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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2020.71)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2020.71
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2020.71 vom 28.09.2021 (SO)
Datum:28.09.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Die Staatsanwaltschaft eröffnete am 30. Januar 2016 eine Strafuntersuchung wegen Raubes gegen den Beschuldigten. Am 4. Februar 2016 fand eine Hausdurchsuchung bei ihm statt, bevor ein Verteidiger eingesetzt wurde. Die Verwertbarkeit der dabei gewonnenen Erkenntnisse wurde von den Gerichten bestätigt. Es wurde entschieden, dass eine Hausdurchsuchung keine Beweiserhebung im Sinne des Gesetzes ist und somit auch vor der Bestellung eines Verteidigers durchgeführt werden kann. Die Erkenntnisse aus der Hausdurchsuchung sind daher als gültige Beweise anzuerkennen.
Schlagwörter: Hausdurchsuchung; Beschuldigte; Verteidiger; Beweiserhebung; Zeitpunkt; Beschuldigten; Akten; Person; Erkenntnisse; Verteidigung; Teilnahme; Obergericht; Teilnahmerechte; Erkenntnissen; Beweiserhebungen; Kammer; Verwertbarkeit; Praxis; Raubes; Domizil; Staatsanwalt; Wiederholung; Entscheid; Zwangsmassnahme; Recht; STBER
Rechtsnorm: Art. 131 StPO ; Art. 147 StPO ; Art. 244 StPO ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-
Entscheid
 
Geschäftsnummer: STBER.2020.71
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 28.09.2021 
FindInfo-Nummer: O_ST.2022.16
Titel: einfache Körperverletzung, Tätlichkeiten, qualifizierter Raub (Mitführen einer Waffe), evtl. Raub, mehrf. Beschimpfung, mehrf. Drohung, vers. Nötigung, Vernachlässigung von Unterhaltspflichten, mehrf. Förderung der rechtswidrigen Ein-, Ausreise des rechtswidrigen Aufenthalts, mehrf. Beschäftigu

Resümee:

Art. 244 f. StPO. Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus einer Hausdurchsu-chung in einem Fall notwendiger Verteidigung, wenn im Zeitpunkt der Hausdurchsuchung noch kein Verteidiger eingesetzt worden ist. Bestätigung und Präzisierung der Praxis gemäss SOG 2018 Nr. 19.
 

SOG 2021 Nr. 7

 

Art. 244 f. StPO. Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus einer Hausdurchsuchung in einem Fall notwendiger Verteidigung, wenn im Zeitpunkt der Hausdurchsuchung noch kein Verteidiger eingesetzt worden ist. Bestätigung und Präzisierung der Praxis gemäss SOG 2018 Nr. 19.

 

 

Sachverhalt:

 

Am 30. Januar 2016 eröffnete die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten eine Strafuntersuchung wegen einfachen Raubes. Am 4. Februar 2016 führte die Polizei am Domizil des Beschuldigten eine Hausdurchsuchung durch. Am 5. Februar 2016 wurde für den Beschuldigten ein amtlicher Verteidiger eingesetzt. Im Zeitpunkt der Hausdurchsuchung war der Beschuldigte somit noch nicht verteidigt. Die Verwertbarkeit der aus der Hausdurchsuchung gewonnenen Erkenntnisse wurde von der ersten Instanz und vom Berufungsgericht bejaht.

 

 

Aus den Erwägungen:

 

3.1       Hausdurchsuchung

 

3.1.1 Am 4. Februar 2016 wurde am Domizil des Beschuldigten eine Hausdurchsuchung durchgeführt (AS 355 ff.). Die Verfügung betr. Beschlagnahme datiert vom 29. Mai 2017 (AS 680.2).

 

3.1.2 Die Vorinstanz stellte anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung fest, dass die Erkenntnisse aus dieser Hausdurchsuchung nicht verwertbar seien, da der Beschuldigte im Zeitpunkt der Hausdurchsuchung nicht verteidigt gewesen sei. Es verwies deshalb die Aktenstücke AS 355-361 aus den Akten.

