Kanton: | SO |
Fallnummer: | BKBES.2023.100 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Beschwerdekammer |
Datum: | 18.01.2024 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Zusammenfassung: | Eine Mutter beschwert sich über die Einstellung eines Verfahrens nach dem Suizid ihres Sohnes. Sie wirft den Behörden vor, seinen Tod fahrlässig verursacht zu haben. Das Obergericht weist die Beschwerde ab, da keine strafrechtlich relevanten Verfehlungen der beteiligten Personen festgestellt werden konnten. Die Mutter muss die Verfahrenskosten von CHF 800.00 tragen. |
Schlagwörter: | Staatsanwaltschaft; Person; Verfahren; Einstellung; Betreuung; Betreuungspersonen; Verfahrens; Polizei; Suizid; Wohnheim; Massnahme; Einstellungsverfügung; Obergericht; Mutter; Täter; Beschwerdekammer; Entscheid; Sachverhalt; Massnahmen; Medien; Personen; Tötung; Punkt; Anklage |
Rechtsnorm: | Art. 11 StGB ; Art. 319 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 428 StPO ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | BKBES.2023.100 |
Instanz: | Beschwerdekammer |
Entscheiddatum: | 18.01.2024 |
FindInfo-Nummer: | O_BK.2024.6 |
Titel: | Einstellungsverfügung |
Resümee: |
Obergericht Beschwerdekammer
Beschluss vom 18. Januar 2024 Es wirken mit: Oberrichterin Kofmel Oberrichter Flückiger Gerichtsschreiberin Schmid In Sachen A.___, vertreten durch Rechtsanwältin Riccarda Kummer,
Beschwerdeführerin
1. Staatsanwaltschaft,
Beschwerdegegnerin
Beschuldigte
betreffend Einstellungsverfügung zieht die Beschwerdekammer des Obergerichts in Erwägung: I.
1. Am 28. Oktober 2021 ging bei der Polizei Kanton Solothurn die Meldung ein, wonach in […] auf den Bahngleisen eine tote Person gefunden worden sei. Es handelte sich dabei um †B.___.
2. Die Staatsanwaltschaft eröffnete gleichentags ein entsprechendes Verfahren und verfügte eine Obduktion. Die Untersuchungen bestätigten, dass †B.___ Suizid begangen hatte. Die Staatsanwaltschaft teilte A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführerin), der Mutter des Verstorbenen, am 14. Februar 2022 die Einstellung des Verfahrens betreffend aussergewöhnlicher Todesfall in Aussicht.
3. Mit Eingabe vom 1. September 2022 erstattete die Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Riccarda Kummer, Strafanzeige gegen eine unbekannte Täterschaft wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, Unterlassung der Nothilfe, Aussetzung, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht sowie allfälliger weiterer Delikte.
4. Die Staatsanwaltschaft eröffnete aufgrund der Anzeige am 7. September 2022 ein Verfahren gegen eine unbekannte Täterschaft wegen fahrlässiger Tötung.
5. Mit Verfügung vom 27. September 2023 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen unbekannte Täterschaft wegen fahrlässiger Tötung, Aussetzung, Unterlassens der Nothilfe und Verletzung der Fürsorge- Erziehungspflicht ein.
6. Mit Eingabe vom 12. Oktober 2023 erhob die Beschwerdeführerin beim Obergericht des Kantons Solothurn gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Beschwerde und beantragte, die Einstellung des Strafverfahrens sei aufzuheben, die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, weitere Untersuchungshandlungen vorzunehmen, sie sei insbesondere anzuweisen, die beantragten Einvernahmen durchzuführen und der Beschwerdeführerin sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, dies unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Staates.
7. Mit Eingabe vom 16. Oktober 2023 beantragte die Staatsanwaltschaft die Abweisung der Beschwerde und verzichtete auf eine Vernehmlassung.
8. Mit Verfügung vom 10. November 2023 wies die Beschwerdekammer des Obergerichts das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege ab.
9. Auf die Ausführungen der Parteien wird, soweit für die Entscheidfindung wesentlich, im Rahmen der nachfolgenden Erwägungen eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.
II.
