Kanton: | SO |
Fallnummer: | STBER.2021.104 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Datum: | 07.12.2022 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Zusammenfassung: | Das Obergericht der Strafkammer hat am 7. Dezember 2022 über den Fall entschieden, bei dem es um Raub, geringfügige Sachbeschädigung, einfache Körperverletzung und andere Delikte ging. Die Staatsanwaltschaft Franziskanerhof war als Anschlussberufungsklägerin gegen den Beschuldigten A.___ vertreten, der von Rechtsanwältin Clivia Wullimann verteidigt wurde. Es wurde festgestellt, dass der Beschuldigte an paranoider Schizophrenie und Substanzabhängigkeit leidet, was zu einer weitgehend aufgehobenen Steuerungsfähigkeit und Schuldunfähigkeit führte. Das Gericht folgte dem forensisch-psychiatrischen Gutachten und sprach den Beschuldigten aufgrund seiner psychischen Erkrankungen von der Schuld frei. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Staat auferlegt. |
Schlagwörter: | Beschuldigte; Beschuldigten; Schuld; Massnahme; Behandlung; Urteil; Schuldfähigkeit; Gutachten; Freiheit; Täter; Recht; Gericht; Staat; Berufung; Solothurn; Steuerungsfähigkeit; Störung; Zustand; Freiheitsstrafe; Taten |
Rechtsnorm: | Art. 10 StGB ; Art. 10 StPO ; Art. 126 StGB ; Art. 139 StGB ; Art. 144 StGB ; Art. 180 StGB ; Art. 19 StGB ; Art. 20 StGB ; Art. 225 StGB ; Art. 30 StGB ; Art. 34 StGB ; Art. 41 StGB ; Art. 42 StGB ; Art. 428 StPO ; Art. 46 StGB ; Art. 47 StGB ; Art. 48a StGB ; Art. 49 StGB ; Art. 50 StGB ; Art. 51 StGB ; Art. 56 StGB ; Art. 56a StGB ; Art. 59 StGB ; Art. 63 StGB ; Art. 9 BV ; |
Referenz BGE: | 107 IV 3; 108 IV 86; 118 IV 119; 119 IV 120; 122 IV 49; 127 IV 1; 128 I 81; 128 IV 247; 133 IV 145; 134 IV 132; 134 IV 140; 134 IV 17; 134 IV 1; 136 IV 55; 137 IV 57; 138 IV 120; 141 IV 34; 141 IV 61; 142 IV 1; 142 IV 265; 142 IV 49; 144 IV 217; 144 IV 345; 145 III 441; 145 IV 65; 146 IV 114; 98 IV 83; |
Kommentar: | Hans, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 1900 |
Geschäftsnummer: | STBER.2021.104 |
Instanz: | Strafkammer |
Entscheiddatum: | 07.12.2022 |
FindInfo-Nummer: | O_ST.2023.11 |
Titel: | Raub, geringfügige Sachbeschädigung, einfache Körperverletzung, etc. sowie Widerrufsverfahren |
Resümee: |
Obergericht Strafkammer
Urteil vom 7. Dezember 2022 Es wirken mit: Oberrichter Marti, Vorsitz Oberrichter Frey a.o. Ersatzrichter Kiefer Gerichtsschreiberin Lupi De Bruycker In Sachen Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Anschlussberufungsklägerin
A.___, amtlich verteidigt durch Rechtsanwältin Clivia Wullimann, Beschuldigter und Berufungskläger
betreffend Raub, geringfügige Sachbeschädigung, einfache Körperverletzung, etc. sowie Widerrufsverfahren
Es erscheinen zur Fortsetzung der Hauptverhandlung vor Obergericht am 7. Dezember 2022 um 8:30 Uhr: 1. Staatsanwalt B.___, für die Staatsanwaltschaft als Anschlussberufungsklägerin; 2. A.___, Beschuldigter und Berufungskläger, zugeführt von zwei Polizisten der Kantonspolizei Solothurn; 3. Rechtsanwältin Clivia Wullimann, amtliche Verteidigerin.
Zudem erscheinen: - Mutter und Schwester des Beschuldigten; - eine Gerichtsberichterstatterin der Solothurner Zeitung.
Der Vorsitzende eröffnet die Hauptverhandlung, gibt die Zusammensetzung des Gerichts bekannt und nennt die Berichte, welche seit der letzten Verhandlung vor Obergericht vom 5. Juli 2022 eingeholt und zu den Akten genommen worden sind. Den vorgesehenen weiteren Verhandlungsablauf skizziert der Vorsitzende wie folgt:
- Vorfragen und Vorbemerkungen des Parteivertreters und der Parteivertreterin; - Befragung des Beschuldigten; - Frage nach weiteren Beweisanträgen; - Schluss des Beweisverfahrens; - Parteivorträge (inkl. Replik und Duplik); - letztes Wort des Beschuldigten; - geheime Urteilsberatung; - mündliche Urteilseröffnung am 8. Dezember 2022 um 16:00 Uhr.
Zudem bittet der Vorsitzende die amtliche Verteidigerin, ihre Honorarnote für das Berufungsverfahren Staatsanwalt B.___ zur Einsicht vorzulegen und dem Berufungsgericht einzureichen.
Weder Staatsanwalt B.___ noch Rechtsanwältin Clivia Wullimann haben Vorfragen Vorbemerkungen. Letztere händigt dem Staatsanwalt und dem Vorsitzenden je ein Exemplar ihrer Honorarnote für das Berufungsverfahren aus.
Nach vorgängiger Belehrung wird der Beschuldigte befragt (vgl. Audio-Dokument: Berufungsverfahren, Aktenseite, [nachfolgend BAS] 152; separates Einvernahmeprotokoll: BAS 153 - 158).
Der Parteivertreter und die Parteivertreterin stellen keine weiteren Beweisanträge, so dass das Beweisverfahren vom Vorsitzenden geschlossen wird.
Staatsanwalt B.___ stellt und begründet für die Anschlussberufungsklägerin folgende Anträge (BAS 159 f.):
« 1. A.___ sei gemäss Anklageschrift wegen Raubes, mehrfacher geringfügiger Sachbeschädigung, einfacher Körperverletzung, Tätlichkeiten, Drohung, geringfügigen Diebstahls, Übertretungen des Betäubungsmittelgesetzes und wegen Fahrens ohne gültigen Fahrausweis schuldig zu sprechen. 2. A.___ sei zu verurteilen zu einer: a. Freiheitsstrafe von sieben Monaten und fünf Tagen b. Busse von CHF 100.00, ersatzweise zu einem Tag Freiheitsstrafe, teilweise als Zusatzurteil zum Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 18. Oktober 2019 3. Es sei eine stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB anzuordnen, mit Beginn ab dem 7. Dezember 2022. 4. A.___ sei zur Sicherung des Massnahmenvollzuges im vorzeitigen Strafvollzug zu belassen. 5. Die mit den Urteilen der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 17. Oktober 2018 und 18. Oktober 2019 bedingt gewährten Vollzüge der Geldstrafen von je 50 Tagessätzen seien zu widerrufen und die Geldstrafen seien zu vollziehen. 6. Der Freiheitsentzug seit dem 2. Dezember 2019 sei an Freiheitsstrafe, Geldstrafen, Busse und pro forma im Sinne von Art. 51 StGB an die stationäre Massnahme anzurechnen, womit die Geldstrafen und Busse getilgt sind. 7. Die Kosten des Verfahrens seien A.___ aufzuerlegen. 8. Das Honorar der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin C. Wullimann, sei durch das Gericht festzusetzen und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn zu bezahlen. Vorbehalten bleibe der Rückforderungsanspruch des Staates bei wirtschaftlich guten Verhältnissen während 10 Jahren.»
Rechtsanwältin Clivia Wullimann stellt und begründet in Namen und Auftrag des Beschuldigten und Berufungsklägers folgende Anträge (BAS 161, 162 - 177):
« 1. Es seien die Ziffern 2, 3, 5 und 6 des Urteils des Amtsgerichts Solothurn-Lebern vom 1. September 2021 aufzuheben. 2. Es sei der Beschuldigte von der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes, begangen von Mitte November 2019 bis 2. Dezember 2019, infolge Schuldunfähigkeit freizusprechen. 3. Es sei für den Beschuldigten eine angemessene ambulante Behandlung von maximal einem Jahr anzuordnen. 4. Es sei dem Beschuldigten der bereits ausgestandene Freiheitsentzug an seine Sanktion anzurechnen und ihm eine angemessene Haftentschädigung zuzusprechen. 5. Die Anträge der Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft seien vollumfänglich abzuweisen. 6. Die Verfahrenskosten seien dem Staat aufzuerlegen. 7. Die Kosten der amtlichen Verteidigung seien gemäss der eingereichten Honorarnote zu genehmigen und vom Staat zu tragen. 8. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.»
Staatsanwalt B.___ geht in seinem zweiten Parteivortrag auf die Ausführungen der Verteidigerin zu ihrer Honorarnote ein, wonach sie die beiden Positionen mit Datum vom 30. November 2022 verwechselt habe. Staatsanwalt B.___ stellt diese Erklärung in Frage und hält fest, dass er nur über eine Eingabe der Verteidigerin mit Datum vom 30. November 2022 verfüge.
Die amtliche Verteidigerin gibt hierauf bekannt, sie gehe nun nicht mehr davon aus, die beiden Positionen vertauscht zu haben, sondern vermute, sich in Bezug auf die geltend gemachten 10 Stunden mit Datum vom 30. November 2022 verschrieben zu haben (Positionsfehler falsche Einheit), wofür sie sich entschuldige.
Der Beschuldigte macht von seinem Recht auf das letzte Wort sinngemäss wie folgt Gebrauch:
Er wolle sich für die Delikte entschuldigen. Er habe niemandem etwas Böses antun wollen. Bei ihm seien damals die Schizophrenie und die Drogensucht zusammengekommen. Er hoffe, dass das Gericht richtig entscheiden werde, damit er motiviert in die Zukunft blicken könne.
Es erscheinen zur mündlichen Urteilseröffnung vor Obergericht vom 8. Dezember 2022 um 16:00 Uhr:
1. Staatsanwalt B.___, für die Staatsanwaltschaft als Anschlussberufungsklägerin; 2. A.___, Beschuldigter und Berufungskläger, zugeführt von zwei Polizisten der Kantonspolizei Solothurn; 3. Rechtsanwältin Clivia Wullimann, amtliche Verteidigerin.
Zudem erscheinen: - Mutter des Beschuldigten; - eine Gerichtsberichterstatterin der Solothurner Zeitung.
Der Vorsitzende begrüsst die anwesenden Personen und gibt vorab bekannt, dass im Rahmen der mündlichen Urteilseröffnung der Endentscheid des Berufungsgerichts lediglich summarisch begründet werde. Die ausführliche Begründung werde aus dem schriftlichen Urteil hervorgehen, ab dessen Zustellung auch erst die Rechtsmittelfrist für die Beschwerde in Strafsachen zu laufen beginne. Hierauf verliest der Vorsitzende die wichtigsten Ziffern des Urteilsdispositivs. In der darauf folgenden Begründung geht er auf die Tatvorwürfe und die Schuldfähigkeit näher ein, erörtert das ausgefällte Strafmass sowie die angeordnete therapeutische Massnahme und deren Dauer und gibt den Kosten- und Entschädigungsentscheid bekannt. Abschliessend wird den Parteien mitgeteilt, dass gegen den Beschuldigten zur Sicherung des Massnahmenvollzuges Sicherheitshaft angeordnet werde. Um 16:15 Uhr werden der Parteivertreterin und dem Parteivertreter die Urteilsanzeige sowie der separate Beschluss betreffend Sicherheitshaft ausgehändigt und die mündliche Urteilseröffnung wird geschlossen. Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung: I. Prozessgeschichte
1. Mit Anklageschrift vom 5. Januar 2021 überwies die Staatsanwaltschaft die Akten dem Amtsgericht von Solothurn-Lebern zur Beurteilung des Beschuldigten A.___ wegen diverser Delikte.
2. Das Amtsgericht von Solothurn-Lebern fällte am 1. September 2021 folgendes Strafurteil:
« 1. A.___ wird infolge Schuldunfähigkeit von folgenden Vorhalten freigesprochen: - Raub (räuberischer Diebstahl nach Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB), begangen am 2. Dezember 2019 (Vorhalt Ziff. 1 der Anklageschrift), - mehrfache geringfügige Sachbeschädigung, begangen am 10. November 2019 und am 2. Dezember 2019 (Vorhalt Ziff. 2 und 7), - mehrfache Tätlichkeiten, begangen am 30. Oktober 2019 (Vorhalt Ziff. 3 und 4), - Drohung, begangen am 30. Oktober 2019 (Vorhalt Ziff. 5), - geringfügiger Diebstahl, begangen am 10. November 2019 (Vorhalt Ziff. 6), - Fahren ohne gültigen Fahrausweis, begangen am 20. September 2019 (Vorhalt Ziff. 9). 2. A.___ hat sich der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes, begangen von Mitte November 2019 bis am 2. Dezember 2019 (Vorhalt Ziff. 8), schuldig gemacht. 3. A.___ wird zu einer Busse von CHF 100.00 verurteilt, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 1 Tag. 4. Auf das Widerrufsverfahren gegen A.___ bezüglich der Urteile der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 17. Oktober 2018 und 18. Oktober 2019 wird nicht eingetreten. 5. Für A.___ wird eine stationäre therapeutische Behandlung angeordnet. 6. A.___ werden 640 Tage Haft und vorzeitiger Strafvollzug an die Busse und an die stationäre therapeutische Behandlung angerechnet, womit die Busse und die Ersatzfreiheitsstrafe getilgt sind. 7. Zur Sicherung des Massnahmenvollzugs wird A.___ im vorzeitigen Strafvollzug belassen (zur Zeit vollzogen auf der Station […]). 8. Sämtliche Zivilforderungen (Genugtuungs- und Schadenersatzforderungen) werden auf den Zivilweg verwiesen. 9. Die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin Clivia Wullimann, wird auf CHF 17'875.85 (Honorar 83.43 Stunden zu CHF 180.00 entsprechend CHF 15'017.40, Auslagen CHF 1'580.40, 7.7 % Mehrwertsteuer CHF 1'278.05) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu bezahlen. 10. Die Kosten des Verfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 5'600.00, total CHF 21'300.00, gehen zu Lasten des Staates Solothurn.»
3. Gegen das Urteil liess der Beschuldigte am 15. September 2021 die Berufung anmelden. Mit Berufungserklärung vom 23. November 2021 liess der Beschuldigte die Ziffern 2, 3, 5 und 6 des erstinstanzlichen Urteils anfechten. Er sei vollumfänglich wegen Schuldunfähigkeit frei zu sprechen und es sei eine angemessene ambulante Behandlung von maximal einem Jahr anzuordnen. Der bereits ausgestandene Freiheitsentzug sei ihm an seine Sanktion anzurechnen bzw. es sei ihm eine angemessene Haftentschädigung zuzusprechen.
Die Staatsanwaltschaft erklärte am 3. Dezember 2021 die Anschlussberufung mit den Anträgen, der Beschuldigte sei gemäss Anklage schuldig zu sprechen und es sei eine unbedingte Freiheitsstrafe auszufällen. Die beiden gewährten bedingten Strafvollzüge seien zu widerrufen und die Haft und der vorzeitige Strafvollzug seien an die Freiheitsstrafe, die Geldstrafe die Busse und die stationäre Massnahme anzurechnen. Letztlich sei der Beschuldigte zur Tragung der Verfahrenskosten zu verurteilen.
4. Damit sind folgende Ziffern des erstinstanzlichen Urteils in Rechtskraft getreten: - Ziffer 8: Verweisung sämtlicher Zivilforderungen auf den Zivilweg; - Ziffer 9 (teilweise): Entschädigung an die amtliche Verteidigerin der Höhe nach.
5. Mit Verfügung vom 18. Januar 2022 wurden der Beschuldigte und seine amtliche Verteidigerin sowie der Sachverständige M.___ auf den 5. Juli 2022 zur Hauptverhandlung vor das Berufungsgericht vorgeladen.
6. Anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht wurden der Beschuldigte und der Sachverständige befragt (Audio-Dokumente: BAS 61 und 62; separate Einvernahmeprotokolle: BAS 68 - 73; 74 - 83) der Folge führte die amtliche Verteidigerin aus, der aktuelle, schlechte körperliche Zustand des Beschuldigten spreche klar gegen die Gefahr, dass dieser künftig mit Gewaltdelikten in Erscheinung trete. Es sei mit Blick auf dessen fehlende Mobilität offensichtlich, dass sich jedes mögliche Opfer mühelos vom Beschuldigten entfernen könne. Komme man zum Schluss, die körperliche Beeinträchtigung des Beschuldigten sei bleibend, habe das Auswirkungen auf die Frage, welche Gefahr vom Beschuldigten ausgehe und somit zwangsläufig auch auf die Frage, ob es die von der Vorinstanz angeordnete stationäre Massnahme brauche nicht. Dazu sei ein ärztliches Zeugnis einzuholen.
Das Berufungsgericht hiess in der Folge – nicht zuletzt aufgrund des eigenen Eindrucks des körperlichen Zustandes des Beschuldigten – den Beweisantrag gut, unterbrach die Hauptverhandlung und vertagte den Abspruch (vgl. im Einzelnen auch das Verfahrensprotokoll der Verhandlung vom 5.7.2022: BAS 63 - 67).
In der Folge holte das Berufungsgericht folgende Berichte ein:
- Arztbericht des behandelnden Arztes, Dr. L.___, FMH Allgemeine Innere Medizin, Heimarzt des [Pflegezentrums] vom 9. August 2022 (BAS 104 f.); - Verlaufsbericht des [Pflegezentrums] vom 4. November 2022 (BAS 132 ff.); - Therapiezwischenbericht der [Psychiatrischen Universitätsklinik R.___], vom 7. November 2022 (BAS 137 ff.).
7. Mit Verfügung vom 24. August 2022 wurden die Parteien auf den 7. Dezember 2022 zur Fortsetzung der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht vorgeladen, anlässlich welcher eine ergänzende zweite Befragung des Beschuldigten erfolgte (Audio-Dokument: BAS 152; Einvernahmeprotokoll: BAS 153 ff.).
II. Sachverhalt und rechtliche Würdigung
1. Mit Anklageschrift vom 5. Januar 2021 (nachfolgend AKS) werden dem Beschuldigten folgende Vorhalte gemacht:
2. 2.1 Die angeklagten Sachverhalte sind nicht bestritten und rechtsgenüglich nachgewiesen. Dazu und auch zur rechtlichen Würdigung, die zu keinen besonderen Bemerkungen Anlass gibt, kann – mit einer Ausnahme (vgl. nachfolgende Ziff. II.2.4) – vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (vgl. US 6 - 18; Akten Vorinstanz S. 125 - 137, im Folgenden: VI AS 125 - 137).
2.2 In Bezug auf den Raubtatbestand ist offensichtlich, dass der angeklagte Sachverhalt – im Parteivortrag vor Amtsgericht ausdrücklich so anerkannt (VI AS 081) – die für die Erfüllung des Raubtatbestandes erforderlichen Nötigungsmittel enthält: Der Beschuldigte warf der Geschädigten einen (wenn auch leichten) Kartonständer an, packte sie am Arm und schupste sie in eine Ecke. Danach schlug er sie mindestens einmal mit der Hand resp. dem Handballen der Faust gegen ihr linkes Auge bzw. gegen die linke Augenbraue (Augenprellung) und zog sie an den Haaren. Er drohte der Geschädigten mit den Worten, er wisse, wann der Laden schliesse, wo ihr Kind sei und er werde ihre Familie umbringen. Wenn der Beschuldigte vortragen lässt, er habe in einem Akt von Selbstverteidigung und nach Provokation gehandelt, widerspricht dies klar dem Beweisergebnis: Der Beschuldigte wollte aus Ärger, dass er mangels genügend Geld keine Zigaretten erhielt, drei Bierbüchsen ohne Bezahlung mitnehmen. Auf den Zuruf der Geschädigten reagierte er in der genannten Weise, um die gestohlene Sache zu behalten, was ihm auch gelungen ist. Dabei hat er auch mit direktem Vorsatz gehandelt.
