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Urteil Verwaltungsgericht (SO - BKBES.2023.101)

Zusammenfassung des Urteils BKBES.2023.101: Verwaltungsgericht

Die Beschwerdekammer des Obergerichts hat entschieden, dass ein deutsches Strafurteil in der Schweiz vollstreckbar ist. Der Beschwerdeführer wurde wegen Drogenhandels verurteilt und beantragte die bedingte Vollstreckung der Strafe. Die Vorinstanz erklärte die Strafe als unbedingt vollstreckbar und ordnete den Vollzug in der Schweiz an. Die Gerichtskosten wurden auf CHF 3'233.60 festgesetzt, die vom Staat Solothurn zu zahlen sind. Es wurden keine weiteren Kosten erhoben. Der Beschwerdeführer verlor den Fall, die Gewinnerperson ist männlich, der Richter war Präsident Frey, die Gerichtskosten betrugen CHF 3'233.60, die unterlegene Partei war das Amt für Justizvollzug (Behörde).

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts BKBES.2023.101

Kanton:SO
Fallnummer:BKBES.2023.101
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Beschwerdekammer
Verwaltungsgericht Entscheid BKBES.2023.101 vom 21.06.2024 (SO)
Datum:21.06.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Recht; Urteil; Amtsgericht; Vollstreckung; Justiz; Schweiz; Amtsgerichts; Beschwerdekammer; Aussetzung; Betäubungsmittel; Justizvollzug; Freiheitsstrafe; Verfahren; Voraussetzung; Beschwerdeführers; Deutschland; Solothurn; Vollzug; Voraussetzungen; Entscheid; Rechtsmittel; Beschluss; Auslieferung; Verteidiger; Staat; Beschwerdeverfahren; Urteils; Bundesgericht
Rechtsnorm: Art. 19 BetmG;
Referenz BGE:126 II 324;
Kommentar:
-, Kommentar StPO, Art. 82 StPO, 2020

Entscheid des Verwaltungsgerichts BKBES.2023.101

 
Geschäftsnummer: BKBES.2023.101
Instanz: Beschwerdekammer
Entscheiddatum: 21.06.2024 
FindInfo-Nummer: O_BK.2024.54
Titel: Exequaturverfahren

Resümee:

 

Obergericht

Beschwerdekammer

 


Beschluss vom 21. Juni 2024            

Es wirken mit:

Präsident Frey

Oberrichterin Hunkeler

Oberrichterin Kofmel   

Gerichtsschreiber Wiedmer

In Sachen

A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Hasler,   

 

Beschwerdeführer

 

 

gegen

 

 

Amt für Justizvollzug, vertreten durch Straf- und Massnahmenvollzug,

 

Beschwerdegegner

 

betreffend     Exequaturverfahren


zieht die Beschwerdekammer des Obergerichts in Erwägung:

I. Prozessgeschichte

 

1. A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführer) wurde am 26. Februar 2013 vom Amtsgericht [...] wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde zur Bewährung – mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren – ausgesetzt. Mit Beschluss des Amtsgerichts [...] vom 25. Juni 2015 wurde die Bewährungszeit um ein Jahr verlängert. Mit Beschluss des Amtsgerichts [...] vom 4. Januar 2016 wurde die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung schliesslich widerrufen und die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten angeordnet.

 

2. Am 12. Mai 2022 ersuchte das Ministerium der Justiz und für Migration des Bundeslands Baden-Württemberg die Schweiz um Auslieferung des Beschwerdeführers zwecks Vollstreckung der Freiheitsstrafe.

 

3. Mit Schreiben vom 24. November 2022 hatte das Bundesamt für Justiz dem Ministerium der Justiz und für Migration des Bundeslands Baden-Württemberg mitgeteilt, dass eine Auslieferung des Beschwerdeführers nach Deutschland nicht in Betracht komme. Weiter wurde in Aussicht gestellt, dass hingegen gegebenenfalls eine Übernahme der Vollstreckung durch die schweizerischen Behörden möglich sei.

