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Urteil Verwaltungsrekurskommission (SG - IV-2018/97)

Zusammenfassung des Urteils IV-2018/97: Verwaltungsrekurskommission

Eine 72-jährige Fahrzeuglenkerin wurde auf der Autobahn wegen unsicherer Fahrweise von der Polizei angehalten. Aufgrund dessen wurde eine verkehrsmedizinische Untersuchung der Stufe 3 angeordnet. Die Rekurrentin legte Rekurs ein, da sie die Zweifel an ihrer Fahreignung nicht nachvollziehen konnte. Die Vorinstanz bestätigte die Anordnung der Untersuchung, da die Zweifel berechtigt waren. Der Richter Urs Gmünder bestätigte die Entscheidung und wies den Rekurs ab. Die Gerichtskosten in Höhe von CHF 1'200 wurden der Rekurrentin auferlegt.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts IV-2018/97

Kanton:SG
Fallnummer:IV-2018/97
Instanz:Verwaltungsrekurskommission
Abteilung:Verkehr
Verwaltungsrekurskommission Entscheid IV-2018/97 vom 10.01.2019 (SG)
Datum:10.01.2019
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 14 Abs. 1, Art. 15d Abs. 1 und 2, Art. 27 Abs. 2 SVG (SR 741.01), Art. 8
Schlagwörter: Rekurrentin; Fahreignung; Polizei; Verfügung; Recht; Verkehr; Vorinstanz; Fahrzeug; Über; Fahrweise; Entscheid; Rekurs; Strassenverkehr; Untersuch; Video; Untersuchung; Autobahn; Blaulicht; Anordnung; Strassenverkehrs; Verwaltungs; Wechselklanghorn; Kontrolluntersuchung; Zweifel; Behörde; ächlich
Rechtsnorm: Art. 14 SVG ;Art. 15d SVG ;Art. 16 VRV ;Art. 27 SVG ;Art. 29 BV ;
Referenz BGE:112 Ia 110; 133 I 270; 133 II 384; 133 III 439; 141 IV 417;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts IV-2018/97

Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 VRV (SR 741.11). Die Fahrzeuglenkerin fiel einer Polizeipatrouille auf der Autobahn auf, weil sie ohne Verkehr vor ihr langsam auf der Überholspur und leichte Schlangenlinien fuhr, sie über eine längere Strecke weder auf Blaulicht, Wechselklanghorn noch Lichthupe des unmittelbar hinter ihr fahrenden Polizeifahrzeugs reagierte und eine Sperrfläche überfuhr. Bestätigung der Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung der 72-jährigen Rekurrentin (Verwaltungsrekurskommission, Abteilung IV, 10. Januar 2019, IV-2018/97).

Präsident Urs Gmünder, Richter Urs Früh und Beat Fritsche, Gerichtsschreiber Norbert Kissling

X, Rekurrentin,

vertreten durch Rechtsagentin Mirjam Geisser, Obergasse 28, Postfach 133, 8730 Uznach,

gegen

Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt, Abteilung Administrativmassnahmen,

Frongartenstrasse 5, 9001 St. Gallen, Vorinstanz,

betreffend

ärztliche Kontrolluntersuchung (Stufe 3)

Sachverhalt:

A.- X besitzt den Führerausweis der Kategorien B und BE sowie der Unterkategorien D1 und D1E seit dem 29. Mai 1968 und jenen für die Kategorie A seit dem 1. April 2003. Im Administrativmassnahmen-Register ist sie nicht verzeichnet. Der letzte periodische verkehrsmedizinische Untersuch vom 27. Februar 2018 ergab keine Auffälligkeiten.