 

3.1.3 Mit Eingabe vom 6. September 2021 stellte der Staatsanwalt vor Obergericht den Antrag, es sei festzustellen, dass die von der Vorinstanz aus den Akten gewiesenen AS 355-361 verwertbar seien und entsprechend wieder zu den Akten zu nehmen seien. Zur Begründung wurde auf die obergerichtliche Rechtsprechung gemäss SOG 2018 Nr. 19 verwiesen. Dem amtlichen Verteidiger wurde mitgeteilt, dass er anlässlich der Berufungsverhandlung Gelegenheit habe, sich zu diesem Antrag mündlich zu äussern. Der Verteidiger machte von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch.

 

3.1.4 Der diesbezügliche Verfahrensgang präsentiert sich wie folgt:

 

Am 29. Januar 2016 erfolgte die Beanzeigung des Raubes durch den Inhaber des [Restaurants in Ort 1] bei der Alarmzentrale. Am 30. Januar 2016 eröffnete die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten eine Strafuntersuchung wegen einfachen Raubes (Art. 140 Ziff. 1 StGB; AS 569 f.). Am 4. Februar 2016 führte die Polizei am Domizil des Beschuldigten eine Hausdurchsuchung durch. Das Verzeichnis der sichergestellten Gegenstände sowie weitere Akten zu dieser Hausdurchsuchung finden sich in den Akten auf den Seiten 355 – 361.

 

Am 5. Februar 2016 wurde für den Beschuldigten ein amtlicher Verteidiger eingesetzt (AS 583). Im Zeitpunkt der Hausdurchsuchung war der Beschuldigte somit noch nicht verteidigt.

 

3.1.5 Es ist offensichtlich, dass im Zeitpunkt der Hausdurchsuchung vom 4. Februar 2016 erkennbar war, dass dem Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr drohte. Es lagen zu diesem Zeitpunkt Aussagen vor, wonach zwei Personen auf das [Restaurant in Ort 1] einen Raubüberfall verübt hätten und dabei eine Faustfeuer­waffe mitgeführt worden sei. Eine Zeugin sagte aus, dass ein Fahrzeug mit einer Kontrollnummer, die auf den Beschuldigten eingelöst war, unmittelbar nach dem Raub sehr schnell vom nahe gelegenen Kirchparkplatz weggefahren sei. Es bestand somit im damaligen Zeitpunkt ein erheblicher Verdacht, dass der Beschuldigte an einer schweren Straftat beteiligt war. Entsprechend hätte bereits im Zeitpunkt der Hausdurchsuchung ein amtlicher Verteidiger eingesetzt sein müssen.

 

3.1.6 Zu entscheiden ist, welche Konsequenzen die Durchführung einer Hausdurch­suchung in einem Fall von notwendiger Verteidigung hat, wenn in diesem Zeitpunkt (noch) kein notwendiger Verteidiger eingesetzt worden war.

 

3.1.7 Gemäss Art. 131 Abs. 3 StPO ist eine Beweiserhebung, die in einem Fall einer erkennbar notwendigen Verteidigung vorgenommen wurde, bevor ein Verteidiger eine Verteidigerin bestellt worden ist, nur gültig, wenn die beschuldigte Person auf ihre Wiederholung verzichtet.

 

3.1.8 Die Strafkammer des Obergerichts hat in einem grundsätzlichen Entscheid vom 13. September 2018 (SOG 2018 Nr. 19) festgehalten, dass es sich bei einer Hausdurchsuchung nicht um eine Beweiserhebung i.S. von Art. 147 Abs. 1 StPO handle, an welcher die Parteien Teilnahmerechte ausüben könnten. Die Hausdurchsuchung stelle auch keine Beweiserhebung i.S. von Art. 131 Abs. 3 StPO dar, die erst nach der Bestellung der notwendigen Verteidigung durchgeführt werden dürfe. Vielmehr handle es sich um eine Zwangsmassnahme, bei welcher der beschuldigten Person keine Mitwirkungsrechte zustünden.

 

Im erwähnten Grundsatzentscheid mass das Obergericht der Unterscheidung zwischen «Beweiserhebung» und «Zwangsmassnahme» entscheidendes Gewicht zu. Verwiesen wurde dabei auf die Systematik des Gesetzes, wo die Hausdurchsuchung im 5. Titel der StPO («Zwangsmassnahmen») und nicht im 4. Titel («Beweismittel») geregelt sei. Die Hausdurchsuchung setze die Anwesenheit der beschuldigten Person bzw. seines Verteidigers nicht voraus und sehe keine Teilnahmerechte des Beschuldigten vor, dies im Gegensatz zu den Befragungen, welche eigentliche Beweiserhebungen darstellten. Diese Unterscheidung führte das Obergericht zum Schluss, dass die Beweisverwertung von Erkenntnissen aus einer Hausdurchsuchung, die durchgeführt wurde, obwohl ein notwendiger Verteidiger (noch) nicht eingesetzt war, zulässig sei.

