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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2020.31)

Zusammenfassung des Urteils STBER.2020.31: Verwaltungsgericht

Am 12. Februar 2019 ereignete sich auf der Hauptstrasse in Kriegstetten ein Verkehrsunfall zwischen einem Linienbus und einem 7-jährigen Kind, das mit einem Trottinett unterwegs war. Der Beschuldigte leitete eine Vollbremsung ein, dennoch kam es zur Kollision, bei der das Kind leicht verletzt wurde. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung. Das Obergericht sprach den Beschuldigten frei und sprach ihm eine Entschädigung zu. Der Privatkläger legte Berufung ein, da er der Meinung war, dass der Beschuldigte schuldig gesprochen und angemessen bestraft werden sollte. Nach einer ausführlichen Beweiswürdigung kam das Gericht zu dem Schluss, dass der Beschuldigte fahrlässig gehandelt hat, indem er nicht rechtzeitig vor dem Fussgängerstreifen anhielt, obwohl er die Kinder auf dem Trottinett wahrgenommen hatte. Das Gericht verurteilte den Beschuldigten zu einer Geldstrafe und Schadensersatzforderungen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts STBER.2020.31

Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2020.31
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2020.31 vom 18.02.2021 (SO)
Datum:18.02.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Fussgänger; Beschuldigte; Fussgängerstreifen; Privatkläger; Meter; Verkehr; Beschuldigten; Strasse; Privatberufungskläger; Verkehrs; Vortritt; Berufung; Linie; Fahrzeug; Urteil; Apos; Geschwindigkeit; Linienbus; Trottinett; Längmattstrasse; Hauptstrasse; Fussgängerstreifens; Sekunden; Körperverletzung; Vollbremsung; Kollision; Verhalten
Rechtsnorm: Art. 10 StPO ;Art. 117 StGB ;Art. 12 StGB ;Art. 125 StGB ;Art. 26 SVG ;Art. 3 VRV ;Art. 31 SVG ;Art. 32 BV ;Art. 32 SVG ;Art. 33 SVG ;Art. 4 VRV ;Art. 47 VRV ;Art. 49 SVG ;Art. 6 VRV ;
Referenz BGE:115 II 283; 115 IV 286; 120 Ia 36; 129 IV 282; 135 IV 56; 139 IV 45;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts STBER.2020.31

 
Geschäftsnummer: STBER.2020.31
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 18.02.2021 
FindInfo-Nummer: O_ST.2021.13
Titel: fahrlässige Körperverletzung

Resümee:

 

Obergericht

Strafkammer

 

 

 

 

 

 

Urteil vom 18. Februar 2021

Es wirken mit:

Präsident Marti

Oberrichter von Felten

Oberrichter Kiefer

Gerichtsschreiberin Lupi de Bruycker

 

In Sachen

1.    Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,

Anklägerin

2.    B.___, hier vertreten durch Rechtsanwalt Fabian Brunner,

Privatberufungskläger

 

gegen

 

A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Bolzli,

Beschuldigter

 

betreffend     fahrlässige Körperverletzung


Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:

I.    Prozessgeschichte

 

1.

Am Dienstag, 12. Februar 2019, 12:05 Uhr, ereignete sich auf der Hauptstrasse in Kriegstetten ein Verkehrsunfall zwischen einem Linienbus und einem Fussgänger. Der 7-jährige B.___ (nachfolgend: Privatkläger bzw. Privatberufungskläger) war mit seinem Trottinett («Scooter», sog. «fahrzeugähnliches Gerät») auf der Längmattstrasse in Richtung Hauptstrasse unterwegs und beabsichtigte, bei der Einmündung der Längmattstrasse in die Hauptstrasse die Strasse über den Fussgängerstreifen zu überqueren, was er denn auch tat. In diesem Moment befand sich ein Linienbus, gelenkt von A.___ (nachfolgend: Beschuldigter) kurz vor dem Fussgängerstreifen. Der Beschuldigte leitete eine Vollbremsung ein, gleichwohl kam es zur Kollision. Der Linienbus erfasste mit seiner rechten Fahrzeugfront den auf dem Fussgängerstreifen befindlichen Privatkläger seitlich, wodurch dieser vor dem Linienbus zu Boden stürzte und sich dabei leicht verletzte (vgl. Strafanzeige vom 11. März 2019, Akten Seiten 04 ff, nachfolgend: AS 04 ff.). Am 10. Mai 2019 liess der Privatkläger gegen den Beschuldigten Strafantrag stellen für alle in Frage kommenden Straftatbestände (AS 48).

 

2.

Am 14. Mai 2019 erliess die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl, mit welchem der Beschuldigte wegen fahrlässiger Körperverletzung (Art. 125 Abs. 1 StGB) zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je CHF 120.00, unter Gewährung des bedingten Vollzuges bei einer Probezeit von zwei Jahren, zu einer Busse von CHF 300.00, ersatzweise zu drei Tagen Freiheitsstrafe, sowie zur Tragung der Verfahrenskosten von CHF 535.00, verurteilt wurde (AS 50 ff.). Gegen diesen Strafbefehl erhob der Beschuldigte am 22. Mai 2019 frist- und formgerecht Einsprache (AS 55).

 

3.

Mit Anklageschrift vom 29. August 2019 erhob die zuständige Staatsanwältin Anklage gegen den Beschuldigten wegen fahrlässiger Körperverletzung und überwies die Akten dem Gerichtspräsidium von Bucheggberg-Wasseramt zur Beurteilung des Vorhalts. Es wurde u.a. beantragt, der Beschuldigte sei gemäss Anklage schuldig zu erkennen und zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je CHF 120.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie zu einer Busse von CHF 300.00, ersatzweise zu drei Tagen Freiheitsstrafe, zu verurteilen (AS 01 ff.).

 

4.

Am 26. Februar 2020 erliess der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Wasseramt folgendes Strafurteil:

 

« 1.  A.___ wird vom Vorhalt der fahrlässigen Körperverletzung, angeblich begangen am 12. Februar 2019, freigesprochen.

2.  A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Bolzli, wird zulasten des Staates eine Entschädigung für die Ausübung der Verfahrensrechte von CHF 5'155.25 (inkl. Auslagen und MWST) zugesprochen (auszahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse Solothurn nach Rechtskraft des Urteils).

3.  Die Zivilforderungen von B.___, gesetzlich vertreten durch C.___ und D.___, hier vertreten durch Rechtsanwalt Fabian Brunner, gegenüber A.___ auf Schadenersatz von CHF 540.00 und Genugtuung von CHF 2'000.00, zuzüglich Zins zu 5 % seit 12. Februar 2019, sowie der Antrag auf Ausrichtung einer Entschädigung für notwendige Aufwendungen werden abgewiesen.

4.  Die Kosten des Verfahrens, mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'200.00, total CHF 1'650.00, gehen zulasten des Staates.»

 

5.