B.- Am 17. März 2018, ca. 13.05 Uhr, fiel X in Lausen auf der Autobahn A22, Fahrtrichtung Sissach, einer zivilen Polizeipatrouille auf. Gemäss Bericht der Kantonspolizei Basel-Landschaft vom 25. März 2018 sei X bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h mit ca. 75 km/h, später mit ca. 90 km/h, teilweise in leichten Schlangenlinien auf dem Überholstreifen gefahren und habe gebremst. Trotz Blaulicht, Frontblitzer, Lichthupe und schliesslich Wechselklanghorn habe sie das ihr unmittelbar folgende Fahrzeug über mehrere hundert Meter nicht bemerkt. Ihre Fahrweise wurde über die letzten rund 1000 Meter mittels Videoaufzeichnung festgehalten. Bei der darauffolgenden Kontrolle sei sie geistig unauffällig gewesen und

habe den Fragen der Polizisten gut folgen können. Die beobachtete Fahrweise lasse jedoch den Verdacht aufkommen, dass X nicht mehr fähig sei, ein Motorfahrzeug sicher zu bedienen. Für das Nichtbenützen des rechten Fahrstreifens wurde sie noch vor Ort mit einer Ordnungsbusse bestraft.

C.- Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen informierte X am

4. April 2018 darüber, dass aufgrund der am 17. März 2018 beobachteten Fahrweise und unter Berücksichtigung ihres fortgeschrittenen Alters Zweifel an ihrer Fahreignung bestünden und eine verkehrsmedizinische Untersuchung der Stufe 3 vorgesehen sei. Hierzu liess X am 31. Mai 2018 durch ihre Rechtsschutzversicherung Stellung nehmen. Zusammengefasst wurden die Voraussetzungen zur Anordnung einer solchen Massnahme als nicht erfüllt erachtet. Mit Verfügung vom 1. Juni 2018 ordnete das Strassen-verkehrsamt die angekündigte verkehrsmedizinische Untersuchung an und forderte X auf, innert 20 Tagen einen Termin für eine Fahreignungsabklärung zu vereinbaren. Gegen diese Verfügung erhob X durch ihre Rechtsvertreterin am 18. Juni 2018 Rekurs bei der Verwaltungsrekurskommission. Sie beantragte die Aufhebung der Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 1. Juni 2018; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Strassenverkehrsamt verzichtete am 19. Juli 2018 auf eine Vernehmlassung.

Auf die Ausführungen im Rekurs wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.

Erwägungen:

1.- Die Eintretensvoraussetzungen sind von Amtes wegen zu prüfen. Die Verwaltungsrekurskommission ist zum Sachentscheid zuständig. Die Befugnis zur Rekurserhebung ist gegeben. Der Rekurs vom 18. Juni 2018 ist rechtzeitig eingereicht worden und erfüllt in formeller und inhaltlicher Hinsicht die gesetzlichen Anforderungen (Art. 41 lit. gbis, 45, 47 und 48 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege,

sGS 951.1, abgekürzt: VRP). Auf den Rekurs ist einzutreten.

2.- a) Die Rekurrentin macht in formeller Hinsicht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, weil die Vorinstanz nicht auf die Vorbringen der Rechtsvertreterin vom

31. Mai 2018 eingegangen sei. Für die Rekurrentin sei nicht erkennbar, weshalb ihre Argumente nach Auffassung des Amts nicht ausschlaggebend gewesen seien. Dies stelle einen groben Verfahrensfehler dar und sei als Verletzung des rechtlichen Gehörs zu qualifizieren.

b) Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 BV leitet das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Behörde ab, ihre Verfügungen und Entscheide zu begründen (vgl. BGE 133 III 439 E. 3.3, 133 I 270

E. 3.1, 129 I 236 E. 3.2, 126 I 102 E. 2b). Als persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht verlangt dieser Grundsatz, dass die Behörde die Vorbringen der vom Entscheid von der Verfügung in ihrer Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und berücksichtigt und ihren Entscheid vor diesem Hintergrund begründet (vgl. Steinmann, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender, Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, Art. 29 N 49). Der von einem Entscheid einer Verfügung Betroffene soll wissen, warum die Behörde entgegen seinem Antrag entschieden hat; die Begründung muss deshalb so abgefasst sein, dass er den Entscheid die Verfügung gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann (BGE 133 III 439 E. 3.3, 129 I 232 E. 3.2; vgl. auch Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage 2016, N 1038). Dies ist nur möglich, wenn sowohl der Betroffene als auch die Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des Entscheids ein Bild machen können; in diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid ihre Verfügung stützt. Allerdings bedeutet dies nicht, dass sich die Behörde ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen muss; vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid die Verfügung wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 133 I 270 E. 3.1; Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., N 1071). Umfang und Dichte der Begründung richten sich generell nach den Umständen (Steinmann, a.a.O., Art. 29 N 49). Ist die Sachlage

