Zusammenfassung des Urteils IV-2013/18: Verwaltungsrekurskommission
X wurde wegen mehrerer Verkehrsverstösse der Führerausweis auf Probe entzogen. Nach einem Rekurs wurde die Verfügung über den vorsorglichen Ausweisentzug aufgehoben. Trotzdem wurde später der Führerausweis auf Probe annulliert. X legte erneut Rekurs ein, da er die Massnahme als unverhältnismässig empfand. Das Gericht entschied, dass der Ausweisentzug aufgrund des leichten Verschuldens und der fehlenden Gefährdung der Verkehrssicherheit nicht gerechtfertigt sei. Der Rekurs wurde gutgeheissen, die Verfügung aufgehoben und die Kosten dem Staat auferlegt.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | IV-2013/18 |
Instanz: | Verwaltungsrekurskommission |
Abteilung: | Verkehr |
Datum: | 30.05.2013 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 15a Abs. 4, Art. 16a Abs. 4, Art. 16b Abs. 1 lit. c, Art. 16 Abs. 3 SVG (SR 741.01). Auf dem Heimweg von der Arbeit wurde der Rekurrent um 1.30 Uhr von der Polizei kontrolliert. Der Lernfahrausweis für die Kategorie A war im fraglichen Zeitpunkt seit eineinhalb Stunden abgelaufen. Das Strassenverkehrsamt annullierte wegen dieses Vorfalls den Führerausweis auf Probe für die Kategorie B. Aufhebung der Verfügung zufolge Annahme einer besonders leichten Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften (Verwaltungsrekurskommission, Abteilung IV, 30. Mai 2013, IV-2013/18). |
Schlagwörter: | Führer; Führerausweis; Rekurrent; Lernfahr; Kategorie; Lernfahrausweis; Recht; Ausweis; Widerhandlung; Probe; Führerausweises; Verfügung; Rekurs; Rekurrenten; Ausweisentzug; Entzug; Strasse; Motorfahrzeug; Strassenverkehr; Strassenverkehrs; Motorrad; Mindestentzugsdauer; Schifffahrtsamt; Annullierung; Lernfahrausweise; Gesetzes; Verschulden; Führerausweisentzug; Vorinstanz |
Rechtsnorm: | Art. 1 ZGB ;Art. 15a SVG ;Art. 16 SVG ;Art. 16a SVG ;Art. 16b SVG ;Art. 16c SVG ; |
Referenz BGE: | 136 I 345; |
Kommentar: | Giger Hans, Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz, Zürich, Art. 16 SVG, 2008 |
X, Rekurrent,
vertreten durch lic.iur. Nicole Gierer Zelezen, Rechtsanwältin, Molkereistrasse 1, Postfach, 8645 Jona,
gegen
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt, Abteilung Administrativmassnahmen,
Frongartenstrasse 5, 9001 St. Gallen, Vorinstanz,
betreffend
Annullierung des Führerausweises auf Probe
Sachverhalt:
A.- X war im Besitz eines Führerausweises auf Probe für die Kategorie B und eines Lernfahrausweises für die Kategorie A, als er am 23. September 2011 mit seinem Motorrad mehrere Fahrzeuge einer Kolonne mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h überholte, dabei eine Sicherheitslinie überfuhr und später ein linksabbiegendes Fahrzeug seitlich streifte. Personen wurden keine verletzt, und es entstand geringer Sachschaden. Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen entzog X wegen dieses Vorfalls den Führerausweis auf Probe (Kat. B) und den Lernfahrausweis (Kat. A) für einen Monat (Verfügung vom 19. Januar 2012).
B.- Am Donnerstag, 9. August 2012, 1.30 Uhr, kontrollierte die Polizei X. Er war mit dem Motorrad unterwegs und kam von der Arbeit als Servicefachangestellter. Gegenüber der Polizei gab er an, den Lernfahrausweis für die Kategorie A zu Hause vergessen zu haben. Im Weiteren wurde festgestellt, dass am Motorrad kein
"L" (Lernfahrer) montiert war. Nachträglich stellte sich heraus, dass die Gültigkeit des Lernfahrausweises am 8. August 2012 abgelaufen war. Mit Strafbefehl des zuständigen Untersuchungsamts vom 18. Oktober 2012 wurde X deswegen des Fahrens ohne Führerausweis und des Nichtanbringens des "L"-Schildes bei Lernfahrt schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe von fünf Tagessätzen zu je Fr. 90.-- sowie zu einer Busse von Fr. 250.-- verurteilt.
