Kanton: | SG |
Fallnummer: | UV 2015/17 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | UV - Unfallversicherung |
Datum: | 10.01.2017 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 53 Abs. 1 ATSG. Prozessuale Revision. Die neu eingereichten privatgutachterlichen Stellungnahmen enthalten weder erhebliche neue Tatsachen noch stellen sie revisionswesentliche Beweismittel dar, deren Beibringung dem Beschwerdeführer früher nicht möglich gewesen wäre (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 10. Januar 2017, UV 2015/17). |
Zusammenfassung: | Der Versicherte A. unterzog sich einer Operation, bei der eine Vene verletzt wurde. Die Suva lehnte eine Leistungspflicht ab, da die Verletzung als normaler Risikofaktor galt. Nach mehreren Gutachten und Einsprüchen beantragte der Versicherte eine prozessuale Revision, die jedoch abgelehnt wurde. Es stellte sich heraus, dass keine neuen erheblichen Tatsachen oder Beweismittel vorlagen, um den ursprünglichen Entscheid zu ändern. Die Beschwerde wurde daher abgewiesen, ohne dass Gerichtskosten erhoben wurden. |
Schlagwörter: | UV-act; Revision; Einsprache; Einspracheentscheid; Tatsache; Operation; Tatsachen; Revisionsgesuch; Beweis; Beweismittel; Operateur; Gutachten; Beurteilung; Einspracheentscheids; Quot; Entscheid; Sachverhalt; Stellungnahme; Risiko; Begründung; Beurteilungen; Präparation; Verfügung; Schicht; Gefässverletzung; öglich |
Rechtsnorm: | Art. 52 VwVG ; Art. 53 ATSG ; Art. 55 ATSG ; Art. 67 VwVG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Besetzung
Vizepräsidentin Miriam Lendfers, Versicherungsrichterin Christiane
Gallati Schneider, Versicherungsrichter Ralph Jöhl; Gerichtsschreiber Philipp
Geertsen Geschäftsnr. UV 2015/17
Parteien
,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Yvonne Furler,
Chamerstrasse 176, 6300 Zug, gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, Postfach 4358, 6002 Luzern,
Beschwerdegegnerin, Gegenstand Prozessuale Revision Sachverhalt
A.
A. unterzog sich am 11. August 2004 aufgrund einer rezidivierenden Sigmadivertikulitis einem von Dr. med. B. , Chefarzt Chirurgie des Kantonalen Spitals C. , durchgeführten operativen Eingriff. Beim Versuch der laparoskopischen Sigmaresektion wurde die Vena iliaca communis links verletzt, weshalb der Operateur eine Laparatomie durchführte, ein Veneninterponat im Bereich der verletzten Vene einsetzte und eine offene Rektosigmoidresektion mit Deszendorektostomie vornahm (UV-act. 51). In der Folge traten Bauch- und Beinbeschwerden auf. Die Suva lehnte eine Leistungspflicht mit der Begründung ab, die Venenverletzung anlässlich der Operation vom 11. August 2004 stelle keine weit ausserhalb des normalen Risikos der Krankheitsbehandlung liegende schädigende Einwirkung dar. Der Versicherte habe demnach keinen Unfall im Rechtssinn erlitten (Verfügung vom 15. Juli 2005, UV-act. 1). Dagegen erhob der Versicherte am 25. Juli 2005 Einsprache und brachte vor, die Abweichung vom medizinisch Üblichen und die Verwirklichung des entsprechend grossen Risikos und damit ein Unfallereignis seien zu bejahen (als UV-act. 67 bezeichnet, nach act. 3 eingeordnet). Auf seinen Antrag wurde das Verfahren sistiert.
Prof. Dr. med. D. , Ärztlicher Direktor der Chirurgischen Klinik E. , erstattete
am 15. Oktober 2009 ein viszeralchirurgisches Fachgutachten. Er gelangte zum
Schluss, dass die Operation vom 11. August 2004 chirurgisch einwandfrei durchgeführt worden sei. Allerdings seien nach der Operation Kommunikations- bzw. Organisationsprobleme aufgetreten. So sei die vom Operateur am Ende des Operationsberichts angeordnete Thromboembolieprophylaxe während der postoperativen Phase in den ersten 48 Stunden nicht durchgeführt worden (UV-act. 22; vgl. zur unterbliebenen Prophylaxe auch die gutachterliche Stellungnahme von Dr. med. F. , Facharzt für Chirurgie und Herzchirurgie, vom 17. Oktober 2010, UV-act. 26). Mit Einspracheentscheid vom 8. Februar 2011 wies die Suva die Einsprache vom
25. Juli 2005 ab. Sie stellte sich auf den Standpunkt, die Durchtrennung von Blutgefässen gehöre zum normalen Risiko der durchgeführten Operation (UV-act. 31).