klar und sind die anwendbaren Normen bestimmt, kann ein Hinweis auf diese Rechtsnormen genügen, während ein weiter Spielraum der Behörde – aufgrund von Ermessen unbestimmten Rechtsbegriffen – und eine Vielzahl von in Betracht fallenden Sachverhaltselementen eine ausführliche Begründung gebieten (BGE 112 Ia 110 E. 2b, 104 Ia 213 E. 5g; Steinmann, a.a.O., Art. 29 N 49). Die Begründungspflicht, welche aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV fliesst, hat der st. gallische Gesetzgeber für Verfügungen in Art. 24 Abs. 1 lit. a VRP ausdrücklich festgehalten; nach dieser Bestimmung soll die Verfügung unter anderem die Gründe enthalten, auf die sie sich stützt (vgl. zum Ganzen VerwGE B 2009/211 vom

18. März 2010 E. 2.1, im Internet abrufbar unter: www.gerichte.sg.ch).

c) Die Vorinstanz orientierte die Rekurrentin am 4. April 2018 über die vorgesehene Fahreignungsprüfung. Dabei verwies sie auf den Bericht der Kantonspolizei Basel- Landschaft, wonach sie am 17. März 2018 wegen ihrer unsicheren Fahrweise verkehrsauffällig geworden sei. Aufgrund der Beobachtungen der Polizei und unter Berücksichtigung ihres fortgeschrittenen Alters würden Zweifel an ihrer Fahreignung bestehen. Sodann verwies sie auf die gesetzlichen Grundlagen. In der angefochtenen Verfügung vom 1. Juni 2018 bestätigte die Vorinstanz, dass sie die Stellungnahme der Rechtsvertreterin vom 31. Mai 2018 erhalten habe, dem Antrag, von der ärztlichen Untersuchung der Stufe 3 abzusehen, jedoch nicht entsprochen werden könne. Ebenso nahm sie auf die letzte periodische medizinische Kontrolle vom 27. Februar 2018 Bezug und ergänzte diesen durch allgemeine Ausführungen zum altersbedingten Leistungsabfall. Die Vorinstanz erläuterte, dass Fahreignungsabklärungen immer verschuldensunabhängig durchgeführt würden und durch diese geklärt werden soll, ob tatsächlich ein Leistungsabfall vorliegt. Die Beobachtungen der Polizei würden eine ärztliche Kontrolluntersuchung rechtfertigen.

Mit ihren Ausführungen ist die Vorinstanz ihrer Begründungspflicht somit hinreichend nachgekommen. Die angefochtene Verfügung ist so abgefasst, dass sich die Rekurrentin über deren Tragweite ein Bild machen und sie sachgerecht anfechten

konnte. Die massgebenden Überlegungen wurden genannt. Insgesamt genügt die Begründungsdichte den Anforderungen an das rechtliche Gehör.

3.- Im Rekurs ist umstritten, ob die Voraussetzungen für die Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung gegeben sind.

  1. Die Vorinstanz stützte sich bei ihrer Anordnung im Wesentlichen auf den Bericht der Kantonspolizei Basel-Landschaft vom 25. März 2018. Aus diesem geht hervor, dass die Rekurrentin bei nur geringem Verkehrsaufkommen und guten Sicht- und Strassenverhältnissen auf der Autobahn A22, Fahrtrichtung Sissach, über mehrere hundert Meter durch ihre langsame Fahrt auf dem Überholstreifen und leichte Schlangenlinien aufgefallen war. Über eine längere Strecke habe sie weder das Blaulicht noch das Wechselklanghorn die Lichthupe der ihr unmittelbar folgenden Polizeipatrouille bemerkt und sei erst nach mehreren hundert Metern auf diese aufmerksam geworden. Trotz genügender Haltemöglichkeiten auf dem Pannenstreifen habe sie ihre Fahrt fortgesetzt und einen unbeholfenen und mit der Situation überforderten Eindruck erweckt. Um von der Autobahn zu gelangen, habe sie beim Wechsel auf den rechten Fahrstreifen die Sperrfläche überquert. Aufgrund der Feststellungen der Polizei und unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Alters der Rekurrentin erachtete die Vorinstanz die Zweifel an der Fahreignung als gegeben

    (act. 9/3 ff.).