C.- Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen teilte X am 22. August 2012 mit, dass es sich beim Vorfall vom 9. August 2012 um eine mittelschwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften handle und deswegen eine Annullierung des Führerausweises auf Probe vorgesehen sei. Es verbot ihm das Führen von Motorfahrzeugen aller Kategorien vorsorglich ab sofort. Einem allfälligen Rekurs wurde die aufschiebende Wirkung entzogen. Dagegen erhob X Rekurs. Am
30. November 2012 hiess der Abteilungspräsident der Verwaltungsrekurskommission den Rekurs gut und hob die Verfügung vom 22. August 2012 über den vorsorglichen Ausweisentzug auf. Die amtlichen Kosten wurden dem Staat auferlegt und dem
Rekurrenten wurde eine Prozessentschädigung für den Beizug seiner Rechtsvertreterin zugesprochen.
D.- Mit Datum vom 14. Januar 2013 verfügte das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt die Annullierung des Führerausweises auf Probe von X. Damit wurde ihm ab sofort das Recht aberkannt, Motorfahrzeuge aller Kategorien sowie aller Unterkategorien zu führen. Gemäss der Verfügung könne ein neuer Lernfahrausweis frühestens ein Jahr nach Begehung der Widerhandlung, d.h. ab dem 9. August 2013, und nur aufgrund eines verkehrspsychologischen Gutachtens, das die Fahreignung bejahe und nicht älter als 3 Monate sei, erteilt werden. Einem allfälligen Rekurs wurde die aufschiebende Wirkung entzogen.
E.- Gegen die Verfügung vom 14. Januar 2013 erhob X durch seine Rechtsvertreterin mit Eingabe vom 28. Januar 2013 Rekurs bei der Verwaltungsrekurskommission mit den Anträgen, die Verfügung vom 14. Januar 2013 sei aufzuheben, dem Rekurrenten sei der entzogene Führerausweis und allfällige Lernfahrausweise sofort wieder auszuhändigen und ihm sei das Führen von Motorfahrzeugen aller Kategorien sofort wieder zu gestatten. Eventualiter sei die aufschiebende Wirkung des Rekurses wiederherzustellen und dem Rekurrenten der entzogene Führerausweis sowie allfällig entzogene Lernfahrausweise bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheides wieder auszuhändigen. Subeventualiter sei die Entzugsdauer des Führerausweises infolge leichter Verkehrsregelverletzung auf einen Monat festzusetzen, wobei die Dauer des bereits vollzogenen Führerausweisentzuges anzurechnen sei. Dementsprechend sei ihm das Führen von Motorfahrzeugen aller Kategorien sofort wieder zu gestatten. Subeventualiter sei für einen über einen Monat dauernden Ausweisentzug ein differenzierter Ausweisentzug zu verfügen, wobei die Entzugsdauer für die Kategorie B bei nicht mehr als einem Monat festzulegen und die Dauer des bereits vollzogenen Führerausweisentzuges anzurechnen sei. Dementsprechend sei ihm das Führen von Motorfahrzeugen der Kategorie B sofort wieder zu gestatten; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge (zuzüglich Mehrwertsteuer) zulasten der Rekursgegnerin. Eventualiter sei dem Rekurrenten die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und die Unterzeichnende als seine Rechtsbeiständin zu bestellen.
