Kanton: | SO |
Fallnummer: | BKBES.2023.80 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer |
Datum: | 17.10.2023 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Zusammenfassung: | In dem vorliegenden Fall kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen A.___ und B.___ wegen gegenseitiger Beschimpfungen und körperlicher Übergriffe. Die Staatsanwaltschaft stellte die Strafuntersuchung gegen B.___ ein, worauf A.___ Beschwerde einreichte. Nach Prüfung der Aussagen und Beweise entschied die Beschwerdekammer des Obergerichts, die Beschwerde abzuweisen, da keine eindeutigen Beweise für eine Verurteilung vorlagen. Die Kosten des Verfahrens in Höhe von CHF 800.00 gehen zu Lasten von A.___. |
Schlagwörter: | Beschuldigte; Beschuldigten; Staatsanwaltschaft; Polizei; Tätlichkeit; Aussage; Beschimpfung; Beschwerdeführers; Einstellung; Aussagen; Körper; Korridor; Untersuchung; Tätlichkeiten; Verfahren; Urteil; Schwester; Körperverletzung; Recht; Verfahren; Anklage; Sachverhalt; Freundin; Wohnung; Verletzungen; Täter |
Rechtsnorm: | Art. 126 StGB ; Art. 15 StGB ; Art. 177 StGB ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Franz Riklin, Basler Strafrecht II, Art. 177, 2019 |
Geschäftsnummer: | BKBES.2023.80 |
Instanz: | Beschwerdekammer |
Entscheiddatum: | 17.10.2023 |
FindInfo-Nummer: | O_BK.2023.73 |
Titel: | Einstellungsverfügung |
Resümee: |
Obergericht Beschwerdekammer
Beschluss vom 17. Oktober 2023 Es wirken mit: Oberrichterin Hunkeler Oberrichterin Kofmel Gerichtsschreiberin Ramseier In Sachen A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Zani Dzaferi,
Beschwerdeführer
1. Staatsanwaltschaft, Beschwerdegegnerin
Beschuldigter
betreffend Einstellungsverfügung zieht die Beschwerdekammer des Obergerichts in Erwägung: I.
1. In der Nacht vom 18. auf den 19. Februar 2023 kam es zwischen A.___ und dessen Schwager B.___ zu einer Auseinandersetzung. A.___ wirft B.___ vor, ihn mit «Hurensohn» beschimpft zu haben. Ausserdem habe er ihn mit der rechten Faust gegen das linke Auge geschlagen und ihn gegen die Brust gestossen, worauf er zu Boden gefallen sei. Dabei habe er sich eine Schürfung am linken kleinen Finger zugezogen. Ausserdem habe er Schmerzen am linken Kieferknochen sowie einen Tinnitus im linken Ohr erlitten. B.___ wirft A.___ vor, von ihm als «Arschloch» beschimpft und an der Jacke unterhalb des Halses gepackt worden zu sein (Strafanzeige der Polizei vom 3. April 2023). A.___ erhob am 19. Februar 2023 Strafantrag gegen B.___ wegen sämtlicher in Frage kommender Tatbestände. B.___ verzichtete auf einen Strafantrag (vgl. Ersteinvernahme vom 19. Februar 2023).
Die Staatsanwaltschaft eröffnete am 26. Mai 2023 eine Strafuntersuchung gegen B.___ wegen Beschimpfung und Tätlichkeiten. Am 10. Juli 2023 stellte sie die Strafuntersuchung ein.
2. Gegen diese Verfügung liess A.___ am 24. Juli 2023 Beschwerde erheben mit dem Antrag auf deren Aufhebung. Die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, das Strafverfahren gegen B.___ weiterzuführen und diesen wegen aller in Frage kommender Straftaten zu bestrafen.
3. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 6. September 2023 die Abweisung der Beschwerde.
