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Urteil Verwaltungsgericht (SO - BKBES.2020.168)

Zusammenfassung des Urteils BKBES.2020.168: Verwaltungsgericht

Die Beschwerdekammer des Obergerichts hat entschieden, dass die Strafuntersuchung gegen A.___ wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln bestätigt wird, während das Verfahren gegen B.___ eingestellt wird. A.___ wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, während B.___ nicht weiter belangt wurde. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde erhoben, die jedoch abgewiesen wurde. Die Gerichtskosten belaufen sich auf CHF 800.00 und gehen zu Lasten der Beschwerdeführerin.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts BKBES.2020.168

Kanton:SO
Fallnummer:BKBES.2020.168
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Beschwerdekammer
Verwaltungsgericht Entscheid BKBES.2020.168 vom 06.04.2021 (SO)
Datum:06.04.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Fussgänger; Fussgängers; Fussgängerstreifen; Staatsanwaltschaft; Recht; Person; Verkehr; Strasse; Fahrrad; Personen; Täter; Einstellung; Personenwagen; Recht; Antrag; Fahrradfahrer; Beschuldigte; Nichtanhandnahme; Unfall; Fahrradfahrerin; Vortritt; Verfahren; Mails; Geschädigt; önne
Rechtsnorm: Art. 115 StPO ;Art. 118 StPO ;Art. 125 StGB ;Art. 26 SVG ;Art. 31 StGB ;Art. 33 SVG ;Art. 382 StPO ;Art. 47 VRV ;Art. 90 SVG ;
Referenz BGE:140 IV 155;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts BKBES.2020.168

 
Geschäftsnummer: BKBES.2020.168
Instanz: Beschwerdekammer
Entscheiddatum: 06.04.2021 
FindInfo-Nummer: O_BK.2021.48
Titel: Nichtanhandnahme- und Einstellungsverfügung des Staatsanwaltes

Resümee:

 

Obergericht

Beschwerdekammer

 

Beschluss vom 6. April 2021      

Es wirken mit:

Präsident Müller

Oberrichter Frey

Oberrichterin Hunkeler    

Gerichtsschreiberin Ramseier

In Sachen

A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Roger Zenari,

 

Beschwerdeführerin

 

 

gegen

 

 

1.    Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,

 

Beschwerdegegnerin

 

2.    B.___,

 

Beschuldigter

 

betreffend     Nichtanhandnahme- und Einstellungsverfügung des Staatsanwaltes


zieht die Beschwerdekammer des Obergerichts in Erwägung:

I.

 

1.1 Am […] 2019, […] Uhr, kam es auf der […]strasse in [...] zu einem Verkehrsunfall zwischen dem Personenwagenlenker B.___, welcher in Richtung […] fuhr, und A.___, welche mit ihrem E-Bike den Fussgängerstreifen mit Verkehrsinsel von Süden nach Norden fahrend überquerte. Der Personenwagen kollidierte mit der rechten Front mit dem Hinterrad des Fahrrades, wodurch A.___ stürzte. Dabei zog sie sich ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma, eine Beckenkontusion und eine Oberschenkelkontusion zu. Sie wurde in Spitalpflege gebracht, wo eine stationäre Aufnahme zur 24-stündigen neurologischen Überwachung erfolgte. Am 4. Oktober 2019 wurde sie wieder entlassen (Austrittsbericht des Kantonsspitals Aarau vom 3. Oktober 2019).

 

Im Hinblick auf die Anordnung von Zwangsmassnahmen (Blut- und Urinprobe) eröffnete die Staatsanwaltschaft am 3. Oktober 2019 eine Strafuntersuchung gegen A.___ und B.___ wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz. In der Folge erteilte sie der Polizei einen Ermittlungsauftrag.

