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Urteil Versicherungsgericht (SG - IV 2017/398)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:IV 2017/398
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2017/398 vom 03.02.2020 (SG)
Datum:03.02.2020
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 53 Abs. 1 ATSG. Art. 70 IVG. Art. 25 Abs. 1 ATSG. Prozessuale Revision. Verwirkungsfrist. Verbrechen oder Vergehen. Betrug. Rückforderung. Rente und Hilflosenentschädigung (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 3. Februar 2020, IV 2017/398). Bestätigt durch Urteil des Bundesgerichts 8C_206/2020.
Zusammenfassung:Zusammenfassung: Die Beschwerdeführerin hat sich unrechtmässig Leistungen der Invalidenversicherung erschlichen, indem sie eine schwere psychische Erkrankung vortäuschte. Das Gutachten eines Sachverständigen bestätigt, dass sie in Wirklichkeit arbeitsfähig war und keine Hilflosigkeit vorlag. Somit wurden die Rentenleistungen und die Hilflosenentschädigung zu Recht zurückgefordert. Die Beschwerde gegen die entsprechende Verfügung wurde abgewiesen.
Schlagwörter: IV-act; Verfügung; Leistung; Rente; Observation; Recht; Ehemann; Hilflosenentschädigung; IV-Stelle; Untersuchung; Verfahren; Video; Revision; Verfügungen; Leistungen; Gutachten; Tatsache; Frist; Untersuchungs; Verhalten
Rechtsnorm: Art. 123 ZPO ; Art. 146 StGB ; Art. 16 ATSG ; Art. 17 ATSG ; Art. 25 ATSG ; Art. 53 ATSG ; Art. 66 VwVG ; Art. 67 VwVG ; Art. 87 AHVG ;
Referenz BGE:138 V 74; 143 I 377;
Kommentar:
-
Entscheid
Entscheid vom 3. Februar 2020

Besetzung

Präsident Ralph Jöhl, Versicherungsrichterinnen Monika Gehrer-Hug und Karin Huber- Studerus; Gerichtsschreiber Tobias Bolt

Geschäftsnr. IV 2017/398

Parteien

A. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Stephanie Bialas, Oberer Graben 44, Postfach, 9001 St. Gallen,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin,

Gegenstand

Rentenrevision, Revision Hilflosenentschädigung (Einstellung und Rückforderung) Sachverhalt

A.

    1. A. meldete sich im Februar 2004 zum Bezug einer Rente der Invalidenversicherung an (IV-act. 1). Der Allgemeinmediziner Dr. med. B. berichtete im März 2004 (IV-act. 10), die Versicherte leide an einem Lumbovertebralsyndrom und an einer depressiven Entwicklung, weshalb sie vollständig arbeitsunfähig sei. Der Psychiater Dr. med. C. teilte der IV-Stelle im Mai 2004 mit (IV-act. 14), die Versicherte leide an einer schweren Depression mit psychotischen Symptomen. Eine Erwerbstätigkeit könne ihr nicht zugemutet werden. Bei einer Haushaltsabklärung im Januar 2005 war die Versicherte nicht ansprechbar; sie lag schlafend auf dem Sofa (vgl. IV-act. 19). Ihr Ehemann gab dem Abklärungsbeauftragten der IV-Stelle an, dass die Versicherte praktisch durchwegs schlafe. Wenn sie wach sei, könne nicht einmal ein normales Gespräch mit ihr geführt werden. Der Haushalt werde praktisch ausschliesslich von der Schwiegermutter geführt. Mit einer Verfügung vom 18. Mai 2005 sprach die IV-Stelle der Versicherten rückwirkend ab dem 1. Juni 2004 eine ganze Rente bei einem Invaliditätsgrad von 100 Prozent zu (IV-act. 27).

    2. Im Oktober 2007 meldete sich die Versicherte zum Bezug einer Hilflosenentschädigung an (IV-act. 59). Sie gab an, sie trage die meiste Zeit einen Pyjama und öfters müsse ihr das Essen ans Bett gebracht werden. Sie pflege keine sozialen Kontakte und sie wolle mit niemandem sprechen. Bei der Einnahme der Medikamente müsse sie überwacht werden. Im November 2007 bestätigte Dr. B. diese Angaben (IV-act. 62). Im April 2008 fand eine Abklärung in der Wohnung der Versicherten statt; auch bei dieser Abklärung war die Versicherte nicht ansprechbar, weil sie schlief (IV-act. 66). Mit einer Verfügung vom 2. Oktober 2008 sprach die IV-

      Stelle der Versicherten mit Wirkung ab dem 1. August 2007 eine Entschädigung bei

      einer Hilflosigkeit mittleren Grades zu (IV-act. 73).

    3. Im Februar 2013 forderte die IV-Stelle die Versicherte auf, einen Fragebogen zur Überprüfung der Leistungsansprüche auszufüllen (IV-act. 75). Die Versicherte gab in diesem Fragebogen an (IV-act. 74), ihr Gesundheitszustand habe sich nicht verändert. Die Kinderbetreuung und der Haushalt würden von der Schwiegermutter und von einer Tante übernommen. Im April 2013 berichtete Dr. C. (IV-act. 77), der Gesundheitszustand der Versicherten sei seit dem Jahr 2004 unverändert geblieben. Eine ergänzende medizinische Abklärung würde kaum weiterführen. Aus therapeutischer Sicht sei eine Erhöhung der Psychopharmaka angezeigt, aber das sei bisher an der Compliance gescheitert. Der Allgemeinmediziner Dr. B. teilte im April 2013 mit (IV-act. 78), der Gesundheitszustand der Versicherten habe sich weiter verschlechtert. Sie leide an diffusen Schulter-Nacken-, Rücken- und Mittelunterbauchschmerzen. Es liege eine deutliche Symptomausweitung vor. Mit einer Mitteilung vom 18. April 2013 informierte die IV-Stelle die Versicherte, dass sie weiterhin die bisherige Invalidenrente ausrichten werde (IV-act. 83).

    4. Im Juli 2013 notierte eine Sachbearbeiterin der IV-Stelle (IV-act. 84), es sei auffällig, dass die Versicherte und ihr Ehemann praktisch zeitgleich unter der Angabe ähnlicher Beschwerden eine Rente der Invalidenversicherung beantragt und zugesprochen erhalten hätten. Beide liessen sich vom selben Hausarzt und vom selben Psychiater behandeln; beide seien angeblich hilflos. Es bestehe der Verdacht auf ein

      „partnerschaftlich abgestimmtes, planmässiges Vorgehen“. Im Auftrag der IV-Stelle observierte die Firma F. in der Folge die Versicherte mehrfach. Sie berichtete (IV- act. 93 und 95), die Versicherte habe die Wohnung täglich – teilweise in Begleitung ihres Ehemannes, teilweise alleine – verlassen. Während der Beobachtungen hätten keine Beeinträchtigungen festgestellt werden können. Die Versicherte habe eingekauft und sich mit Dritten unterhalten. Sie habe sich wie ein gesunder Mensch bewegt, sie habe soziale Beziehungen gepflegt und sie habe sich angeregt und lachend mit anderen Personen unterhalten. Im November 2013 und im Januar 2014 notierte Dr. med. D. vom IV-internen regionalen ärztlichen Dienst (RAD), das bei der Observation beobachtete Verhalten der Versicherte stehe in einem sehr starken Widerspruch zu den geltend gemachten Einschränkungen, wobei an eine ausgeprägte