1. Angefochten ist eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft. Dagegen ist die Beschwerde beim Obergericht zulässig (Art. 322 Abs. 2 und Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO). Zur Beschwerde legitimiert sind die Parteien und die anderen Verfahrensbeteiligten nach Art. 105 StPO, soweit sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung Änderung eines Entscheids haben, d.h. soweit sie durch die Einstellungsverfügung beschwert sind (vgl. Art. 382 Abs. 1 StPO). Geschädigte können Einstellungsverfügungen anfechten, wenn sie sich als Privatkläger im Strafpunkt konstituiert haben (Art. 118 i.V.m. Art. 322 Abs. 2 und Art. 382 Abs. 1 StPO). Als geschädigte Person gilt, wer durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO). Stirbt eine geschädigte Person, ohne auf ihre Verfahrensrechte als Privatklägerschaft verzichtet zu haben, so gehen ihre Rechte auf die Angehörigen im Sinn von Art. 110 Abs. 1 StGB über (Art. 121 Abs. 1 StPO). Angehörige einer Person im Sinne von Art. 110 Abs. 1 StGB sind u.a. ihre Verwandten in gerader Linie.
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um die Mutter von †B.___, der beim Bahnunfall am 28. Oktober 2021 verstarb. Sie ist damit Rechtsnachfolgerin von †B.___ im Sinne von Art. 121 Abs. 1 StPO. Durch die von der Staatsanwaltschaft verfügte Verfahrenseinstellung ist sie beschwert und zur vorliegenden Beschwerde legitimiert. Die weiteren Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die rechtzeitig und formrichtig (Art. 396 Abs. 1 StPO) eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
2. Nach Art. 319 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die vollständige teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b), Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen (lit. c), Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden können Prozesshindernisse aufgetreten sind (lit. d) nach gesetzlicher Vorschrift auf Strafverfolgung Bestrafung verzichtet werden kann (lit. e). Der Entscheid über die Einstellung des Verfahrens richtet sich nach dem aus dem Legalitätsprinzip fliessenden Grundsatz «in dubio pro duriore». Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft nur bei klarer Straflosigkeit, namentlich fehlendem Tatverdacht, bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen verfügt werden. Ist eine Verurteilung wahrscheinlicher als ein Freispruch, ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben. Dasselbe gilt in der Regel, wenn ein Freispruch ebenso wahrscheinlich wie eine Verurteilung erscheint. Der Grundsatz, dass im Zweifelsfall nicht eingestellt werden darf, ist unter Würdigung der im Einzelfall gegebenen Umstände anzuwenden. Bei zweifelhafter Beweis- bzw. Rechtslage hat mithin nicht die Untersuchungs- Anklagebehörde über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das für die materielle Beurteilung zuständige Gericht. Jedoch sind Sachverhaltsfeststellungen unter Berücksichtigung des Grundsatzes «in dubio pro duriore» auch bei Einstellungen zulässig, soweit gewisse Tatsachen «klar» bzw. «zweifelsfrei» feststehen, so dass im Fall einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Der Staatsanwaltschaft ist es mithin nur bei unklarer Beweislage untersagt, der gerichtlichen Beweiswürdigung vorzugreifen. Im Rahmen von Art. 319 Abs. 1 lit. b und c StPO sind Sachverhaltsfeststellungen der Staatsanwaltschaft in der Regel gar notwendig. Auch insoweit gilt aber, dass der rechtlichen Würdigung der Sachverhalt «in dubio pro duriore», d.h. der klar erstellte Sachverhalt, zugrunde gelegt werden muss (Urteil des Bundesgerichts 6B_1195/2019 vom 28.04.2020).
3.1 Unbestritten ist die Feststellung der Staatsanwaltschaft, dass sich †B.___ in suizidaler Absicht am 28. Oktober 2021 auf das Gleis in [...] begab und in der Folge von einem Zug überrollt wurde, woraufhin er noch vor Ort verstarb. Die Beschwerdeführerin wirft sämtlichen involvierten Fach- und Betreuungspersonen vor, †B.___ nicht genügend unterstützt und gefördert und es unterlassen zu haben, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, wodurch sie durch pflichtwidrige Unvorsichtigkeit resp. Untätigkeit fahrlässig seinen Tod verursacht hätten.
3.2 Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Die Straftat kann auch durch pflichtwidriges Unterlassen (Art. 11 StGB) begangen werden. Voraussetzung ist in diesem Fall eine Rechtspflicht zur Vornahme der unterlassenen Handlung (Garantenstellung) sowie die Möglichkeit, diese Handlung vorzunehmen. Die Handlungsweise ist sorgfaltswidrig, wenn der Täter im Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen, und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Grundvoraussetzung der Fahrlässigkeitshaftung bildet die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein (vgl. zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 1C_438/2016 vom 18. Mai 2017, E. 4.1 f.).