 

1.2 Mit Strafbefehl vom 15. Dezember 2020 verurteilte sie A.___ wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Mangel an Aufmerksamkeit, Fahrens mit Motor-/Fahrrad auf Fussgängerstreifen/Trottoir sowie Missachtens des Vortrittsrechts zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 30.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von 3 Jahren, und zu einer Busse von CHF 300.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise zu 8 Tagen Freiheitsstrafe. Mit einer Nichtanhandnahme- und Einstellungsverfügung vom selben Tag nahm sie das Verfahren gegen B.___ wegen fahrlässiger einfacher Körperverletzung (Strafantrag von Rechtsanwalt Roger Zenari vom 25. Februar 2020 namens und im Auftrag von A.___) nicht an die Hand. Das Verfahren gegen B.___ wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz stellte sie ein.

 

Gegen den Strafbefehl liess B.___ am 11. Januar 2021 Einsprache erheben.

 

2. Gegen die Nichtanhandnahme- und Einstellungsverfügung liess sie am 22. Dezember 2020 Beschwerde erheben mit den Anträgen auf deren Aufhebung sowie auf Anweisung der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen B.___ betreffend fahrlässige Körperverletzung und Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetzt (wieder) an die Hand zu nehmen. Eventualiter sei sie anzuweisen, weitere Abklärungen vorzunehmen.

 

3. B.___ beantragte am 26. Januar 2021 sinngemäss die Abweisung der Beschwerde.

 

4. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 29. Januar 2021 ebenfalls die Abweisung der Beschwerde.

 

5. A.___ liess mit Eingabe vom 3. März 2021 an der Beschwerde festhalten.

 

6. Zu dieser Eingabe nahm die Staatsanwaltschaft am 9. März 2021 nochmals Stellung.

 

7. Für die Standpunkte der Parteien wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, wird nachfolgend darauf eingegangen.

 

II.

 

1. Nichtanhandnahme

 

1.1 Die Staatsanwaltschaft begründete die Nichtanhandnahmeverfügung damit, bei der fahrlässigen einfachen Körperverletzung handle es sich um ein Antragsdelikt; vorliegend sei der Antrag verspätet gestellt worden. A.___ sei es möglich und zumutbar gewesen, innerhalb der dreimonatigen Frist die Personalien des Beschuldigten in Erfahrung zu bringen.

 

Dagegen lässt die Beschwerdeführerin vorbringen, die berechtigte Person sei nicht verpflichtet, nach dem Täter zu forschen. Blosses Kennenmüssen des Täters löse die Antragsfrist nicht aus. Zudem sei die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft vorliegend umso inakzeptabler bzw. geradezu willkürlich, als dass die Beschwerdeführerin mehrmals um Akteneinsicht gebeten habe, die entsprechenden Gesuche von der Staatsanwaltschaft aber einfach ignoriert worden seien. Der Antrag sei rechtzeitig gestellt worden.

 

1.2 Es ist unbestritten, dass vorliegend eine fahrlässige einfache Körperverletzung zur Diskussion steht (vgl. Strafantrag vom 25. Februar 2020). Dabei handelt es sich um ein Antragsdelikt (Art. 125 Abs. 1 StGB). Nach Art. 31 StGB erlischt das Antragsrecht nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. «Bekannt» ist der Täter nicht schon dann, wenn der Verletzte gegen eine bestimmte Person einen Verdacht hegt. Verlangt ist vielmehr eine sichere, zuverlässige Kenntnis, die «ein Vorgehen gegen den Täter als aussichtsreich erscheinen lässt und den Antragsberechtigten gleichzeitig davor schützt, wegen falscher Anschuldigung übler Nachrede belangt zu werden». Der Verletzte ist auch nicht verpflichtet, nach dem Täter zu forschen; es gibt in diesem Bereich kein «Kennenmüssen». Andererseits ist aber nicht vorausgesetzt, dass der Verletzte den Täter namentlich kennt. Es genügt, wenn er in der Lage ist, den Täter zweifelsfrei zu individualisieren (Christof Riedo in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Auflage 2019, Art. 31 N 26 f.).

