Zusammenfassung des Urteils STBER.2021.55: Verwaltungsgericht
Eine Frau wurde beschuldigt, über ihre Gesundheitszustände gelogen zu haben, um unrechtmässig Leistungen von der IV-Stelle und der Ausgleichskasse zu erhalten. Nach einer Observierung wurde sie wegen gewerbsmässigen Betrugs und mehrfachen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Verteidigung bestritt die Verwertbarkeit der Observationsergebnisse, jedoch entschied das Gericht, dass diese verwertbar seien. Die Staatsanwaltschaft hätte die Observation ebenfalls rechtmässig anordnen können, da konkrete Anhaltspunkte für einen Betrug vorlagen. Die Interessenabwägung sprach für die Verwertung der Observationsberichte.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | STBER.2021.55 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Datum: | 18.10.2022 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Observation; Beweis; Beschuldigte; Interesse; Betrug; Beweismittel; Bundesgericht; Interessen; Urteil; Beschuldigten; IV-Stelle; Interessenabwägung; Bundesgerichts; Anhaltspunkte; Observationen; Grundlage; Rechtsprechung; Meldung; Wahrheit; Betrugs; Verwertbarkeit; Verfahren; Beweise; Staat |
Rechtsnorm: | Art. 10 StGB ;Art. 140 StPO ;Art. 141 StPO ;Art. 146 StGB ;Art. 152 ZPO ;Art. 282 StPO ;Art. 36 BV ;Art. 8 EMRK ; |
Referenz BGE: | 143 I 377; 143 IV 387; |
Kommentar: | Eugster, Basler Kommentar Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, Art. 282 OR StPO, 2014 |
Geschäftsnummer: | STBER.2021.55 |
Instanz: | Strafkammer |
Entscheiddatum: | 18.10.2022 |
FindInfo-Nummer: | O_ST.2023.10 |
Titel: | gewerbsmässiger Betrug, evtl. mehrfacher Betrug, subevtl. mehrfache Widerhandlungen gegen das AHVG, Widerhandlung gegen das ELG |
Resümee: | Art. 140 und Art. 141 StPO: Die vor Inkrafttreten der aktuellen Regelungen durch private Observationen im Unfall- und Sozialversicherungsverfahren vorge-nommenen Eingriffe in die Privatsphäre von Betroffenen verstossen grundsätzlich gegen Art. 8 EMRK und Art. 13 Abs. 1 bzw. Art. 36 Abs. 1 BV. Die ohne ausreichende gesetzliche Grundlage erhobenen Beweismittel sind jedoch nicht automatisch strafprozessual unverwertbar. Ob und inwiefern aus einer festgestellten Verfassungs- und EMRK-Widrigkeit ein Beweisverwertungsverbot folgt, ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nach dem anwendbaren schweizerischen Verfahrensrecht zu prüfen. |
SOG 2022 Nr. 6 Art. 140 und Art. 141 StPO: Die vor Inkrafttreten der aktuellen Regelungen durch private Observationen im Unfall- und Sozialversicherungsverfahren vorgenommenen Eingriffe in die Privatsphäre von Betroffenen verstossen grundsätzlich gegen Art. 8 EMRK und Art. 13 Abs. 1 bzw. Art. 36 Abs. 1 BV. Die ohne ausreichende gesetzliche Grundlage erhobenen Beweismittel sind jedoch nicht automatisch strafprozessual unverwertbar. Ob und inwiefern aus einer festgestellten Verfassungs- und EMRK-Widrigkeit ein Beweisverwertungsverbot folgt, ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nach dem anwendbaren schweizerischen Verfahrensrecht zu prüfen.