3.3 Die Beschwerdeführerin führt nicht konkret aus, worin sie eine Sorgfaltspflichtverletzung erblickt, sondern bringt vor, die Staatsanwaltschaft habe den rechtserheblichen Sachverhalt unvollständig und unrichtig festgestellt. Es gäbe vorliegend zahlreiche ungeklärte und nicht erstellte Tatsachen wie auch offene Fragen. Sie kritisiert, †B.___ hätte ursprünglich in einem Kinderheim platziert werden sollen und sei zu jung für die Wohngruppe [...] gewesen. Trotz entsprechender Firewall sei es †B.___ möglich gewesen, am 11. November 2020 eine Google-Suche «Wie kann ich mich umbringen?» zu tätigen, ohne dass darauf reagiert worden sei. Auf dem Personalienblatt des Wohnheims von †B.___ sei vermerkt gewesen, dass bei Kurvengängen nach zwei Stunden die Polizei alarmiert sowie unter anderem die Mutter informiert werden solle, die Mutter sei über Kurvengänge jedoch nie informiert worden. Das Wohnheim habe die Beschwerdeführerin auch nicht über einen Gewaltvorfall mit einem anderen Bewohner informiert. Die Beschwerdeführerin habe ihre Bedenken und Besorgnis wiederholt mündlich gegenüber der KESB Region Solothurn, den Betreuungspersonen im Wohnheim, der Beistandsperson und auch der Polizei geäussert. Im Februar 2020 sei sie schriftlich an die KESB gelangt, passiert sei jedoch einmal mehr nichts. Auch betreffend Schnittwunden an den Unterarmen seit seiner Fremdplatzierung seien keine weiteren Schritte unternommen worden, obwohl die Beschwerdeführerin auch diesbezüglich gegenüber den Behörden und Betreuungspersonen Besorgnis geäussert habe. Anlässlich der Besprechung vom 27. Oktober 2021 habe die Beschwerdeführerin ihrem Sohn mitteilen müssen, dass er sein Handy abgeben müsse und seine SIM-Karte gesperrt werde. Eine von ihrem Sohn an dieser Sitzung den Betreuungspersonen übergebene handschriftliche Notiz sei nie mehr aufgetaucht. Als †B.___ völlig aufgelöst aus dem Raum gestürmt sei, hätten die Betreuungspersonen die Beschwerdeführerin davon abgehalten, ihrem Sohn zu folgen. Erst um 22:03 Uhr habe das Wohnheim die Polizei informiert, dass †B.___ seit 18:00 Uhr entlaufen sei. Auch sei die Beschwerdeführerin nicht informiert worden, sondern habe selbst stündlich angerufen und sei dann aufgefordert worden, damit aufzuhören. Obwohl sich †B.___ in einem alarmierenden Zustand befunden habe und die ganze Nacht nicht zurückkehrte, seien seitens des Wohnheims keine weiteren Massnahmen ergriffen worden. Die Beschwerdeführerin habe von keiner Institution schriftliche Informationen zum Gesundheitszustand ihres Sohnes erhalten, habe jedoch in Erfahrung bringen können, dass angeblich die Diagnose «triple trauma» diverse Probleme verursacht habe und †B.___ deutlich mehr Unterstützung benötigt hätte als andere Kinder. Dies sei den Betreuungspersonen mitgeteilt, aber dennoch nichts unternommen worden. Es sei erstellt, dass †B.___ wiederholt Suizidgedanken gehabt habe. Acht Wochen vor seinen Tod habe er gegenüber seiner Therapeutin entsprechende Äusserungen gemacht. Die Therapeutin habe das Wohnheim sodann informiert, dass der Entzug der Medien in †B.___ eine Not auslöse. Es sei erstellt, dass Reduktionen der Entzug von Medien bereits früher zu grosser Belastung und Verzweiflung geführt hätten. Ungerechtigkeit sowie das Gefühl von Ohnmacht stellten Trigger dar, was auch nur zwei Wochen vor seinem Tod in den Krankenakten vermerkt worden sei. Aufgrund der Flucht habe †B.___ ein Trauma erlitten und zeitweise nachweislich Panikattacken und Flashbacks erlitten. †B.___ sei hochbegabt gewesen, was von sämtlichen Stellen unberücksichtigt geblieben sei. Unter all diesen Umständen hätte mit einer derartigen Reaktion von †B.___ am 27. Oktober 2021 gerechnet werden müssen.
