E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Versicherungsgericht (SG - UV 2016/27)

Zusammenfassung des Urteils UV 2016/27: Versicherungsgericht

Es geht um einen Fall vor dem Sozialversicherungsgericht, bei dem es um die Hinterlassenenrente eines Versicherten geht, der nach Stürzen im Krankenhaus verstorben ist. Die Frage war, ob die Stürze mittelbar zum Tod des Versicherten beigetragen haben. Nach verschiedenen ärztlichen Berichten wurde festgestellt, dass die Stürze und deren Folgen den Tod des Versicherten zumindest teilweise verursacht haben. Das Gericht entschied, dass die Unfallversicherung für die Hinterlassenenrente des Versicherten verantwortlich ist. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben, und die Beschwerdeführerin erhielt eine Parteientschädigung von Fr. 4'000.-.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts UV 2016/27

Kanton:SG
Fallnummer:UV 2016/27
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:UV - Unfallversicherung
Versicherungsgericht Entscheid UV 2016/27 vom 02.05.2018 (SG)
Datum:02.05.2018
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 6 UVG. Haftung des Unfallversicherers bei Bejahung des Kausalzusammenhangs für mittelbare Unfallfolgen (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 2. Mai 2018, UV 2016/27). Beim Bundesgericht angefochten.
Schlagwörter: Unfall; Suva-act; Recht; Sturz; Lungenembolie; Kausalzusammenhang; Versicherung; Unfälle; Entscheid; Todesursache; Sinne; Unfallversicherung; Ursache; Blutung; Hinterlassenenrente; Leistungen; Verschlechterung; Einsprache; Ereignis; Antikoagulation; Rechtsanwalt; Ärzte; Bericht; Subduralhämatom
Rechtsnorm: Art. 28 UVG ;Art. 36 UVG ;Art. 6 UVG ;
Referenz BGE:117 V 264; 117 V 282; 118 V 286; 122 V 158; 129 V 177; 129 V 181; 134 V 111; 134 V 232;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts UV 2016/27

Entscheid vom 2. Mai 2018

Besetzung

Versicherungsrichterin Christiane Gallati Schneider (Vorsitz), Versicherungsrichter Joachim Huber und Versicherungsrichterin Miriam Lendfers; Gerichtsschreiber Markus Lorenzi

Geschäftsnr. UV 2016/27

Parteien

  1. ,

    Beschwerdeführerin,

    vertreten durch Rechtsanwalt lic. rer. publ. Michael B. Graf, GN Rechtsanwälte, St. Leonhard-Strasse 20, Postfach 728, 9001 St. Gallen,

    gegen

    image

    Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, Postfach 4358, 6002 Luzern,

    Beschwerdegegnerin,

    vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Christian Leupi, grossenbacher rechtsanwälte ag, Zentralstrasse 44, 6003 Luzern,

    Gegenstand

    Hinterlassenenrente (B. , sel.) Sachverhalt

    A.

    1. Der 1931 geborene B. (nachfolgend: Versicherter) war seit dem 29. Dezember 1978 bei der C. in Z. tätig und bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (nachfolgend: Suva) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Das Arbeitsverhältnis bestand nach der ordentlichen Pensionierung weiter. Am 26. Februar 2014 liess er der Suva melden, er sei am 1. Januar 2014 anlässlich eines Aufenthalts im Kantonsspital St. Gallen (KSSG) im Krankenzimmer gestürzt (Suva-act. II-3).

    2. Der Versicherte war am 26. Dezember 2013 ins KSSG eingetreten und blieb dort bis 4. Februar 2014 hospitalisiert. Die Ärzte diagnostizierten mit Bericht vom 5. Februar 2014 (Suva-act. II-7) 1. ein diffuses Subduralhämatom mit Falxbeteiligung nach Sturz- ereignis vom 1. Januar 2014 unter ASS, Plavix und prophylaktisch Liquemin, 2. rezidivierende Synkopen ohne Prodromi unklarer Genese, 3. ein Erysipel Unterschenkel links, 4. eine dialysebedürftige Niereninsuffizienz, 5. eine hypertensive, valvuläre und koronare Herzkrankheit und 6. ein normokardes Vorhofflimmern (ED: 28. Januar 2013). Am 4. Februar 2014 war der Versicherte in die Geriatrie des KSSG verlegt worden (Suva-act. II-7), wo er bis zum 3. April 2014 hospitalisiert blieb (Suva-act. I-8). Danach wurde er der Rehaklinik Y. zugewiesen (Suva-act. II-41).

      image

    3. Die Suva erbrachte für den Sturz vom 1. Januar 2014 die gesetzlichen Leistungen

(Heilbehandlung und Taggeld; Suva-act. II-25).