      Aggravation gedacht werden müsse (IV-act. 94 und 97). Im April 2014 berichtete die Firma G. über eine weitere Observation der Versicherten im Auftrag der IV-Stelle (IV- act. 101). Sie gab an, die Versicherte habe mehrere Bekleidungsgeschäfte aufgesucht und dabei keine Anzeichen einer Gesundheitsbeeinträchtigung gezeigt. Die RAD-Ärztin Dr. D. notierte, die Ergebnisse der dritten Observation deckten sich mit jenen der beiden ersten Observationen (IV-act. 103). Am 9. Mai 2014 erhob die IV-Stelle eine Strafklage gegen die Versicherte und deren Ehemann wegen Betrugs, versuchten Betrugs und Widerhandlungen gegen den Art. 70 IVG in Verbindung mit dem Art. 87 AHVG (IV-act. 107). Am 7. Juli 2014 teilte sie der Versicherten mit, dass sie vorsehe, die laufende Rente mit sofortiger Wirkung einzustellen (IV-act. 110). Die nun anwaltlich vertretene Versicherte liess am 18. Juli 2014 ihr Nichteinverständnis erklären (IV-act. 118). Am 30. Juli 2014 liess sie ergänzend Stellung zur vorgesehenen Renteneinstellung nehmen (IV-act. 123). Mit einer Verfügung vom 4. August 2014 stellte die IV-Stelle die Invalidenrente und die Hilflosenentschädigung vorsorglich ein (IV-act. 124). Eine dagegen erhobene Beschwerde (vgl. IV-act. 128) wurde vom Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit einem Entscheid vom 9. April 2015 abgewiesen (IV 2014/422; vgl. IV-act. 149). Im Beschwerdeverfahren hatte die Versicherte eine Stellungnahme des behandelnden Psychiaters Dr. C. vom 2. Oktober 2014 eingereicht, in der dieser festgehalten hatte (IV-act. 133), beim Beginn der Behandlung im Januar 2004 habe die Versicherte kaum ein Wort mit ihm gesprochen; die Gespräche seien jeweils fast ausschliesslich mit dem Ehemann geführt worden. In den Jahren 2006–2008 habe er die Versicherte nur selten gesehen, im Durchschnitt bloss alle sechs Monate einmal. Sie habe dabei jeweils nicht gesprochen. In den Jahren 2008–2013 sei die Behandlung bei Dr. C. sistiert gewesen. Im März 2013 sei die Behandlung wieder aufgenommen worden. Wiederum habe die Versicherte kaum gesprochen. Während der Zeit, in der die Videoaufnahmen erstellt worden seien, habe auch er, Dr. C. , eine leichte Zustandsverbesserung wahrgenommen. Die Videosequenzen zeigten nichts, das sich nicht mit seiner Beurteilung des psychischen Gesundheitszustandes der Versicherten vereinbaren liesse. Er könne deshalb nicht nachvollziehen, weshalb die IV-Stelle nicht eine normale Rentenrevision in die Wege geleitet, sondern stattdessen das psychisch stark angeschlagene Ehepaar habe verhaften und der Staatsanwaltschaft vorführen lassen.

    5. Das kantonale Untersuchungsamt führte mehrere Einvernahmen der Versicherten, ihres Ehemannes und ihrer Schwiegertochter durch, bei denen sich die Einvernommenen teilweise in Widersprüche verwickelten (vgl. IV-act. 161–23 ff., IV-act. 161–27 ff., IV-act. 161–35, IV-act. 161–40 ff., IV-act. 163–8 ff., IV-act. 167–18). Im Juni

      2014 wurden die Versicherte und ihr Ehemann polizeilich observiert. Im Observationsbericht wurde festgehalten, dass sowohl die Versicherte als auch ihr Ehemann während des gesamten, rund zwei Wochen dauernden Überwachungszeitraums durchgehend einen gesunden, beschwerdefreien Eindruck hinterlassen hätten respektive dass keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigungen hätten beobachtet werden können (IV-act. 175). Auch bei einer Telefonüberwachung konnten keine Auffälligkeiten festgestellt werden; nur einmal klagte die Versicherte über Bauchschmerzen (IV-act. 178). Bei einer Auswertung der bei einer Hausdurchsuchung sichergestellten digitalen Bild- und Filmdateien aus den Jahren 2004–2014 zeigte sich unter anderem (vgl. act. G 4.6; Rapport), dass die Versicherte und ihr Ehemann sich völlig frei und ohne sichtbare gesundheitliche Einschränkungen bewegten und verhielten. Eine Videosequenz, die aus dem Jahr 2005 2006 stammt (vgl. IV-

      act. 195), zeigte die Versicherte bei Hausarbeiten in der Küche. In einer weiteren Videosequenz präsentierten sich die Versicherte, ihr Ehemann und die Kinder beim Baden im Meer (Sommer 2005 2006; vgl. IV-act. 195). Unter den Dateien fand sich auch eine Aufnahme von einem Fest, das wohl in den Sommerferien stattgefunden hatte; die Versicherte und ihr Ehemann tanzten ausgelassen (Sommer 2005 2006; vgl. IV-act. 195). Bei einem anderen Fest führten die Versicherte und ihr Ehemann unter den Zurufen der übrigen Gäste einen Tanz auf; die Versicherte tanzte teilweise auf einem Stuhl (Jahr 2013 2014). Eine Videosequenz stammte von einer Familienfeier in der Wohnung der Versicherten. Die Versicherte tanzte mit anderen Frauen, kümmerte sich zwischendurch um die Kinder und um die Gäste und zeigte keinerlei gesundheitlichen Beeinträchtigungen (März 2004; vgl. IV-act. 195). Bei einer weiteren Familienfeier führten die Versicherte und ihr Ehemann einen Tanz auf (Jahr 2010; vgl.

      IV-act. 195). Weitere Sequenzen zeigten die Familie bei einem Winterspaziergang und beim Besuch eines Jahrmarktes (Winter 2005/2006; vgl. IV-act. 195). In einer Sequenz war zu sehen, wie die Versicherte ein Auto lenkte (Winter 2005/2006; vgl. IV-act. 195). Ein Film, der anlässlich der Hochzeit des Sohnes im Sommer 2013 aufgenommen wurde, zeigte die Versicherte und ihren Ehemann tanzend und feiernd.