Am 20. Januar 2012 reichte der Versicherte ärztliche Beurteilungen ein, worin sich die Experten kritisch zur Operation vom 11. August 2004 äusserten (deutsche Übersetzung eines in kroatischer Sprache abgefassten Gutachtens der Prof. Dr. sc.
G. , Fachärztin für Chirurgie und Gefässchirurgie, und Prof. Dr. sc. H. , Facharzt für
Gerichtsmedizin, UV-act. 34; Stellungnahme von Prof. Dr. med. I. , Leiter der Abteilung für Gefässchirurgie Klinik J. , vom 31. Oktober 2011, der u.a. festhielt, dass die Blutung ganz offensichtlich durch die Präparation entstanden sei, UV-act. 36). Die Suva teilte dem Versicherten gleichentags mit, dass aufgrund der nun neu zugestellten Unterlagen keine Veranlassung bestehe, auf den rechtskräftigen Einspracheentscheid vom 8. Februar 2011 zurückzukommen (UV-act. 38).
Der Versicherte sandte der Suva am 27. Juli 2013 eine gutachterliche Kurz- Stellungnahme von Dr. med. K. vom 15. Mai 2013 zu. Dieser führte darin aus, die Präparation des Sigmas sei in einer falschen Ebene, d.h. zu weit dorsal (rückenwärts) erfolgt, so dass es hierbei zu einer Verletzung der Beckenvene gekommen sei. Die vom Operateur vorgebrachte mangelnde Übersicht auf Grund einer Fettleibigkeit stelle keine Rechtfertigung für fehlerhaftes Präparieren dar. Ein grober Behandlungsfehler sei nicht erkennbar (UV-act. 39). Die Suva erwiderte im Schreiben vom 14. Oktober 2013, aufgrund der neu zugestellten Unterlagen bestehe keine Veranlassung, auf den rechtskräftigen Einspracheentscheid vom 8. Februar 2011 zurückzukommen (UV-act. 41).
Im Revisionsgesuch vom 2. September 2014 beantragte der Versicherte, es sei von Amtes wegen eine prozessuale Revision einzuleiten und der Einspracheentscheid vom 8. Februar 2011 revisionsweise aufzuheben; es seien ihm rückwirkend ab 11. August 2004 die vollen Leistungen aus UVG auszurichten. Unter Hinweis auf die gutachterliche Stellungnahme von Dr. K. und ein Gutachten von Prof. Dr. med.
L. , Facharzt Chirurgie, spez. Thorax- und Viszeralchirurgie, vom 6. August 2014 (UV-act. 45) machte der Versicherte geltend, es lägen mehrere Behandlungsfehler vor.
Das Gutachten von Prof. L. bringe Sachverhaltselemente zu Tage, die im Zeitpunkt des Einspracheentscheids nicht bekannt gewesen seien (UV-act. 42). Die Suva verfügte am 25. September 2014, auf das Revisionsgesuch werde nicht eingetreten, da die Gutachten von Dr. K. und von Prof. L. lediglich neue Würdigungen von bereits im Zeitpunkt des Einspracheentscheids vom 8. Februar 2011 bekannten Tatsachen enthalten und daher keinen prozessualen Revisionsgrund darstellen würden (UV-act. 47).
Dagegen erhob der Versicherte am 21. Oktober 2014 Einsprache. Er beantragte, auf das Revisionsgesuch sei einzutreten, es sei gutzuheissen und es seien ihm die vollen Leistungen aus UVG auszurichten (UV-act. 57). Die Suva wies die Einsprache ab (Einspracheentscheid vom 13. Februar 2015, UV-act. 60).
B.