Die Vorinstanz hat dieses Verhalten in rechtlicher Hinsicht unter den Tatbestand des räuberischen Diebstahls subsumiert (US 128). Dem hält die Staatsanwaltschaft vor Obergericht entgegen, es komme der Grundtatbestand des Raubes zur Anwendung, denn erst die Nötigungshandlungen hätten im vorliegenden Fall den Diebstahl ermöglicht. Der Beschuldigte habe noch keinen neuen Gewahrsam begründen, als er am Kiosk die drei Bierdosen behändigt habe. Vielmehr seien die Nötigungshandlungen dem Gewahrsamsbruch in zeitlicher Hinsicht vorausgegangen.
Zur Abgrenzung des Grundtatbestandes des Raubes (Art. 140 Ziffer 1 Abs. 1 StGB) zum räuberischen Diebstahl (Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) ist Folgendes entscheidend: Räuberischer Diebstahl liegt nach Vollendung, aber vor Beendigung des Diebstahls («auf frischer Tat ertappt») vor. Wenn also der Ladendetektiv den Beschuldigten draussen beim Ausgang, d.h. ausserhalb des Ladenlokals, anhält und sich dieser wehrt, ist das kein räuberischer Diebstahl (mehr), da der Diebstahl schon beendet war (Urteil des Bundesgerichts 6B_409/2021 E. 1.3.2). In E. 1.2.2 dieses Urteils wird auch Folgendes ausgeführt: «In Bestätigung dieser Rechtsprechung wurde in BGE 98 IV 83 (E. 2a und b) erwogen, vorliegend habe sich die Täterin von dem Augenblick an des Diebstahls schuldig gemacht, als sie die zwei Kleidungsstücke in der Plastiktasche in der Absicht versteckt habe, sie sich anzueignen. Zur Beendigung des Delikts gehöre aber auch die unbemerkte Fortschaffung der weggenommenen Ware aus dem Laden ohne Bezahlung. Die Beteiligung des Gehilfen sei dabei – so das Bundesgericht im Weiteren (E. 2c) – so lange möglich, als die Tat noch nicht beendet sei, d.h. als nach einem rechtlich vollendeten Delikt durch das nachfolgende Verhalten des Täters das verletzte Rechtsgut weiterhin beeinträchtigt werde. Im Zeitraum zwischen der rechtlichen Vollendung des Diebstahls und der tatsächlichen Beendigung des Delikts beim Verlassen des Geschäfts sei Gehilfenschaft somit möglich gewesen.». In BGE 98 IV 83 hatte die Beschuldigte die Pullover in ihre Tasche gesteckt und war dabei von zwei Verkäuferinnen beobachtet und direkt nach der Kasse gestellt worden. Der dabei intervenierende Ehemann wurde wegen Gehilfenschaft zum Diebstahl verurteilt. Das Bundesgericht segnete das ab und sagte in E. 2b: «Im vorliegenden Fall machte sich Anna Schaller von dem Augenblick an des Diebstahls schuldig, als sie die zwei Kleidungsstücke in der Plastiktasche in der Absicht versteckte, sie sich anzueignen. Zur Beendigung des Deliktes gehörte aber auch die unbemerkte Fortschaffung der weggenommenen Ware aus dem Laden ohne Bezahlung.»
Nach dem unbestritten gebliebenen Beweisergebnis der Vorinstanz (US 128) hat der Beschuldigte die drei Bierdosen behändigt und statt den Kassenbereich den Ausgangsbereich des Kiosks angesteuert. Der Beschuldigte hat demnach die fremden Sachen ergriffen und sich zugleich die Möglichkeit der Wegschaffung verschafft. Nach der herrschenden Apprehensionstheorie (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6S.327/2006 E. 2.3) hat der Beschuldigte alleine schon mit dem Ergreifen der fremden Sache neuen (vorliegend eigenen) Gewahrsam begründet. Dass er die Bierdosen «nicht wirklich versteckt» (vgl. US 128) hat, ist nach der herrschenden Lehre (a.M. Marcel Alexander Niggli/Christof Riedo in: Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Strafrecht, 4. Auflage, Basel 2019, nachfolgend zitiert «BSK StGB», Art. 139 StGB N 65) nicht entscheidend. Noch bevor der Beschuldigte das Kioskgeschäft mit dem Diebesgut verlassen konnte, ertappte die Verkäuferin den Beschuldigten (mithin «auf frischer Tat»), worauf dieser Nötigungsmittel (Anwendung von Gewalt, Drohungen) gegen die Verkäuferin einsetzte. Somit findet vorliegend (vollendeter, aber nicht beendeter Diebstahl zum Zeitpunkt der Intervention der Verkäuferin) Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB Anwendung.
2.3 Auch hinsichtlich des Vorfalls vom 30. Oktober 2019 ist die rechtliche Würdigung der Vorinstanz zu bestätigen: Wer eine Frau auf die Sitzbank des Zuges zurückdrängt, sich vor ihr aufbaut und zwei Mal die Faust aufzieht, als würde er sie sogleich schlagen, erfüllt den Straftatbestand der Drohung objektiv und subjektiv. Dass die Geschädigte es wagte, den Beschuldigten danach noch zu fotografieren, ändert daran nichts. Das unterzeichnete Formular «Strafantrag» erfüllt die Anforderungen von Art. 30 Abs. 1 StGB, auch wenn versehentlich das Kreuz bei der Verfolgung «sämtlicher in Frage kommender Tatbestände» nicht gesetzt wurde.
2.4 Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz einzig hinsichtlich der Qualifikation des Wurfs der glühenden Zigarette: Wer einem Menschen aus einer Distanz von 30 cm eine brennende Zigarette ins Gesicht wirft und das Auge trifft, nimmt als Folge eine einfache Körperverletzung (Brandwunde, Augenverletzung) in Kauf. Dieses Verhalten ist somit als versuchte einfache Körperverletzung (und nicht lediglich als Tätlichkeit) zu qualifizieren.
III. Schuldfähigkeit
1. 1.1 War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar (Art. 19 Abs. 1 StGB).
Das Bundesgericht hält zur Schuldfähigkeit Folgendes fest (6B_1363/2019 vom 19.11.2020 E. 1.2.2): «Schuldfähigkeit setzt gemäss Art. 19 Abs. 1 StGB Einsichts- und Steuerungsfähigkeit voraus. Die Steuerungsfähigkeit (auch Bestimmungsfähigkeit) betrifft damit das Vermögen, Handlungsimpulse zu hemmen (THOMMEN/HABERMEYER/GRAF, tatenlose Massnahmen?, sui generis 2020, N. 15 S. 332). Die im Gesetz ausdrücklich erwähnte Steuerungsfähigkeit ermöglicht es, Fällen mangelnden Hemmungsvermögens gerecht zu werden (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I: Die Straftat, 4. Aufl. 2011, § 11 N. 8 und 23). Art. 19 Abs. 1 StGB schweigt sich – anders als aArt. 10 StGB – zu den Gründen für die Beeinträchtigung der Einsichts- Steuerungsfähigkeit aus. Dennoch kommen auch unter geltendem Recht nur Fälle psychischer Anomalien als Schuldausschlussgründe im Sinne von Art. 19 StGB in Betracht (STRATENWERTH, a.a.O., § 11 N. 15; FELIX BOMMER, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl. 2019, vor Art. 19 StGB N. 11 f.).»
Die verminderte Schuldfähigkeit betrifft wie die Schuldunfähigkeit einen Zustand des Täters (BGE 134 IV 132 E. 6.1 S. 136). In welchem Zustand sich dieser zur Tatzeit befand, ist Tatfrage (Urteil 6B_1029/2019 vom 10.2.2020 E. 1.3.2). Ob das Gericht die im Gutachten (vgl. Art. 20 StGB) enthaltenen Erörterungen für überzeugend hält nicht und ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen der Experten folgen will, ist mithin eine Frage der Beweiswürdigung, welche das Bundesgericht nur unter Willkürgesichtspunkten prüft (Urteile 6B_1028/2019 vom 19.12.2019 E. 2.3.1; 6B_428/2018 vom 31.7.2019 E. 2.3.2; 6B_1323/2018 vom 12.6.2019 E. 3.3). Rechtsfrage ist hingegen, ob die Vorinstanz die Begriffe der verminderten Schuldfähigkeit bzw. der Schuldunfähigkeit richtig ausgelegt und angewendet hat (BGE 107 IV 3 E. 1a S. 4; Urteile 6B_202/2017 vom 23.8.2017 E. 2.2.1; 6B_450/2016 vom 19.1.2017 E. 2.2).
1.2 Besteht ernsthafter Anlass, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln, so ordnet die Untersuchungsbehörde das Gericht die sachverständige Begutachtung durch einen Sachverständigen an (Art. 20 StGB). Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei (Art. 10 Abs. 2 StPO). In Fachfragen darf es davon indes nicht ohne triftige Gründe abweichen, und Abweichungen müssen begründet werden. Auf der anderen Seite kann das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen (vgl. Art. 189 lit. a StPO) gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen (BGE 146 IV 114 E. 2.1 S. 118; 142 IV 49 E. 2.1.3 S. 53; 141 IV 369 E. 6.1 S. 372 f.). Ein Gutachten stellt namentlich dann keine rechtsgenügliche Grundlage dar, wenn gewichtige, zuverlässig begründete Tatsachen Indizien die Überzeugungskraft des Gutachtens ernstlich erschüttern. Das trifft etwa zu, wenn der Sachverständige die an ihn gestellten Fragen nicht beantwortet, wenn er seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen nicht begründet diese in sich widersprüchlich sind wenn die Expertise sonst wie an Mängeln krankt, die derart offensichtlich sind, dass sie auch ohne spezielles Fachwissen erkennbar sind (BGE 142 IV 49 E. 2.1.3 S. 53; 141 IV 369 E. 6.1 S. 373). Die enge Bindung des Gerichts an das Gutachten entfällt auch, wenn mehrere einander widersprechende Gutachten vorliegen. Widersprechen sich zwei mehrere Gutachten, muss das Gericht in freier Würdigung der Gutachten darüber befinden, auf welches Gutachten abzustellen ist (BGE 144 IV 345 E. 2.2.3.1 S. 350; 107 IV 7 E. 5 S. 8; Urteile 6B_35/2017 vom 26.2.2018 E. 7.2.1; 6B_648/2014 vom 28.1.2015 E. 4.2, nicht publ. in: BGE 141 IV 34; 6B_547/2014 vom 21.7.2014 E. 1.1 und 1.4). Das Gericht ist nicht verpflichtet, seiner Beweiswürdigung in Anwendung des Grundsatzes «in dubio pro reo» das für den Beschuldigten günstigere Gutachten zugrunde zu legen, wenn ein anderes Gutachten seines Erachtens überzeugender ist (vgl. BGE 144 IV 345 E. 2.2.3.1 S. 350; Urteil 6B_547/2014 vom 21.7.2014 E. 1.4.4 und 1.4.6). Das Bundesgericht anerkennt in seiner Rechtsprechung zudem, dass bei der Begutachtung im Grundsatz Methodenfreiheit besteht. Die Wahl der Methode muss aber begründet sein. Die wissenschaftlichen Standards müssen eingehalten und die Schlussfolgerungen transparent sowie für die Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar dargestellt werden (vgl. BGE 128 I 81 E. 2 S. 85; Urteil 6B_828/2018 vom 5.7.2019 E. 6.4). Um die Nachvollziehbarkeit und Transparenz zu gewährleisten, hat der Sachverständige im Gutachten umfassend darzulegen, wie und weshalb er zu den von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt (Urteile 6B_828/2018 vom 5.7.2019 E. 6.2; 6B_424/2015 vom 4.12.2015 E. 2.3).
1.3 Grund für eine fehlende Schuldfähigkeit können in erster Linie sehr schwere psychische Störungen sein, wie folgende psychiatrische Diagnosen: schwere hirnorganische Störungen, exogen entstandene Psychosen, schizophrene und affektive Psychosen, in Ausnahmefällen auch sehr schwere andere psychische Störungen, wenn sie in ihren forensisch relevanten Auswirkungen einer Psychose gleichkommen (dazu und im Folgenden: Felix Bommer/Volker Dittmann in: BSK StGB, Art. 19 StGB N 29, 32 und 38 f.).
Die Beurteilung akuter Stadien von Schizophrenien und wahnhaften Störungen bereiten forensisch kaum Probleme. Menschen, die unter dem Einfluss eines Wahns handeln und diesen mehr minder hilflos ausgeliefert sind, deren Handeln von imperativen Stimmen vorgeschrieben wird, sind in der Regel schuldunfähig. Eine quasi reflektorisch-kurzschlüssige Begutachtung, wonach die Diagnose einer Psychose automatisch zu Schuldunfähigkeit führt, ist jedoch unzulässig, es muss immer auf die zugrunde liegende Symptomatik abgestellt werden, da es gerade auch bei schizophrenen Störungen Verlaufsformen und Stadien gibt, in denen keine schwere Beeinträchtigung vorliegt. Diagnostisch umstrittene Kategorien wie «latente» Schizophrenie sollten im Rahmen der Begutachtung ebenso vermieden werden wie die Ausweichdiagnose «Borderline». Diagnostik und forensisch-psychiatrische Beurteilung haben sich an den psychopathologischen Symptomen und den Kriterien der ICD-10 zu orientieren. Dann ist zunächst zu fragen, ob die feststellbare Symptomatik überhaupt einen Bezug zur Delinquenz aufweist. Schliesslich ist darzulegen, wie das Verhalten des Betreffenden ausserhalb des Delinquenzbereiches und in vergleichbaren Situationen gewesen ist. Sodann ist auf die Komorbidität mit anderen Störungen zu achten, insbesondere auf Substanzmissbrauch und Persönlichkeitsstörungen, die das Risiko für delinquentes und gewalttätiges Verhalten bei Schizophrenen deutlich erhöhen. Aggressives und gewalttätiges Verhalten von Schizophrenen und Wahnkranken kann viele Ursachen haben, diese sind soweit als möglich im Gutachten herauszuarbeiten. Wesentlich schwieriger als die Beurteilung der Einsichtsfähigkeit ist die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit, die sich naturgemäss nicht direkt messen lässt. Eine Einschätzung kann sich aber ergeben aus dem Gesamtverhalten vor, während und nach der Tat. Dass der Täter «nicht anders hätte handeln können», ist keine überzeugende Argumentation, denn dies ist – abgesehen von der physischen Unmöglichkeit einer bestimmten Handlung – wissenschaftlich nie zu begründen. Ein überzeugendes Gutachten zur Schuldfähigkeit zeichnet sich auch dadurch aus, dass nicht ausschliesslich auf Psychopathologie und Verhaltensabnormität abgestellt wird, sondern dass für den fraglichen Zeitraum auch herausgearbeitet wird, welche Fähigkeiten dem Betreffenden noch zur Verfügung standen, um so das Ausmass der Beeinträchtigung quasi vom oberen und unteren Rand der Schwereskala her einzugrenzen. Die Schuldunfähigkeit ist in sachlicher, zeitlicher und persönlicher Hinsicht relativ: Sie muss sich stets auf die konkrete Straftat beziehen, im Zeitpunkt der Tatbegehung vorliegen und beim konkreten Täter vorliegen.
Bestehen Zweifel, ob noch Reste von Schuldfähigkeit vorhanden waren, und lassen sie sich in der richterlichen Überzeugungsbildung nicht beseitigen, so hat in Anwendung des Zweifelssatzes ein Freispruch zu ergehen; die Annahme bloss verminderter Schuldfähigkeit ist in diesem Fall unzulässig (Felix Bommer/Volker Dittmann, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Auflage 2019, Art. 19 StGB N 51 mit Hinweisen).
2. 2.1 Das umfangreiche und schlüssige forensisch-psychiatrische Gutachten von Dr. M.___ vom 17. August 2020 (AS 204.10 ff.) kommt zusammengefasst zu folgenden Ergebnissen:
- Für die tatrelevanten Zeiträume seien beim Beschuldigten eine paranoide Schizophrenie (ICD-10 F20.0) und eine Abhängigkeit von multiplen Substanzen (ICD-10 F19.2) zu diagnostizieren. - Für die vorgehaltenen Delikte – mit Ausnahme der Konsumhandlungen von Kokain und Heroin am 2. Dezember 2019 – sei auf eine weitgehend aufgehobene Steuerungsfähigkeit und damit Schuldunfähigkeit des Beschuldigten zu schliessen.
2.2 Die gestellten Diagnosen sind grundsätzlich unbestritten und werden im Gutachten überzeugend begründet. In Bezug auf die paranoide Schizophrenie wird festgehalten, dass der Beschuldigte seit mindestens 17 Jahren unter akustischen Halluzinationen mit zum Teil eindeutig kommentierenden Stimmen, erheblichen bis hin zu schwersten formalen Denkstörungen und Störungen des Ich-Erlebens (Fremdbeeinflussungserleben) leide. Zwischen 2004 und 2019 kam es zu insgesamt 32 stationären Hospitalisationen des Beschuldigten alleine bei der [psychiatrischen Klinik]. Bereits im Frühjahr 2003, im Alter von 20 Jahren, habe eine floride psychotische Symptomatik bestanden. Ob der damalige Cannabiskonsum – bei bestehender Prädisposition – zum Ausbruch der Erkrankung geführt habe dieser als Reaktion im Sinne eines untauglichen Selbstbehandlungsversuchs bei sich anbahnender Erkrankung zu werten sei, könne nicht beantwortet werden und sei auch nicht erheblich. Ausser Frage stehe jedoch, dass sich Krankheitsentwicklung und Substanzkonsum gegenseitig ungünstig beeinflusst hätten. Bei Absetzen der antipsychotischen Medikation habe sich die Lage jeweils deutlich verschlimmert mit zunehmender Verwahrlosung des Beschuldigten. Dies sei auch im Jahr 2019 im Vorfeld der zu beurteilenden Delikte so gewesen. Man habe beim Austritt aus der Klinik Mitte September 2019 wohl ein umfassendes Konzept (eigene Wohnung, Psychiatrie-Spitex, Wohnbegleitung, Tagesbeschäftigung und Medikamentenabgabe durch die Hausärztin) erarbeitet, wegen fehlender Kooperation des Beschuldigten habe dieses aber nicht umgesetzt werden können. Nachdem der Beschuldigte die antipsychotische Medikation abgesetzt gehabt habe, sei es rasch zu den fraglichen Delikten gekommen. Bei der paranoiden Schizophrenie handle es ich um eine psychische Störung «schwersten Ausprägungsgrades» (AS 204.79).
Im Therapieverlaufsbericht der [psychiatrischen Klinik] vom 30. Mai 2022 (BAS 43 - 47) werden die vom Gutachter gestellten Diagnosen bestätigt.
Beim Beschuldigten sind viele stationäre Aufenthalte in [einer Psychiatrischen Klinik] dokumentiert. Bereits im psychiatrischen Gutachten, welches am 4. September 2013 von Dr. med. N.___ erstellt worden war, stellte der Gutachter fest, der Beschuldigte leide seit seiner Adoleszenz an einer paranoiden Schizophrenie (AS 352 ff.).