Gegen das Urteil liess der Privatkläger am 16. März 2020 die Berufung anmelden (AS 171). Mit Berufungserklärung vom 11. Mai 2020 liess er beantragen, der Beschuldigte sei wegen fahrlässiger Körperverletzung schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen. Dieser sei zur Zahlung einer Genugtuung von CHF 2'000.00, einer Schadenersatzforderung von CHF 540.00 und angemessenen Parteientschädigungen für beide Instanzen zu verurteilen.

 

Der Oberstaatsanwalt verzichtete mit Eingabe vom 2. Juni 2020 auf eine Anschlussberufung und die weitere Teilnahme am Berufungsverfahren.

 

6.

Der Privatberufungskläger und der Beschuldigte erklärten sich in der Folge einverstanden mit der Durchführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens. Nach zweimaliger Fristerstreckung reichte der Privatberufungskläger am 1. September 2020 die schriftliche Berufungsbegründung mit Bestätigung der bereits formulierten Rechtsbegehren ein. Der Beschuldigte reichte am 23. September 2020 die Berufungsantwort ein mit dem Antrag auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils. Nach zweimaliger Fristerstreckung liess sich der Privatberufungskläger am 27. November 2020 vernehmen (Replik), der Beschuldigte duplizierte nach einmaliger Fristerstreckung am 21. Januar 2021.

 

 

II. Sachverhalt

 

1. Vorhalt

 

Der Beschuldigte soll sich gemäss Anklageschrift wie folgt der fahrlässigen Körperverletzung nach Art. 125 Abs. 1 StGB, begangen am 12. Februar 2019 um 12:05 Uhr an der Hauptstrasse in Kriegstetten, in Fahrtrichtung Derendingen, zum Nachteil von B.___, geb. […], schuldig gemacht haben:

 

Der Beschuldigte sei als Lenker des Linienbusses (Marke: Mercedes-Benz; Kontrollschild: SO-[…]) mit unangepasster Geschwindigkeit (ca. 40 bis 50 km/h) auf den Fussgängerstreifen zugefahren, weshalb er – als B.___ auf seinem Trottinett von der Längmattstrasse herkommend über das Trottoir der Hauptstrasse gefahren sei und ungebremst sowie ohne sich auf den Verkehr zu achten, den Fussgängerstreifen überquert habe – dessen Vortrittsrecht missachtet habe und trotz eingeleiteter Vollbremsung mit diesem kollidiert sei. B.___ sei deshalb vor dem Linienbus zu Boden gestürzt und habe sich dabei nachfolgende Verletzungen zugezogen:

 

-    Commotio cerebri mit Prellmarken frontal beidseits;

-    Schürfwunden Knie links und frontal beidseits;

-    Zahnkontusion Zahn 51;

-    Rissquetschwunde Ober- und Unterlippe.

 

Der Beschuldigte habe aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit die Folgen seines Verhaltens nicht bedacht, indem er jene Vorsicht nicht beachtet habe, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet gewesen sei. Im Einzelnen ergebe sich die pflichtwidrige Unvorsichtigkeit des Beschuldigten aus den Verkehrsregelverletzungen des Nichtanpassens der Geschwindigkeit (Art. 32 Abs. 1 SVG, Art. 4 Abs. 1 VRV), der mangelnden Rücksicht gegenüber Kindern, die sich im Bereich der Fahrbahn aufhalten und nicht auf den Verkehr achten (Art. 26 Abs. 2 SVG, Art. 4 Abs. 3 VRV), und des Missachtens des Vortrittsrechts bei Fussgängerstreifen (Art. 33 Abs. 2 SVG, Art. 6 Abs. 1 VRV). Für den Beschuldigten sei vorhersehbar gewesen, dass die erwähnten Verkehrsregelverletzungen zu einem Unfall führen könnten. Die Kollision wäre bei pflichtgemässem Verhalten des Beschuldigten vermeidbar und ein normgerechtes Verhalten wäre ihm zuzumuten gewesen. Hätte der Beschuldigte die ihm auferlegten Sorgfaltspflichten und die damit verbundenen Verkehrsregeln nicht verletzt, wäre es nicht zur Kollision gekommen und die Verletzungen von B.___ wären ausgeblieben. Das pflichtwidrige Verhalten des Beschuldigten sei damit kausal für den Unfall und die Körperverletzung von B.___ gewesen.

 

 

2. Allgemeines zur Beweiswürdigung

 

2.1 Gemäss der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie Art. 10 Abs. 3 StPO verankerten Maxime «in dubio pro reo» ist bis zum Nachweis der Schuld zu vermuten, dass die einer Straftat angeklagte Person unschuldig ist: es gilt demnach die Unschuldsvermutung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 120 Ia 36 ff, 127 I 40 f) betrifft der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowohl die Verteilung der Beweislast als auch die Würdigung der Beweise. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Als Beweiswürdigungsregel ist der Grundsatz «in dubio pro reo» verletzt, wenn sich der Strafrichter von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklärt, obschon bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, dass sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, da solche immer möglich sind. Obwohl für die Urteilsfindung die materielle Wahrheit wegleitend ist, kann absolute Gewissheit bzw. Wahrheit nicht verlangt werden, da diese der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen ist. Mit Zweifeln ist deshalb nicht die entfernteste Möglichkeit des Andersseins gemeint. Erforderlich sind vielmehr erhebliche und schlechthin nicht zu unterdrückende Zweifel, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei mehreren möglichen Sachverhaltsversionen hat der Richter auf die für den Beschuldigten günstigste abzustellen.

 

Eine Verurteilung darf somit nur erfolgen, wenn die Schuld des Verdächtigten mit hinreichender Sicherheit erwiesen ist, d.h. wenn Beweise dafür vorliegen, dass der Täter mit seinem Verhalten objektiv und subjektiv den ihm vorgeworfenen Sachverhalt verwirklicht hat. Voraussetzung dafür ist, dass der Richter einerseits persönlich von der Tatschuld überzeugt ist und andererseits die Beweise die Schuld des Verdächtigen in einer vernünftige Zweifel ausschliessenden Weise stützen. Der Richter hat demzufolge nach seiner persönlichen Überzeugung aufgrund gewissenhafter Prüfung der vorliegenden Beweise darüber zu entscheiden, ob er eine Tatsache für bewiesen hält nicht (BGE 115 IV 286).

 

2.2 Das Gericht folgt bei seiner Beweisführung dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO): Es würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung und ist damit bei der Wahrheitsfindung nicht an die Standpunkte und Beweisführungen der Prozessparteien gebunden. Unterschieden wird je nach Art des Beweismittels in persönliche (Personen, welche die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen bekannt geben: Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen und Beschuldigten) und sachliche Beweismittel (Augenschein und Beweisobjekte wie Urkunden Tatspuren). Dabei kommt es nicht auf die Zahl Art der Beweismittel an, sondern auf deren Überzeugungskraft Beweiskraft. Das Gericht entscheidet nach der persönlichen Überzeugung, ob eine Tatsache bewiesen ist nicht.

 

3. Beweismittel

 

3.1 Der Unfallort ist in den Akten verschiedentlich dokumentiert:

 

-    Polizeiskizze (AS 11),

-    Polizeifotos (AS 32 ff.),

-    Abbildung Google Maps (vom Beschuldigten anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eingereicht, AS 111),

-    Diverse Abbildungen Google Maps (vom Privatkläger mit der Berufungsbegründung eingereicht).

