Situation einer Person sich im Laufe der Zeit verändern könne. Aus dem unterschiedlichen Aussageverhalten zu verschiedenen Zeitpunkten könne entgegen der Auffassung des Amtsgerichtes nichts gegen die Aufrichtigkeit des Beschuldigten abgeleitet werden.

 

Weiter seien auch die Ausführungen des Amtsgerichts hinsichtlich des Arztberichtes von Dr. med. O.___ vom 13. November 2012, der psychischen Dekompensation des Beschuldigten bzw. dessen angeblich bewusst beabsichtigten Hospitalisationen und zum Gutachten von Dr. L.___ falsch. Das Amtsgericht übersehe, dass sowohl Dr. med. K.___ als auch Dr. L.___ eine psychische Erkrankung des Beschuldigten keineswegs ausschliessen bzw. sogar anerkennen, dass der Beschuldigte subjektiv unter psychischen Beschwerden leide und sich aufgrund dessen in seinen Alltagsfunktionen beeinträchtigt eingeschränkt fühle. Die Schlussfolgerung des Amtsgerichts übergehe die differenzierte Beurteilung der psychischen Gesundheit des Beschuldigten.

 

Ebenso habe das Amtsgericht mehrere Arztberichte gar nicht nur ungenügend gewürdigt (detaillierte Auflistung derselben sowie Auszüge davon finden sich auf den S. 27 ff. der Berufungserklärung). Dr. med. I.___ bspw. habe den Beschuldigten in seinem Gutachten als krank und arbeitsunfähig eingestuft, und zwar in voller Kenntnis der Überwachungsberichte und der dazugehörigen Videos. Eine Täuschung des Gutachters sei ausgeschlossen und nicht erstellt. Über dieses klare medizinische Urteil könne sich das Amtsgericht nicht hinwegsetzen. Weiter sei die von Herrn Dr. J.___ (Gutachten 17.04.2015, AS 989) aufgeworfene Alternativhypothese des Familiensystems bzw. des schwierigen und traumatischen Lebens des Beschuldigten ausser Acht gelassen worden.

 

Anlässlich der Berufungsverhandlung hält der Beschuldigte an den gemachten Ausführungen gemäss Berufungserklärung fest und ergänzt diese weiter. Für weitere Ausführungen zum bestrittenen Sachverhalt kann deshalb stellvertretend auf die schriftlich abgegebenen Plädoyernotizen verwiesen werden.

 

 

2. Beweismittel

 

2.1. Sachliche Beweismittel

 

In Bezug auf die sachlichen Beweismittel ist zunächst auf die Ausführungen der Vorinstanz in ihrem Urteil vom 15. März 2021 (Ziff. II. / Ziff. 4.2.1. [Vorbemerkungen] und Ziff. II. / Ziff. 4.2.2. [Chronologischer Ablauf] zu verweisen. Die von der Vorinstanz gemachten Ausführungen hinsichtlich der Verwaltungsverfahren (Ziff. 4.2.1.) sind korrekt. Weiter finden die Ausführungen der Vorinstanz hinsichtlich der Beweismittel vor der Rentenzusprache (lit. A), zur Neuanmeldung (lit. B) und nach der Abweisung (lit. C) ihre Stütze in den vorliegenden Akten, weswegen grundsätzlich auf sie abzustellen ist. Die nachfolgenden Ausführungen verstehen sich einzig als Ergänzung dazu.

 

2.1.1. Nachtragsrapport der Polizei Kanton Solothurn vom 14. Januar 2013 (AS 100 f.)

Die Polizei hat festgehalten, dass der Beschuldigte seit dem 24. Februar 2006 im Besitz eines Führerausweises der Kat. B ist, wobei auf den Beschuldigten selbst kein Fahrzeug eingelöst ist. Weiter wurde festgehalten, dass der Beschuldigte mit seiner Freundin, H.___, geb. …, und ihrer gemeinsamen Tochter, V.___, geb. …, in [Ort 2] zusammenwohnt. H.___ sei immer noch verheiratet und in [Ort 13] angemeldet.

 

2.1.2. Schreiben Dr. D.___ an das Versicherungsgericht vom 8. Mai 2013 (AS 1631 ff.)

Ergänzend zu den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil (Ziff. II. / Ziff. 4.2.2. lit. A lit. e, S. 53) wird im Schreiben von Dr. D.___ an das Versicherungsgericht Folgendes festgehalten:

 

«Herr A.___ teilt mit, dass er seit August 2012 Stimmen hörte. Es handelte sich um eine männliche Stimme, welche ihm Befehle erteilte. Er habe wegen der Stimmen im August 2012 seine Ehefrau geschlagen, die Polizei wurde gerufen, er habe sich seine Handlungen nur mit dem Stimmenhören erklären können. Im Januar 2013 sei es schlimmer gewesen, er habe eine Stimme vernommen, welche ihm befohlen habe, einen bestimmten Kurden umzubringen. Er habe im Manor-Geschäft in Solothurn ein grosses Messer gekauft. Seine Mutter habe dieses aber entdeckt. Daraufhin sei er in die Psychiatrische Klinik Solothurn eingewiesen worden. Nebst dem Stimmenhören sei es vorgekommen, dass er auf dem Balkon einen Mann gesehen habe, vermutlich sei dies der Mann gewesen, welcher ihn mit den Stimmen plagte. In der Klinik habe er sich beruhigen können. Allerdings habe er realisiert, dass er auch nach dem Klinikaufenthalt noch psychisch gestört sei. So halte er z.B. das Geschrei seines Kindes kaum aus, weshalb er ein neues Arrangement mit der Ehefrau gefunden habe: In der Regel lebe die Frau mit dem Kind in der ehelichen Wohnung und er selber lebe grossteils bei der Mutter. Manchmal besuche er die Frau und das Kind, dies aber zum Schutz der Familie in Begleitung der Mutter. Seine Mutter kümmere sich intensiv um ihn. Er sei froh, dass er die Ehefrau nie mehr geschlagen habe.»

 

bzw. zum Befund:

 

«Herr A.___ ist etwas unsorgfältig gekleidet, trägt das Hemd weit offen. Er ist motorisch unruhig, steht mehrmals auf und scheint damit mitteilen zu wollen, dass er die Untersuchung verlassen möchte, bleibt aber trotzdem im Raum. Stimmungsmässig schwer beurteilbar. Akustische optische Halluzinationen verneint er. Er spricht leise, aber verständlich. Wenn er angesprochen wird, kann er vernünftige Antworten geben. Er zeigt jedoch wenig Interesse am Gespräch. Schweigt oft. Keine Drohungen.»

 

Den Beginn der Psychose legte Dr. D.___ auf August 2012, die Hochblüte der Psychose habe sich im Januar 2013 gezeigt.

 

2.1.3. Austrittsbericht der PD […] zur Hospitalisation des BESU (22.10.2013 – 24.10.2013) vom 25. Oktober 2013 (AS 1537 f.)

Die Zuweisung sei durch Dr. med. O.___ erfolgt zwecks medikamentöser Einstellung (s. auch die Ausführungen der ersten Instanz im Urteil S-L Ziff. II. /  Ziff. 4.2.2. lit. B lit. e, S. 55). Der Explorand habe unter akustischen und visuellen Halluzinationen gelitten, sei aber weder krankheitseinsichtig noch behandlungsmotiviert gewesen. Im Ausgang habe er Alkohol konsumiert und sei anschliessend auf der Abteilung bedrohlich geworden, weshalb er ins Isolierzimmer verlegt worden sei. Nach Beginn der Medikations-Umstellung habe er die Behandlung abgelehnt und die Klinik entgegen des ärztlichen Rates verlassen.

 

2.1.4. Austrittsbericht der PD […] zur Hospitalisation des BESU (14.11.2013 - 21.11.2013) vom 23. Dezember 2013 (AS 1358 ff.)

Die Zuweisung sei erfolgt durch Dr. M. O.___ wegen Medikamenten-Malcompliance und häuslicher Gewalt (s. auch die Ausführungen im Urteil S-L Ziff. II. /  Ziff. 4.2.2. lit. B lit. f, S. 55 f.). Im Verlauf der Hospitalisation habe sich der Beschuldigte krankheitsuneinsichtig und wenig kooperativ gezeigt, sodass er, bei fehlender Selbst- und Fremdgefährdung, wieder nach Hause entlassen worden sei. Die Austrittsdiagnose lautete «paranoide Schizophrenie (ICD-10 F20.0)».

2.1.5. Forensisch-Psychiatrisches Gutachten von Dr. med. I.___ vom 8. März 2014 (AS 140 ff., AS 1483 ff.)

In seiner Einleitung zum Gutachten hielt Dr. med. I.___ fest, aus fachärztlicher Sicht sei im vorliegenden Fall die ausführliche Beantwortung des strafrechtlichen Fragekatalogs obsolet, weil die Fragen den medizinisch-psychiatrischen Fakten nicht gerecht würden (s. auch die Ausführungen im Urteil S-L Ziff. II./  Ziff. 4.2.2. lit. B lit. g, S. 55 f.). Er erstattete deshalb lediglich ein abgekürztes fachärztliches Gutachten, welches sich nebst den zur Verfügung gestellten Akten u.a. auf die Explorationen des Beschuldigten vom 16. September 2013 (der Beschuldigte war gegenüber dem Gutachter bedrohlich geworden) und vom 8. Januar 2014 stützte.

 

Hinsichtlich des ersten Explorationsversuchs vom 16. September 2013 hält der Gutachter fest:

 

«Herr A.___ kam in Begleitung seiner Mutter pünktlich zum Termin. Er wünschte ausdrücklich, dass sie während des ganzen Gesprächs anwesend sei. Er selber sagte aber kaum ein Wort, schaute weg und gab sich in allen Dingen unwissend. Zuerst wollte er, nach Aufklärung über die rechtliche Situation der Begutachtung und über seine Rechte (z.B. Aussageverweigerungsrecht etc.), die Einwilligung zur Begutachtung nicht unterschreiben, unterschrieb dann aber doch, als ich den Abbruch der Begutachtung in Aussicht stellte.

 

Leider kam es schliesslich doch zu diesem Abbruch: Ich musste wiederholt die Mutter bitten zu schweigen, damit ihr Sohn selber antworten könne. Als ich den Exploranden damit konfrontierte, dass er offensichtlich Falschaussagen gemacht habe gegenüber der IV, und dass ich im Moment nicht nachvollziehen könne, wie ein Mensch, der soviel schweige, wie er, höchstens „ich weiss nicht" sage und sich an gar nichts erinnern könne, am 24.02.2006 einen Führerschein der Kat. B erwerben konnte, wurde er wütend und zischte etwas, das wie ein Fluch Schimpfwort schien. Den Wortlaut wollte er anschliessend nicht übersetzen. Die Mutter versuchte zu beschwichtigen und sagte, es bedeute: „Verschwinde."

 

Fazit: Der Explorand war heute nicht nur ausserordentlich unkooperativ, sondern teilweise für mich auch bedrohlich. Unter diesen Umständen habe ich die heutige Exploration nach 25 Minuten abgebrochen. (Herr A.___ verweigerte zum Abschied den Gruss.)."

Zur zweiten Exploration vom 8. Januar 2014 hält der Gutachter Folgendes fest:

«Das zweite Gespräch vom 08.01.2014 verlief über weite Strecken recht geordnet. Der Explorand war freundlich und beantwortete Fragen knapp, aber einigermassen adäquat. Gegen Schluss des Gesprächs verlangte der Explorand eine Toiletten- und Zigaretten-Pause. Danach zog er es vor, im Wartezimmer zu bleiben, damit seine Mutter mit dem Gutachter ein paar Worte „unter vier Augen" reden könne. Nach ca. einer Viertelstunde war ein wiederholtes heftiges Schlaggeräusch hörbar. Die Kontrolle im Wartezimmer ergab, dass der Explorand mit starrem, gerötetem Gesicht am offenen Fenster lehnte (im 5. Stock!), dieses mehrfach zuschlug und den Vorhang verklemmte. Auf Frage antwortete er mit gepresster Stimme: „Ich habe Stress". In der Folge war er sehr unruhig, stampfte während des Gesprächs mit dem Fuss etc. Die Untersuchung wurde sodann abgeschlossen.»

Weiter:

«Der Explorand gab beim zweiten Gespräch auf Fragen willig Auskunft. Seine Antworten waren jedoch meist knapp und lauteten sehr oft: „Ich weiss nicht" „ich erinnere mich nicht." Spontan sprach er nie etwas. Seine Sprache ist eher schwerfällig. Er spricht Schweizerdeutsch mit starkem Akzent und beschränktem Wortschatz. Das Sprachverständnis ist erheblich eingeschränkt. Herr A.___ versteht nur ganz einfache Sätze und Fragestellungen. Bereits „Oder-Fragen" kann er oft nicht verstehen.

Affektiv war der Explorand erschwert erreichbar. Seine Stimmung war deutlich gedrückt, reizbar, die Schwingungsfähigkeit stark eingeschränkt (durchgehend gleichgültig bis dysphorisch). Das Denken war verlangsamt bis träge, inhaltlich geprägt vom seelischen Unwohlsein und vom psychotischen Erleben (Stimmenhören etc.). Herr A.___ wirkte unruhig und gespannt, im Gesprächsverlauf zunehmend. Am Schluss der 2-stündigen Exploration war kein normales Gespräch mehr möglich.

Die globale Intelligenz des Exploranden liegt, rein klinisch beurteilt, sehr wahrscheinlich im unteren Normbereich. Es bestehen aber ganz offensichtlich erhebliche Teilleistungsschwächen im verbalen Bereich. Das Gedächtnis ist lückenhaft v.a. für Jahrzahlen und Daten. Die Orientierung war autopsychisch, örtlich und situativ erhalten, zeitlich war sie stark mangelhaft. Der Explorand konnte weder das Datum noch den Wochentag den Monat benennen, und zur Jahreszeit sagte er „Sommer", weil draussen die Sonne scheine.»

Abschliessend hält der Gutachter fest:

«In den wahnhaften und aggressiven Zuständen, welche immer wieder auftreten, bedeutet der Explorand, wie der KESB bereits gemeldet wurde, eine Gefahr für seine Lebenspartnerin und die beiden Kinder. Er ist aber auch für unbeteiligte Dritte ein erhebliches Risiko (Frau beschimpft und geschlagen, ferner Messerkäufe, um Personen zu töten, die ihn „komisch" angeschaut hätten).»

 

2.1.6. Austrittsbericht der Psychiatrischen Dienste vom 8. April 2016 (AS 736)

Ergänzend zu den Ausführungen der Vorinstanz (Urteil S-L Ziff. II. /  Ziff. 4.2.2. lit. B lit. t, S. 61 f.) wurde im Austrittsbericht der Psychiatrischen Dienste konkret Folgendes festgehalten:

 

«Nach dem Wochenende auf der Station äusserte der Patient den Wunsch, noch gleichentags austreten zu können. Dabei liess er eine Exploration der Einweisungsumstände und des aktuellen Befindens kaum zu. In seinen Schilderungen wirkte er bagatellisierend und viele Angaben deckten sich nicht mit dem, was der Patient bei der Aufnahme berichtet hatte und auch nicht mit den Informationen der Pflege beziehungsweise der ebenfalls anwesenden Mutter. Deshalb blieben zunächst viele Unklarheiten bestehen, besonders in Bezug auf die Medikation und deren Einnahme sowie einer möglichen Selbstgefährdung (fraglich vorhandene imperative Stimmen; weiterhin bestehende Suizidalität). Bei der Medikation herrschte eine solche Unordnung, dass dies an sich eine Selbstgefährdung darstellte. Es war nicht klar, welche Medikamente üblicherweise eingenommen wurden und vor allem in welcher Dosierung. Bei den von der Mutter auf die Station mitgebrachten Medikamentenpackungen fanden sich Medikamente, die bislang nicht dokumentiert waren die auf den Packungen vermerkten Dosierungen, stimmten nicht mit den Angaben des Patienten beziehungsweise der Mutter überein. Aufgrund genannter Selbstgefährdungsaspekte (Suizidalität und Medikation) verlängerten wir die FU mit dem Ziel, Ordnung in die Medikation zu bringen und die Suizidalität genauer zu überprüfen. Auf die Nachricht betreffend Verlängerung der FU reagierte der Patient sehr gereizt. Generell zeigten sich dann im weiteren Verlauf der Hospitalisation eine geringe Kooperationsbereitschaft und eine latente Gereiztheit.»

 

2.2. Persönliche Beweismittel

 

2.2.1. Für die Angaben des Beschuldigten und dessen Ehefrau wird vorab auf die zutreffenden Ausführungen der ersten Instanz (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.2.3., S. 63 ff. [Angaben des Beschuldigten] und Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.2.4, S. 65 ff. [Angaben der Ehefrau]) verwiesen; ebenso auf die ergänzenden vorstehenden Ausführungen (Ziff. II. / Ziff. 3.4.1. und Ziff. II. / Ziff. 3.4.2.2.).

 

2.2.2. Bezüglich die von der Mutter des Beschuldigten gemachten Angaben ist auf vorstehende Ausführungen (Ziff. II. / Ziff. 3.4.2.1.) zu verweisen.

 

2.2.3. Anlässlich der Berufungsverhandlung vor dem Obergericht vom 16. Oktober 2023 (OGer 260 ff.) wollte der Beschuldigte zum Vorhalt gemäss Anklageschrift-Ziffer 2 keine Angaben machen. Er habe niemanden betrogen. (Auf Vorhalt, er habe Ärzten und Gutachtern gegenüber Angaben über Beschwerden und Krankheitssymptome gemacht, die nicht vorhanden gewesen seien bzw. er habe geradezu ein Schauspiel aufgeführt:) Er habe kein Schauspiel aufgeführt. Es sei so, wie es gewesen sei. (Was sich geändert habe, dass er eine neue Anmeldung gemacht habe?) Was sie (die Oberrichterin) mit Änderung meine. (Kaum habe das [Versicherungs]Gericht festgestellt, dass er gesund sei und arbeiten könne, habe er eine neue Anmeldung gemacht. Da müsse sich doch etwas verändert haben in der Zwischenzeit?) Seine Situation sei immer gleich. Er versuche, dass es ihm gut gehe, aber er könne nichts dafür. Es sei immer gleich, es werde nicht besser. (Also es sei jetzt noch gleich wie früher?) Wenn auch nicht mehr so schlimm wie früher, es habe schon eine kleine Besserung gegeben. Aber es gehe ihm immer noch nicht gut. Er möchte irgendetwas machen, er möchte arbeiten. (Aber er arbeite ja?) Ja, das habe er versucht, zu erklären: Er wolle arbeiten. (Ob er denn etwas anderes arbeiten wolle?) Nein, er möchte einfach arbeiten.

 

3. Beweiswürdigung

 

3.1. Hinsichtlich Würdigung des Aussageverhaltens des Beschuldigten stellte die Vorinstanz fest (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.2.3. lit. d, S. 65), der Beschuldigte habe erneut das gewohnte Aussageverhalten an den Tag gelegt. Fragen zu seiner Person habe er bereitwillig beantwortet. Sobald es für ihn unangenehm geworden sei, habe er hingegen herausfordernd und frech geantwortet. Hätten sich die Fragen auf den eigentlichen Verfahrensgegenstand bezogen, habe er sich nicht mehr erinnern können. Auffallend sei weiter, dass der Beschuldigte anlässlich der verschiedenen Befragungen immer neue Familienmitglieder benannt habe, die ihm im Haushalt geholfen haben sollen. Einmal sei es die Cousine gewesen, einmal die Schwägerin und einmal der Cousin. Insgesamt hätten die Antworten des Beschuldigten nicht viel zur Sache beigetragen. Sofern er stets behauptet habe, sich nicht erinnern zu können, erachte man dies als Schutzbehauptung. Weiter wies die Vorinstanz im Rahmen der Würdigung der Beweismittel u.a. darauf hin (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.2.5.), dass auch die zeitlichen Faktoren – kurz nach Aufhebung der IV-Rente am 28. August 2012 gab der Beschuldigte an, Stimmen zu hören, so dass bereits zwei Monate nach Verfügung der IV-Stelle eine neue Diagnose der schizoaffektiven Störung vorlag bzw. kaum zwei Wochen nach der ersten polizeilichen Einvernahme zur Sache war der Beschuldigte angeblich psychisch dekompensiert – vorliegend von grosser Relevanz seien, was die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschuldigten anbelange.