    6. Im Auftrag des kantonalen Untersuchungsamtes erstattete Dr. med. E. am

      8. März 2017 ein psychiatrisches Gutachten (IV-act. 193). Er hielt fest, in psychiatrisch- diagnostischer Hinsicht sei das von der Versicherten präsentierte vielgestaltige und nicht in allen Teilen authentisch wirkende Zustandsbild schwerlich in einer der herkömmlichen Kategorien des ICD-10 zu fassen. Erschwerend komme hinzu, dass gemäss den Angaben der Versicherten mittlerweile praktisch sämtliche Organsysteme mit involviert seien. Am ehesten könnte noch eine Somatisierungsstörung diagnostiziert werden. Nach der Auswertung von zwei Video-Observationssequenzen stelle sich die Frage nach der Authentizität der Beschwerden respektive des Zustandsbildes, welches in der Behandlungs- beziehungsweise Begutachtungssituation so ganz anders imponiere, als wenn sich die Versicherte im normalen Alltagsleben unbeobachtet wähne. Dabei sei die Erfahrungstatsache zu berücksichtigen, dass das Verhalten eines Menschen immer einen situativen respektive interaktionellen Aspekt habe. Zur Beantwortung der Frage nach der Authentizität habe er, der Sachverständige, deshalb weitere klinische Aspekte berücksichtigt. Beispielsweise sei die Körperstatur der Versicherten normal gewesen, obwohl sie angegeben habe, seit zwölf Jahren an einer Depression mit einer Appetitlosigkeit zu leiden; bis zum Ende der sechsstündigen Exploration habe die Versicherte einen eher gespannten Eindruck gemacht, was nicht zur Angabe einer hochgradigen Erschöpfbarkeit gepasst habe; der präsentierte Tremor habe nicht situationsunabhängig vorgelegen; die gezeigten Ergebnisse bei den motorischen Koordinationstests seien höchst unplausibel gewesen; spontan habe die Versicherte Haltungen eingenommen und Bewegungen ausgeführt, die bei einer expliziten Prüfung angeblich nicht möglich gewesen seien. Diese klinischen Beobachtungen hätten den Eindruck eines nicht-authentischen Störungsbildes verdichtet. Weiter habe er, der Sachverständige, die Angaben und das Verhalten der Versicherten anhand einer Inkonsistenzliste genauer unter die Lupe genommen: Die beklagten Beschwerden hätten sich nicht mit den objektiven Befunden in Einklang bringen lassen, es habe eine Diskrepanz zwischen den subjektiven Beschwerden und der körperlichen Beeinträchtigung in der Untersuchungssituation bestanden, der Leidensdruck habe eher vom Strafprozess als von den geschilderten Beschwerden hergerührt, die Beschwerdeschilderungen seien vage und unpräzise gewesen, die Klagen hätten appellativ und demonstrativ angemutet, die eigenen Angaben hätten in einem Widerspruch zu den Videosequenzen gestanden und es habe eine Diskrepanz

      zwischen den geschilderten Beeinträchtigungen und den Aktivitäten des täglichen Lebens bestanden. In der Untersuchung hätten sich zudem insbesondere die folgenden maladaptiven Phänomene gezeigt: Aggravation, Symptomausweitung, übertriebenes fixiertes Schonverhalten, Verharren in der Krankenrolle, subjektive Leistungsinsuffizienz, hypochondrische Verarbeitungstendenz, mangelhafte Leistungsmotivation, sekundärer und tertiärer Krankheitsgewinn sowie Simulation. Im Gesamteindruck habe die Versicherte eine überdurchschnittliche, aber wenig überzeugende Verdeutlichungstendenz gezeigt. Angesichts der Diskrepanz zwischen der Beschwerdeschilderung und dem beobachtbaren Verhalten auf den Observationsvideos, der subjektiven Intensität der Beschwerden im Kontrast zur Vagheit der Beschwerdeschilderung, der nicht präzisierbaren Angaben zum Verlauf, des appellativen demonstrativen Vorbringens der Klagen und des weitgehend intakten Funktionsniveaus trotz einer angeblich schweren Beeinträchtigung müsse davon ausgegangen werden, dass im Zustandsbild der Versicherten zumindest simulatorische Elemente enthalten seien, dass also nicht von einem authentischen Symptomenkomplex ausgegangen werden könne. Der Versicherten sei zwar kein uneingeschränktes Wohlbefinden zu unterstellen, aber ihr Gesamtzustand rechtfertige sicherlich keine vollständige Arbeitsunfähigkeit während der vergangenen zwölf Jahre. Der Versicherten sei eine einfach zu erlernende Tätigkeit, die vorwiegend sitzend ausgeübt werden könne, uneingeschränkt zumutbar. Gesamthaft betrachtet sei kein Grund ersichtlich, der für einen schwereren längeren Einbruch der Arbeitsfähigkeit in der Vergangenheit sprechen würde.

    7. Am 5. Mai 2017 erhob das kantonale Untersuchungsamt eine Strafklage gegen die Versicherte und deren Ehemann wegen gewerbsmässigen Betrugs (IV-act. 189). Die IV- Stelle teilte der Versicherten mit einem Vorbescheid vom 24. Juli 2017 mit (IV-act. 196), dass sie vorsehe, die leistungszusprechenden Verfügungen vom 18. Mai 2005 (Rente) und vom 2. Oktober 2008 (Hilflosenentschädigung) rückwirkend im Sinne einer sogenannt prozessualen Revision aufzuheben und die entsprechenden Leistungsbegehren der Versicherten abzuweisen, was zu einer Rückforderung der in der Vergangenheit ausgerichteten Leistungen führen werde. Am 14. September 2017 liess die Versicherte einwenden (IV-act. 199), die behandelnden Fachärzte seien keine Laien, sondern Fachpersonen, die aufgrund ihrer Lebens- und Berufserfahrung

durchaus in der Lage seien, eine wirklich depressive Person von einer Simulantin zu unterscheiden. Ihre Berichte seien deshalb nach wie vor überzeugend. Die IV-Stelle habe den massgebenden Sachverhalt bei den ursprünglichen Leistungszusprachen umfassend abgeklärt. Für die Durchführung einer Observation habe keine ausreichende gesetzliche Grundlage bestanden. Die Ergebnisse der Observation seien anhand von Pauschalbeurteilungen und „Glaubenssätzen“ gewürdigt worden; eine sachliche Beurteilung habe nicht stattgefunden. Der behandelnde Psychiater habe darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse der Observation nicht im Widerspruch zu den Angaben der Beschwerdeführerin stünden. Das von Dr. E. erstellte Gutachten sei mangelhaft, unvollständig und einseitig. Der Sachverständige habe sich nicht mit der Krankengeschichte der Versicherten auseinandergesetzt. Nach zwei Abtreibungen leide die Versicherte an einer posttraumatischen Belastungsstörung (sog. „post abortion syndrome“). Als weiteres traumatisches Erlebnis sei ein schwerer Unfall des ältesten Sohnes auf einer Schulreise im Juni 2004 zu erwähnen. Darauf sei Dr. E. nicht hinreichend eingegangen. Bei der von Dr. E. attestierten unterdurchschnittlichen Intelligenz hätte die Versicherte die Ärzte nicht zwölf Jahre lang täuschen können. Mit einer Verfügung vom 3. Oktober 2017 hob die IV-Stelle ihre leistungszusprechenden Verfügungen vom 18. Mai 2005 und vom 2. Oktober 2008 auf; sie wies die Leistungsbegehren der Versicherten ab und sie hielt fest, dass die unrechtmässig bezogenen Leistungen zurückzuerstatten seien (IV-act. 200). Bezugnehmend auf die Einwände der Versicherten führte sie aus, für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit und der Selbständigkeit der Versicherten im Alltag seien nicht die Ausführungen der Rechtsvertreterin als eines medizinischen Laien, sondern die Schlussfolgerungen des Sachverständigen Dr. E. massgebend. Die Vorwürfe der Versicherten gegen das Gutachten von Dr. E. verfingen nicht. Ausserdem habe die Täuschung der behandelnden Ärzte keine besonders hohen Anforderungen an die Intelligenz gestellt, denn die Versicherte habe sich im Grunde nur darauf beschränkt, sich völlig passiv zu verhalten. Dafür sei kein „grosses Geschick“ erforderlich gewesen. Die Stellungnahme von Dr. C. vom 2. Oktober 2014 belege eindrücklich, dass dieser den Darstellungen der Versicherten selbst nach der Vorlage von „harten Beweisen“ noch völlig unkritisch gegenüber gestanden sei. Mit einer Verfügung vom 12. Oktober 2017 forderte die IV- Stelle von der Versicherten unrechtmässig bezogene Leistungen in der Höhe von insgesamt 631’502 Franken zurück (IV-act. 201).

B.