4. B.___ beantragte am 11. September 2023 sinngemäss ebenfalls die Abweisung der Beschwerde.
5. Mit Schreiben vom 22. September 2023 liess A.___ zur Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft Stellung nehmen.
6. Für die Standpunkte der Parteien wird auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachfolgend darauf einzugehen.
II.
1. Die Staatsanwaltschaft verfügt gemäss Art. 319 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) die vollständige teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b), Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen (lit. c), Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden können Prozesshindernisse aufgetreten sind (lit. d) nach gesetzlicher Vorschrift auf Strafverfolgung Bestrafung verzichtet werden kann (lit. e).
Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz «in dubio pro duriore» zu richten. Das Verfahren darf grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen eingestellt werden. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Falls sich die Wahrscheinlichkeiten eines Freispruchs einer Verurteilung in etwa die Waage halten, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf (Urteil des Bundesgerichts 6B_515/2021 vom 20. Dezember 2022 E. 2.4.1 mit Hinweisen).
Sachverhaltsfeststellungen sind unter Berücksichtigung des Grundsatzes «in dubio pro duriore» auch bei Einstellungen zulässig, soweit gewisse Tatsachen «klar» bzw. «zweifelsfrei» feststehen, so dass im Fall einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Der Staatsanwaltschaft ist es mithin nur bei unklarer Beweislage untersagt, der gerichtlichen Beweiswürdigung vorzugreifen. Im Rahmen von Art. 319 Abs. 1 lit. b und c StPO sind Sachverhaltsfeststellungen der Staatsanwaltschaft in der Regel gar notwendig. Auch insoweit gilt aber, dass der rechtlichen Würdigung der Sachverhalt «in dubio pro duriore», d.h. der klar erstellte Sachverhalt, zugrunde gelegt werden muss (Urteil des Bundesgerichts 6B_1195/2019 vom 28. April 2020 E. 3.1).
2.1 Gemäss Strafanzeige der Polizei sei sie damals gestützt auf eine Meldung von C.___ (Freundin von A.___) ausgerückt. Vor Ort seien sie auf den sehr angetriebenen A.___ (nachfolgend Beschwerdeführer) gestossen. Die Melderin und die Schwester des Beschwerdeführers (gleichzeitig die Ehefrau von B.___, D.___) seien ebenfalls anwesend gewesen. Alle Personen hätten sich im Hauseingang der Liegenschaft [...], [...], befunden (Wohnort des Beschuldigten B.___). Die Personen seien sehr aufgebracht und die Situation unübersichtlich gewesen. Als der Beschuldigte einige Minuten später zur Gruppe gestossen sei, sei die Lage kurz vor dem Eskalieren gewesen. Zwischen dem Beschuldigten und dem Beschwerdeführer sei es zu gegenseitigen verbalen Disputen gekommen. Es habe in Erfahrung gebracht werden können, dass es zwischen den Männern zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen sei. Mit ihnen sei eine Ersteinvernahme durchgeführt worden, ebenso sei der Nachbar, E.___, welcher alles beobachtet habe, befragt worden. Während der ganzen Sachverhaltsaufnahme habe der Beschwerdeführer von der Polizei verlangt, dass diese sich jegliche Aussagen, welche zwischen ihm und dem Beschuldigten stattgefunden hätten, merke und notiere. Dies sei jedoch aufgrund der angetroffenen Situation und den Umständen vor Ort nicht möglich gewesen. Im Beisein der Polizei sei es zu gegenseitigen Beschimpfungen, nicht aber zu Tätlichkeiten gekommen. Ein Atemlufttest beim Beschuldigten habe einen Wert von 0,32 mg/l ergeben, beim Beschwerdeführer einen von 0,68 mg/l.