B.

    1. Wegen eines Sturzes aus dem Rollstuhl mit Kopfanprall in der Rehaklinik Y. am

      14. August 2014 (Schadenmeldung UVG vom 8. September 2014; Suva-act. I-2) war der Versicherte bis am 16. August 2014 auf der interdisziplinären Intensivstation des Kantonsspitals X. hospitalisiert, ehe er wieder nach Y. verlegt wurde. Die Ärzte des X. vermerkten mit Bericht vom 15. August 2014 1. bei Sturz am 14. August 2014 – frischere subdurale Blutungsauflagerungen beidseits parietookzipital – unveränderte subdurale Subduralhämatome beidseits frontal – eine offene, wenig dislozierte Nasenbeinfraktur, 2. eine multifaktoriell bedingte Vigilanzminderung – bei bihemisphärischen Subduralhämatomen mit Falxbeteiligung nach Sturz am 1. Januar 2014 – bei ausgeprägter vaskulärer Leukencephalopathie – bei generalisierter Hirnathrophie – bei Status nach hyperaktivem Delir (Suva-act. I-9).

    2. Am 27. August 2014 kam es in der Rehaklinik Y. zu einer plötzlichen und unerwarteten Verschlechterung des Allgemeinzustands des Versicherten. Man entschied sich für ein palliatives Vorgehen, stoppte die vorherige Medikation, verabreichte Morphin und stellte die Peritonealdialyse ein. Am 28. August 2014 verstarb der Versicherte (Suva-act. I-8).

    3. Am 1. Juni 2015 teilte die Suva der Tochter des Versicherten mit, dass aufgrund der neurologischen Beurteilung von Dr. med. D. , Fachärztin für Neurologie FMH, Abteilung Versicherungsmedizin der Suva (Suva-act. II-95), die Todesursache nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne. Alle möglichen Ursachen seien schlussendlich rein hypothetisch und wegen der komplexen Erkrankung und des Alters des Versicherten nicht eindeutig festzulegen. Aus diesem Grund werde keine Hinterlassenenrente ausgerichtet (Suva-act. I-19). Trotz Einwands von Rechtsanwalt D. Husmann, Zürich, Rechtsvertreter der Witwe des Versicherten, A. , vom 24. Juni 2015 (Suva-act. I-20) verfügte die Suva am 15. Juli 2015 im Sinne ihrer Mitteilung vom

1. Juni 2015 (Suva-act. I-21).

C.

image

Gegen diese Verfügung erhob der Rechtsvertreter von A. am 14. September 2015 Einsprache (Suva-act. I-22). Mit Entscheid vom 4. Februar 2016 wies die Suva die Einsprache bei Zustand der Beweislosigkeit ab (Suva-act. I-26).

D.

    1. Gegen diesen Entscheid liess A. (nachfolgend: Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 7. März 2016 Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich erheben (act. G 1). In der Folge wurde die Beschwerde zuständigkeitshalber an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen überwiesen (Eingang am 21. April 2016; Suva-act. I-30 f.). Die Beschwerdeführerin liess beantragen, dass der Einspracheentscheid vom 4. Februar 2016 aufzuheben und die Suva (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) zu verpflichten sei, die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung zu erbringen. Es sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, der Beschwerdeführerin eine Witwenrente auszurichten. Eventualiter sei ein unabhängiges Gutachten zur Frage nach der Todesursache des Versicherten einzuholen. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin (act. G 1).

    2. In der Beschwerdeantwort vom 25. August 2016 beantragte die Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt C. Leupi, Luzern, die Abweisung der Beschwerde und die Bestätigung des Einspracheentscheids. Die Kosten seien bei Kostenlosigkeit des Verfahrens wettzuschlagen (act. G 7).