 

Aus diesen Dokumenten, auf die grundsätzlich abgestellt werden kann (auch auf die Abbildungen aus Google Maps), ist die Situation am Unfallort sehr gut dargestellt. Daraus ist ersichtlich, dass die Quartierstrasse Längmattstrasse im rechten Winkel und ohne Vortrittsrecht unmittelbar vor dem Fussgängerstreifen in die Hauptstrasse einmündet. Vor dem Fussgängerstreifen über die Hauptstrasse befindet sich ein kurzes Trottoir. Direkt vor der Einmündung der Längmattstrasse ist dem in Richtung Derendingen verkehrenden Linienbus die Sicht nach rechts in die Längmattstrasse durch eine sicher zwei Meter hohe Hecke verdeckt (vgl. Polizeifoto LinkID_11866776 auf AS 33 und Abbildungen Google Maps). Zu den Abbildungen auf Google Maps kann vorweg festgehalten werden, dass es sich bei den «schwarzen Streifen» links von der Hecke (vom Beschuldigten in seinen Rechtsschriften «der schwarze Teil der Hecke» bzw. «der schwarze Gürtel der Hecke» genannt) um den Schatten der Hecke handelt. Dies zeigen die Abbildungen, insbesondere auch auf AS 111, aber auch die bereits erwähnte Polizeifotographie klar auf. Die Hecke steht somit sicher einen Meter vom Strassenrand entfernt.

 

Die Bilder der Unfallendsituation zeigen, dass der Linienbus mit seinen Vorderrädern genau am Ende des Fussgängerstreifens zu stehen kam und die Vorderfront des Busses rund einen Meter über den Fussgängerstreifen hinausragte (AS 32 ff, insbes. LinkID_11866778). Das Trottinett des Privatklägers lag am rechten Strassenrand vor dem Linienbus. Der Linienbus wies an der vorderen rechten Ecke leichte Kratzspuren auf (LindID_11876774 f.).

 

3.2 Als weiteres objektives Beweismittel befindet sich der polizeiliche Auswertungsbericht vom 12. März 2019 bei den Akten, der die Auswertung des Datenaufzeichnungsgeräts RAG 2000+ darstellt. Das Gerät zeichnete den Geschwindigkeits-/Weg- und Zeitverlauf des Linienbusses der zuletzt gefahrenen Strecke auf (AS 23 ff.). Das Aufzeichnungsende liegt 40,34 Meter nach dem Anhalteort (AS 28), da der Bus nach dem Unfall von der Strasse weggestellt wurde. Daraus ergibt sich kurz zusammengefasst folgendes (AS 29, detailliert wird weiter unten auf diese Auswertung und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen eingegangen):

 

-    Bis knapp 26 Meter vor der Kollisionsstelle (Pt. 66.19 Meter, 12:07:13,3 Uhr) fuhr der Bus mit rund 50 km/h,

-    danach erfolgte eine leichte Reduktion der Geschwindigkeit während 0,9 Sekunden und gut 12 m Strecke auf 47.7 km/h (Pt. 53.92 Meter, 12:07:14,2 Uhr), mithin rund 13,5 Meter vor dem Anhalteort,

-    dann erfolgte eine starke Bremsung bis zur Vollbremsung auf 0 km/h. Der genaue Zeitpunkt der Anhaltung ist nicht verzeichnet, bei einer gleichmässigen Verzögerung kann dieser bei ca. 12:07:16,5 Uhr angenommen werden.

 

3.3 In den Akten befinden sich folgende Aussagenprotokolle:

 

-    Privatkläger (27.2.2019, AS 14): Er könne sich nicht an den Unfall erinnern.

 

-    Beschuldigter (12.2.2019, AS 12): Bei der Einmündung der Längmattstrasse habe er ein Mädchen (recte: einen Jungen: E.___) auf einem Trottinett in Richtung des Fussgängerstreifens fahren sehen. Er habe Bremsbereitschaft erstellt und gehofft, dass das Mädchen vor dem Fussgängerstreifen stehen bleibe. Er sei in diesem Moment zwischen 40 und 50 km/h gefahren und habe gewusst, dass er den Bus nicht mehr vor dem Fussgängerstreifen zum Stillstand bringen könnte. Das Mädchen habe vor dem Fussgängerstreifen angehalten. In diesem Moment sei ein Knabe, ebenfalls mit dem Trottinett aus der Längmattstrasse fahrend, direkt auf den Fussgängerstreifen zugefahren und habe den Fussgängerstreifen überqueren wollen. Als er realisiert habe, dass dieser Knabe, ohne anzuhalten und ohne links und rechts zu schauen, direkt auf den Fussgängerstreifen gefahren sei, habe er unverzüglich eine Vollbremsung eingeleitet. Trotzdem habe er den Jungen mit der rechten Fahrzeugfront und mit geringem Tempo erfasst. Diese Aussage bestätigte der Beschuldigte vor dem Vorderrichter (AS 129 ff.). Das grössere Kind habe er zuerst gesehen. Da habe er schon gedacht, er könne vor dem Fussgängerstreifen nicht mehr anhalten, habe aber den Fuss auf die Bremse genommen. Er habe gesehen, dass E.___ aufmerksam gewesen sei. Dieser sei stehen geblieben. Hinten dran sei der Privatkläger gekommen. Dieser sei nicht bei der Sache gewesen, da habe er dann eine Vollbremsung gemacht. Der Privatkläger sei von hinten gekommen und rechts von E.___ «durchgezogen». Er habe die Beiden rund 20 bis 25 Meter vorher gesehen. E.___ sei ein paar Meter vor dem Privatkläger gewesen, deshalb habe er diesen – um die Hecke – zuerst gesehen. Als er den Privatkläger gesehen habe, sei er schon näher beim Fussgängerstreifen gewesen. Dieser habe nicht aufgepasst und nicht in Richtung des Busses gesehen, deswegen habe es bei ihm «geklingelt». Der Privatkläger habe auch nicht gebremst vor dem Streifen und sei zügig unterwegs gewesen. Als er E.___ gesehen habe, sei er mit rund 50 km/h gefahren. Da habe er leicht zu bremsen begonnen.

 

-    E.___, Jahrgang […] (12.2.2019, AS 16): Er sei neben dem Privatkläger gestanden und habe dann nur gesehen, dass der Bus gekommen sei und ganz fest gebremst habe. Dann habe er noch gesehen, dass der Privatkläger auf die rechte Seite umgefallen sei. Er habe nicht gesehen, wie der Bus in den Privatkläger gefahren sei, er habe nur das Krachen gehört und habe dann zum Privatkläger geschaut und diesen «fliegen» gesehen. Sie seien vor dem Fussgängerstreifen gestanden und hätten die Strasse überqueren wollen. Als sie vor dem Streifen gestanden seien, habe er den Bus von links heranfahren gesehen. Der Bus sei rund zwei Meter vom Fussgängerstreifen entfernt gewesen, deshalb habe er gewartet und sei nicht über den Fussgängerstreifen gegangen. Der Privatkläger sei rechts von ihm gestanden. Ob dieser nach links geschaut habe nicht, könne er nicht sagen. Dieser sei dann aber mit dem Trottinett einfach über den Fussgängerstreifen gefahren. Dann sei es eben zu diesem Unfall gekommen. Wie schnell der Bus gefahren sei, könne er nicht sagen, er habe nur gesehen, dass dieser gebremst habe.