2.2 Der Beschuldigte hatte gegenüber der Polizei ausgesagt, er sei damals mit seiner Frau, deren Schwester und dem Beschwerdeführer in Zürich gewesen. Noch während des Essens habe der Beschwerdeführer mit seiner Freundin Streit gehabt. Er (der Beschuldigte) habe dessen Freundin unterstützt, worauf der Beschwerdeführer wütend geworden sei. Er (der Beschuldigte) sei allein mit dem Zug nach Hause gefahren. Als er im Eingang gestanden sei, sei ein Taxi vorgefahren. Der Beschwerdeführer sei ausgestiegen, in den Eingang gekommen, habe ihm gesagt, er sei ein «Arschloch» und habe ihn darauf an der Jacke unterhalb des Halses gepackt. Darauf habe er ihn an der Hand gepackt, worauf er (der Beschwerdeführer) zu Boden gefallen sei. Ihr Nachbar sei dazwischen gekommen und habe sie getrennt. Er (der Beschuldigte) sei in die Wohnung gegangen und daraufhin sei die Polizei gekommen. Er sei nicht verletzt worden. Die Polizei habe gesehen, wie unanständig und aggressiv der Beschwerdeführer gewesen sei. Wenn dieser Alkohol trinke, sei er immer so. Er habe den Beschwerdeführer nicht geschlagen. Er habe sich nur mit den Händen und Armen selber geschützt.
2.3 Der Beschwerdeführer hatte zu Protokoll gegeben, er sei mit seiner Schwester in einem Taxi an deren Wohnort gefahren. Er sei zuerst reingegangen, worauf der Beschuldigte ihn geschlagen habe. Der Polizist habe gehört, wie der Beschuldigte gesagt habe, er (der Beschwerdeführer) habe es verdient und wie er ihn draussen provoziert habe. Er wolle, dass der Polizist bezeuge, was er gehört habe und es nicht vergesse. Der Beschuldigte habe ihn «Hurensohn» genannt bevor die Polizei gekommen sei. Er habe ihn mit der rechten Faust gegen das linke Auge geschlagen, ihn gegen die Brust gestossen, worauf er in den Korridor gefallen sei. Dabei habe er sich am linken, kleinen Finger verletzt (Schürfung). Am Kieferknochen habe er Schmerzen und einen Tinnitus im linken Ohr. Seine Schwester habe Angst vor dem Beschuldigten (dass er sie schlage). Deshalb sei er zuerst rein. Seine Nichte habe ihm die Türe geöffnet. Als er im Korridor gewesen sei, habe der Beschuldigte ihn geschubst und am Boden verschlagen.
2.4 Der Nachbar, E.___, hatte ausgesagt, er sei im Wohnzimmer gewesen, als er von der Eingangstüre her ein Klopfen gehört habe. Er habe Nachschau gehalten. Der Beschuldigte sei im Korridor beim Haupteingang gewesen. Er habe in seine Wohnung gewollt. Dann sei der andere gekommen. Dieser sei zum Beschuldigten gegangen und habe ihn weggestossen. Es habe eine Schlägerei gegeben. Der andere sei am Boden gelegen, der Beschuldigte noch gestanden. Er (der Nachbar) sei dazwischen gegangen. Er kenne den anderen nicht. Dann sei eine Frau gekommen und habe sich eingemischt. Es habe Streit gegeben. Er habe den Beschuldigten zu sich in die Wohnung genommen bis die Polizei gekommen sei. Er habe nicht genau gesehen, «wer, wann und wie geschlagen habe».
2.5 Gemäss Bericht des Kantonsspitals Aarau vom 19. Februar 2023, wo sich der Beschwerdeführer zwecks Dokumentation seiner Verletzungen hinbegab (Bericht S. 1), erlitt er folgende Verletzungen (Hauptdiagnosen):
- Contusio capitis, - Monokelhämatom links, - Würgezeichen am Hals.
Es wurde weder eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt noch wurden dem Beschwerdeführer Medikamente verschrieben.