    1. Am 3. November 2017 liess die Versicherte (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) eine Beschwerde gegen die Verfügungen vom 3. Oktober 2017 und vom 12. Oktober 2017 erheben (act. G 1). Ihre Rechtsvertreterin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügungen, die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin einen Anspruch auf die bereits bezogenen Leistungen gehabt habe und diese nicht zurückerstatten müsse, die Weiterausrichtung der bisherigen Rente und der bisherigen Hilflosenentschädigung, eventualiter in einem angepassten Ausmass sowie eine multidisziplinäre medizinische Untersuchung in einem stationären Rahmen unter Einbezug der gesamten Krankengeschichte der Beschwerdeführerin eventualiter die Rückweisung der Sache zur Durchführung einer solchen Begutachtung an die IV- Stelle (nachfolgend: die Beschwerdegegnerin). In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragte sie die gemeinsame Überprüfung der Verfügungen vom 3. Oktober 2017 und vom 12. Oktober 2017 in einem (vereinigten) Beschwerdeverfahren sowie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bezüglich der Rückforderung. Die Begründung entsprach jener in der Eingabe vom 14. September 2017.

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragte am 22. Januar 2018 die Abweisung der Beschwerde (act. G 4). Zur Begründung verwies sie auf ihre in der angefochtenen Verfügung enthaltene Stellungnahme zur Eingabe vom 14. September 2017.

    3. Am 5. April 2018 wurde der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt (act. G 5).

    4. Am 28. Mai 2018 liess die Beschwerdeführerin replicando geltend machen (act.

      G 10), anhand der Observationsergebnisse dürften keine Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin gezogen werden, denn die Bilder zeigten Momentaufnahmen an Tagen, an denen es die Schwiegermutter und die Schwiegertochter tatsächlich einmal geschafft hätten, die Beschwerdeführerin zum Hinausgehen zu motivieren. Es handle sich um einen reinen Zufall, dass die Observationen an genau jenen Tagen stattgefunden hätten. Zudem sei fraglich, ob die Observationsergebnisse überhaupt verwertet werden könnten. Die von der Polizei und dem Untersuchungsamt sichergestellten Videosequenzen zeigten nicht das Verhalten der Beschwerdeführerin im Alltag, sondern rare Familienanlässe, die für die

      Beschwerdeführerin und ihre Familie so wichtig gewesen seien, dass sie sich unter starkem Medikamenteneinfluss bemüht habe, die anderen Familienmitglieder an diesen besonderen Tagen nicht spüren zu lassen, wie schlecht es ihr tatsächlich gegangen sei.

    5. Die Beschwerdegegnerin führte in ihrer Duplik vom 29. Juni 2018 aus (act. G 12), die Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Replik seien angesichts der Beweislage mehr als befremdend. Das Festhalten an der Behauptung, es liege ein invalidisierendes Leiden vor, sei als eine Fortsetzung des Delikts zu sehen, indem die Beschwerdeführerin und ihre Rechtsvertreterin versuchten, einen weiteren unrechtmässigen Leistungsbezug zu bewirken.

    6. Mit einem Zwischenentscheid vom 15. August 2018 (act. G 14) wies das Versicherungsgericht das Begehren um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde ab; auf das Begehren um die rückwirkende Wiederausrichtung der vorsorglich eingestellten Rente trat es nicht ein.

Erwägungen

1.

    1. Die Beschwerde richtet sich gegen zwei Verfügungen, von denen jede zwei Streitgegenstände beinhaltet: Mit der Verfügung vom 3. Oktober 2017 hat die Beschwerdegegnerin ihre ursprüngliche Rentenzusprache durch eine Abweisung des Rentenbegehrens und ihre ursprüngliche Zusprache einer Hilflosenentschädigung durch eine Abweisung des entsprechenden Begehrens ersetzt; mit der Verfügung vom

      12. Oktober 2017 hat die Beschwerdegegnerin sämtliche ausgerichteten Rentenleistungen und sämtliche ausgerichteten Hilflosenentschädigungszahlungen zurückgefordert. Die Beschwerdeführerin hat ihr Nichteinverständnis in Bezug auf alle vier Streitgegenstände erklärt. Wegen des engen sachlichen Zusammenhangs dieser Streitgegenstände sind aber nicht vier, sondern nur ein Beschwerdeverfahren eröffnet worden, was bedeutet, dass eine Vereinigung von mehreren Beschwerdeverfahren stattgefunden hat. Diese Vereinigung beseitigt die Gefahr sich widersprechender Entscheide und sie reduziert den Verfahrensaufwand, insbesondere den Schriftenwechsel und die Entscheidbegründung. Sie hat aber nicht zur Folge, dass die Streitgegenstände „verschmelzen“ würden. Diese bleiben von der Vereinigung unberührt und haben folglich weiterhin je ein eigenes juristisches Schicksal. Das

      bedeutet, dass es der Beschwerdeführerin frei steht, diesen Beschwerdeentscheid beispielsweise nur bezüglich eines Streitgegenstandes beim Bundesgericht anzufechten und bezüglich der andern drei Streitgegenstände unangefochten in formelle Rechtskraft erwachsen zu lassen. Soweit möglich wird diesem Umstand mit einer entsprechenden Gliederung der Erwägungen und des Dispositivs Rechnung getragen.

    2. Beim Verwaltungsverfahren, das mit den beiden integral angefochtenen Verfügungen vom 3. Oktober 2017 und vom 12. Oktober 2017 abgeschlossen worden ist, hat es sich um ein Verfahren gehandelt, das auf eine sogenannt prozessuale Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) der beiden leistungszusprechenden Verfügungen vom

18. Mai 2005 (Rente) und vom 2. Oktober 2008 (Hilflosenentschädigung) abgezielt hat. Folglich ist in diesem Beschwerdeverfahren zu überprüfen, ob es rechtmässig gewesen ist, die beiden leistungszusprechenden Verfügungen vom 18. Mai 2005 und vom 2. Oktober 2008 revisionsweise ex tunc aufzuheben und durch Abweisungen der entsprechenden Leistungsbegehren zu ersetzen sowie die bisher bezogenen Leistungen gestützt auf den Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG zurückzufordern.

2.

Vorab ist zu prüfen, ob die Aktenlage zu bereinigen ist respektive ob die Observationsergebnisse aus den Akten entfernt werden müssen, wie es die Beschwerdeführerin sinngemäss beantragt hat. Diesbezüglich ist zu unterscheiden zwischen den Ergebnissen der von der Beschwerdegegnerin in Auftrag gegebenen Observationen und den Beweismitteln, die im Strafverfahren beschafft worden sind, wozu insbesondere die Ergebnisse polizeilicher Überwachungsmassnahmen und die anlässlich einer Hausdurchsuchung sichergestellten Beweismittel gehören. In Bezug auf die im Strafverfahren beschafften Beweismittel kommt eine Aktenbereinigung zum Vorneherein nicht in Frage, da diese rechtmässig beschafft worden sind. Der Auftrag der Beschwerdegegnerin zur Durchführung von mehreren Observationen ist dagegen mangels einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage als rechtswidrig zu qualifizieren; gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bedeutet das aber nicht automatisch, dass es auch rechtswidrig wäre, die Observationsergebnisse zu verwerten (vgl. zum Ganzen den BGE 143 I 377). Die Frage nach der Verwertbarkeit der Observationsergebnisse ist anhand einer Abwägung zwischen den Interessen der Beschwerdeführerin (insbesondere am Schutz ihrer Privatsphäre) und zwischen den Interessen der Versichertengemeinschaft (insbesondere an der Vermeidung von unrechtmässigen Leistungsauszahlungen) zu beantworten. Angesichts der Höhe der von der Beschwerdeführerin allmonatlich bezogenen Leistungen und unter

Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin es mit ihrem Verhalten weitgehend verunmöglicht hat, den massgebenden Sachverhalt hinreichend objektiv abzuklären, da sie bei den medizinischen Untersuchungen geschwiegen und bei den Abklärungen im Haushalt (angeblich) tief und fest geschlafen hat, überwiegt das öffentliche Interesse an der Verwertung der Observationsergebnisse. Erst diese

„fremdanamnestischen Angaben“ haben es der Beschwerdegegnerin nämlich erlaubt, sich ein umfassendes und objektives Bild vom wahren Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin – gerade auch in vermeintlich unbeobachteten Situationen – zu verschaffen. Es besteht zusammenfassend also kein Anlass dazu, die Observationsergebnisse aus den Akten zu entfernen. Für die Überprüfung der angefochtenen Verfügungen auf deren Rechtmässigkeit sind sämtliche Akten zu würdigen.