 

4. Am 8. Februar 2023 ersuchte das Ministerium der Justiz und für Migration des Bundeslands Baden-Württemberg um Vollstreckungsübernahme der mit Urteil des Amtsgerichts [...] vom 26. Februar 2013 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten abzüglich bereits verbüsster 104 Tage Untersuchungshaft durch die Schweiz.

 

5. Am 23. März 2023 teilte das Amt für Justizvollzug des Kantons Solothurn (nachfolgend: Amt für Justizvollzug) dem Bundesamt für Justiz mit, dass sie bereit seien, den Vollzug zu übernehmen. Daraufhin gelangte das Amt für Justizvollzug gleichentags an das Richteramt Thal-Gäu (nachfolgend: Vorinstanz) mit dem Ersuchen um Erstellung einer Vollstreckbarkeitserklärung.

 

6. Mit Verfügung vom 11. Mai 2023 wurde dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt Patrick Hasler, [...], als amtlicher Verteidiger beigestellt.

 

7. Die Hauptverhandlung fand am 26. September 2023 statt und der Amtsgerichtspräsident von Thal-Gäu fällte gleichentags das folgende Urteil:

 

1.      Das Urteil des Amtsgericht [...] vom 26. Februar 2013 (i.V.m. den Beschlüssen desselben Gerichts vom 26. Februar 2013, 25. Juni 2015 und 4. Januar 2016) wird als in der Schweiz vollstreckbar erklärt.

2.      Die vom Amtsgericht [...] ausgefällte Freiheitstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten wird in der Schweiz für vollstreckbar erklärt. Das Amt für Justizvollzug des Kantons Solothurn wird mit dem Vollzug dieser Strafe beauftragt.

3.      A.___ werden 128 Tage Untersuchungs- und Auslieferungshaft an die Freiheitsstrafe angerechnet.

4.      Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Patrick Hasler, [...], wird auf CHF 3'233.60 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn zu zahlen.

5.      Es werden keine Kosten erhoben.

 

8. Gegen dieses Urteil erhob der Beschwerdeführer bei der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn (nachfolgend: Beschwerdekammer) Beschwerde.

 

9. Mit Eingabe vom 23. Oktober 2023 beantragte das Amt für Justizvollzug die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

 

10. Am 27. Oktober 2023 liess der Beschwerdeführer die amtliche Verteidigung auch für das Beschwerdeverfahren beantragen.

 

11. Nachdem die Frist zur Einreichung einer allfälligen Replik mehrmals erstreckt worden war, liess der Beschwerdeführer die Sistierung des vorliegenden Verfahrens beantragen. Dies mit der Begründung, dass in Deutschland ein Gnadengesuch gestellt worden sei und es deshalb angebracht erscheine, dessen Ausgang abzuwarten. Innert Frist teilte das Amt für Justizvollzug mit, dass es nichts gegen die beantragte Sistierung einwende.

 

12. In der Folge sistierte der Präsident der Beschwerdekammer das Beschwerdeverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Gnadenverfahrens, längstens bis 28. März 2024.

 

13. Am 28. März 2024 liess der Beschwerdeführer mitteilen, dass das Gnadengesuch ohne Begründung abgewiesen worden sei.

 

14. Mit Verfügung vom 2. April 2024 hob der Präsident der Beschwerdekammer die Sistierung auf. Dem Beschwerdeführer wurde Frist gesetzt zum Einreichen einer allfälligen Replik.

 

15. Am 16. April 2024 erfolgte die Replik des Beschwerdeführers. Er liess die folgenden Rechtsbegehren stellen:

 

1.      Es sei das Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu vom 26. September 2023 aufzuheben.

2.      Das Gesuch um stellvertretende Vollstreckung des Urteils des Amtsgerichts [...] vom 26. Februar 2013 i.V.m. den Beschlüssen vom 26. Februar 2013, 25. Juni 2015 und 4. Januar 2016 sei vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

3.      Eventualiter sei die Strafe von 1 Jahr und 9 Monaten bedingt, bei einer Probezeit von 2 Jahren, ohne Weisungen auszusprechen.

4.      Die ausgestandene Untersuchungshaft von 104 Tagen sowie die ausgestandene Auslieferungshaft von 24 Tagen seien an die Strafe anzurechnen.