 

-    F.___, Jahrgang […], Mitfahrerin im Linienbus und Schwester von E.___ (12.2.2019, AS 18): Sie habe aus dem Fenster einen kleinen Bub gesehen, der noch leicht mit dem Trottinett gefahren sei und vom Bus vorne rechts am Kopf getroffen worden sei. Als sie das Kind zuerst gesehen habe, sei dieses noch rund 10 Meter entfernt gewesen. Sie sei bei der zweiten Türe von vorne gestanden. Das Kind sei da rund 5 bis 6 Meter vom Fussgängerstreifen entfernt gewesen. Sie habe gesehen, dass der Junge versucht habe, zu bremsen – er habe den einen Fuss nach hinten genommen – aber das Trottinett habe es irgendwie nicht angenommen. Er sei so einfach leicht langsamer weiter gefahren. Als sie ihn gesehen habe, habe er nach unten geschaut. Das sei rund ein Meter vor dem Fussgängerstreifen gewesen. Ob er dann nochmals nach oben geschaut habe, wisse sie nicht. Der Bus sei langsamer und langsamer geworden und habe plötzlich sofort angehalten. Da sei sie fast umgefallen. Der Privatkläger und ihr Bruder E.___ hätten beim Anfahren noch zusammen gesprochen und der Privatkläger habe dann einen Meter vorher nach unten geschaut. Evtl. habe der Buschauffeur ihn nicht gesehen er müsse ein neues Trottinett haben, das besser bremse. Vor der Vorinstanz (AS 116 ff.) gab sie an, sie habe in der Mitte des Busses Musik gehört. Wenn sie Musik höre, schaue sie immer aus dem Fenster und da habe sie manchmal ihren Bruder und den Privatkläger gesehen. Als der Bus angehalten habe, habe sie sich gefragt, wen es wohl getroffen habe. Der Privatkläger sei ihr erstmals bei der Einmündung aufgefallen, und gleich dort sei dieser über die Strasse gegangen. (Sie zeichnet den ersten Standort des Privatklägers ein, AS 128). Ihr Bruder sei etwas hinter dem Privatkläger gefahren, rund 3 bis 4 Meter. Der Privatkläger sei halt ein bisschen schneller gefahren als ihr Bruder und habe vor sich hin geschaut gegen den Boden. Ob er den Bus wahrgenommen habe, wisse sie nicht. Er habe «irgendwie nicht reagiert». Wie sich ein kleiner, […]-jähriger, aufgeweckter Junge halt verhalte, wenn er irgendwie mit dem Trottinett herumfahre. Ein bisschen übermotiviert. Ob er zu bremsen versucht habe, wisse sie nicht, sie habe nichts solches gesehen. Er habe sicher nicht vom Trottinett abspringen wollen mit beiden Beinen. Er habe wohl nicht wirklich anhalten wollen. (auf Frage nach der anders lautenden früheren Aussage) Sie sei damals halt ein wenig unter Schock gewesen. Sie glaube, nicht einmal damals habe sie es richtig in Erinnerung gehabt. (Auf Frage) Ja, sie wisse noch, dass der Privatkläger nach unten geschaut habe. Es sei ein starkes Bremsmanöver des Busses gewesen, aber nicht ganz so, dass man dabei umfalle. (Auf Frage) Sie habe gesehen, wie die beiden Jungen etwas weiter hinten miteinander geredet hätten. (Auf den Vorhalt, von ihrem eingezeichneten Standort habe sie den Privatkläger am angegebenen Standort gar nicht sehen können wegen der Hecke) Sie glaube, da sehe man ein bisschen durch. (Auf Frage) Sie sei sicher, dass der Privatkläger vor ihrem Bruder gefahren sei, dies einen halben bis maximal einen Meter.

 

4. Urteil der Vorinstanz

 

Die Vorinstanz geht davon aus (US 7 f.), der Beschuldigte sei mit ca. 50 km/h auf die Unfallstelle zugefahren. Als er sich mit dem Bus ca. 20 bis 25 Meter vor dem Fussgängerstreifen befunden habe und nach der Hecke teilweise Sicht in die einmündende Längmattstrasse gehabt habe, habe er das erste auftauchende Kind, E.___, mit dem Trottinett kurz vor dem Fussgängerstreifen gesehen. Ein rechtzeitiges Halten wäre zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich gewesen. Der Beschuldigte habe beim Erblicken des Kindes nicht nur Bremsbereitschaft erstellt, sondern auch leicht abgebremst. Er habe damit zunächst umgehend auf das erste Kind reagiert und sich vergewissert, dass das Kind ihn wahrgenommen habe und anhalten werde. Da habe es keinen Grund gegeben, eine Vollbremsung einzuleiten. Wenige Sekundenbruchteile später habe er dann auch den Privatkläger wahrgenommen, welcher etwas nach E.___ auf den Fussgängerstreifen zugefahren sei. Der Beschuldigte habe erkannt, dass der Privatkläger unaufmerksam gewesen sei und «ohne links und rechts zu schauen» unvermittelt auf den Fussgängerstreifen zugefahren sei. Da habe der Beschuldigte unmittelbar mit einer Vollbremsung reagiert und es sei ihm gelungen, den Bus direkt nach dem Fussgängerstreifen zum Stillstand zu bringen, wobei er auf dem Fussgängerstreifen leicht mit dem Privatkläger kollidiert sei.

 

5. Argumentation des Privatberufungsklägers

 

Der Privatberufungskläger argumentiert im Berufungsverfahren in erster Linie mit Weg-/Zeitberechnungen und dem daraus folgenden Hauptargument, der Beschuldigte hätte nach dem Erblicken der beiden Kinder ohne weiteres vor dem Fussgängerstreifen anhalten können und müssen. Dann wäre es nicht zur Kollision mit dem Privatberufungskläger gekommen. Detailliert werden die Vorbringen des Privatberufungsklägers weiter unten dargestellt.