 

Auf diese Ausführungen ist abzustellen. Bereits im Rahmen der vorstehenden Beweiswürdigung zum gewerbsmässigen Betrug wurde das Aussageverhalten des Beschuldigten analysiert und dabei festgehalten, dass auf die von ihm gemachten Angaben grundsätzlich nicht abzustellen ist. Der Beschuldigte hat, wenn er gegenüber den ihn untersuchenden Ärzten und gegenüber den Behörden überhaupt Angaben gemacht hat, diese nur verzerrt und teilweise wahrheitswidrig wiedergegeben und ein eigentliches Schauspiel vorgeführt hat. Gewisse Umstände aus seinem Leben wurden völlig falsch dargestellt, andere vollumfänglich verheimlicht. Wurde er auf gewisse Unstimmigkeiten angesprochen, änderte er seine Aussagetaktik gab vor, sich nicht mehr erinnern zu können. Vor dem Vorderrichter bspw. führte der Beschuldigte aus, er habe die Kleider seiner Tochter zerschnitten, weil er einen Sohn hätte haben wollen. Auf Vorhalt des Vorderrichters, er habe damals schon einen Sohn gehabt, führt der Beschuldigte neu aus, er habe gewollt, dass sich die Tochter wie ein Sohn anziehe. Keiner der ihn befragenden Personen und insbesondere keiner der ihn behandelnden Ärzte konnte eruieren, welche Angaben über angebliche Geschehnisse und Beschwerden zutrafen und welche nicht. Die jeweiligen Berichte fielen anders aus, je nachdem, ob seitens der beurteilenden Ärzte auf die Angaben des Beschuldigten abgestellt wurde nicht. Wie die Vorrichter zu Recht festgestellt haben, mutet auch das Verhalten des Beschuldigten im Zusammenhang mit seinen Hospitalisationen seltsam an, hatte er doch für jede Gelegenheit eine passende Ausrede parat. Als es schliesslich keinen Ausweg mehr gab, erfuhr er angeblich durch einen [ausländischen] Arzt – an dessen Namen Behandlung er sich nicht mehr erinnern kann – eine Wunderheilung, seither er keine Stimmen mehr hört.

 

Dieses Verhalten des Beschuldigten zog sich vor dem Berufungsgericht weiter. Der Beschuldigte beantwortete – ebenfalls teilweise patzig – Fragen zu seiner Person zwar bereitwillig; Fragen zur Sache wurden dagegen abgewiegelt. Dass er etwas vorgespiegelt haben soll, verneint er ganz grundsätzlich. Seine gesundheitliche Verfassung präsentiere sich immer gleich. Es habe eine kleine Besserung gegeben. Es sei nicht mehr so schlimm wie früher, aber es gehe ihm immer noch nicht gut. Den Widerspruch, dass er mit derselben gesundheitlichen Verfassung wie im vorgehaltenen Deliktszeitraum scheinbar einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, die ihm seinen Lebensunterhalt sicherstellt, erkennt er trotz mehrmaliger Nachfragen des Gerichts nicht.

 

Für das vorliegende Verfahren ist demnach festzustellen, dass grundsätzlich nicht auf die Angaben und Darstellungen des Beschuldigten abgestellt werden kann.

 

3.2. Ebenso wenig kann auf diverse in den Akten liegende Arztberichte abgestellt werden. Erneut ist zu konstatieren, dass der Beschuldigte sein jeweiliges Verhalten so steuerte, wie es ihm gerade gelegen kam. So ist stellvertretend für viele weitere Beispiele anzuführen, dass das vom Beschuldigten an den Tag gelegte Verhalten so weit ging, dass der ihn behandelnde Psychiater, Dr. O.___, sämtliche bisher aufgestellten Befunde anhand eines einzigen Telefonats revidierte und neu zur Diagnose von Wahnideen und Halluzinationen kam (Bericht Dr. med. O.___ vom 13.12.2012, AS 1699). Dass der den Beschuldigten behandelnde Psychiater über all die Jahre eine so ausdrucksstarke Störung vollumfänglich verkannt haben will und – einzig auf die Angaben der Ehefrau abstellend – nun entgegen aller bisheriger Behandlungen zum Schluss gelangt, der Beschuldigte sei doch schwer krank, erscheint äusserst unglaubhaft und entgegen jeglicher Nachvollziehbarkeit. Dies insbesondere deshalb, weil – und diesbezüglich ist ebenfalls auf vorstehende Ausführungen im Rahmen des gewerbsmässigen Betrugs zu verweisen – die Ehefrau des Beschuldigten ebenfalls mehrfach unglaubhafte Angaben und teilweise Lügen bei den jeweiligen Stellen deponierte, je nachdem, um welches Themengebiet sich die Befragung gerade drehte. Stellvertretend kann hier auf die umfassenden Ausführungen der Vorinstanz in ihrem Urteil vom 15. März 2021 verwiesen werden (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.2.4. lit. b, S. 67). Für die Mutter, welche ebenfalls mehrfach bei den untersuchenden Ärzten vorstellig wurde und teilweise vehement insistierte, gilt im Übrigen dasselbe.

 

Dass gewisse Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Dr. O.___ bestehen, hielt die IV-Stelle auch bereits in einer Aktennotiz vom 6. Juni 2002 fest (AS 1273), wo sie ausführt:

 

«Leider hat Dr. O.___ bis heute nicht zurückgerufen, er drohte bereits beim letzten Telefonversuch an, erst in zwei Wochen wieder Zeit für ein Telefongespräch zu haben, da er bis dann einen Klienten nach dem andern habe. Gleichzeitig hat er uns gefragt, ob es zum Fall Fragen gäbe, in Anbetracht der hochproblematischen Situation des jungen Versicherten können wir nicht nachvollziehen, dass der behandelnde Psychiater am Vorhandensein von Fragen zweifelt. Wir hingegen zweifeln bereits sehr am Engagement des betreffenden Psychiaters für seinen Klienten. Es ist uns unerklärlich, dass Dr O.___ an einer Zusammenarbeit nicht interessiert ist, zumal es hier um eine stark systembezogene Problematik geht. Leider müssen wir bemerken, dass wir gewisse Bedenken bezüglich der Fachkompetenz dieses Arztes hegen.»

 

Es mag zutreffen, dass – wie dies die Verteidigerin in ihrer Berufungserklärung ausführt –  die psychische Situation einer Person sich im Laufe der Zeit verändern kann. Es ist jedoch schwer nachvollziehbar, wie der Arzt von seiner Diagnose, dass keine Störung vorliege, allein aufgrund von Drittauskünften innert wenigen Wochen zur Diagnose einer voll ausgeprägten Störung gelangt.

 

3.3. Aus denselben Gründen kann nicht auf das Gutachten von Dr. med. I.___ vom 8. März 2014 abgestellt werden. Der Gutachter führt aus, die Diagnose der Schizophrenie habe sich erst im August 2012 und damit erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens manifestiert. Für den Gutachter besteht aufgrund der konkreten Umständen eine Lebensgefahr für die Lebensgefährtin.

 

Die Verteidigung bringt vor, Dr. med. I.___ habe den Beschuldigten in seinem Gutachten als arbeitsunfähig eingestuft, und zwar in voller Kenntnis der Überwachungsberichte und der dazugehörigen Videos. Darauf kann aber nicht abgestellt werden. Die Verteidigung verkennt, dass der Gutachter in seinen Ausführungen gar nicht auf den von der Staatsanwaltschaft dem Gutachtensauftrag beigelegten Fragekatalog eingeht. Er führt vielmehr hauptsächlich aufgrund der mit dem Beschuldigten durchgeführten Gespräche aus, die Beantwortung desselben halte er für obsolet, weil die Fragen den medizinisch-psychiatrischen Fakten nicht gerecht würden. Unter Darstellung der von ihm gestellten Diagnosen gelangt der Gutachter zum Schluss, dass die IV-Rente zwar unter falschen diagnostischen Annahmen gewährt worden sei, aber unverändert ein Rentenanspruch bestehe. Die Strafanzeige scheine der Grundlage zu entbehren. Der Gutachter hat sich bereits, rein auf die Angaben des Beschuldigten abstellend, eine abschliessende Meinung gebildet und die Fragen der Staatsanwaltschaft als überflüssig erachtet. Zu den von der Verteidigung genannten Überwachungsberichten und Videos lässt sich dem Gutachten ausser deren Zusammenfassung nichts Konkretes entnehmen. Auch äussert er sich nicht dazu, ob und wenn ja inwiefern die Angaben des Beschuldigten (bspw. «Der Explorand konnte weder das Datum noch den Wochentag den Monat benennen, und zur Jahreszeit sagte er «Sommer», weil draussen die Sonne scheine.») einzuordnen bzw. als glaubhaft eben unglaubhaft zu werten sind. Schliesslich hält er fest: «Testpsychologische Untersuchungen, u.a. ein Intelligenz-Test, konnten wegen der erheblichen Unruhe und reduzierten Kooperationsfähigkeit des Exploranden keine durchgeführt werden.»

 

Eine Täuschung des Gutachters, wie dies die Verteidigung vorbringt, ist damit keineswegs ausgeschlossen resp. demgegenüber sogar erstellt. Es ist vollumfänglich auf die Argumentation des Amtsgerichts sowie die vorstehenden Ausführungen zu verweisen. Ebenso ist auf den ausführlichen Bericht von Dr. med. AZ.___, Regionaler Ärztlicher Dienst BE-FR-SO (RAD) vom 23. April 2014 zu verweisen. Dieser Bericht zeigt schlüssig und nachvollziehbar auf, dass das Gutachten von Dr. I.___ beweismässig mangelhaft ist und keine abschliessende Beurteilung des Gesundheitszustandes des Beschuldigten zulässt.

 

3.4. Die Verteidigung argumentiert weiter, Dr. med. J.___ habe in seinem Gutachten vom 17. April 2015 (AS 989) eine Alternativhypothese des Familiensystems bzw. des schwierigen und traumatischen Lebens des Beschuldigten aufgestellt, wobei dies vom Amtsgericht in seiner Würdigung ausser Acht gelassen worden sei.

 

Diesbezüglich ist auf die Ausführungen des Versicherungsgerichts im Urteil vom 31. Oktober 2017 (AS 851 ff., konkret AS 873) zu verwiesen. Dieses hält in E. 6.3. fest:

 

«Nicht zu überzeugen vermag demgegenüber die Beurteilung von Dr. med. J.___ vom 17. April 2015. Diese wurde nur einen knappen Monat vor der Begutachtung der UPK abgegeben, womit in zeitlicher Hinsicht die gleichen Umstände vorgelegen haben. Dr. med. J.___ erwähnt ebenfalls mehrfach, dass sich die biographischen Angaben des Beschwerdeführers aufgrund seiner vagen Schilderungen kaum eruieren lassen. Trotzdem äussert er einen Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung, obwohl eine solche Diagnose den Nachweis einer Verfestigung der entsprechenden Persönlichkeitsanteile bereits in der Vergangenheit voraussetzen würde. Dies anerkennt er selber denn auch, weshalb er nur eine Verdachtsdiagnose angibt. Die von den psychiatrischen Diensten Solothurn vorgelegten Arztberichte unkritisch übernehmend, diagnostiziert er sodann eine paranoide Schizophrenie. Er erachtet diese aufgrund der Aktenlage als gerechtfertigt, übernimmt diese dabei aber unkommentiert, obwohl er selber auf entsprechende Widersprüchlichkeiten hinweist. So wird bei der Befundlage zwar angegeben, der Beschwerdeführer habe über akustische Halluzinationen berichtet und auch immer wieder deutlich abgelenkt wie wegtretend gewirkt; Hinweise für eine Wahnbildung im Sinne eines unangemessenen und unrealistischen Wahns konnte der Gutachter aber keine erkennen. Weiter hielt er fest, im Vergleich zu den während den psychiatrischen Hospitalisationen beschriebenen Zustandsbildern habe sich der Beschwerdeführer in der aktuellen Untersuchung deutlich weniger auffällig gezeigt. Aufgrund der Wahrnehmungsstörungen sei aber weiterhin von einem psychotischen Störungsbild auszugehen. Diese Wahrnehmungsstörungen stützen sich aber einzig auf die Beschreibung des Beschwerdeführers und es wird nicht in Erwägung gezogen, dass es sich dabei um die Schilderung eines verzerrten Beschwerdebilds handeln könnte. Dr. med. J.___ weist auch selber auf die wiederholten Verdeutlichungstendenzen hin und erklärt in Bezug auf die aktuelle Untersuchung, das Erscheinen des Beschwerdeführers zur Untersuchung mit zerschnittenem T-Shirt wirke deutlich aufgesetzt und dürfte der Unterstreichung der Befunde dienen. Der Beschwerdeführer habe weiter erklärt, sich in die Arme zu schneiden, wobei aber keine Narben erkennbar gewesen seien. Dies entspreche zumindest einem Aggravationsverhalten. Die Erklärung, dass der Beschwerdeführer seine frühere Tätigkeit in [Ort 9] nicht habe fortsetzen können, weil man ihm gesagt habe, er leide unter einer Schizophrenie, stelle zudem eine nachträgliche Zuschreibung im Dienste der Verdeutlichung dar. Diese Widersprüchlichkeiten werden im Gutachten nicht schlüssig aufgelöst. Vor dem Hintergrund dieser Umstände ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Gutachter die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie dennoch übernimmt. Ebenso wenig lässt sich konsequenterweise die postulierte vollständige Arbeitsunfähigkeit nachvollziehen. Auf das Gutachten von Dr. med. J.___ kann nach dem Gesagten nicht abgestellt werden. Bei dieser Ausgangslage ist auch der Argumentation, es müsse ihm die Gelegenheit gegeben werden, sein Gutachten zu verteidigen, nicht zu folgen. Von einer diesbezüglichen Stellungnahme sind keine Erkenntnisse zu erwarten, die den Beweiswert des Gutachtens der UPK gegenüber demjenigen von Dr. med. J.___ schmälern würden. Das Gleiche gilt für die Begutachtung von Dr. med. I.___, der im Strafverfahren das erste forensisch-psychiatrische Gutachten erstellt hat.»

Diese Ausführungen des Versicherungsgerichts sind aktenbasiert, stringent und nachvollziehbar begründet, weswegen auf sie abzustellen ist. Insbesondere der Hinweis des Gerichts, wonach das Gutachten von Dr. J.___ hauptsächlich auf Angaben des Beschuldigten basiert, ist auch auf die weiteren Gutachten anwendbar, welche dem Beschuldigten Einschränkungen attestieren. Die Ausführungen der Verteidigung vermögen demnach an der vorliegenden Beurteilung nichts zu Gunsten des Beschuldigten zu ändern.

3.5. Dem Versicherungsgericht ist weiter zu folgen, wenn es hauptsächlich auf das Gutachten der UPK (Gutachten von Dr. med. K.___, Erwachsenenforensik UPK Basel) abstellt. Dies mit folgenden Erwägungen (a.a.O., E. 6.2.):

«Inhaltlich überzeugt das Gutachten der UPK mit der Schlussfolgerung, dass beim Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit keine schwere psychische Störung vorliege, sondern die geschilderte Symptomatik bewusst in einer Form dargestellt werde, in der sie nicht vorliege. Diese Einschätzung wird eingehend und nachvollziehbar dargelegt, wobei auf die entsprechenden gegenteiligen Beurteilungen umfassend eingegangen wird. Sie deckt sich in den wesentlichen Teilen mit der Beurteilung, die Dr. med. D.___ im Rahmen seiner Begutachtung abgegeben hatte und die schlussendlich zur Rentenaufhebung führte. Damals wie heute äusserte sich der Beschwerdeführer kaum aus eigener Initiative über seine angeblichen Beschwerden, seine Kooperation und Motivation waren gering und ein wirklicher Leidensdruck nicht zu spüren. Die von ihm angegebenen Defizite im Erinnerungsvermögen (der Beschwerdeführer vermochte sich auf entsprechende Nachfrage an so gut wie gar nichts aus seiner Biographie erinnern) werden durch die neuropsychologischen Testungen und den daraus gezogenen einleuchtenden Schluss, dass der Beschwerdeführer seine Leistungsfähigkeit bewusst negativ dargestellt hat, als beabsichtigt aufgedeckt. Auffallend ist beispielsweise auch, dass in Bezug auf die geltend gemachte schizophrene Symptomatik von Beginn an immer wieder nur die eine Episode des kleinen Jungen geschildert wird, der den Beschwerdeführer komisch angesehen haben soll, so dass er den Zwang verspürt habe, diesen mit einem Messer zu attackieren. Schlüssig wird in Bezug auf die Stimmen und die Schizophrenie dargelegt, dass sich die für eine Schizophrenie typisch vorhandenen Ich-Störungen weder im Rahmen der aktuellen Begutachtung noch in anderen ärztlichen Berichten hätten feststellen lassen. Ebenso ist von untypischen Symptomkombinationen die Rede. Zur Einschätzung der bewussten Darstellung nicht vorhandener Symptome passt auch die Geltendmachung einer Stimme, die dem Beschwerdeführer sage, er müsse sich selber verletzen, wobei auf Nachfrage dann Verletzungsbilder in Form von oberflächlichen Kratzern demonstriert werden. Gleiches stellte auch Dr. med. J.___ in seiner Begutachtung vom 17. April 2015 fest, der auf entsprechende Nachfrage den Vorderarm des Beschwerdeführers präsentiert erhalten habe, wo sich aber keine Narben gefunden hätten, obwohl der Beschwerdeführer ausgeführt habe, sich in den Vorderarm geschnitten zu haben (vgl. Gutachten 5. 39). Es ist daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass -  wie gutachterlich beschrieben – eine manipulative Symptompräsentation bzw. eine forcierte Darstellung eines dementiellen / organischen und zugleich psychotischen Zustandsbildes vorliegt. Auch die Ansicht, dass fremdanamnestische Angaben aus dem familiären Umfeld nicht bewertbar seien, ist zu teilen. Auf den Umstand, dass die Angaben der Mutter des Beschwerdeführers, die seit je her sein «Sprachrohr» zu sein scheint, im Verlauf der Zeit stets widersprüchlich bzw. teilweise «situationsangepasst» waren, wurde bereits in der Vergangenheit an verschiedenen Stellen hingewiesen. Insofern kann auf die dargestellte Familienanamnese nicht abgestellt werden. Zu Recht weist der Gutachter darauf hin, dass über die angebliche schizophrene Erkrankung des Vaters des Beschwerdeführers erst Äusserungen gemacht wurden, nachdem die Rente des Beschwerdeführers aufgehoben worden war und dieser ein psychotisches Zustandsbild geltend machte. Als nachvollziehbar erweisen sich auch die Erwägungen zu ersichtlichen Diskrepanzen in der Untersuchung (geltend gemachte Unwissenheit, aber durchaus situationsadäquate Nachfrage, ob die eigenen Rechte im Rahmen der Begutachtung eingehalten werden, Äusserungen über störungsspezifische Schlagworte) sowie im Rahmen des Verfahrens zur Wiedererlangung des Führerausweises, auf welches vor allem in der neuropsychologischen Zusatzbegutachtung eingegangen und erläutert wird, inwiefern sich die dort präsentierte Leistung gegenüber derjenigen der aktuellen Untersuchung widerspricht. Weiter widersprechen sich auch die Symptompräsentation des Beschwerdeführers und die Beobachtungen in der Untersuchung. Schliesslich wird ebenfalls nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Diagnostik in den Berichten der psychiatrischen Dienste Solothurn über die stationären Aufenthalte ausschliesslich auf die vom Beschwerdeführer geschilderten Beschwerden abgestützt wird. Obwohl auch in diesen Berichten Widersprüchlichkeiten angesprochen werden, findet keine Auseinandersetzung damit statt, ebenso wenig mit der Tatsache, dass sämtliche Hospitalisationen auf Drängen des Beschwerdeführers vorzeitig beendet wurden.»