3.

    1. Laut dem Art. 53 Abs. 1 ATSG müssen formell rechtskräftige Verfügungen in (sogenannt prozessuale) Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war. Als „neu“ gelten nicht Tatsachen, die erst nach dem Erlass der formell rechtskräftigen Verfügung eingetreten sind, denn solchen nachträglichen Sachverhaltsveränderungen wird mit der Anwendung des Art. 17 Abs. 1 ATSG Rechnung getragen. Der Art. 53 Abs. 1 ATSG bezweckt die Korrektur einer von Anfang an bestehenden qualifizierten Unrichtigkeit. Folglich muss es sich um Tatsachen handeln, die im Zeitpunkt des Erlasses der formell rechtskräftigen Verfügungen bereits bestanden haben, aber damals noch nicht bekannt gewesen sind. Hat sich nur eine Partei – typischerweise der Versicherungsträger – in Unkenntnis über die fragliche erhebliche Tatsache befunden, liegt ein „gewöhnlicher“ Wiedererwägungsfall vor (vgl. Art. 53 Abs. 2 ATSG), denn diese einseitige Unkenntnis hat in aller Regel zu einer zweifellos unrichtigen Verfügung geführt, deren Berichtigung von erheblicher Bedeutung sein dürfte. Soll der Anwendungsbereich des Art. 53 Abs. 1 ATSG nicht vollständig in jenem des Art. 53 Abs. 2 ATSG aufgehen, muss es aber Fälle geben, in denen zwar eine Anwendung des Art. 53 Abs. 1 ATSG, nicht aber eine Anwendung des Art. 53 Abs. 2 ATSG in Frage kommt. Das können nur Fälle sein, in denen beide Parteien sich in Unkenntnis über eine entscheidrelevante Tatsache befunden haben. Diesen Fällen kann nämlich nicht mit einer Anwendung des Art. 53 Abs. 2 ATSG begegnet werden, weil bei einer allseitigen Unkenntnis über eine entscheidrelevante Tatsache die ursprüngliche Verfügung in der Regel bei der damaligen Sach- und Rechtslage als vertretbar und damit nicht als zweifellos unrichtig

      zu qualifizieren sein dürfte. Jedenfalls würde dem Art. 53 Abs. 1 ATSG kein eigenständiger Anwendungsbereich verbleiben, wenn bereits eine einseitige Unkenntnis eine sogenannt prozessuale Revision erlauben würde. Nach der Auffassung des Bundesgerichtes ist aber dessen ungeachtet eine erhebliche neue Tatsache bereits im Umstand zu erblicken, dass einem Arzt beziehungsweise einer IV-Stelle, die auf dessen Bericht abgestellt hat, eine von der versicherten Person ausgeübte Aktivität verborgen geblieben ist (Urteil des Bundesgerichtes 8C_658/2017 vom 23. Februar 2018, E. 5.1, mit Hinweisen). Das bedeutet, dass der Art. 53 Abs. 1 ATSG auch in typischen Wiedererwägungsfällen angewendet werden kann, was die – vom Bundesgericht bislang nicht beantwortete – Frage aufwirft, in welchen Fällen ein Versicherungsträger verpflichtet ist, eine Korrektur einer formell rechtskräftigen Verfügung mit Wirkung ex tunc vorzunehmen (Art. 53 Abs. 1 ATSG) und in welchen Fällen es in seinem Belieben steht, ob er ein Verfahren eröffnen will, das auf eine solche Korrektur abzielt (Art. 53 Abs. 2 ATSG). Jedenfalls zwingt die bundesgerichtliche Auffassung zur Bejahung der grundsätzlichen Zulässigkeit einer sogenannt prozessualen Revision.

    2. Obwohl der Art. 53 Abs. 1 ATSG keine weiteren Bedingungen nennt, die für eine sogenannt prozessuale Revision erfüllt sein müssten, und obwohl er keinen Verweis auf ergänzend zu beachtende Gesetzesbestimmungen enthält, geht das Bundesgericht offenbar davon aus, dass bei der Anwendung des Art. 53 Abs. 1 ATSG die im Art. 67 Abs. 1 VwVG enthaltenen Fristen zu beachten seien, und zwar selbst dann, wenn ein Revisionsverfahren nicht auf ein Begehren hin, sondern von Amtes wegen eröffnet wird. Das Bundesgericht unterstellt also, dass der Art. 53 Abs. 1 ATSG eine ausfüllungsbedürftige Lücke enthalte. Diese Auffassung überzeugt nicht, weil nicht unterstellt werden kann, dass der Gesetzgeber für den Art. 53 Abs. 1 ATSG versehentlich einen Wortlaut formuliert hätte, der die ergänzende Anwendung der entsprechenden Bestimmungen des VwVG ganz klar ausschliesst. Das ist für den vorliegenden Fall allerdings irrelevant, weil die massgebenden Verwirkungsfristen gewahrt worden sind. Für das Ergebnis spielt es also keine Rolle, ob die im Art. 67 Abs. 1 VwVG erwähnten Fristen zu beachten sind. Bezüglich der 90 Tage dauernden relativen Frist, die ab der sicheren Kenntnis des Revisionsgrundes zu laufen begonnen hat, ist der Eingang der vollständigen Strafakten einschliesslich der Anklageschrift massgebend, denn ab diesem Zeitpunkt ist die Sachverhaltsabklärung abgeschlossen gewesen, die zuletzt hauptsächlich vom kantonalen Untersuchungsamt durchgeführt worden war. Da die vollständigen Strafakten und damit auch das Gutachten von Dr.

      E. im Mai 2017 bei der Beschwerdegegnerin eingegangen sind und da diese noch

      im Juli 2017 den – gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung fristwahrenden –

      Vorbescheid erlassen hat, ist die 90 Tage dauernde relative Frist gewahrt gewesen. Die absolute, zehn Jahre dauernde Frist ist dagegen nur bezüglich der Hilf­ losenentschädigung, nicht aber bezüglich der Rente gewahrt gewesen. Gemäss dem Art. 67 Abs. 2 VwVG in Verbindung mit dem Art. 66 Abs. 1 VwVG ist die absolute, zehn Jahre dauernde Frist allerdings nicht zu beachten, wenn der ursprüngliche Entscheid von einem Verbrechen von einem Vergehen beeinflusst gewesen ist. Die Frage, ob die ursprüngliche Rentenzusprache von einem Verbrechen von einem Vergehen beeinflusst gewesen ist, kann vorliegend nicht anhand eines rechtskräftigen Strafurteils beantwortet werden, da das Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin noch hängig und offenbar bis zum Abschluss dieses Beschwerdeverfahrens sistiert ist. Folglich muss das Versicherungsgericht vorfrageweise prüfen, ob eine strafbare Handlung vorgelegen hat, die eine sogenannt prozessuale Revision nach mehr als zehn Jahren erlaubt hat (vgl. zum Ganzen BGE 138 V 74, insb. E. 6 f.). Das Ergebnis dieser Prüfung hat keine präjudizierende Wirkung für das noch hängige Strafverfahren.