 

6. Beweiswürdigung

 

6.1 Vorweg ist festzuhalten, dass aufgrund der in diesem Punkt konstanten und plausiblen Angaben des Beschuldigten davon auszugehen ist, dass die beiden Jugendlichen auf ihrem Trottinett nicht gleichzeitig, sondern hintereinander auf der Längmattstrasse auf den Fussgängerstreifen zufuhren: Vorne fuhr E.___ und danach kam der Privatkläger. Dies wird erhärtet durch die Erstaussagen von F.___, die damals nur vom Fahrmanöver des Privatklägers sprach: Sie schaute nach rechts aus den Fenster des Busses in Richtung Längmattstrasse. Hätte sie gleichzeitig auch ihren (dahinter auf gleicher Höhe fahrenden) Bruder erblickt, hätte sie das sicherlich bei der Erstaussage erwähnt. Der vordere Fahrer – ihr Bruder – hatte sich aber links ausserhalb ihres Blickfeldes näher beim Fussgängerstreifen befunden. Die spätere Aussage von F.___ vor dem Gerichtspräsidenten, der Privatkläger sei vorne gefahren, vermag daran nichts zu verändern, zumal sie da bezüglich Sichtbarkeit der beiden Jungen offensichtlich unzutreffende Angaben machte. Auch der Privatberufungskläger nimmt in den Rechtsschriften immer wieder Bezug auf den «Moment, in dem der Beschuldigte E.___ gesehen hat» (und geht dabei von einer Distanz von 41 bis 42,5 Meter vom Unfallort aus [erstmals Berufungsbegründung Ziffer 5, letztmals Duplik Ziffer 36], vgl. auch die analogen Ausführungen vor dem Gerichtspräsidenten: «Erblicken des ersten Kindes», AS 100) und geht damit ebenfalls von einer Distanz zwischen den beiden Jungen aus. Der Abstand zwischen den beiden Jungen betrug nach den glaubhaften (und jedenfalls nicht widerlegbaren) Aussagen des Beschuldigten «ein paar Meter».

 

6.2 Der erste Junge, E.___, achtete sich auf den Verkehr auf der Hauptstrasse und hielt vor dem Fussgängerstreifen an. Der zweite Junge, der Privatberufungskläger, achtete sich nicht auf den Verkehr auf der Hauptstrasse und fuhr ungebremst an seinem wartenden Kollegen vorbei auf den Fussgängerstreifen ein, wo es zur Kollision mit dem Bus kam.

 

6.3 Weiter ist zu beachten, dass sich die Vorgänge im vorliegenden Fall in Teilen nicht mehr exakt rekonstruieren lassen, so beispielsweise:

-    Der genaue Zeitpunkt, an dem der Beschuldigte den Privatkläger wahrnahm (und wahrnehmen musste): Hier kann entgegen dem Privatkläger nicht auf einen theoretischen Wert abgestellt werden, der sich aus dem möglichen Sichtwinkel nach rechts unter Berücksichtigung der Hecke vor der Einmündung ergibt: Der Beschuldigte hatte sich in erster Linie auf das Verkehrsgeschehen vor ihm zu konzentrieren und aufgrund der Vortrittsregelung keinen Anlass, sich primär auf die Möglichkeit von rechts einfahrender Verkehrsteilnehmer zu achten.

 

-    Die Geschwindigkeit, mit der sich der Privatkläger auf dem Trottinett dem Fussgängerstreifen näherte: Diesbezüglich kann der Wert des Privatklägers, der von 12,5 km/h ausgeht (Ziffer 9 der schriftlichen Berufungsbegründung), übernommen werden.

 

-    Der genaue Ort der Kollision (der Privatkläger setzt diesen offenbar mit der Anhaltestelle gleich) ist nicht bekannt, er dürfte sich auf der zweiten Hälfte des Fussgängerstreifens befinden. Massgebliche Eckpunkte sind vorliegend aber ohnehin die Anhaltestelle und – vor allem – der Beginn des Fussgängerstreifens. Auf diese Werte wird in der Folge Bezug genommen.

 

6.4 Unter Beizug der RAG2000-Aufzeichnungen (AS 29) kann – unter Berücksichtigung des Grundsatzes «in dubio pro reo» – von folgendem Vorgang ausgegangen werden (ausgehend von der Normalbreite des Fussgängerstreifens von vier Metern, womit der Anhalteort – Front des Busses – 5 Meter nach dem Beginn des Fussgängerstreifens lag):

 

-    Der Beschuldigte fuhr mit seinem Linienbus mit genau 50 km/h auf der Hauptstrasse in Richtung Derendingen. Diese Geschwindigkeit hielt er bis 26 m vor dem Anhalteort, somit bis 21 m vor Beginn des Fussgängerstreifens, ein (49,8 km/h bei 66,19 m, 12:07:13,3 Uhr).

 

-    Danach erfolgte bis 13,5 m vor dem Anhalteort bzw. 8,5 m vor dem Fussgängerstreifen eine leichte Reduktion der Geschwindigkeit auf 47.7 km/h (53.92 m, 12:07:14,2 Uhr), die am ehesten mit dem vom Beschuldigten geschilderten Erstellen der Bremsbereitschaft, also der Reaktion auf das Wahrnehmen von E.___ erklärt werden kann. Der Beschuldigte nahm somit seinen Fuss vom Gas.

 

-    In der Folge bremste er vorerst stark ab und ging unmittelbar danach in eine Vollbremsung über (Stillstand bei 12:07:16,5 Uhr). Er brachte den Bus somit innert knapp 2,5 Sekunden und innerhalb von 13,5 Metern von einer Ausgangsgeschwindigkeit von 47,7 km/h zum Stehen. Es ist davon auszugehen, dass er vor Einleitung dieses abrupten Bremsmanövers den herannahenden Privatkläger wahrgenommen und dessen Unaufmerksamkeit erkannt hatte.

 

-    Die Reaktionszeiten des Beschuldigten sind vorliegend auf 0,5 Sekunden zu schätzen: Der Beschuldigte ist ein professioneller und erfahrener Busführer, zudem hatte er beim ersten Vorgang nur den Fuss vom Gas zu nehmen und beim zweiten Vorgang nur kräftig auf das Bremspedal zu drücken. Dies rechtfertigt eine leichte Unterschreitung der bundesgerichtlich schon mehrfach angenommenen mittleren Reaktionszeit von 0,6 bis 0,7 Sekunden (Urteil 6B_533/2012 vom 25.1.2013 E. 1.5 mit Verweis auf BGE 115 II 283). Im gleichen Urteil geht das Bundesgericht von einer Bremsschwellzeit von 0,2 Sekunden aus.

 

Dieser Vorgang erscheint plausibel: Der Beschuldigte nahm damit E.___ – unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von 0,5 Sekunden 7 Metern – rund 33 Meter vor dem Anhalteort (bzw. 28 Meter vor Beginn des Fussgängerstreifens) wahr und reagierte unmittelbar mit Erstellung der Bremsbereitschaft, da E.___ aufmerksam war, den Bus wahrnahm und abbremste. Bei Annahme einer Reaktionszeit von 0,5 Sekunden und einer Bremsschwellzeit von 0,2 Sekunden nahm der Beschuldigte den Privatkläger 0,7 Sekunden nach der Wahrnehmung von E.___ wahr und reagierte darauf unmittelbar mit einer starken Bremsung bis zur Vollbremsung, da er erkannte, dass der Privatkläger unaufmerksam war und ungebremst auf den Fussgängerstreifen zufuhr.