5.      Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

6.      Es sei die Entschädigung für die amtliche Verteidigung von A.___ für das vorliegende Beschwerdeverfahren in der Höhe der von seinem amtlichen Verteidiger noch einzureichenden Honorarnote (Verzicht auf Rückzahlung sowie auch für das erstinstanzliche Verfahren) festzusetzen und zuzusprechen.

7.      Die Kosten des erstinstanzlichen sowie des Beschwerdeverfahrens seien dem Staat aufzuerlegen.

 

16. Am 26. April 2024 erfolgte die Duplik des Amtes für Justizvollzug.

 

17. Am 8. Mai 2024 liess der Beschwerdeführer eine weitere Stellungnahme einreichen inkl. Honorarnote des amtlichen Verteidigers.

 

18. Am 22. Mai 2024 teilte das Amt für Justizvollzug mit, dass es auf Weiterungen verzichte.

 

19. Für die Standpunkte der Parteien wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, wird nachfolgend darauf eingegangen.

 

 

II. Formelles

 

1. Mit Blick auf die Prozessökonomie erlaubt Art. 82 Abs. 4 Schweizerische Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) den Rechtsmittelinstanzen, für die tatsächliche und rechtliche Würdigung des in Frage stehenden Sachverhalts auf die Begründung der Vorinstanz zu verweisen, wenn sie dieser beipflichten. Hingegen ist auf neue tatsächliche Vorbringen und rechtliche Argumente einzugehen, die erst im Rechtsmittelverfahren vorgetragen werden (Brüschweiler, SK-Schulthess Kommentar StPO, 3. Auflage, 2020, Art. 82 N 10).

 

2. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Frage der stellvertretenden Vollstreckung eines ausländischen Strafurteils in der Schweiz und damit die Vollstreckbarerklärung eines deutschen Strafurteils (Exequaturverfahren). Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen wird primär durch die anwendbaren bi- bzw. multilateralen völkerrechtlichen Verträge geregelt. In casu ist zwischen der Schweiz und Deutschland das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1) samt Zusatzprotokollen (SR 0.353.11-13) einschlägig. Gemäss Art. 22 EAUe gelangt das nationale Recht des ersuchten Staates zur Anwendung, soweit weder das EAUe noch die Zusatzprotokolle etwas anderes bestimmen. Dies ist vorliegend der Fall, weshalb das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) und die dazugehörende Verordnung (IRSV; SR 351.11) zur Anwendung gelangen.

 

3. Gestützt auf Art. 104 Abs. 1 IRSG entscheidet das Bundesamt für Justiz nach Rücksprache mit der kantonalen Vollzugsbehörde zunächst formell über die Annahme eines ausländischen Vollstreckungsersuchens. Nimmt das Bundesamt für Justiz das Gesuch an, so übermittelt es die Akten und seinen Antrag an die Vollzugsbehörde und informiert den ersuchenden Staat. Der nach Art. 32 StPO zuständige kantonale Richter hört die verurteilte Person an und entscheidet über die Vollstreckung (Art. 105 IRSG). Dabei prüft der Richter von Amtes wegen, ob die Voraussetzungen der Vollstreckung gegeben sind und erhebt die nötigen Beweise (Art. 106 Abs. 1 IRSG). Der Richter erklärt den ausländischen Entscheid für vollstreckbar, sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind und trifft die für die Vollstreckung erforderlichen Anordnungen (Art. 106 Abs. 2 IRSG). Der Entscheid hat in Form eines begründeten Urteils zu erfolgen (Art. 106 Abs. 3 Satz 1 IRSG). Das kantonale Recht stellt ein Rechtsmittel zur Verfügung (Art. 106 Abs. 3 Satz 2 IRSG). Im Kanton Solothurn ist dies die Beschwerde gemäss Art. 393 ff. StPO (§ 6bis des EG StPO, BGS 321.3), weshalb die Beschwerdekammer in casu zuständig ist.