2.3 In Bezug auf die Schuldfähigkeit wird im Gutachten ausgeführt (AS 204.58 ff.): Ein Zusammenhang zu den vorgeworfenen Straftaten liege vorwiegend mit der paranoiden Schizophrenie und den damit verbundenen formalen Denkstörungen sowie den affektiven Auffälligkeiten und Verhaltensauffälligkeiten vor. Ein sicherer Zusammenhang zu einem wahnhaften Erleben in den mutmasslich tatrelevanten Zeiträumen könne bei fehlender Mitwirkung des Exploranden nicht hergeleitet werden. Am 30. September 2019 (recte: 30. Oktober 2019) solle der Beschuldigte plötzlich und unvermittelt aus einer Distanz von 30 cm eine brennende Zigarette ins Gesicht der Geschädigten, die ihn auf das Rauchverbot im Zug hingewiesen habe, geworfen und diese dabei ins linke Auge getroffen haben. Der Beschuldigte sei sich nach seinen Angaben des Rauchverbots bewusst gewesen. Ein offensichtlich wahnhaftes Erleben und/oder sonst fehlender Realitätsbezug könne anhand der vorliegenden Informationen dem Beschuldigten in Bezug auf die Tatvorwürfe in den mutmasslich relevanten Tatzeiträumen nicht attestiert werden. Nach seiner Entlassung am 14. September 2019 habe er das angebotene ambulante Nachkonzept nicht wahrgenommen und sei in den Tatzeiträumen nicht mehr medikamentös antipsychotisch behandelt worden. Noch am gleichen Tag - am 30. September 2019 (recte: 30. Oktober 2019) – sei er erneut in die psychiatrische Klinik […] eingewiesen worden, wo er bei Eintritt logorrhoisch, im Kontaktverhalten aggressiv, teils manieriert und bizarr sowie psychomotorisch deutlich unruhig aufgefallen sei. Es hätten formale Denkstörungen (Ideenflüchtigkeit) und inhaltliche Denkstörungen (Verfolgungs- und Beeinträchtigungsideen) sowie optische und akustische Halluzinationen bestanden. Der Beschuldigte dürfte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in den mutmasslich tatrelevanten Zeiträumen in einem ähnlichen Zustand wie bei Klinikeintritt befunden haben. Auch wenn nicht von einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit auszugehen sei, lasse der abrupte Tatablauf ohne Sicherungsvorkehrungen vor Entdeckung sowie der im Anschluss beschriebene Zustand des Beschuldigten eine weitgehend aufgehobene Steuerungsfähigkeit in Bezug auf die ihm vorgeworfenen Taten schliessen. Hierin sei ein klarer Zusammenhang zwischen den Tatvorwürfen und der beim Beschuldigten festgestellten schweren psychischen Störung – der paranoiden Schizophrenie – zu sehen.
Am 6. November 2019 sei der Beschuldigte von der Station der Klinik entwichen und untergetaucht. Danach sei am 10. November 2019 der Vorfall im Ladenlokal «E.___» passiert. Der Beschuldigte dürfte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in den mutmasslich tatrelevanten Zeiträumen in einem ähnlichen Zustand wie beim Klinikeintritt am 30. Oktober 2019 befunden haben. Ein fehlender Realitätsbezug im Zusammenhang mit den ihm vorgeworfenen Straftaten sei jedoch nicht zwangsläufig abzuleiten. Die mutmassliche Tatbegehung sei jedoch wenig einfühlbar, zumal der Beschuldigte von aussen betrachtet die finanziellen Möglichkeiten gehabt hätte, ohne Diebstähle auszukommen. Auch wenn man nicht von einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit ausgehe, lasse der abrupte mutmassliche Tatablauf ohne Sicherheitsvorkehren vor Entdeckung und die Impulsivität des Verhaltens vor dem Hintergrund der schweren psychischen Störung auf eine weitgehend aufgehobene Steuerungsfähigkeit in Bezug auf die ihm vorgeworfenen Taten schliessen. Hierin sei wiederum ein klarer Zusammenhang zwischen den Tatvorwürfen und der beim Beschuldigten festgestellten schweren psychischen Störung zu sehen.
Am 2. Dezember 2019 sei es zum Vorfall im Kiosk in [Ort 1] gekommen. Auch in diesem Fall könne dem Beschuldigten ein offensichtlich wahnhaftes Erleben und/oder sonstiger fehlender Realitätsbezug anhand der vorliegenden Informationen in Bezug auf die Tatvorwürfe in den mutmasslich tatrelevanten Zeiträumen nicht attestiert werden. Davon zeuge auch sein Verhalten wenige Stunden nach den mutmasslichen Taten, als er bei einer Bekannten festgenommen worden sei, wonach er unaufgefordert mündlich angegeben habe, vorhin im Kiosk beim Bahnhof eine Auseinandersetzung gehabt zu haben; dabei habe er auch noch Bier entwendet. Es sei jedoch auch in diesem Fall festzuhalten, dass sich der Beschuldigte in den mutmasslich tatrelevanten Zeiträumen in einem ähnlichen Zustand wie beim Klinikeintritt am 30. Oktober 2019 befunden haben dürfte. Auch wenn man nicht von einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit ausgehe, lasse der abrupte mutmassliche Tatablauf ohne Sicherheitsvorkehren vor Entdeckung sowie der im Anschluss beschriebene Zustand des Beschuldigten, der den Polizisten als deutlich auffällig erschienen sei, auf eine weitgehend aufgehobene Steuerungsfähigkeit in Bezug auf die ihm vorgeworfenen Taten schliessen. Hierin sei wiederum ein klarer Zusammenhang zwischen den Tatvorwürfen und der beim Beschuldigten festgestellten schweren psychischen Störung zu sehen. Ob der Beschuldigte dabei auch unter dem Einfluss von Alkohol und/oder Drogen gestanden sei, sei in diesem Fall im Zusammenhang mit der Beurteilung der Schuldfähigkeit von sekundärer Relevanz.
2.4 Vor dem Berufungsgericht äusserte sich der Experte wie folgt:
Aufgrund der erhaltenen Unterlagen habe er keine Korrekturen am Gutachten anzubringen. Sehr auffällig sei aus seiner Sicht, dass es dem Beschuldigten deutlich besser gehe als vor etwa zwei Jahren, als er diesen untersucht habe. Damals sei die Untersuchung sehr schwierig gewesen, da der Beschuldigte damals sehr schwere Symptome der Grunderkrankung gehabt habe, da sein Denkablauf deutlich gestört gewesen sei. Heute zeige sich ein ganz anderes Bild. In Bezug auf die Ordnung des formalen Denkablaufes sei er heute klarer und geordneter. (Zur Frage der Schuldunfähigkeit und der im Gutachten verwendeten Formulierung, die Steuerungsfähigkeit sei «weitgehend aufgehoben» gewesen, ein offensichtlich wahnhaftes Erleben ein anderer fehlender Realitätsbezug sei anhand der vorliegenden Informationen in Bezug auf die Tatvorwürfe nicht nachgewiesen) Wenn man als forensischer Psychiater von «psychotisch» spreche, seien darunter nicht nur Wahnsymptome zu verstehen, diese bildeten nur einen Teilbereich. Die Schizophrenie habe grundsätzlich auch Einfluss auf das Denken, die Denkabläufe und ebenso Auswirkungen auf das emotionale Erleben und die Fähigkeit, mit Emotionen anderer Menschen umzugehen. Deshalb seien die Impulsivität und das emotionale Erleben von Schizophrenen oft nicht nachvollziehbar. Er habe mit dem Beschuldigten bspw. für die einzelnen Tatzeitpunkte keine sog. Psychodynamik erarbeiten können. Dies sei aufgrund des damaligen Zustandes des Beschuldigten nicht möglich gewesen. Er habe mit dem Beschuldigten kein System erarbeiten können, bei dem ein klarer Zusammenhang mit dem Wahn hervorgetreten sei. Vom Tatablauf her sei ein Realitätsbezug durchaus gegeben gewesen, die Tat sei nicht wahnhaft motiviert gewesen, aber relativ nahe zu den Tatzeiträumen sei er in psychiatrischer Behandlung gewesen. Er sei aus den Kliniken ausgetreten und habe sich nicht an die Vereinbarungen gehalten bzw. habe sich nicht daran halten können. Die Zustandsbilder, die damals in der Klinik beschrieben worden seien, hätten wie seine eigenen Untersuchungen deutliche Auffälligkeiten im Bereich des emotionalen Erlebens und im Bereich der Impulsregulation gezeigt. Sein aggressives Auftreten sei nicht einfühlbar. Aus diesen Gründen habe ihm damals wie heute als sehr wahrscheinlich geschienen, dass der Beschuldigte zu den Tatzeiten in einem ähnlichen Zustand gewesen sei. Es sei aufgrund des Beschwerdebildes eine Schätzung, dass der Beschuldigte – obwohl er gewusst habe, dass er dies nicht habe tun dürfen, also obwohl seine Einsichtsfähigkeit nicht aufgehoben gewesen sei und obwohl er nicht wahnhaft gewesen sei – in seiner Steuerungsfähigkeit schwerwiegend beeinträchtigt gewesen sei. Letztlich sei es eine Schätzung. (Auf Vorhalt, wenn der Gutachter von einer «schwerwiegend beeinträchtigen Schuldfähigkeit» und einer «weitgehend aufgehobenen Schuldfähigkeit» schreibe, bestehe der Eindruck, die Steuerungsfähigkeit sei nicht gänzlich aufgehoben gewesen) Dies könne er nicht ausschliessen. Er habe es mit jemandem zu tun gehabt, der relativ zeitnah in der Klinik gewesen sei und bei dem beim Klinikeintritt deutliche Auffälligkeiten auszumachen gewesen seien. Er selbst habe den Beschuldigten bei den Untersuchungen in einem ähnlichen Zustand erlebt wie in der Klinik beschrieben. Deshalb halte er die Wahrscheinlichkeit für hoch, dass dieser auch in den Tatzeitpunkten in einem ähnlichen Zustand gewesen sei. Das Impulsive der Taten, die Denkstörungen, die affektiven Auffälligkeiten hätten ihn zum Schluss gebracht, die Steuerungsfähigkeit als erheblich eingeschränkt zu beurteilen einzuschätzen. Aber es sei keine «schwarz-weiss»-Entscheidung, er könne keine 100-prozentige Sicherheit geben. Letztlich bleibe es eine Schätzung. Sicher könne er sagen, das Zustandsbild sei schwerer gestört gewesen als bei einer leichten mittelgradigen Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Die nächste Stufe wäre dann eine schwere Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit. (Auf Frage) Er könne ganz einfach nicht mit Sicherheit sagen, ob die Schuldfähigkeit vollumfänglich aufgehoben gewesen sei noch ein geringer Rest der Fähigkeit, anders zu handeln, bestanden habe. Daher auch die sprachliche Ungenauigkeit. (Auf Frage) Betreffend die BetmG-Widerhandlungen hänge die Einschränkung der Schuldfähigkeit von der Suchterkrankung ab. Hier bleibe er bei seiner Einschätzung einer mittel- bis schwergradigen Einschränkung. Er habe mit der «weitgehend aufgehobenen Schuldfähigkeit» zum Ausdruck bringen wollen, dass es sich um eine sehr schwere und erhebliche Störung handle und auch der Zustand des Beschuldigten erheblich gestört gewesen sei, was sich im Ausdruck «weitgehend» niederschlage. (Auf die Frage, warum er trotz dem Eintrittsbericht 2019, welcher Denkstörungen, Halluzinationen etc. festhalte, von einer erhaltenen Einsichtsfähigkeit ausgehe) Er könne mangels genauerer Informationen keine Deliktsdynamik herstellen. Deshalb könne er nicht sagen, die Einsichtsfähigkeit sei aufgehoben gewesen. Er könne aber auch das Gegenteil nicht sagen. Er sei aber vom Denkansatz ausgegangen, dass es sich bei der Aufhebung der Einsichtsfähigkeit um den Ausnahmefall handle und das müsste er belegen können, um davon ausgehen zu können/dürfen. Diesen Ausnahmefall könne er aber nicht belegen. (Auf die Frage nach den detaillierten Aussagen des Beschuldigten in der tatnächsten Einvernahme) Das spreche zumindest dafür, dass die Einsichtsfähigkeit zur Tatzeit noch erhalten gewesen sei. Bei der Steuerungsfähigkeit sei Folgendes zu beachten: Man sehe das sprunghafte Denken, die Auffälligkeiten im emotionalen Erleben sowie das Abrupte, Impulsive, nicht Einfühlbare. All diese Faktoren sprächen für eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Das schliesse sich nicht aus mit dessen Angaben anlässlich der ersten Einvernahme. Zwingende Rückschlüsse liessen sich daraus nicht ziehen. (Auf die Frage der Verteidigung, ob er eine vollständig aufgehobene Schuldfähigkeit ausschliessen könne) Nein, das könne er nicht. Es sei letztlich eine juristische Fragestellung.
2.5 Zur Abgrenzung zwischen schwergradig reduzierter und aufgehobener Schuldfähigkeit und zur Aufgabenverteilung zwischen Gutachter und Gericht hat sich das Bundesgericht im Entscheid 6B_1363/2019 vom 19. November 2020. E. 1.6 f., wie folgt geäussert:
« 1.6.1. Der Sachverständige muss im Gutachten den ‘biologisch-psychologischen’ Zustand des Täters beurteilen. Das Gutachten soll Klarheit über das Vorliegen einer psychischen Störung geben und die Frage beantworten, ob und wie sich diese auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BOMMER, a.a.O., N. 33 zu Art. 20 StGB; Urteil 6B_1092/2009 vom 22. Juni 2010 E. 3.1). Daraus leitete die frühere Lehre eine Pflicht des Gutachters zur ‘normativen Abstinenz’ ab, d.h. eine Absage an Schlussfolgerungen des Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit im Sinne des StGB (BOMMER, a.a.O., N. 33 zu Art. 20 StGB mit Hinweisen). Nach der heute vorherrschenden Lehre und Rechtsprechung hat sich der psychiatrische Sachverständige auch über den Grad der Verminderung der Schuldfähigkeit auszusprechen (BGE 119 IV 120 E. 2a in fine S. 123 mit Hinweis; Urteil 6B_650/2011 vom 10. April 2012 E. 3.4; 6S.407/2002 vom 28. September 2003 E. 2.3; BOMMER, a.a.O., N. 34 Art. 20 StGB). Dem Gutachter ist es daher nicht untersagt, seinen Befund in die juristischen Fachbegriffe zu kleiden (BOMMER, a.a.O., N. 34 Art. 20 StGB). Auch wenn die Frage der Schuldfähigkeit im Sinne des StGB eine rechtliche Würdigung enthält und letztlich vom Richter zu entscheiden ist (vgl. BGE 136 IV 55 E. 5.6 S. 61; 107 IV 3 E. 1a S. 4; siehe auch oben E. 1.2.4.2), masst sich der Gutachter damit keine richterlichen Befugnisse an. Der Richter darf das Gutachten und die darin enthaltene Beurteilung der Schuldfähigkeit jedoch nicht unbesehen übernehmen (vgl. zum Ganzen BOMMER, a.a.O., N. 34 zu Art. 20 StGB). Er hat das psychiatrische Gutachten zur Schuldfähigkeit rechtlich zu würdigen, wobei er diesbezüglich grundsätzlich frei und nicht an die Schlussfolgerungen des Gutachtens gebunden ist (BGE 136 IV 55 E. 5.6 S. 61 mit Hinweis).
1.6.2. Zwischen voller Schuldfähigkeit und völliger Schuldunfähigkeit sind kontinuierliche Abstufungen denkbar (BGE 134 IV 132 E. 6.1 S. 135). Ob gestützt auf die gutachterlichen Erkenntnisse von einer vollen verminderten Schuldfähigkeit bzw. von aufgehobener Schuldfähigkeit auszugehen ist, beinhaltet nach der herrschenden Lehre auch eine normative Komponente bzw. einen normativen Schritt. In der forensischen Psychiatrie wird dies zum einen damit begründet, dass die Grenze, bis zu welchem Ausmass Einsicht in das Unrecht einer Handlung erwartet und in welchem Umfang Selbststeuerung von einem Menschen verlangt werden kann, eine rein normative Entscheidung sei; zum anderen sei es mit empirischen Methoden nicht möglich, eindeutige Aussagen zum Ausmass psychischer Beeinträchtigungen über einen bereits lange vergangenen Zeitpunkt zu machen (MÜLLER/NEDOPIL, Forensische Psychiatrie, 5. Aufl. 2017, Ziff. 4.1.2 S. 41). Positiv feststellen lässt sich nach der herrschenden Lehre zudem nur die Einsichtsfähigkeit. Die Steuerungsfähigkeit bzw. die generelle Existenz von Willensfreiheit lässt sich mit wissenschaftlichen (empirischen) Mitteln demgegenüber nicht messen. Die Steuerungsfähigkeit positiv feststellen zu wollen, läuft nach dieser Lehre auf einen Nachweis der Willensfreiheit hinaus, den es nicht gegeben kann (STRATENWERTH, a.a.O., § 11 N. 23; WOLFGANG WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 4. Aufl. 2020, N. 5 zu Art. 19 StGB; BOMMER, a.a.O., N. 7, 9 und 18 vor Art. 19 StGB; DANIEL SCHMID, Krank böse?, die Schuldfähigkeit und die Sanktionenindikation dissozial persönlichkeitsgestörter Straftäter und delinquenter ‘Psychopaths’ sowie die Zusammenarbeit von Jurisprudenz und Psychiatrie bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit, 2009, S. 198 f.; MARTIN KIESEWETTER, Delinquenz und forensische Psychiatrie, ZStrR 3/2010 S. 318 ff., S. 324 f.). Die Lehre anerkennt daher, dass es sich bei der Beurteilung der Steuerungsfähigkeit im Wesentlichen um eine normative Zuschreibung handelt, welche nicht auf einem individuellen ‘Anders-Handeln-Können’ beruht, sondern sich an der Leitlinie einer ‘massgeschneiderten’ Durchschnittsperson in der gleichen Situation wie der Täter orientiert, welcher nach der Erfahrung Handlungsspielräume zur Verfügung gestanden hätten (BOMMER, a.a.O., N. 18 f. vor Art. 19 StGB; SCHMID, a.a.O., S. 199; KIESEWETTER, a.a.O., S. 324 f.). Ein Ausschluss der Steuerungsfähigkeit ist nur in schweren Fällen sicher möglich. Insofern bleibt ein erheblicher Spielraum für eine normative Entscheidung (STRATENWERTH, a.a.O., § 11 N. 23; WOHLERS, a.a.O., N. 5 zu Art. 19 StGB). In die gleiche bzw. zumindest eine ähnliche Richtung geht der in der Lehre verwendete ‘soziale’ Schuldbegriff. Dieser anerkennt, dass im Schuldmassstab des Strafrechts ein gewisses Mass an Generalisierung steckt, da die Fähigkeit des Täters, sich in der Tatsituation normgemäss zu verhalten, von ihm in bestimmten Grenzen kurzerhand gefordert, das heisst als vorhanden vorausgesetzt wird. Der ‘soziale’ Schuldbegriff soll das Schuldprinzip im Strafrecht allerdings nicht aufheben infrage stellen (STRATENWERTH, a.a.O., § 11 N. 6 und 18). Dass die Frage der Schuldfähigkeit einen juristisch-normativen Beurteilungsspielraum beinhaltet, ist insbesondere in der deutschen Rechtsprechung anerkannt. Bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit ‘erheblich’ im Sinne von § 21 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB/D) ist, handelt es sich nach der höchstrichterlichen deutschen Rechtsprechung um eine Rechtsfrage, die das Tatgericht ohne Bindung an Äusserungen von Sachverständigen zu beantworten hat. Dabei würden normative Erwägungen einfliessen. Die rechtliche Erheblichkeit der Verminderung des Hemmungsvermögens hänge auch von den Ansprüchen ab, die die Rechtsordnung an das Verhalten des Einzelnen stelle (vgl. dazu der Leitsatzentscheid des deutschen Bundesgerichtshofes vom 17. März 2009, 1 StR 627/08, § 15, BGHSt 53, 221, 223). Auch die zu Art. 19 f. StGB ergangene Rechtsprechung betont, dass nicht jede geringfügige Herabsetzung der Fähigkeit, sich zu beherrschen, zur Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit führt (BGE 133 IV 145 E. 3.3 S. 147 f.; Urteil 6B_1096/2019 vom 17. April 2020 E. 1.3). Psychische Auffälligkeiten wie Persönlichkeitsstörungen, Neurosen und sexuelle Verhaltensstörungen sprechen daher nicht zwingend für eine Aufhebung Verminderung der Schuldfähigkeit, auch wenn sie das Verhalten eines Individuums ständig über längere Zeit bestimmen (STRATENWERTH, a.a.O., § 11 N. 18; gleich BOMMER/DITTMANN, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl. 2019, N. 67 f. zu Art. 19 StGB). Auch für das schweizerische Recht gilt daher, dass die rechtlichen Anforderungen an die verminderte Schuldfähigkeit bzw. die Schuldunfähigkeit mitentscheidend sind, ob eine solche bei einer bestimmten Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens gegeben ist. Wo die aus medizinischer Sicht fliessende Grenze zwischen voller und verminderter Einsichts- Steuerungsfähigkeit bzw. zwischen verminderter und fehlender Einsichts- Steuerungsfähigkeit gezogen werden muss, beinhaltet folglich auch eine juristisch-normative Würdigung. Dies steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung, wonach es sich bei der Auslegung und Anwendung der Begriffe der Schuld (un-) fähigkeit und der verminderten Schuldfähigkeit um vom Gericht zu beantwortende Rechtsfragen handelt (oben E. 1.2.4.2 und 1.6.1). Darauf nehmen die amtlichen Gutachter Prof. Dr. H.___ und Dr. G.___ mit ihren Hinweisen auf den ‘normativen’ Beurteilungsspielraum des Gerichts Bezug.
