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Urteil Versicherungsgericht (SG - IV 2019/332)

Zusammenfassung des Urteils IV 2019/332: Versicherungsgericht

A. meldete sich im Juli 2016 für Leistungen der Invalidenversicherung an. Die Sozialen Dienste der Gemeinde B. zahlten ihm Vorschüsse auf die zu erwartende IV-Rente. Die IV-Stelle sprach A. ab Mai 2017 eine halbe Rente zu. Die Sozialen Dienste forderten eine Verrechnung der Vorschussleistungen mit der Rentennachzahlung. A. beschwerte sich, dass die Nachzahlung an die Sozialen Dienste gehen sollte, da er in finanziellen Schwierigkeiten sei. Das Gericht entschied, dass die Drittauszahlung an die Sozialen Dienste rechtmässig sei, da sie Vorschussleistungen erbracht hatten. Die Beschwerde von A. wurde abgewiesen, und er wurde von der Zahlung der Gerichtskosten befreit.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts IV 2019/332

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2019/332
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2019/332 vom 26.03.2020 (SG)
Datum:26.03.2020
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG. Drittauszahlung einer Nachzahlung. Vorschussleistungen der öffentlichen Fürsorge. Der Sinn und Zweck der einzelnen Rentenzahlungen besteht darin, den Existenzbedarf für den entsprechenden Monat zu decken. Bei einer Rentennachzahlung ändert sich nichts an diesem Sinn und Zweck. Die Nachzahlung muss deshalb primär zur (nachträglichen) Deckung des Existenzbedarfs in der Vergangenheit und nicht zur Deckung des laufenden oder des künftigen Existenzbedarfs verwendet werden (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. März 2020, IV 2019/332).
Schlagwörter: Zahlung; Rente; Franken; Drittauszahlung; Zahlungen; Zeitraum; Vorschusszahlung; Dienste; Vorschusszahlungen; Gemeinde; Rentennachzahlung; Sozialen; Sozialversicherungsleistung; Verrechnung; Deckung; Existenzbedarf; AK-act; Existenzbedarfs; Vorschussleistungen; Sozialversicherungsleistungen; Invalidenrente; IV-Stelle; Ausgleichskasse; Verzugszins; Verfügung; Betrag; Rentenzahlung; Leistung
Rechtsnorm: Art. 123 ZPO ;Art. 18 Or;Art. 22 ATSG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts IV 2019/332

Entscheid vom 26. März 2020

Besetzung

Einzelrichter Ralph Jöhl; Gerichtsschreiber Tobias Bolt Geschäftsnr.

IV 2019/332

Parteien

A. ,

Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin,

Gegenstand

Rente (Verrechnung) Sachverhalt

A.

    1. A. meldete sich im Juli 2016 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an (AK-act. 43). Im August 2017 ersuchten die sozialen Dienste der Gemeinde B. um eine Drittauszahlung einer allfälligen Rentennachzahlung (AK- act. 25). Sie hielten fest, dass sie den Versicherten „vorschüsslich“ auf zu erwartende IV-Taggelder, IV-Renten Ergänzungsleistungen unterstützten. Der Versicherte hatte das Gesuch am 2. August 2017 mitunterzeichnet. Mit einem Beschluss vom 23.

      September 2019 teilte die IV-Stelle der Ausgleichskasse mit, dass sie dem Versicherten mit Wirkung ab dem 2. Mai 2017 (bzw. 1. Mai 2017) eine halbe Rente zusprechen werde (AK-act. 20).