F.- Mit Verfügung vom 26. Februar 2013 erteilte der Abteilungspräsident der Verwaltungsrekurskommission dem Rekurs gegen die Verfügung des Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamtes die aufschiebende Wirkung und wies das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab. Es wurde ein Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 1'200.-- einverlangt. Die amtlichen Kosten für die Wiedererteilung der aufschiebenden Wirkung wurden zur Hauptsache geschlagen und für die Verfügung über die unentgeltliche Rechtspflege wurden keine amtlichen Kosten erhoben. Der Kostenvorschuss ging pünktlich bei der Verwaltungsrekurskommission ein. Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt verzichtete mit Verweis auf die Begründung in der angefochtenen Verfügung auf eine Stellungnahme.
G.- Auf die Ausführungen des Rekurrenten sowie die Begründung der Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung wird, soweit erforderlich, in den rechtlichen Erwägungen eingegangen.
Erwägungen:
1.- Die Eintretensvoraussetzungen sind von Amtes wegen zu prüfen. Die Verwaltungsrekurskommission ist zum Sachentscheid zuständig. Die Befugnis zur Rekurserhebung ist gegeben. Die Verfügung der Vorinstanz vom 14. Januar 2013 wurde dem Rekurrenten am 16. Januar 2013 zugestellt. Dementsprechend ist der Rekurs vom 28. Januar 2013 rechtzeitig eingereicht worden. Er erfüllt in formeller und inhaltlicher Hinsicht die gesetzlichen Anforderungen (Art. 41 lit. gbis, 45, 47 und 48 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt: VRP). Auf den Rekurs ist einzutreten.
2.- Strittig ist, ob die aktuelle Widerhandlung des Rekurrenten gegen die Strassenverkehrsvorschriften gestützt auf Art. 15a Abs. 4 des Strassenverkehrsgesetzes (SR 741.01, abgekürzt: SVG) zum Verfall des Führerausweises auf Probe und zum Entzug allfälliger Lernfahrausweise führt.
Der Rekurrent macht zur Hauptsache geltend, dass er am 9. August 2012 um 1.30 Uhr in der Nacht, 90 Minuten nach Ablauf seines Lernfahrausweises für die Kategorie A
in eine Verkehrskontrolle geraten sei. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass der Lernfahrausweis zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen sei. Die Annullierung des Führerausweises sei dementsprechend unverhältnismässig. Aufgrund seiner späten Arbeitszeiten sei er im Übrigen beruflich dringend auf den Führerausweis angewiesen.
Die Vorinstanz hielt in der Begründung der Verfügung vom 14. Januar 2013 fest, der Rekurrent habe am 9. August 2012 in Jona das Motorfahrzeug SG 13'323 (Motorrad) gelenkt, obwohl er nicht im Besitze des Führerausweises der Kategorie A gewesen sei. Dabei handle es sich um eine mittelschwere Verkehrsregelverletzung. Gemäss Art. 15a Abs. 4 SVG verfalle der Führerausweis auf Probe mit der zweiten Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führe.
Der erstmals erworbene Führerausweis für Motorräder und Motorwagen wird zunächst mit einer Probezeit von drei Jahren erteilt (vgl. Art. 15a Abs. 1 SVG). Wird dem Inhaber der Ausweis auf Probe wegen einer Widerhandlung entzogen, so wird die Probezeit um ein Jahr verlängert (Art. 15a Abs. 3 Satz 1 SVG). Der Führerausweis auf Probe verfällt gemäss Art. 15a Abs. 4 SVG mit der zweiten Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führt. Die Bestimmung bezweckt, Neulenker, welche noch nicht über die nötige Reife zum sicheren und verkehrsregelkonformen Führen eines Personenwagens verfügen, vom Strassenverkehr einstweilen fernzuhalten. Nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung verfällt der Führerausweis auf Probe mit der zweiten zu einem Entzug führenden Widerhandlung und damit unabhängig von deren Schwere. Er verfällt deshalb – entgegen der Ansicht der Rechtsvertreterin des Rekurrenten – auch dann, wenn es sich beim zweiten Fall um eine leichte Widerhandlung im Sinn von Art. 16a SVG handelt, die unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände, insbesondere der Vorgeschichte des Lenkers, den Entzug des Führerausweises nach sich ziehen würde (vgl. BGE 136 I 345, E. 6.1). Nur in besonders leichten Fällen ist auf jegliche Massnahmen zu verzichten (Art. 16a Abs. 4 SVG).