Gegen den Einspracheentscheid vom 13. Februar 2015 richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 18. März 2015. Der Beschwerdeführer beantragt darin dessen Aufhebung. Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, auf das Revisionsgesuch einzutreten. Es seien ihm die vollen Leistungen aus dem UVG zuzusprechen; unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Er bringt zur Begründung vor, aus dem Gutachten von Prof. L. ergebe sich, dass Dr. B. beim Präparieren des zu entfernenden Darmabschnitts zwar grundsätzlich die richtige Schicht anvisiert, diese avaskuläre (das heisse nicht von Blutgefässen durchzogene) Schicht, in der gefahrlos präpariert werden könne, jedoch nicht aufgefunden habe. Dr. B. habe sich in dieser avaskulären Schicht geglaubt, weshalb er die vorgefundenen Gewebestrukturen als Darmanhaftungen interpretiert und wegpräpariert habe. Nur durch diese Verwechslung lasse sich schlüssig erklären, dass Dr. B. die Vene mit der chirurgischen Schere
durchtrennt habe. Ursache dafür sei eine "Manipulation ins Ungewisse" trotz fehlender Übersicht, was einem erfahrenen Operateur bei einer Standardoperation wie der Sigmaresektion als schwerer Fehler anzulasten sei. Neu im revisionsrechtlichen Sinn sei das von Prof. L. aufgezeigte Sachverhaltselement, dass Dr. B. die über der Gefässstrombahn liegende Ebene wegpräpariert habe. Dadurch habe er die Gefahr einer Gefässverletzung massgeblich erhöht. In der Folge habe er eine Vene mit einer Darmanhaftung verwechselt. Die Versorgung der Venenverletzung habe einen weiteren Gefahrenzustand geschaffen, der ein neues Sachverhaltselement darstelle. Die neuen Tatsachen und Beweismittel seien erheblich und deren frühere Entdeckung unzumutbar gewesen (act. G 1).
Die Beschwerdegegnerin beantragt in der Beschwerdeantwort vom 30. April 2015 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Streitgegenstand bilde lediglich die Frage, ob der Einspracheentscheid vom 8. Februar 2011 in prozessuale Revision zu ziehen sei. Auf die Anträge um Gutheissung des Revisionsgesuchs und um Ausrichtung von Leistungen könne nicht eingetreten werden. Sollte die Beschwerde wider Erwarten gutgeheissen werden, so wäre die Sache an sie (die Suva) zur weiteren Prüfung zurückzuweisen. Sie machte geltend, dass die Präparation am falschen Ort erfolgt sei, liege auf der Hand, ansonsten es nicht zur Gefässverletzung gekommen wäre. Die Aussagen von Prof. L. entsprächen nicht einer neuen Tatsache, sondern lediglich einer Würdigung/Bewertung von Tatsachen, die bereits im Zeitpunkt des Einspracheentscheids vom 8. Februar 2011 bekannt gewesen seien. Insbesondere seien Prof. D. und Dr. F. , auf deren Ausführungen sich der rechtskräftige Einspracheentscheid stütze, zweifelsohne auch mit den anatomischen Verhältnissen im Operationsbereich (vaskuläre / avaskuläre Schichten) vertraut gewesen. Die Voraussetzungen für eine prozessuale Revision seien nicht erfüllt. Insbesondere sei auch die relative Frist von 90 Tagen nach der Entdeckung der neuen Tatsache nicht eingehalten worden (act. G 3).
In der Replik vom 3. Juni 2015 hat der Beschwerdeführer unverändert an der
Beschwerde festgehalten (act. G 7).
Die Beschwerdegegnerin hat auf eine einlässliche Duplik verzichtet und ihren Antrag auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, erneuert (act. G 9).
Am 1. Juli 2016 hat der Beschwerdeführer die im Haftpflichtfall am 30. März 2016 beim Kreisgericht M. erhobene Teilklage gegen die Spitalregion N. eingereicht (act. G 11 und G 11.1). In der Stellungnahme vom 9. August 2016 hat die Beschwerdegegnerin hierzu ausgeführt, dass sich daraus keine neuen Gesichtspunkte ergäben, die für die gerichtliche Beurteilung der vorliegenden Angelegenheit relevant wären (act. G 13).
Erwägungen
1.
Anfechtungsgegenstand der Beschwerde bildet der Einspracheentscheid vom 13. Februar 2015, worin die Beschwerdegegnerin das am 25. September 2014 verfügte Nichteintreten auf das Gesuch um prozessuale Revision bestätigt hat.
Formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide müssen gemäss Art. 53 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war. Das schriftliche Gesuch um prozessuale Revision hat namentlich die Begehren, eine Begründung betreffend den Revisionsgrund mit Angabe der Beweismittel und betreffend die Rechtzeitigkeit des Begehrens zu enthalten (Art. 55 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 67 Abs. 3 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren [VwVG; SR 172.021] i.V.m. Art. 52 Abs. 1 VwVG). Genügt das Revisionsbegehren diesen formellen Anforderungen nicht, lassen die Begehren deren
Begründung die nötige Klarheit vermissen und stellt sich das Revisionsgesuch nicht als offensichtlich unzulässig heraus, so räumt die Revisionsinstanz dem Gesuchsteller eine kurze Nachfrist zur Verbesserung ein. Die Revisionsinstanz verbindet diese Nachfrist mit der Androhung, nach ungenutztem Fristablauf aufgrund der Akten zu entscheiden oder, wenn Begehren, Begründung Unterschrift fehlen, auf das Revisionsgesuch nicht einzutreten (Art. 55 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 67 Abs. 3 VwVG i.V.m. Art. 52 Abs. 2 und Abs. 3 VwVG; vgl. AUGUST MÄCHLER, in: CHRISTOPH AUER/MARKUS
MÜLLER/BENJAMIN SCHINDLER [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Zürich 2008, Rz 11 zu Art. 67).
Es ergibt sich weder aus den Akten noch den Ausführungen der Beschwerdegegnerin, dass das Revisionsgesuch die formellen Anforderungen (siehe hierzu vorstehende E. 1.1) nicht erfüllt hätte. Das Nichteintreten hat die Beschwerdegegnerin sowohl in der Verfügung vom 25. September 2014 als auch im angefochtenen Einspracheentscheid hauptsächlich damit begründet, dass die gestützt auf die Beurteilungen von Dr. K. und Prof. L. im Revisionsgesuch vorgebrachten Umstände keine neuen Tatsachen im revisionsrechtlichen Sinn gemäss Art. 53 Abs. 1 ATSG bzw. keinen Revisionsgrund darstellen würden (UV-act. 47 und UV-act. 60, Rz 5). Aus dieser Begründung ergibt sich eindeutig, dass die Beschwerdegegnerin eine materielle Prüfung der Voraussetzungen von Art. 53 Abs. 1 ATSG vorgenommen hat. Sie ist folglich auf das Revisionsgesuch eingetreten und hat geprüft, ob auf den rechtskräftigen Einspracheentscheid vom 8. Februar 2011 zurückgekommen werden kann. Insbesondere beurteilte sie, ob die vorgebrachten Revisionsgründe stichhaltig sind. Entgegen dem Wortlaut des Dispositivs der Verfügung vom 25. September 2014 (UV-act. 47) und des Einspracheentscheids vom 13. Februar 2015 (UV-act. 60, Rz 3b am Schluss und Rz 5) ist die Beschwerdegegnerin auf das Revisionsgesuch des Beschwerdeführers eingetreten, hat es materiell geprüft und aufgrund des Fehlens von erheblichen neuen Tatsachen und massgebenden Beweismitteln abgewiesen.
2.
Nachdem die Beschwerdegegnerin auf das Revisionsgesuch eingetreten ist und es abgewiesen hat, bleibt zu prüfen, ob neue Tatsachen Beweismittel vorliegen, die eine prozessuale Revision des Einspracheentscheids vom 8. Februar 2011 zulassen.
Eine prozessuale Revision aufgrund neuer Tatsachen und Beweismittel ist angezeigt, wenn Tatsachen vorliegen, die sich vor Erlass des Entscheids, der einer Revision unterzogen werden soll, verwirklicht haben, jedoch der gesuchstellenden Person damals trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren; es handelt sich somit um unechte Noven. Die neuen Tatsachen müssen erheblich sein, also geeignet, die tatbeständliche Grundlage des Entscheids, dessen Revision beantragt wird, zu
verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer andern Entscheidung zu führen. Neue Beweismittel haben entweder dem Beweis einer eine Revision begründenden neuen erheblichen Tatsache dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt gewesen, aber zum Nachteil des Revisionsgesuchstellers unbewiesen geblieben sind. Erheblich ist ein Beweismittel, wenn anzunehmen ist, es hätte zu einem anderen Urteil geführt, falls die Entscheidinstanz davon Kenntnis gehabt hätte. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Es bedarf dazu neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die Entscheidgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen (Urteil des Bundesgerichts vom 29. Oktober 2015, 8C_683/2015, E. 2.2 mit Hinweisen; vgl. auch MIRIAM LENDFERS, Möglichkeiten und Grenzen der Korrektur von Dauerleistungen mittels prozessualer Revision, in: UELI KIESER/MIRIAM LENDFERS [Hrsg.], Sozialversicherungsrechtstagung 2011, St. Gallen 2012, S. 189 ff.).