    3. Am 6. Januar 2017 reichte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin eine Replik inkl. eines Aktengutachtens von Prof. Dr. med. E. , Facharzt für Neurologie, vom 19. Juli 2016 ein (act. G 15 und 15. 1). Die Beschwerdegegnerin liess dazu in ihrer Duplik vom 30. März 2017 Stellung nehmen (act. G 21).

    4. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2017 informierte Rechtsanwalt M.B. Graf, St. Gallen, das Versicherungsgericht dahingehend, dass die Beschwerdeführerin neu und mit Wirkung ab sofort ihn mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragt habe (act. G 23).

Erwägungen

1.

Am 1. Januar 2017 sind die revidierten Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG; SR 832.20) und der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV; SR 832.202) in Kraft getreten. Gemäss den Übergangsbestimmungen werden Versicherungsleistungen für Unfälle, die sich vor Inkrafttreten der Änderung ereignet haben, und für Berufskrankheiten, die vor diesem Zeitpunkt ausgebrochen sind, nach bisherigem Recht gewährt. Vorliegend stehen Unfälle aus dem Jahr 2014 zur Diskussion. Es finden daher die bis 31. Dezember 2016 gültigen Bestimmungen Anwendung.

2.

    1. Die Zusprechung von Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung setzt grundsätzlich das Vorliegen eines Berufsunfalls, Nichtberufsunfalls einer Berufskrankheit voraus (Art. 6 Abs. 1 UVG). Stirbt eine versicherte Person an den Folgen eines versicherten Unfalls, so hat – unter anderem – der überlebende Ehegatte grundsätzlich Anspruch auf eine Hinterlassenenrente (Art. 28 f. UVG). Vorliegend gilt es deshalb zu prüfen, ob der Tod des Versicherten als Folge der versicherten Unfälle vom

      1. Januar 2014 bzw. 14. August 2014 zu qualifizieren ist nicht.

    2. Die Leistungspflicht eines Unfallversicherers gemäss UVG setzt voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht. Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs sind alle Umstände, ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als eingetreten nicht als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedacht werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die körperliche geistige Integrität der versicherten Person beeinträchtigt hat, der Unfall mit andern Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele (BGE 129 V 177 E. 3.1, 402 E. 4.3.1, 119 V 335 E. 1, 118 V 286 E. 1b, je mit Hinweisen). Die Leistungspflicht des Unfallversicherers setzt im Weiteren voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Nach der

      Rechtsprechung hat ein Ereignis dann als adäquate Ursache eines Erfolgs zu gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolges also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint (BGE 129 V 181 E. 3.2, 125 V 461 f. E. 5a). Für die Beantwortung der Tatfrage nach dem Bestehen natürlicher Kausalzusammenhänge im Bereich der Medizin ist das Gericht in der Regel auf Angaben ärztlicher Experten Expertinnen angewiesen. Die Frage nach dem adäquaten Kausalzusammenhang ist demgegenüber eine Rechtsfrage, die vom Gericht nach den von Doktrin und Praxis entwickelten Regeln zu beurteilen ist (BGE 129 V 181 E. 3.1, 123 III 110, 112). Bei physischen Unfallfolgen spielt die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der aus dem natürlichen Kausalzusammenhang sich ergebenden Haftung des Unfallversicherers praktisch keine Rolle, da sich hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt (BGE 134 V 111 f. E. 2.1, 127 V 103 E. 5b/bb).

    3. Im Sozialversicherungsrecht gilt der Untersuchungsgrundsatz. Verwaltung und Sozialversicherungsgericht haben von sich aus für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen (BGE 122 V 158 E. 1a). Rechtserheblich sind alle Tatsachen, von deren Vorliegen es abhängt, ob über den streitigen Anspruch so anders zu entscheiden ist. In diesem Rahmen haben Verwaltungsbehörden und das Sozialversicherungsgericht zusätzliche Abklärungen stets dann vorzunehmen zu veranlassen, wenn hierzu aufgrund der Parteivorbringen anderer sich aus den Akten ergebender Anhaltspunkte hinreichender Anlass besteht (BGE 117 V 282 f. E. 4a). In beweisrechtlicher Hinsicht gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Danach haben die urteilenden Instanzen die Beweise frei, d.h. ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne einer Beweisführungslast begriffsnotwendig aus. Im Sozialversicherungsprozess tragen mithin die Parteien in der Regel eine Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes auf Grund einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu

      ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 264 E. 3b mit Hinweisen, 138 V 221 f. E. 6).