 

«Bejaht werden von Dr. med. K.___ indessen auffällige Persönlichkeitszüge vom histrionischen und ängstlich vermeidenden Typ, was mit Blick auf die Aktenlage und die Untersuchungsergebnisse nachvollziehbar erscheint. Ebenso schlüssig ist die gutachterliche Aussage, dass sich die Eingangskriterien für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung aufgrund der verzerrten Beschwerdedarstellung und nicht als valide zu bezeichnenden fremdanamnestischen Angaben durch das familiäre Umfeld nicht positiv belegen lassen. Insofern kann auch das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bejaht werden. Im Ergebnis ist der Einschätzung, dass beim Beschwerdeführer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine schwere und damit invalidenversicherungsrechtlich relevante psychische Störung vorliegt, zu folgen.»

Ergänzend dazu ist auf die Ausführungen von Dipl. Psych. L.___ in ihrem Zusatzgutachten vom 18. April 2015 zu verweisen, die grundsätzlich zum selben Schluss gelangt. Eine schwere psychische Störung des Beschuldigten ist nicht positiv belegbar.

3.6. In seinem Urteil vom 31. Oktober 2017 kommt das Versicherungsgericht in E. 7. denn auch zu folgendem Schluss:

«Zusammenfassend gesehen präsentiert sich der medizinische Sachverhalt im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung genau gleich wie zum Zeitpunkt der letztmaligen materiellen Rentenprüfung. Eine invalidisierende Einschränkung besteht beim Beschwerdeführer nicht; die geklagten Beschwerden sind mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Ausdruck eines bewussten Gebarens, um entsprechende Leistungen zu erhalten. Demnach liegt keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes vor und die Beschwerdegegnerin hat einen Rentenanspruch zu Recht verneint. Bei dieser Ausgangslage erweisen sich auch jegliche Eingliederungsmassnahmen nicht als zielführend, auf solche besteht auch kein Anspruch. Da kein Gesundheitsschaden vorliegt, ist im Weiteren nicht zu beanstanden, dass die Beschwerdegegnerin keine Berechnung des Invaliditätsgrades vorgenommen hat. Die Beschwerde ist abzuweisen.»

 

Dies gilt auch vorliegend. Als Zwischenfazit ist somit festzustellen, dass gemäss den sich in den Akten befindlichen Beweismitteln erstellt ist, dass auch hinsichtlich der am 8. Juli 2013 vorgenommenen Neuanmeldung die Angaben des Beschuldigten betreffend seinen Gesundheitszustand nicht den objektiven Gegebenheiten entsprochen haben. Es ist nachgewiesen, dass beim Beschuldigten in Tat und Wahrheit von einem besseren Gesundheitszustand auszugehen war, als dieser gegenüber der IV-Stelle geltend zu machen versuchte. Der Beschuldigte hat somit versucht, die IV-Stelle aktiv über seinen Gesundheitszustand zu täuschen.

 

3.7. Die Vorinstanz legt abschliessend dar, der Beschuldigte habe im Zeitraum vom 8. Juli 2013 (Neuanmeldung zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung) bis am 12. März 2015 (letzte aktive Handlung des Beschuldigten, konkret Untersuchung bei Dr. med. K.___), gegenüber der IV-Stelle bewusst falsche Angaben über seinen Gesundheitszustand gemacht, gegenüber den begutachtenden Ärzten vorgetäuscht, an Schizophrenie und visuellen sowie akustischen Halluzinationen zu leiden und eine intellektuelle Minderbegabung in übertriebenem Mass vorgespielt zu haben, um erneut eine volle IV-Rente zugesprochen zu erhalten. Im betreffenden Zeitraum habe der Beschuldigte unrechtmässig Leistungen von CHF 44'253.00 beziehen wollen.

 

Dieser Auffassung ist grundsätzlich zu folgen, jedoch in einzelnen Teilen anzupassen. Der Beschuldigte hatte zwar anlässlich seiner letzten Untersuchung bei Dr. med. K.___ aktiv getäuscht, grundsätzlich hatte er aber die Möglichkeit, sein Gesuch um Neuausrichtung einer vollen IV-Rente bis zum Erlass der Verfügung zurückzuziehen. In Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft ist der Deliktszeitraum deshalb vom 8. Juli 2013 auf den 6. Mai 2016 auszudehnen.

 

 

4. Beweisergebnis

 

Gestützt auf die vorliegenden Akten ist demnach erstellt, dass sich der Beschuldigte, handelnd durch seinen damaligen Rechtsbeistand Rechtsanwalt Jürg Walker, am 8. Juli 2013 bei der IV-Stelle zum erneuten Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung anmeldete. Der Beschuldigte spielte massive psychische Gesundheitsprobleme und körperliche Beschwerden vor bzw. stellte diese massiv übertrieben dar. Durch die Präsentation von verschiedenen Symptomen und aussergewöhnlichen Beschwerden, wie Stimmenhören (u.a. Aufforderung zu Fremd- und Selbstverletzung), optische Phänomene (u.a. sehen von Geistern), dem stockenden und schweigsamen Interaktionsverhalten bis zur Gesprächsverweigerung und der Präsentation einer Minderintelligenz wollte der Beschuldigte die untersuchenden Personen sowie die Entscheidungsträger der Invalidenversicherung über seinen tatsächlichen Gesundheitszustand und seine Leistungs- und Arbeitsfähigkeit täuschen. Durch das Schauspiel liessen sich Ärzte, Psychiater und andere Fachpersonen täuschen und verfassten entsprechende Berichte und Gutachten, in denen der durch den Beschuldigten vorgespiegelte krankhafte gesundheitliche Zustand festgehalten wurde, was effektiv nicht der Wahrheit entsprach. Eine detaillierte Auflistung der entsprechenden Untersuchungen findet sich in der Anklageschrift vom 10. Juli 2020. Schliesslich ist erstellt, dass der Beschuldigte mit seiner Täuschung die Erlangung der Zusprache einer ganzen Invalidenrente beabsichtigte. Wäre es zu einer Rentenzusprache gekommen, hätte die IV-Stelle für den entsprechenden Zeitraum eine Rente von insgesamt CHF 73'863.00 zugesprochen (AS 848). Da diese die Zusprache der Rente mit Verfügung vom 6. Mai 2016 jedoch ablehnte, blieb es beim Versuch.

 

Zusammengefasst ist damit festzustellen, dass der Sachverhalt gemäss Ziffer 2 der Anklageschrift vom 10. Juli 2020 erstellt ist.

 

 

C. Vorhalt des mehrfachen Betrugs zum Nachteil der E.___ AG (in Liquidation)

 

1. Bestrittener Sachverhalt

 

Betreffend den Vorhalt des mehrfachen Betrugs zum Nachteil der E.___ AG (in Liquidation) (Berufungserklärung S. 31 f.) bringt der Beschuldigte vor, er habe immer erklärt, dass er die Waren habe bezahlen wollen. Tatsächlich sei bis heute an die Gesamtforderung von CHF 6'319.70 der Betrag von CHF 1'586.85 bezahlt worden. Mit den Zahlungen habe er zu erkennen gegeben, dass er die Waren habe bezahlen wollen. Dies sei bei der Sachverhaltsfeststellung nicht berücksichtigt worden. Als die E.___ AG (in Liquidation) am 24. September 2015 Anzeige eingereicht habe, sei für die Gegenstände, die der Beschuldigte am 1. September 2015, 18. September 2015, 11. September 2015 und 14. September 2015 entgegengenommen habe, die Zahlungsfrist noch gar nicht abgelaufen gewesen. Es könne dem Beschuldigten daher auch nicht vorgeworfen werden, er habe diese Waren nicht bezahlen wollen. Zudem sei keineswegs erstellt, dass der Bestellprozess bei der E.___ AG (in Liquidation) im Tatzeitraum, noch nicht vollständig digitalisiert und auch ein Mensch in irgendeiner Form bei der Bestellannahme und/oder -freigabe involviert gewesen sei. Für die Annahme des Amtsgerichtes, die es auf S. 90 äussere, gebe es keine Beweise. Auch hier habe ein Freispruch zu erfolgen.

 

Anlässlich der Berufungsverhandlung hält der Beschuldigte an den gemachten Ausführungen gemäss Berufungserklärung fest und ergänzt diese weiter. Für weitere Ausführungen zum bestrittenen Sachverhalt kann deshalb stellvertretend auf die schriftlich abgegebenen Plädoyernotizen verwiesen werden.

 

 

2. Beweismittel

 

2.1. Sachliche Beweismittel

 

In Bezug auf die sachlichen Beweismittel ist auf die Ausführungen der Vorinstanz in ihrem Urteil vom 15. März 2021 (Ziff. II. / Ziff. 4.3.1. [Vorbemerkungen] und Ziff. 4.3.2. [Ermittlungsbericht]) zu verweisen.

 

2.2. Persönliche Beweismittel

 

2.2.1. Angaben des Beschuldigten

 

2.2.1.1. In Bezug auf die im Vorverfahren gemachten Angaben des Beschuldigten wird auf die Zusammenfassung der Vorinstanz in ihrem Urteil vom 15. März 2021 (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.3.3., S. 72 f.) verwiesen. Als Ergänzung dazu ist einzig hinsichtlich der polizeilichen Einvernahme des Beschuldigten vom 29. Oktober 2015 (AS 421 ff.) Folgendes festzuhalten:

 

Der Einvernahme selbst ist nicht zu entnehmen, welche Art «Anfall», der zum Abbruch der Einvernahme führte, der Beschuldigte erlitten hatte. Dem Journal der Staatsanwaltschaft (AS 484.20) ist zu entnehmen, dass es sich um einen «Epi-Anfall» gehandelt habe (s. diesbezüglich auch den zugehörigen ärztlichen Bericht von Dr. med. BY.___ vom 27.11.2015, AS 722 f. sowie die zugehörige Stellungnahme des RAD vom 01.03.2016, wonach es sich gemäss den ärztlichen Erkenntnissen mutmasslich um einen erstmaligen, wahrscheinlich durch Schlafentzug unregelmässige Einnahme von Temesta provozierten epileptischen Anfall gehandelt habe).

 

2.2.1.2. Anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vom 16. Oktober 2023 (OGer 260 ff.) führt der Beschuldigte aus, das sei nicht er gewesen, sondern seine Ex-Frau. Er habe es auf sich genommen. Er habe gesagt «ich habe das gemacht», obwohl sie das gemacht habe. (Auf Vorhalt, er habe ausgesagt, er habe die E-Mail-Adressen – es seien insgesamt mehr als zehn Adressen gewesen, über die Waren bestellt worden seien – zusammen mit seinem Cousin eingerichtet; ob das auch nicht stimme?) Er wisse nicht, wie man eine E-Mail eröffne. (Auf Vorhalt, er habe im Vorverfahren bestätigt, das zusammen mit seinem Cousin gemacht zu haben:) Es sei bestimmt so, dass er ihm das gezeigt selber hergestellt habe. Er selber sei nicht fähig, so etwas zu machen. (Aber zusammen mit dem Cousin habe er es machen können?) Er wiederhole: Er verstehe nichts von E-Mails und so. (Wer denn die E-Mail-Adressen eingerichtet habe:) Sie (die Oberrichterin) habe doch vorher gesagt, zusammen mit dem Cousin. (Das sei das, was er im Vorverfahren ausgesagt habe.) Dann sei es ja klar. (Ob das so stimme?) Ja. Sein Cousin habe es ihm gezeigt und gemacht, ja. (Er habe auch ausgesagt, er habe vergessen, die Waren zu zahlen?) Ja. (Ob er in der Zwischenzeit etwas gezahlt habe?) Er wisse es nicht, aber er glaube, ein zwei Stück hätten sie gemacht. Er glaube, etwas über CHF 3'000.00 und etwas über CHF 4'000.00 seien bezahlt worden. (Also habe er Zahlungen geleistet?) Ja, er glaube, einmal sei etwas gezahlt worden. Er sei mit der Mutter hingegangen. Gott sei für seine Mutter gedankt, sie habe das gemacht. (Ob er wisse, wann das gewesen sei?) Nein. (Ob das zu einer Zeit gewesen sei, als das Verfahren schon gelaufen sei, früher?) Er könne sich nicht erinnern. (Ob er wisse, ob das gewesen sei, nachdem das Urteil durch das Amtsgericht gefällt worden sei?) Er könne sich nicht erinnern. (Auf Frage, ob er in der Zwischenzeit noch mehr als die anerkannten CHF 4'733.05 bezahlt habe?) Ja vermutlich schon, aber er wisse es nicht. (Auf Vorhalt, dass das Amtsgericht neben den anerkannten CHF 4'733.05 auch noch Schadenersatz von CHF 1'007.00 zugesprochen habe, ob er dazu etwas sagen wolle?) Nein.

 

Zu den von der Staatsanwaltschaft verfügten Beschlagnahmungen wollte sich der Beschuldigte nicht äussern. Was er mit Frauenhandtaschen wolle. Seine Ex-Frau habe das bestellt. (Auf Hinweis, dass er das Recht habe, sich dazu zu äussern) Wie er gesagt habe, er habe es nicht bestellt, aber er habe es auf sich genommen.

 

2.2.2. Angaben weiterer Beteiligter

 

Für die Aussagen der im Verfahren befragten Auskunftspersonen wird auf die Ausführungen der ersten Instanz (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.3.4., S. 75 [Ehefrau des Beschuldigten], Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.3.5., S. 75 f. [Cousin des Beschuldigten, CX.___], und Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.3.6., S. 76 f. [Mutter des Beschuldigten, X.___]) verwiesen.

 

3. Beweiswürdigung und Beweisergebnis

 

3.1. Sachverhalt

 

3.1.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt die Vorinstanz aus (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.3.2. lit. f, S. 74), das Aussageverhalten des Beschuldigten sei von der ersten Befragung an anders als bei den Vorwürfen des IV-Betruges gewesen. So habe er bezüglich dieses Vorwurfs stets bereitwilliger Auskunft gegeben. Dennoch wollte er viele Dinge wieder vergessen haben, so insbesondere die E-Mail-Adressen, welche er zum Zwecke der Bestellungen eingegeben haben solle, sowie Zeitpunkt und Art der bestellten Waren. Auf die Frage, ob er H.___ kenne (anlässlich der ersten Einvernahme), habe er geantwortet «Ich weiss nicht» (AS 425, Frage 36) – dabei sei dies der Name, unter welchem er seine Freundin (später Ehefrau, später Ex-Frau) kennengelernt habe und unter welchem er sie zu Beginn des Jahres 2012 bei der Schriftenkontrolle selber habe anmelden wollen.

 

Dennoch habe er von Beginn an zugestanden, Dinge im Internet bestellt zu haben. Später habe er diese Aussage relativiert und anlässlich der Schlusseinvernahme bei der Staatsanwaltschaft gemeint, seine Frau sei auch mitbeteiligt gewesen, und er habe im Rahmen der Hauptverhandlung sogar ausgesagt, dass seine (nun) Ex-Frau die Bestellungen überwiegend getätigt habe. Im Laufe der vorherigen Ermittlungen habe er in diesem Zusammenhang nie einen Bezug zur Ehefrau hergestellt. Von Beginn an habe er beteuert, für den entstandenen Schaden aufkommen zu wollen, weshalb es das Gericht als Schutzbehauptung erachtete, wenn der Beschuldigte nach der Scheidung erstmals behauptete, dass seine Ex-Frau die Bestellungen aufgegeben habe.

 

Gesamthaft wertete das Gericht die Aussagen des Beschuldigten als Geständnis, dass er willentlich Bestellungen getätigt und im Zeitpunkt der Bestellungen wissentlich nicht über die finanziellen Mittel zur Bezahlung der Rechnungen verfügt habe. Die Aussage, wonach er eine Ratenzahlung habe vereinbaren wollen und dies schlichtweg vergessen habe, sei als Schutzbehauptung zu werten, habe ihn doch jede neue Lieferung bestellter Waren daran erinnern müssen, dass er die bereits erhaltenen Waren noch nicht bezahlt gehabt habe.

 

3.1.2. Der Beschuldigte vermag keine Zweifel daran zu wecken, dass diese Ausführungen der Vorinstanz nicht zutreffen. Es wurde schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, weswegen die Angaben des Beschuldigten, er habe die Ware jeweils bezahlen wollen, als unglaubhaft bzw. als Schutzbehauptung zu werten sind. Mit den Angaben des Beschuldigten vor der ersten Instanz lässt sich denn auch sein Aussageverhalten nachvollziehen: Nachdem im Vorverfahren seine Ehefrau noch keine Bestellungen getätigt haben soll, sei nun neu sie es gewesen, die teilweise die Bestellungen getätigt habe. Vor dem Berufungsgericht bringt der Beschuldigte vor, es sei immer seine Ex-Frau gewesen, die die Waren bestellt habe. Dass dies unglaubhaft ist, zeigt bspw. schon der Umstand, dass in den sich in den Akten befindlichen Unterlagen auch mehrere Bestellungen von Schnürstiefeln in der Grösse 43 / 44 zu finden sind. Vom Vorderrichter auf den Umstand angesprochen, dass bisher sowohl er wie auch sein Cousin ausgesagt hätten, sie hätten das zusammen gemacht, äusserte der Beschuldigte seine Aussage dahingehend, als dass er mit dem Cousin wenigstens die Mailadresse gemacht habe. Auch vor dem Berufungsgericht bestreitet der Beschuldigte zunächst, etwas mit den Bestellungen zu tun zu haben, bis er – auf seine im Vorverfahren gemachten Zugeständnisse angesprochen – plötzlich einräumt, es sei doch er gewesen, der die E-Mailadressen mit seinem Cousin gemacht habe. Dies zeigt, dass der Beschuldigte keinerlei Einsicht in die ihm gemachten Vorhalte hat und seine Angaben jeweils dahingehend anpasst, dass er keine zu grosse Rolle einnimmt. Zugeständnisse werden nur gemacht, wo es nicht anders möglich ist. Dass er aber grundsätzlich zugestanden hatte, Waren im Internet bestellt zu haben, kann insgesamt nicht wegdiskutiert werden.

 

3.1.3. Hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Angaben weiterer, zur Sache befragten Personen ist vollumfänglich auf die Ausführungen der ersten Instanz (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.3.4. lit. b, S. 75, Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.3.5. lit. b, S. 76, und Urteil
S-L Ziff. II. / Ziff. 4.3.6. lit. b, S. 77) abzustellen.

 

3.1.4. Auch für die übrige Beweiswürdigung und daraus folgend für das Beweisergebnis ist vollumfänglich auf die Ausführungen der ersten Instanz (Urteil S-L Ziff. II. / Ziff. 4.3.7., S. 77 f.) abzustellen. Die Vorinstanz hat unter Einbezug sämtlicher vorhandener Beweismittel nachvollziehbar dargestellt, weswegen der Sachverhalt gemäss Ziffer 3 der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 10. Juli 2020 erstellt ist. Entgegen den Darstellungen der Verteidigung hat sie insbesondere auch dargelegt, weswegen beim Beschuldigten von Beginn an von einem fehlenden Zahlungswillen auszugehen war – nur so machte nämlich das Vorgehen des Beschuldigten, so viele E-Mailadressen auf unterschiedliche Namen zu generieren und Bestellungen unter fremdem Namen und/oder an eine andere Adresse liefern zu lassen, überhaupt Sinn. Ebenso hat die Vorinstanz nachvollziehbar dargelegt, dass der Beschuldigte nicht von der Möglichkeit ausgehen konnte, die bestellten Waren jemals bezahlen zu können, war er doch im Tatzeitraum vollumfänglich von der Sozialhilfe abhängig. Der Beschuldigte vermag nicht darzulegen, dass die Vorinstanz den Sachverhalt falsch festgestellt hätte. Auch hier ist der Sachverhalt, wie er in der Anklageschrift ausgeführt wird, erstellt.

 

3.1.5. Wie dieses Verhalten des Beschuldigten rechtlich zu würdigen sein wird, ist nachfolgend unter Ziffer III. / Lit. C. zu prüfen.

 

3.2. Geringfügigkeit

 

3.2.1. Die erste Instanz prüfte die durch den Beschuldigten getätigten Bestellungen auf eine potentielle Geringfügigkeit i.S.v. Art. 172ter Abs. 1 StGB (Ziff. III. / Ziff. 3.3. lit. g, S. 91 ff.). Sie stellte fest, dass zwar einige Bestellungen unter den Warenwert von CHF 300.00 zu liegen kamen, womit die objektive Seite der Norm grundsätzlich erfüllt sein könnte, sie hielt aber gleichzeitig fest, dass einige der aufgeführten Bestellungen am gleichen Tag bzw. zusammen mit anderen Bestellungen aufgegeben wurden, welche für sich alleine schon über dem Schwellenwert lagen. Nach Auffassung der Vorinstanz waren sie deshalb vom selben Tatentschluss getragen und bildeten damit eine Handlungseinheit. Entsprechend war ihr Gesamtwert entscheidend und die fraglichen Bestellungen (vom 28.06.2015 und vom 13.08.2015) fielen nicht in den Bereich eines geringfügigen Delikts.