 

1.3 Vorliegend war die Beschwerdeführerin absolut in der Lage, den Täter zu individualisieren. Es kam nur derjenige in Frage, der mit seinem Auto in ihr Fahrrad gefahren war und diese Person war der Polizei und der Staatsanwaltschaft namentlich bekannt. Der Beschwerdeführerin wäre es somit problemlos möglich und auch zumutbar gewesen, innert der dreimonatigen Antragsfrist den Namen dieser Person in Erfahrung zu bringen; eine derartige Nachfrage hätte nichts mit einem Forschen nach dem Täter zu tun gehabt und sie wäre kein Risiko eingegangen, allenfalls wegen falscher Anschuldigung übler Nachrede belangt zu werden.  

 

Die Staatsanwaltschaft geht somit zu Recht davon aus, der am 25. Februar 2020 gestellte Strafantrag sei verspätet erfolgt (Unfalldatum: 2. Oktober 2019).

 

Zum Einwand, die Beschwerdeführerin habe mehrmals um Akteneinsicht gebeten, die entsprechenden Gesuche seien von der Staatsanwaltschaft aber einfach ignoriert worden, ist ergänzend festzuhalten, dass die beiden Mails der Rechtsschutzversicherung vom 22. November 2019 und 10. Dezember 2019 offenbar bei der Staatsanwaltschaft gar nicht eingegangen sind. Die Rechtsschutzversicherung hatte die Mails an die E-Mailadresse «staatsanwaltschaft@kanton-so.ch» versandt. Diese Adresse ist aber nur für den Versand mit IncaMail PrivaSphere vorgesehen, was der Internetseite der Staatsanwaltschaft zu entnehmen ist. Dort ist auch erwähnt, dass direkte Eingaben via E-Mail an die genannte Zustelladresse nicht zulässig sind und vom kantonalen Mailserver zurückgewiesen werden. Die Zustellung an die Staatsanwaltschaft habe zwingend über IncaMail zu erfolgen. Die erwähnten Mails wurden indessen nicht per IncaMail PrivaSphere versandt (ausgedruckte Mails von C.___, [...] Rechtsschutz-Versicherung [...]), was daran ersichtlich ist, dass sie keinen entsprechenden Zusatz in der Adresse aufweisen. Diese fehlerhafte Zustellung hat somit nicht die Staatsanwaltschaft zu verantworten. Sie hatte erst am 20. Januar 2020 durch den Telefonanruf von Herrn C.___ erfahren, dass dieser zuvor zweimal eine E-Mail an die Staatsanwaltschaft gesandt habe. Nach Erhalt des Mails an die richtige Adresse hat sie der Rechtsschutzversicherung denn auch umgehend die Akten zugestellt.

 

1.4 Zusammenfassend hat die Staatsanwaltschaft die Strafanzeige folglich zu Recht wegen verspäteter Einreichung nicht an die Hand genommen. Die Beschwerde gegen die Nichtanhandnahmeverfügung ist daher abzuweisen.

 

2. Einstellung

 

2.1 Jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung Änderung eines Entscheids hat, kann ein Rechtsmittel ergreifen (Art. 382 Abs. 1 StPO). Partei ist namentlich die Privatklägerschaft (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren im Straf- Zivilpunkt zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO). Geschädigt ist, wer durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO). In seinen Rechten unmittelbar verletzt ist, wer Träger des durch die verletzte Strafnorm geschützten zumindest mitgeschützten Rechtsguts ist. Bei Strafnormen, die nicht primär Individualrechtsgüter schützen, gelten praxisgemäss nur diejenigen Personen als Geschädigte, die durch die darin umschriebenen Tatbestände in ihren Rechten beeinträchtigt werden, sofern diese Beeinträchtigung unmittelbare Folge der tatbestandsmässigen Handlung ist. Im Allgemeinen genügt es, wenn das von der geschädigten Person angerufene Individualrechtsgut durch den verletzten Straftatbestand auch nur nachrangig als Nebenzweck geschützt wird, selbst wenn der Tatbestand in erster Linie dem Schutz von kollektiven Rechtsgütern dient. Werden indes durch Delikte, die nur öffentliche Interessen verletzen, private Interessen bloss mittelbar beeinträchtigt, ist der Betroffene nicht Geschädigter im Sinne des Strafprozessrechts (BGE 140 IV 155 mit Hinweisen).