Sachverhalt: Eine Frau bezog seit über neun Jahren bei der IV-Stelle eine IV-Rente, drei IV-Kinderrenten, eine Hilflosenentschädigung sowie bei der Ausgleichskasse Ergänzungsleistungen im Umfang von insgesamt rund CHF 410'000.00. In einer anonymen Meldung zu Handen der IV-Stelle wurde sie beschuldigt, in Tat und Wahrheit über keinerlei gesundheitlichen Einschränkungen zu verfügen bzw. die genannten Stellen über ihren wahren Gesundheitszustand getäuscht zu haben. Um die Anschuldigungen zu überprüfen, liess die IV-Stelle die Beschuldigte im Anschluss an ein Revisionsgespräch observieren. Die Amtsgerichtsstatthalterin von Solothurn-Lebern erklärte die Observationsergebnisse für verwertbar und verurteilte die Beschuldigte wegen gewerbsmässigen Betrugs und mehrfachen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 40 Monaten. Im Rahmen des Berufungsverfahrens wurde seitens der Verteidigung die Verwertbarkeit der Observationsergebnisse erneut bestritten.
Aus den Erwägungen: 5.2.1. Wie sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch das Bundesgericht entschieden haben, verstiessen die vor Inkrafttreten der aktuellen Regelungen durch private Observationen in Unfall- und Sozialversicherungsverfahren vorgenommenen Eingriffe in die Privatsphäre von Betroffenen gegen Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 36 Abs. 1 BV (Urteil des EGMR Vukota-Bojic gegen Schweiz vom 16.10.2006, Nr. 61838/10, § 69 – 77, in Plädoyer 2016 6 S. 71; BGE 143 IV 387 E. 4.1.1. m.w.Verw.). In BGE 143 I 377 hat sich das Bundesgericht (in einem Verwaltungsverfahren betreffend Invalidenversicherung) der dargelegten Rechtsprechung des EGMR angeschlossen: Zwar finde sich in Art. 59 Abs. 5 IVG eine spezialgesetzliche Grundlage, die es ermögliche, zur Bekämpfung des ungerechtfertigten Leistungsbezugs Spezialisten beizuziehen. Insgesamt präsentiere sich jedoch keine andere Rechtslage als im Unfallversicherungsverfahren. Insbesondere seien die Dauer der Observation, das Verfahren ihrer Anordnung und die zulässigen Überwachungsmodalitäten nicht gesetzlich geregelt. Da das Gesetz solche privaten Observationen nicht vorsieht, würden die erfolgten Eingriffe in die Grundrechte die Bundesverfassung und die StPO verletzen (BGE 143 IV 387 m.w.Verw., insb. Verweis auf BGE 143 I 377 E. 4.). Aus dem Gesagten folge jedoch nicht, dass die rechtswidrig (ohne ausreichende gesetzliche Grundlage) erhobenen Beweismittel automatisch strafprozessual unverwertbar wären. In BGE 143 I 377 E. 5. hat das Bundesgericht denn auch für das Verwaltungsverfahrensrecht entschieden, dass die von einer kantonalen IV-Stelle (wegen mutmasslichen Versicherungsmissbrauchs) angeordneten und mittels Privat-Observationen im öffentlich frei einsehbaren Raum erfolgten Beweiserhebungen (Videos und Fotos) aufgrund einer sorgfältigen Interessenabwägung im IV-Verwaltungsverfahren (in Analogie zu Art. 152 Abs. 2 ZPO) grundsätzlich verwertbar sein können. Ob und inwiefern aus einer festgestellten Verfassungs- und EMRK-Widrigkeit ein Beweisverwertungsverbot folgt, ist nach dem anwendbaren schweizerischen Verfahrensrecht zu prüfen. Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergibt sich insofern lediglich der Anspruch auf ein insgesamt faires Verfahren (zit. Urteil Vukota-Bojic, § 91, 93 f. und 96, s. zum Ganzen BGE 143 IV 387 E. 4.3.). Die Schweizerische Strafprozessordnung enthält Bestimmungen zu den verbotenen Beweiserhebungen (Art. 140 StPO) und zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise (Art. 141 StPO). Gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO dürfen Beweise, welche die Strafbehörden in strafbarer Weise in Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich. Inwieweit die Beweisverbote auch greifen, wenn nicht staatliche Behörden, sondern Privatpersonen Beweismittel sammeln, wird in der Strafprozessordnung nicht geregelt. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel nur verwertbar sind, wenn sie auch von den Strafbehörden hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht. Von Privaten beschaffte Beweise sind demnach unverwertbar, wenn der Staat selbst nicht auf rechtmässigem Weg auf das Beweismittel hätte zugreifen können und die Interessenabwägung für die Nichtverwertung spricht (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_22/2012 vom 11.05.2012 E. 2.4.4., Urteil des Bundesgerichts 6B_323/2013 vom 03.06.2013 E. 3.4., Urteil des Bundesgerichts 6B_983/2013 vom 24.02.2014, E. 3.2.). Bei der Interessenabwägung gilt: Je schwerer die zu beurteilende Straftat ist, umso eher überwiegt das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung das private Interesse des Angeklagten daran, dass der fragliche Beweis unverwertet bleibt (Urteil des Bundesgerichts 9C.806/2016 vom 14.07.2017 E. 5.1.1.). In concreto prüft das Bundesgericht diesbezüglich, ob die angeordnete Observation aufgrund ausgewiesener Zweifel eingeleitet wurde, ob sie nur im öffentlichen Raum stattgefunden hat und ob der Beschuldigte keiner ständigen und systematischen Überwachung ausgesetzt gewesen ist (s. bspw. Urteil des Bundesgerichts 9C.806/2016 vom 14.07.2017 E. 5.1.2.). 5.2.2. Vorliegend bestreitet die Verteidigung die Verwertbarkeit der Observationsergebnisse der (…) AG (nachfolgend […]). Im Zeitpunkt, als die Privatklägerschaft der (…) den Observationsauftrag erteilt habe, habe es keine rechtliche Grundlage für eine solche Observation gegeben. Beim aktenkundigen Observationsbericht handle es sich somit um ein von einer Privatperson rechtswidrig erlangtes Beweismittel, welches nur verwertbar sei, wenn die vom Bundesgericht aufgestellten Anforderungen erfüllt seien. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Einerseits hätten die Strafverfolgungsbehörden die Observation nicht in Auftrag geben können. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn genügend konkrete Anhaltspunkte für ein Verbrechen Vergehen vorgelegen hätten. Die Meldung vom 9. Oktober 2013 sei aber zu kurz, unpräzise und vage formuliert sowie anonym verfasst worden, weswegen sie keine genügenden Anhaltspunkte zu begründen vermocht hätten. Andererseits blieben, selbst wenn vom Bestehen genügender Anhaltspunkte ausgegangen würde, die widerrechtlich erlangten Observationsergebnisse im Ergebnis unverwertbar, weil die Interessenabwägung zwischen den privaten Interessen der Beschuldigten am Grundrechtsschutz und den öffentlichen Interessen zwingend zu Gunsten der Beschuldigten ausgefallen wäre. Von den ergänzenden Anforderungen des Bundesgerichts an die Interessenabwägung gemäss Urteil 9C_806/2016 vom 14. Juli 2017 sei nur eine von dreien erfüllt, nämlich dass die Beschuldigte keiner ständigen und systematischen Überwachung ausgesetzt gewesen sei. Die Überwachung sei aber nicht aufgrund ausgewiesener Zweifel eingeleitet worden und habe schon gar nicht nur im öffentlichen Raum stattgefunden. So sei die Beschuldigte u.a. in ihrer Privatwohnung überwacht worden. Es sei beobachtet worden, ob sie sich auf dem Balkon aufhalte, ob in der Wohnung Licht brenne, ob der Sonnenschirm auf zu sei etc. Mit Blick auf die beiden genannten Punkte sei der Observationsbericht daher unverwertbar. 