 

3.2.2. Der Beschuldigte moniert diese Vorgehensweise der ersten Instanz. Eine Zusammenrechnung der Warenwerte dürfe nicht erfolgen. Zur Durchführung einer Bestellung im Internet sei immer wieder ein neuer Tatentschluss notwendig. Bei jeder neuen Bestellung brauche es das Ausfüllen eines neuen Formulars. Dieses werde anschliessend mit einem Knopfdruck versendet. Ob diese neue Bestellungsmail am selben Tag einen Tag später versendet werde, sei unerheblich. Der Beschuldigte verlange somit die Berücksichtigung des verjährten Betrages von CHF 854.70 (Plädoyer S. 76).

 

3.2.3. Obwohl diese Frage auch Aspekte der rechtlichen Würdigung mit sich trägt, ist vorab im Rahmen der Beweiswürdigung zu prüfen, inwiefern erstellt ist, dass der Beschuldigte die Bestellungen unter demselben Tatentschluss gefällt hat.

 

3.2.4. Am 28. Juni 2015 tätigte der Beschuldigte folgende Bestellungen:

 

-          Bestelldatum:

-          Entgegennahme:

-          Ware:

-          Betrag:

-          28.06.2015

01.07.2015, 11:51 Uhr

diverse Herrenbekleidung

CHF 195.45

-          Bestelldatum:

-          Entgegennahme:

-          Ware:

-          Betrag:

-          28.06.2015

20.07.2015, 11:53 Uhr

1 Lederhandtasche

CHF 89.90

 

-          Bestelldatum:

-          Entgegennahme:

-          Ware:

-          Betrag:

-          28.06.2015

01.07.2015, 11:51 Uhr

1 Bobby Car

CHF 90.75

 

-          Bestelldatum:

-          Entgegennahme:

-          Ware:

-          Betrag:

-          28.06.2015

01.07.2015, 11:50 Uhr

1 Cargohose, 1 RC Stunt Auto

CHF 170.65

 

-          Bestelldatum:

-          Entgegennahme:

-          Ware:

-          Betrag:

-          28.06.2015

17.07.2015, 10:08 Uhr

1 Etui für iPhone 6 Plus, 1 Hornhautentferner Scholl

CHF 74.80

 

-          Bestelldatum:

-          Entgegennahme:

-          Ware:

-          Betrag:

-          28.06.2015

21.07.2015, 13:04 Uhr

1 Lederhandtasche, 1 Bulgari Eau de Toilette, 1 Armbanduhr

CHF 282.70

 

Wann die Bestellungen getätigt worden sind, ist der Anklageschrift nicht zu entnehmen. Die Verteidigung geht davon aus, dass jede aufgeführte Bestellung einzeln getätigt worden ist. In den Akten findet sich jedoch ein Beleg, gemäss welchen die Bestellungen unter insgesamt zwei Malen um 21:19 Uhr via die E-Mailadresse [E-Mailadresse 1] getätigt wurden (AS 317). Den zugehörigen Belegen Nr. 3.1. (AS 337 ff.) und Nr. 3.2. (AS 342 ff.) können die näheren Informationen zu den Bestellungen wie insb. Lieferzeitpunkte etc. entnommen werden. Gestützt auf die Akten ist damit erstellt, dass sämtliche Bestellungen vom 28. Juni 2015 zu demselben Zeitpunkt ausgeführt und damit vom demselben Tatentschluss getragen worden sind. Dass die Vorinstanz die Bestellungen vom 28. Juni 2015 als eine Tathandlung berücksichtigt hat, ist demnach nicht zu beanstanden.

 

3.2.5. Dasselbe gilt für die Bestellung vom 13. August 2015. Der Beschuldigte hat am genannten Datum folgende Bestellungen getätigt:

 

-          Bestelldatum:

-          Entgegennahme:

-          Ware:

-          Betrag:

-          13.08.2015

01.09.2015, 16:11 Uhr

Diverses Kinderzubehör, 1 Tasche

CHF 402.55

 

-          Bestelldatum:

-          Entgegennahme:

-          Ware:

-          Betrag:

-          13.08.2015

18.09.2015, 11:00 Uhr

Diverses Kinderzubehör, diverse Kinderbekleidung

CHF 110.35

 

Den Akten (insb. AS 317) ist zu entnehmen, dass diese Bestellungen am 13. August 2015 um 22:43 Uhr via die E-Mailadresse (schwer lesbar) [E-Mailadresse 2] getätigt wurden. Zugehörig sind die Belege Nr. 9.1. (AS 398 ff.) und 9.2. (AS 402 ff.). Auch hier ist erstellt, dass die Bestellungen zum gleichen Zeitpunkt getätigt und damit von demselben Tatentschluss getragen worden sind. Dass die Vorinstanz die Bestellungen vom 13. August 2023 zusammen berücksichtigt hat, ist demnach ebenfalls nicht zu beanstanden.

 

3.2.6. Zusammenfassend ist damit auf die Ausführungen der ersten Instanz abzustellen. Die Bestellungen vom 19. Juli 2015 (CHF 130.75), vom 30. Juli 2015 (CHF 129.70), vom 7. August 2015 (CHF 263.45) und vom 14. August 2015 (CHF 55.75) fallen unter den Tatbestand des geringfügigen Delikts und sind in Anwendung von Art. 109 StGB verjährt. Die übrigen Bestellungen sind wie von der Staatsanwaltschaft geltend gemacht zu berücksichtigen. Es bleibt demnach beim vorinstanzlich festgestellten Deliktsbetrag von CHF 5'740.05.

 

3.3. Digitalisierungsgrad bei der E.___ AG (in Liquidation)

 

3.3.1. Der Beschuldigte bringt vor, vorliegend sei nicht erstellbar, ob der Bestellvorgang bei der E.___ AG (in Liquidation) zum damaligen Zeitpunkt, d.h. im Jahr 2015, vollständig digitalisiert gewesen sei ob ein Mensch in den Bestellvorgang involviert gewesen sei. Diese Frage sei gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung (Urteil des Bundesgerichts 6B_24/2018 vom 22.05.2019) jedoch zwingend abzuklären, um überhaupt eine rechtliche Würdigung vornehmen zu können.

 

3.3.2. In dem von der Verteidigung angeführten Urteil des Bundesgerichts wird in E. 2.3.1. Folgendes ausgeführt:

 

«Nach Art. 146 Abs. 1 StGB macht sich wegen Betrugs strafbar, wer in der Absicht, sich einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst einen andern am Vermögen schädigt. Des Tatbestandes von Art. 147 StGB (betrügerischer Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage) macht sich hingegen schuldig, wer in der Absicht, sich einen andern unrechtmässig zu bereichern, durch unrichtige, unvollständige unbefugte Verwendung von Daten in vergleichbarer Weise auf einen elektronischen vergleichbaren Datenverarbeitungs- Datenübermittlungsvorgang einwirkt und dadurch eine Vermögensverschiebung zum Schaden eines andern herbeiführt eine Vermögensverschiebung unmittelbar darnach verdeckt.

 

Art. 146 und Art. 147 StGB unterscheiden sich dadurch, dass im ersten Fall eine Person getäuscht wird, im zweiten auf eine Datenverarbeitungsanlage eingewirkt wird. Entscheidend ist mithin bei einer Bestellung über das Internet bei einem Versandhaus, ob der Entscheid, diese anzunehmen und zu liefern, automatisiert durch eine Person getroffen wird. Die Vorinstanz erachtet es als notorisch, dass Bestellungen nicht vollautomatisch ausgeliefert würden, zumal Personen die Ware identifizieren, verpacken und versenden müssten. Darauf kommt es aber nicht an, solange diesen Personen keine Entscheidungsbefugnis in Bezug auf die Frage zukommt, ob und unter welchen Bedingungen eine Lieferung überhaupt erfolgen soll. Die Sache ist bereits aus diesem Grund an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese feststellt, wie die Bestellungen des Beschwerdeführers bei den einzelnen Versandhäusern behandelt worden sind, und entsprechend neu entscheidet.» 

 

3.3.3. Die Staatsanwaltschaft ist vorliegend dieser Pflicht gemäss Bundesgericht nachgekommen und hat versucht, abzuklären, ob in den Bestellvorgang bei der E.___ AG (in Liquidation) im Jahr 2015 noch ein Mensch involviert war ob dieser zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig digitalisiert war. Mit Schreiben vom 5. September 2019 versuchte die Staatsanwaltschaft, bei der E.___ AG (in Liquidation) einen schriftlichen Bericht i.S. Art. 145 StPO einzuholen (AS 906.107). Da dieses Schreiben seitens der Privatklägerin unbeantwortet blieb, wurde sie mit Schreiben vom 25. September 2019 gemahnt (AS 906.109). Am 14. Oktober 2019 ging der Staatsanwaltschaft schliesslich per E-Mail ein Schreiben der Privatklägerin ein, wonach man keine Angaben zum angefragten Sachverhalt machen könne. Die Privatklägerin sei im Jahr 2016 von der DW.___ GmbH übernommen worden. Der Geschäftsbetrieb sei komplett eingestellt (AS 906.115). Erkenntnisse konnten demnach keine gewonnen werden.

 

Ergänzend dazu ist festzuhalten, dass auch den in den Akten liegenden Bestellbestätigungen, Lieferscheinen etc. kein Hinweis auf die direkte Involvierung eines Menschen gegeben ist.

 

Es ist damit festzustellen, dass trotz entsprechender Bemühungen seitens der Staatsanwaltschaft vorliegend nicht erstellt werden kann, ob vorliegend bei der E.___ AG (in Liquidation) im Jahr 2015 ein Mensch in die Bestellvorgänge involviert gewesen ist. Welche Auswirkungen dieser Umstand auf die rechtliche Würdigung hat, ist nachfolgend unter Ziff. III. / Lit. C näher auszuführen.

 

 

III. RECHTLICHE WÜRDIGUNG

 

A. Vorhalt des gewerbsmässigen Betrugs zum Nachteil der IV-Stelle

 

1. Vorbemerkung

 

Wie die Vorinstanz unter Ziff. III. / Ziff. 1, S. 78, festgestellt hat und auch vorstehend bereits ausgeführt wurde (Beweiswürdigung und Beweisergebnis zur anklageschrift-Ziffer 1, vorstehend Ziff. II. / Lit. A), sind in Anwendung von Art. 97 Abs. 1 lit. b StGB sämtliche Handlungen des Beschuldigten gemäss Anklageschrift Ziff. 1 vor dem 15. März 2006 verjährt.

 

2. Allgemeine Ausführungen zum Betrug

 

2.1. Gemäss Art. 146 Abs. 1 StGB macht sich u.a. des Betrugs schuldig, wer in der Absicht, sich einen anderen unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst einen anderen am Vermögen schädigt.

 

Als objektive Tatbestandselemente werden eine arglistige Täuschung, ein dadurch bewirkter Irrtum, eine auf den Irrtum gestützte Vermögensdisposition des Irrenden sowie ein aufgrund der Vermögensdisposition eingetretener Vermögensschaden vorausgesetzt (vgl. Stefan Trechsel/Dean Crameri in: PK StGB, Art. 146 StGB N 1).

 

2.2. Angriffsmittel beim Betrug ist die Täuschung des Opfers. Als Täuschung gilt jedes Verhalten, das darauf gerichtet ist, bei einem anderen eine von der Wirklichkeit abweichende Vorstellung hervorzurufen. Sie ist eine unrichtige Erklärung über Tatsachen, d.h. über objektiv feststehende, vergangene gegenwärtige Geschehnisse Zustände (vgl. u.a. BGE 135 IV 76 E. 5.1.).

 

Die Erfüllung des Tatbestands erfordert eine arglistige Täuschung. Betrügerisches Verhalten ist strafrechtlich erst relevant, wenn der Täter mit einer gewissen Raffinesse Durchtriebenheit täuscht. Ob die Täuschung arglistig ist, hängt aber nicht davon ab, ob sie gelingt. Aus dem Umstand, dass das Opfer der Täuschung nicht erliegt, lässt sich nicht ableiten, diese sei notwendigerweise nicht arglistig. Wesentlich ist, ob die Täuschung in einer hypothetischen Prüfung unter Einbezug der dem Opfer nach Wissen des Täters zur Verfügung stehenden Selbstschutzmöglichkeiten als nicht nur erschwert durchschaubar erscheint (vgl. u.a. BGE 135 IV 76 E. 5.2.; Ursula Cassani, Der Begriff der arglistigen Täuschung als kriminalpolitische Herausforderung, ZStrR 117/1999 S. 164).

 

Dem Merkmal der Arglist kommt mithin die Funktion zu, legitimes Gewinnstreben durch Ausnutzung von Informationsvorsprüngen von der strafrechtlich relevanten verbotenen Täuschung abzugrenzen und den Betrugstatbestand insoweit einzuschränken. Dies geschieht einerseits durch das Erfordernis einer qualifizierten Täuschungshandlung. Aus Art und Intensität der angewendeten Täuschungsmittel muss sich eine erhöhte Gefährlichkeit ergeben (betrügerische Machenschaften, Lügengebäude). Einfache Lügen, plumpe Tricks leicht überprüfbare falsche Angaben genügen demnach nicht. Andererseits erfolgt die Eingrenzung über die Berücksichtigung der Eigenverantwortlichkeit des Opfers (vgl. u.a. BGE 135 IV 76 E. 5.2.).

 

Nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist – soweit das Opfer sich nicht in leichtfertiger Weise seiner Selbstschutzmöglichkeiten begibt – Arglist gegeben, wenn der Täter zur Täuschung eines anderen ein ganzes Lügengebäude errichtet sich besonderer Machenschaften Kniffe bedient. Solche betrügerischen Machenschaften liegen vor, wenn die Täuschung durch zusätzliche Massnahmen, wie z.B. gefälschte rechtswidrig erlangte Urkunden und Belege, abgesichert wird. Arglist wird aber auch schon bei einfachen falschen Angaben bejaht, wenn deren Überprüfung nicht nur mit besonderer Mühe möglich nicht zumutbar ist, und wenn der Täter das Opfer von der möglichen Überprüfung abhält nach den Umständen voraussieht, dass dieses die Überprüfung der Angaben aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen wird (vgl. u.a. BGE 135 IV 76 E. 5.2., BGE 122 IV 197 E. 3d; Stefan Trechsel/Dean Crameri in: PK StGB, Art. 146 StGB N 7 f. sowie die neueren Urteile des Bundesgerichts 6B_962/2015 vom 05.04.2016 E. 2.4. sowie 6B_712/2017 vom 23.05.2018 E. 4.3.).

 

Der Gesichtspunkt der Überprüfbarkeit der Angaben erlangt nach der neueren Rechtsprechung auch bei Lügengebäuden und besonderen Machenschaften und Kniffen Bedeutung. Auch in diesen Fällen ist somit das Täuschungsopfer zu einem Mindestmass an Aufmerksamkeit verpflichtet (BGE 135 IV 76 E. 5.2.; BGE128 IV 18 E. 3a; je mit Hinweisen). Arglist scheidet aus, wenn der Getäuschte den Irrtum mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit hätte vermeiden können. Dabei sind die jeweilige Lage und die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen im Einzelfall entscheidend. Rücksicht zu nehmen ist namentlich auf geistesschwache, unerfahrene aufgrund von Alter Krankheit beeinträchtigte Opfer auf solche, die sich in einem Abhängigkeits- Unterordnungsverhältnis in einer Notlage befinden, und deshalb kaum imstande sind, dem Täter zu misstrauen. Auf der anderen Seite sind besondere Fachkenntnis und Geschäftserfahrung des Opfers in Rechnung zu stellen.

 

2.3. Die arglistige Täuschung muss beim Opfer einen Irrtum – also eine von der Wirklichkeit abweichende Vorstellung – bewirken, welcher es dazu veranlasst, eine Vermögensdisposition, eine Vermögensverfügung zu treffen, die zu einem Vermögensschaden führt. Das Opfer kann auch zum Schaden eines Dritten verfügen, was entsprechende Verfügungsmacht voraussetzt. Mit dem Eintritt eines Vermögensschadens ist der Betrug vollendet. Eine vorübergehende Schädigung genügt, späterer Ersatz schliesst Betrug nicht aus (vgl. Stefan Trechsel/Dean Crameri in: PK StGB, Art. 146 StGB N 14 f., N 18, N 20 und N 26).

 

Das Vermögen muss einen Schaden erleiden, d.h. es muss sich im Vergleich zwischen der effektiven Gesamtvermögenslage und der hypothetischen Vermögenslage unter der Annahme, dass die Erklärung des Täters wahr war, eine Differenz zum Nachteil des Opfers ergeben. Eine blosse Vermögensgefährdung genügt nicht. Eine Vermögensgefährdung wird aber dann zur Verletzung, wenn das Vermögen in einem Masse gefährdet wird, dass es in seinem wirtschaftlichen Wert vermindert ist. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vermindert ist das Vermögen, wenn der Gefährdung im Rahmen einer sorgfältigen Bilanzierung durch Wertberichtigung Rückstellung Rechnung getragen werden muss (vgl. Stefan Trechsel/Dean Crameri, in: PK StGB, Art. 146 StGB N 23; vgl. u.a. BGE 122 IV 279 E. 2a).

 

2.4. Handelt der Täter gewerbsmässig, wo wird er mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren Geldstrafe nicht unter 90 Tagessätzen bestraft (Art. 146 Abs. 2 StGB). Die neuere bundesgerichtliche Rechtsprechung geht für die Umschreibung der Gewerbsmässigkeit vom Begriff des berufsmässigen Handelns aus. Der Täter handelt berufsmässig, wenn sich aus der Zeit und den Mitteln, die er aus der deliktischen Tätigkeit aufwendet, aus der Häufigkeit der Einzelakte innerhalb eines bestimmten Zeitraumes sowie den angestrebten und erzielten Einkünften ergibt, dass er die deliktische Tätigkeit nach der Art eines Berufes ausübt. Das Bundesgericht setzt voraus, dass der Täter (1.) die Tat bereits mehrfach begangen hat, dass er (2.) in der Absicht handelte, ein Erwerbseinkommen zu erlangen, und dass (3.) aufgrund seiner Taten geschlossen werden muss, er sei zu einer Vielzahl von unter den fraglichen Tatbestand fallenden Taten bereit gewesen (vgl. Marcel Alexander Niggli / Christof Riedo, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Auflage 2019, Art. 319 N 89 ff. mit Hinweisen zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung.)

 

Die begangenen Delikte können sich stets gegen die gleiche Person gerichtet haben, wenn nur die grundsätzliche Bereitschaft besteht, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu delinquieren. Wie viele Straftaten vorausgesetzt sind, lässt sich nicht genau beziffern. Man wird vielmehr berücksichtigen müssen, in welchem Zeitraum und mit welchem Deliktsbetrag diese verübt wurden (a.a.O., N 96 mit Hinweisen zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung).

 

Beim Täter muss ein Bestreben erkennbar sein, aus der deliktischen Tätigkeit mit einer gewissen Regelmässigkeit Einkünfte zu erzielen, die geeignet sind, einen namhaften Teil der Lebenskosten zu decken. Dass es tatsächlich gelingt, einen namhaften Gewinn zu erzielen, ist nicht erforderlich – es genügt die entsprechende Absicht. Vorausgesetzt ist ferner nicht, dass die deliktische Tätigkeit die einzige auch nur die hauptsächliche Einnahmequelle des Täters bildet, es genügt ein «Nebenerwerb». Wesentlich ist, dass der Täter relativ regelmässige Einnahmen anstrebt; er muss sich darauf eingerichtet haben, durch die deliktische Tätigkeit einen namhaften Betrag an die Finanzierung seiner Lebensgestaltung zu erzielen. Ob dies der Fall ist, entscheidet sich nach der Gesamtheit der Umstände (Häufigkeit begangener Delikte innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, Art und Weise des Vorgehens, erzielte und angestrebte Deliktsumme). Die Absicht muss nicht dahingehen, sich Einnahmen in Geld zu verschaffen; es genügt vielmehr der Wille, sich irgendwelche Vermögensvorteile zu verschaffen (a.a.O.; N 98 ff. m.w.Verw.).