 

Die Einschätzung des Beschuldigten, er habe den ersten Jungen – der sich dabei näher beim Beschuldigten befunden hat als der spätere Anhalteort – aus einer Distanz von 20 bis 25 m Entfernung wahrgenommen, ist damit recht genau. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz und der Einschätzung des Beschuldigten wäre es ihm aber gerade noch möglich gewesen, vor dem Fussgängerstreifen anzuhalten, wenn er in diesem Moment sogleich eine Vollbremsung eingeleitet hätte. Bei Annahme einer eigenen Geschwindigkeit von 12,5 km/h legte der Privatkläger innerhalb von drei Sekunden vor der Kollision rund 10 Meter zurück.

 

 

III. Rechtliche Würdigung

 

1. Objektiver Tatbestand

 

Unbestritten ist, dass sich der Privatkläger aufgrund der Kollision eine einfache Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 StGB zugezogen hat. Der objektive Tatbestand von Art. 125 Abs. 1 StGB ist damit erfüllt.

 

2. Allgemeines zum subjektiven Tatbestand

 

2.1 Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt darauf nicht Rücksicht nimmt (Art. 12 Abs. 3 StGB). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung gemäss Art. 117 StGB setzt voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Das Mass der im Einzelfall zu beachtenden Sorgfalt richtet sich, wo besondere, der Unfallverhütung und der Sicherheit dienende Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, in erster Linie nach diesen Vorschriften. Die Zurechenbarkeit des Erfolgs bedingt die Vorhersehbarkeit nach dem Massstab der Adäquanz. Weitere Voraussetzung ist, dass der Erfolg vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64 f. mit Hinweisen).  

 

2.2 Im Strassenverkehr richtet sich der Umfang der zu beachtenden Sorgfalt nach den Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes und der dazu gehörenden Verordnungen. Gemäss Art. 31 Abs. 1 SVG hat der Lenker sein Fahrzeug ständig so zu beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Er muss jederzeit in der Lage sein, auf die jeweils erforderliche Weise auf das Fahrzeug einzuwirken und auf jede Gefahr ohne Zeitverlust zweckmässig zu reagieren. Er muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 VRV). Das Mass der Aufmerksamkeit, das vom Fahrzeuglenker verlangt wird, beurteilt sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen. Wenn er sein Augenmerk im Wesentlichen auf bestimmte Stellen zu richten hat, kann ihm für andere eine geringere Aufmerksamkeit zugebilligt werden (BGE 129 IV 282 E. 2.2.1 S. 285; 127 II 302 E. 3c S. 303; je mit Hinweisen).  

 

2.3 Nach Art. 32 Abs. 1 SVG ist die Geschwindigkeit stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen. Art. 4 VRV konkretisiert die vorgenannte Bestimmung u.a. dahingehend, dass der Fahrzeugführer nur so schnell fahren darf, dass er innerhalb der überblickbaren Strecke halten kann; wo das Kreuzen schwierig ist, muss er auf halbe Sichtweite halten können (Abs. 1). Er muss die Geschwindigkeit mässigen und nötigenfalls halten, wenn Kinder im Strassenbereich nicht auf den Verkehr achten (Abs. 3).

 

Gemäss Art. 26 Abs. 1 SVG muss sich im Verkehr jedermann so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird (Abs. 2).

 

Art. 33 Abs. 2 SVG sieht vor, dass der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten hat, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden im Begriffe sind, ihn zu betreten. Diese Regelung wird von Art. 6 Abs. 1 VRV konkretisiert, wonach der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung jedem Fussgänger den Vortritt gewähren muss, der sich bereits auf dem Streifen befindet davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn überqueren will. Er muss die Geschwindigkeit rechtzeitig mässigen und nötigenfalls anhalten, damit er dieser Pflicht nachkommen kann. Nach Art. 49 Abs. 2 SVG haben die Fussgänger die Fahrbahn vorsichtig und auf dem kürzesten Weg zu überschreiten, nach Möglichkeit auf einem Fussgängerstreifen. Sie haben den Vortritt auf diesem Streifen, dürfen ihn aber nicht überraschend betreten. Gemäss Art. 47 Abs. 2 VRV haben die Fussgänger auf Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung den Vortritt, ausser gegenüber der Strassenbahn. Sie dürfen jedoch vom Vortrittsrecht nicht Gebrauch machen, wenn das Fahrzeug bereits so nahe ist, dass es nicht mehr rechtzeitig anhalten könnte.

 

2.4 Wesentliche Ausführungen zur vorliegend im Zentrum stehenden Frage des Vortrittsrechts von Fussgängern beim Fussgängerstreifen hat das Bundesgericht in BGE 129 IV 39 gemacht. Dieser betraf zwar einen durch eine Verkehrsinsel unterteilten Fussgängersteifen, die Erwägungen gelten in analoger Weise aber auch generell bei Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung. In den Regesten wird ausgeführt:

 

«Die Fussgängerin, die einen durch eine Verkehrsinsel unterteilten Fussgängerstreifen überquert, muss auf der Insel warten, wenn ein von rechts kommendes Fahrzeug so nahe ist, dass es nicht mehr rechtzeitig anhalten könnte. Die Fahrzeuglenkerin darf darauf vertrauen, dass die Fussgängerin ihre Beobachtungs- und Wartepflicht einhält. Erkennt sie indessen bei der gebotenen Aufmerksamkeit konkrete Anzeichen für ein verkehrswidriges Verhalten der Fussgängerin, muss sie alle zur Vermeidung eines Zusammenstosses erforderlichen Massnahmen treffen.»

 

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Beschuldigte fuhr bei Dämmerung mit etwa 45 km/h auf einen aus 100 Metern sichtbaren, gut beleuchteten und in der Mitte mit einer Verkehrsinsel unterteilten Fussgängerstreifen zu. Als sie 30 Meter vom Streifen entfernt war, betrat diesen von links eine hell gekleidete Fussgängerin. Die Beschuldigte fuhr trotzdem mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Die Fussgängerin überquerte die Strasse in eiligem Schritt, ohne auf der Verkehrsinsel einen Halt einzulegen. Sie stiess mit der linken Seite des Personenwagens zusammen. Nachdem beide kantonalen Instanzen die Beschuldigte wegen fahrlässiger Körperverletzung, begangen durch Missachten des Vortritts gegenüber Fussgängern auf dem Fussgängerstreifen sowie mangelnder Aufmerksamkeit im Strassenverkehr, verurteilt hatten, hiess das Bundesgericht die Beschwerde mit hauptsächlich folgenden Erwägungen gut:

 

Die Fussgänger hätten die Fahrbahn vorsichtig und auf dem kürzesten Weg zu überschreiten, nach Möglichkeit auf einem Fussgängerstreifen. Sie hätten den Vortritt auf diesem Streifen, dürften ihn aber nicht überraschend betreten (Art. 49 Abs. 2 SVG). Auf Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung hätten die Fussgänger den Vortritt, ausser gegenüber der Strassenbahn. Sie dürften jedoch vom Vortrittsrecht nicht Gebrauch machen, wenn das Fahrzeug bereits so nahe sei, dass es nicht mehr rechtzeitig anhalten könnte (Art. 47 Abs. 2 der Verkehrsregelverordnung vom 13.11.1962 [VRV; SR 741.11]). Bei Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung, die durch eine Verkehrsinsel unterteilt seien, gelte jeder Teil des Überganges als selbständiger Streifen (Art. 47 Abs. 3 VRV).