    4. Hinsichtlich des Beweiswerts eines Arztberichts ist entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten bzw. der Anamnese abgegeben worden ist, in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der medizinischen Fachperson begründet und nachvollziehbar sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht Gutachten, sondern dessen Inhalt (BGE 134 V 232 f. E. 5.1, 125 V 352 E. 3a mit Hinweisen).

3.

Es ist insbesondere streitig, ob die als Unfälle anerkannten Stürze vom 1. Januar 2014 und 14. August 2014 überwiegend wahrscheinlich als natürlich kausale (Teil)Ursache für den am 28. August 2014 eingetretenen Tod des Versicherten zu qualifizieren sind.

    1. Unstrittig haben die Stürze an sich und die damit erlittenen Beeinträchtigungen (insbesondere die Subduralhämatome) nicht unmittelbar zum Tod des Versicherten geführt. Nachdem der Unfallversicherer aber auch für indirekte bzw. mittelbare Unfallfolgen haftet (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 23. Dezember 2008, 8C_444/2008, E. 5), bleibt zu prüfen, ob aufgrund der medizinischen Aktenlage rechtsgenüglich erstellt ist, dass die Beeinträchtigungen durch die Stürze mittelbar das Ableben des Versicherten in dem Sinne verursacht bzw. begünstigt haben, dass es dazu ohne die Unfälle nicht in gleicher Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit gekommen wäre. Zu dieser Frage äussern sich Dr. med. F. , Chefarzt/Ärztlicher Direktor der Rehaklinik Y. , mit Berichten vom 11. September und 5. November 2014 (Suva-act. II-72-3 ff., 79), Dr. D. mit neurologischer Beurteilung vom 11. Mai 2015 (Suva-act.

      II-95) und Prof. E. mit Aktengutachten vom 19. Juli 2015 (act. G 15.1).

      1. Dr. F. führt aus, dass das für den Tod entscheidende Ereignis akut am 27. August 2014 aufgetreten sei, als der Versicherte einen plötzlichen Schmerz verspürt und unter Atemnot gelitten habe. Aufgrund des plötzlichen Auftretens dieser Symptomkombination aus Schmerzen und Dyspnoe sei eine Lungenembolie die wahrscheinlichste Todesursache. Differentialdiagnostisch komme jedoch ein Herzinfarkt in Frage. Woher die Schmerzen gekommen seien, habe nicht eindeutig festgestellt werden können. Eine Verschlechterung infolge einer Hirnblutung könne aus dem weiteren Verlauf ausgeschlossen werden, da in diesem Fall weitere neurologische Ausfälle zu erwarten gewesen wären. Aufgrund der Vorgeschichte habe der Dienstarzt als Todesursache eine Niereninsuffizienz festgehalten. Dies sei durchaus denkbar, da es bei einer ungenügenden Nierenfunktion früher später zu einer Erhöhung von Elektrolyten, zu Herzrhythmusstörungen und zu einem Herzstillstand komme. Da in gemeinsamer Absprache mit der Familie des Versicherten nach dem akuten Ereignis vom 27. August 2014 auf jegliche weitere Abklärung verzichtet worden sei, könne die unmittelbare Todesursache letztlich nicht geklärt werden. Damit sei auch nicht klar, ob der Versicherte an den Folgen des Ereignisses vom 27. August 2014 verstorben wäre, hätte man alle medizinischen Massnahmen ergriffen. Die Frage einer Autopsie sei nach dieser palliativen Situation nicht im Raum gestanden (Suva-act. II-79).