 

Im Entscheid 138 IV 258 hat sich das Bundesgericht für die Beurteilung der Geschädigtenstellung im Zusammenhang mit Verkehrsregelverletzungen nach Art. 90 Ziff. 1 SVG (nun: Art. 90 Abs. 1 SVG) mit den unterschiedlichen Lehrmeinungen auseinandergesetzt. Es kam mit Verweis auf einen Teil der Lehre zum Schluss, bei bloss abstrakten Gefährdungsdelikten gebe es keine Geschädigten im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO, es sei denn, jemand werde als Folge der Begehung eines solchen Deliktes (hier: Verkehrsregelverletzung) doch konkret gefährdet. Sei mit der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung und der herrschenden Lehre davon auszugehen, dass die Verkehrsregeln nebst dem allgemeinen Interesse der Verkehrssicherheit höchstens die körperliche Integrität der Verkehrsteilnehmer schützen, nicht aber deren Eigentum bzw. Vermögen, so stelle ein reiner Sachschaden als Folge einer Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Ziff. 1 SVG keine unmittelbare Verletzung in eigenen Rechten im Sinne von Art. 115 StPO dar, sondern nur eine mittelbare Folge des Verstosses gegen die Verkehrsregeln. Der Kollisionsbeteiligte, der bloss Sachschaden erlitten habe, sei daher nach dieser Vorschrift nicht eine durch die Verkehrsregelverletzung geschädigte Person. Er könne sich demzufolge nicht als Privatkläger gemäss Art. 118 StPO am Strafverfahren beteiligen.

 

Nachdem die Beschwerdeführerin infolge der Kollision Verletzungen erlitten hat, ist ihr gestützt auf diese Rechtsprechung die Geschädigtenstellung zuzuerkennen.

 

Die geschädigte Person wird gemäss Art. 118 Abs. 1 StPO zur Partei, wenn sie ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- Zivilklägerin zu beteiligen. Diese Erklärung hat die Beschwerdeführerin am 25. Februar 2020 abgegeben.

 

Auf die Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung ist folglich einzutreten.

 

2.2 Die Staatsanwaltschaft verfügt gemäss Art. 319 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) die vollständige teilweise Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b), Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen (lit. c), Prozessvoraussetzungen definitiv nicht erfüllt werden können Prozesshindernisse aufgetreten sind (lit. d) nach gesetzlicher Vorschrift auf Strafverfolgung Bestrafung verzichtet werden kann (lit. e).

 

Der Entscheid über die Einstellung des Verfahrens richtet sich nach dem aus dem Legalitätsprinzip fliessenden Grundsatz «in dubio pro duriore». Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft nur bei klarer Straflosigkeit, namentlich fehlendem Tatverdacht, bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen verfügt werden. Ist eine Verurteilung wahrscheinlicher als ein Freispruch, ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben. Dasselbe gilt in der Regel, wenn ein Freispruch ebenso wahrscheinlich wie eine Verurteilung erscheint. Der Grundsatz, dass im Zweifelsfall nicht eingestellt werden darf, ist unter Würdigung der im Einzelfall gegebenen Umstände anzuwenden. Bei zweifelhafter Beweis- bzw. Rechtslage hat mithin nicht die Untersuchungs- Anklagebehörde über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das für die materielle Beurteilung zuständige Gericht. Jedoch sind Sachverhaltsfeststellungen unter Berücksichtigung des Grundsatzes «in dubio pro duriore» auch bei Einstellungen zulässig, soweit gewisse Tatsachen «klar» bzw. «zweifelsfrei» feststehen, so dass im Fall einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Der Staatsanwaltschaft ist es mithin nur bei unklarer Beweislage untersagt, der gerichtlichen Beweiswürdigung vorzugreifen. Im Rahmen von Art. 319 Abs. 1 lit. b und c StPO sind Sachverhaltsfeststellungen der Staatsanwaltschaft in der Regel gar notwendig. Auch insoweit gilt aber, dass der rechtlichen Würdigung der Sachverhalt «in dubio pro duriore», d.h. der klar erstellte Sachverhalt, zugrunde gelegt werden muss (Urteil des Bundesgerichts 6B_1195/2019 vom 28. April 2020).