 

Vor Fussgängerstreifen habe der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befänden im Begriffe seien, ihn zu betreten (Art. 33 Abs. 2 SVG). Vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung müsse der Fahrzeugführer jedem Fussgänger den Vortritt gewähren, der sich bereits auf dem Streifen befinde davor warte und ersichtlich die Fahrbahn überqueren wolle. Er müsse die Geschwindigkeit rechtzeitig mässigen und nötigenfalls anhalten, damit er dieser Pflicht nachkommen könne (Art. 6 Abs. 1 VRV).

 

Gemäss der in Art. 26 SVG umschriebenen Grundregel müsse sich im Verkehr jedermann so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindere noch gefährde (Abs. 1). Besondere Vorsicht sei geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestünden, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten werde (Abs. 2).

 

Der Fussgänger müsse somit (spätestens) vor Betreten des Fussgängerstreifens prüfen, ob er diesen betreten könne, ohne dadurch in Missachtung seiner in Art. 47 Abs. 2 Satz 2 VRV festgelegten Pflicht, Fahrzeuge, die bereits so nahe seien, dass sie nicht mehr rechtzeitig halten könnten, zu brüsken Brems- Ausweichmanövern etc. zu nötigen. Dann dürfe der Fussgänger nicht von seinem Vortrittsrecht Gebrauch machen. (…) Der Fahrzeuglenker, der sich einem Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung nähere, dürfe grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Fussgänger seiner Beobachtungs- und allfälligen Wartepflicht nachkomme (Vertrauensgrundsatz gemäss Art. 26 SVG). Er müsse sich aber darauf achten, ob es dort Fussgänger gebe, bei denen Anzeichen dafür bestünden, dass sie sich verkehrswidrig verhalten könnten.

 

3. Subsumtion

 

Der Beschuldigte war auf der übersichtlichen Hauptstrasse bei gutem Wetter und trockener Strasse mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h unterwegs. Das kann angesichts der konkreten Umstände als angemessene Geschwindigkeit qualifiziert werden. Dass die Sicht nach rechts in die Längmattstrasse vor deren Einmündung eingeschränkt war und nach der Einmündung ein Fussgängerstreifen die Hauptstrasse querte, ändert daran nichts: Die Benützer der Längmattstrasse hatten den Vortritt der Hauptstrasse zu beachten und hatten direkt bei der Einmündung gute Sicht auf beide Seiten. Ebenso hatten allfällige Benützer des Fussgängerstreifens gute Sicht auf beide Seiten. Der Beschuldigte durfte somit – ohne Vorliegen anderweitiger Anzeichen – grundsätzlich darauf vertrauen, dass sowohl allfällige Benützer der Längmattstrasse als auch des Fussgängerstreifens ihren Pflichten nachkommen würden.

 

Rund 28 Meter vor dem Fussgängerstreifen (oder 33 Meter vor dem Anhalteort) nahm der Beschuldigte den ersten Jungen, E.___, wahr und reagierte mit der Erstellung der Bremsbereitschaft. Dabei kann man ihm angesichts der konkreten Umstände (Hecke) keine mangelnde Aufmerksamkeit vorwerfen: Seine Aufmerksamkeit hatte in erster Linie dem vor ihm liegenden Strassenstück zu gelten. Dass der Beschuldigte angesichts der konkreten Situation aufmerksam war, zeigen eindrücklich auch die Abbildungen des Privatberufungsklägers (Beilagen 5 bis 7 zur Berufungsbegründung: Distanz 22,56 m zur Mitte des Fussgängerstreifens). Ob der Beschuldigte in dieser Situation aufgrund der oben dargelegten Rechtslage eine Schnellbremsung hätte einleiten müssen, um das Vortrittsrecht von E.___ auf dem Fussgängerstreifen zu wahren, kann grundsätzlich offen gelassen werden. Dies ist aber eher zu verneinen, da eine Schnellbremsung und erst recht eine Vollbremsung mit einem Linienbus auch Gefahren für die Mitfahrenden in sich birgt. Aber selbst wenn man davon ausgehen würde, der Beschuldigte habe mit seinem Verhalten das Vortrittsrecht von E.___ nicht gewahrt, weil er keine Schnellbremsung eingeleitet hat, könnte ihm das bei der Beurteilung der Kollision mit dem Privatkläger nicht vorgehalten werden: Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs zwischen Pflichtverletzung (gegenüber E.___) und Verletzung (des Privatklägers) wäre nicht gegeben. Es bestünde nur ein natürlicher Kausalzusammenhang, genau so, wie wenn der Beschuldigte bei der letzten Haltstelle auf eine Weiterfahrt verzichtet hätte.

 

Der Beschuldigte nahm den Privatkläger rund 0,7 Sekunden nach E.___ wahr, dies in einer Distanz von rund 18 Metern vor dem Fussgängerstreifen (in 0,7 Sekunden werden bei 48 km/h 9,33 m zurückgelegt). In dieser Situation hätte der Privatkläger nach dem oben Gesagten vor dem Fussgängerstreifen warten müssen und es stand ihm kein Vortrittsrecht auf dem Fussgängerstreifen mehr zu. Auch hier ist beim Beschuldigten kein Mangel an Aufmerksamkeit erkennbar: Der Beschuldigte musste sich zu dieser Zeit in erster Linie auf das vor ihm liegende Strassenstück und das Verhalten von E.___ achten. Nach dem Wahrnehmen des Privatklägers und dessen Unaufmerksamkeit reagierte der Beschuldigte unverzüglich mit einer brüsken Bremsung bis zum Stillstand.

 

Eine Pflichtverletzung des Beschuldigten, welche adäquat kausal mit der Kollision und damit mit der Verletzung des Privatklägers ist, liegt zusammenfassend nicht vor.

 

4. Einwände des Privatberufungsklägers

 

Auf die wesentlichsten Vorbringen des Privatklägers in seiner schriftlichen Berufungsbegründung (nachfolgend: BB) wird wie folgt eingegangen:

 

-    Der Beschuldigte habe E.___ – unter Einrechnung von Reaktionszeit und Bremsschwellzeit – 41 bis 42,5 Meter vor der Kollisionsstelle wahrgenommen (BB Ziffern 5/6): Dazu kann auf obige Erwägungen zu Zeit und Weg verwiesen werden: Massgeblich ist nicht eine theoretisch mögliche Erkennbarkeit unter Ausnutzung der besten geometrischen Möglichkeit (wie vom Privatkläger auf der Beilage 2 zur BB dargestellt), sondern das Wahrnehmen bei Beachtung des konkret geforderten Masses an Aufmerksamkeit. Wie oben bereits ausgeführt, war es in der konkreten Situation keine prioritäre Aufgabe des Beschuldigten, den allfälligen Verkehr auf der Läng-mattstrasse zu beobachten. Massgeblich für die Beurteilung ist im Übrigen der Beginn des Fussgängerstreifens (bis dort hätte der Beschuldigte ja anhalten müssen) und nicht der Anhalteort.