1.7. 1.7.1. Anders als der Sachverständige darf das Gericht bei der Beurteilung des Ausmasses der Verminderung der Schuldfähigkeit auch die Art der Straftaten mitberücksichtigen (Urteil 6B_1092/2009 vom 22. Juni 2010 E. 3.1 in fine). Zu beurteilen ist vorliegend eine versuchte Tötung durch Anwendung von massiver körperlicher Gewalt. Bei solchen schweren Straftaten gegen Leib und Leben sind an eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit hohe Anforderungen zu stellen. Die Vorinstanz setzt den Massstab für die Annahme von Schuldunfähigkeit daher zu Recht hoch an.
1.7.2. Die Frage, ob die Unrechtseinsicht Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen war, hat sich stets auf die konkrete Straftat zu beziehen (BOMMER/DITTMANN, a.a.O., N. 41 zu Art. 19 StGB; STRATENWERTH, a.a.O., § 11 N. 22; WOHLERS, a.a.O., N. 5 zu Art. 19 StGB). Die Annahme einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit sagt nichts darüber aus, ob die tatsächliche Einsicht gegeben war nicht. Die verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst relevant, wenn sie im konkret zu beurteilenden Fall das Fehlen der Einsicht zur Folge gehabt hat (MÜLLER/NEDOPIL, a.a.O., S. 41). Der Gutachter muss sich daher nicht nur nosologisch zur psychischen Störung bzw. zum Krankheitsbild äussern, sondern in seiner Schuldfähigkeitsbegutachtung auch darlegen, wie sich eine allfällige Störung konkret auf die Fähigkeit des Beschuldigten auswirkt, das Unrecht seines (konkreten) Handelns zu erkennen (Einsichtsfähigkeit) und sein Handeln entsprechend zu steuern, d.h. an dieser Erkenntnis auszurichten (BOMMER, a.a.O., N. 34 zu Art. 20 StGB; gleich MÜLLER/NEDOPIL, a.a.O., S. 42). Da sich die Steuerungsfähigkeit naturgemäss nicht direkt messen lässt (oben E. 1.6.2), hat deren Beurteilung anhand des Gesamtverhaltens des Täters vor, während und nach der Tat zu erfolgen (BOMMER/DITTMANN, a.a.O., N. 38 zu Art. 19 StGB; SCHMID, a.a.O., S. 198). Ein Gutachten zur Schuldfähigkeit darf nicht ausschliesslich auf Psychopathologie und Verhaltensabnormität abstellen, sondern muss für den fraglichen Zeitraum auch herausarbeiten, welche Fähigkeiten dem Betreffenden noch zur Verfügung standen (BOMMER/DITTMANN, a.a.O., N. 39 zu Art. 19 StGB mit Hinweis). Ausschlaggebend für die Beeinträchtigung von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit infolge von Trunkenheit ist der psycho-pathologische Zustand (der Rausch), und nicht dessen Ursache, die Alkoholisierung, die sich in der Blutalkoholkonzentration widerspiegelt. Zwischen dieser und darauf beruhender forensisch relevanter Psychopathologie gibt es keine feste Korrelation; stets sind Alkoholgewöhnung, die Tatsituation sowie die weiteren Umstände in die Beurteilung der Schuldfähigkeit einzubeziehen. Im Sinne einer groben Faustregel geht die Rechtsprechung dennoch davon aus, dass bei einer Blutalkoholkonzentration von unter zwei Gewichtspromille in der Regel keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit gegeben ist und dass bei einer solchen von drei Promille und darüber meist Schuldunfähigkeit vorliegt. Bei einer Blutalkoholkonzentration zwischen zwei und drei Promille besteht danach im Regelfall eine Vermutung für die Verminderung der Schuldfähigkeit. Diese Vermutung kann jedoch im Einzelfall durch Gegenindizien umgestossen werden (BGE 122 IV 49 E. 1b S. 50 f.; Urteile 6B_79/2019 vom 5. August 2019 E. 2.3.2; 6B_648/2014 vom 28. Januar 2015 E. 2.2, nicht publ. in: BGE 141 IV 34; je mit Hinweisen). Von einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit kann (aus psychiatrischer Sicht) erst ausgegangen werden, wenn sich psychotische Störungen des Realitätsbezugs feststellen lassen. Dies ist der Fall bei Störungen der Orientierung mit Situations- und Personenverkennung sowie bei Zuständen, die von Halluzinationen Wahnvorstellungen determiniert sind, wie beispielsweise Fehlen der Ansprechbarkeit fehlende Reagibilität auf Aussenreize (Urteile 6B_725/2009 vom 26. November 2009 E. 2.2; 6P.129/2006 vom 4. September 2006 E. 2.4; 6S.17/2002 vom 7. Mai 2002 E. 1c/aa).»
2.6 Unbestritten ist gemäss Gutachten von einer – zumindest teilweise – erhaltenen Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei der Begehung seiner Straftaten auszugehen. Der Gutachter verwendet bei der Beurteilung der Steuerungsfähigkeit hingegen unklare Formulierungen: Bei der zusammenfassenden Fragenbeantwortung am Schluss des Gutachtens wird ausgeführt, der abrupte Tatablauf ohne Sicherungsvorkehren vor Entdeckung sowie der im Anschluss beschriebene Zustand des Exploranden liessen auf eine «weitgehend aufgehobene Steuerungsfähigkeit» und damit der Schuldunfähigkeit in Bezug auf die ihm vorgeworfenen Taten schliessen. Diese Unklarheit konnte auch bei der ausführlichen Befragung des Gutachters vor dem Berufungsgericht (vgl. BAS 74 ff.) nicht ausgeräumt werden: Der Gutachter konnte weder das Vorliegen einer «lediglich» schwergradig reduzierten noch einer vollständig aufgehobenen Schuldfähigkeit ausschliessen.
Hinsichtlich des Zustandes des Beschuldigten bei der Begehung der Taten beruft sich der Gutachter primär auf die Beschreibung bei der Einweisung in die Psychiatrische Klinik am 30. Oktober 2019, kurz nach den Vorfällen im Zug von Solothurn nach [Ort 2] vom gleichen Tag. Aus den Erwägungen des Entscheides der KESB vom 1. November 2019 zitiert er dazu (AS 204.29): Nach der letzten Entlassung aus der [psychiatrischen Klinik] am 14. September 2019 habe der Beschuldigte die verordnete Medikation eigenständig abgesetzt. Bei der Aufnahme (am 30.10.2019) habe er ein deutliches Pflegedefizit gezeigt. Er sei im Kontaktverhalten aggressiv, manieriert und bizarr gewesen. Zudem bestünden formale Denkstörungen in Form von Ideenflüchtigkeit und Inkohärenz. Aufgrund des Gesundheitszustandes des Beschuldigten sei eine Exploration nur beschränkt möglich gewesen, es ergäben sich Hinwiese auf Verfolgungs- und Beeinträchtigungsideen sowie Ich-Störungen. Halluzinationen seien nicht sicher auszuschliessen. Weiter wird vom Gutachter auf den Rapport der Kantonspolizei Solothurn vom 20. Dezember 2019 Bezug genommen (AS 204.19), wonach der Beschuldigte bei der Anhaltung am 2. Dezember 2019 (nach der Tat im Kiosk in [Ort 1]) mündlich angegeben habe, er habe vorhin im Kiosk beim Bahnhof in [Ort 1] eine Auseinandersetzung gehabt und dabei auch Bier entwendet. Der Beschuldigte habe sich gegenüber der Patrouille psychisch auffällig verhalten. Er habe beispielsweise erwähnt, dass die Amerikaner mit der Frau vom Kiosk zusammenarbeiten würden, und erneut Drohungen gegenüber der mutmasslich Geschädigten geäussert. Durch die Patrouille habe mit ihm kein vernünftiges Gespräch geführt werden können.
Diese Zustandsannahmen des Gutachters sind grundsätzlich schlüssig und nachvollziehbar, auch wenn der Kontakt mit der Polizei – nach den Taten - an beiden Tattagen eher zu einer Steigerung der Aufregung beim Beschuldigten geführt haben dürfte. Bedeutsam ist, dass der Gutachter festhält, ein sicherer Zusammenhang mit einem wahnhaften Erleben in den mutmasslich tatrelevanten Zeiträumen könne bei fehlender Mitwirkung des Beschuldigten nicht hergeleitet werden. Da sich in den Akten tatsächlich – mit Ausnahme der polizeilichen Darstellung der vom Beschuldigten geäusserten Vermutung der «Zusammenarbeit der Kiosk-Verkäuferin mit den Amerikanern» – keine Hinweise auf ein wahnhaftes Erleben ergeben, ist davon auszugehen. Dass die «Amerikanergeschichte» beim Vorgang vom 2. Dezember 2019 eine Rolle gespielt haben könnte, ist aber nicht erkennbar. Der Vorfall verlief wohl einigermassen abrupt und zeugt von einer fehlenden Impulskontrolle, ist aber normalpsychologisch erklärbar abgelaufen: Der Beschuldigte wollte Zigaretten kaufen, was ihm die Kioskverkäuferin verwehrte, weil er zu wenig Geld hatte. Danach wollte er drei Bierdosen ohne Bezahlung entwenden und hat der intervenierenden Verkäuferin, welche die Zahlung verlangte, zuerst einen Kartonständer angeworfen, diese danach am Arm gepackt, mindestens einmal gegen ihr Auge geschlagen und in die Ecke geschupst. Gleichzeitig hat er ihr und ihrer Familie gedroht. Ein Zusammenhang mit einer allfälligen Wahnvorstellung (Zusammenarbeit mit den Amerikanern als Grund des gewaltsamen Übergriffs) ist hier – und auch bei den anderen Straftaten – nicht erkennbar. Der Ablauf war auch nicht gänzlich unbegreiflich (Sicherstellung des beabsichtigten Diebstahls). Der Beschuldigte konnte sich beim Eintreffen der Polizei an den Vorgang erinnern und offenbarte ein Unrechtsbewusstsein (er habe eine Auseinandersetzung gehabt und Bier entwendet), was durchaus adäquat war. Zu den gleichen Schlüssen kommt man bei Berücksichtigung des vom Beschuldigten am 3. Dezember 2019 bei der Einvernahme dargelegten Ablaufs (AS 057): Weil ihm die Kioskverkäuferin keine Zigaretten habe verkaufen wollen, habe er extra drei Bier entwendet. Als die Verkäuferin ihn darauf aufmerksam gemacht habe, dass er das Bier bezahlen müsse, sei er wütend geworden und auch verbal ausfällig. Es sei aber nie zu Tätlichkeiten gekommen und die Verkäuferin sei selbst schuld, dass sich der Vorfall ereignet habe. Auch zum Vorfall vom 20. Oktober 2019 im Zug gab er an (AS 088), er sei dabei nicht mal alkoholisiert gewesen. Ja, er sei in den Zug hinein und habe dort eine Zigarette geraucht. Er wisse, dass er damit gegen Schweizer Gesetze verstosse, aber dann sei diese Frau zu ihm gekommen und habe ihm gesagt, er dürfe nicht rauchen. Sie habe dann auch die Polizei angerufen. Sie habe ihn dabei absichtlich provoziert, habe ihn «kleiner Bub» genannt und ihn richtig provoziert. Er habe ihr gesagt, das gehe sie nichts an. Wie das Bundesgericht im zitierten Urteil 6B_1363/2019 in E 1.7.2 ausführt, kann von einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit (aus psychiatrischer Sicht) erst ausgegangen werden, wenn sich psychotische Störungen des Realitätsbezugs feststellen lassen. Dies sei der Fall bei Störungen der Orientierung mit Situations- und Personenverkennung sowie bei Zuständen, die von Halluzinationen Wahnvorstellungen determiniert seien, wie beispielsweise das Fehlen der Ansprechbarkeit fehlende Reagibilität auf Aussenreize. All dies liegt hier nicht vor und zwar hinsichtlich aller Straftaten. Insbesondere in Bezug auf den Vorfall vom 20. Oktober 2019 fällt aufgrund der Aufzeichnungen der Überwachungskamera (AS 081) auf, wie der Beschuldigte nicht nur in der Lage war, situative Veränderungen wahrzunehmen, sondern auch rasch und adäquat darauf zu reagieren: Als zwei Zugpassagiere sich entschlossen, der Geschädigten zu helfen und eingriffen, liess der Beschuldigte sofort von der Geschädigten ab und kehrte zu seinem Sitzplatz zurück. Ebenso unterliess er während der Weiterfahrt das Rauchen.
Das Bundesgericht verlangt für die Annahme von Schuldunfähigkeit ein «die Tat weitgehend dominierendes, hochgradig psychotisches Ereignis» (a.a.O. E. 1.8.1). Von einer völlig aufgehobenen Schuldfähigkeit ist demzufolge bei den vorliegenden Delikten nicht auszugehen. Da beim Beschuldigten eine sehr schwerwiegende psychische Störung vorliegt und er zweifellos an einer massiven Impulskontrollstörung und auch an Denkstörungen leidet, ist von einer schwergradig reduzierten Schuldfähigkeit bei allen Aggressionsdelikten auszugehen (wobei dies bezüglich des geringfügigen Diebstahls vom 10.11.2019 als grosszügig zu erachten ist). Hinsichtlich der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes (Konsum) ist mit dem Experten von einer mittel- bis schwergradigen Einschränkung der Schuldfähigkeit auszugehen. Keine Einschränkung der Schuldfähigkeit ist hinsichtlich des Fahrens ohne gültigen Fahrausweis erkennbar.
2.7 Zu Unrecht beruft sich der Beschuldigte auf den Grundsatz «in dubio pro reo». Das Bundesgericht führt dazu im bereits zitierten Entscheid 6B_1363/2019 in E. 1.9 aus, zwar habe ein Freispruch mangels Schuldfähigkeit auch zu ergehen, wenn an der Schuldfähigkeit beweismässig nicht behebbare Zweifel bestünden und sich daher nicht (mehr) feststellen lasse, ob der Täter zur Tatzeit vermindert schuldfähig ganz schuldunfähig gewesen sei. Vorliegend gehe es jedoch nicht um eine Beweis-, sondern um eine Rechtsfrage, nämlich den normativen Beurteilungsspielraum des Gerichts und die rechtlichen Anforderungen an die Annahme von Schuldunfähigkeit. Der Grundsatz «in dubio pro reo» als Beweiswürdigungsregel gelange insoweit nicht zur Anwendung (Verweis auf das Urteil 6B_922/2018 vom 9.1.2020 E. 4.3). Daraus, dass die Zweitgutachterin unter Hinweis auf den normativen Ermessensspielraum des Gerichts ausgehend von der Innenwelt des Beschwerdeführers auch eine gänzliche Schuldunfähigkeit für möglich halte, lasse sich daher nicht ableiten, die Vorinstanz hätte «in dubio pro reo» von Schuldunfähigkeit ausgehen müssen. Hinzu komme, dass diese für die Annahme von Schuldunfähigkeit auf ein die akute Psychose betonendes Krankheitsbild abstelle, das auf den späteren Aussagen des Beschwerdeführers basiere. Gegenteilige Sachverhaltsfeststellungen zur Dauer und zum Inhalt der Wahnvorstellungen des Beschwerdeführers seien anhand von dessen tatnahen Aussagen indes möglich gewesen. Auch insofern habe kein Raum für eine Anwendung des Grundsatzes «in dubio pro reo» bestanden. Der Beschwerdeführer verkenne, dass der Grundsatz «in dubio pro reo» als Beweiswürdigungsregel das Gericht nicht verpflichte, bei sich widersprechenden Gutachten auf das für ihn günstigste abzustellen. Die Würdigung der Gutachten bleibe vielmehr auch Sache des Gerichts.
2.8 Es sind damit für alle Vorhalte der Anklage entsprechende bzw. (hinsichtlich Ziff. 1 AKS) eventualiter zur Anklage gebrachte Schuldsprüche auszufällen.
IV. Strafzumessung
1. Allgemeines zur Strafzumessung
1.1 Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu (Art. 47 Abs. 1 Satz 1 StGB). Das Verschulden bestimmt sich nach allen objektiven und subjektiven Elementen, namentlich der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden (Art. 47 Abs. 2 StGB; BGE 141 IV 61 E. 6.1.1 S. 66). Das Gericht berücksichtigt zudem das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Art. 47 Abs. 1 Satz 2 StGB; BGE 141 IV 61 E. 6.1.1 S. 66 f.). War der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen gemäss dieser Einsicht zu handeln, so mildert das Gericht die Strafe (Art. 19 Abs. 2 StGB), wobei es nicht an die angedrohte Mindeststrafe gebunden ist (Art. 48a Abs. 1 StGB). Dabei geht es zunächst entgegen dem Wortlaut des Gesetzes nicht um die Herabsetzung einer Strafe, sondern um die Reduktion des Verschuldens. Der Schuldvorwurf, der einem nur vermindert schuldfähigen Täter gemacht werden kann, ist verglichen mit einem voll schuldfähigen Täter geringer. Das Schuldprinzip verlangt deshalb, dass die Strafe für eine in verminderter Schuldfähigkeit begangene Tat niedriger sein muss, als wenn der Täter – unter sonst gleichen Umständen – voll schuldfähig gewesen wäre. Die mildere Strafe ergibt sich aus dem leichteren Verschulden. Wenn das Gesetz in einem verschuldensrelevanten Zusammenhang von Strafmilderung bzw. Strafminderung spricht, so bedeutet dies, dass die Strafe aufgrund des geringeren Verschuldens tiefer auszufallen hat, als wenn keiner dieser Gründe vorläge (BGE 136 IV 55).
1.2 Strafen von bis zu 180 Tageseinheiten sind grundsätzlich in Form einer Geld-strafe auszusprechen (Art. 34 StGB). Das Gericht kann stattdessen auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn (lit. a) eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten, (lit. b) eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann (Art. 41 Abs. 1 StGB). Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen (Art. 41 Abs. 2 StGB). Die Freiheitsstrafe als eingriffsintensivste Sanktion ist nach der gesetzlichen Konzeption somit nach wie vor (auch nach der auf den 1.1.2018 in Kraft gesetzten Revision) «ultima ratio» und kann nur verhängt werden, wenn keine andere, mildere Strafe in Betracht kommt (Botschaft vom 21.9.1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 2043 f. Ziff. 213.132; BGE 138 IV 120 E. 5.2 S. 122 f.; BGE 144 IV 217 vom 30. April 2018 E. 3.3. 3 mit Hinweisen). Nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit sollte bei alternativ zur Verfügung stehenden und hinsichtlich des Schuldausgleichs äquivalenten Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift (BGE 138 IV 120 E. 5.2 S. 122 f. mit Hinweis).