 

 

III. Materielles

 

1. Die Beschwerdekammer hat im vorliegenden Verfahren zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung im Sinne von Art. 94-96 IRSG erfüllt sind. Der Beschwerdeführer hat das Urteil umfassend in allen Punkten angefochten. Dabei wendet er sich nicht nur gegen die Vollstreckbarerklärung des Urteils an sich, sondern wendet auch ein, dass die unbedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten bedingt zu vollziehen sei.

 

2.1 Zunächst hat die Vorinstanz zutreffend dargelegt, dass die Voraussetzungen von Art. 94 IRSG erfüllt sind:

 

2.2 Das fragliche deutsche Urteil des Amtsgerichts [...] vom 26. Februar 2013 sowie die Beschlüsse desselben Gerichts vom 25. Juni 2015 und 4. Januar 2016 sind rechtskräftig und vollstreckbar und es liegt ein Ersuchen um stellvertretende Strafvollstreckung aus Deutschland vor. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz in [...], Kanton Solothurn. Er gab an, er wohne seit sieben Jahren mit seiner Freundin in [...]. Er arbeite Vollzeit als [...] bei der [...] in [...]. Der gewöhnliche Aufenthalt liegt infolgedessen in der Schweiz, womit die Voraussetzung von Art. 94 Abs. 1 lit. a IRSG erfüllt ist. Dies wird auch vom Beschwerdeführer anerkannt.

 

2.3 Gegenstand der deutschen Urteile ist der Tatbestand des Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Beschwerdeführer wurde wegen «vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln» teilweise in Tateinheit mit «vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln» schuldig gesprochen. Der Tatablauf war gemäss Urteil des Amtsgerichts [...] vom 26. Februar 2013 wie folgt: Der Beschwerdeführer verkaufte und übergab an zwei Personen in 25 Fällen jeweils verschiedene Betäubungsmittel (Amphetamin, Marihuana, Ecstasy-Tabletten). Der Beschwerdeführer bezog die von ihm vertriebenen Betäubungsmittel von einer unbekannten Lieferquelle aus der Schweiz und brachte vor den einzelnen Verkäufen das vom ihm mitgeführte und verkaufte Rauschgift jeweils aus der Schweiz über die Grenze nach [...]/Deutschland mit. Er wollte sich durch seine Taten eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer schaffen. Dieser Sachverhalt wurde vom Amtsgericht [...] rechtskräftig festgestellt und wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten. In der Schweiz wäre ein solcher Tatablauf zumindest als Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz strafbar (Art. 19 Abs. 1 BetmG). Damit ist das Erfordernis der doppelten Strafbarkeit i.S.v. Art. 94 Abs. 1 lit. b IRSG ebenfalls erfüllt.

 

2.4 Zudem ist auch die Voraussetzung von Art. 94 Abs. 2 IRSG gegeben: Die durch das deutsche Gericht verhängte Sanktion übersteigt den in der Schweiz für den Tatbestand des Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgesehenen Strafrahmen von 3 Jahren Freiheitsstrafe nicht. Daher erweist sich das vorinstanzliche Urteil betreffend Art. 94 IRSG als zutreffend.

 

3.1 Auch vor der Beschwerdeinstanz bringt der Beschwerdeführer vor, aus dem Beschluss vom 4. Januar 2016 ergebe sich, dass er an der Widerrufsverhandlung in Deutschland nicht teilgenommen habe. Ein Abwesenheitsverfahren könne jedoch nur durchgeführt werden, wenn die Person ordnungsgemäss vorgeladen worden sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da sich in den Akten kein Nachweis finde, dass der Beschwerdeführer ordnungsgemäss vorgeladen worden sei. Er habe zudem ausgesagt, dass er keine Kenntnis vom Widerrufsverfahren gehabt habe. Auch sei nicht aktenkundig, dass irgendwelche Massnahmen getroffen worden seien, um seine Adresse zu eruieren. Das dem Gesuch zugrundeliegende Urteil sei entsprechend nicht rechtmässig ergangen.