      2. Dr. D. führt an, dass mangels Autopsie ihre Erörterungen zur (direkten und indirekten) Todesursache des Versicherten hypothetisch seien. Dies unter Beachtung des Aspekts, dass richtungsweisend für das Versterben zu diesem Zeitpunkt der Entscheid zum palliativen Vorgehen mit Beendigung der Dialyse gewesen sei. Auch sie gehe eher von einer Lungenembolie als Ursache für die akute Verschlechterung aus und dass diese vermutliche Lungenembolie letztlich aufgrund der Gesamtkonstellation nachvollziehbar zum palliativen Vorgehen geführt habe. Ursache der allfälligen Lungenembolie sei vermutlich das Zusammenspiel der sturzbedingten Beendigung der oralen Antikoagulation mit Einfluss auf die Blutgerinnung (anzunehmend unabhängig von der Gabe von low-dose Heparin) und der Immobilisation (Suva-act. II-95).

      3. Prof. E. führt aus, dass der erste Sturz zu einer richtungsgebenden Verschlechterung des Gesundheitszustands mit beidseitigen Subduralhämatomen mit Falxbeteiligung geführt habe. Folge des zweiten Sturzes sei eine erneute leichte intracranielle Blutung gewesen, welche die Ärzte dazu bewogen habe, die Empfehlung

        abzugeben, die die Lungenembolie verhindernde orale Antikoagulation abzusetzen, um wahrscheinlich bei weiteren allfälligen Stürzen eine erneute intracranielle Blutung zu vermeiden. Somit habe das Sturzereignis vom 14. August 2014 zur Folge gehabt, dass eine wichtige Therapie gegen Lungenembolien abgebrochen worden sei. Im Falle, dass die Nieren¬insuffizienz bei sistierter Dialyse letztlich zum Tode geführt habe, sei zu beachten, dass der Entscheid zur Sistierung wegen der Verschlechterung des Zustands am 27. August 2014 erfolgt sei. Die Verschlechterung wiederum sei durch die Lungenembolie eingetreten, welche überwiegend wahrscheinlich durch das Absetzen der oralen Antikoagulation auf Empfehlung der Ärzte verursacht worden sei. Der Sturz vom 14. August 2014 sei das Initialereignis einer nachfolgenden Kausalkette: Sturz vom

        14. August 2014 – erneute intracranielle Blutung als Folge – Sistierung der oralen Antikoagulation zur Vermeidung weiterer intracranieller Blutungen – als Folge davon Lungenembolie – als Folge davon Sistierung der Dialyse – Tod durch Niereninsuffizienz (act. G 15.1).

    2. Die Berichte der drei verschiedenen Ärzte unterscheiden sich inhaltlich nicht wesentlich, widersprechen sich gegenseitig nicht und beruhen auf umfassender Würdigung sämtlicher Umstände. Es kann damit darauf abgestellt werden. Somit ist erstellt, dass wegen des Unfallereignisses vom 14. August 2014 und der Folgen daraus (intracranielle Blutung) die indizierte Medikation (orale Antikoagulation) sistiert wurde. Gemäss den Arztberichten von Prof. E. und Dr. D. führte am wahrscheinlichsten unter anderem diese Sistierung zu einer Lungenembolie (dafür sprechen das akute Auftreten und die gestauten Halsvenen; Suva-act. II-72), welche letztlich das palliative Vorgehen und den Tod zur Folge hatte. Damit war das Sturzereignis vom 14. August 2014 überwiegend wahrscheinlich zumindest mittelbar teilursächlich für den am 28. August 2014 eingetretenen Tod des Versicherten. Ob der Tod letztlich durch eine Niereninsuffizienz eine Lungenembolie eingetreten ist, ist für die Annahme einer mittelbaren Teilkausalität nicht entscheidend. In dem Sinne ändert auch die lediglich hypothetisch abgegebene Beurteilung von Dr. D. in Bezug auf die Todesursache nichts. Die von Prof. E. beschriebene Kausalkette an sich hält auch Dr. D. für die wahrscheinlichste. Relevant ist, dass der Tod des Versicherten ohne die Sturzereignisse überwiegend wahrscheinlich nicht in gleicher Weise bzw. im gleichen Zeitpunkt eingetreten wäre. Anders gesagt können die Unfälle bzw. die damit verursachten Gesundheitsschäden nicht weggedacht werden, ohne dass auch der am