 

-    Die Angabe, er habe E.___ erst aus einer Distanz von 20 bis 25 Metern gesehen, sei eine Schutzbehauptung (BB Ziffern 7/8): Dazu kann vollumfänglich auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

 

-    Die Geschwindigkeit von 50 km/h sei zu hoch gewesen (BB Ziffer 12): Der vom Privatkläger angestellte Vergleich mit der Rechtsprechung bei einem nahe gelegenen Kindergarten ist bei der vorliegend rund 650 Meter entfernten Schule nicht einschlägig.

 

-    Bei Kindern gelte gemäss Art. 26 Abs. 2 SVG der Misstrauensgrundsatz (BB Ziffer 13 f.): Als der Beschuldigte den Privatkläger wahrgenommen hat, hat er unverzüglich und korrekt reagiert. Die (geforderte) Abgabe eines akustischen Warnsignals hätte seine Reaktion nur verzögert und wäre für den Privatkläger ohnehin zu spät gekommen. Dies ist im Übrigen auch nicht angeklagt.

 

-    Zu den Vorbringen des Privatklägers zu Zeit und Weg in BB Ziffern 15 ff. kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. In Bezug auf die mögliche Vollbremsung bei Wahrnehmung von E.___ kann insbesondere auf die Ausführungen zur (fehlenden) Adäquanz verwiesen werden.

 

In der Stellungnahme zur Berufungsantwort (Replik) äussert sich der Privatberufungskläger zu den Ausführungen des Beschuldigten und bringt keine neuen Argumente vor. Namentlich wurde oben zu den aus der Sicht des Privatklägers «ausschliesslich denkbaren zwei Sachverhaltsvarianten» (Duplik Ziffer 26) Stellung genommen. Auch allfällige leichte Veränderungen bei der Annahme der Reaktionszeit (Duplik Ziffer 28 f.) würden am Resultat insgesamt nichts ändern.

 

5. Der Beschuldigte ist vom Vorhalt der fahrlässigen Körperverletzung frei zu sprechen.

 

 

IV. Zivilforderungen

 

Angesichts des Freispruchs sind die Zivilforderungen des Privatklägers (Schadenersatz, Genugtuung) gegenüber dem Beschuldigten abzuweisen.

 

 

V. Kosten und Entschädigungen

 

1.

Bei diesem Verfahrensausgang ist der erstinstanzliche Kosten- und Entschädigungsentscheid zu bestätigen.

2.

Die Kosten des Berufungsverfahrens von CHF 1'600.00, mit Einschluss einer Urteilsgebühr von CHF 1'500.00, erliegen auf dem unterliegenden Privatberufungskläger.

 

Der Privatberufungskläger hat dem Beschuldigten für das Berufungsverfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen (BGE 139 IV 45 und 141 IV 476).

 

Die vom Verteidiger eingereichte Honorarnote setzt sich aus einem Aufwand von 21 Stunden und 10 Minuten zu je CHF 240.00 (CHF 5'080.00), Auslagen von CHF 82.10 sowie 7,7 % MWST (= CHF 397.70) zusammen. In Abzug zu bringen sind die Positionen vom 18.12.2020 (Fristerstreckungsgesuch für den Beschuldigten) und vom 31.12.2020 (Gutheissung des Fristerstreckungsgesuches) mit einem Aufwand von total 15 Minuten, da die Aufwendungen und Kenntnisnahmen im Zusammenhang mit Fristerstreckungsgesuchen dem Kanzleiaufwand zuzurechnen sind, der im Stundenansatz des privaten Verteidigers von CHF 240.00 bereits berücksichtigt ist. Gleiches gilt für das Gesuch um Aktenzustellung (vgl. Position vom 7.9.2020, Abzug von 10 Minuten). Als verfahrensfremder Aufwand ist schliesslich die Position vom 8. Juli 2020 (Schreiben an VPOD, Abzug von 10 Minuten) zu qualifizieren. Ein Zusammenhang mit dem vorliegenden Berufungsverfahren ist nicht zu erkennen. Rechtsanwalt Bolzli führte im Berufungsverfahren mit seinem Klienten zwei Besprechungen durch (vgl. die Position vom 22.9.2020 [nach Eingang der BB und vor Einreichung der Stellungnahme des Beschuldigten] und die Position vom 23.1.2021 [nach Eingang der Replik und vor Einreichung seiner Duplik), die je 1 ¼ Stunden in Anspruch nahmen. Zusammen mit den telefonischen Kontakten von insgesamt 70 Minuten (vgl. Positionen vom 6.3., 23.3., 20.5, 15.6 und 9.9.2020) umfasst der Besprechungsaufwand total 220 Minuten, was in Anbetracht des überschaubaren Verfahrensgegenstandes und der Tatsache, dass (bis auf wenige Dokumente von Google Maps) keine neuen Beweismittel hinzu kamen, nicht mehr angemessen ist (ermessensweise Kürzung um 120 Minuten). Unter Berücksichtigung dieser Korrekturen hat der Privatberufungskläger, gesetzlich vertreten durch C.___ und D.___, dem Beschuldigten eine Parteientschädigung von total CHF 4'895.10 (Aufwand: 18,5833 Stunden zu je CHF 240.00: CHF 4'460.00, Auslagen: CHF 85.10; 7,7 % MWST: CHF 350.00) zu bezahlen.

 

Demnach wird in Anwendung von Art. 379 ff., Art. 398 ff., Art. 426 Abs. 1, 428 Abs. 1 und 3 StPO erkannt:

1.    Der Beschuldigte A.___ wird vom Vorhalt der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen.

2.    Die Zivilforderungen (Schadenersatz und Genugtuung) des Privatberufungsklägers B.___, gesetzlich vertreten durch C.___ und D.___, werden abgewiesen.

3.    A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Bolzli, wird für erstinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung von total CHF 5'155.25 (inkl. Auslagen und MWST) zugesprochen, zahlbar durch den Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse.

4.    Der Privatberufungskläger B.___, gesetzlich vertreten durch C.___ und D.___, hat A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Bolzli, für das Berufungsverfahren eine Parteientschädigung von total CHF  4'895.10 (inkl. Auslagen und MWST) zu bezahlen.

5.    Der Antrag des Privatberufungsklägers B.___, gesetzlich vertreten durch C.___ und D.___, hier vertreten durch Rechtsanwalt Fabian Brunner, auf Zusprechung einer Parteientschädigung für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren wird abgewiesen.

6.    Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'200.00, total CHF 1'650.00, gehen zu Lasten des Staates.

7.    Die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'500.00, total CHF 1'600.00, gehen zu Lasten des Privatberufungsklägers B.___, gesetzlich vertreten durch C.___ und D.___.

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

Im Namen der Strafkammer des Obergerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

Marti                                                                                  Lupi De Bruycker

 

 

 

Auf eine gegen den vorliegenden Entscheid erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 6B_430/2021 vom 7. Juni 2021 nicht ein.

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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