 

3.2 Ist der Exequaturrichter der Auffassung, der Verurteilte widersetze sich mit guten Gründen der Vollstreckung eines im Abwesenheitsverfahren ergangenen ausländischen Entscheids Strafbefehls, gegen den nach dem Recht des Urteilsstaats kein Einspruch Rechtsmittel mehr zulässig ist, lehnt er die Vollstreckung ab (Art. 96 lit. c IRSG). Grundsätzlich wird der Exequaturrichter nur Anlass haben, die Vollstreckung aufgrund von Art. 96 lit. c IRSG abzulehnen, wenn sich aus seiner Überprüfung ergibt, dass in concreto wegen der Art der Bildung der Qualität des im Abwesenheitsverfahren ergangenen Entscheids Bedenken bestehen (BSK IRSG, Abo Youssef/Heimgartner, Art. 96 IRSG N 28).

 

3.3 Der Argumentation des Beschwerdeführers ist nicht zu folgen. Die Parteien sind sich uneinig darüber, ob der Beschwerdeführer korrekt zur Widerrufsverhandlung vorgeladen worden war und demnach Kenntnis vom Widerrufsverfahren hatte. Sie verkennen, dass diese Frage in casu nicht von Bedeutung ist:

 

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Amtsgerichts […] vom 26. Februar 2013

 

a)    in einem mündlichen Verfahren sowie

b)    rechtskräftig

 

wegen «vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln» teilweise in Tateinheit mit «vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln» schuldig gesprochen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Im Rahmen dieses Verfahrens hatte der Beschwerdeführer die Gelegenheit, sich umfassend zu den ihm vorgeworfenen Vorhalten zu äussern. Dem Erfordernis der mündlichen Verhandlung (in Deutschland: Mündlichkeitsgrundsatz), wie es von § 33 Abs. 1 der Deutschen Strafprozessordnung ausdrücklich stipuliert wird, ist das Amtsgericht […] nachgekommen.

 

Dass das Amtsgericht sodann die bedingte Strafe mit Beschluss vom 4. Januar 2016 in einem schriftlichen Verfahren widerrufen hat (§ 56f des Deutschen Strafgesetzbuches), ist nicht zu beanstanden, da der Beschwerdeführer zum vorgängigen Anhörungstermin am 16. Dezember 2015 nicht erschienen war. Aus den Akten ist ersichtlich, dass er in früheren Anhörungen auf die Gefahr des Widerrufs der Bewährung hingewiesen worden war, wenn er den Konsum von Drogen nicht unterlasse, so dass kein Zweifel besteht, dass er über die für den Fall der Nichterfüllung der Weisungen resultierenden Konsequenzen vollauf im Bilde war. Hinzu kommt, dass er gegen den Beschluss vom 4. Januar 2016 sogleich hätte Beschwerde erheben können (§ 453 Abs. 2 der Deutschen Strafprozessordnung), was er nicht getan hat. Soweit konkrete materielle prozessuale Rechtsfehler des Amtsgerichts […] – wie vorliegend, dass die getroffene Anordnung gesetzwidrig sei –, beanstandet werden, wären die dafür vorgesehenen Rechtsmittel zu ergreifen gewesen. Es ist nicht Aufgabe des Exequaturrichters, zu prüfen, ob das beanstandete Vorgehen des Amtsgerichts tatsächlich mit Rechtsfehlern behaftet war – was im Übrigen, wie bereits erwähnt, auch nicht ersichtlich ist. Ein Grund für die Ablehnung der Vollstreckung liegt demnach nicht vor.

 

4.1 Was der Beschwerdeführer in Bezug auf die Unverhältnismässigkeit des unbedingten Vollzugs der ausgesprochenen Strafe des ihm zuz Last gelegten Delikts vorbringt, verfängt nicht. Den Einwendungen des Beschwerdeführers ist zunächst entgegenzuhalten, dass ein Rechtshilfeverfahren nicht der nachträglichen Überprüfung der Strafzumessung rechtskräftiger Strafurteile durch den Rechtshilferichter dient (Urteil des Bundesgerichts 1A.265/2003 vom 29. Januar 2004, E. 2.2). Die Verhältnismässigkeit der betreffenden (unbedingten) Freiheitsstrafe ist im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich nicht weiter zu prüfen (Entscheid des Bundesgerichts 1A.199/2002 vom 5. Dezember 2002, E. 2.3). Soweit die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Rechtshilfe nur verweigert werden, wenn das ausländische Strafurteil dem internationalen ordre public widerspräche (vgl. BGE 126 II 324 E. 4a).