    2. Am 23. Oktober 2019 forderte die Ausgleichskasse die Sozialen Dienste der Gemeinde B. auf (AK-act. 17), ein Verrechnungsformular auszufüllen. Sie wies darauf hin, dass der Versicherte ab dem 1. Mai 2017 eine monatliche Rente von 649 Franken und ab dem 1. Januar 2019 eine monatliche Rente von 654 Franken erhalten werde, was für den Zeitraum vom 1. Mai 2017 bis zum 30. November 2019 eine Nachzahlung von insgesamt 20’174 Franken auslösen werde. Am 5. November 2019 beantragten die Sozialen Dienste mittels des zugesandten Formulars (nochmals) die Verrechnung der Rentennachzahlung mit den von ihnen erbrachten Sozialhilfeleistungen (AK-act. 15). Sie machten geltend, sie hätten dem Versicherten in der Zeit vom 1. September 2017 bis zum 30. April 2019 Vorschussleistungen von insgesamt 24’689.90 Franken ausgerichtet. Dem Formular lag ein entsprechender Kontoauszug bei. Ein Sachbearbeiter der Ausgleichskasse notierte am 21. November 2019 (AK-act. 14), dass der Versicherte einen Anspruch auf einen Verzugszins von 171 Franken habe. Bei der Verzugszinsberechnung war unter anderem ein „Anspruch

Dritter“ auf 13’000 Franken berücksichtigt worden. In einer weiteren Notiz hielt ein Sachbearbeiter der Ausgleichskasse fest, dass die Sozialen Dienste der Gemeinde B. einen Verrechnungsanspruch von 13’000 Franken hätten. Mit einer Verfügung

vom 21. November 2019 sprach die IV-Stelle dem Versicherten mit Wirkung ab dem 1. Mai 2017 eine halbe Rente zu (AK-act. 10). Sie hielt fest, der Nachzahlungsanspruch belaufe sich auf 19’520 Franken. Zusätzlich bestehe ein Anspruch auf einen Vergütungszins von 171 Franken. Von der Nachzahlung werde sie 13’000 Franken direkt an die Sozialen Dienste der Gemeinde B. auszahlen. Der laufende Rentenanspruch betrage 654 Franken pro Monat.

B.

    1. Am 13. Dezember 2019 erhob der Versicherte (nachfolgend: der Beschwerdeführer) eine Beschwerde gegen die Verfügung vom 21. November 2019 (act. G 1). Er beantragte die Auszahlung der gesamten Rentennachzahlung an ihn selbst. Zur Begründung machte er geltend, er lebe in wirtschaftlich sehr bescheidenen Verhältnissen. Seine Einnahmen reichten nicht einmal zur Deckung des Existenzminimums. Es sei ihm ja nicht einmal möglich, seinen Wohnungsmietzins zu bezahlen. Das führe bei ihm zu Existenzängsten. Am 30. Dezember 2019 beantragte der Beschwerdeführer die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege (act. G 3).

    2. Die IV-Stelle (nachfolgend: die Beschwerdegegnerin) beantragte am 23. Januar 2020 die Abweisung der Beschwerde (act. G 5). Zur Begründung führte sie an, gemäss dem Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG könnten Nachzahlungen von Sozialversicherungsleistungen der öffentlichen Fürsorge abgetreten werden, soweit diese Vorschusszahlungen geleistet habe. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei für diese Leistungskoordination entscheidend, dass objektiv für den gleichen Zeitraum Sozialhilfe- und IV-Leistungen geflossen seien. Vorliegend sei dies für den Zeitraum vom 1. September 2017 bis zum 30. April 2019 der Fall gewesen. Die Sozialen Dienste der Gemeinde B. hätten für diesen Zeitraum eine Verrechnungsforderung von 24’689.90 Franken geltend gemacht. Der auf diesen Zeitraum entfallende Betrag der IV-Rentennachzahlung belaufe sich aber nur auf 13’000 Franken, weshalb nur in diesem Betrag eine Verrechnung beziehungsweise Drittauszahlung habe vorgenommen werden können. Der Beschwerdeführer habe das

      Verrechnungsgesuch der Sozialen Dienste der Gemeinde B. im Übrigen vorbehaltlos unterzeichnet.

    3. Dem Beschwerdeführer wurde am 29. Januar 2020 die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt (act. G 6).

    4. Der Beschwerdeführer verzichtete auf eine Replik (vgl. act. G 7 f.).

Erwägungen 1.