3.4 Inwiefern eine andere Unterbringung von †B.___ seinen Suizid hätte verhindern können, ist tatsächlich nicht ersichtlich. Damit wird lediglich ein abstraktes Alternativszenario aufgezeigt, das das ganze weitere Leben von †B.___ beeinflusst hätte und nicht konkret mit seinem Tod in Verbindung gebracht werden kann. Die Platzierung im Wohnheim durch die KESB wurde schliesslich auch durch das Verwaltungsgericht gestützt. Dasselbe gilt für die weiteren Vorwürfe der Beschwerdeführerin, wonach die Betreuung und Begleitung ihres Sohnes sowie der Familie allgemein nicht ausreichend bzw. nicht zielführend gewesen sei. Es liegt in der Natur der Sache, dass andere Betreuungsangebote andere Therapieformen womöglich andere Auswirkungen auf †B.___ gehabt hätten. Es ist verständlich, dass die Beschwerdeführerin nach dem tragischen Tod ihres Sohnes die damaligen aufgebauten Strukturen – noch mehr als zuvor – in Frage stellt und der Meinung ist, andere Massnahmen wären besser gewesen. Dies lässt sich jedoch nicht rechtsgenüglich nachweisen, ist im Nachhinein doch immer klarer, was die adäquateste Lösung gewesen wäre. Die Beschwerdeführerin versucht damit eine Kausalkette zu begründen, die viel zu weit in die Vergangenheit reicht, als dass sich daraus eine konkrete Verfehlung in Bezug auf den Suizid ihres Sohnes ergeben würde. Auch dass die involvierten Personen †B.___ am 27. Oktober 2021 nach der Sitzung ungehindert gehen liessen, stellt keine Sorgfaltspflichtverletzung dar. Zwar hatte †B.___ früher vereinzelt Suizidgedanken geäussert und auch einmal nachweislich eine entsprechende Google-Suche getätigt, doch distanzierte er sich jeweils klar und überzeugend von einer Ausführung. Eine konkrete Suizidalität wies er nicht auf. Ebenso kann aufgrund allfälliger nach der Fremdplatzierung aufgetretenen Selbstverletzungen – ohne solche bagatellisieren zu wollen – nicht auf eine akute Selbstgefährdung vor dem Zeitpunkt des Selbstmordes geschlossen werden, traten diese doch gemäss der Beschwerdeführerin in der Anfangsphase der Platzierung auf und sind zudem nicht nachgewiesen. Die involvierten Fach- und Betreuungspersonen hatten an dieser Sitzung vom 27. Oktober 2021 bzw. in deren Nachgang aufgrund der Vorgeschichte nicht damit rechnen müssen, dass †B.___ sich ernsthaft etwas antun würde. Dass er sehr emotional und aufgebracht auf die angedrohte Massnahme reagierte, ist angesichts seines Alters wie auch früherer entsprechender Reaktionen von ihm sodann nicht erstaunlich. Auch wenn †B.___ mehrfach äusserte, dass er die Medien brauche und ohne sie in eine Not gerate, war eine solch drastische Reaktion auf die angedrohte Massnahme nicht vorhersehbar. Der exzessive Medienkonsum war mit †B.___ bereits häufig diskutiert worden, wie auch Massnahmen, diesem entgegenzuwirken. Sodann erkannte er auch selbst, dass darin eine Problematik lag. Dass die Situation in der Selbsttötung von †B.___ endete, war nicht vorhersehbar. Es mag sich im Nachhinein als Fehler herausgestellt haben, dass die Beschwerdeführerin daran gehindert wurde, ihrem Sohn zu folgen. Dies konnten die involvierten Personen aber keinesfalls wissen, erweist es sich in solchen Situationen doch oft als zielführender, der Person etwas Raum für sich zuzugestehen. Es trifft zu, dass die Polizei erst um kurz nach 22 Uhr informiert wurde und nicht, wie es die interne Richtlinie vorgesehen hätte, bereits nach zwei Stunden Abwesenheit von †B.___. Die Polizei ergriff gemäss dem Bericht zur abgängigen Person vom 28. Oktober 2021 aufgrund der geschilderten Situation – keine Anhaltspunkte auf Aufenthaltsort, nicht auf Medikamente angewiesen, weder fremd- noch selbstgefährdet, bereits einmal dem Heim ferngeblieben und bei der Mutter aufgetaucht – keine weiteren Massnahmen ausser der Ausschreibung im Ripol. Eine solche hätte auch zwei Stunden früher nichts bewirken können. Dass die Einschätzung, †B.___ sei nicht selbstgefährdet, sich letztlich als fatale Täuschung erwies, war für die Polizei nicht erkennbar und den Mitarbeitern der Wohngruppe [...] kann – wie bereits ausgeführt – nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie die Selbstgefährdung falsch eingeschätzt hatten. Es mag zutreffen, dass im gesamten Fall von †B.___ vieles anders und womöglich auch besser hätte gemacht werden können, jedoch haben alle Beteiligten – wie zweifellos auch die Beschwerdeführerin selbst – nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und es ist daher festzuhalten, dass den involvierten Fach- und Betreuungspersonen objektiv kein Vorwurf eines strafrechtlich relevanten Verhaltens gemacht werden kann.