 

3.1.9 Es ist jedoch festzustellen, dass der Begriff «Hausdurchsuchung» vom Begriff der «Beweiserhebung» nicht völlig klar abgegrenzt werden kann. Eine Hausdurchsuchung kann angeordnet werden, wenn zu vermuten ist, dass sich in den betreffenden Räumen gesuchte Personen aufhalten Tatspuren zu beschlagnahmende Gegenstände Vermögenswerte befinden (Art. 244 Abs. 2 StPO). Eine Hausdurchsuchung dient somit vor allem der Beweissicherung. Gleichzeitig führt sie aber auch zu einer Beweiserhebung. Falls nämlich die vermuteten Gegenstände tatsächlich gefunden werden, führt dies zu deren Beschlagnahme und sie werden Teil der Akten.

 

Trotz dieser Berührungspunkte der Hausdurchsuchung mit Elementen einer Beweiserhebung ist doch ein entscheidender Unterschied zu den eigentlichen Beweiserhebungen (Befragung der beschuldigten Person, von Auskunftspersonen und Zeugen sowie Bestellung von Sachverständigen) offensichtlich: Eine Hausdurchsuchung kann nicht wiederholt werden. Art. 131 Abs. 3 StPO bezieht sich aber ausschliesslich auf Beweiserhebungen, die wiederholt werden können. Wenn also ein Zeuge, eine Auskunftsperson die beschuldigte Person selbst befragt werden, ohne dass eine notwendige Verteidigung bestellt ist, muss diese Beweiserhebung wiederholt werden, wenn der Beschuldigte nicht darauf verzichtet. Diese Bestimmung korrespondiert mit Art. 147 Abs. 3 StPO, wo ebenfalls vorgesehen ist, dass die Wiederholung einer Beweiserhebung verlangt werden kann, wenn der Rechtsbeistand einer Partei aus zwingenden Gründen an deren Teilnahme verhindert war. Beide Bestimmungen sollen gewährleisten, dass Beweiserhebungen, welche für die Parteien Teilnahmerechte vorsehen, wiederholt werden sollen, wenn diese Teilnahmerechte nicht gewährt wurden.

 

Die StPO sieht für die Hausdurchsuchung – trotz den erwähnten Berührungspunkten mit Elementen einer Beweiserhebung – für die beschuldigte Person und ihren Anwalt keine Teilnahmerechte vor. Eine Wiederholung einer Hausdurchsuchung ist zudem von der Natur der Sache her nicht möglich. Aus diesen Gründen kann sie auch nicht unter Art. 131 Abs. 3 (und Art. 147 Abs. 3) StPO subsumiert werden. Überdies ist festzuhalten, dass ein Verteidiger auf die Durchführung einer Hausdurchsuchung keinerlei Einfluss nehmen kann. Die Verwertung von Erkenntnissen aus einer Hausdurchsuchung, die durchgeführt worden ist, bevor ein notwendiger Verteidiger eingesetzt wurde, ist deshalb – sofern die Voraussetzungen dazu vorlagen – zulässig.

 

3.1.10 Das Fehlen dieser Voraussetzungen (hinreichender Tatverdacht, Hinweise auf Tatspuren zu beschlagnahmende Gegenstände, Verhältnismässigkeit, gültiger Hausdurchsuchungsbefehl, Art. 196 ff., 244 ff. StPO) wurde – zu Recht – von keiner Seite behauptet.

 

Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass an der im Entscheid SOG 2018 Nr. 19 begründeten Praxis festzuhalten ist. Die Erkenntnisse aus der am 4. Februar 2016 durchgeführten Hausdurchsuchung sind beweisrechtlich verwertbar und die entsprechenden Unterlagen (AS 355 – 361) sind zu den Akten zu nehmen.

 

 

Obergericht, Strafkammer, Urteil vom 28. September 2021 (STBER.2020.71)



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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