  2. Im Rekurs vom 18. Juni 2018 wird dem entgegengehalten, dass sich der Polizeirapport vom 25. März 2018 und die vom Ereignis erstellte Videoaufzeichnung (act. 2/5) zuweilen massiv widersprächen. Es treffe zu, dass die Rekurrentin fälschlicherweise aus Bequemlichkeit, um einen neuerlichen Spurwechsel zu vermeiden, den Überhol- statt des Normalstreifens benutzt habe. Dies habe sie bereits anlässlich der Polizeikontrolle anerkannt und die ihr auferlegte Busse umgehend bezahlt. Dass sie unsicher und Schlangenlinien gefahren sei, werde hingegen

bestritten. Zwar sei sie an zwei Stellen für eine kurze Zeit nahe an bzw. auf die Leitlinie geraten, sie habe jedoch die Spur stets gehalten. Im Video sei zudem gut ersichtlich, dass die Polizei der Rekurrentin erstaunlich nahe aufgefahren sei und sie dadurch bedrängt habe. Im Übrigen werde bestritten, dass die zivile Polizeipatrouille der Rekurrentin mit Frontblitzer, Blaulicht und zuletzt auch mit eingeschaltetem Wechselklanghorn gefolgt sei. Schliesslich sei auch das Ausmass des Unterschreitens der Höchstgeschwindigkeit in Anbetracht der tatsächlichen Signalisation – die geltende Maximalgeschwindigkeit wechselt innerhalb des fraglichen Streckenabschnitts von anfänglich 100 km/h auf 80 km/h und schliesslich auf 60 km/h – minimal und nicht der Rede wert. Die Rekurrentin fahre die Strecke von ihrem Wohnort nach Liestal seit 20 Jahren regelmässig rund alle zwei Wochen und sei dementsprechend eine routinierte Autofahrerin. Anlässlich der letzten periodischen verkehrsmedizinischen Beurteilung vom 27. Februar 2018 sei ihre Fahreignung nur 18 Tage vor dem Vorfall ohne Einschränkungen bestätigt worden. Nach einer derart kurzen Zeit eine erneute Untersuchung anzuordnen, sei als reine Schikane aufgrund des Alters der Rekurrentin zu bezeichnen. Indem die Vorinstanz ohne hinreichende Hinweise auf eine fehlende Fahreignung und entgegen anderslautender Belege auf einer Fahreignungsuntersuchung bestehe, habe sie ihr Ermessen klar überschritten, willkürlich gehandelt und Bundesrecht verletzt.

4.- a) Eine Grundvoraussetzung für die Erteilung des Führerausweises ist neben der

Fahrkompetenz die Fahreignung (Art. 14 Abs. 1 des Strassenverkehrsgesetzes,

SR 741.01, abgekürzt: SVG). Dieser Begriff umschreibt die körperlichen und geistigen Voraussetzungen, um ein Fahrzeug im Strassenverkehr sicher lenken zu können. Die Fahreignung muss grundsätzlich dauernd vorliegen (BGE 133 II 384 E. 3.1). Gemäss Art. 14 Abs. 2 SVG verfügt über Fahreignung, wer das Mindestalter erreicht hat (lit. a), die erforderliche körperliche und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen hat (lit. b), frei von einer Sucht ist, die das sichere Führen von Motorfahrzeugen beeinträchtigt (lit. c), und wer nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr bietet, als Motorfahrzeugführer die Vorschriften zu beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht zu nehmen (lit. d).