 

2.3.1 B.___ gab unmittelbar nach dem Unfall zu Protokoll, er sei auf der […]strasse mit ca. 25 km/h hinter einem Lastenwagen gefahren. Kurz vor dem Fussgängerstreifen habe er plötzlich eine Velofahrerin bemerkt. Sie sei mit dem Fahrrad von der linken zur rechten Seite auf dem Fussgängerstreifen gefahren. Er habe sie erst bemerkt, als sie bereits auf dem Streifen gewesen sei, auf seiner Strassenseite. Er habe sofort eine Vollbremsung gemacht und sei mit ca. 5 km/h mit der vorderen rechten Seite mit dem Hinterrad des Fahrrads kollidiert. Wie schnell die Velofahrerin auf dem Fussgängerstreifen gefahren sei, wisse er nicht, evtl. Schritttempo.

 

Anlässlich der Befragung vom 11. Oktober 2019 bestätigte er diese Aussagen im Wesentlichen. Er habe einen Abstand von ca. 20 Meter zum Lastwagen gehabt. Für ihn sei die Dame zu schnell gefahren.

 

2.3.2 A.___ sagte am 11. Oktober 2019 aus, als sie über den Fussgängerstreifen haben fahren wollen, sei von links kein Auto gekommen. Von rechts sei dieses Auto gekommen, das etwa 20 Meter entfernt gewesen sei. Sie habe die erste Strassenseite über die Insel überfahren und sei dann auf die andere Strassenseite gekommen. Dann sei der Unfall passiert. (AF) Es sei ihr bewusst, dass sie als fahrende Fahrradfahrerin nicht als Fussgängerin im Strassenverkehr zähle. Auf die Frage, weshalb sie über den Fussgängerstreifen gefahren sei, antwortete sie, sie wisse nicht genau, was sie sich dabei gedacht habe. Sie hätte absteigen und hinüber laufen sollen. Sie sei nicht schnell gefahren, normal. Auf Frage, ob der Personenwagenlenker irgend eine Andeutung gemacht habe, wonach er ihr den Vortritt geben wolle, sagte sie «nichts, nein». Sie sei ohne Akku gefahren.

 

2.3.3 Der Augenzeuge D.___, der auf der gegenüberliegenden Strasse Richtung […] fuhr, gab nach dem Unfall an, er habe die Velofahrerin schon auf dem Trottoir fahrend gesehen und ihre Absicht bemerkt, den Fussgängerstreifen zu überqueren. Er habe deshalb vor dem Fussgängerstreifen verzögert. Sie sei auf dem Velo sitzend mit ca. Schritttempo über den Fussgängerstreifen gefahren. Sie sei dann ungebremst weiter über die Mittelinsel auf die Gegenspur gefahren. Auf der Gegenspur sei ein Auto mit ca. 20 km/h zu fahren gekommen. Die Fahrradfahrerin sei unvermittelt weitergefahren, direkt vor das entgegenkommende Auto. Der Fahrer habe noch zu bremsen und auszuweichen versucht, habe aber keine Chance gehabt. Er habe das Velo dann im hinteren Bereich erfasst.

 

Am 11. Oktober 2019 sagte D.___ auf den Unfallhergang angesprochen aus, er sei verblüfft gewesen, da diese Velofahrerin über den Fussgängerstreifen gefahren sei. Er habe schon fast aus dem Auto schreien und sagen wollen, dass dies ein Fussgängerstreifen sei und nicht ein Velostreifen. Aber es habe dann auch schon geknallt. (AF) Die Velofahrerin sei zügig über den Fussgängerstreifen gefahren. Sie habe nie gebremst, an einem Stück. Sie sei einfach über die Strasse gefahren, über die Insel auf die andere Strassenseite. Während dessen habe sie nie auf die andere Seite geschaut, Richtung Osten. Dann sei der Unfall gekommen. Er selber habe sie vor sich gesehen und sicherheitshalber mal ein bisschen gebremst. Er hätte nicht bremsen müssen. Als die Fahrradfahrerin über die Strasseninsel gefahren sei, sei der Personenwagen kurz vor dem Fussgängerstreifen gewesen. Er habe keine Chance gehabt, rechtzeitig zu bremsen. Auf Frage, wo der Personenwagen gewesen sei, als die Fahrradlenkerin noch auf dem Trottoir gewesen sei, sagte er, das könne er nicht genau sagen. Auf jeden Fall sei er schon nahe beim Fussgängerstreifen gewesen. Ob der Pw-Lenker eine Vollbremsung gemacht habe, könne er nicht sagen. Dieser sei nicht schnell gewesen. Er habe nur kurz bremsen müssen und dann sei die Kollision gekommen. (AF) Er sei mit ca. 15 bis 20 km/h auf den Fussgängerstreifen zugefahren, mehr habe er ganz sicher nicht gehabt.