 

Schliesslich muss der Täter zur Verübung einer Vielzahl von Delikten der fraglichen Art bereit sein. Nicht erforderlich ist, dass sich diese Bereitschaft auf eine unbeschränkte Zahl von Opfern bezieht. Wenig problematisch ist die Rechtslage dann, wenn der Täter in der Vergangenheit derart oft delinquiert hat, dass er die genannte Bereitschaft bereits offenbart hat. Ist die Zahl der tatsächlich begangenen Delikte aber gering, erfolgt die Qualifizierung allein aufgrund einer mehr weniger plausiblen Prognose in Bezug auf das künftige Verhalten. Eine Bereitschaft zur Begehung einer Vielzahl von Delikten «der fraglichen Art» ist nur dann anzunehmen, wenn der Täter den entsprechenden Tatbestand mit einer gewissen Regelmässigkeit zu erfüllen gedenkt. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter ganz allgemein den Entschluss gefasst hat, sich durch Delikte sein Leben zu finanzieren (a.a.O., N 107 ff. m.w.Verw.).

 

2.5. Wer als Bezüger von Sozialhilfe Sozialversicherungsleistungen falsche unvollständige Angaben zu seinen Einkommens- Vermögensverhältnissen macht, täuscht aktiv (BGE 140 IV 11 E. 2.4.6., BGE 140 IV 206 E. 6.3.1.3.). Besteht eine Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgetreuen Auskunftserteilung und ist die Überprüfung nicht nur mit besonderer Mühe möglich nicht zumutbar, gelten schon einfache falsche Angaben als arglistig (Urteil des Bundesgerichts 6B_338/2020 vom 03.02.2021 E. 3.4.1. m.w.Verw.), dies abweichend von der ansonsten geltenden Regel, dass einfache Lügen als solche nicht genügen (BGE 143 IV 302 E. 1.3.1.). Die Behörden dürfen grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Angaben von mitwirkungspflichtigen Personen wahrheitsgetreu und vollständig sind (Urteil des Bundesgerichts 6B_932/2015 vom 18.11.2015 E. 3.4.).

 

Eine Sozialhilfebehörde deren Vertreter handelt nur dann leichtfertig (was die Arglist ausschliesst), wenn sie bzw. er die eingereichten Belege nicht prüft es unterlässt, die um Sozialhilfe ersuchende Person aufzufordern, die für die Abklärung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse relevanten Unterlagen einzureichen (Urteil des Bundesgerichts 6B_877/2021 vom 07.10.2021 E. 2.1., Urteil des Bundesgerichts 6B_741/2017 vom 14.12.2017 E. 6.2.3., je m.w.Verw.). Hingegen kann ihr eine solche Unterlassung angesichts der grossen Zahl von Sozialhilfeersuchen nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn die erwähnten Unterlagen keine voraussichtlich keine Hinweise auf nicht deklarierte Einkommens- und Vermögenswerte enthalten (Urteil des Bundesgerichts 6B_338/2020 vom 03.02.2021 E. 3.2.3.). Leichtfertigkeit wird namentlich angenommen, wenn die Behörde den Gesuchsteller nicht zu den von ihm vorgetragenen widersprüchlichen Angaben befragt (Urteil des Bundesgerichts 6B_132/2013 vom 28.05.2013 E. 3.4.1. mit Hinweis auf Urteil des Bundesgerichts 6B_531/2012 vom 23.04.2013 E. 3.3.).

 

Im Urteil des Bundesgerichts 6B_338/2020 vom 3. Februar 2021 E. 3.3.1. hat das Bundesgericht festgehalten, die Vorinstanz bejahe eine Täuschung im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB zu Recht. Die Beschwerdeführer hätten gegenüber der Sozialhilfebehörde wahrheitswidrig angegeben, der Beschwerdeführer 1 sei arbeitslos. Die falschen Angaben hätten sie anlässlich von Gesprächen mit Sozialarbeitern sowie konkludent durch Unterzeichnung von Monatsbudgets, welche die Einkommen des Beschwerdeführers 1 nicht erwähnten, und einer Zielvereinbarung betreffend Arbeitsbemühungen sowie das spätere Einreichen von Arbeitsbemühungen gemacht. Die Beschwerdeführer hätten sowohl durch Unterzeichnung von Monatsbudgets als auch in Gesprächen etliche Male bestätigt, über keine weiteren finanziellen Mittel zu verfügen. Hingegen hätten sie der Sozialhilfebehörde die neue Stelle der Beschwerdeführerin 2 gemeldet, wobei sie die entsprechenden Lohnabrechnungen regelmässig eingereicht hätten. Nicht zu beanstanden sei, dass die Vorinstanz die Unterzeichnung der Monatsbudgets als aktive Täuschung qualifiziert habe. Durch das Unterzeichnen der Monatsbudgets hätten die Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht, nur das in den Budgets erwähnte Einkommen zu generieren. Die Beschwerdeführer hätten gegenüber der Sozialhilfebehörde zudem lediglich zwei Bankkonten deklariert, deren Kontoauszüge sie als Nachweis für ihre finanziellen Verhältnisse regelmässig eingereicht hätten, wobei sie jedoch in Tat und Wahrheit noch über ein weiteres Konto bei der Bank C. verfügt hätten. Darin liege gemäss den zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen ebenfalls eine aktive Täuschung durch konkludentes Handeln.

 

2.6. Im Zusammenhang mit der Frage der Opfermitverantwortung führte das Bundesgericht im Urteil 6B_428/2018 vom 31. Juli 2019 aus, im Zusammenhang mit Gutachten sei zu Recht von einer Schwierigkeit der Überprüfung der geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden hinzuweisen. Wie die Rechtsprechung verschiedentlich erkannte, seien Ärzte für ihre medizinische Diagnose auf die Schilderungen der betroffenen Person angewiesen und dürfen sich grundsätzlich darauf verlassen (a.a.O. E. 3.4. m.Verw.a. Urteil des Bundesgerichts 6B_1168/2016 vom 17.03.2017 E. 3.4.2., s. auch das Urteil des Bundesgerichts 6B_107/2016 vom 03.02.2017 E. 6.4., m.w.Verw.). Eine ausgebliebene erneute Begutachtung anlässlich einer weiteren Revision vermöge daran nichts zu ändern. Ohnehin stelle eine erneute Begutachtung keine grundlegende Vorsichtsmassnahme dar, welche ein allfällig betrügerisches Verhalten in den Hintergrund treten liesse (a.a.O., E. 3.4.).

 

3. Subsumtion

 

3.1. Vorbemerkung

 

Im Sinne einer Vorbemerkung stellt sich die Frage, welche Täuschungshandlungen beim Beschuldigten in verjährungsrechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen sind.

 

Im Entscheid des Bundesgerichts BGE 131 IV 83 hat das Bundesgericht unter Würdigung der vorgängigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung und unter Würdigung der geltenden rechtlichen Anforderungen detailliert und kritisch ausgeführt, weswegen das bislang geltende Konstrukt der verjährungsrechtlichen Einheit aufzugeben ist (a.a.O., E. 2.4.1. - 2.4.4.). In E. 2.4.5. führt das Bundesgericht schliesslich Folgendes aus:

 

«Die Aufgabe der Rechtsfigur der verjährungsrechtlichen Einheit führt jedoch nicht zu einem gänzlichen Verzicht, mehrere tatsächliche Handlungen in gewissen Fällen rechtlich als Einheit zu qualifizieren. Zunächst ist an Fälle der tatbestandlichen Handlungseinheit zu denken ([Verweise]). Eine solche liegt vor, wenn das tatbestandsmässige Verhalten schon begrifflich, faktisch doch typischerweise mehrere Einzelhandlungen voraussetzt (Verweise). So erfordert unter Umständen schon die Verwirklichung des Tatbestandes die Vornahme mehrerer Einzelhandlungen (so genannte mehraktige Delikte). Der Raub gemäss Art. 139 StGB setzt sich zusammen aus einer Handlung, die das Opfer widerstandsunfähig macht, und einer weiteren, die in der Wegnahme fremder beweglicher Sachen besteht. Ausserdem kann der Tatbestand ein typischerweise länger dauerndes Verhalten umschreiben, das aus mehreren Einzelhandlungen besteht, so etwa bei der Misswirtschaft (Art. 165 StGB) beim politischen und militärischen Nachrichtendienst (Art. 272 und 274 StGB). Die Verjährung beginnt diesfalls mit der Ausführung der letzten Tätigkeit zu laufen (Art. 71 lit. b StGB). Schliesslich bildet bei Dauerdelikten die Handlung, die den rechtswidrigen Zustand herbeiführt, eine Einheit mit den weiteren Akten, die zur Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes notwendig sind. Nach Art. 71 lit. c StGB beginnt die Verjährung in diesem Fall mit dem Tag, an dem der rechtswidrige Zustand aufhört.

 

Ausser den genannten Fallkategorien der tatbestandlichen Handlungseinheit sind mehrere Einzelhandlungen rechtlich ebenfalls als Einheit anzusehen, wenn sie auf einem einheitlichen Willensakt beruhen und wegen des engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs bei objektiver Betrachtung noch als ein einheitliches zusammengehörendes Geschehen erscheinen (so genannte natürliche Handlungseinheit; vgl. dazu (Verweise]). Dazu zählen namentlich Fälle der iterativen Tatbestandsverwirklichung (z.B. eine "Tracht Prügel") der sukzessiven Tatbegehung (z.B. Besprayen einer Mauer mit Graffiti in mehreren aufeinanderfolgenden Nächten). Eine natürliche Handlungseinheit fällt jedoch ausser Betracht, wenn zwischen den einzelnen Handlungen - selbst wenn diese aufeinander bezogen sind - ein längerer Zeitraum liegt. Das Bundesgericht hat deshalb eine Handlungseinheit in einem Fall verneint, in dem zwischen Vorbereitungshandlungen gemäss Art. 260bis StGB und einer Geiselnahme nach Art. 185 Ziff. 1 StGB mehr als ein Monat vergangen war. Die Vorbereitungshandlungen gingen nicht im schliesslich vollendeten Tatbestand auf (BGE 111 IV 144 E. 3). Mit Blick auf die Verjährung bewirkt die Bejahung einer natürlichen Handlungseinheit, dass der Lauf der Frist erst mit dem Tag beginnt, an dem die letzte Tätigkeit ausgeführt wird (Art. 71 lit. a und b StGB).

 

Abgesehen von diesen Konstellationen der Tateinheit ist der Lauf der Verjährung für jede Tathandlung gesondert zu beurteilen. Eine weitergehende Ausdehnung der Handlungseinheit spezifisch für den Lauf der Verjährung, wie sie die bisherige Figur der verjährungsrechtlichen Einheit darstellte, ist mit dem Legalitätsprinzip (Art. 1 StGB) nicht länger vereinbar. Diese strengere Sicht erscheint auch in ihren praktischen Auswirkungen vertretbar. (…)»

 

Diese Ausführungen des Bundesgerichts haben nach wie vor Gültigkeit. Vorliegend liegen zwischen den einzelnen Untersuchungshandlungen der Ärzte, der Gutachter und der IV-Stelle jeweils längere Zeiträume, teilweise bis hin zu mehreren Monaten. Von einer Einheit und damit von einem Dauerdelikt ist vor diesem Hintergrund nicht auszugehen.

 

Für die nachfolgende konkrete Subsumtion sind damit einzig die nach dem 15. März 2006 (Art. 146 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 97 Abs. 1 lit. b StGB) erfolgten Tathandlungen des Beschuldigten zu würdigen. Entgegen den Vorbringen der Verteidigung hat dies jedoch nicht zur Folge, als dass die vor diesem Zeitpunkt erstellten Berichte in keinster Weise zu würdigen wären: Insbesondere bei der Frage der Opfermitverantwortung wird näher auf diesen Punkt einzugehen sein (s. nachstehend Ziff. III. / Ziff. 3.2., insb. Absatz 7).

 

3.2. Konkrete Subsumtion

 

Die Verteidigung bringt vor, der Beschuldigte habe die ihn untersuchenden Ärzte nicht getäuscht, sondern immer nur seinen wahren Gesundheitszustand angegeben. Zudem habe er nie einen der ihn als krank bezeichnenden Arztberichte selber geschrieben und auch selber keine Angaben getätigt, weswegen ihm keine aktiven Handlungen angelastet werden könnten. Gemäss Beweisergebnis ist nun aber erstellt, dass der Beschuldigte seinen wahren Gesundheitszustand den betroffenen Stellen nie gemeldet hat. Vielmehr ist sogar nachgewiesen, dass er über seinen Gesundheitszustand sowohl gegenüber den ihn behandelnden Ärzten wie auch gegenüber der IV-Stelle mehrfach und nachweislich aktiv gelogen hat. Er hat sich entgegen der Ansicht der Verteidigung nicht lediglich aufs Nichtstun beschränkt. Der Beschuldigte hat sich ein System erarbeitet, welches ihn als zurückgezogenen, selber kaum bis nie sprechenden Menschen zeigte, wobei er insbesondere die Umstände wie auch sein näheres Umfeld (Mutter, Cousine, zwischenzeitlich die Ehefrau) für ihn sprechen und seinen angeblich desolaten Gesundheitszustand darstellen liess. Dieses Vorspiegeln von Krankheitssymptomen war gerade eben Teil des durch den Beschuldigten aufgebauten Lügenkonstrukts. Der Beschuldigte und seine Helferinnen beliessen es nicht bei einer kreativen Schilderung der Lebensumstände. Es wurden auch konkrete Fragen falsch beantwortet, so z.B. die Frage, ob der Beschuldigte Auto fahre wen er in seinem persönlichen Umfeld zur (in Tat und Wahrheit nicht notwendigen) Betreuung um sich habe.

 

Wie im Rahmen des Beweisergebnisses bereits ausgeführt, ist der rechtlichen Würdigung zugrunde zu legen, dass es dem Beschuldigten im Tatzeitraum möglich und zumutbar war, einer mindestens rentensenkenden wenn nicht gar rentenausschliessenden Erwerbstätigkeit nachzugehen, dies seit Beginn der eigentlichen Rentenzusprache.

 

Dieser Umstand wurde auch – zumindest betreffend den durch sie angenommenen, verkürzten Tatzeitraums – durch die Vorinstanz korrekt festgestellt (Urteil S-L Ziff. III. / Ziff. 3.1. lit. b, S. 85 ff.). Diese hat unter Einbezug sämtlicher vorliegend wesentlicher Umstände dargelegt, weswegen beim Beschuldigten sämtliche Voraussetzungen des gewerbsmässigen Betrugs zum Nachteil der IV-Stelle gemäss der geltenden rechtlichen Anforderungen gegeben sind, dargelegt (a.a.O., s. auch lit. e und f, S. 87). Darauf ist grundsätzlich abzustellen.

 

Die IV-Stelle wurde durch das durch den Beschuldigten aufgebaute Lügenkonstrukt getäuscht und es entstand bei ihr der irrtümliche Eindruck einer vollkommenen Arbeitsunfähigkeit des Beschuldigten sowie einer totalen Abhängigkeit desselben von Drittpersonen. Die behandelnden Ärzte bescheinigten dem Beschuldigten eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen. Man ging teilweise davon aus, dass sich der Gesundheitszustand sogar noch verschlechtere. Der Beschuldigte wiederholte seine Täuschungen in konstanter Regelmässigkeit und agierte so aktiv, um den Irrtum der Behörde aufrecht zu erhalten bzw. die Behörde in ihrem Verhalten zu bestärken. Zwischen Täuschung und Irrtum bzw. Irrtum und Vermögensdisposition bestand folglich ein Motivationszusammenhang. Der IV-Stelle entstand seit dem 15. März 2006 bis zum 30. September 2012 ein Schaden von CHF 116'385.50 (s. vorstehend Ziff. II. / lit. A Ziff. 5).

 

Der Beschuldigte handelte dabei mit direktem Vorsatz, d.h. wissentlich und willentlich. Er wusste um die fehlende Überprüfbarkeit seiner unwahren Angaben wie er auch wusste, dass ihm – wenn er gegenüber der IV-Stelle wahre Angaben machen würde – keine Leistungen zuständen. Ebenfalls handelte er in unrechtmässiger Bereicherungsabsicht.

 

Der IV-Stelle war es nicht möglich, die Unrichtigkeit der Angaben des Beschuldigten zu erkennen. Die angebliche Arbeitsunfähigkeit des Beschuldigten war durch entsprechende Arztberichte belegt. Dass diese Arztberichte wiederum allein auf den subjektiven Schilderungen des Beschuldigten und seines Umfeldes fussten und damit von Anfang an einen unwahren Inhalt aufwiesen, war für die Behörde nicht erkennbar. Eine Veranlassung, die medizinischen Berichte auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, war nicht gegeben. Dennoch tätigte die IV-Stelle gewisse Abklärungen: Ergänzend zu den bereits vorliegenden Arztberichten holte sie bei Dr. D.___ ein Gutachten ein, welcher – kurz zusammengefasst – beim Beschuldigten ein eigenartiges Verhalten feststellte. Dieser verhalte sich abweisend, entziehe sich dem Gespräch und antworte einsilbig, zum Teil auch unklar. Er halte es für möglich, dass der Beschuldigte sein Verhalten bewusst steuere. Sodann hielt er fest, die Arbeitsfähigkeit des Beschuldigten könne erst nach einer stationären Abklärung zuverlässig beurteilt werden. Daraufhin fragte die IV-Stelle bei den ambulanten Psychiatrischen Diensten nach, ob eine stationäre Therapie erfolgversprechend sei, was vom zuständigen Arzt verneint wurde, da es nicht möglich sei, mit dem Beschuldigten ein adäquates Gespräch zu führen. Gestützt auf die weiteren in den Akten liegenden Berichte bescheinigte der RAD-Arzt der IV das Gutachten von Dr. D.___ als nicht nachvollziehbar und plädierte dafür, dem Beschuldigten eine Rente zuzusprechen.

 

Diesbezüglich ist auch insbesondere auf das Argument der Verteidigung, wonach nie eine Rente gesprochen worden wäre, wenn bereits im Jahr 2007 auf das Gutachten von Dr. med. D.___ abgestellt worden wäre, näher einzugehen. Im Zeitpunkt, als bei der IV-Stelle das Gutachten von Dr. med. D.___ vom 20. Dezember 2007 (AS 1969 ff.) einging, lagen bereits zahlreiche andere medizinische Gutachten und Berichte vor, welche dem Beschuldigten psychische Probleme bestätigten. So bspw. der Bericht von Dr. P.___ aus dem Jahr 2003 (Ziff. II. / Ziff. 3.3.3. vorstehend, AS 2086 ff.), der Bericht von Dr. S.___ vom 20. Oktober 2005 (Ziff. II. / Ziff. 3.3.10. vorstehend, AS 1990 f.) und der Arztbericht von Dr. O.___ vom 11. August 2007 (Ziff. II. / Ziff. 3.3.12. vorstehend, AS 1984). Wenn auch jeweils nicht genau definiert werden konnte, unter welchen diagnostischen Problemen der Beschuldigte litt resp. unklar war, welche Diagnose für den Beschuldigten tatsächlich gestellt werden konnte, hatten diese Berichte doch allesamt gemein, dass sie dem Beschuldigten das Vorhandensein von Störungen von massivem krankheitswert sowie eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigten. Das Gutachten von Dr. med. D.___ vom 20. Dezember 2007, welches sich abschliessend zu den vom Beschuldigten geschilderten Problemen hätte äussern sollen, stand damit als einziges Gutachten neben mehreren Arztberichten, die den Beschuldigten als zweifellos krank schrieben. Dass sich die IV-Stelle vor diesem Hintergrund bei der Prüfung eines vorhandenen Rentenanspruchs auf die mehreren, zueinander passenden Arztberichte und nicht auf den einzigen Arztbericht, der sich ausserhalb dieses Feldes bewegte, abgestellt hat, kann nicht zu ihren Lasten ausgelegt werden. Dies gilt umso mehr, als psychische Beschwerden im Vordergrund standen, die nicht mit objektiven Untersuchungsmethoden verifiziert werden konnten, sondern in besonderem Masse von der Mitwirkung des Patienten abhingen. Es ist davon auszugehen, dass die spärlichen Angaben des Beschuldigten, die von seinen Verwandten ausführlich bestätigt wurden, von der Geschädigten mit den üblicherweise angewendeten Methoden nicht hätten überprüft werden können. Vom Gegenteil auszugehen würde bedeuten, der IV-Stelle eine rechtlich unzulässige ex-post-Betrachtung anzulasten. Selbst, wenn – was wie vorstehend ausgeführt– eine allfällige Opfermitverantwortung angenommen werden würde, würde diese aber ohnehin nie in einem solchen Ausmass bestehen, als dass es die arglistigen Machenschaften des Beschuldigten völlig in den Hintergrund treten liesse (s. diesbezüglich ausführlich BGE 142 IV 153, E. 2.2.1.).