b) Gemäss Art. 15d Abs. 1 Ingress SVG wird eine Person einer Fahreignungsuntersuchung unterzogen, wenn Zweifel an ihrer Fahreignung bestehen. Bei den in Art. 15d Abs. 1 lit. a bis e SVG genannten Fällen, in denen eine Fahreignungsuntersuchung angeordnet wird, handelt es sich um eine nicht abschliessende Aufzählung. Sofern kein Sondertatbestand nach Art. 15d Abs. 1 lit. a bis e SVG vorliegt, kann eine solche auch gestützt auf die Generalklausel (Abs. 1)

angeordnet werden. Die periodischen Kontrolluntersuchungen für Personen ab dem 70. Altersjahr (ab 1. Januar 2019: ab dem 75. Altersjahr) genügen nicht immer, um alle Fälle fehlender Fahreignung rechtzeitig zu erkennen (Ph. Weissenberger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz, 2. Aufl. 2015, Art. 15d SVG N 2 und N 98); dies gilt etwa bei einem raschen, beträchtlichen Leistungsabbau innert kurzer Zeit. Eine grundsätzliche Vermutung, dass sich ältere Personen nicht mehr als Fahrzeugführer eignen, besteht jedoch nicht.

Bestehen Bedenken an der Kenntnis der Verkehrsregeln der Fähigkeit, Fahrzeuge der Kategorie, für die der Ausweis gilt, sicher zu lenken (sog. Fahrkompetenz, Art. 14 Abs. 3 SVG), kann zur Abklärung entsprechender Massnahmen eine Kontrollfahrt angeordnet werden (Art. 29 Abs. 1 der Verkehrszulassungsverordnung, SR 741.51, abgekürzt: VZV). Diese Abklärungsmassnahme dient – gleich wie die ärztliche Kontrolluntersuchung – der Verkehrssicherheit, weshalb ein Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit der Anordnung einer Kontrollfahrt zu werfen ist: Eine solche darf nicht ausschliesslich aufgrund des Alters angeordnet werden. Auf der anderen Seite sind die Anforderungen an die Anordnung einer Kontrollfahrt auch nicht zu überspannen; denn es handelt sich um eine die betroffene Person nicht übermässig belastende Massnahme, die dem Schutz wichtiger Rechtsgüter (Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer) dient und auch im Interesse des Fahrzeugführers selbst liegt. Es genügt deshalb, wenn ältere Fahrzeuglenker durch Fahrfehler auffällig geworden sind, die auf einem altersbedingten Leistungsabfall beruhen könnten (Urteil des Bundesgerichts [BGer] 1C_110/2011 vom 6. Juni 2011

E. 3.3). Ob tatsächlich ein altersbedingter Leistungsabfall vorliegt, der das sichere

Führen eines Motorfahrzeugs beeinträchtigt, ist mit der Kontrollfahrt gerade abzuklären

(vgl. BGer 1C_47/2007 vom 2. Mai 2007 E. 3.1); dasselbe gilt hier für die ärztliche

Kontrolluntersuchung.

  1. Vorliegend ist unbestritten, dass die Rekurrentin am 17. März 2018 auf der zweispurigen Autobahn A22, Fahrtrichtung Sissach, über mehrere hundert Meter ohne ersichtlichen Grund mit teilweise herabgesetzter Geschwindigkeit und entgegen dem Rechtsfahrgebot auf dem Überhol-, statt auf dem Normalstreifen fuhr (vgl. Art. 8 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung, SR 741.11, abgekürzt: VRV); hierfür wurde die Rekurrentin bereits mit einer Ordnungsbusse bestraft. Zweifel an der Fahreignung ergaben sich für die Vorinstanz nicht allein aus dem Nichtbenützen des rechten Fahrstreifens. Vielmehr durfte diese aus der langsamen und unsicheren Fahrweise der Rekurrentin auf eine mögliche Überforderung schliessen. Diese Beurteilung folgt dem Leitfaden "Verdachtsgründe fehlender Fahreignung; Massnahmen; Wiederherstellung der Fahreignung" der Expertengruppe Verkehrssicherheit vom 26. April 2000 (abrufbar unter http://www.astra.admin.ch; nachfolgend: Leitfaden). Als Richtlinie ist dieser für die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden zwar nicht verbindlich, er kann aber Hinweise auf allfällige Verhaltensweisen geben, die im Hinblick auf die Fahreignungsprüfung dienlich sein können (BGer 1C_146/2010 vom 10. August 2010 E. 3.2.2). Ein Verdachtsgrund für fehlende Fahreignung liegt demnach unter anderem dann vor, wenn eine allgemeine Verlangsamung, Umständlichkeit, Unbeholfenheit Unbeweglichkeit am Steuer vorliegt. Hinweise darauf ergeben sich oftmals durch auffälliges Verkehrsverhalten wie beispielsweise Unsicherheit, langsame Fahrweise, sichtliche Überforderung in komplizierten Verkehrssituationen und Geisterfahrt auf Autobahnen (Leitfaden S. 5).