2.6 Die Staatsanwaltschaft begründete die Einstellung im Wesentlichen damit, es handle sich vorliegend um eine Aussage gegen Aussage-Situation, d.h. es könne einzig und allein auf die Aussagen der Beteiligten abgestellt werden. Stünden sich gegensätzliche Aussagen der Parteien gegenüber und lägen keine objektiven Beweise vor, könne ausnahmsweise auf eine Anklage verzichtet werden, wenn es nicht möglich sei, die einzelnen Aussagen als glaubhafter weniger glaubhaft zu bewerten und keine weiteren Beweisergebnisse zu erwarten seien. Vorliegend lägen keine erkennbaren Gründe vor, welche die Aussagen des Beschwerdeführers glaubhafter erscheinen liessen als jene des Beschuldigten. Zudem sei nicht auszuschliessen, dass die Beteiligten gegenseitig verbal ausfällig geworden seien und gegenseitig Tätlichkeiten verübt hätten. Weil mit der Tätlichkeit oft auch ein beschimpfendes Moment einhergehe, könne diese im Sinne der Retorsion quittiert werden. In diesem Fall wäre das Strafverfahren gegen den Beschuldigten auch gestützt auf Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO i.V.m. Art. 177 Abs. 3 StGB (und Art. 126 StGB) einzustellen.
2.7 Der Beschwerdeführer liess vorbringen, aufgrund des Spitalberichts hätte die Staatsanwaltschaft nicht bloss eine Tätlichkeit prüfen dürfen. Der Beschuldigte habe sich der einfachen Körperverletzung schuldig gemacht. Die Staatsanwaltschaft habe keinerlei Beweise erhoben. Er (der Beschwerdeführer) habe die Befragung seiner Freundin und des Taxifahrers beantragt. Auch seine Schwester, welche gleichzeitig die Ehefrau des Beschuldigten sei, wäre nötigenfalls zu einer Aussage bereit. Hätte die Staatsanwaltschaft die im Recht befindlichen Akten berücksichtigt und die Beweisanträge des Beschuldigten (richtig: des Beschwerdeführers) gutgeheissen, hätte sie nicht zur Auffassung gelangen können, die Aussagen des Beschwerdeführers erschienen nicht glaubhafter als diejenigen des Beschuldigten.
3.1 In Abgrenzung zur schweren Körperverletzung wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren Geldstrafe bestraft, wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper Gesundheit schädigt (Art. 123 Ziff. 1 des Strafgesetzbuches, StGB, SR 311.0). Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft (Art. 126 Abs. 1 StGB).
3.2 Hinsichtlich des Vorhalts des Beschwerdeführers, die Staatsanwaltschaft habe zu Unrecht eine blosse Tätlichkeit geprüft, ist festzuhalten, dass die Frage, ob vorliegend von einer einfachen Körperverletzung einer Tätlichkeit auszugehen wäre, offen bleiben kann, da die verfügte Einstellung des Verfahrens im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. So lässt sich aufgrund der vorliegenden Aktenlage nicht eruieren, ob der Beschuldigte dem Beschwerdeführer vorsätzlich Verletzungen zugefügt hat ob er nur einen «Angriff» des Beschwerdeführers abgewehrt hat und es dabei zu den Verletzungen gekommen ist. Die Aussagen der beteiligten Männer gehen diesbezüglich auseinander. Der Nachbar des Beschuldigten gab aber zu Protokoll, dass der Beschuldigte in seine Wohnung habe gehen wollen, als der andere Mann (der Beschwerdeführer) gekommen sei und ihn weggestossen habe. Dann habe es eine Schlägerei gegeben. Auch wenn der Nachbar nicht sagen konnte, wer geschlagen hat resp. wann und wie geschlagen worden ist, muss aufgrund seiner Aussage doch davon ausgegangen werden, dass es der Beschwerdeführer war, der zuerst auf den Beschuldigten zugegangen war und ihn weggestossen hatte. Es kann auch sein, dass er – wie dies der Beschuldigte ausgesagt hatte – diesen dabei unterhalb des Halses an der Jacke gepackt hatte. Gemäss Ausführungen des Nachbarn ist es anschliessend zu einer Schlägerei gekommen, anlässlich der der Beschwerdeführer offenbar verletzt wurde.