Dem in Rechtskraft erwachsenen Einspracheentscheid vom 8. Februar 2011, worin das Leistungsgesuch des Beschwerdeführers abgewiesen wurde (UV-act. 31), lagen in medizinischer Hinsicht die Gutachten von Prof. D. vom 15. Oktober 2009 und von Dr. F. vom 17. Oktober 2010 zugrunde. Beide Experten stützten ihre Gutachten auf die damalige Aktenlage, insbesondere den Operationsbericht vom 11. August 2004 (siehe hierzu UV-act. 51). Aus diesen Beurteilungen zog die Beschwerdegegnerin damals den Schluss, die Durchtrennung von Blutgefässen gehöre zum normalen Risiko der durchgeführten Operation. Für eine grobe und ausserordentliche Ungeschicklichkeit sogar für eine absichtliche Schädigung seitens des Operateurs bestünden keine Anhaltspunkte (UV-act. 31-4 f.).
Prof. D. führte aus, unerwartet habe sich bereits in der Anfangsphase der Operation als Folge mehrfach abgelaufener Divertikulitisschübe ein Adhäsionskonvolut als Ausdruck der Folge einer Peridivertikulitis gefunden, das zunächst vom Operateur habe freipräpariert werden müssen. In diesem Zusammenhang sei es zu der seltenen, jedoch gemäss der internationalen Literaturdarstellung möglichen Komplikation einer Verletzung der grossen Beckenvene links gekommen. Trotz eines raschen, verantwortungsvollen Umsetzens der Operation von der ursprünglichen laparoskopischen Technik auf ein weiteres offenes Vorgehen sei es dem Operateur
nicht gelungen, die sich bereits retrahierten, durchtrennten Venenenden chirurgisch- operativ zu verbinden. Bei fehlender zur Verfügung stehender Möglichkeit der Einpflanzung eines körpereigenen Venenimplantats habe sich der Operateur zur Überbrückung des Venendefekts entschlossen, ein Goretex-Kunststoff-Implantat in die durchtrennte Vene einzufügen. Dieses weitere operative Vorgehen sei problemlos gelungen, trotz des hohen Schwierigkeitsgrads. Nunmehr habe im weiteren postoperativen klinischen Verlauf eine Fehlerkette eingesetzt, die auf der Grundlage eines organisatorischen Versagens offenbar über vorhandene Kommunikationsprobleme verhindert habe, dass die vom Operateur für den postoperativen Verlauf verordnete und empfohlene Thromboembolieprophylaxe in den nächsten 48 Stunden zur Anwendung gekommen sei (UV-act. 22-20 f. und UV-act.
22-23 f.).
Dr. F. vertrat in der gutachterlichen Stellungnahme vom 17. Oktober 2010 die Auffassung, die aufgetretene Gefässverletzung an der Beckenvene sei Teil des eingriffsimmanenten Risikospektrums bei dem ausgeführten Eingriff in Form einer laparoskopischen Entfernung der Divertikel tragenden und rezidivierend entzündlichen Dickdarmabschnitte. Am chirurgischen Management, das bei der Versorgung der Gefässverletzung angewandt worden sei, sei prinzipiell nichts zu beanstanden. Der Einschätzung von Prof. D. könne zugestimmt werden. Im Kontext der vorliegenden medizinischen Informationen und Unterlagen sei von einem voll beherrschbaren Risiko in Form von Mängeln in der Organisation auszugehen (UV-act. 26-1 f.). Die Thrombosierung der Vena iliaca communis sinistra im Anschluss an die gefässchirurgische Versorgung sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Folge der unterlassenen Gabe von gerinnungshemmenden Medikamenten anzusehen und nicht als Risiko der ursprünglichen Operation (UV-act. 26-3 und UV-act. 26-5 oben).