 

Dass das von ihm erstellte Lügengebäude durch die Behörde nicht überprüfbar sein würde, wusste der Beschuldigte. Er handelte daher arglistig; von einer das Verschulden ausschliessenden Opfermitverantwortung kann nicht gesprochen werden. Aufgrund der Art und Weise – der Beschuldigte erwarb über Jahre hinweg seinen gesamten Lebensunterhalt mit seiner Vorgehensweise – und der Zeit und der Mittel, die der Beschuldigte für seine deliktische Tätigkeit aufwendete, ist von einem gewerbsmässigen Vorgehen auszugehen. Ergänzend ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte seine deliktischen Tätigkeiten nicht eingestellt hätte, wenn er durch die Rentenaufhebung bzw. das eingeleitete Strafverfahren nicht daran gehindert worden wäre.

 

Weshalb demgegenüber den Argumenten der Verteidigung, die Vorinstanz sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, nicht gefolgt werden kann, wurde bereits mehrfach dargelegt und ist nicht erneut darzulegen (s. auch erneut die erste Instanz in Urteil S-L Ziff. III. / Ziff. 3.1. lit. c, S. 86). Es ist vollumfänglich auf die erste Instanz zu verweisen.

 

4. Fazit

 

Der Beschuldigte erfüllte damit zum Nachteil der Invalidenversicherung den qualifizierten Straftatbestand des gewerbsmässigen Betrugs, begangen vom 15. März 2006 bis 28. August 2012, wodurch diese einen Schaden von CHF 116'385.50 erlitt.

 

 

B. Vorhalt des versuchten gewerbsmässigen Betrugs zum Nachteil der IV-Stelle

 

1. Vorbemerkung Versuch

 

Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Voraussetzungen und die Grundlagen der Rechtsprechung zum Versuch in ihrem Urteil ausführlich dargelegt (Urteil S-L Ziff. III. / Ziff. 2.4., S. 83). Darauf ist zu verweisen.

 

2. Subsumtion

 

2.1. Gemäss vorstehenden Ausführungen (Ziff. II. / Lit. B Ziff. 4) ist im Beweisergebnis erstellt, dass sich der Beschuldigte, handelnd durch seinen damaligen Rechtsbeistand Rechtsanwalt Jürg Walker, am 8. Juli 2023 bei der IV-Stelle zum erneuten Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung anmeldete. Ebenso erstellt ist, dass der Beschuldigte bei seiner Anmeldung resp. bei den der Anmeldung vorangehenden Untersuchungen den ihn untersuchenden Ärzten massive psychische Gesundheitsprobleme und körperliche Beschwerden vorspielte bzw. diese massiv übertrieben darstellte, einzig, um die ihn untersuchenden Personen und Entscheidungsträger der IV-Stelle über seinen wahren Gesundheitszustand zu täuschen.

 

Zur näheren Ausführung der Täuschungshandlungen und zur Begründung, weshalb das vom Beschuldigten gezeigte Verhalten als arglistig zu qualifizieren ist, ist auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil (Ziff. III. / Ziff. 3.2. lit. b – lit. d, S. 88 f.) zu verweisen. Die Vorinstanz kommt unter differenzierter Darstellung der einzelnen Täuschungshandlungen des Beschuldigten korrekterweise zum Schluss, dieser habe mit seinem Verhalten, insb. seiner Aggravation und seiner Simulation ein für die IV-Stelle nicht durchschaubares Lügenkonstrukt aufzubauen versucht, wobei es einzig deshalb beim Versuch geblieben sei, da die IV-Stelle der Täuschung gestützt auf die vorliegenden Akten nicht unterlegen sei.

 

Der Beschuldigte vermag nicht aufzuzeigen, inwiefern die Vorinstanz für den korrekt eruierten Sachverhalt eine unrichtige Rechtsanwendung vorgenommen hätte. Auf diese Ausführungen ist abzustellen.

 

2.2. Gemäss vorstehendem Beweisergebnis (a.a.O.) ist weiter erstellt, dass der Beschuldigte mit seiner Täuschung die Erlangung bzw. Weiterführung der Zusprache einer ganzen Invalidenrente beabsichtigte. Wäre es zu einer Rentenzusprache gekommen, hätte die IV-Stelle für den entsprechenden Zeitraum eine Rente von insgesamt CHF 73'863.00 zugesprochen (AS 848). Mit der Vorinstanz (Urteil S-L Ziff. III. / Ziff. 3.2. lit. e, S. 89) ist deshalb festzustellen, dass der Beschuldigte wissentlich und willentlich und damit vorsätzlich handelte.

 

2.3. Auch für die weiteren Voraussetzungen des versuchten Betrugs ist auf die Ausführungen der ersten Instanz zu verweisen (a.a.O. lit. f [Motivationszusammenhang / Stoffgleichheit] und lit. g, beide S. 89 [Gewerbsmässigkeit]).

 

3. Fazit

 

Der Beschuldigte erfüllte damit zum Nachteil der Invalidenversicherung den Straftatbestand des versuchten gewerbsmässigen Betrugs, begangen vom 8. Juli 2013 bis 6. Mai 2016.

 

 

C. Vorhalt des mehrfachen Betrugs zum Nachteil der E.___ AG (in Liquidation)

 

1. Anwendbarer Straftatbestand

 

1.1. Gemäss Beweisergebnis ist erstellt, dass der Beschuldigte in der Zeit vom 24. Juni 2015 bis am 10. September 2015 bei der E.___ AG insgesamt zehn verschiedene Kundenkonten erstellte und darüber 20 Bestellungen im Betrag von insgesamt CHF 6'319.70, tätigte, welche allesamt unbezahlt blieben. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Verjährung infolge Geringfügigkeit gewisser Bestellungen entstand der E.___ AG (in Liquidation) deshalb ein Schaden von CHF 5'740.05(s. vorstehend Ziff. II. / Lit. C.).

 

Es stellt sich nun die Frage, ob dieses Verhalten des Beschuldigten den Straftatbestand des Betrugs i.S.v. Art. 146 Abs. 1 StGB des betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage i.S.v. Art. 147 StGB erfüllt.

 

1.2. Die Vorinstanz führt hier unter Verweis auf die rechtlichen Grundlagen der genannten Straftatbestände von Art. 146 StGB und Art. 147 StGB bzw. unter Verweis auf deren Schutzzweck aus, dass sie überzeugt sei, dass im betreffenden Tatzeitraum, d.h. im Jahr 2015, der Bestellprozess bei der E.___ AG (in Liquidation) noch nicht vollständig computerisiert gewesen sei und auch in irgendeiner Form ein Mensch bei der Bestellannahme- und –freigabe involviert gewesen sei. Es seien die Voraussetzungen des Straftatbestandes des Betrugs i.S. Art. 146 Abs. 1 StGB zu prüfen (Urteil S-L Ziff. III. / Ziff. 3.3. lit. a, S. 90). Wie es zu dieser Auffassung kommt, wird durch die erste Instanz allerdings nicht näher begründet.

 

Der Beschuldigte moniert diese Schlussfolgerung und stellt sich auf den Standpunkt, es habe, da durch die Staatsanwaltschaft im Beweisergebnis nicht habe erstellt werden können, ob ein Mensch eine Maschine getäuscht bzw. beeinflusst worden sei, zwingend ein Freispruch zu erfolgen.

 

1.3. Vorliegend ist festzustellen, dass im Bereich von Online-Shopping die Automatisierung unbestrittenermassen einen wichtigen Faktor zur Erlangung von schnelleren und besseren Ergebnissen, was routinemässige Aufgaben anbelangt, darstellt und sie auch über kurz lang als unabdingbar scheint, um einen rentablen Geschäftsgang generieren zu können. Entsprechend ist zwecks Minimierung der finanziellen Auslagen im Bereich des Online-Shoppings von einem immer grösseren Automatisierungsgrad auszugehen. Ob und wenn ja wann in casu bei der E.___ AG (in Liquidation) die Umstellung auf eine vollumfängliche Automatisierung stattgefunden hat, kann den vorliegenden Akten aber nicht entnommen werden. Gemäss vorstehendem Beweisergebnis ist auch festgestellt, dass ein entsprechender Nachweis eben gerade nicht erbracht werden konnte.

 

Dass dieser Nachweis vorliegend nicht erbracht werden konnte, ändert nichts an der rechtlichen Würdigung des Beweisergebnisses. Sowohl im Vorverfahren als auch im Rahmen der Berufungsverhandlung gibt der Beschuldigte an, nichts zu wissen. Die E-Mail-Adresse habe er – wenn überhaupt – zusammen mit dem Cousin erstellt resp. jener allein habe die Adressen für ihn (den Beschuldigten) konfiguriert. Er wisse gar nicht, wie das gehe. Aus diesem Vorbringen vermag der Beschuldigte nichts für sich abzuleiten. Er mag sich mutmasslich keine konkreten Gedanken dazu gemacht haben, ob er bei Vornahme der jeweiligen Bestellung mutmasslich einen Menschen allenfalls eine Maschine getäuscht hat. Mangels Angaben zur Sache kann dieser Punkt nicht verifiziert werden. Unabhängig davon bleibt aber festzustellen, dass der Beschuldigte alles nach seiner Vorstellung Mögliche unternommen hat, trotz fehlender Zahlungsbereitschaft und trotz fehlender Zahlungsmöglichkeit an die von ihm bestellten Waren zu gelangen. Nur so ergibt das Erstellen von mehreren Kundenkonten mit jeweils unterschiedlichen Email-Adressen überhaupt einen Sinn. Diesbezüglich ist vollumfänglich den Ausführungen der ersten Instanz zu folgen. Beim Beschuldigten ist auf subjektiver Seite somit mindestens Eventualvorsatz zu konstatieren, mit seinem Handeln einen Menschen arglistig zu täuschen bzw. aus dem daraus folgenden Irrtum auch zu einer schädigenden Vermögensdisposition zu bewegen. Es ist nachfolgend vom Tatbestand des mehrfachen versuchten Betrugs i.S.v. Art. 146 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB auszugehen.

 

2. Weitere Tatbestandsvoraussetzungen

 

Zur Begründung, weshalb vorliegend die weiteren Voraussetzungen des (im Unterschied zu ersten Instanz hier nur versuchten) mehrfachen versuchten Betrugs gegeben sind, kann auf die Ausführungen der ersten Instanz in ihrem Urteil vom 15. März 2021 verwiesen werden (Urteil S-L Ziff. III. / Ziff. 3.3. lit. b, S. 90 [Täuschungshandlung], lit. c, S. 90 f. [Arglist], lit. d, S. 91 [Irrtum], lit. e, S. 91 [Schaden] und lit. f, S. 91 [Stoffgleichheit]). Weshalb beim Beschuldigten von Eventualvorsatz auszugehen ist, wurde vorstehend bereits dargelegt. Infolge vollumfänglichen Abstützens auf die Ausführungen der ersten Instanz erübrigen sich vorliegend weitere Erwägungen.

 

3. Fazit

 

Der Beschuldigte erfüllte damit zum Nachteil der E.___ AG (in Liquidation) den Straftatbestand des versuchten Betrugs, mehrfach begangen vom 24. Juni 2015 bis am 10. September 2015, verursachend einen Schaden von insgesamt CHF 5'740.05.

 

IV. STRAFZUMESSUNG

 

1. Allgemeine Grundsätze

 

1.1. Gemäss Art. 47 Abs. 1 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahingehend präzisiert, dass dieses nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden.

 

1.2. Nach Art. 50 StGB hat der Richter die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten. Diese Bestimmung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum alten Recht, wonach der Richter die Überlegungen, die er bei der Bemessung der Strafe vorgenommen hat, in den Grundzügen wiedergeben muss, so dass die Strafzumessung nachvollziehbar ist. Besonders hohe Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung werden unter anderem gestellt, wenn die ausgesprochene Strafe ungewöhnlich hoch auffallend milde ist (BGE 134 IV 17 E. 2.1. S. 20, mit Hinweisen).

 

1.3. Bei der Wahl der Sanktionsart ist als wichtigstes Kriterium die Zweckmässigkeit einer bestimmten Sanktion, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein soziales Umfeld sowie ihre präventive Effizienz zu berücksichtigen (BGE 134 IV 974 E. 4.2., mit Hinweisen). Nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip soll bei alternativ zur Verfügung stehenden und hinsichtlich des Schuldausgleichs äquivalenten Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift (BGE 138 IV 120 E. 5.2, Urteil 6B_125/2018 vom 14.06.2018 E. 1.3.2., je mit Hinweis). Die Geldstrafe stellt die Hauptsanktion dar (BGE 134 IV 97 E. 4.2.2.). Sie wiegt als Vermögenssanktion prinzipiell weniger schwer als ein Eingriff in die persönliche Freiheit (BGE 138 IV 120 E. 5.2.; BGE 134 IV 97 E. 4.2.2., BGE 134 IV 82 E. 7.2.2.). Am Vorrang der Geldstrafe hat der Gesetzgeber im Rahmen der erneuten Revision des Sanktionenrechts festgehalten (BGE 144 IV 217 E. 3.6., mit Hinweisen).

 

1.4. Hat der Täter durch eine mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen. Dabei ist es an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 StGB). Es ist aber methodisch nicht korrekt, den ordentlichen Strafrahmen aufgrund von mehreren Taten in Anwendung von Art. 49 Abs. 1 StGB automatisch zu erweitern (Urteil des Bundesgerichts 6B_853/2014 vom 09.02.2015 E. 4.2.). Die tat- und täterangemessene Strafe ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens der schwersten anzuwendenden Strafbestimmung festzusetzen. Dieser wird durch Strafschärfungs- Strafmilderungsgründe nicht automatisch erweitert. Vielmehr ist der ordentliche Strafrahmen nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint (BGE 136 IV 55 E. 5.8.). Liegen solche Umstände nicht vor, ist der erhöhte Rahmen auch nicht als theoretische Möglichkeit bei der Strafzumessung zu erwähnen.

 

Bei der Bildung der Gesamtstrafe gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB ist nach der Rechtsprechung vorab der Strafrahmen für die schwerste Straftat zu bestimmen und alsdann die Einsatzstrafe für die schwerste Tat innerhalb dieses Strafrahmens festzusetzen. Schliesslich ist die Einsatzstrafe unter Einbezug der anderen Straftaten in Anwendung des Asperationsprinzips angemessen zu erhöhen. Zunächst hat das Gericht für jede der Straftaten die Art der Strafe zu bestimmen. Art. 49 Abs. 1 StGB ist nur anwendbar, wenn diese Strafen gleichartig sind. Geldstrafe und Freiheitsstrafe sind keine gleichartigen Strafen. Das Gericht ist an das Höchstmass jeder Strafart gebunden (bei Geldstrafen bis Ende 2017: 360 TS, ab 01.01.2018 180 TS).

 

1.5. Gemäss Art. 42 Abs. 1 StGB schiebt das Gericht den Vollzug einer Geldstrafe einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten. Die Anforderungen an die Prognose der Legalbewährung für den Strafaufschub liegen nach neuem Recht etwas tiefer. Während nach früherem Recht eine günstige Prognose erforderlich war, genügt nunmehr das Fehlen einer ungünstigen Prognose. Der Strafaufschub ist nach neuem Recht die Regel, von der grundsätzlich nur bei ungünstiger Prognose abgewichen werden darf (Urteil des Bundesgerichts 6B_214/2007 vom 13.11.2007 E. 5.3.2.). Relevante Faktoren für die Einschätzung des Rückfallrisikos sind etwa die strafrechtliche Vorbelastung, die Sozialisationsbiographie und das Arbeitsverhalten, das Bestehen sozialer Bindungen Hinweise auf Suchtgefährdungen (BGE 134 I 1 E. 4.2.1. S. 5).

 

2. Konkrete Strafzumessung

 

2.1. Anwendbares Recht

 

Hat ein Täter vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes eine Straftat begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, gelten die Strafbestimmungen des bisherigen Rechts, sofern die Bestimmungen des neuen Rechts für ihn nicht milder sind (Grundsatz der lex mitior, Art. 2 StGB). Da der Beschuldigte im vorliegenden Fall den gewerbsmässigen Betrug in der Zeit vom 15. März 2006 bis zum 28. August 2012, den versuchten gewerbsmässigen Betrug in der Zeit vom 8. Juli 2013 bis zum 6. Mai 2016 und den mehrfach versuchten Betrug vom 24. Juni 2015 bis zum 10. September 2015 und damit alle unter der Geltung des bis zum 31. Dezember 2017 in Kraft gestandenen Strafgesetzbuches verwirklicht hat, stellt sich diesbezüglich die Frage, welches Recht zur Anwendung gelangt.

 

Ob das neue im Vergleich zum alten Gesetz milder ist, beurteilt sich nicht nach einer abstrakten Betrachtungsweise, sondern in Bezug auf den konkreten Fall (Grundsatz der konkreten Vergleichsmethode). Das Gericht hat die Tat sowohl nach altem als auch nach neuem Recht (hypothetisch) zu prüfen und durch Vergleich der Ergebnisse festzustellen, nach welchem der beiden Rechte der Täter besser gestellt ist (BGE 142 IV 401 E. 3.3.; BGE 134 IV 82 E. 6.2.1.; Urteil des Bundesgerichts 6B_1308/2020 vom 05.05.2021 E. 4.2.2.; je mit Hinweisen). Die günstigere Rechtslage bestimmt sich dabei nicht nach dem subjektiven Empfinden des Täters, sondern nach objektiven Gesichtspunkten (Grundsatz der Objektivität, BGE 134 IV 82 E. 6.2.2., m.w.Verw.). 

 

Steht einmal fest, dass die Strafbarkeit des fraglichen Verhaltens unter neuem Recht fortbesteht, sind die gesetzlichen Strafrahmen bzw. Sanktionen zu vergleichen (BGE 134 IV 82 E. 6.2.1.; Urteil des Bundesgerichts 6B_310/2014 vom 23.11.2015, E. 4.1.1.; je mit Hinweis). In der Rangordnung, die sich aus der Abstufung der Strafarten und der Strafvollzugsmodalitäten ergibt, liegt eine Bewertung des Gesetzgebers, die dem Vergleich zwischen altem und neuem Recht als verbindlicher Massstab zu Grunde zu legen ist. Auszugehen ist daher von einer eigentlichen Kaskadenanknüpfung: (1.) Die Sanktionen (Hauptstrafen) sind nach der Qualität der Strafart zu vergleichen. (2.) Bei gleicher Strafart entscheidet sich der Vergleich aufgrund der Strafvollzugsmodalität. (3.) Bei gleicher Strafart und Strafvollzugsmodalität kommt es auf das Strafmass an. (4.) Bei Gleichheit der Hauptstrafe sind allfällige Nebenstrafen zu berücksichtigen. Erst wenn sich die Entscheidung auf einer Stufe nicht herbeiführen lässt, weil sich im konkreten Fall keine Veränderung der Rechtsfolgen ergibt, ist der Vergleich auf der nächsten Stufe fortzusetzen (BGE 134 IV 82 E. 7.1.; Urteil des Bundesgerichts 6B_677/2019 vom 12.12.2019 E. 2.1.2.; je mit Hinweisen, s. zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 6B_536/2020 vom 23.06.2021, E. 4.). 