1.3 Hat der Täter durch eine mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht diese angemessen. Es darf dabei jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen. Dabei ist es an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 StGB). Es ist aber methodisch nicht korrekt, den ordentlichen Strafrahmen aufgrund von mehreren Taten in Anwendung von Art. 49 Abs. 1 StGB automatisch zu erweitern (6B_853/2014, E. 4.2.). Die tat- und täterangemessene Strafe ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens der schwersten anzuwendenden Strafbestimmung festzusetzen. Dieser wird durch Strafschärfungs- Strafmilderungsgründe nicht automatisch erweitert. Vielmehr ist der ordentliche Strafrahmen nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint (BGE 136 IV 55 E. 5.8.). Liegen solche Umstände nicht vor, ist der erhöhte Rahmen auch nicht als theoretische Möglichkeit bei der Strafzumessung zu erwähnen. Das Gericht hat die Strafe zudem zu erhöhen, d.h. die Mindeststrafe darf nicht ausgefällt werden. Das Asperationsprinzip kommt indes nur zur Anwendung, wenn das Gericht im konkreten Fall für jeden einzelnen Normverstoss gleichartige Strafen ausfällt. Dass die anzuwendenden Strafbestimmungen abstrakt gleichartige Strafen androhen, genügt nicht (BGE 142 IV 265 E. 2.3.2 S. 267 f.; 138 IV 120 E. 5.2 S. 122). Geldstrafe und Freiheitsstrafe sind keine gleichartigen Strafen im Sinne von Art. 49 Abs. 1 StGB (BGE 137 IV 57 E. 4.3.1 S. 58).
Der Richter hat somit in einem ersten Schritt, unter Einbezug aller straferhöhenden und strafmindernden Umstände, gedanklich die Einsatzstrafe für das schwerste Delikt festzulegen. In einem zweiten Schritt hat er diese Einsatzstrafe unter Einbezug der anderen Straftaten zu einer Gesamtstrafe zu erhöhen, wobei er ebenfalls den jeweiligen Umständen Rechnung zu tragen hat (Urteil des Bundesgerichts 6B_405/2011 vom 24.1.2012 E. 5.4). Dabei hat er sämtliche Einzelstrafen für die von ihm neu zu beurteilenden Taten festzusetzen und zu benennen (BGE 142 IV 265 E. 2.4.3). Aus dem Urteil muss hervorgehen, welche Einzelstrafen für die verschiedenen Straftaten festgesetzt werden und welche Strafzumessungsgründe für jede Einzelstrafe massgebend waren. Nur so lässt sich überprüfen, ob die einzelnen Strafen als auch deren Gewichtung bei der Strafschärfung bundesrechtskonform sind (vgl. BGE 118 IV 119E. 2b S. 120 f.; Urteil 6B_323/2010 vom 23.6.2010 E. 3.2; MATHYS, a.a.O., N. 362; je mit Hinweisen). Die Nennung der Einzelstrafen stellt auch keinen Mehraufwand bei der Urteilsbegründung dar, denn das Gericht muss ohnehin gedanklich für jede Einzeltat eine selbstständige Strafe festsetzen und die entscheidrelevanten Überlegungen in Grundzügen wiedergeben (vgl. Art. 50 StGB; BGE 134 IV 17 E. 2.1 S. 20; Urteil 6B_493/2015 vom 15.4.2016 E. 3.2). Das Gericht ist jedoch nach wie vor nicht gehalten, in Zahlen Prozenten anzugeben, wie es die einzelnen Strafzumessungsgründe innerhalb der Einzelstrafen gewichtet (BGE 136 IV 55 E. 5.6 S. 61; Urteil 6B_1110/2014 vom 19.8.2015 E. 4.3). Nach der Festlegung der Gesamtstrafe für sämtliche Delikte sind endlich die Täterkomponenten zu berücksichtigen (vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_865/2009 vom 25.3.2010 E. 1.6.1, 6B_496/2011 vom 19.12.2012 E. 4.2). Die Gesamtstrafe ist schliesslich in einer Gesamtwürdigung auf Angemessenheit zu prüfen (vgl. Urteil 6B_323/2010 vom 23.6.2010 E. 3.2).
1.4 Gemäss Art 42 Abs. 1 StGB schiebt das Gericht den Vollzug einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten. Ein in subjektiver Hinsicht relevantes Prognosekriterium ist insbesondere die strafrechtliche Vorbelastung (ausführlich BGE 134 IV 1 E. 4.2.1). Für den bedingten Vollzug genügt das Fehlen einer ungünstigen Prognose, d.h. die Abwesenheit der Befürchtung, der Täter werde sich nicht bewähren (BGE 134 IV 1 E. 4.2.2). Bereits in der bisherigen Praxis spielte die kriminelle Vorbelastung die grösste Rolle bei der Prognose künftigen Legalverhaltens (Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgmeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, 2. Auflage, Bern 2006, § 5 N 27). Allerdings schliessen einschlägige Vorstrafen den bedingten Vollzug nicht notwendigerweise aus (Roland M. Schneider / Roy Garré in: Niggli / Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Auflage, Basel 2019, Art. 42 StGB N 61).
Der Strafaufschub wird lediglich bei einer klaren Schlechtprognose verwehrt. Dabei kommt es auf die Persönlichkeit des Verurteilten an. Diese erschliesst sich aus den Tatumständen, dem Vorleben, insb. Vortaten und Leumund, wobei auch das Nachtatverhalten miteinzubeziehen ist, ebenso die vermutete Wirkung der Strafe auf den Täter. Das Gericht hat eine Gesamtwürdigung aller prognoserelevanten Kriterien vorzunehmen und deren einseitige Berücksichtigung zu vermeiden. Dies gilt auch für das Prognosekriterium Vorstrafen. Dieses dürfte zwar ein durchaus gewichtiges darstellen, was aber, wie erwähnt, nicht heisst, dass Vorstrafen die Gewährung des bedingten Strafvollzuges generell ausschliessen. Dies hat allerdings auch im Umkehrschluss zu gelten: Das Fehlen von Vorstrafen führt nicht zwingend zur Gewährung des bedingten Strafvollzuges, wenn die übrigen Prognosekriterien das klare Bild einer Schlechtprognose zu begründen vermögen. Allerdings ist doch wohl davon auszugehen, dass Ersttätern im Allgemeinen der bedingte Strafvollzug zu gewähren ist.
2. Konkrete Strafzumessung
2.1 Vorweg kann festgehalten werden, dass der Beschuldigte sich bisher von Geldstrafen nicht beeindrucken liess und daher aus spezialpräventiven Gründen zur Abgeltung der Verbrechen und Vergehen jeweils eine Freiheitsstrafe auszufällen ist. Dafür spricht auch, dass für den Beschuldigten nachfolgend eine stationäre Massnahme angeordnet wird, weshalb eine Geldstrafe ohnehin nicht vollzogen werden könnte.
2.2.1 Schwerste Straftat ist vorliegend der Raub (Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) vom 2. Dezember 2019, der zur Verfügung stehende Strafrahmen beträgt gemäss Art. 140 Ziff. 1 StGB Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Zu berücksichtigen ist vorliegend, dass der Beschuldigte mit drei Bierdosen einen höchst geringfügigen Diebstahl begangen hat. Zur Sicherstellung des Diebstahls hat der Beschuldigte der Geschädigten einen leichten Kartonständer angeworfen, diese gepackt, ins Gesicht geschlagen und in die Ecke geschupst. Im Rahmen der unter dem ordentlichen Raubtatbestand möglichen Nötigungsmittel sind diese tätlichen Übergriffe dem leichteren Bereich zuzuordnen. Perfid war hingegen die Drohung, er wisse, wann der Laden schliesse und wo ihr Kind sei, er werde ihre Familie umbringen. Da der Beschuldigte ganz offensichtlich sehr aufgebracht und damit unberechenbar war, ist die Angst der Geschädigten aufgrund dieser Drohung gut nachvollziehbar. Der Vorfall hatte für die Geschädigte denn auch vor allem im psychischen Bereich nicht unerhebliche Folgen: Es wurde ihr in der Folge ärztlich eine vollständige Arbeitsunfähigkeit vom 30. Dezember 2019 bis zum 19. Januar 2020 attestiert (AS 033 ff.). Zudem nahm die Geschädigte ab dem 14. Januar 2020 eine therapeutische Behandlung bei einer Fachärztin für Psychiatrie in Anspruch. Letztere attestierte der Geschädigten eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bis Ende Februar 2022 und hielt im Arztzeugnis fest, eine Neubeurteilung erfolge Ende Februar 2020, die Wiederaufnahme der Arbeit am Tatort sei (aktuell) aus medizinischen Gründen nicht zumutbar (AS 028). Die Beweggründe des Beschuldigten waren egoistisch: Er wurde wütend, weil ihm die Geschädigte mangels genügend Geld die verlangten Zigaretten nicht geben wollte. Die Straftat war aber nicht geplant, sondern entsprang einem spontanen Entschluss. Der Beschuldigte handelte mit direktem Vorsatz. Mit Ausnahme der nachfolgend (Ziff. IV.2.2.2) noch zu berücksichtigenden Einschränkung der Schuldfähigkeit hätte sich der Beschuldigte ohne Weiteres rechtskonform verhalten können. Insgesamt ist von einem noch leichten Verschulden auszugehen.
2.2.2 Der Beschuldigte war zufolge seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen in seiner Steuerungsfähigkeit schwergradig eingeschränkt (vgl. hierzu die Ausführungen unter Ziff. III.2., insbesondere 2.5). Aufgrund dieser deutlich reduzierten Schuldfähigkeit ist das Tatverschulden nunmehr als sehr leicht im untersten Bereich zu qualifizieren. Dem entspricht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Eine Unterschreitung des gesetzlichen Strafrahmens, die nur in Ausnahmefällen vorzunehmen ist (Urteil des Bundesgerichts 6B_935/2017 vom 9.2.2018 E. 2.3) ist nicht gerechtfertigt.
2.2.3 Diese Einsatzstrafe ist nunmehr zur Abgeltung der weiteren Vergehen angemessen zu erhöhen:
2.2.3.1 Bei der Drohung vom 30. Oktober 2019 hat sich der Beschuldigte vor einer (zurückgedrängten) Frau aufgebaut und zwei Mal aus naher Distanz die Faust aufgezogen. Dies tat er einzig, weil die Geschädigte den Beschuldigten zu Recht gebeten hatte, im Zug das Rauchen zu unterlassen. Dass der Beschuldigte der Geschädigten vorher die Zigarette aus kurzer Distanz ins Gesicht geworfen hatte, liess die Drohung zudem als sehr ernsthaft erscheinen. Allerdings handelte es sich beim Verhalten des Beschuldigten um eine vergleichsweise leichte Drohung. Erneut war eine ungezügelte Wut des Beschuldigten Beweggrund des Übergriffs, er handelte mit direktem Vorsatz, aber ohne die Tat vorher geplant zu haben. Auch in diesem Fall gab es – vor Berücksichtigung der eingeschränkten Schuldfähigkeit - keinen Anlass für den Beschuldigten, dass er sich nicht hätte regelkonform verhalten können. Vor Berücksichtigung des schwergradig reduzierten Schuldfähigkeit ist von einem leichten Verschulden auszugehen, zufolge reduzierter Schuldfähigkeit liegt ein sehr leichtes Verschulden im unteren Bereich vor. Eine Freiheitsstrafe von zehn Tagen wäre angemessen, asperationsweise ist die Einsatzstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe um fünf Tage zu erhöhen.
2.2.3.2 Bei der versuchten einfachen Körperverletzung, ebenfalls begangen am 30. Oktober 2019, durch den Wurf einer brennenden Zigarette aus naher Distanz ins das Gesicht der Geschädigten, hat der Beschuldigte eine nicht nur geringfügige Verletzung des Auges der Geschädigten in Kauf genommen. Eine solche gehört nicht zu den leichtesten Verletzungen im Rahmen dieses Straftatbestandes. Der Beschuldigte hat hier mit der leichteren Vorsatzform, mit Eventualvorsatz, gehandelt, die Tat erfolgte spontan und nicht geplant. Der Beweggrund war ebenfalls die Wut des Beschuldigten über die gerechtfertigte Intervention der Geschädigten. Der Beschuldigte hätte sich problemlos rechtskonform verhalten können. Wäre eine nicht nur geringfügige Augenverletzung eingetreten, wäre von einem leichten Verschulden auszugehen, das mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten abzugelten wäre. Der Versuch des Beschuldigten war vollendet, hingegen hat sich die Geschädigte nur eine leichte Verbrennung zugezogen. Zufolge Versuchs ist die Strafe auf vier Monate Freiheitsstrafe zu reduzieren. Eine weitere Reduktion hat zu ergehen zufolge der schwergradig verminderten Schuldfähigkeit des Beschuldigten, womit sich eine Freiheitsstrafe von noch einem Monat ergibt. Asperationsweise ist die Einsatzstrafe zur Abgeltung dieses Delikts um einen halben Monat zu erhöhen. Damit ergibt sich insgesamt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und 20 Tagen.
2.3 Bei den Täterkomponenten sind namentlich die Vorstrafen vom 17. Oktober 2018 (Strafbefehl wegen Tätlichkeiten, Drohung und Beschimpfung: 50 Tagessätze Geldstrafe zu je CHF 30.00, bedingt erlassen bei einer Probezeit von zwei Jahren, und Busse von CHF 500.00) und vom 18. Oktober 2019 (Strafbefehl: Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je CHF 30.00, bedingt erlassen bei einer Probezeit von zwei Jahren, und Busse von CHF 500.00 wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs) von Bedeutung. Der Beschuldigte hat die vorliegend zu beurteilenden Straftaten innerhalb der Probezeit beider Urteile begangen. Dies rechtfertigt eine Erhöhung der Freiheitsstrafe auf 7,5 Monate. Im Übrigen wirken sich die Täterkomponenten nicht auf die Strafhöhe aus. Die Grunderkrankung des Beschuldigten wurde kurz nach erfolgreich durchlaufener Schulzeit (Bezirksschule) manifest. Der Beschuldigte ist seit dem Alter von 19 Jahren (2001) IV-Rentner und war schon 32 Mal stationär in psychiatrischer Behandlung. Details zur Lebensgeschichte des Beschuldigten können dem Gutachten entnommen werden (AS 204.25 ff. und 204.48 ff.).
2.4 Bei der Frage nach der Gewährung des bedingten Strafvollzuges kann an dieser Stelle in aller Kürze auf die ausgesprochen negative Legalprognose im forensisch-psychiatrischen Gutachten verwiesen werden: Beim Beschuldigten müsse mit hoher bis sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit neuerlichen Straftaten im Sinne der mutmasslichen Anlassdelikte gerechnet werden, wenn bei ihm erneut die medikamentöse Behandlung nicht sichergestellt werden könne. Im Falle von Gewaltdelikten sei mit einer weiteren Zunahme der Schwere zu rechnen, wenn die dringend indizierte medikamentöse Behandlung nicht gewährleistet werden könne (AS 204.80 f.): Näher darauf eingegangen wird nachfolgend bei der Prüfung von Massnahmen. Angesichts dieser Schlechtprognose kann der bedingte Strafvollzug nicht gewährt werden.
2.5 Schliesslich ist für die Übertretungen eine Gesamtbusse auszusprechen. Hinsichtlich der Tätlichkeiten, des geringfügigen Diebstahls, der geringfügigen Sachbeschädigung und der Übertretungen des Betäubungsmittelgesetzes ist jeweils eine reduzierte Schuldfähigkeit zu berücksichtigen. Zusammen mit dem Fahren ohne Fahrausweis und im Hinblick auf die schlechten finanziellen Verhältnisse erscheint eine Gesamtbusse von CHF 200.00, ersatzweise 20 Tage Freiheitstrafe, als teilweise Zusatzstrafe zum Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 18. Oktober 2019 angemessen.
V. Widerrufsfragen
1. Begeht der Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen Vergehen und ist deshalb zu erwarten, dass er weitere Straftaten verüben wird, so widerruft das Gericht gemäss Art. 46 Abs. 1 StGB die bedingt aufgeschobene Strafe den bedingt aufgeschobenen Teil der Strafe. Ein während der Probezeit begangenes Verbrechen Vergehen führt nicht zwingend zum Widerruf des bedingten Strafaufschubs. Dieser erfolgt nur, wenn wegen der Begehung des neuen Delikts von einer negativen Einschätzung der Bewährungsaussichten auszugehen ist, d.h. aufgrund der erneuten Straffälligkeit eine eigentliche Schlechtprognose besteht. Die Prüfung der Bewährungsaussichten des Täters ist analog der Prüfung der Gewährung des bedingten Strafvollzugs anhand einer Würdigung aller wesentlichen Umstände vorzunehmen. In die Beurteilung der Bewährungsaussichten im Falle des Widerrufs des bedingten Vollzugs einer Freiheitsstrafe ist auch zu berücksichtigen, ob die neue Strafe bedingt unbedingt ausgesprochen wird (BGE 134 IV 140 E. 4.2 ff. mit Hinweisen). Besonders günstige Umstände, wie sie Art. 42 Abs. 2 StGB für den bedingten Strafaufschub bei entsprechender Vorverurteilung verlangt, sind für den Widerrufsverzicht aber nicht erforderlich. Das heisst allerdings nicht, dass es im Rahmen von Art. 46 StGB auf die neue Tat und die daraus resultierende Strafe überhaupt nicht ankommen würde. Art und Schwere der erneuten Delinquenz bleiben vielmehr auch unter neuem Recht für den Entscheid über den Widerruf von Bedeutung, insoweit nämlich, als das im Strafmass für die neue Tat zum Ausdruck kommende Verschulden Rückschlüsse auf die Legalbewährung des Verurteilten erlaubt. Insoweit lässt sich sagen, dass die Prognose für den Entscheid über den Widerruf umso eher negativ ausfallen kann, je schwerer die während der Probezeit begangenen Delikte wiegen (BGE 134 IV 140 E. 4.5).
2. Auch diesbezüglich ist grundsätzlich auf die negative Legalprognose für den Beschuldigten zu verweisen. Allerdings ist nun zu beachten, dass unter Berücksichtigung der unbedingt zu vollziehenden Freiheitsstrafe `und – vor allem – der nachfolgend anzuordnenden Massnahme für die Zukunft nicht von einer Schlechtprognose auszugehen ist. Auf einen Widerruf des mit den beiden Strafbefehlen gewährten bedingten Strafvollzugs ist daher zu verzichten und es ist die Probezeit beider Urteile um je ein Jahr zu verlängern.
VI. Massnahme
1.
1.1 Nach Art. 56 StGB ist eine Massnahme anzuordnen, wenn: a. eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen; b. ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht die öffentliche Sicherheit dies erfordert; und c. die Voraussetzungen der Artikel 59 - 61, 63 64 erfüllt sind (Abs. 1).
Die Anordnung einer Massnahme setzt voraus, dass der mit ihr verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig ist (Abs. 2).
Das Gericht stützt sich beim Entscheid über die Anordnung einer Massnahme nach den Artikeln 59 - 61, 63 und 64 StGB sowie bei der Änderung der Sanktion nach Art. 65 StGB auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über:
a. die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters; b. die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten; und c. die Möglichkeiten des Vollzugs der Massnahme (Abs. 3).
1.2 Sind mehrere Massnahmen in gleicher Weise geeignet, ist aber nur eine notwendig, so ordnet das Gericht diejenige an, die den Täter am wenigsten beschwert (Art. 56a Abs. 1 StGB).
1.3 Gemäss Art. 59 Abs. 1 StGB kann das Gericht bei einem psychisch schwer gestörten Täter eine stationäre Behandlung anordnen, wenn a. der Täter ein Verbrechen Vergehen begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht; und b. zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen.
Die stationäre Behandlung erfolgt in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung einer Massnahmenvollzugseinrichtung (Abs. 2). Eine ärztlich geleitete regelmässig bestreute Anstalt mit entsprechenden therapeutischen Einrichtungen und ausgebildetem, ärztlich überwachtem Personal genügt (BGE 108 IV 86 f.).