Sowohl Dr. K. als auch Prof. L. berücksichtigten im Wesentlichen die gleiche Voraktenlage, wie sie auch den Beurteilungen von Prof. D. und Dr. F. zugrunde lag. Wie die Beschwerdegegnerin zutreffend ausführt (act. G 3, Rz 8.2), lag insbesondere bereits vor dem Einspracheentscheid vom 8. Februar 2011 auf der Hand, dass die venendurchtrennende Präparation am falschen Ort erfolgt ist. Andernfalls wäre es nicht zur Gefässverletzung gekommen. Das postoperative Verhalten der medizinischen Fachpersonen wurde sodann bereits von Prof. D. und Dr. F. als
fehlerhaft kritisiert. Aus den Beurteilungen des operativen und postoperativen Verhaltens durch Prof. L. und Dr. K. , die je eine eigene Würdigung derselben tatsächlichen Grundlage darstellen (siehe hierzu nachstehende E. 2.4), gehen keine neuen Tatsachen im Sinn von Art. 53 Abs. 1 ATSG hervor.
Die Beurteilungen von Prof. L. und Dr. K. stellen sodann keine revisionsbegründenden Beweismittel dar. Sie erschöpfen sich in einer Würdigung der bereits im Zeitpunkt des Einspracheentscheids vom 8. Februar 2011 bekannten und von Prof. D. sowie Dr. F. begutachteten Tatsachen. Dies gilt nicht bloss hinsichtlich der versehentlich vorgenommenen Durchtrennung der Beckenvene, sondern auch bezüglich des Rests der Operation und der postoperativen Behandlung. Insbesondere kann die Operation nur anhand des OP-Berichts beurteilt werden, worauf Prof. I. hinwies (UV-act. 36-10). Auch die Gutachten der Prof. G. und H. (UV- act. 34) sowie von Prof. I. (UV-act. 36) stellen je lediglich eigene Sachverhaltswürdigungen dar, die sich im Übrigen grösstenteils mit den medizinischen Grundlagen des Einspracheentscheids vom 8. Februar 2011 decken. Namentlich führten die Prof. G. und H. die Durchtrennung auf eine ungenügende Überschaubarkeit zurück (UV-act. 34-1; zu den unerwartet schwierigen Verhältnissen bei Beginn der operativen Massnahme siehe UV-act. 22-11) und Prof. I. führte die Venendurchtrennung "ganz offensichtlich" auf die Präparation zurück (UV-act. 36-4; zur schwierigen Präparation wegen "entzündlicher Verwachsungen", siehe auch UV-act.
22-11). Schliesslich legt der Beschwerdeführer weder nachvollziehbar dar noch ist ersichtlich, weshalb ihm die Beibringung privatgutachterlicher Stellungnahmen nicht bereits vor Erlass des Einspracheentscheids vom 8. Februar 2011 möglich gewesen wäre. Nichts anderes gilt für die Eingabe des Beschwerdeführers vom 1. Juli 2016 samt Beilage.
Des Weiteren fällt ins Gewicht, dass Dr. K. - wie die Beschwerdegegnerin im Einspracheentscheid vom 8. Februar 2011 (siehe vorstehende E. 2.2) - zum Schluss gelangte, es sei kein grober Behandlungsfehler erkennbar (UV-act. 39-49). Prof. L. ging wie Dr. K. davon aus, dass der Operateur den Eingriff in einer unrichtigen Schicht vorgenommen habe, was zur Venenverletzung geführt habe. Er teilte die Beurteilung von Dr. K. ausdrücklich "vollumfänglich" (UV-act. 45-10). Hier handle es sich nicht um eine Komplikation, sondern wie bereits im Gutachten von Dr. K.
festgehalten, um einen operativen Fehler (UV-act. 45-11). Aus den weiteren Ausführungen von Prof. L. geht nicht hervor, dass er von der Beurteilung von Dr.
K. abwich und den Operationsfehler als groben Behandlungsfehler qualifiziert hätte. Er ging ferner nicht von einem Manipulationsfehler aus (UV-act. 45-13). Auch wenn davon ausgegangen würde, es seien neue Tatsachen entdeckt Beweismittel aufgefunden worden, so fehlte es am Tatbestandsmerkmal der Erheblichkeit (siehe hierzu vorstehende E. 2.1).
Zusammenfassend liegen weder erhebliche neue Tatsachen noch Beweismittel im
Sinn von Art. 53 Abs. 1 ATSG vor. Ein Rückkommen auf den Einspracheentscheid vom
8. Februar 2011 im Rahmen einer prozessualen Revision fällt daher ausser Betracht. Vor diesem Hintergrund kann die zwischen den Parteien umstrittene Frage offen bleiben, ob das Revisionsgesuch rechtzeitig gestellt worden ist.
3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG). Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.
Entscheid
im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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