    3. Die Anklageschrift des kantonalen Untersuchungsamtes vom 5. Mai 2017 lautet auf gewerbsmässigen Betrug (Art. 146 Abs. 2 StGB). Mit ihrem Verhalten könnte die Beschwerdeführerin auch dem Art. 70 IVG in Verbindung mit dem Art. 87 AHVG zuwidergehandelt haben, aber dieses Vergehen dürfte wohl durch den gewerbsmässigen Betrug konsumiert sein. Mit Blick auf die hier zu beantwortende (Vor-) Frage, ob ein Verbrechen ein Vergehen auf die unrechtmässige Leistungszusprache eingewirkt hat, ist es grundsätzlich unerheblich, welcher

      Tatbestand geprüft wird. Mit Blick auf die absolute Verwirkungsfrist für sämtliche in der Vergangenheit ausgerichteten Leistungen bietet es sich allerdings an, die vorfrageweise Prüfung auf die Frage zu beschränken, ob der objektive und der subjektive Tatbestand des Betrugs erfüllt sind, denn nur wenn diese Frage bejaht werden kann, ist es rechtmässig gewesen, sämtliche Versicherungsleistungen zurückzufordern. Des Betrugs im Sinne des Art. 146 Abs. 1 StGB schuldig macht sich, wer in der Absicht, sich unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch die Vorspiegelung Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, durch das dieser sich selbst einen andern am Vermögen schädigt. Der Tatbestand des Betrugs beinhaltet die Elemente (arglistige) Täuschung, Irrtum, Verfügung, Schaden und Vorteil (BSK Strafrecht II-Arzt, Art. 146 N 31). Eine relevante Täuschung liegt insbesondere dann vor, wenn falsche Tatsachen vorgespiegelt werden, das heisst wenn jemand bei einem Dritten einen falschen Eindruck über beweisbare Sachverhaltselemente erweckt. Rechtsprechungsgemäss liegt eine arglistige Täuschung unter anderem dann vor, wenn sich der Täter zur Täuschung besonderer

      Machenschaften („Lügengebäude“) bedient wenn die Überprüfung der falschen Angaben dem Getäuschten nicht nur mit besonderer Mühe möglich nicht zumutbar ist (BSK Strafrecht II-Arzt, Art. 146 N 56, mit Hinweisen). Die arglistige Täuschung muss zu einem Irrtum eines Dritten führten, der die vorgespiegelte Tatsache also für wahr halten muss (vgl. BSK Strafrecht II-Arzt, Art. 146 N 72). Als Folge dieses Irrtums muss dieser Dritte eine für sich nachteilige Vermögensverfügung tätigen (vgl. BSK Strafrecht II-Arzt, Art. 146 N 77). Der „für den objektiven Tatbestand charakteristische Zusammenhang von der Täuschung bis zum Schaden“ respektive bis zum eigenen Vorteil muss vom Täter „in seinen Umrissen gewollt“ gewesen sein (BSK Strafrecht II-Arzt, Art. 146 N 129).

    4. Für die Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer arglistigen Täuschung im Sinne des Art. 146 Abs. 1 StGB ist entscheidend, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmass die Beschwerdeführerin in der Zeit ab dem Jahr 2004 an einer rentenbegründenden an einer einen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung verschaffenden Gesundheitsbeeinträchtigung gelitten hat. Diesbezüglich sind die medizinischen Akten zu würdigen. Im Auftrag des kantonalen Untersuchungsamtes hat Dr. E. ein psychiatrisches Gutachten erstellt. Er hat die Beschwerdeführerin eingehend persönlich während insgesamt sechs Stunden untersucht und er hat telefonische Auskünfte bei der behandelnden Psychiaterin und beim Hausarzt der Beschwerdeführerin eingeholt. Zudem hat er die Videoaufnahmen, die im Auftrag der Beschwerdegegnerin und im Auftrag des kantonalen Untersuchungsamtes erstellt worden waren, sowie das private Bild- und Videomaterial der Beschwerdeführerin, das vom kantonalen Untersuchungsamt sichergestellt worden war, eingehend gewürdigt. Das sichergestellte private Bild- und Videomaterial der Beschwerdeführerin hat den gesamten Zeitraum ab März 2004 beschlagen: Ein Video aus vom März 2004 zeigt Szenen vom ersten Geburtstagsfest einer Tochter der Beschwerdeführerin, wobei auch Tanzeinlagen der Beschwerdeführerin zu sehen sind; weitere Aufnahmen, die gemäss den überzeugenden Ausführungen der Beschwerdegegnerin (vgl. IV-act. 195) auf die Jahre 2005 und 2006 zu datieren sind, zeigen ein Volksfest, bei dem die Beschwerdeführerin wiederum fröhlich getanzt hat, einen Winterspaziergang der Familie, Szenen einer Autofahrt mit der Beschwerdeführerin als Wagenlenkerin, einen Jahrmarktbesuch, Szenen aus dem Familienleben, die die Beschwerdeführerin als im Haushalt tätig und sich um die Kinder kümmernd zeigen, sowie einen Badeausflug ans Meer; aus den Jahren 2010 und 2013 stammen Aufnahmen von festlichen Anlässen, bei denen die Beschwerdeführerin wiederholt fröhlich tanzend und einmal unter dem Anfeuern und Geklatsche der übrigen Festteilnehmer eine Tanzeinlage auf einem Stuhl aufführend zu sehen ist. Der psychiatrische Sachverständige Dr. E. hat diese

      Aufnahmen zu Recht als authentisch qualifiziert, weshalb er nicht nur für den damaligen Untersuchungszeitpunkt, sondern auch für die Vergangenheit (ab dem Jahr 2004) über eine ausreichende Sachverhaltskenntnis verfügt hat. Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin besteht kein Grund zur Annahme, dass Dr. E. wesentliche Tatsachen übersehen ausgeblendet hätte. Ihm sind insbesondere die beiden Abtreibungen sowie der Unfall des Sohnes bekannt gewesen (vgl. IV-act. 193– 8). Anders als die behandelnden Ärzte hat Dr. E. konsequent zwischen den subjektiven Angaben der Beschwerdeführerin und dem von ihm erhobenen objektiven klinischen Befund unterschieden, wobei er – im Gegensatz zu den behandelnden Ärzten – eingehend anhand verschiedener Instrumente geprüft hat, ob und bis zu welchem Grad die subjektiven Angaben der Beschwerdeführerin authentisch respektive glaubwürdig gewesen sind. Diese Würdigung ist nicht einseitig, sondern objektiv erfolgt. Das Gutachten von Dr. E. enthält keinen Hinweis darauf, dass er voreingenommen gewesen wäre dass er wesentliche Sachverhaltsaspekte unberücksichtigt gelassen hätte. Der Sachverständige hat seine Schlussfolgerungen ausführlich und überzeugend begründet. Das Gutachten enthält keine Widersprüchlichkeiten und auch in den übrigen Akten finden sich keine Hinweise, die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Gutachtens wecken würden. Insbesondere sind die undifferenzierten und einseitigen Berichte der behandelnden Ärzte, die selbst nach einer Konfrontation mit den den subjektiven Angaben der Beschwerdeführerin offensichtlich widersprechenden Observationsergebnissen weiterhin ausschliesslich auf die subjektiven Angaben der Beschwerdeführerin abgestellt haben, nicht geeignet, Zweifel am Gutachten von Dr. E. aufkommen zu lassen. Der Sachverständige Dr.