 

Im Rahmen der Revision von 2017 ist der Straftatbestand des Betrugs in sämtlichen Teilbereichen unverändert geblieben. Vorliegend kann demnach auf die Vornahme zweier Strafzumessungen unter entsprechender Kaskadenordnung verzichtet werden, da sich die beiden Strafzumessungen komplett gleich gestalten würden. Das neue Recht gestaltet sich somit nicht milder als das alte Recht. Formell bleibt es demnach bei der Anwendung des alten Rechts.

 

2.2. Einsatzstrafe für den gewerbsmässigen Betrug

 

Vorliegend ist der gewerbsmässige Betrug zum Nachteil der IV-Stelle i.S.v. Art. 146 Abs. 2 StGB das schwerste Delikt. Der gewerbsmässige Betrug gemäss altem Recht sah als Sanktion eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren Geldstrafe nicht unter 90 Tagessätzen vor. In einem ersten Schritt ist demnach mit Blick auf die massgebenden Tatkomponenten (s. dafür ausführlich die erste Instanz im Urteil S-L Ziff. IV. / Ziff. 1.1., S. 95 ff.) hierfür eine Einsatzstrafe zu bestimmen. Die Einsatzstrafe ist bei einem Strafrahmen, der sich von minimal 90 Strafeinheiten (bzw. von drei Monaten) bis maximal 10 Jahren (bzw. 120 Monaten) erstreckt, festzulegen.

 

Vorab wird in Bezug auf die Art und Weise der Tatausführung auf vorstehende Darstellung sowie die Ausführungen der ersten Instanz verwiesen, welche das Verhalten des Beschuldigten im Detail erörtert. In Bezug auf die objektive Tatschwere ist festzustellen, dass die Täuschungen der Geschädigten in konstanter Regelmässigkeit über einen sehr ausgedehnten Zeitraum, (unter Berücksichtigung der Verjährung) über mehr als sechs Jahre von Mitte März 2006 bis Ende August 2012 erfolgten. Dabei wurde insgesamt ein beachtlicher Vermögenswert erhältlich gemacht. Die unrechtmässig geleisteten Zahlungen der IV-Stelle betrugen in der Zeit vom 15. März 2006 bis zum 28. August 2012 (unter Berücksichtigung der Verjährung) insgesamt CHF 116'385.50. Der Beschuldigte verwendete die Gelder zur Finanzierung des eigenen Lebensbedarfs. Das Verhalten des Beschuldigten gereichte dabei direkt zum Nachteil des Sozialwesens und indirekt zum Nachteil all jener, welche tatsächlich auf das finanzielle Unterstützungssystem angewiesen sind, sind doch Missbrauchsfälle in der Sozialversicherung dazu geeignet, auch alle ehrlichen Bezüger einem Generalverdacht auszusetzen. Dies zeugt von einer grossen Schamlosigkeit des Beschuldigten. Relativierend ist einzig festzuhalten, dass das Ausmass des Verschuldens im Vergleich mit sämtlichen potentiellen Betrugshandlungen, welche unter dem Straftatbestand des gewerbsmässigen Betrugs in Frage kommen können, noch vergleichsweise am unteren Rahmen zu liegen kommt. Der Deliktsbetrag ist im Quervergleich mit anderen gewerbsmässigen Betrügen nicht besonders hoch. Ebenso hat der Beschuldigte nicht bspw. noch Dokumente erstellt, um seine Handlungen zu untermauern; er hat wortwörtlich nicht viel gemacht. Allerdings stechen Dauer der deliktischen Tätigkeit und Dreistigkeit und Schamlosigkeit des Vorgehens (Verwerflichkeit) hervor. Der Beschuldigte zog aus den Auszahlungen der Geschädigten einen ganz erheblichen persönlichen finanziellen Profit und führte einen gemütlichen Lebensstil, ohne etwas dafür tun zu müssen. Die Täuschungen erfolgten einzig zum Zweck, sich selbst die ausbezahlten Leistungen zu sichern – bzw. im Umkehrschluss – sich selbst eine Erwerbstätigkeit zu ersparen. Das objektive Tatverschulden ist somit im oberen Bereich des unteren Drittels (29 – 42 Monate) anzusiedeln.

 

In Bezug auf die subjektive Tatschwere ist festzuhalten, dass der Beschuldigte mit direktem Vorsatz und aus rein finanziellen und egoistischen Motiven handelte, was tatbestandsimmanent ist und sich nicht zu seinen Lasten auswirken darf. Festzustellen ist, dass dem Beschuldigten ohne weiteres möglich gewesen wäre, sich rechtskonform zu verhalten, insbesondere, weil er keine wirtschaftliche Not litt. Dem Beschuldigten wäre es jederzeit möglich gewesen, seinen wahren Gesundheitszustand offenzulegen und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Tat wäre somit vermeidbar gewesen.

 

Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren ist das von der Vorinstanz festgestellte sehr leichte bis leichte Verschulden aus mehreren Gründen als zu tief zu qualifizieren (kürzerer Deliktszeitraum, geringerer Schaden etc.). Es ist gerade noch knapp von einem leichten Verschulden im oberen Bereich des ersten Drittels des Strafrahmens auszugehen. Angemessen erscheint eine Einsatzstrafe von 30 Monaten.

 

Mit Festlegung der Einsatzstrafe auf diese Höhe entfällt auch die Möglichkeit der Ausfällung einer Geldstrafe. Es ist eine Freiheitsstrafe auszusprechen.

 

 

2.3. Strafzumessung für die weiteren Delikte

 

2.3.1. Versuchter gewerbsmässiger Betrug zum Nachteil der IV-Stelle

 

Die Vorinstanz führte aus, der Beschuldigte habe während knapp zwei Jahren versucht, die IV-Stelle erneut zu schädigen. Es sei auch hier von einer leichten objektiven Tatschwere auszugehen, weshalb die der objektiven Tatschwere entsprechende hypothetische Einsatzstrafe im unteren Drittel des ordentlichen Strafrahmens anzusiedeln sei (Urteil S-L Ziff. IV. / Ziff. 2.4., S. 100 f.).

 

Auf diese Ausführungen kann vorliegend nicht abgestellt werden. Vorliegend ist von einem Tatzeitraum vom 8. Juli 2013 bis zum 6. Mai 2016 auszugehen. Wäre es zu einer Rentenzusprache gekommen, hätte die IV-Stelle für den entsprechenden Zeitraum eine Rente von insgesamt CHF 73'863.00 ausbezahlt. Diese Summe liegt zwar tatsächlich um rund 40 % tiefer als die Summe beim gewerbsmässigen Betrug, allerdings umfasst der Deliktszeitraum auch nur die Hälfte der Zeit. Das Verschulden kommt somit in demselben Bereich zu liegen wie vorstehend der gewerbsmässige Betrug. Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass hier das Vorgehen des Beschuldigten sogar als noch dreister qualifiziert werden muss. Am 28. August 2012 hob die IV-Stelle die zugesprochene ganze Rente auf. Nur kurze Zeit später simulierte der Beschuldigte neue Beschwerden, um erneut eine IV-Rente erhältlich machen zu können. Sein einziges Ziel war nach wie vor das Führen eines gemütlichen Lebensstandards ohne die Last einer Erwerbstätigkeit.

 

Führt der Beschuldigte aus, er habe keinen Einfluss auf die Länge des IV-Verfahrens gehabt, so kann darauf nicht abgestellt werden. Der Beschuldigte hatte während des gesamten Verfahrens die Möglichkeit, der IV-Stelle seinen wahren Gesundheitszustand zu melden. Dies hat er pflichtwidrig unterlassen. Dass zwischenzeitlich das Gutachten von Dr. med. I.___ ergangen ist, wie dies die Verteidigung vorbringt, vermag an dieser Auffassung nichts zu ändern, wusste der Beschuldigte doch darum, dass dieses auf unwahren Angaben beruhte.

 

In Berücksichtigung der objektiven und subjektiven Tatschwere kommt somit die hypothetische Einsatzstrafe auf 18 Monate resp. unter Berücksichtigung des Versuchs auf 12 Monate zu liegen.

 

Damit fällt die Ausfällung einer Geldstrafe auch für dieses Delikt ausser Betracht. In Anwendung des Asperationsprinzips gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB ist die festgesetzte Einsatzstrafe um sechs Monate auf insgesamt 36 Monate zu erhöhen.

 

2.3.2. Mehrfach versuchter Betrug zum Nachteil der E.___ AG (in Liquidation)

 

Die Vorinstanz schliesst für den von ihr angenommenen Betrug unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Tatelemente auf eine hypothetische Einsatzstrafe von vier Monaten bzw. auf eine Asperation derselben um zwei Monate (Urteil S-L Ziff. IV. / Ziff. 2.5., S. 101 f.).

 

Dieser Auffassung kann unter den gegebenen Umständen nicht gefolgt werden. Es gilt, das Verschulden des Beschuldigten sowie den Gesichtspunkt, dass es sich vorliegend um mehrfach versuchten Betrug und nicht mehrfach vollendeten Betrug handelt, zu berücksichtigen. Ebenso gilt es, zu prüfen, ob unter den gegebenen Umständen gemäss dem Grundsatz des Vorrangs der Geldstrafe zur Freiheitsstrafe (s. vorstehend Ziff. IV. / Ziff. 1.3.) eine Geldstrafe auszufällen ist.

 

Zur objektiven Tatschwere kann gesagt werden, dass der Beschuldigte über einen Zeitraum von 2 ½ Monaten unter mindestens 10 Malen insgesamt 20 Bestellungen im Wert von CHF 6'319.70 tätigte, wobei der Geschädigten (unter Berücksichtigung der Verjährung gewisser Bestellungen) ein Schaden von CHF 5'740.05 entstanden ist. Sowohl hinsichtlich der Deliktsdauer als auch des Schadens, der daraus entstanden ist, kommt das Verschulden im untersten Bereich zu liegen.

 

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, war beim Beschuldigten davon auszugehen, er habe hinsichtlich der von ihm getätigten Bestellungen von Anfang an keinen Zahlungswillen resp. v.a. keine Zahlungsmöglichkeit gehabt. Bringt die amtliche Verteidigerin nun vor, dies sei für diejenigen Bestellungen, deren Zahlungsfrist bei Beurteilung noch nicht abgelaufen sei, nicht massgebend, so geht dieses Argument an der Sache vorbei. Ebenso irrelevant ist, dass es sich bei den gekauften Sachen v.a. um Kleider für die Familie und insb. um Kleider für die Kinder gehandelt habe, nicht um Luxuswaren. Welche Güter der Beschuldigte bestellte, die er nicht zahlen wollte, ist nicht derart massgeblich, als dass es im Rahmen der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen wäre.

 

Dass vorliegend für den mehrfach versuchten Betrug eine Freiheitsstrafe auszufällen wäre, ist nicht ersichtlich. Der Beschuldigte ist nicht vorbestraft; seit mehreren Jahren ist er nicht mehr deliktisch in Erscheinung getreten. Insgesamt rechtfertigt es sich deshalb, eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen festzulegen.

 

2.4. Täterkomponenten

 

In Bezug auf das Vorleben kann zunächst auf die ausführliche Darstellung im erstinstanzlichen Urteil verwiesen werden (Ziff. IV. / Ziff. 2.6.1., S. 102 f.). Aus den biographischen Daten ergeben sich insbesondere aufgrund der Probleme in der Schule zwar einige Anhaltspunkte für eine schwierige Kindheit Jugend. Diese wiegen jedoch nicht derart schwer, als dass sie grundsätzlich eine Strafminderung zu rechtfertigen vermöchten. Ohne die schwierigen Umstände in der Schule bagatellisieren zu wollen, ist eine Beurteilung derselben zu Gunsten Ungunsten der Beschuldigten vorliegend verwehrt. Ebenso, was die Umstände der Einreise des Beschuldigten in die Schweiz bzw. die Umstände seiner Herkunft, die seine Mutter zur Einreise in die Schweiz bewogen haben, anbelangt. Es ist der Auffassung der Vorinstanz zu folgen, wonach sich den Akten keine Hinweise entnehmen lassen, dass es dem Beschuldigten aus persönlichen Gründen verunmöglicht sonderlich erschwert gewesen wäre, sich rechtskonform zu verhalten. Eine Strafminderung kann nicht vorgenommen werden. Es ist demnach festzustellen, dass das Vorleben neutral zu werten ist.

 

Aus dem aktuellen Strafregister geht hervor, dass der Beschuldigte keine aktenkundigen Vorstrafen aufzuweisen hat. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat es jedoch als Normalfall zu gelten, nicht vorbestraft zu sein (BGE 136 IV 1 E. 2.6.4.). Die Vorstrafenlosigkeit ist daher neutral zu werten.

 

Betreffend das Nachtatverhalten ist zunächst auszuführen, dass der Beschuldigte sämtliche Vorhalte konstant bestreitet. Ebenso wenig zeigt er Einsicht gar Reue. Hinsichtlich des gewerbsmässigen Betrugs zum Nachteil der IV-Stelle sucht der Beschuldigte die Schuld nicht bei sich, sei es doch nicht er selber gewesen, der die Anmeldung zum Bezug einer IV-Rente vorgenommen habe. Aus demselben Grund sieht er nicht ein, weswegen er der IV-Stelle etwas an die zu Unrecht bezogenen Leistungen zurückbezahlen soll. Die ihm gemachten Vorhalte zu bestreiten ist jedoch sein gutes Recht als Beschuldigter und darf ihm nicht zum Nachteil gereichen. Aufgrund des fehlenden Wohlverhaltens während des noch laufenden Verfahrens fällt hingegen eine Anwendung von Art. 48 lit. e StGB – Milderung der Strafe durch das Gericht bei deutlich vermindertem Strafbedürfnis infolge der seit der Tat verstrichenen Zeit – ausser Betracht.

 

In Bezug auf die aktuellen persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten ist Folgendes auszuführen:

 

-        Mit Urteil des Richteramtes Solothurn-Lebern vom 26. März 2020 wurde die Ehe zwischen dem Beschuldigten und seiner Ehefrau H.___ auf Antrag beider Parteien geschieden (OGer 184 ff.). Die gemeinsamen Kinder wurden unter gemeinsamer elterlicher Sorge belassen und unter die alleinige Obhut der Mutter gestellt. Den Kontakt mit den Kindern regeln die Parteien in freier Vereinbarung.

 

-        Gemäss Auszug aus dem Betreibungsregister vom 7. September 2023 (OGer 191 ff.) verfügt der Beschuldigte über insgesamt 55 Verlustscheine im Gesamtbetrag von CHF 133'684.30. Bei den im Auszug vermerkten Forderungen handelt es sich nicht nur um Forderungen, die aus den Rückforderungen der IV-Stelle gründen, sondern es handelt sich auch um Forderungen bspw. der Krankenkasse, von Versicherungen und sonstigen Dritten. Der Steuerveranlagung des Beschuldigten für das Jahr 2021 ist zu entnehmen, dass dieser über kein Einkommen (resp. über ein solches von lediglich CHF 747.30) verfügte. Im Jahr 2022 dagegen, konkret ab Oktober 2022, konnte der Beschuldigte, angestellt bei der EV.___, mehrere Stunden arbeiten und dabei einen durchschnittlichen Bruttolohn von monatlich CHF 3'911.70 (CHF 3'423.70 für 152.50 Stunden im Oktober 2022, CHF 3'945.60 für 175.75 Stunden im November 2022 und CHF 4'365.85 für 150 Stunden im Dezember 2022) erzielen. Im Januar 2023 erzielte der Beschuldigte bei EV.___ noch einen Lohn von CHF 2'087.50, im Februar 2023 wurde ihm lediglich noch ein Ferienguthaben von CHF 173.90 ausbezahlt. Ab Januar 2023 scheint der Beschuldigte neu im Stundenlohn bei der [Firma 1] AG in [Ort 14] angestellt zu sein, dies als Sicherheitsangestellter (OGer 200 ff.). Dies wird vom Beschuldigten selbst anlässlich der Berufungsverhandlung bestätigt, wonach er ungefähr seit einem Jahr über eine Arbeitsstelle verfüge (OGer 260 ff.).

 

-        Gemäss Angaben des Amts für Wirtschaft und Arbeit, Öffentliche Arbeitslosenkasse, vom 30. August 2023 bezog der Beschuldigte im Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis 16. März 2022 Arbeitslosenentschädigung in der Höhe von netto CHF 7'767.00. Am dem 17. März 2022 habe der Beschuldigte die Voraussetzungen zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung nicht mehr erfüllt. Im Jahr 2023 sei es zu keiner Zahlung von Arbeitslosentschädigung gekommen, da sich der Beschuldigte per Antragstellung vom 30. Januar 2023 abgemeldet habe (OGer 171). Ebenso bezog der Beschuldigten in den Jahren 2022 und 2023 keine Sozialhilfeleistungen mehr (OGer 176). Auch dies deckt sich mit den Angaben des Beschuldigten, wonach er mittlerweile einer geregelten Arbeitstätigkeit nachgeht.

 

Entgegen dem Antrag des Beschuldigten ist ihm nicht speziell anzurechnen, dass er sich seit Aufhebung der ihm zugesprochenen Gelder um eine Arbeitsstelle bemüht hat und dieser auch nachgegangen ist. Bringt die Verteidigung vor, der Beschuldigte gehe mittlerweile einer geregelten Erwerbstätigkeit nach und sei seit Längerem nicht mehr deliktisch in Erscheinung getreten, dann ist dies nichts anderes als das, was von ihm erwartet werden darf. Das Verhalten des Beschuldigten zeigt denn auch exemplarisch, dass ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durchaus zuzumuten ist – und unter Berücksichtigung seiner Angaben, es gehe ihm heute noch gleich wie damals – auch bereits damals durchaus zuzumuten war. Eine Strafreduktion vor diesem Hintergrund ist jedenfalls nicht gerechtfertigt. Das Nachtatverhalten ist insgesamt als neutral zu werten.

 

Hinsichtlich der Strafempfindlichkeit ist Folgendes auszuführen: Grundsätzlich liegt es im Zweck des Freiheitsentzuges, eine Härte zu bewirken. Eine erhöhte Strafempfindlichkeit lässt sich nur bei aussergewöhnlichen Umständen bejahen (Urteil des Bundesgerichts 6B_18/2022 vom 23.06.2022 E. 2.6.1. m.w.Verw.). Diese ist vorliegend nicht der Fall. Der Beschuldigte macht ausser seiner mittlerweile regelmässigen Erwerbstätigkeit keine Gründe geltend, welche ihn besonders strafempfindlich erscheinen liessen. Eine allfällig unbedingt zu verbüssende Freiheitsstrafe würde sich damit nicht in besonderem Masse auf den Beschuldigten auswirken. Eine Reduktion der Strafe aus Gründen der Strafempfindlichkeit ist ihm nicht zu gewähren.

 

Es ist somit festzuhalten, dass die festgelegten von 36 Monaten Freiheitsstrafe und 90 Tagessätzen Geldstrafe unter dem Titel der Täterkomponenten weder herauf- noch herabzusetzen sind. Es bleibt bei den genannten Sanktionen.

 

2.5. Verletzung des Beschleunigungsgebots

 

Mit der Vorinstanz ist eine Verletzung des Beschleunigungsgebots festzustellen (Urteil S-L Ziff. IV. / Ziff. 2.7., S. 104). Die Anzeige der IV-Stelle wurde am 30. November 2012 erhoben. Bis zur Erhebung der (dritten) Anklage gegen den Beschuldigten ging es bis zum 10. Juli 2020, damit rund 7 ½ Jahre, was selbst unter Berücksichtigung der mehrfach zurückgewiesenen Anklageschriften als deutlich zu lang zu qualifizieren ist. Bis schliesslich die erstinstanzliche Hauptverhandlung durchgeführt werden konnte, vergingen erneut mehrere Monate. Die Corona-Pandemie trug nur teilweise dazu bei, die Verzögerung zu erklären.

 

Auch das Verfahren vor Obergericht ruhte unangemessen lang. Seit Einreichung der Berufungserklärung bis zur Durchführung der Berufungsverhandlung vergingen mehr als zwei Jahre, teilweise ohne dass Verfahrenshandlungen vorgenommen worden wären. Diese Unterbrüche sind als deutlich zu lang zu qualifizieren.