Wer ein Motorfahrzeug führt, ohne den Führerausweis für die entsprechende Kategorie zu besitzen, begeht gemäss Art. 16b Abs. 1 lit. c SVG eine mittelschwere Widerhandlung. Nach einer mittelschweren Widerhandlung wird der Lernfahr- Führerauweis für mindestens vier Monate entzogen, wenn in den vorangegangenen
zwei Jahren der Ausweis einmal wegen einer schweren mittelschweren Widerhandlung entzogen war (Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG). Bei der Festsetzung der Dauer des Lernfahr- Führerausweisentzugs sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, namentlich die Gefährdung der Verkehrssicherheit, das Verschulden, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen. Die Mindestentzugsdauer darf jedoch nicht unterschritten werden (Art. 16 Abs. 3 SVG).
Der Gesetzeswortlaut ist klar. Der Gesetzgeber stuft einen Verstoss gegen Art. 95 Ziff. 1 SVG (Fahren ohne Führerausweis) im Administrativmassnahmenrecht schwerer ein als eine leichte Widerhandlung gegen Verkehrsregeln (vgl. Giger Hans, Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz, Zürich 2008, Art. 16b N 5). Die Rechtsprechung der Verwaltungsrekurskommission zum Ausweisentzug bei einer schweren Widerhandlung gemäss Art. 16c Abs. 2 SVG geht jedoch davon aus, dass die Mindestentzugsdauern bei Fahren trotz Entzugs des Führerausweises in erster Linie die Fälle des vorsätzlichen Ungehorsams betreffen. Die Rechtsprechung zum "besonders leichten Fall", der nach dem früheren milderen Recht bei geringem Verschulden zu einer Unterschreitung der Mindestentzugsdauer führte, kann demnach weiterhin herangezogen werden (vgl. GVP 2007 Nr. 20; VRKE IV-2012/43 vom 30. August 2012, in: www.gerichte.sg.ch). Das Bundesgericht hat zum neuen Recht der Administrativmassnahmen festgehalten, der Gesetzgeber trage dem Grad der subjektiven Vorwerfbarkeit des Fahrens trotz Ausweisentzugs bei den abgestuften gesetzlichen Mindestentzugsdauern zwar weiterhin keine Rechnung, jedoch ziele Art. 16 Abs. 3 Satz 2 SVG darauf ab, dass die Mindestentzugsdauern entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht mehr unterschritten werden dürften. Angefügt wurde im konkreten Fall aber auch, dass das zu beurteilende Fahren trotz Führerausweisentzugs auf Grobfahrlässigkeit, wenn nicht gar auf Eventualvorsatz beruhe, so dass selbst nach der altrechtlichen Praxis die gesetzliche Mindestentzugsdauer nicht unterschritten werden könnte (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_275/2007 vom 16. Mai 2008 E. 4.5.2 mit Hinweis; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 1C_471/2011 vom 9. Februar 2012 E. 3.4, wo die Frage der Unterschreitung der Mindestentzugsdauer bei lediglich leichter Fahrlässigkeit offen gelassen wurde; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 1C_144/2011 vom 26. Oktober 2011, E. 3.3, wo das Bundesgericht im Zusammenhang mit einer schweren
Widerhandlung erklärt, dass die Schematisierung die Entzugsbehörde nicht davon entbinde, den Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen).