      E. hat zudem mit einer überzeugenden Begründung dargelegt, dass „zumindest simulatorische Elemente“ vorgelegen haben (IV-act. 193–31). Simulation ist gemäss dem Klinischen Wörterbuch von Pschyrembel eine „bewusste, zweckgerichtete und durch externe Anreize motivierte Vortäuschung einer Symptomatik, krankhaften Störung Funktionseinschränkung. Der Unterschied zu einer psychischen, somatoformen beziehungsweise psycho-somatischen Störung liegt im Bewusstsein der Person (Simulation: Beschwerden werden präsentiert, aber nicht erlebt; psychische Störung: Beschwerden werden präsentiert und erlebt)“ (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 267. Aufl. 2017, S. 1669). Indem Dr. E. aus fachärztlicher Sicht das Vorliegen von „simulatorischen Elementen“ bejaht hat, hat er bestätigt, dass die Beschwerdeführerin bewusst und zweckgerichtet respektive durch externe Anreize motiviert, das heisst willentlich unwahre Angaben gemacht und nicht vorhandene Beschwerden präsentiert hat. Diese Schlussfolgerung deckt sich mit den erheblichen Widersprüchen zwischen den Angaben und dem Verhalten der Beschwerdeführerin in Untersuchungs- und Behandlungssituationen einerseits und ihrem Verhalten in

      vermeintlich unbeobachteten Alltagssituationen andererseits, wobei sich diese Widersprüche unter Berücksichtigung des sichergestellten Bild- und Videomaterials durch den gesamten massgebenden Zeitraum ab dem Jahr 2004 wie ein roter Faden durch die Akten ziehen. In den gesamten Akten findet sich kein einziger Hinweis, der Zweifel an den Schlussfolgerungen des Sachverständigen Dr. E. wecken würde. Folglich steht gestützt auf das Gutachten von Dr. E. mit dem für die vorfrageweise zu beantwortende Frage nach dem Vorliegen eines Verbrechens Vergehens massgebenden erforderlichen Beweisgrad der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit fest, dass die Beschwerdeführerin während des gesamten massgebenden Zeitraums nie langfristig schwergradig in ihrer Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt gewesen ist, sondern dass sie bewusst und zweckgerichtet unwahre Angaben gemacht und nicht vorhandene Beschwerden präsentiert hat. Die Beschwerdeführerin hat also durch ihr Verhalten gegenüber Ärzten und Mitarbeitern der Beschwerdegegnerin konsequent den Eindruck erweckt, dass sie an einer schweren psychischen Erkrankung leide, die ihre Arbeitsfähigkeit und sogar die Fähigkeit, die alltäglichen Lebensverrichtungen selbständig ausführen zu können, weitgehend aufhebe, obwohl sie gemäss dem Gutachten von Dr. E. durchgehend ohne grössere Einschränkungen arbeitsfähig und damit sicher auch in den alltäglichen Lebensverrichtungen selbständig gewesen ist. Die Beschwerdegegnerin hat der Unrichtigkeit der subjektiven Angaben und der Beschwerdepräsentationen der Beschwerdeführerin nur mittels einer Observation auf die Schliche kommen können. Sie ist also nicht „allzu leichtgläubig auf eine Lüge“ hereingefallen (vgl. BSK Strafrecht II-Arzt, Art. 146 N 50, mit Hinweisen), weshalb das Vorliegen einer arglistigen Täuschung zusammenfassend zu bejahen ist. Diese hat zu einem Irrtum der Beschwerdegegnerin geführt, denn diese hat die vorgespiegelten Tatsachen für wahr gehalten. Als Folge dieses Irrtums hat sie eine für sich nachteilige Vermögensdisposition getätigt, indem sie jahrelang Rentenleistungen und eine Hilflosenentschädigung ausbezahlt hat, was zu einem entsprechenden Schaden von

      insgesamt 631’502 Franken geführt hat. Diesem Schaden der Beschwerdegegnerin hat ein Vorteil der Beschwerdeführerin gegenübergestanden, die diese Leistungen unrechtmässig hat beziehen können. Dieser „für den objektiven Tatbestand charakteristische Zusammenhang von der Täuschung bis zum Schaden“ ist von der Beschwerdeführerin „in seinen Umrissen gewollt“ gewesen (BSK Strafrecht II-Arzt,

      Art. 146 N 129), denn die Beschwerdeführerin hat mit der Vorspiegelung eines unwahren Gesundheitszustandes Leistungen der Beschwerdegegnerin für sich erwirken wollen. Zusammenfassend ist daher der Tatbestand des Betrugs vorfrageweise als erfüllt zu betrachten.

    5. Vorliegend muss also von einer Einwirkung eines Verbrechens eines Vergehens auf die unrechtmässige Rentenzusprache ausgegangen werden, was bedeutet, dass die absolute, zehnjährige Verwirkungsfrist für die Durchführung einer sogenannt prozessualen Revision unbeachtlich ist. Zusammenfassend sind damit alle gesetzlichen und rechtsprechungsgemäss geforderten Voraussetzungen für eine sogenannt prozessuale Revision sowohl der ursprünglichen rentenzusprechenden als auch der ursprünglichen eine Hilflosenentschädigung zusprechenden Verfügung erfüllt gewesen. Das bedeutet, dass die Beschwerdegegnerin die beiden leistungszusprechenden Verfügungen vom 18. Mai 2005 und vom 2. Oktober 2008 zu Recht integral aufgehoben hat. Die Folge davon ist, dass sowohl das ursprüngliche Rentenverfahren als auch das ursprüngliche Verfahren betreffend eine Hilflosenentschädigung wieder „aufgelebt“ haben respektive rechtshängig geworden sind, sodass die Beschwerdegegnerin für diese beiden Verfahren je einen neuen verfahrensabschliessenden, rechtsgestaltenden Entscheid hat fällen müssen, die nun beide im Weiteren auf ihre Rechtmässigkeit zu prüfen sind.

4.

    1. Eine versicherte Person hat gemäss dem Art. 28 Abs. 1 IVG einen Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung, wenn ihre Erwerbsfähigkeit nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder hergestellt, erhalten verbessert werden kann, wenn sie während eines Jahres ohne einen wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig gewesen ist und wenn sie nach dem Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid ist. Für die Bemessung der Invalidität wird in aller Regel in Anwendung des Art. 28a Abs. 1 IVG in Verbindung mit dem Art. 16 ATSG das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach dem Eintritt der Gesundheitsbeeinträchtigung und nach der Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen bei einer ausgeglichenen Arbeitsmarktlage durch eine ihr zumutbare Erwerbstätigkeit erzielen könnte, in Beziehung zu jenem Erwerbseinkommen gesetzt, das sie erzielen könnte, wenn sie gesund geblieben wäre. Nach der Auffassung des Bundesgerichtes ist für die Beantwortung der Frage, nach welcher der im Art. 28a IVG genannten Methoden der Invaliditätsgrad zu berechnen ist, in erster Linie massgebend, wie sich die versicherte Person im hypothetischen „Gesundheitsfall“ verhalten hätte. Dabei sind sämtliche Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen. Vorliegend fällt ins Gewicht, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann vier Kinder haben, was bedeutet, dass ihr Lebensbedarf als Familie entsprechend hoch ist. Da der Ehemann über keine anerkannte Berufsausbildung verfügt und folglich nicht in der Lage gewesen ist, ein