 

Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände rechtfertigt sich damit eine Reduktion der Freiheitsstrafe um rund einen Drittel, d.h. um insgesamt 12 Monate auf 24 Monate. Die Geldstrafe ist von 90 Tagessätzen auf 70 Tagessätze zu reduzieren. Unter Berücksichtigung des aktuellen Einkommens des Beschuldigten, seiner persönlichen Umstände und seiner Schulden (s. diesbezüglich vorstehende Ausführungen) ist ein Tagessatz auf CHF 30.00 festzusetzen.

 

Die Verletzung des Beschleunigungsgebots ist im Urteilsdispositiv ausdrücklich festzuhalten.

 

2.6. Zwischenfazit

 

Unter Berücksichtigung der Tat- und Täterkomponenten aller zu beurteilenden Delikte sowie unter Berücksichtigung der Verletzung des Beschleunigungsgebots resultiert als Sanktion demnach eine Freiheitsstrafe von insgesamt 24 Monaten für den gewerbsmässigen Betrug und den versuchten gewerbsmässigen Betrug und eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen für den mehrfachen versuchten Betrug.

                                                   

2.7. Vollzugsform

 

Unter Verweis auf die vorstehenden rechtlichen Ausführungen (Ziff. IV. / Ziff. 1.5.) ist festzuhalten, dass vorliegend eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten.

 

Der Beschuldigte geht derzeit einer regelmässigen Erwerbstätigkeit nach und ist von keinen öffentlichen Geldern mehr abhängig. Er ist nicht vorbestraft und er ist auch seit mehreren Jahren soweit bekannt nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Eine ungünstige Prognose ist nicht erkennbar. Es sind damit keine Gründe ersichtlich, welche einen teilbedingten Vollzug i.S.v Art. 43 StGB notwendig machen würden. Die gegen den Beschuldigten ausgesprochenen Sanktionen sind demnach vollbedingt bei der gesetzlich festgelegten minimalen Probezeit von zwei Jahren zu gewähren.

 

 

V. ZIVILFORDERUNG

 

1. Rechtliche Grundlagen

 

Das Gericht entscheidet über die anhängig gemachten Zivilklagen, wenn es die beschuldigte Person schuldig spricht. Ist die Klage nicht hinreichend begründet beziffert, so wird die Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Art. 126 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 lit. b StPO).

Zum Schadenersatz nach Art. 41 Abs. 1 OR wird verpflichtet, wer einem anderen widerrechtlich einen Schaden zufügt, sei es aus Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit. Gemäss Art. 42 Abs. 1 OR muss derjenige den Schaden beweisen, der Schadenersatz beansprucht. Der nicht ziffernmässig nachweisbare Schaden ist nach Ermessen des Richters mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge und auf die vom Geschädigten getroffenen Massnahmen abzuschätzen (Abs. 2). Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hierbei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat (Art. 43 Abs. 1 OR).

 

2. Vorbringen der Parteien

 

In der Verhandlung vor dem Berufungsgericht – wie auch bereits anlässlich der Berufungserklärung – anerkannte der Beschuldigte, der E.___ AG (in Liquidation) einen Betrag von CHF 4’733.05 zu schulden. Den darüber hinausgehenden Betrag von CHF 1'007.00 bestritt er.

 

3. Konkrete Beurteilung

 

Die Vorinstanz erachtete den von der E.___ AG (in Liquidation) geltend gemachte Schaden von CHF 6'319.70 als hinreichend belegt und substantiiert. Der Betrug habe dem Beschuldigten nachgewiesen werden können. Zufolge Geringfügigkeit sei ein Teil der vorgehaltenen Sachverhalte im heutigen Zeitpunkt bereits verjährt. Nach Abzug der verjährten Beiträge verbleibe ein Deliktsbetrag von CHF 5'740.05. Der Beschuldigte habe eine Forderung bereits teilweise anerkannt; die Differenz wurde der Geschädigten zugesprochen (Urteil S-L Ziff. VI. / Ziff. 2, S. 106).

 

Bereits vorstehend wurde ausgeführt, weshalb diese Ausführungen – insbesondere auch die Höhe der geltend gemachten Zivilforderung – zutreffend sind (s. insb. Ziff. II. / Ziff. 3.2.). Es kann vollumfänglich darauf abgestellt werden. Der Beschuldigte vermag nicht darzulegen, weshalb die bestrittenen CHF 1'007.00 der Geschädigten nicht ebenfalls als Schadenersatz zuzusprechen sind. Er wird demnach bei seiner Anerkennung behaftet, der E.___ AG in Liquidation den Betrag von CHF 4'733.05 als Schadenersatz zu schulden. Der darüber hinausgehende Betrag von CHF 1'007.00 ist, da rechtsgenüglich belegt und substantiiert, der Privatklägerin ebenfalls zuzusprechen.

 

Gemäss aktuellem Zefix-Eintrag ist die E.___ AG derzeit zwar in Liquidation bzw. in Auflösung befindlich. Bereits im Jahr 2016 wurde der gesamte Geschäftsbetrieb von der DW.___ GmbH übernommen, der Geschäftsbetrieb wurde komplett eingestellt (AS 906.115). Die Gesellschaft ist jedoch noch nicht aus dem Handelsregister gelöscht und verfügt weiterhin über Rechtspersönlichkeit, weswegen die Forderung der Gesellschaft als Privatklägerin unverändert zusteht.

 

 

VI. KOSTEN- UND ENTSCHÄDIGUNGSFOLGEN

 

1. Bei diesem Verfahrensausgang ist der erstinstanzliche Kosten- und Entschädigungsentscheid zu bestätigen.

 

2. Der Beschuldigte unterliegt mit seiner Berufung vollumfänglich. Der Schuldspruch wird in sämtlichen Punkten bestätigt; die Sanktion wird von 18 Monaten Freiheitsstrafe neu auf 24 Monate Freiheitsstrafe angehoben. Es rechtfertigt sich daher, dem Beschuldigten auch die Kosten des zweitinstanzlichen Gerichtsverfahrens vollumfänglich aufzuerlegen. Die Urteilsgebühr wird ermessensweise auf CHF 15'000.00 festgesetzt. Zusammen mit den angefallenen Auslagen von CHF 700.00 hat der Beschuldigte demnach für das zweitinstanzliche Verfahren Gerichtskosten von CHF 15'700.00 zu bezahlen.

 

3.1. Die amtliche Verteidigerin, Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart, macht in ihrer Honorarnote für das Berufungsverfahren einen Arbeitsaufwand von insgesamt 2'878 Minuten, d.h. 47.97 Stunden geltend.

 

Die eingereichte Honorarnote ist nachfolgend näher aufzuschlüsseln und auch infolge des zwischenzeitlich veränderten Honorars eines amtlichen Verteidigers von CHF 180.00 auf CHF 190.00 pro Stunde Aufwand per 1. Januar 2023 (GVB.2022.111) entsprechend anzupassen.

 

3.2. Für die Jahre 2021 und 2022 sind folgende Ausführungen vorzubringen:

 

-        31.03.2021: Telefonkosten für Personen, welche nicht erreichbar sind, können nicht geltend gemacht werden. Diese Position (Auslage CHF 1.00) ist zu streichen.

-        14.05.2022: Zum damaligen Zeitpunkt lag erst das Dispositiv des erstinstanzlichen Urteils vor und es galt, eine Berufungsanmeldung auszuarbeiten. Rechtliche Abklärungen im Umfang von 65 Minuten waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht angezeigt. Diese Position ist, da unverhältnismässig, zu streichen.

-        16.06.2021 und weitere: Zum damaligen Zeitpunkt bestand keine prozessuale Notwendigkeit, mit dem ehemaligen Verteidiger des Beschuldigten weiterhin im geltend gemachten Umfang zu kommunizieren. Sollte das Honorar des ehemaligen Verteidigers Thema gewesen sein, so ist festzustellen, dass dies Geltendmachung desselben grundsätzlich Aufgabe des ehemaligen Verteidigers gewesen ist. Die Positionen vom 16. Juni 2021 (Telefon 3 Min., Auslagen CHF 1.00), vom 22. Juli 2022 (Telefonat 5 Min., E-Mail 10 Min., 1 Fotokopie CHF 1.00), vom 2. September 2021 (Brief CHF 2.00, Fotokopien Urteil CHF 56.50), vom 22. April 2022 (E-Mail und Fotokopie CHF 0.50) und vom 24. April 2022 (E-Mail 10 Min. sowie Fotokopie CHF 0.50) sind demnach zu streichen.

-        30.07.2021 - 06.08.2021: Für Aktenstudium, rechtliche Abklärungen, Ausarbeiten und Einreichen der Berufungserklärung an das Obergericht wurden insgesamt 390 Minuten, also 6.5 Stunden geltend gemacht. Unter Berücksichtigung, welche Anforderungen in Art. 350 StPO an eine rechtsgenügliche Berufungserklärung gestellt werden, ist dies zu hoch. Ermessensweise ist der geltend gemachte Aufwand auf 3 Stunden, d.h. 180 Minuten, zu reduzieren.

-        12.08.2021, 16.09.2021, 24.09.2021, 11.10.2021, 04.11.2021: Geltend gemacht werden insgesamt fünf Briefe à je 3 Minuten, ausmachend total 15 Minuten. Werden die Zeitpunkte der gemachten Briefe mit dem vorliegenden Verfahren abgeglichen, ist aber festzustellen, dass kein Zusammenhang mit allfälligen gerichtlichen Verfahrenshandlungen eruiert werden kann (bspw. im Unterschied zum Brief vom 24.08.2021). Der geltend gemachte Aufwand von 15 Minuten ist damit nicht nachvollziehbar. Ermessensweise ist dieser auf insgesamt 10 Minuten zu reduzieren. Die jeweils geltend gemachten Portokosten werden ausnahmsweise gewährt.

-        28.09.2021: Geltend gemacht wird eine Eingabe an das Obergericht von 65 Minuten sowie 16 Fotokopien für insgesamt CHF 8.00. Gemäss Akten handelt es sich bei der geltend gemachten Eingabe jedoch um eine erneute Äusserung zur Problemstellung der Rechtzeitigkeit der Anschlussberufung und damit zu einem Punkt, wie er bereits vorgängig ausführlich thematisiert worden war. Die Eingabe wäre somit thematisch nicht notwendig gewesen und ist entsprechend (inkl. der zugehörigen Kopien und des Porto) infolge Unverhältnismässigkeit zu streichen.

-        20.12.2022: Geltend gemacht wird ein Brief an den Beschuldigten (5 Min, Porto CHF 1.10 sowie eine Fotokopie CHF 0.50). In welchem Zusammenhang dieser Brief erfolgt sein voll, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Da bereits vorstehend gewisse Zugeständnisse gemacht worden sind, die die Aufwendungen der amtlichen Verteidigerin abdecken, ist diese Position (inkl. Auslagen) ersatzlos zu streichen.

Für die Jahre 2021 und 2022 resultiert damit insgesamt ein Aufwand von 625 Minuten à CHF 180.00. Die Auslagen sind im Sinne einer Gesamtwürdigung am Schluss zu berechnen.

 

3.3. Für das Jahr 2023 sind folgende Ausführungen vorzubringen:

 

-        09.01.2023 und weitere: Für das Jahr 2023 werden insgesamt acht Besprechungen (persönliche und telefonische) im Umfang von total 235 Minuten, d.h. 3.91 Stunden, geltend gemacht. Unter Berücksichtigung, dass das Verfahren – wie vorstehend im Rahmen der Verletzung des Beschleunigungsgebots festgestellt – lange Zeit ruhte, ist dieser geltend gemachte Aufwand als zu hoch einzustufen. Ermessensweise ist der Aufwand auf zwei Stunden zu beschränken. Aus der Honorarnote sind demnach 115 Minuten an Aufwand zu streichen.

-        10.01.2023 und weitere: Der Honorarnote sind weitere Briefe an den Beschuldigten zu entnehmen, welche in keinen Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren gebracht werden können. Die entsprechenden Positionen (10.01.2023, 13.01.2023, 25.05.2023, 05.09.2023, 13.09.2023) sind, da bereits ermessensweise für die Jahre 2021 und 2022 ein Pauschalbetrag gewährt wurde, mitsamt den zugehörigen Auslagen zu streichen.

-        20.07.2023: Geltend gemacht wird die Erstellung einer Quittung für den Erhalt der Vorladung (10 Min.). Diese Position ist nicht nachvollziehbar und ersatzlos zu streichen.

-        23.08.2023 und weitere: Die amtliche Verteidigerin stellt mehrere Briefe in Rechnung (EV.___, [Firma 1], [Versicherung], Steueramt, Amt für Wirtschaft und Arbeit RAV, Amt für Wirtschaft und Arbeit Öffentliche Arbeitslosenkasse, Soziale Dienste der Stadt [Ort 1] sowie Steuerverwaltung [04.09.2023]). Diese dürften in Zusammenhang damit stehen, dass seitens des Berufungsgerichts Unterlagen zu den aktuellen finanziellen Verhältnissen des Beschuldigten einverlangt worden sind. Der amtlichen Verteidigerin wäre jedoch oblegen, die Unterlagen von ihrem Klienten erhältlich zu machen. Der geltend gemachte Aufwand ist damit nicht von den Aufgaben einer amtlichen Verteidigung gedeckt und ist mitsamt den zugehörigen Auslagen ersatzlos zu streichen.

-        16.10.2023: Für die Verhandlung vor dem Berufungsgericht vom 16. Oktober 2023 hat die amtliche Verteidigerin einen Aufwand von 300 Minuten geschätzt. Dieser ist an die tatsächliche Verhandlungsdauer, d.h. 280 Minuten, anzupassen.

-        18.10.2023: Dasselbe gilt für die Urteilseröffnung vom 18. Oktober 2023: Der geltend gemachte Aufwand ist an die tatsächliche Dauer von 30 Minuten anzupassen.

-        18.10.2023: Pauschal ist ein Aufwand von 30 Minuten hinzuzurechnen für eine allfällige Nachbesprechung mit dem Klienten und den Abschluss des Dossiers.

 

Für das Jahr 2023 resultiert damit insgesamt ein Aufwand von 1'683 Minuten à CHF 190.00. Wiederum sind die Auslagen am Schluss zu berücksichtigen.

 

3.4. Daraus ergibt sich folgende Berechnung:

 

 

Ansatz

Zwischentotal

10.42 h

2021 / 2022

CHF 180.00

CHF 1'875.60

28.005 h

2023

CHF 190.00

CHF 5'320.95

Honorar

 

CHF 7'196.55

Auslagen

 

CHF 314.90

 

 

CHF 7'511.45

MwSt.

7.7 %

CHF 578.40

TOTAL

 

CHF 8'089.85

 

 

Die Entschädigung der amtlichen Verteidigung wird demnach auf CHF 8'089.85 festgesetzt und ist vom Staat zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.


Ausgangsgemäss ist keine Genugtuung auszurichten.

 

 

 

 


 

Demnach wird in Anwendung von Art. 22 StGB, Art. 34 StGB, Art. 40 StGB, Art. 42 Abs. 1 StGB, Art. 44 StGB, Art. 47 StGB, Art. 49 StGB, Art. 50 StGB, Art. 146 Abs. 1 StGB, Art. 146 Abs. 2 StGB, Art. 5 StPO, Art. 122 ff. StPO, Art. 135 StPO, Art. 267 Abs. 1 - 3 StPO, Art. 335 ff. StPO, Art. 379 ff. StPO, Art. 398 ff. StPO, Art. 416 ff. StPO, Art. 42 OR, § 146 Gebührentarif, § 158 Gebührentarif, GVB.2022.111 erkannt:

 

1.    A.___ hat sich schuldig gemacht

a.      des gewerbsmässigen Betrugs, begangen in der Zeit vom 15. März 2006 bis zum 28. August 2012 (Anklageschrift [AKS] Ziff. 1);

b.      des versuchten gewerbsmässigen Betrugs, begangen in der Zeit vom 8. Juli 2013 bis 6. Mai 2016 (AKS Ziff. 2); und

c.      des mehrfachen versuchten Betrugs, begangen in der Zeit vom 24. Juni 2015 bis 10. September 2015 (AKS Ziff. 3).

 

2.    Es wird festgestellt, dass das Beschleunigungsgebot verletzt worden ist.

 

3.    A.___ wird verurteilt zu

a.      einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von 2 Jahren;

b.      einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je CHF 30.00, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von 2 Jahren.

 

4.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 3 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-
Lebern vom 15. März 2021 werden die folgenden, bei A.___ sichergestellten Gegenstände der Berechtigten E.___ AG in Liquidation, c/o Treureva AG, Othmarstrasse 8, 8008 Zürich, nach Rechtskraft des Urteils auf entsprechendes Verlangen hin ausgehändigt:

Objekt

Befindet sich bei

Leder Damenhandtasche, Marke: Clarks, (Farbe: schwarz, gold)

Leder Portemonnaie, Marke:                   Guess

(Farbe: schwarz, gold)

Polizei Kanton Solothurn

 

Polizei Kanton Solothurn

Leder Damenhandtasche, Marke: Guess, (Farbe: beige, weiss)

Polizei Kanton Solothurn

Rucksack, Spiderman (gross), Material: Kunststoff, (Farbe: schwarz, rot)

Polizei Kanton Solothurn

Rucksack, Spiderman (klein), (Farbe: schwarz, rot)

Polizei Kanton Solothurn

Rucksack, Disney «Mini Mouse», (Farbe: rosa, weiss)

Polizei Kanton Solothurn

Etui, Disney «Mini Mouse», (Farbe: rosa, weiss)

Polizei Kanton Solothurn

Ohne ein solches Begehren werden die Gegenstände 30 Tage nach Ablauf der Rechtsmittelfrist verwertet, evtl. vernichtet, wobei ein allfälliger Netto-Verwertungserlös (nach Abzug der Aufbewahrungs- und Verwertungskosten) in die Staatskasse fällt.

 

5.    Gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 4 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 wird A.___ bei seiner Anerkennung behaftet, der E.___ AG in Liquidation den Betrag von CHF 4'733.05 als Schadenersatz zu schulden.

 

6.    A.___ hat der E.___ AG in Liquidation über den Betrag gemäss Ziffer 5 vorstehend hinausgehend den Betrag von CHF 1'007.00 als Schadenersatz zu bezahlen.

 

7.    Gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 5 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 wird festgestellt, dass der ehemalige amtliche Verteidiger von A.___, Rechtsanwalt Jürg Walker, von der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn am 2. Februar 2017 mit CHF 4'929.40 (inkl. Auslagen und MwSt.) entschädigt worden ist.

 

Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des ehemaligen amtlichen Verteidigers im Umfang von CHF 1'278.00 (Differenz zum vollen Honorar von CHF 230.00 pro Stunde inkl. 8 % MwSt.), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

 

8.    Gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 6 lit. a des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 wurde die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart, im erstinstanzlichen Verfahren auf CHF 22'674.60 (Honorar CHF 106.41 Stunden à CHF 180.00, ausmachend CHF 19'153.80, Auslagen CHF 1'888.70, 8 % MwSt. auf CHF 3'941.90, ausmachend CHF 315.35, und 7.7 % MwSt. auf CHF 17'100.60, ausmachend CHF 1'316.75) festgesetzt und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat bezahlt.

 

Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

 

9.    Gemäss rechtskräftiger Ziffer 6 lit. b des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 15. März 2021 wird festgestellt, dass die Zentrale Gerichtskasse der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart, am 16. April 2020 bereits CHF 10'000.00 als Vorschuss überwiesen hat, so dass ihr noch die Differenz von CHF 12'674.60 auszubezahlen war.

 

10.  A.___ hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 13'000.00, total CHF 51'000.00, zu bezahlen.

 

11.  Die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart, wird für das Berufungsverfahren auf CHF 8’089.85 (Honorar CHF 7'196.55 [10.42 Stunden à CHF 180.00, 28.05 Stunden à CHF 190.00], Auslagen CHF 314.90, zzgl. 7.7 % MwSt. CHF 578.40) festgesetzt und ist vom Staat zu bezahlen.

 

Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

 

12.  A.___ hat die Kosten des Berufungsverfahrens in Höhe von CHF 15'700.00, beinhaltend eine Urteilsgebühr von CHF 15'000.00, zu bezahlen.

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) und der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft im Rechtsmittelverfahren (Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona).

Im Namen der Strafkammer des Obergerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

Werner                                                                              Schenker



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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