  2. Gegenüber der Polizei und im Rekurs führte die Rekurrentin ihre Fahrweise auf ein Telefonat zurück, welches sie kurz vor ihrer Abfahrt sehr aufgeregt und aufgewühlt habe. Dies hilft ihr jedoch nicht weiter. Im Gegenteil, eine Fahrzeuglenkerin muss jederzeit in der Lage sein, alle im Strassenverkehr auftretenden Eindrücke und Signale zu verarbeiten und darauf angemessen zu reagieren (Entscheid der

    Verwaltungsrekurskommission IV-2013/27 vom 25. April 2013 E. 3 b/bb, im Internet abrufbar unter: www.gerichte.sg.ch). Befindet sie sich in einem für sie erkennbaren Zustand, der dies nicht zulässt, darf sie kein Fahrzeug lenken. Neben der Geschwindigkeit und der Schlangenlinienfahrt zeigt die Videoaufzeichnung ebenso, wie die Rekurrentin bei der Autobahnabfahrt eine Sperrfläche überfuhr. Dies war indes keine zulässige Reaktion, um einem nahe auffahrenden Fahrzeug Platz zu machen

    (act. 1, Rz. 16). Selbst Fahrzeugen von Blaulichtorganisationen ist nach Art. 27 Abs. 2 SVG der Vortritt nur zu gewähren, wenn diese mit Blaulicht und Wechselklanghorn (Martinshorn) unterwegs sind (Art. 16 Abs. 1 VRV). Im Übrigen handelt es sich beim Überfahren einer Sperrfläche um eine nicht unbedeutende Verkehrsregelverletzung welche durchaus auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann (BGer 6B_110/2012 vom 28. Juni 2012 E. 4.2).

  3. Die Rekurrentin bringt weiter vor, dass sich Polizeirapport und Videoaufzeichnung widersprächen und es keine hinreichenden Hinweise für eine fehlende Fahreignung der Rekurrentin gebe. Zu berücksichtigen ist, dass die Videoaufnahme nur einen Teil der von der Polizei tatsächlich beobachteten Fahrt wiedergibt. Die früheren Beobachtungen sind zwar nicht bildlich, jedoch schriftlich im Polizeibericht festgehalten. Sie verdeutlichen, dass die Rekurrentin bereits über eine längere Strecke beobachtet worden war, als sich die Polizisten aufgrund der auffälligen Fahrweise für eine auf Video festzuhaltende Nachfahrkontrolle entschieden. Das Alter der Rekurrentin konnte im damaligen Zeitpunkt nicht massgebend sein, denn davon erfuhr die Polizei erst während der Anhaltung. Der Polizeibericht vom 25. März 2018 ist ausführlich und detailliert abgefasst. Er berücksichtigt belastende und entlastende Momente. Von einer einseitigen und unausgewogenen Rapportierung kann deshalb nicht gesprochen werden. Die Schilderungen stimmen, soweit diese objektiv überprüfbar sind, mit dem Video überein und es ist nicht ersichtlich, weshalb der Polizeibericht von den tatsächlichen Gegebenheiten abweichen sollte die Polizisten die Rekurrentin bewusst falsch belasten sollten.