Die angefochtene Verfügung beschlägt bei genauer Betrachtung mehrere Streitgegenstände, nämlich die Zusprache einer Rente der Invalidenversicherung, die Zusprache eines Verzugszinses und die Anordnung einer Verrechnung respektive Drittauszahlung eines Teils der Rentennachzahlung. Die Beschwerde vom 13. Dezember 2019 richtet sich ausschliesslich gegen die Drittauszahlung, weshalb die Verfügung vom 21. November 2019 bezüglich der Rentenzusprache und bezüglich der Zusprache eines Verzugszinses von 171 Franken unangefochten in formelle Rechtskraft erwachsen ist. In diesem Beschwerdeverfahren ist folglich nur die Rechtmässigkeit der Drittauszahlung eines Teils der Rentennachzahlung zu prüfen.

2.

    1. Laut dem Art. 22 Abs. 1 ATSG kann ein Sozialversicherungsleistungsanspruch weder abgetreten noch verpfändet werden. Gemäss dem Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG können aber Nachzahlungen von Sozialversicherungsleistungen der öffentlichen Fürsorge abgetreten werden, soweit diese Vorschusszahlungen geleistet hat. Mit dieser Ausnahme vom Abtretungsverbot des Art. 22 Abs. 1 ATSG hat der Gesetzgeber offensichtlich die Absicherung der Rückerstattung von Vorschussleistungen Dritter bezweckt, worauf ja auch die Marginalie zum Art. 22 ATSG hinweist: Würde eine Nachzahlung einer Sozialversicherungsleistung stets vollumfänglich an die versicherte Person ausbezahlt, bestünde nämlich die Gefahr, dass sich der bevorschussende Dritte mit einer Uneinbringlichkeit der Rückforderung seiner Vorschusszahlungen konfrontiert sähe, weil die versicherte Person mit der ihr direkt ausbezahlten Nachzahlung beispielsweise andere Forderungen beglichen hätte. Diese Gefahr besteht nicht, wenn die Nachzahlung direkt an den bevorschussenden Dritten statt vollumfänglich an die versicherte Person ausbezahlt wird. Da es sich bei dieser Drittauszahlung um eine Ausnahme vom Grundsatz des Art. 22 Abs. 1 ATSG handelt,

      wonach die Abtretung Verpfändung von Sozialversicherungsleistungen unzulässig ist, muss der enge Wortlaut des Art. 22 Abs. 2 lit. a ATSG, der sich auf Vorschusszahlungen beschränkt, ernst genommen werden. Das bedeutet, dass der Drittauszahlungsanspruch zeitlich und betraglich wie folgt begrenzt sein muss: Die Drittauszahlung ist nur für jenen Teil einer Nachzahlung von Sozialversicherungsleistungen zulässig, der auf einen Zeitraum entfällt, für den der bevorschussende Dritte seine Vorschussleistungen erbracht hat; es muss also eine zeitliche Überschneidung zwischen der Nachzahlung und der Vorschusszahlung geben. Zudem darf – für diesen „Überschneidungs“-Zeitraum – nur jener Teil einer Nachzahlung von Sozialversicherungsleistungen direkt an den bevorschussenden Dritten ausbezahlt werden, der betraglich maximal den Vorschusszahlungen entspricht. Hat der bevorschussende Dritte also Vorschusszahlungen für einen längeren als den durch eine Nachzahlung einer Sozialversicherungsleistung abgedeckten Zeitraum erbracht hat der bevorschussende Dritte Vorschusszahlungen erbracht, die betraglich höher als der Nachzahlungsanspruch gewesen sind, muss er sich mit einer Drittauszahlung jenes Teils der Nachzahlung der Sozialversicherungsleistung begnügen, der sich zeitlich und betraglich mit den Vorschusszahlungen deckt.