5.2.3. Im Sinne der vorstehend genannten Kaskade ist vorab zu prüfen, ob die Observationsberichte der (…) als Beweismittel auch von der Staatsanwaltschaft rechtmässig hätte erworben werden resp. ob die diesen Berichten zugrundeliegende Observation auch von der Staatsanwaltschaft hätte angeordnet werden können. Die Staatsanwaltschaft kann Personen und Sachen an allgemein zugänglichen Orten verdeckt beobachten und dabei Bild- Tonaufzeichnungen machen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass Verbrechen Vergehen begangen worden sind und die Ermittlungen sonst aussichtslos wären unverhältnismässig erschwert würden (Art. 282 Abs. 1 StPO). Die Verdachtsmomente müssen entsprechend konkret sein. Vage Hinweise auf ein Verbrechen Vergehen, die noch keinen Tatverdacht begründen, dürften nicht ausreichend sein, während wohl plausible Hinweise Anhaltspunkte, die einen ersten vagen Tatverdacht begründen, genügend dürften. Auch wenn wohl nicht jeder vage Anfangsverdacht ausreichend ist, wird man keine allzu strengen Anforderungen an die konkreten Anhaltspunkte stellen dürfen (Luzius Eugster/Annegret Katzenstein, in: Basler Kommentar Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, BSK StPO, 2. Auflage 2014, Art. 282 N 11). Mit Schreiben vom 9. Oktober 2013 (AS 020) wurde eine anonyme Anzeige gegen die Beschuldigte eingereicht u.a. mit folgendem Inhalt: «Wir sehen keine einschränkung von A.___ woraus eine invalidenrente resultieren soll. Im gespräch wird von ihr noch gesagt, dass keine einschränkung vorhanden sei. Sie habe ängste, wir fragen uns welche. Sie kann problemlos in ein flugzeug steigen, trotz angeblicher platzangst und auch am märetfest in solothurn feiern und sich in der menge sulen. Zudem sittet sie teilweise einen ausgewachsenen dobermann, auch da keine einschränkung vorhanden. (…)» Bislang ging die Behörde davon aus, dass die Beschuldigte aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht in der Lage war, ihre Wohnung zu verlassen jegliche Aktivitäten wahrzunehmen. Auch wenn das Schreiben anonym verfasst war, war es grundsätzlich substantiiert und mit konkreten Beispielen versehen. Es war nicht, wie von der Verteidigung geltend gemacht, vage formuliert, sondern es beinhaltet konkrete Vorbringen, gemäss welchen die Beschuldigte über einen wesentlich weiteren Bewegungsradius verfügte als bislang angenommen. So wurde bspw. das Besteigen eines Flugzeugs, der Besuch eines Stadtfests das Sitten eines Dobermanns als konkrete Aktivitäten der Beschuldigten genannt. Bereits dies hätte genügt, um einen Verdacht auf einen potentiellen gewerbsmässigen Betrug der IV-Stelle i.S.v. Art. 146 Abs. 2 StGB (der mehrfache Betrug zum Nachteil der Ausgleichskasse war damals noch nicht Thema) und damit auf ein Verbrechen i.S.v. Art. 10 Abs. 2 StGB zu begründen. Mit der erwähnten Meldung lagen deshalb konkrete Anhaltspunkte im Sinne von Art. 282 Abs. 1 lit. a StPO vor. Ohne die angeordnete Observation wäre es nicht möglich gewesen, die gemachten Vorhalte auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, weswegen die Ermittlungen auch unverhältnismässig erschwert i.S.v. Art. 282 Abs. 1 lit. b StPO gewesen wären. Die Anordnung der Observation wäre demnach bereits in diesem Zeitpunkt rechtmässig gewesen. Vorliegend ist jedoch darüberhinausgehend auch festzustellen, dass die Privatklägerin die Observation nicht nur aufgrund des anonymen Schreibens vom 9. Oktober 2013, sondern auch aufgrund des Verhaltens der Beschuldigten in Auftrag gegeben hat. Zu dem von der IV-Stelle im Anschluss an diese Meldung durchgeführten Revisionsgespräch vom 22. Januar 2014 wollte die Beschuldigte zunächst nicht erscheinen; es sei ihr aufgrund ihres Gesundheitszustandes resp. konkret aufgrund der schlimmen Panikattacken nicht möglich, das Haus alleine zu verlassen. Als das Gespräch schliesslich zu ihr nach Hause verlegt worden war, bestätigte sie ihren Gesundheitszustand erneut. Mit den ihr gemachten Vorhalten gemäss anonymer Meldung konfrontiert, stellte die Beschuldigte diese in Abrede und verstrickte sich teilweise in Widersprüche, was deren potentielle Bedeutung anbelangte. Spätestens zu jenem Zeitpunkt waren also noch konkretere Zweifel geweckt, dass etwas nicht stimmen kann, so dass ein hinreichender Tatverdacht begründet gewesen ist. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass die von der Privatklägerin am 27. Januar 2014 in Auftrag gegebene Observation demnach auch von der Staatsanwaltschaft hätte in Auftrag gegeben werden können. 5.2.4. Weiter ist zu prüfen, ob das in Frage stehende Beweismittel zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich ist. Auch diese Frage ist vorliegend zu bejahen. Gemeldet wurde ein potentieller Betrug der IV-Stelle. Damit bestand der Tatverdacht eines gewerbsmässigen Betrugs i.S.v. Art. 146 Abs. 2 StGB und damit der Tatverdacht auf ein qualifiziertes Verbrechen i.S.v. Art. 10 Abs. 2 StGB (erneut ist festzustellen, dass der zur Anklage gebrachte Vorhalt des mehrfachen Betrugs zum Nachteil der Ausgleichskasse damals noch nicht Thema war). Bereits vorstehend wurde ausgeführt, dass es ohne die zur Diskussion gestellte Observation nicht möglich gewesen wäre, die gemachten Vorhalte auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Insbesondere waren weitere Gespräche mit der Beschuldigten nicht zielführend. Damit war und ist das Beweismittel auch zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich. 5.2.5. Schliesslich ist zu prüfen, ob eine Interessenabwägung der öffentlichen Interessen an der Wahrheitsfindung gegen die privaten Interessen der Beschuldigten für gegen die Verwertbarkeit des Beweismittels spricht. Vorliegend sind ein gewerbsmässiger Betrug zum Nachteil der IV-Stelle sowie ein mehrfacher Betrug zum Nachteil der Ausgleichskasse zur Anklage gebracht worden. Damit besteht das öffentliche Interesse in der Aufklärung eines qualifizierten Betrugs zu Lasten des gesamten Sozialversicherungssystems und damit verbunden auch in der Wahrung des Vertrauens in die öffentliche Hand. Damit ist das öffentliche Interesse als sehr gross einzustufen; angebliche Missbräuche müssen zwingend geprüft werden. Das private Interesse der Beschuldigten, dass der Beweis unverwertbar bleibt, bzw. der mit der Observation verbundene Eingriff in die Privatsphäre der Beschuldigten wiegt damit verglichen klar weniger schwer. Auch wenn die Beschuldigte teilweise auf ihrem Balkon observiert wurde, war dieses Bewegungsfeld jederzeit öffentlich einsehbar. In der Wohnung selbst wurde die Beschuldigte nie observiert. Schliesslich hat auch die Verteidigung anerkannt, dass die Beschuldigte keiner ständigen und systematischen Überwachung ausgesetzt war, wurde sie doch gerade einmal an 23 Tagen von insgesamt 293 Tagen observiert. Die Anforderungen des Bundesgerichts an die Verwertbarkeit der Berichte sind damit allesamt erfüllt, die Interessenabwägung spricht ganz grundsätzlich für die Verwertung der Observationsberichte. 5.2.6. Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass sämtliche gesetzlichen Anforderungen wie auch diejenigen der Rechtsprechung an die Verwertung des Beweismittels vorliegend erfüllt sind. Die Observation der Beschuldigten wurde rechtmässig angeordnet, die Observationsberichte der (…) sind verwertbar. Dies ist im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen zu berücksichtigen.
Obergericht, Strafkammer, Urteil vom 18. Oktober 2022 (STBER.2021.55) |
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