Auch wenn im vorliegenden Verfahren der Grundsatz «in dubio pro reo» nicht zur Anwendung gelangt (vgl. Urteil 6B_782/2019 vom 19. Juni 2020 E. 2.4.4), ist davon auszugehen, dass angesichts dieses Beweisergebnisses (vgl. auch nachfolgende Erwägung 3.3) in einer weiterführenden Strafuntersuchung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit einem Freispruch des Beschuldigten bezüglich einer Tätlichkeit einfachen Körperverletzung gestützt auf Art. 15 StGB zu rechnen wäre (Notwehrsituation). Denn wird jemand ohne Recht angegriffen unmittelbar mit einem Angriff bedroht, ist er berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 6B_120/2015 vom 20. Mai 2015).
3.3 Daran vermögen die Ausführungen des Beschwerdeführers in Bezug auf den Vorhalt ungenügend getätigter Ermittlungshandlungen nichts zu ändern.
Es ist in der Tat nicht ersichtlich, welche Erkenntnisse von der Befragung des Taxifahrers gewonnen werden könnten, wurde die Auseinandersetzung doch unbestrittenermassen im Korridor ausgetragen. So sagte der Beschwerdeführer aus, er sei zuerst reingegangen, er sei in den Korridor gefallen, die Türe sei ihm von seiner Nichte geöffnet worden und er sei geschubst worden, als er im Korridor gewesen sei. Auch der Beschuldigte sagte aus, sein Schwager sei aus dem Taxi gestiegen und sei dann in den Eingang gekommen. Ebenso hatte der Nachbar ausgesagt, der Beschuldigte sei im Korridor beim Haupteingang gewesen und habe in seine Wohnung gehen wollen, als der andere gekommen sei und ihn weggestossen habe. Schliesslich ist auch im Polizeirapport vom 3. April 2023 erwähnt, alle Personen hätten sich im Hauseingang der Liegenschaft befunden. Aus diesem Grund ist nicht zu erwarten, dass ein Taxifahrer detaillierte Angaben zum Geschehen machen kann resp. von ihm Aussagen zur Frage, wer die Auseinandersetzung begonnen und wie sich die Schlägerei abgespielt hat, zu erwarten sind.
Ebenso wenig sind objektive Aussagen von der Freundin des Beschwerdeführers und dessen Schwester, bei der es sich gleichzeitig um die Ehefrau des Beschuldigten handelt, zu erwarten. Eine wie auch immer geartete vorgängige Beeinflussung dieser Frauen ist nicht auszuschliessen.
3.4 Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung wegen Tätlichkeiten eingestellt hat. Eine Verurteilung des Beschuldigten erscheint nicht als wahrscheinlicher als ein Freispruch, weshalb die Einstellung nicht gegen den Grundsatz «in dubio pro duriore» verstösst. Dies würde auch im Hinblick auf eine Strafuntersuchung wegen einfacher Körperverletzung gelten, sollte aufgrund des Verletzungsbildes von einer einfachen Körperverletzung und nicht von einer Tätlichkeit ausgegangen werden.
Bezüglich des Vorhalts, die Staatsanwaltschaft habe allfällige Fotos der Polizei zu Unrecht nicht beigezogen, ist ergänzend anzufügen, dass es dem Beschwerdeführer dabei offenbar um die Dokumentation seiner Verletzungen geht (vgl. Eingabe vom 26. Juni 2023). Diese sind durch den Bericht des Kantonsspitals Aarau aber ausreichend dokumentiert. Im Weiteren war bereits aufgrund des Polizeirapports nicht anzunehmen, dass die Polizei über relevante Fotos verfügt, ansonsten diese erfahrungsgemäss der Strafanzeige beigelegt worden wären. Eine telefonische Nachfrage bei der Polizei vom 10. Oktober 2023 hat denn auch ergeben, dass lediglich die Ausweise fotografiert worden seien (F.___, welche damals ausgerückt war und den Polizeirapport verfasst hat).