  4. Die Rekurrentin macht weiter geltend, dass die Polizei sie durch das nahe Auffahren in eine Stresssituation versetzt habe und es sei stossend, die generelle Fahrfähigkeit an einer solchen ausserordentlichen Situation zu messen. Dies widerspricht ihrer Aussage, wonach sie das nachfolgende Fahrzeug gar nicht bemerkt habe (act. 9/5). Im Übrigen sind Verkehrsregelverletzungen durch Polizeibeamte in Fällen, in denen, wie etwa bei Nachfahrkontrollen, weder Blaulicht noch Wechselklanghorn eingesetzt werden, gestützt auf Art. 14 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (SR 311.0, abgekürzt: StGB) und allenfalls kantonales Polizeirecht (vgl. für den vorliegenden Fall § 15 Abs. 1

    i.V.m. Abs. 2bis lit. b PolG/BL) erlaubt und somit nicht strafbar, wenn diese im Rahmen

    der Erfüllung polizeilicher Aufgaben erfolgt und verhältnismässig ist (BGE 141 IV 417

    E. 3.2). Die Videoaufzeichnung enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die Fahrweise der Polizeibeamten im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Nachfahrkontrolle unverhältnismässig gewesen wäre.

  5. Keine entscheidende Bedeutung kommt schliesslich dem Umstand zu, dass sich die Rekurrentin erst kurz vor dem Ereignis einer ärztlichen Untersuchung unterzogen hatte, die hinsichtlich der Fahreignung nur 18 Tage vor dem fraglichen Ereignis aus medizinischer Sicht keine Einschränkungen ergab. Es trifft zwar zu, dass solche Kontrolluntersuchungen im Normalfall alle zwei Jahre stattfinden (Art. 15d Abs. 2 aSVG). Fällt ein über 70-Jähriger jedoch negativ im Strassenverkehr auf, muss die Fahreignung auch innerhalb eines kürzeren Intervalls überprüft werden können. Gerade bei älteren Menschen kann sich der gesundheitliche Zustand innert kürzester Zeit verschlechtern; darauf hat die Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung zu Recht hingewiesen. Namentlich treten mit zunehmendem Alter immer häufiger verkehrsrelevante Krankheitszustände, wie beginnende Demenz-Erkrankungen, Augenerkrankungen mit nachlassendem Sehvermögen, Folgen von Schlaganfällen, Kreislauferkrankungen usw., auf (R. Seeger, Fahren im Alter – Hauptprobleme und sinnvolle Konzepte zur Überprüfung der Fahreignung aus verkehrsmedizinischer Sicht, in: R. Schaffhauser [Hrsg.], Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2005, S. 14). Entgegen der Auffassung der Rekurrentin werden häufigere Abklärungen vom Gesetz nicht ausgeschlossen, zumal sich die vorliegende Anordnung explizit auf die Generalklausel von Art. 15d Abs. 1 SVG stützt. Dem steht auch ein ungetrübter

automobilistischer Leumund nicht entgegen. Zudem kam es gemäss den Aussagen der Rekurrentin in der Vergangenheit wegen ihrer langsamen Fahrweise bereits einmal zu einer polizeilichen Kontrolle. Auch wenn jener Vorfall weder eine Strafe noch eine Administrativmassnahme nach sich zog, ändert dies nichts daran, dass sie wegen ihrer Fahrweise erneut negativ auffiel.

5.- Zusammenfassend ergibt sich, dass die Zweifel an der Fahreignung der Rekurrentin berechtigt sind und die Vorinstanz zu Recht eine verkehrsmedizinische Untersuchung anordnete. Im Hinblick auf den Schutz der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer erscheint die angeordnete Massnahme angemessen und verhältnismässig. Die vorinstanzliche Verfügung ist demzufolge zu bestätigen und der Rekurs folglich abzuweisen.

6.- Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten der Rekurrentin aufzuerlegen (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von Fr. 1'200.– erscheint angemessen (vgl. Art. 7 Ziff. 122 der Gerichtskostenverordnung, sGS 941.12). Der Kostenvorschuss von Fr. 1'200.– ist damit zu verrechnen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist keine ausseramtliche Entschädigung zuzusprechen (Art. 98bis VRP).

Entscheid:

  1. Der Rekurs wird abgewiesen.

  2. Die Rekurrentin hat die amtlichen Kosten von Fr. 1'200.– zu bezahlen, unter Verrechnung des Kostenvorschusses in gleicher Höhe.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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