 

4.2 In der vorliegenden Konstellation ist der internationale ordre public klarerweise nicht verletzt. Auch die besondere Strenge einer Strafe stellt grundsätzlich kein Hindernis dar (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1A.135/2005 vom 22. August 2005, E. 3.4). Ein Hinderungsgrund liegt nur vor, wenn die Strafe in keinem Verhältnis zur Schwere der Straftat und zum Verschulden des Täters steht und deshalb als unerträglich harte, unmenschliche Strafe i.S.v. Art. 3 EMRK erscheint (Urteil des Bundesgerichts 1A.135/2005 vom 22. August 2005, E. 3.4). Die vorliegend zu vollziehende Freiheitsstrafe erscheint zwar nach schweizerischem Verständnis eher streng, es kann aber nicht gesagt werden, die Strafe sei geradezu unerträglich hart und unmenschlich. Ausserdem handelt es sich nicht um ein offensichtliches Bagatelldelikt. Eine Verletzung des internationalen ordre public scheidet deshalb aus.

 

5. Damit ist festzuhalten, dass sämtliche Voraussetzungen gemäss Art. 94 IRSG erfüllt sind. Andere Hindernisse gemäss Art. 95 Art. 96 IRSG, welche einer Vollstreckbarerklärung entgegenstehen würden, wurden weder geltend gemacht noch sind solche ersichtlich.

 

6. Unter diesen Umständen erweisen sich die Rügen des Beschwerdeführers als unbegründet. Das Urteil des Amtsgerichts […] vom 26. Februar 2013 (i.V.m. den Beschlüssen desselben Gerichts vom 26. Februar 2013, 25. Juni 2015 und 4. Januar 2016) und damit die ausgefällte unbedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten wird deshalb als vollstreckbar erklärt. Wie bereits die Vorinstanz dargelegt hat, ist die ausgestandene Untersuchungs- und Auslieferungshaft im vollen Umfang anzurechnen. Die Sanktion ist übernahmeweise in einer Strafvollzugsanstalt in der Schweiz zu vollziehen. Schliesslich erfolgt der Vollzug der Freiheitsstrafe nach schweizerischen Vollzugsmodalitäten, welcher gemäss Art. 74 ff. StGB unter anderem den besonderen Umständen und der sozialen Wiedereingliederung der betroffenen Person Rechnung tragen muss.

 

 

IV. Kosten- und Entschädigungen

 

1. Für das Exequaturverfahren werden gemäss Art. 108 i.V.m. Art. 31 IRSG keine Kosten erhoben. Die Vorinstanz hat zu Recht darauf verzichtet, für das erstinstanzliche Verfahren Kosten zu erheben, insbesondere auch für die Mitwirkung anderer Behörden. Das Verbot der Kostenauferlegung erfasst das gesamte Exequaturverfahren, und damit auch das Rechtsmittelverfahren (Art. 106 Abs. 3 IRSG). Auf eine Kostenerhebung ist daher auch im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens zu verzichten.

 

2. Die amtliche Verteidigung ist dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren zu gewähren und Rechtsanwalt Patrick Hasler, […], ist ihm als amtlicher Verteidiger beizuordnen. Dessen Entschädigung ist aufgrund der eingereichten und angemessenen Honorarnote auf CHF 2'238.60 (inkl. Auslagen und MwSt.) festzusetzen. Aufgrund des Verbots der Kostenauferlegung besteht kein Rückforderungsanspruch.

 

Demnach wird beschlossen:

1.      Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.      Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Patrick Hasler, [...], wird auf CHF 2'238.60 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn zu bezahlen. Kein Rückforderungsanspruch des Staates.

3.      Für das Verfahren werden keine Kosten erhoben.

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts

Der Präsident                                                                    Der Gerichtsschreiber

Frey                                                                                  Wiedmer

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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