4.1 Die Strafuntersuchung wurde ebenso wegen Beschimpfung eingestellt.
4.2 Der Beschimpfung macht sich schuldig und wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft, wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift (Art. 177 Abs. 1 StGB). Hat der Beschimpfte durch sein ungebührliches Verhalten zu der Beschimpfung unmittelbar Anlass gegeben, so kann das Gericht den Täter von Strafe befreien (Abs. 2). Ist die Beschimpfung unmittelbar mit einer Beschimpfung Tätlichkeit erwidert worden, so kann das Gericht einen beide Täter von Strafe befreien (Abs. 3).
Bei der Provokation und Retorsion gemäss Art. 177 Abs. 2 und 3 StGB handelt es sich um fakultative Strafbefreiungsgründe, nicht um Rechtfertigungsgründe. In beiden Fällen lässt das Gesetz im Bagatellbereich Selbstjustiz zu. Die Retorsion ist ein Spezialfall der Provokation. Für den Entscheid über die Strafbefreiung nach dem Gesetzestext ist der urteilende Richter zuständig. Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO ermächtigt jedoch die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen bereits im Vorverfahren i.S. der Opportunität das Verfahren einzustellen. Bei der Provokation hat der Beschimpfte durch sein ungebührliches Verhalten gegenüber dem Beschimpfer anderen Personen zu der Beschimpfung unmittelbar Anlass gegeben. Die ratio legis der Strafbefreiung wird vor allem im Affekt des Täters gesehen, dem die Zeit zu ruhiger Überlegung fehlt. Vorausgesetzt ist, dass der Täter unmittelbar reagiert. Bei der Retorsion wird eine Beschimpfung unmittelbar mit einer Beschimpfung Tätlichkeit erwidert. Eine Strafbefreiung ist zugunsten eines beider Täter möglich. Ratio legis eines Absehens von Strafe ist es, dass die streitenden Teile sich selber schon an Ort und Stelle Gerechtigkeit verschafft haben und der Streit zu unbedeutend ist, als dass das öffentliche Interesse nochmalige Sühne verlangen würde. Auch hier wird Unmittelbarkeit verlangt (Franz Riklin in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Auflage 2019, Art. 177 N. 19 ff.).
4.3 Im Hinblick auf den Vorhalt der Beschimpfung ist die Einstellung ebenso wenig zu beanstanden. So ist auch hier nicht klar, wer den anderen zuerst beschimpft hat. Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei vom Beschuldigten als «Hurensohn» betitelt worden, während der Beschuldigte zu Protokoll gegeben hat, der Beschwerdeführer habe ihn «Arschloch» genannt. Der Nachbar machte dazu keine Angaben. Diesbezüglich den Taxifahrer eine der beiden anwesenden Frauen zu befragen, ist weder sachdienlich noch angemessen. Angesichts der bereits zuvor angespannten Stimmung zwischen den beiden Männern kann davon ausgegangen werden, dass sie sich mit diesen Beschimpfungen bereits vor Ort Gerechtigkeit verschafft haben. Eine nochmalige Sühne verlangt das öffentliche Interesse nicht.
5. Zusammenfassend erweist sich die Beschwerde folglich als unbegründet und sie ist entsprechend abzuweisen.
6. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von CHF 800.00 gehen bei diesem Ausgang zu Lasten des Beschwerdeführers und sind mit der geleisteten Sicherheit zu verrechnen. Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen.
Demnach wird beschlossen:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 800.00 zu bezahlen. 3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Müller Ramseier
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