1.4 Unter den gleichen Voraussetzungen kann das Gericht gemäss Art. 63 Abs. 1 StGB eine ambulante Massnahme anordnen. Eine ambulante Massnahme besteht aus regelmässigen Sitzungen bei einem medizinisch psychologisch ausgebildeten Therapeuten, einzeln in Gruppen. Zur Ergänzung können auch Medikamente eingesetzt werden (Stefan Trechsel/Barbara Pauen Borer in: Stefan Trechsel/Mark Pieth [Hrsg.], Praxiskommentar Schweizerisches Strafgesetzbuch, 4. Auflage, Zürich/St. Gallen 2021, nachfolgend zitiert «PK StGB», Art 63 StGB N 2 f.).
2. Eine Prüfung der einzelnen Voraussetzungen gemäss Art. 56 und 59 bzw. 63 StGB ergibt Folgendes:
2.1 Ein psychiatrisches Gutachten liegt, wie bereits erwähnt, vor, erstellt von Dr. M.___ am 17. August 2020.
2.1.1 Das Gutachten muss bezüglich der zu beantwortenden Fragen aktuell sein. Bei der Frage, was unter dem Begriff «aktuell» zu verstehen ist, geht das Bundesgericht nicht von einer generellen zeitlichen Grenze aus. Entscheidend ist, ob Gewähr dafür besteht, dass eine Beurteilung aufgrund der seitherigen Entwicklung immer noch zutrifft. Ein älteres Gutachten genügt, wenn es alle notwendigen Gesichtspunkte berücksichtigt und nichts von seiner Aktualität verloren hat. Dagegen muss ein früher zurückliegendes Gutachten dann als unzureichend bezeichnet werden, wenn inzwischen veränderte Verhältnisse eingetreten sind. Seit der Erstellung des Gutachtens eingetretene positive Behandlungsansätze andere Veränderungen des Sachverhalts sind von Amtes wegen zu verifizieren. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass Gefährlichkeitsprognosen nach neuerer forensisch-psychiatrischer Lehre lediglich für den Zeitraum eines Jahres zuverlässig gestellt werden können (Marianne Heer in: BSK StGB, Art. 56 StGB N 67 ff.; BGE 128 IV 247 f.).
Im vorliegenden Fall liegt die Erstellung des Hauptgutachtens zwar bereits fast zwei Jahre zurück. Der Gutachter war aber an der Berufungsverhandlung anwesend, erlebte den Beschuldigten erneut persönlich und konnte zu den seitherigen Entwicklungen ausführlich Stellung nehmen.
Das Gutachten ist somit aktuell.
2.1.2 Der Gutachter äusserte sich im Gutachten zur Frage der Massnahme wie folgt (AS 204.61 und 78 ff.):
Die Lebensgeschichte des Beschuldigten sei strafrechtlich mit ähnlichen Vorstrafen vorbelastet. Er sei während Probezeiten wiederholt straffällig geworden. Sowohl die Vorstrafen wie auch die aktuellen Tatvorwürfe seien im Zusammenhang mit den festgestellten psychischen Störungen zu sehen. Beim Beschuldigten sei dann mit hoher bis sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit neuerlichen Straftaten im Sinne der mutmasslichen Anlassdelikte zu rechnen, wenn beim Beschuldigten erneut die medikamentöse Behandlung nicht sichergestellt werden könne. Im Falle von Gewaltdelikten sei mit einer weiteren Zunahme der Schwere zu rechnen, wenn die dringend indizierte medikamentöse Behandlung nicht gewährleistet werden könne. Die zeitweilige Häufung und Progression in der Schwere der Gewalt hätten sich nach Entlassung des Beschuldigten aus den letzten Klinikaufenthalten gezeigt. Insbesondere sei aber im Falle des Beschuldigten mittelfristig auch in unspezifischen Beziehungen mit Gewaltdelikten ähnlich der Tatvorwürfe zu rechnen. Dies schliesse auch allfällige plötzliche, unerwartete Gewalt gegen Fremde im öffentlichen Raum ein. Gewalttätiges Verhalten könne beim Beschuldigten ohne Warnsignale auftreten, das heisse eruptiv und unvermittelt. Das Gewaltrisiko sei latent immer vorhanden, steige jedoch allgemein betrachtet bei fehlender antipsychotischer Medikation und unter dem Einfluss von enthemmenden psychoaktiven Substanzen deutlich an. In der Zusammenfassung der therapeutischen Möglichkeiten und Empfehlungen erscheine letztlich nur die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB Erfolg versprechend und geeignet, der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen. Bei fehlender Therapiebereitschaft sei zu erwarten, dass der Beschuldigte dieser Massnahme erhebliche Widerstände entgegenbringen werde. Die Massnahme könne jedoch auch gegen den Willen des Beschuldigten Erfolg versprechend durchgeführt werden. Diese Äusserung bekräftigte der Gutachter mit Antwort vom 22. Dezember 2020 auf eine Ergänzungsfrage der Verteidigung (AS 204.91): Fehlende Krankheitseinsicht und damit einhergehend eine fehlende Behandlungseinsicht stellten bei der Behandlung von an paranoider Schizophrenie Erkrankten ein grundsätzliches Problem dar, da sie krankheitsimmanent seien. Die erforderliche medikamentöse Behandlung könne ihre volle Wirkung nur über längere Zeiträume entfalten. Eine langfristige psychotherapeutische Arbeit – in diesem Fall eine ausführliche und über Jahre wiederholte Psychoedukation – mit den Zielen eines umfassenden Krankheitsverständnisses, einer Krankheits- und Behandlungseinsicht könne erst dann wirksam werden, wenn Denken, Affekte und Verhalten des Beschuldigten nicht mehr von der Krankheit beeinflusst seien. Die erforderliche Medikation wirke auch gegen den Willen der Betroffenen und eine Behandlung könne in solchen Fällen oft auch gegen die anfänglich ablehnende Haltung der Betroffenen Erfolg versprechend durchgeführt werden. Ein dementsprechendes therapeutisches Vorgehen erfordere damit jedoch relativ viel Zeit, sodass eine Initialisierung und Durchführung der Behandlung gegen den Willen der Betroffenen – wie auch im vorliegenden Fall des Beschuldigten – oft unumgänglich sei.
2.1.3 Vor dem Berufungsgericht führte der Gutachter zur Frage der Massnahme ergänzend Folgendes aus (BAS 77 ff.):
Der langjährige Krankheitsverlauf und die (gemeint wohl, wenn auch nicht explizit genannt: fehlende) Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, liessen die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen ambulanten Behandlung als sehr gering erscheinen. Das andere sei das Krankheitsbild: Man habe es vorliegend mit einer sehr schwer wiegenden psychischen Störung und sehr schweren Abhängigkeiten von Substanzen zu tun, Letzteres zeitweise wohl auch im Sinne eines wahllosen Konsums von Substanzen. Das seien Krankheitsbilder, die eine stationäre Behandlung erforderten, im forensischen Kontext auch einen längeren stationären Aufenthalt mit klaren Strukturen und auch klaren Behandlungszielen. Das brauche längere Zeit. Es gehe darum, dass der Beschuldigte sein Krankheitsbild genau kennen lerne und verstehe, wie es zu behandeln sei. Es gehe auch darum, dass die Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, zunehmend von ihm selbst ausgehe. In der Regel spreche man hier über einen längeren, oft auch mehrjährigen Prozess im Rahmen eines stationären Settings, beispielsweise in einer forensisch-psychiatrischen Klinik. Deshalb sei für ihn (den Sachverständigen) die Empfehlung für eine stationäre Massnahme klar. Es sei mit einer längeren Behandlungsdauer zu rechnen. Mit Blick auf die Richtlinien der antipsychotischen Behandlung sei festzuhalten, dass dem Beschuldigten eine dauerhafte medikamentöse Behandlung empfohlen werde. Dieser habe eine Vielzahl von Rückfällen gehabt. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er wieder Rückfälle erleiden werde, wobei dann ohne Behandlung die Wahrscheinlichkeit gross sei, dass er in einen Zustand gerate, in welchem die Begehung von Gewalttaten drohe. (Auf die Frage, wie er als Sachverständiger ein offenes Setting wie betreutes Wohnen beurteile) Mittel- und langfristig (fünf Jahre und länger) müsse es das Ziel sein, dass der Beschuldigte offener leben könne und die Massnahme womöglich aufgehoben werden könne. Er spreche sehr gut auf die Medikamente an. In seinem Fall sei die Krankheit mit Medikamenten sehr gut behandelbar bei gleichzeitiger Abstinenz von Alkohol und illegalen Substanzen. Die Behandlungsaussichten seien in seinem Fall gut. (Auf die Frage, ob das [Pflegezentrum] der richtige Ort sei) Nach seinem Wissen biete [das Pflegezentrum] eine psychiatrische Behandlung an. Noch günstiger wäre eine Behandlung in einer psychiatrischen Klinik mit anschliessender schrittweiser Öffnung bis zum betreuten Wohnen. Es gehe darum, Schritt für Schritt zu prüfen, was an Selbständigkeit möglich sei. Sicherlich sei [das Pflegezentrum] nicht der gänzlich falsche Ort, zumal er dort eine psychiatrische Grundbetreuung habe, sogar eine forensisch-psychiatrische Grundversorgung werde dort geboten. Eine Unterbringung in einer Klinik wäre für den Beschuldigten wegen des Umfangs der Betreuung und der Intensität der Psychotherapie besser. Die sei zumindest im ersten Jahr erforderlich. Es gehe auch um das Erkennen der Zusammenhänge zwischen der Krankheit und der Tatbegehung und um das Erkennen von Symptomen der Krankheit. Das alles benötige eine intensive Auseinandersetzung in Form von Einzel- und Gruppengesprächen. Dieser Rahmen sei grundsätzlich in einer forensisch-psychiatrischen Klinik gegeben. (Auf die Frage nach dem Einfluss der körperlichen Einschränkungen des Beschuldigten) Dies habe im Zeitpunkt der Gutachtenserstellung noch keine Rolle gespielt. Wenn man die heutigen körperlichen Voraussetzungen sehe, müsse man diese bedenken. Es sei eine Frage des gesunden Menschenverstandes, wenn man sich sage, die Wahrscheinlichkeit für sehr schwere Gewaltdelikte senke sich, wenn die körperlichen Voraussetzungen weniger gegeben seien. (Auf Frage) Ja, die Behandlung bei eingeschränkter Mobilität sei in einem stationären Rahmen sicher einfacher, wenn man in die Zukunft blicke, seien aber auch Wohnheime mit einem forensischen Angebot denkbar. (Auf Frage) Die körperliche Beeinträchtigung habe keinen Einfluss auf die medikamentöse Behandlung der Grunderkrankung und auch nicht auf die Psychotherapie. Diese Frage stelle sich nur hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Begehung schwerer Gewaltdelikte. Die Art der Behandlung bleibe aber gleich. Diese könne später durchaus auch in einem ambulanten Rahmen erfolgen, wenn die Behandlung stabil sei und der Beschuldigte gelernt habe, mit der Krankheit umzugehen. Dann sollte die Weiterbehandlung in einem ambulanten Rahmen das Ziel sein. Er sehe aber aus den Therapieberichten nicht, dass diese Voraussetzungen bereits erfüllt wären. (Auf die Frage nach einer allfälligen Anpassung der Legalprognose wegen der körperlichen Einschränkungen) Im jetzigen Setting sei die Wahrscheinlichkeit von Gewaltdelinquenz des Beschuldigten klein. Das könne man so festhalten. Perspektivisch gesehen, wenn man den Beschuldigten aus dem Setting entlasse und er sich dann wiederum nicht an die Vereinbarungen/Abmachungen halte, wenn er die Medikamente absetze und in eine schlechte psychische Verfassung gerate, würde sich die Legalprognose deutlich verschlechtern und die Wahrscheinlichkeit von Gewaltdelikten würde sehr hoch sein. Es gebe die rein statistischen Prognoseinstrumente. Da falle der Beschuldigte in eine Gruppe von Schizophrenen, die eher günstig zu beurteilen seien, weil er sich gut behandeln lasse. Aber mit Blick auf den bisherigen Krankheitsverlauf und seinen bisherigen Umgang mit der Krankheit über viele Jahre hinweg müsse man festhalten, dass dies Faktoren seien, die für eine schlechte Legalprognose sprächen. Wenn er sich weiterhin behandeln lasse, könne man von einer günstigen Legalprognose sprechen. Wenn er nach seiner Entlassung und mit zunehmender Selbständigkeit die Medikamente absetze und sich nicht an die Vereinbarungen halte, dann würde die Legalprognose punktuell wieder sehr schlecht werden. (Auf Frage) Ob der Beschuldigte in seinem derzeitigen Zustand überhaupt ein Gewaltdelikt begehen könnte, könne er nicht beantworten. Es hänge von der Entwicklung dieses körperlichen Leidens ab, von der Entwicklung nach der Operation, das könne er nicht sagen. (Auf die Frage der Verteidigung, wenn man von einem unabänderlichen körperlichen Zustand ausgehe) Da stelle sich die Frage, ob der Beschuldigte die körperlichen Voraussetzungen für schwere Gewaltdelikte habe, das sei keine Frage der psychiatrischen Perspektive. (Auf Frage) Die Medikamente wirkten beim Beschuldigten gut, dies schon früher. Dieser habe die Einnahmen aber aus fehlender Krankheitseinsicht immer wieder ausgesetzt und deshalb sei es zu Rückfällen gekommen. Hinsichtlich der Perspektive müsse man vorsichtig sein. Es brauche einfach Zeit, die man dem Beschuldigten, aber auch der behandelnden Person lassen müsse. Die Frage der Verhältnismässigkeit einer stationären Massnahme müsse das Gericht beantworten. Nach StGB gebe es seines Erachtens keine Zwischenlösung zwischen stationärer und ambulanter Massnahme. In der Praxis gebe es hingegen viele Möglichkeiten und grosse Unterschiede; nach Art. 59 StGB seien sehr wohl auch offenere Settings möglich.
2.2 Von Bedeutung sind auch die folgenden aktuellen Dokumente:
2.2.1 Dr. L.___, FMH Allgemeine innere Medizin, Heimarzt des Pflegezentrums (nachfolgend [Pflegezentrum]), führte in seinem Bericht vom 9. August 2022 aus (BAS 104 f.), der Beschuldigte sei bei einer neu entdeckten Spinalkanalstenose im Halsbereich mit progredienter Gangschwäche am 29. Oktober 2021 operiert worden. Damit bestehe ein Status nach anteriorer Mikrosikektomie und Fusion HWK 4/5 und HWK 5/6 am 29. Oktober 2021. Die Operation sei erfolgt, weil es ansonsten zu einer kompletten Lähmung ab cervical (C6) gekommen wäre. Klinisch neurologisch zeige sich post-operativ ein ähnliches Bild wie präoperativ. Wegen der bekannten manifesten Myelomalazie auf Höhe HWK 5/6 sei dies auch zu erwarten gewesen. Immerhin habe die Progredienz der Erkrankung komplett gestoppt werden können. In Zukunft werde die Gehfähigkeit voraussichtlich lebenslang deutlich eingeschränkt bleiben. Aktuell sei der Beschuldigte am Rollator selbständig mobil. Das aktuelle Gangbild sei von einem normalen Gehen jedoch weit entfernt.
2.2.2 Dem Verlaufsbericht des [Pflegezentrums] vom 4. November 2022 (BAS 132 ff.) lässt sich entnehmen, dass der Beschuldigte seit seinem Eintritt am 7. Juni 2022 ein Einzelzimmer auf einer geschlossen geführten Station bewohne. Der Wohnsektor sei auf die Betreuung von Menschen mit körperlichen und psychischen Leiden mit Pflegebedarf ausgerichtet. Die Behandlung beinhalte regelmässige Gespräche mit dem Pflegepersonal und den Vertretern des Zentrums für ambulante forensische Therapie der [Psychiatrischen Universitätsklinik R.___]. Der Beschuldigte habe sich gut im neuen Umfeld eingelebt. Es habe nunmehr eine Physiotherapiebehandlung zwei Mal wöchentlich etabliert werden können, wobei der Beschuldigte für das eigenständige Durchführen der Übungen kaum Motivation aufbringen könne. Im Alltag sei er durch seine Hemiparese gangbeeinträchtigt, weshalb er sich mit seinem Rollator und für längere Strecken auch mit dem Rollstuhl fortbewege. Die Spinalkanalstenose könne er aber als Ursache für seine Hemiparese kaum akzeptieren und er vermute eher Gründe, die er der neuroleptischen Medikation zuschreibe. Hinsichtlich seiner Risikofaktoren gebe er an, diese zu kennen und sich mit der Diagnose einer Schizophrenie abgefunden zu haben. So wolle er auch abstinent leben und könne sich höchstens den Konsum von alkoholfreiem Bier vorstellen. Den laufenden Strafvollzug sehe er als zweite Chance und er warte gegenwärtig auf das im Dezember 2022 fällige Urteil. Im Alltag zeige sich der Beschuldigte kooperativ und freundlich, aber eher zurückgezogen mit wenigen sozialen Kontakten. So verbringe er viel Zeit im Zimmer mit Fernsehen Schlafen.
Der Beschuldigte sei medikamentös gut eingestellt und psychopathologisch aktuell stabil. Eine Verlaufskontrolle in der [orthopädischen] Klinik habe ergeben, dass die Resultate der Operation zufriedenstellend seien. Im Alltag benötige der Beschuldigte daher einen Rollator, für weitere Strecken einen Rollstuhl. Bei den physiotherapeutischen Behandlungen sei eine leichte Verbesserung beim Gangbild bemerkt worden. Deutlich beeinflusst werde durch diese Erkrankung die Alltagsgestaltung durch den Verzicht auf gewisse Aktivitäten die Befürchtung, beim Duschen zu stürzen. Zur psychiatrischen Behandlung werde auf den separaten Bericht der [psychiatrischen Universitätsklinik R.___] verwiesen. Der Beschuldigte gebe an, dass er motiviert sei, an der Therapie teilzunehmen, und dass er die voraussichtlich angeordnete Massnahme als Chance sehe. Er habe sich zwischenzeitlich auf zwei Einheiten der Aktivierungstherapie auf der Station einlassen können und werde dabei als freundlich und zunehmend offener wahrgenommen. Die begleiteten Ausgänge in die Cafeteria und das erweiterte Areal scheine er zu schätzen. Er pflege kaum Kontakte ausserhalb der Institution. Einzig mit seiner Mutter, die ihn bisher einmal besucht habe, telefoniere er beinahe täglich. Ein sozialer Empfangsraum sei nicht vorhanden.
Im Rahmen von Vollzugslockerungen seien begleitete Ausgänge bis ins Dorf […] bewilligt worden. Diese Lockerungen würden nun kleinschrittig erarbeitet und bei jeweils stabilem psychopathologischem Zustandsbild gewährt. Bisher seien sie anstandslos verlaufen. Während des weiteren Aufenthaltes des Beschuldigten im [Pflegezentrum] könnten, auch mit Blick auf eine mögliche zukünftige stationäre Massnahme, diese bereits eingeführten Progressionen gefestigt und evaluiert sowie schrittweise weitere Lockerungen eingeführt werden. Ein Ziel sei es, sein gegenwärtig stabiles psychopathologisches Zustandsbild zu erhalten, ihn in die Tagesstrukturen vermehrt einzubinden und eine vertiefte Krankheitseinsicht zu fördern.