Der Rekurrent macht geltend, dass er bei seiner Motorradfahrt am 9. August 2012 um 1.30 Uhr nach Beendigung der Arbeit über den Führerschein auf Probe für die Kategorie B verfügt habe. Der Lernfahrausweis für die Kategorie A sei am 8. August 2012 und damit 90 Minuten vor der Verkehrskontrolle abgelaufen. In seinem Rekurs gegen die Verfügung des Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamts vom 22. August 2012 (vorsorglicher Führerausweisentzug) erklärte der Rekurrent, dass er vergessen habe, dass sein Lernfahrausweis am 8. August 2012 ablaufe. Andernfalls wäre er mit dem Auto zur Arbeit gefahren (act. 1 der beigezogenen Akten VRKE IV-2012/90 P). Seine Rechtsvertreterin führt in der Rekursschrift aus, dass der Rekurrent fälschlicherweise davon ausgegangen sei, dass der Lernfahrausweis ein Jahr und sechs Monate und nicht nur ein Jahr und vier Monate ab Absolvierung der praktischen Grundschulung gültig sei. Dementsprechend handle es sich nur um eine einfache Fahrlässigkeit und somit weder um Vorsatz noch um Grobfahrlässigkeit. Auch der Umstand, dass im Strafbefehl eine Geldstrafe von lediglich fünf Tagessätzen gesprochen worden sei, lasse darauf schliessen, dass das Verschulden des Rekurrenten von der Staatsanwaltschaft als äusserst gering eingestuft worden sei. Die Pflichtverletzung habe keinen Einfluss auf die Gefährdung der Verkehrssicherheit gehabt. Der Rekurrent verfüge über einen einwandfreien automobilistischen Leumund (Kategorie B). Auch in Bezug auf das Führen eines Motorrades könne ihm seit dem letzten Vorfall Wohlverhalten attestiert werden. Der einmonatige Ausweisentzug habe somit Wirkung gezeitigt. Die abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer könne als besonders klein betrachtet werden, da der Rekurrent die Verkehrsregeln aufgrund seines Führerausweises für die Kategorie B kenne. Ausserdem habe er die praktische Grundschulung für das Führen von Motorfahrzeugen der Kategorie A erfolgreich absolviert. Sodann sei das Verkehrsaufkommen in der fraglichen Nacht um 1.30 Uhr äusserst gering gewesen, weshalb auch die konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vernichtend klein gewesen sei. Die zurückgelegte Strecke durch meist unbesiedeltes Gebiet habe nur zwei Kilometer betragen und der Lernfahrausweis sei bei der Kontrolle gerade seit 90 Minuten abgelaufen gewesen. Ab März 2013 werde er eine Stelle in A antreten. Dort werde er bis mindestens 23.30 Uhr arbeiten müssen. Der letzte Bus zu seinem Wohnort fahre jedoch um 22.23 Uhr. Er sei somit beruflich
dringend auf den Führerausweis angewiesen. Die Rechtsvertreterin des Rekurrenten macht geltend, dass aufgrund der Umstände Art. 16a Abs. 4 SVG Anwendung finden müsse.
Die Vorinstanz hat ihre Verfügung vom 14. Januar 2013 damit begründet, dass, wer ein Motorfahrzeug führe, ohne den Führerausweis für die entsprechende Kategorie zu besitzen, eine mittelschwere Widerhandlung begehe (Art. 16b Abs. 1 lit. c SVG). Der Führerausweis auf Probe verfalle mit der zweiten Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führe (Art. 15a Abs. 4 SVG). Der Gesetzeswortlaut sei klar und unmissverständlich. Die vorliegende Widerhandlung führe zu einem zwingenden Entzug des Führerausweises und damit verfalle gemäss Art. 15a Abs. 4 SVG der Führerausweis auf Probe und müsse annulliert werden.
Klar ist, dass der Rekurrent den objektiven Tatbestand von Art. 16b Abs. 1 lit. c SVG erfüllt hat. Er hat ein Motorfahrzeug gefahren, ohne den Führerausweis für die entsprechende Kategorie zu besitzen. Da dem Rekurrenten mit Verfügung des Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamts vom 19. Januar 2012 der Führerausweis in den letzten zwei Jahren bereits einmal aufgrund einer mittelschweren Widerhandlung für die Dauer von einem Monat entzogen worden war, beträgt die Entzugsdauer mindestens vier Monate (Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG). Diese Mindestentzugsdauer darf grundsätzlich nicht unterschritten werden (Art. 16 Abs. 3 letzter Satz SVG). Bei einer analogen Heranziehung der voranstehend erwähnten Rechtsprechung der Verwaltungsrekurskommission zu Art. 16c Abs. 1 lit. f SVG stellt sich nun die Frage, ob die Mindestentzugsdauer aufgrund geringen Verschuldens herabzusetzen ist.