    2. Die Sozialen Dienste der Gemeinde B. haben dem Beschwerdeführer in der Zeit vom 1. September 2017 bis zum 30. April 2019 Vorschusszahlungen im Gesamtbetrag von 24’689.90 Franken ausgerichtet. Der auf diesen Zeitraum entfallende Teil der Nachzahlung der Invalidenrente beträgt (4 + 12) × 649 Franken + 4 × 654 Franken = 10’384 Franken + 2’616 Franken = 13’000 Franken. Der über diesen Betrag hinausgehende Teil der Vorschusszahlungen kann mangels einer zeitlichen

      „Überschneidung“ nicht mit der auf die Zeit vor dem 1. September 2017 auf die Zeit nach dem 30. April 2019 entfallenden Teil der Rentennachzahlung „verrechnet“ werden. Das bedeutet, dass die Drittauszahlung der Rentennachzahlung an die Sozialen Dienste der Gemeinde B. nur im Betrag von 13’000 Franken zulässig ist.

    3. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er die Nachzahlung benötige, um seinen laufenden beziehungsweise künftigen Existenzbedarf zu sichern. Diese Argumentation ist aus dem folgenden Grund nicht stichhaltig: Jede einzelne Rentenzahlung bezweckt die Deckung des Existenzbedarfs für jenen Monat, für den sie ausbezahlt wird. Wenn es bei der Auszahlung zu einer Verspätung kommt, sodass die Rentenzahlung nicht für den Monat erfolgt, für den sie bestimmt ist, sondern später nachbezahlt wird, ändert das nichts an der Zweckbestimmung dieser Rentenzahlung. Folglich lässt es sich nicht rechtfertigen, eine Rentenzahlung für die Vergangenheit als zur Deckung des aktuellen des künftigen Existenzbedarfs bestimmt zu betrachten.

Eine Nachzahlung muss vielmehr zur Deckung der Rückforderung der von einem Dritten bezogenen, zur Deckung des damaligen Existenzbedarfs bestimmten Leistung verwendet werden, die in jenem Zeitraum erbracht worden ist, für den die einzelne Rentenleistung nun „verspätet“ ausgerichtet wird. Wenn also ein Dritter, wie hier die Sozialen Dienste der Gemeinde B. , während der Dauer jenes vergangenen Zeitraums Vorschussleistungen erbracht hat, die die - vorläufige - Deckung des Existenzbedarfs während jener Zeit sichergestellt haben, muss die spätere Nachzahlung der entsprechenden Invalidenrente dazu verwendet werden, diese Vorschussleistungen zurückzuerstatten. Bezüglich der Befürchtung des Beschwerdeführers, dass die laufende Invalidenrente nicht zur Deckung seines Existenzbedarfs ausreiche, ist auf die Möglichkeit zum Bezug von Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente hinzuweisen. Die Ergänzungsleistungen sind dazu gedacht, die Deckung des Existenzbedarfs eines Invalidenrentners sicherzustellen, wenn die Invalidenrente für sich allein nicht ausreicht, um alle laufenden Kosten zu begleichen. Die angefochtene Drittauszahlung erweist sich somit als rechtmässig.

3.

Die Beschwerde ist abzuweisen. Die Gerichtskosten von 600 Franken wären an sich dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. Da diesem aber die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt worden ist, ist er von der Pflicht zur Bezahlung der Gerichtskosten befreit. Sollten es seine wirtschaftlichen Verhältnisse dereinst gestatten, wird er zur Nachzahlung der Gerichtskosten verpflichtet werden können (Art. 99 Abs. 2 VRP i.V.m. Art. 123 ZPO). Angesichts der klaren Rechtslage und der feststehenden Gerichtspraxis zur Zulässigkeit einer Drittauszahlung bei einer Rentennachzahlung kann dieser Fall einzelrichterlich erledigt werden (vgl. Art. 17 Abs. 2 GerG und Art. 18 Abs. 2 OrgR).

Entscheid

im Verfahren gemäss Art. 18 OrgR

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Der Beschwerdeführer wird von der Pflicht zur Bezahlung der Gerichtskosten von 600 Franken befreit.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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