      28. August 2014 eingetretene Tod des Versicherten entfiele. Der natürliche Kausalzusammenhang ist damit rechtsgenüglich ausgewiesen, womit sich die Frage, wer die Folgen einer Beweislosigkeit zu tragen hat, nicht stellt (vgl. vorstehende E. 3.3) und Weiterungen sich erübrigen (vgl. zur antizipierten Beweiswürdigung nebst vielen Urteil des Bundesgerichts vom 1. September 2016, 8C_467/2016, E. 3.3). Der adäquate Kausalzusammenhang spielt rechtsprechungsgemäss bei physischen Unfallfolgen (praktisch) keine Rolle (vgl. vorstehende E. 3.2) und ist ohne weiteres auch gegeben. Das gilt grundsätzlich auch im vorliegenden Fall, nachdem die Unfallfallversicherung auch für seltenste, schwerwiegendste Komplikationen haftet (vgl. dazu Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG; seit 1. Januar 2007 sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts] vom 8. Oktober 2004, U 163/04, E. 2 mit Hinweisen). Die Beschwerdegegnerin ist damit gestützt auf Art. 6 Abs. 1 UVG grundsätzlich leistungspflichtig.

    3. In der Annahme, dass die Adäquanz zu verneinen wäre, weil die Lungenembolie und der Tod des Versicherten auch wesentlich aus dem krankhaften Vorzustand heraus begünstigt wurden bzw. es nicht der allgemeinen Erfahrung entspricht, dass die unfallkausalen Beeinträchtigungen vorliegende Kausalkette auslösen, entstünde eine Leistungspflicht gestützt auf Art. 6 Abs. 3 UVG. Gemäss dieser Bestimmung hat die Versicherung Leistungen für Schädigungen zu erbringen, die dem Verunfallten bei der Heilbehandlung von Unfallfolgen zugefügt werden. Ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und der bei der unfallbedingten Heilbehandlung aufgetretenen Komplikation ist nicht erforderlich (vgl. ALEXANDRA RUMO-JUNGO/ANDRÉ PIERRE HOLZER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 4. Aufl. Zürich/ Basel/Genf 2012, S. 85). Die orale Antikoagulation wurde wegen der Folgen des Sturzereignisses vom 14. August 2014 (intracranielle Blutung) anlässlich der Heilbehandlung gestoppt. Unter anderem aufgrund dessen kam es während der Heilbehandlung überwiegend wahrscheinlich zur Lungenembolie bzw. kurze Zeit später zum Tod des Versicherten. Art. 6 Abs. 3 UVG kommt daher zur Anwendung, selbst wenn letztlich der Tod auch wesentlich auf krankhafte Vorzustände zurückzuführen ist (BGE 118 V 286). Die Beschwerdegegnerin hätte damit auch gestützt auf Art. 6 Abs. 3 UVG eine Hinterlassenenrente zu erbringen.

    4. Insbesondere die vielen krankhaften Vorzustände (vgl. vorstehend lit. A.b) haben dazu geführt, dass das Absetzen der indizierten Medikation wegen der Unfälle diese Folgen bewirken konnten. In diesem Sinne war das Ableben des Versicherten nur teil- weise auf ein versichertes Risiko zurückzuführen. Damit wird die Beschwerdegegnerin über eine allfällige Kürzung der Witwenrente im Sinne von Art. 36 Abs. 2 UVG zu befinden (vgl. ALEXANDRA RUMO-JUNGO/ANDRÉ PIERRE HOLZER, a.a.O., S. 193)

und darüber zu verfügen haben. In Betracht fällt bei den gegebenen Verhältnissen auch eine vergleichsweise Festlegung des Rentenbetrags (Art. 50 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]).

4.

    1. Gemäss den vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde unter Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheids vom 4. Februar 2016 gutzuheissen. Die Sache ist zur Prüfung und Ausrichtung der geschuldeten Leistungen (Hinterlassenenrente) an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

    2. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).

    3. Die Beschwerdeführerin hat bei diesem Verfahrensausgang Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 61 lit. g ATSG). Es rechtfertigt sich, die Entschädigung – wie in vergleichbaren Fällen üblich – auf pauschal Fr. 4'000.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) festzulegen.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

In Gutheissung der Beschwerde wird der Einspracheentscheid vom 4. Februar 2016 aufgehoben und die Sache zur Prüfung und Ausrichtung der geschuldeten Leistungen (Hinterlassenenrente) an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr. 4'000.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.