 

2.4 Nach Art. 26 Abs. 1 SVG muss sich jedermann im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden im Begriffe sind, ihn zu betreten (Art. 33 Abs. 2 SVG). Fussgänger müssen, besonders vor und hinter haltenden Wagen, behutsam auf die Fahrbahn treten; sie haben die Strasse ungesäumt zu überschreiten. Sie müssen Fussgängerstreifen, Über- Unterführungen benützen, wenn diese weniger als 50 m entfernt sind (Art. 47 Abs. 1 VRV). Auf Fussgängerstreifen ohne Verkehrsinsel haben die Fussgänger den Vortritt, ausser gegenüber der Strassenbahn. Sie dürfen jedoch vom Vortrittsrecht nicht Gebrauch machen, wenn das Fahrzeug bereits so nahe ist, dass es nicht mehr rechtzeitig anhalten könnte (Abs. 2). Bei Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung, die durch eine Verkehrsinsel unterteilt sind, gilt jeder Teil des Übergangs als selbstständiger Streifen (Abs. 3).

 

2.5 B.___ war, als er auf den Fussgängerstreifen zufuhr, folglich verpflichtet, allfälligen Personen, die den Fussgängerstreifen überqueren wollten, den Vortritt zu gewähren. Vorliegend kommt das Vortrittsrecht des Fussgängers indessen nicht zum Tragen, da die Beschwerdeführerin eine grundsätzlich den Fussgängern vorbehaltene Verkehrsfläche mit ihrem Fahrrad befuhr. Kommt hinzu, dass sie einen Fussgängerstreifen mit einer Verkehrsinsel befuhr, bei dem jeder Teil des Übergangs als selbstständiger Streifen gilt.

 

Nachdem die Beschwerdeführerin auf den ersten Teil des Fussgängerstreifens gefahren war, fuhr sie gemäss Aussagen des Augenzeugen D.___ ungebremst weiter über die Mittelinsel auf die Gegenspur direkt vor das entgegenkommende Auto. Sie habe auch nie auf die andere Seite geschaut, Richtung Osten (und damit in Richtung des Beschuldigten). Im Weiteren hat D.___ klar ausgesagt, dass der Fahrer des Personenwagens keine Chance gehabt habe, rechtzeitig zu bremsen. Der Personenwagen sei schon nahe beim Fussgängerstreifen gewesen, als die Fahrradfahrerin noch auf dem Trottoir gewesen sei, d.h. als sie den Fussgängerstreifen noch gar nicht befahren gehabt hatte. Der Personenwagenlenker sei nicht schnell gefahren. Er sei mit ca. 15 bis 20 km/h auf den Fussgängerstreifen zugefahren, mehr habe er ganz sicher nicht gehabt.