Analog zu Art. 16c Abs. 1 lit. f SVG ist auch Art. 16b Abs. 1 lit. c SVG auf Fälle zugeschnitten, in denen die betroffene Person vorsätzlich handelt. Dies dürfte bei Führen eines Motorfahrzeuges ohne Führerausweis der Regelfall sein. Vorliegend hatte der Rekurrent den Lernfahrausweis für die entsprechende Kategorie jedoch kurz zuvor noch besessen. Als er mit seinem Motorrad zur Arbeit gefahren war, war der Lernfahrausweis noch gültig; bei der Rückfahrt nach Mitternacht war er dann aber abgelaufen. Zum Zeitpunkt der Kontrolle war dieser seit 90 Minuten nicht mehr gültig. Der Rekurrent war davon ausgegangen, dass der Lernfahrausweis erst zwei Monate später ablaufe. Von seiner ersten polizeilichen Einvernahme bis zum Rekurs vor der
Verwaltungsrekurskommission beteuerte er, sich nicht bewusst gewesen zu sein, dass der Lernfahrausweis bereits abgelaufen war. Vorsatz kann ihm demnach nicht nachgewiesen werden. Aufgrund der erwähnten Umstände ist vorliegend von einer leichten Fahrlässigkeit auszugehen. Aus den Akten ergeben sich keine Hinweise, aufgrund derer von einem schweren Verschulden auszugehen wäre.
Der Rekurrent war nicht aufgrund einer Auffälligkeit kontrolliert worden, sondern zufällig in eine routinemässige Kontrolle geraten. Die Strecke, die der Rekurrent mit seinem Motorrad zurücklegte war überdies relativ kurz, führte durch kaum besiedeltes Gebiet und hatte um 1.30 Uhr werktags ein nur sehr geringes Verkehrsaufkommen. Einen Tag zuvor hätte er sein Motorrad noch führen dürfen, ohne gegen eine Gesetzesbestimmung zu verstossen. Ausser einer Widerhandlung im Jahre 2011 mit dem Motorrad hatte er sich auf der Strasse sowohl mit dem Motorrad als auch mit dem Auto wohlverhalten. Am 9. August 2012 lag weder eine abstrakte noch eine konkrete Gefährdung der Verkehrssicherheit vor. Sodann lässt die Geldstrafe von nur 5 Tagessätzen darauf schliessen, dass auch die Staatsanwaltschaft das Verschulden nur als gering eingestuft hat. Das Gesuch um Verlängerung des Lernfahrausweises stellte der Rekurrent unmittelbar nach dem Vorfall vom 9. August 2012. Unter Würdigung all dieser Umstände erscheint ein Ausweisentzug von mindestens vier Monaten, der im konkreten Fall gleichzeitig auch zu einer Annullierung des Führerausweises auf Probe führen würde, nicht als verhältnismässig. Ein Führerausweisentzug könnte nicht unmittelbar mit dem Interesse an der Verkehrssicherheit begründet werden. Auch dem Strafcharakter kann bei einfacher Fahrlässigkeit höchstens eine untergeordnete Bedeutung zukommen. Einziger Zweck, den die Administrativmassnahme vorliegend tatsächlich erfüllen kann, ist, einer behördlichen Anordnung (Erteilung des Lernfahrausweises für eine bestimmte, festgelegte Dauer) Nachachtung zu verschaffen, indem derjenige, der sich nicht an die Anordnung hält, mit einer repressiven Massnahme dazu angehalten wird, künftig entsprechende Anordnungen zu beachten. Da der Rekurrent vor dem Vorfall grundsätzlich die Möglichkeit gehabt hätte, eine Verlängerung des Lernfahrausweises zu beantragen, jedoch nicht rechtzeitig daran gedacht hatte, ist vorliegend auch diesem Zweck nicht allzu grosse Bedeutung beizumessen. Auch Ungehorsam gegen behördliche Anordnungen setzt im Übrigen Vorsatz voraus. Die undifferenzierte Anwendung der Mindestentzugsdauer von vier Monaten mit der Folge der Annullierung des Führerausweises auf Probe erschiene
vorliegend als geradezu stossend. Es liegt demnach eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vor. Eine solche ist unter anderem dann gegeben, wenn dem Gesetz eine Ausnahme fehlt, obwohl es nach seinem Zweck eine Ausnahme enthalten müsste. Da es nicht verhältnismässig ist, bei einfacher Fahrlässigkeit die gleiche Massnahme wie bei Vorsatz zu verfügen, müsste vorliegend eine entsprechende Ausnahme gemacht werden. In diesem Fall steht es dem Gericht zu, die planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes zu beheben (vgl. BK I-Emmenegger/ Tschentscher, Bern 2012, N 344 zu
Art. 1 ZGB).