      Erwerbseinkommen zu erzielen, das diesen Bedarf vollständig gedeckt hätte, wäre die Beschwerdeführerin aus finanziellen Gründen gezwungen gewesen, eine vollzeitige Erwerbstätigkeit aufzunehmen, wenn sie keine Leistungen der Invalidenversicherung hätte beziehen können. Lediglich für die erste Zeit ab dem Jahr 2004 müsste von einer vorübergehenden ausschliesslichen Betätigung im eigenen Haushalt ausgegangen werden, weil das jüngste Kind damals noch sehr klein gewesen ist. Die Methodenwahl spielt allerdings für das Ergebnis keine Rolle, denn unabhängig von der gewählten Methode resultiert kein rentenbegründender Invaliditätsgrad. Bei einem Einkommensvergleich ist der statistische Zentralwert der Hilfsarbeiterinnenlöhne als Valideneinkommen zu berücksichtigen, weil die Beschwerdeführerin über keine Berufsausbildung verfügt; das zumutbarerweise erzielbare Invalideneinkommen entspricht ebenfalls dem statistischen Zentralwert der Hilfsarbeiterinnenlöhne, da die Beschwerdeführerin während der gesamten Zeit ab dem Jahr 2004 und prognostisch auch für die Zeit nach der Eröffnung der hier angefochtenen Verfügung vom 3. Oktober 2017 aus medizinischer Sicht in der Lage gewesen ist, eine (leidensadaptierte) Hilfsarbeit ohne nennenswerte Einschränkungen zu verrichten. Im Einkommensvergleich resultiert also ein Invaliditätsgrad von null Prozent jedenfalls ein Invaliditätsgrad von deutlich weniger als 40 Prozent. Würde man die Beschwerdeführerin als Hausfrau qualifizieren, müsste der Invaliditätsgrad anhand eines Betätigungsvergleichs berechnet werden. Da aus medizinischer Sicht für den gesamten Zeitraum ab dem Jahr 2004 und prognostisch auch für die Zukunft keine nennenswerte Gesundheitsbeeinträchtigung vorgelegen hat, hätte die Beschwerdeführerin durchgehend zumindest eine weitgehend uneingeschränkte Leistung im Aufgabenbereich (Haushalt) erbringen können, weshalb auch bei einem Betätigungsvergleich ein wesentlich weniger als 40 Prozent betragender Invaliditätsgrad resultieren würde. Bei der Anwendung der sogenannten „gemischten Methode“ würde ein sich je teilweise aus dem Einkommens- und aus dem Betätigungsvergleich ergebender Invaliditätsgrad resultieren, der folglich ebenfalls null Prozent jedenfalls deutlich weniger als 40 Prozent betragen würde. Die Beschwerdegegnerin hat das Rentenbegehren der Beschwerdeführerin ist also zu Recht abgewiesen.

    2. Der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung setzt gemäss dem Art. 43bis Abs. 1 IVG unter anderem mindestens eine leichtgradige Hilflosigkeit voraus. Eine solche liegt laut dem Art. 37 Abs. 3 IVV vor, wenn die versicherte Person trotz der Abgabe von Hilfsmitteln in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig und in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist, wenn sie einer dauernden persönlichen Überwachung bedarf, wenn sie

      eine durch das Gebrechen bedingte ständige und besonders aufwendige Pflege benötigt, wenn sie wegen einer schweren Sinnesschädigung wegen eines schweren körperlichen Gebrechens nur dank regelmässiger und erheblicher Dienstleistungen Dritter gesellschaftliche Kontakte pflegen kann wenn sie dauernd auf eine lebenspraktische Begleitung angewiesen ist. Da gemäss dem überzeugenden Gutachten von Dr. E. augenscheinlich keine dieser Voraussetzungen erfüllt ist, hat die Beschwerdegegnerin das Begehren der Beschwerdeführerin um die Zusprache einer Hilflosenentschädigung zu Recht ohne Weiteres abgewiesen.

    3. Zusammenfassend erweist sich die Verfügung vom 3. Oktober 2017 damit als rechtmässig, weshalb die dagegen erhobene Beschwerde abzuweisen ist.

5.

Laut dem Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG sind unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten. Da die Beschwerdeführerin gemäss den obigen Ausführungen weder einen Anspruch auf eine Rente noch einen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung gehabt hat, hat sie die Rentenleistungen und die Hilflosenentschädigung unrechtmässig im Sinne des Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG bezogen. Das bedeutet, dass sie sämtliche bezogenen Leistungen zurückerstatten muss, soweit die Rückforderung nicht im Sinne des Art. 25 Abs. 2 ATSG erloschen ist. Auch diesbezüglich sind zwei Fristen massgebend, nämlich eine einjährige, relative Frist, die ab der Kenntnisnahme des Rückforderungsanspruchs zu laufen beginnt, und eine fünfjährige, absolute Frist. Die einjährige Frist ist hier offensichtlich gewahrt worden, wie sich aus den obigen Ausführungen zur relativen, nur 90 Tage dauernden Frist für die sogenannt prozessuale Revision ergibt (vgl. E. 3.2). Die absolute Fünfjahresfrist wäre nur teilweise gewahrt, doch sieht der Art. 25 Abs. 2 ATSG vor, dass bei einem Einwirken einer strafrechtlichen Handlung auf den unrechtmässigen Leistungsbezug die entsprechende längere Verjährungsfrist des Strafrechts massgebend ist. Da hier vorfrageweise von einem erfüllten Tatbestand eines Betrugs (Art. 146 StGB) auszugehen ist, ist für die absolute Verwirkungsfrist die strafrechtliche Fristdauer massgebend. Diesbezüglich sieht das Strafrecht eine Verwirkungsfrist von 15 Jahren vor (Art. 97 Abs. 1 lit. b StGB i.V.m. Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB). Folglich ist es zulässig gewesen, sämtliche Leistungen bis zurück ins Jahr 2004 zurückzufordern. Die Berechnung des Rückforderungsbetrages erweist sich als korrekt, weshalb sich zusammenfassend die Rückforderungsverfügung vom 12. Oktober 2017 ebenfalls als rechtmässig erweist. Auch die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde ist folglich abzuweisen.

6.

Die Gerichtskosten, die angesichts des ausserordentlich umfangreichen Videomaterials auf 900 Franken festzusetzen sind, wären an sich der Beschwerdeführerin aufzuerlegen. Zufolge der Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung ist sie von der Bezahlung dieser Kosten befreit. Da ihr auch die unentgeltliche Rechtsverbeiständung bewilligt worden ist, hat der Staat ihrer Rechtsvertreterin eine Entschädigung auszurichten, die 80 Prozent des erforderlichen Vertretungsaufwandes abdeckt (Art. 31 Abs. 3 AnwG). Der erforderliche Vertretungsaufwand ist vorliegend als unterdurchschnittlich zu qualifizieren, weil die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin infolge der Vertretung im Strafverfahren bereits über eine umfangreiche Aktenkenntnis verfügt hat. Die Parteientschädigung wäre demnach auf 2’500 Franken festzusetzen. Dieser Betrag ist in Anwendung des Art. 31 Abs. 3 AnwG um einen Fünftel auf 2’000 Franken zu reduzieren. Der Staat hat die Rechtsbeiständin der Beschwerdeführerin also mit 2’000 Franken zu entschädigen. Sollten es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse dereinst gestatten, wird die Beschwerdeführerin zur Nachzahlung der Gerichtskosten und zur Rückerstattung der Entschädigung für die unentgeltliche Rechtsverbeiständung verpflichtet werden können (Art. 99 Abs. 2 VRP

i.V.m. Art. 123 ZPO).

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Die Beschwerdeführerin wird von der Pflicht zur Bezahlung der Gerichtskosten von 900 Franken befreit.

3.

Der Staat hat die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin mit 2’000 Franken

(einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu entschädigen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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