2.2.3 Dem Bericht der [psychiatrischen Universitätsklinik R.___] vom 7. November 2022, Dr. O.___, Oberarzt (BAS 137 ff.), ist zu entnehmen, dass der Referent seit dem Eintritt in [das Pflegezentrum] alle ein bis zwei Wochen ein «Verlaufsgespräch» mit dem Beschuldigten geführt habe. Dieser sei durchwegs motiviert erschienen und habe sich dem Behandler gegenüber zugewandt und höflich verhalten. Im Vordergrund seien Alltagsthemen gestanden, das Einleben, immer wieder aber auch der körperlich reduzierte Zustand mit stark eingeschränkter Mobilität aufgrund der Hemiparese. Der Beschuldigte warte letztlich auf das ausstehende Urteil vom 7. Dezember 2022. Bezüglich der Suchtproblematik habe dieser angegeben, zukünftig keine Drogen mehr zu konsumieren, könne sich im Sommer ein alkoholfreies Bier aber vorstellen. Konkrete Strategien, wie er seinen Abstinenzwunsch ausserhalb der geschlossenen Institution umsetzen könnte, habe der Beschuldigte jedoch nicht. Bezüglich deliktrelevanter Risikofaktoren wisse er um die Notwendigkeit seiner Medikation. Er habe sich mit der Diagnose einer Schizophrenie abgefunden und sehe ein, dass er die Medikamente benötige. Von sich aus habe er mehrfach angegeben, von der Einnahme der antipsychotischen Medikation zu profitieren und einen grossen Unterschied zu der Zeit zu sehen, als er diesbezüglich unmediziert gewesen sei, wo er an «wirren Gedanken» gelitten habe. Die Einnahme der Medikation durch den Beschuldigten erfolge zuverlässig und die antipsychotischen Medikamente seien durchwegs im therapeutischen Bereich gelegen. Substanzkonsum sei für den Beschuldigten seit dem Eintritt ins [Pflegezentrum] nicht dokumentiert. Aufgrund der Hemiparese bestehe ein deutlich reduzierter Zustand. Mit der Fortführung der neurochirurgischen bzw. orthopädischen Behandlung im […] sei der Beschuldigte einverstanden. Bei Anwendung kriminalprognostischer Instrumente sehe man bezüglich der Vorgeschichte deutlich, dass der Beschuldigte besonders durch die psychosozialen Auswirkungen der langjährigen und damals unbehandelten schizophrenen Erkrankung sowie seiner multiplen Substanzgebrauchsstörung belastet gewesen und schliesslich deliktisch relevant geworden sei. Unter den aktuellen Bedingungen einer eng strukturierten, therapeutischen Einrichtung seien die dynamisch veränderbaren Risikofaktoren des Beschuldigten, die psychiatrische und pharmakologische Behandlung der schizophrenen Erkrankung, das Gebot zur Abstinenz von psychotropen Substanzen sowie die allgemein reduzierte psychosoziale Leistungsfähigkeit des Beschuldigten teils kompensiert. Vor diesem Hintergrund beurteilten sie das Ausmass des Rückfallrisikos für Gewaltdelikte im Sinne der Anlassdelikte im [Pflegezentrum] als gering bis mittelgradig. Als protektive Faktoren liessen sich für den Beschuldigten die Gesprächsbereitschaft, die regelmässige Einnahme antipsychotischer Medikation sowie das Vorhandensein eines basalen, wenn auch noch nicht hinreichend tragfähigen Krankheitskonzeptes anführen. Das basale Krankheitskonzept sei bezüglich psychoedukativer Elemente der schizophrenen Grunderkrankung bzw. seiner Abstinenzmotivation noch ausbaufähig. Zudem sei die zukünftige berufliche und wohnliche Situation völlig offen nebst dem Fehlen einer sozialen Einbettung.
2.3 Der Beschuldigte gab vor Obergericht hinsichtlich seiner körperlichen und seelischen Verfassung und seiner derzeitigen Unterbringung im [Pflegezentrum] im Wesentlichen Folgendes zu Protokoll (vgl. BAS 68 ff. [Einvernahme vom 5.7.2022] und BAS 153 ff. [Einvernahme vom 7.12.2022]): Es gehe ihm psychisch gut und er nehme die ihm verschriebenen antipsychotischen Medikamente regelmässig ein. Er sei dankbar für diese Medikamente. Er wolle auch bei diesen Medikamenten bleiben, denn sie würden ihm sehr gut helfen, stabil zu sein. Seit dem Freiheitsentzug habe er keine Drogen mehr genommen. Zuvor sei er aber drogenabhängig gewesen. Körperlich habe er nach dem operativen Eingriff leider keine Verbesserung feststellen können. Ihm sei mitgeteilt worden, es werde sehr wahrscheinlich nicht besser und er müsse lernen, mit seiner Gehbehinderung zu leben. Die physiotherapeutischen Übungen mache er, soweit es gehe. Manchmal sei er auch sehr enttäuscht und dann mache er nichts. Es komme auf seine Motivation an. Im [Pflegezentrum] habe er sich zwischenzeitlich eingelebt. Dort fänden alle zwei Wochen Therapiegespräche von ca. je 20 Minuten statt. Er habe es so verstanden, dass man im [Pflegezentrum] abwarten wolle, ob nun vom Gericht eine 59er-Massnahme angeordnet werde. Der Arzt habe ihm erklärt, er könne noch keine therapeutischen Gespräche führen, weil er (der Beschuldigte) noch nicht in einer 59er-Massnahme sei. (Auf entsprechende Nachfrage) Ja, es treffe zu, dass er auf freiwilliger Basis die Massnahme vorzeitig hätte antreten können, das habe er aber nicht gemacht. (Auf entsprechende Frage) Ja, er sehe es auch so, dass an ein selbständiges Wohnen derzeit nicht zu denken sei, dies auch aufgrund seiner körperlichen Verfassung. Es wäre aus seiner Sicht schön, künftig eigenständiger leben zu können, aktuell sei er an den Rollator «gefesselt». Anstelle einer weiteren Unterbringung im [Pflegezentrum] wolle er lieber in ein betreutes Wohnen wechseln. (Es werde in einem Bericht festgehalten, er sehe die voraussichtlich angeordnete Therapie als Chance. Auf die Frage, von welcher Anordnung er ausgehe) Das wisse er nicht, aber alles, was jetzt komme, sei eine zweite Chance. Er sei nun seit drei Jahren in Gefangenschaft und habe sich seither geändert. Er sei in dieser Zeit glücklicherweise von den Drogen weggekommen. (Ob er auch eine stationäre Massnahme als Chance erachte) Ja, sicherlich. Er sei positiv eingestellt. (Auf die Frage, ob er den Eindruck habe, draussen zurecht zu kommen): Alleine nicht. Er brauche psychische und physische Betreuung. (Auf den Hinweis, dass eine solche Betreuung bei einer stationären Massnahme dabei sei) Er wolle nun etwas mehr Verantwortung für sein eigenes Leben übernehmen. (Auf die richterliche Feststellung, wonach es im Rahmen einer stationären Massnahme möglich sei, ihn Schritt für Schritt an ein betreutes Wohnen heranzuführen) Er fühle sich jetzt schon bereit dazu. (Konfrontiert mit dem Umstand, wonach im Jahr 2019 nach seiner Entlassung aus der Psychiatrischen Klinik ein ambulantes Setting aufgebaut worden sei, dieses dann aber nicht funktioniert habe, sowie auf die Frage, weshalb es nun heute funktionieren solle, was nun anders sei) Damals habe er im Unterschied zu heute Kokain konsumiert. Das Kokain habe so ziemlich alles in seinem Leben kaputt gemacht. Auch denke er nun mehr darüber nach, welche Fehler er in seinem Leben begangen habe.
2.4 Aus dem Gutachten ergibt sich klar und nachvollziehbar, dass - beim Beschuldigten eine schwere psychische Störung vorliegt; - dieser Verbrechen und Vergehen begangen hat, welche mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehen; - ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht und die öffentliche Sicherheit dies erfordert; - eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen; - eine stationäre Massnahme geeignet ist, den schweren psychischen Störungen des Beschuldigten zu begegnen, dies auch ohne seine Behandlungsbereitschaft zu Beginn; - zu erwarten ist, dass sich durch eine stationäre Behandlung der Gefahr weiterer mit seiner Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen lässt.
2.5 Das Verhältnismässigkeitsprinzip umfasst drei Teilaspekte: Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismässigkeit im engeren Sinne.
2.5.1 Gemäss Art. 59 Abs. 1 lit. b StGB erfordert die Anordnung einer stationären Massnahme die Aussicht auf eine Verringerung der Rückfallgefahr. Das Bundesgericht hat sich in einem Entscheid, in welchem es sich mit der Abgrenzung zwischen den Voraussetzungen von Verwahrung und stationärer Massnahme auseinandersetzte, zum Ausmass des zu erwartenden Therapieerfolges bei der Anordnung einer stationären Massnahme geäussert; es hat festgehalten, dass die vage Möglichkeit einer Verringerung der Rückfallgefahr nicht ausreiche. Vielmehr müsse im Zeitpunkt des Entscheides die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sich die Gefahr weiterer Straftaten durch die Anordnung einer stationären Massnahme über die Dauer von fünf Jahren deutlich verringern lasse. Es sei jedoch nicht erforderlich, dass nach einer stationären Behandlung von fünf Jahren ein Zustand erreicht sei, welcher eine bedingte Entlassung aus der Massnahme rechtfertigen würde. Es genüge, dass in dieser Zeit eine deutliche Verringerung der Gefahr weiterer Straftaten erreicht werde. Das Gericht habe nach Ablauf von fünf Jahren die Möglichkeit, beim unveränderten Vorliegen von Erfolgsaussichten eine Verlängerung der Massnahme anzuordnen (Art. 59 Abs. 4 Satz 2 StGB).
2.5.2 Der Gutachter stellt fest, dass es für die diagnostizierte psychische Störung des Beschuldigten geeignete Behandlungsmöglichkeiten gibt (AS 204. 74 und 81 f.). Damit lasse sich der Gefahr neuerlicher Straftaten begegnen. Der Beschuldigte bedürfe einer langjährigen antipsychotischen medikamentösen Behandlung sowie spezifischer psychotherapeutischer Interventionen im Einzel- und Gruppensetting in einem geschlossenen forensisch-psychiatrischen Rahmen. In deren Verlauf sollte er Grundlagen über die bei ihm diagnostizierten schweren psychischen Störungen und deren Behandlungsmöglichkeiten erlernen. Wie sich in der Vergangenheit gezeigt habe, werde dies in einem offenen stationären Setting gar in einem ambulanten Setting nicht zu erreichen sein. Auch wenn der Beschuldigte derzeit nicht bereit sei, sich einer solchen Behandlung zu unterziehen, könne auch eine allenfalls gegen den Willen des Beschuldigten angeordnete Behandlung Erfolg versprechend durchgeführt werden. Es bedürfe jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit eines langjährigen, stabilen Verlaufes. In diesem Zusammenhang sei von Bedeutung, dass der Beschuldigte nur hinsichtlich seines Drogenkonsums ein Problembewusstsein entwickelt habe, kaum jedoch in Bezug auf seine Schizophrenie-Erkrankung.
An dieser Beurteilung hat der Gutachter anlässlich seiner Befragung vor dem Berufungsgericht vollumfänglich festgehalten. Der Gutachter attestierte dem Beschuldigten vor Berufungsgericht, dass sich dessen Behandlungsmotivation mittlerweile deutlich gebessert habe, worauf zurückzukommen sein wird.
2.5.3. Auf die Frage nach der Eignung einer ambulanten Behandlung äusserte sich der Gutachter im Gutachten und vor dem Berufungsgericht klar: Nur die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB erscheine Erfolg versprechend und geeignet, der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen. Das sieht eigentlich auch der Beschuldigte so, wenn er vor der Vorinstanz ausführen liess, die Behandlung bei [der psychiatrischen Uniklinik Q.___] sei adäquat, die Institution geeignet (SL AS 092 f.). Dies erscheint auch plausibel vor dem Hintergrund, dass für den Beschuldigten nach seinem Klinikaustritt im Herbst 2019 ein umfassendes Betreuungs- und Behandlungsangebot erarbeitet worden war, der Beschuldigte dieses aber nicht nutzte und nach wenigen Tagen wieder deliktisch tätig wurde. Überdies wäre die dringend angezeigte Drogenfreiheit bei bloss ambulanter Massnahme bei ihm nicht zu gewährleisten. Wie negativ sich die fehlende Medikamenteneinnahme beim Beschuldigten auswirkt, kann auch dem Zwischenbericht der [Strafanstalt] vom 26. März 2021 entnommen werden (SL AS 060 ff.). Der Beschuldigte musste damals wegen des stark verschlechterten psychischen Zustands versetzt werden ([in die Psychiatrische Uniklinik Q.___]). Der vom Beschuldigten geforderte Verweis auf die (reaktive und zum Eigenschutz allenfalls bestehende) Möglichkeit der fürsorgerischen Unterbringung (vor Amtsgericht liess der Beschuldigte beantragen, das Gericht habe bei der zuständigen KESB eine fürsorgerische Unterbringung zu beantragen) ist bei strafrechtlich indizierter Massnahmenbedürftigkeit nicht zulässig (BGE 145 III 441 E. 8.3 f.). Hinzu kommt, dass beim nun 40-jährigen Beschuldigten in der Vergangenheit bereits 32 psychiatrische Hospitalisationen erfolgten, darunter diverse Einweisungen gegen seinen Willen als Fürsorgerische Unterbringung, diese Hospitalisationen jedoch lediglich wenige Tage bis wenige Wochen dauerten und nach den plausiblen gutachterlichen Ausführungen letztlich viel zu kurz waren, um der Schwere der Krankheitssymptome effektiv und nachhaltig begegnen zu können (AS 204.49).
2.5.4.1 Hinsichtlich der Verhältnismässigkeit im engeren Sinne abzuwägen sind die Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte des Betroffenen einerseits und sein Behandlungsbedürfnis sowie die Schwere und Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten andererseits. Je schwerer die zu befürchtenden Delikte wiegen, desto geringer kann die Wahrscheinlichkeit, dass sie begangen werden, sein, um eine Massnahme zu rechtfertigen (Stefan Trechsel/Barbara Pauen Borer in: PK StGB, Art. 56 StGB N 7). Umgekehrt bedarf es einer hohen Wahrscheinlichkeit weniger schwerer Taten zur Rechtfertigung einer freiheitsentziehenden Massnahme (BGE 127 IV 1). Dabei kommt der Anlasstat eine erhebliche prognostische Bedeutung zu: Einerseits wird dem Täter keine grössere Gefährlichkeit zugeschrieben werden dürfen, als die, welche sich in der Anlasstat manifestiert hat; andererseits muss die Anlasstat Indizcharakter haben, als «typisch» erscheinen und nicht blosse Gelegenheitstat sein.
Die Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte des Täters ergibt sich in erster Linie aus der Dauer der Massnahme sowie daraus, dass diese nicht klar begrenzt ist und Verlängerungen möglich sind. Es gilt ein «Übermassverbot», indem die Dauer und Eingriffsintensität im Verhältnis zur aufgeschobenen Strafe nicht unverhältnismässig schwerwiegend sein dürfen; die Anordnung einer Massnahme ist nicht statthaft, wenn von einem Täter in Zukunft blosse Übertretungen andere Delikte von weniger grosser Tragweite zu erwarten sind (Trechsel/Pauen Borer, a.a.O., Art. 56 N 7 f.; Marianne Heer in: BSK StGB, Art. 56 StGB N 37). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung vermag nur ein gewichtiges Risiko der erneuten Begehung erheblicher Verbrechen Vergehen die Anordnung einer stationären Massnahme zu rechtfertigen. Anlasstaten, welche Vergehen darstellen und von relativ geringfügigem Charakter sind, rechtfertigen für sich allein die Anordnung einer stationären Massnahme nicht (BGer 6P.37/2006 vom 29.5.2006 E. 3.1. und 3.3).
2.5.4.2 Das Bundesgericht hatte im Entscheid 6B_835/2017 vom 22. März 2018 die Verhältnismässigkeit der Anordnung einer stationären Massnahme gemäss Art. 59 StGB zu überprüfen. Der Beschuldigte litt unter einem Residualstadium einer chronischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis und einer Störung durch multiplen Substanzengebrauch. Das Obergericht des Kantons Zürich stellte fest, dass der Beschuldigte die Tatbestände der Gefährdung (durch Sprengstoffe und giftige Gase) ohne verbrecherische Absicht (Art. 225 Abs. 1 StGB) und des Vergehens gegen das Waffengesetz (Art. 33 Abs. 1 lit. a WG) in nicht selbstverschuldeter Schuldunfähigkeit erfüllt habe. Der Beschuldigte machte sich im Weiteren schuldig wegen versuchter einfacher Körperverletzung, Nötigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs, Vergehen gegen das Chemikaliengesetz, Exhibitionismus, geringfügigen Diebstahls und Entwendung eines Fahrrads zum Gebrauch und wurde mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten, einer unbedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je CHF 30.00 sowie zu einer Busse von CHF 100.00 verurteilt. Zudem wurde eine stationäre Massnahme gemäss Art. 59 StGB angeordnet.
Das Bundesgericht hielt fest, dass im psychiatrischen Gutachten davon ausgegangen werde, es bestehe beim Beschuldigten unbehandelt ein hohes Rückfallrisiko für vergleichbare Delikte. Gestützt auf diese Aussage sei von dessen Massnahmenbedürftigkeit auszugehen. Die Straftaten des Beschuldigten hätten sich auch gegen die körperliche Integrität von Drittpersonen gerichtet und es sei in einem Fall, da der Beschuldigte auf der Herrentoilette des Begegnungszentrums Winterthur einen Feuerwerkskörper gezündet habe, nur dem Zufall zu verdanken gewesen, dass keine Person schwer verletzt worden sei.
Das Bundesgericht hat in der Folge die Verhältnismässigkeit der stationären Massnahme mit Blick auf die Anlasstaten und das hohe Risiko für vergleichbare Taten bejaht.
Im Entscheid 6B_798/2014 vom 20. Mai 2015 ging es um einen Beschuldigten, der mit zwei Strafbefehlen wegen Tätlichkeiten, Drohung, Nötigung und einfacher Körperverletzung zu Geldstrafen von 30 bzw. 150 Tagessätzen verurteilt wurde. Die Geldstrafen wurden wegen Uneinbringlichkeit in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt. Der Beschuldigte wurde in der Folge in Haft genommen; kurz vor Ablauf des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe wurde sodann im Sinne von Art. 65 Abs. 1 i.V. mit Art. 59 StGB eine nachträgliche stationäre therapeutische Massnahme angeordnet.
Das Bundesgericht stellte fest, dass mit dieser Anordnung das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzt worden sei. Die Art der Verfahren (Strafbefehle), die gewählte Strafart (Geldstrafen) und das konkrete Strafmass (180 Tagessätze) machten insgesamt deutlich, dass es sich bei den vom Beschuldigten begangenen Straftaten um relativ geringfügige Delinquenz im unteren Bereich der Kriminalität handle. Der vom Beschuldigten im Zeitpunkt des Urteils des Bundesgerichts bereits ausgestandene Freiheitsentzug von 40 Monaten stehe mit der ursprünglich ausgefällten Geldstrafe von 180 Tagessätzen in einem offenkundigen Missverhältnis. Es liege deshalb ein sehr schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschuldigten vor. Je länger die Massnahme und damit der Freiheitsentzug für den Betroffenen dauere, desto strenger seien die Anforderungen an die Wahrung der Verhältnismässigkeit. Im vorliegenden Fall ergebe sich aus dem psychiatrischen Gutachten keine erhebliche Rückfallgefahr für schwerwiegende Gewaltdelinquenz. Die stationäre Massnahme erweise sich deshalb unter Berücksichtigung der mässigen Schwere der Anlassdelikte, des Masses der Gefährlichkeit, der bisherigen Massnahmendauer unter Einschluss der Ersatzfreiheitsstrafe sowie des Grundrechts der persönlichen Freiheit des Beschuldigten als nicht verhältnismässig.
2.5.4.3 Vorliegend kann vorab auf die ausführlichen und zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz zur Verhältnismässigkeit auf US 25 ff. verwiesen werden und festgestellt werden, dass die Anordnung einer stationären Massnahme vor dem Hintergrund der oben bereits dargelegten Rückfallprognose nicht unverhältnismässig ist. Beim Beschuldigten ist dann mit hoher bis sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit neuerlichen Straftaten im Sinne der mutmasslichen Anlassdelikte zu rechnen, wenn bei ihm erneut die medikamentöse Behandlung nicht sichergestellt werden kann. Im Falle vom Gewaltdelikten ist gemäss Gutachten mit einer weiteren Zunahme der Schwere zu rechnen, wenn die dringend indizierte medikamentöse Behandlung nicht gewährleistet werden kann. Wenn bisher trotz der unberechenbaren Impulsivität mit Gewaltbereitschaft des Beschuldigten keine ernsthaften Verletzungen von Geschädigten zu beklagen waren, ist dies auch dem Zufall zu verdanken.