Die Rechtsvertreterin beantragt subeventualiter einen differenzierten Ausweisentzug gemäss Art. 34 Abs. 5 lit. a der Verkehrszulassungsverordnung (SR 741.51, abgekürzt: VZV). Dabei verlangt sie, dass für die Kategorie B der Ausweisentzug auf einen Monat verkürzt werde. Es ist also zu prüfen, ob über einen differenzierten Ausweisentzug eine einzelfallgerechte Lösung gefunden werden kann. Ein solcher ist unter bestimmten Umständen in der Tat möglich. Er ist allerdings nicht in Art. 34, sondern in Art. 33 VZV geregelt. Demnach hat der Entzug des Lernfahr- des Führerausweises einer Kategorie Unterkategorie grundsätzlich den Entzug des Lernfahr- und des Führerausweises aller Kategorien, aller Unterkategorien und der Spezialkategorie F zur Folge (Art. 33 Abs. 1 VZV). In Härtefällen kann unter Einhaltung der gesetzlichen Mindestdauer der Ausweisentzug je Kategorie, Unterkategorie Spezialkategorie für eine unterschiedliche Dauer verfügt werden. Dazu müssen namentlich folgende Voraussetzungen gegeben sein: Der Ausweisinhaber hat die Widerhandlung, die zum Ausweisentzug führte, mit einem Motorfahrzeug begangen, auf dessen Benutzung er beruflich nicht angewiesen ist und gleichzeitig ist er als Führer eines Motorfahrzeuges der Kategorie, Unterkategorie Spezialkategorie, für welche die Entzugsdauer verkürzt werden soll, unbescholten (Art. 33 Abs. 5 lit. a und b VZV).
Selbst wenn man die Voraussetzungen für einen differenzierten Ausweisentzug bejahen würde, so schreibt das Gesetz auch hier vor, dass die gesetzliche Mindestdauer eingehalten werden müsse. Wie voranstehend ausgeführt, zieht aber vorliegend auch ein kurzer Ausweisentzug die Annullierung des Führerausweises auf Probe nach sich. Mit der Anwendung dieses Artikels würde sich also an der Rechtsfolge nichts ändern; auch diesbezüglich ergibt sich keine angemessene Lösung.