 

Angesichts dieser Umstände geht die Staatsanwaltschaft zu Recht davon aus, dem Beschuldigten könne in strassenverkehrsrechtlicher Hinsicht kein Fehlverhalten vorgeworfen werden. Er musste aufgrund des Vertrauensgrundsatzes nach Art. 26 SVG nicht damit rechnen, dass eine Fahrradfahrerin, ohne auf den Verkehr aus dem Zentrum von […] zu achten, unvermittelt den Fussgängerstreifen – fahrend – überqueren würde. Wenn der Beschwerdeführerin auch nicht vorzuhalten ist, schnell über den Fussgängerstreifen gefahren zu sein, geht die Staatsanwaltschaft auch absolut zu Recht davon aus, sie müsse mit eindeutig höherer Geschwindigkeit als ein Fussgänger unterwegs gewesen sein. Die Beschwerdeführerin lässt in ihren Eingaben an die Beschwerdekammer zwar wiederholt darauf hinweisen, insbesondere auch unter Hinweis auf die Aussagen von D.___ in der Erstbefragung, wonach sie ca. mit Schritttempo gefahren sei, sie habe den Fussgängerstreifen nicht schneller als ein Fussgänger überquert. Dies kann erfahrungsgemäss aber nicht zutreffen, zumal die Beschwerdeführerin vor dem Fussgängerstreifen nicht erst aufgestiegen, sondern bereits vorgängig auf dem Trottoir fahrend unterwegs gewesen war. Bei ebenen Strassenverhältnissen fährt ein Fahrradfahrer nicht im Tempo eines Fussgängers (auch wenn er nicht schnell fährt), es sei denn, er fahre aus einem bestimmten Grund bewusst langsam, zum Beispiel, wie der Beschuldigte zutreffend erwähnt, wenn er neben einem Fussgänger herfährt. Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Auch die Beschwerdeführerin selber hatte ausgeführt, sie sei «normal» gefahren. Ergänzend anzufügen ist, dass auch D.___ nur erwähnt, die Fahrradfahrerin sei ca. Schritttempo gefahren, es handelte sich somit nur um eine ungefähre Angabe. In der polizeilichen Einvernahme vom 11. Oktober 2019 hat er dann ausgesagt, die Beschwerdeführerin sei zügig über den Fussgängerstreifen gefahren.

 

Es ist folglich nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung gegen B.___ wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz eingestellt hat. Die Beschwerdeführerin war nicht vortrittsberechtigt, der Beschuldigte musste nicht damit rechnen, dass eine Fahrradfahrerin unvermittelt vor ihm den Fussgängerstreifen befährt und es war ihm aufgrund der klaren Aussagen des Augenzeugen D.___ und entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht möglich, noch rechtzeitig anzuhalten.

 

Inwiefern weitergehende Ermittlungen angezeigt sein sollten, ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht erkennbar. Die konkreten Verhältnisse und die gegebene Situation sind ausreichend geklärt, insbesondere aufgrund der klaren Aussagen des Augenzeugen D.___. Es braucht keine Begehung des Tatorts, einen situationsgetreuen Plan gar ein neutrales externes verkehrstechnisches Gutachten, zumal es sich bei der Angabe der Beschuldigten zur Distanz des Fahrzeugs des Beschuldigten vor dem Fussgängerstreifen nur um eine ungefähre Angabe – etwa 20 Meter – handelte. D.___ hatte auf die Frage, wo der Personenwagen gewesen sei, als die Fahrradlenkerin noch auf dem Trottoir gewesen sei, ausgesagt, das könne er nicht genau sagen. Auf jeden Fall sei er schon nahe beim Fussgängerstreifen gewesen. Was anhand solcher Angaben berechnet werden sollte, ist nicht ersichtlich. Es gibt auch keine Bremsspuren des in den Unfall involvierten Autos, aufgrund derer allenfalls Rückschlüsse auf die gefahrene Geschwindigkeit des Autolenkers gezogen werden könnten (Strafanzeige S. 4).

 

2.6 Zusammenfassend hat die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung gegen B.___ wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz folglich zu Recht eingestellt. Die Beschwerde ist damit auch diesbezüglich abzuweisen.

 

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 800.00 gehen bei diesem Ausgang des Verfahrens zu Lasten der Beschwerdeführerin und sind mit der geleisteten Sicherheit zu verrechnen. Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen.

 

 

Demnach wird beschlossen:

 

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.    Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 800.00 zu bezahlen.

3.    Eine Parteientschädigung wird nicht zugesprochen.

 

 

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

Müller                                                                                Ramseier



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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