2.5.4.4 Für die Anordnung der stationären Massnahme spricht weiter der Therapieverlaufsbericht der [psychiatrischen Klinik] vom 30. Mai 2022 (BAS 43 ff.): Im seit dem 7. Dezember 2021 in der JVA Solothurn laufenden vorzeitigen Strafvollzug habe in der Regel wöchentlich eine Einzeltherapie stattgefunden (seit dem 16.2.2022 insgesamt 11 Sitzungen), welche der Beschuldigte zuverlässig besucht habe. Weiter habe der Beschuldigte ab Ende Januar 2022 aus Eigeninitiative die Kunsttherapie besucht, wegen körperlicher Beschwerden (Fussheberschwäche rechts, aber auch psychosomatische Gründe, Dekonditionierung) habe der Beschuldigte den Weg von seiner WG bis in den Raum der Kunsttherapie mit dem Rollator im Rollstuhl zurücklegen müssen. Die durchgeführte Urinprobe sei negativ ausgefallen. Aus forensisch-psychologischer/psychiatrischer Sicht sei der Beschuldigte therapiebedürftig und -willig. Seine Therapiefähigkeit könne aufgrund des kurzen Aufenthaltes in der JVA Solothurn nicht ausreichend verlässlich eingeschätzt werden. Der Beschuldigte anerkenne die ihm vorgeworfenen Taten und sei bereit, in der Psychotherapie an der Verbesserung der Legalprognose zu arbeiten. Es sei ihm bewusst, dass ihn das Rauchen von Kokain in Form von Freebase aggressiv mache und er darum in Zukunft darauf verzichten müsse. Allerdings bagatellisiere er den Einfluss seiner Grunderkrankung, der Schizophrenie, auf das Delinquenzrisiko. Aufgrund der körperlichen Einschränkungen des Beschuldigten sei die geplante Versetzung in das [Pflegezentrum] zu begrüssen. Ein künftiges therapeutisches Ziel müsse sicher ein, dass der Beschuldigte erkenne und akzeptiere, dass bei ihm das Gewaltrisiko immer latent vorhanden sei, auch ohne Drogenkonsum. Beim Beschuldigten werde in Zukunft von zentraler Bedeutung sein, dass mit einer Kombination aus suffizienter medikamentöser Behandlung, psychoedukativen Massnahmen und Psychotherapie die Stabilisierung seines Zustandsbildes aufrecht erhalten wie auch ein Rückfall in den Substanzkonsum vermieden werden könne. Besonders wichtig sei die Adhärenz, zumal es in der Vergangenheit zu häufigen Therapieabbrüchen gekommen sei. In Zukunft werde auch dem sozialen Empfangsraum Beachtung zu schenken sein: Kontakte mit Drogenkonsumenten seien möglichst zu vermeiden.
Gemäss positiv lautendem Führungs- und Austrittsbericht der [Strafanstalt] vom 31. Mai 2022 (BAS 49 ff.) wurde der Beschuldigte per 7. Juni 2022 zwecks Erprobung der erreichten Ziele sowie zur Gewährung neuer Übungsfelder in ein offeneres Setting des [Pflegezentrums] verlegt. Der Beschuldigte benötige aus Sicht der JVA aktuell ein gut betreutes und kontrolliertes professionelles Umfeld. Dies in einer Institution, welche auch seinen körperlichen Einschränkungen gerecht werde.
Die oben zitierten neuesten Verlaufsberichte des [Pflegezentrums] und der [Psychiatrischen Universitätsklinik R.___] zeigen ebenso eindrücklich, dass der Beschuldigte motiviert ist, an der psychiatrischen und medikamentösen Behandlung mitzuwirken, und dass er den laufenden Freiheitsentzug als zweite Chance ansieht. In der abschliessenden Beurteilung wird im Therapiezwischenbericht der [Psychiatrischen Universitätsklinik R.___] festgehalten, der Beschuldigte nehme seine Medikamente zuverlässig und stehe auch mit dem Behandlungsteam bezüglich deliktsrelevanter Risikofaktoren in regelmässigem Austausch. Dementsprechend wird auch vom behandelnden Psychiater, Dr. O.___, das Rückfallrisiko unter den gegebenen Umständen als deutlich tiefer veranschlagt. Das bestehende basale, aber noch nicht hinreichend tragfähige Krankheitskonzept des Beschuldigten sei in mehrfacher Hinsicht noch ausbaufähig.
Eine Entlassung des Beschuldigten aus einer stationären Struktur würde ihn wie bereits früher völlig überfordern und wäre wohl auch aus somatischen Gründen derzeit kaum vorstellbar. Der Beschuldigte wäre wie früher nicht in der Lage, die nötigen Behandlungen im ambulanten Rahmen wahrzunehmen, kann er sich doch aktuell nicht einmal dazu motivieren, seine physiotherapeutischen Übungen eigenständig durchzuführen. Ein sozialer Empfangsraum besteht nicht.
2.5.4.5 Es stellt sich letztlich einzig die Frage, ob die Verhältnismässigkeit (im engeren Sinne) einer stationären Massnahme aufgrund der dargelegten körperlichen Beeinträchtigungen des Beschuldigten zu verneinen ist. Der Beschuldigte leidet an einer Hemiparese (leichtere Halbseitenlähmung) und ist stark gehbehindert. Zurzeit geht er mit einem Rollator und über längere Strecken bewegt er sich mit einem Rollstuhl. Gemäss dem Heimarzt des [Pflegezentrums], Dr. L.___, ist nicht mit einer durchgreifenden Besserung zu rechnen, der Beschuldigte werde in seiner Gehfähigkeit voraussichtlich lebenslang deutlich eingeschränkt bleiben. Demgegenüber lassen sich in der Physiotherapie bereits leichte Verbesserungen der Gehfähigkeit feststellen (vgl. BAS 134). Wie sich die Mobilität des Beschuldigten entwickelt, ist daher noch ungewiss. Einzuräumen ist, dass aufgrund der derzeitigen körperlichen Beeinträchtigung gewisse Tathergänge und -abläufe ausser Betracht fallen, jedoch bleibt die legalprognostische Grundproblematik, nämlich das in hohem Masse deliktrelevante Krankheitsbild des Beschuldigten (paranoide Schizophrenie und Abhängigkeit von multiplen Substanzen), davon unberührt und auch mit eingeschränkter Mobilität kann der Beschuldigte ohne die derzeitigen protektiven Faktoren im stationären Setting durchaus gewalttätig werden, da er regelmässig auf Behandlung (Physiotherapie, Pflege und Betreuung) angewiesen ist, welche eine gewisse körperliche Nähe zwingend erfordert. Die Anordnung einer stationären Massnahme erscheint deshalb auch mit Einbezug der körperlichen Beeinträchtigungen derzeit verhältnismässig, zumal der Beschuldigte aktuell auch aus somatischen Gründen wohl noch für längere Zeit ohnehin in stationärer medizinischer Behandlung verbleiben muss.
2.6 Zusammengefasst sind sämtliche Voraussetzungen erfüllt und die Anordnung einer stationären Massnahme gemäss Art. 59 StGB ist zu bestätigen.
2.7 In seiner jüngeren Rechtsprechung hebt das Bundesgericht hervor, dass das Verhältnismässigkeitsprinzip nicht nur bei der Anordnung der stationären Massnahme, sondern auch hinsichtlich deren Dauer zu beachten sei (vgl. hierzu Urteil 6B_1172/2020 vom 21.12.2020 E. 1.7.3 mit Hinweis auf BGE 145 IV 65 E. 2.2 S. 69 und E. 2.6.1 S. 74; 135 IV 139 E. 2.4 S. 144; Urteil 6B_636/2018 vom 25.7.2018 E. 4.2.3; je mit Hinweisen). Eine zeitliche Beschränkung der Anordnungsdauer der stationären Massnahme auf weniger als fünf Jahre sei nicht nur bei der Verlängerung der Massnahme, sondern auch bei der Erstanordnung zulässig (BGE 145 IV 65 E. 2.6.1 S. 74; Urteil 6B_636/2018 vom 25.7.2018 E. 4.2.3).
Der Beschuldigte befindet sich erst seit einem halben Jahr im [Pflegezentrum], es konnten jedoch schon mehrere leichte Vollzugslockerungen erfolgreich durchgeführt werden und es ist zu erwarten, dass dies bei weiterhin positivem Verlauf mit Progressionsschritten auch so weitergehen kann bis hin zu einem – vom Beschuldigten gewünschten – betreuten Wohnen, das im Rahmen einer stationären Massnahme möglich ist. Bei dieser Ausgangslage erachtet das Berufungsgericht die Erfolgsaussichten der angeordneten therapeutischen Massnahme als hoch. Unter Berücksichtigung der deutlichen Fortschritte, die der Beschuldigte bislang erreicht hat, und um die derzeit vorhandene Motivation des Beschuldigten zu stärken, ist die stationäre Massnahme auf eine Dauer von zwei Jahren (mit Beginn ab dem 7.12.2022) zu befristen. Mit dieser zeitlichen Begrenzung wird zugleich der Vollzugsbehörde das Signal entsendet, dass die Massnahme – bei Fortbestand der positiven Entwicklung – rasch voranzutreiben ist und weitere Vollzugslockerungen einzuleiten sind.
2.8 Eine Unterbringung des Beschuldigten in einer geschlossenen Institution im Sinne von Art. 59 Abs. 3 StGB, worüber letztlich die Vollzugsbehörde zu entscheiden hat (vgl. zur Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Sachgericht und Vollzugsbehörde den Leitentscheid BGE 142 IV 1 E. 2), erscheint aus Sicht des Berufungsgerichts nicht als notwendig, hingegen wird auf die Empfehlung des Gutachters verwiesen (vgl. BAS 78 f.), wonach die Behandlung in einer psychiatrischen Klinik zu bevorzugen sei.
2.9 Die Untersuchungshaft und der vorzeitige Strafvollzug seit dem 2. Dezember 2019 sind an die ausgesprochene Freiheitsstrafe von 7,5 Monaten und die Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen für die Busse anzurechnen, womit festgehalten werden kann, dass beide Strafen getilgt sind. Im Übrigen sind die Untersuchungshaft und der vorzeitige Strafvollzug an die stationäre Massnahme anzurechnen. Dazu kann auf die obergerichtliche Rechtsprechung in STBER.2020.30 vom 14. Januar 2021 Ziff. IV (mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung) verwiesen werden. Die konkrete Dauer der stationären Massnahme steht im Gegensatz zu einer verhängten Freiheitsstrafe nicht im Voraus definitiv fest. Eine Entschädigung wäre demnach an sich nur geschuldet, wenn sich – ex post – zeigen sollte, dass die konkrete Massnahmendauer im Einzelfall kürzer ist als die erstandene Haft. Über die Anrechenbarkeit der Haft wird deshalb dereinst in einem Nachverfahren zu befinden sein. Auf den Antrag des Beschuldigten auf Zusprechung einer Haftentschädigung ist daher im jetzigen Zeitpunkt nicht einzutreten.
2.10 Mit separatem Beschluss vom 7. Dezember 2022 wird zur Sicherung des Massnahmenvollzugs für den Beschuldigten Sicherheitshaft angeordnet (vgl. BAS 188 ff.).
VII. Kosten und Entschädigungen
1. Bei diesem Verfahrensausgang sind die erstinstanzlichen Verfahrenskosten von total CHF 21'300.00 dem Beschuldigten aufzuerlegen und hinsichtlich der vom Staat bereits ausbezahlten Entschädigung der amtlichen Verteidigerin ist der Rückforderungsanspruch im Umfang von CHF 17'875.85 während 10 Jahren vorzusehen.
2. 2.1 Der Beschuldigte unterliegt mit seiner Berufung grossmehrheitlich, die Staatsanwaltschaft obsiegt mit ihrer Anschlussberufung. Die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 8'000.00, total CHF 11'200.00, sind deshalb in Anwendung von Art. 428 Abs. 1 StPO im Umfang von 80 % (= CHF 8'960.00) dem Beschuldigten und Berufungskläger und zu 20 % (= CHF 2'240.00) dem Staat zur Bezahlung aufzuerlegen.
2.2 Die amtliche Verteidigerin des Beschuldigten, Rechtsanwältin Clivia Wullimann, macht für das Berufungsverfahren einen Aufwand von CHF 54,71 Stunden zu je CHF 180.00 geltend (vgl. die unmittelbar nach der Verhandlung eingereichte Honorarnote [BAS 179 ff.], welche zum einen in zeitlicher Hinsicht nicht nur den Aufwand seit der ersten Hauptverhandlung vor Obergericht vom 5.7.2022, sondern das gesamte Berufungsverfahren abdeckt, und zum anderen hinsichtlich der Position vom 30.11.2022 [«Telefon Mutter KL»] bereits berichtigt ist [0.17 Std. bzw. 10 Minuten statt 10 Std.]).
Für die Teilnahme an der Hauptverhandlung vom 5. Juli 2022 (ohne Hin- und Rückweg sowie Vor- und Nachbesprechung mit dem Klienten) werden von der Verteidigerin sieben Stunden geltend gemacht. Da die effektive Dauer der Hauptverhandlung 2 ¼ Stunden (08:30 Uhr - 10:45 Uhr) in Anspruch nahm, sind 4,75 Stunden in Abzug zu bringen. Zu streichen ist zudem die Position vom 6. Juli 2022 von total 2,08 Stunden (im Einzelnen: Hin- und Rückweg Urteilseröffnung: 0,83 Stunden; Vor- und Nachbesprechung: 0,25 Stunden; Urteilseröffnung: eine Stunde), da der Abspruch vertagt wurde und deshalb der auf den 6. Juli 2022 angesetzte Termin der Urteilseröffnung entfiel. Ebenfalls zu streichen ist die «Urteilssichtung» (0,33 Stunden) vom 8. Juli 2022, zumal kein Teilurteil ausgefällt wurde und die mit Verfügung vom 8. Juli 2022 tatsächlich zugestellten Unterlagen (Verfahrensprotokoll der HV vom 5.7.2022 sowie Einvernahmeprotokolle des Beschuldigten und des Sachverständigen) in die Honorarnote Eingang fanden (vgl. Position vom 8.7.2022: «Sichtung Verfügung Obergericht inkl. Beilagen» und ergänzend Position vom 6.12.2022 «Aktenstudium»). Unter Berücksichtigung dieser Korrekturen resultiert ein zu entschädigender Aufwand von 47,55 Stunden (= 54,71 Stunden - 7,16 Stunden) zum Stundenansatz von CHF 180.00 (= CHF 8'559.00). Zuzüglich Auslagen von CHF 563.10 und 7,7 % MWST auf CHF 9'122.10 (= CHF 702.40) ist die Entschädigung von Rechtsanwältin Clivia Wullimann, für das Berufungsverfahren auf CHF 9'824.50 festzusetzen und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse, zu bezahlen.
Vorzubehalten ist im Umfang von 80 % (vgl. die Kostenverlegung im Berufungsverfahren gemäss vorstehender Ziff. VII.2.1), ausmachend CHF 7'859.60, der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben (Art. 135 Abs. 4 lit. a und Abs. 5 StPO). Demnach wird in Anwendung von Art. 19 Abs. 2, Art. 46 Abs. 2, Art. 47, Art. 49 Abs. 1 und 2, Art. 51, Art. 56, Art. 59, Art. 106, Art. 123 Ziff. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1, Art. 126 Abs. 1, Art. 139 Ziff. 1 i.V.m. Art. 172ter Abs. 1 StGB, Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2, Art. 144 i.V.m. Art. 172ter Abs. 1, Art. 180 Abs. 1 StGB; Art. 19a Ziff. 1 BetmG; Art. 57 VPB, Art. 57 Abs. 3 PBG; Art. 135 Abs. 1, Abs. 4 lit. a, Abs. 5, Art. 379 ff., Art. 398 ff., Art. 426 Abs. 1, Art. 428 Abs. 1 und 3 StPO festgestellt und erkannt: 1. A.___ hat sich schuldig gemacht: - des Raubes, begangen am 2. Dezember 2019 (AKS Ziff. 1); - der mehrfachen geringfügigen Sachbeschädigung, begangen am 10. November 2019 und am 2. Dezember 2019 (AKS Ziff. 2 und 7); - der versuchten einfachen Körperverletzung, begangen am 30. Oktober 2019 (AKS Ziff. 3); - der Tätlichkeiten, begangen am 30. Oktober 2019 (AKS Ziff. 4); - der Drohung, begangen am 30. Oktober 2019 (AKS Ziff. 5); - des geringfügigen Diebstahls, begangen am 10. November 2019 (AKS Ziff. 6); - der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes, begangen von Mitte November 2019 bis am 2. Dezember 2019 (AKS Ziff. 8); - des Fahrens ohne gültigen Fahrausweis, begangen am 20. September 2019 (AKS Ziff. 9). 2. A.___ wird verurteilt: - zu einer Freiheitsstrafe von 7 ½ Monaten; - zu einer Busse von 200.00, ersatzweise zu 20 Tage Freiheitsstrafe, dies als teilweise Zusatzstrafe zum Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kanton Solothurn vom 18. Oktober 2019. 3. Der mit den Strafbefehlen der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn am 17. Oktober 2018 sowie am 18. Oktober 2019 gewährte bedingte Strafvollzug für eine Geldstrafe von je 50 Tagessätzen wird nicht widerrufen. Stattdessen wird für beide Strafen die Probezeit um je ein Jahr verlängert. 4. Für A.___ wird eine stationäre therapeutische Behandlung für die Dauer von zwei Jahren (mit Beginn ab dem 7.12.2022) angeordnet. 5. A.___ wird der seit dem 2. Dezember 2019 erstandene Freiheitsentzug an die Freiheitsstrafe von 7 ½ Monaten, an die Busse bzw. Ersatzfreiheitsstrafe sowie an die stationäre therapeutische Behandlung angerechnet. 6. Es wird festgestellt, dass aufgrund dieser Anrechnung die Freiheitsstrafe sowie Busse bzw. Ersatzfreiheitsstrafe gemäss vorstehender Ziff. 2 bereits getilgt sind. 7. Es wird festgestellt, dass mit separatem Beschluss vom 7. Dezember 2022 gegen A.___ zur Sicherung des Massnahmenvollzuges Sicherheitshaft angeordnet worden ist. 8. Es wird festgestellt, dass gemäss rechtskräftiger Ziffer 8 des Urteils des Amtsgerichts von Solothurn-Lebern vom 1. September 2021 (nachfolgend erstinstanzliches Urteil) sämtliche Zivilforderungen (Genugtuungs- und Schadenersatzforderungen) auf den Zivilweg verwiesen worden sind. 9. Auf den Antrag von A.___ auf Zusprechung einer angemessenen Haftentschädigung wird nicht eingetreten. 10. Es wird festgestellt, dass gemäss der diesbezüglich rechtskräftigen Ziffer 9 des erstinstanzlichen Urteils die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin Clivia Wullimann, für das erstinstanzliche Verfahren auf CHF 17'875.85 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse, bezahlt worden ist. Vorbehalten bleibt im Umfang von CHF 17'875.85 der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben. 11. Die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin Clivia Wullimann, wird für das Berufungsverfahren auf CHF 9'824.50 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse, zu bezahlen. Vorbehalten bleibt im Umfang von CHF 7'859.60 (= 80 % von CHF 9'824.50) der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben. 12. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 5'600.00, total CHF 21'300.00, gehen zu Lasten von A.___. 13. Von den Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 8'000.00, total CHF 11'200.00, hat A.___ CHF 8'960.00 (= 80 % von CHF 11'200.00) zu bezahlen. Die restlichen CHF 2'240.00 erliegen auf dem Staat.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona). Im Namen der Strafkammer des Obergerichts Der Vorsitzende Die Gerichtsschreiberin Marti Lupi De Bruycker
Der vorliegende Entscheid wurde vom Bundesgericht mit Urteil 6B_358/2023 vom 16. Juni 2023 bestätigt.
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