Dementsprechend muss die planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes in Art. 16b SVG durch richterliche Rechtsfindung behoben werden. Die Mindestentzugsdauer ist aufgrund der fehlenden Verhältnismässigkeit auf jeden Fall herabzusetzen. Es stellt sich die Frage, ob ein Führerausweisentzug überhaupt gerechtfertigt werden kann, würde er doch von Gesetzes wegen die Annullierung des Führerausweises auf Probe für die Kategorie B nach sich ziehen und damit für den Rekurrenten eine ausserordentlich harte Massnahme darstellen. Der Lernfahrausweis für die Kategorie A war noch gültig, als der Rekurrent mit seinem Motorrad zur Arbeit fuhr. Er war sich nicht bewusst, dass der Lernfahrausweis gerade zu diesem Zeitpunkt über Mitternacht ablief. Nur 90 Minuten nach Ablauf des Ausweises fuhr er mit seinem Motorrad über wenig besiedeltes Gebiet nach Hause. Es lag keine unmittelbare Gefährdung der Verkehrssicherheit vor. Dementsprechend muss sein Verschulden als besonders leicht und die Gefahr für die Sicherheit anderer als besonders gering eingestuft werden. Auch wenn der Fall rein schematisch eine mittelschwere Widerhandlung darstellt, so muss er aufgrund der konkreten Umstände unter den besonders leichten Fall gemäss Art. 16a Abs. 4 SVG subsumiert werden. Nur so kann eine einzelfallgerechte Lösung erzielt werden. Im Übrigen ist zu bemerken, dass der Rekurrent bereits aufgrund des vorsorglichen Ausweisentzugs gemäss Verfügung der Vorinstanz vom 22. August 2012 und nochmals aufgrund des sofortigen Ausweisentzugs gemäss Verfügung der Vorinstanz vom 14. Januar 2013 gesamthaft über vier Monate ohne Führerausweis war. Es ist davon auszugehen, dass dieser Entzug eine genügend starke spezialpräventive Wirkung auf den Rekurrenten hatte. Jedenfalls wird er in Zukunft die Gültigkeitsdauer eines allfälligen neuen bzw. verlängerten Lernfahrausweises mit Sicherheit genau im Auge behalten.
3.- Zusammenfassend ergibt sich, dass ein Führerausweisentzug aufgrund des sehr leichten Verschuldens und der fehlenden Gefährdung der Verkehrssicherheit nicht gerechtfertigt wäre. Das Gericht muss dementsprechend seiner Aufgabe, planwidrige Unvollständigkeiten des Gesetzes zu beheben, nachkommen und eine einzelfallgerechte Lösung schaffen. Aufgrund des sehr leichten Verschuldens und der fehlenden Gefährdung der Verkehrssicherheit muss der Fall als besonders leicht gemäss Art. 16a Abs. 4 SVG eingestuft werden. Die Widerhandlung zieht dementsprechend keine Massnahmen nach sich. Der Rekurs ist gutzuheissen und die Verfügung der Vorinstanz aufzuheben.
4.- Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten vom Staat zu tragen (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von Fr. 1'200.-- (darin eingeschlossen die Kosten für die Verfügung über die aufschiebende Wirkung vom
26. Februar 2013) erscheint angemessen (vgl. Art. 7 Ziff. 122 der Gerichtskostenverordnung, sGS 941.12). Dem Rekurrenten ist der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 1'200.-- zurückzuerstatten.
5.- Gemäss Art. 98 Abs. 2 VRP werden im Rekursverfahren ausseramtliche Kosten entschädigt, soweit sie aufgrund der Rechts- und Sachlage als notwendig und angemessen erscheinen. Im Rekursverfahren war der Beizug eines Rechtsbeistandes geboten. Eine Kostennote ist nicht eingereicht worden, entsprechend werden die Parteikosten nach Ermessen zugesprochen (Art. 6 Honorarordnung für Rechtsanwälte und Rechtsagenten; sGS 963.75, abgekürzt: HonO). Angesichts des geringen Aktenumfangs und des auf die Thematik der Annullierung des Führerausweises auf Probe beschränkten Prozessthemas sowie aufgrund des Umstands, dass der Sachverhalt der Rechtsvertreterin bereits aus dem Rekursverfahren gegen den vorsorglichen Führerausweisentzug bekannt war, erscheint eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- (Barauslagen und Mehrwertsteuer inbegriffen) als angemessen (Art. 19, 22 Abs. 1 lit. b, 28bis und 29 HonO). Entsprechend dem Verfahrensausgang sind dem Rekurrenten die ausseramtlichen Kosten vollumfänglich zu entschädigen (Art.
98ter VRP). Kostenpflichtig ist der Staat (Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt).
Entscheid:
Der Rekurs wird gutgeheissen und die Verfügung vom 14. Januar 2013
(Annullierung des
Führerausweises auf Probe) aufgehoben.
Der Staat trägt die amtlichen Kosten von Fr. 1'200.--. Der Kostenvorschuss von Fr. 1'200.--
wird dem Rekurrenten zurückerstattet.
Der Staat (Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt) entschädigt den Rekurrenten mit Fr. 1'500.--.
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