3.5 Es ist im Weiteren nicht ersichtlich, inwiefern eine Einvernahme diverser involvierter Personen weitere Erkenntnisse bringen könnte. Die Fach- und Betreuungspersonen betreffend sind deren Handlungen sowie die Gespräche mit †B.___ in den umfangreichen Unterlagen bereits sehr gut und ausführlich dokumentiert. Dass mündliche Aussagen sich von diesen unterscheiden diese im Nachhinein zu ergänzen vermöchten, ist nicht anzunehmen. Auch eine Einvernahme der Beschwerdeführerin würde keine relevanten Ergänzungen bringen. Es ist durchaus verständlich, dass die Beschwerdeführerin als Mutter des Verstorbenen ein starkes Bedürfnis verspürt, ihre Sicht der Dinge darzulegen und es ist auch nachvollziehbar, dass sie sich teilweise unverstanden gar übergangen fühlte. Jedoch konnte sie ihre Ansichten in der Strafanzeige und der Beschwerdeschrift umfangreich äussern und lieferte dabei keine neuen Erkenntnisse, widersprachen ihre Schilderungen doch teilweise den Akten. So kritisiert sie die †B.___ am 27. Oktober 2021 angedrohte Sperrung seiner SIM-Karte, jedoch war sie es – wie dies auch die Staatsanwaltschaft festhielt –, die am 4. Oktober 2021 selbst diesen Vorschlag machte, um seinem Medienkonsum Einhalt zu gebieten. Die Beschwerdeführerin wirft der Wohngruppe [...] zudem vor, eine handschriftliche Notiz von †B.___ vom 27. Oktober 2021 sei nicht mehr aufgetaucht, wohingegen die Wohngruppe anlässlich der Edition ihrer Akten schilderte, dass sich ebendiese Notiz in einem Ordner befunden habe, den die Beschwerdeführerin bei einem Besuch an sich genommen habe. Wobei hierzu auch festzuhalten ist, dass eine solche Reaktion der Beschwerdeführerin – das Ansichnehmen der Unterlagen den eigenen Sohn betreffend – angesichts ihrer Ausnahmesituation verständlich ist.
3.6 Nach dem Gesagten ist die Rüge, es sei vorhersehbar gewesen, das sich †B.___ das Leben nehmen würde, unbegründet. Den involvierten Personen kann keine Sorgfaltspflichtverletzung nachgewiesen werden. Der Tatbestand nach Art. 117 StGB entfällt. Auch betreffend die anderen von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Tatbestände ergibt sich nichts anderes, mussten die involvierten Personen schliesslich nicht mit dem tragischen Suizid von †B.___ rechnen. Die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs ist damit wesentlich höher als die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat.
4. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet; sie ist abzuweisen.
5. Bei diesem Ausgang sind die Kosten des Verfahrens in Höhe von CHF 800.00 der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Sie sind mit dem geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe zu verrechnen. Eine Parteientschädigung kann nicht zugesprochen werden.
Demnach wird beschlossen: 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Die Verfahrenskosten von CHF 800.00 sind von der Beschwerdeführerin zu tragen. Sie werden mit dem geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts Die Vizepräsidentin Die Gerichtsschreiberin Hunkeler Schmid |
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