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Urteil Versicherungsgericht (SG - IV 2014/37)

Zusammenfassung des Urteils IV 2014/37: Versicherungsgericht

Die Beschwerdeführerin war als Schulsekretärin tätig und wurde aufgrund gesundheitlicher Probleme arbeitsunfähig. Die IV-Stelle lehnte ihren Rentenantrag ab, da sie nur eine teilweise Invalidität von 9% feststellte. Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde und forderte eine halbe Invalidenrente. Das Gericht entschied, dass der Invaliditätsgrad mittels eines reinen Einkommensvergleichs ermittelt werden müsse. Da die zumutbare Invalidenkarriere nicht eindeutig bestimmt werden konnte, wurde die Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurückgewiesen. Das Gericht kritisierte die bisherige Rechtsprechung zur gemischten Methode und betonte die Notwendigkeit einer genauen Sachverhaltsabklärung.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts IV 2014/37

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2014/37
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2014/37 vom 19.07.2016 (SG)
Datum:19.07.2016
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 28 IVG und Art. 8 ATSG. Sowohl für Erwerbstätige als auch für Nichterwerbstätige bestimmt sich der rentenbegründende Schaden grundsätzlich in Nachachtung von Art. 8 Abs. 1 ATSG nach der Erwerbsunfähigkeit gemäss Art. 7 Abs. 1 ATSG. Eine Ausnahme von diesem Schadenkonzept sieht das Gesetz nur für diejenigen Nichterwerbstätigen vor, welche die folgenden kumulativen Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 3 ATSG erfüllen: Die versicherte Person war bereits vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen nichterwerbstätig und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit kann ihr aufgrund der Bedeutung des Familienlebens nicht zugemutet werden. Die hypothetischen Verhältnisse nach Eintritt der Gesundheitsbeeinträchtigung sind von Gesetzes wegen entgegen der davon abweichenden Rechtsprechung der Sozialrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts (BGE 133 V 504) für die Qualifikation und die Bestimmung des rentenbegründenden Schadens nicht relevant. Rückweisung zu weiteren medizinischen und erwerblichen Abklärungen (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. Juli 2016, IV 2014/37). Aufgehoben durch Urteil des Bundesgerichts 9C_552/2016.
Schlagwörter: ähig; Erwerb; Arbeit; Invalidität; IV-act; Erwerbsunfähigkeit; Erwerbstätigkeit; Arbeitsfähigkeit; Schaden; Recht; Gesundheit; Person; Haushalt; Bericht; Einkommen; Leistung; Rente; Invalidenrente; Einkommens; Aufgabe; Invaliditätsgrad; Aufgabenbereich; Rechtsprechung; Gesetzes
Rechtsnorm: Art. 14 EMRK ;Art. 16 ATSG ;Art. 1a AHVG ;Art. 29 ATSG ;Art. 7 ATSG ;Art. 8 ATSG ;
Referenz BGE:125 V 146; 125 V 150;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts IV 2014/37

Besetzung

Vizepräsident Ralph Jöhl, Versicherungsrichterinnen Monika Gehrer-Hug und Miriam Lendfers; Gerichtsschreiber Philipp Geertsen

Geschäftsnr. IV 2014/37

Parteien

A. ,

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Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Jau, M.A. HSG, Jau und Schäfer

Rechtsanwälte, Degersheimerstrasse 6, Postfach 136, 9230 Flawil,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin,

Gegenstand Rente Sachverhalt A

A.aA. wurde von ihrem Arbeitgeber, der Sekundarschulgemeinde B. , am 15. Februar 2011 zur Früherfassung angemeldet (IV-act. 1). In ihrem Entlassungsbericht vom 25. Januar 2011 (IV-act. 7) hatte die C. ausgeführt, die Versicherte sei stationär psychotherapeutisch-psychosomatisch behandelt worden. Sie leide an einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD-10 F32.1) im Rahmen einer beruflichen und persönlichen Überlastungssituation und an einer arteriellen Hypertonie. Es bestehe ein histrionisches Interaktionsmuster mit ausgeprägter Suche nach Anerkennung und Bestätigung. Die Stressbelastung finde vor allem auf der kardiovegetativen Ebene mit Panikattacken, Hypertonus und Bruxismus Ausdruck. Die Behandlung habe die depressive Symptomatik auf einen nicht klinischen Wert sinken lassen. Die spezifische Burn-out-Diagnostik deute auf eine Typ A Leistungskomponente mit hohem Ehrgeiz und Verausgabungsbereitschaft sowie auf eine bereits entwickelte Erschöpfungssymptomatik mit Abbau von Lebensqualität und hoher Resignationstendenz hin. Auffällig seien eine hohe emotionale Erschöpfung und eine starke Leistungseinbusse. Die IV-Stelle forderte die Versicherte am 14. März 2011 auf, ein Anmeldeformular auszufüllen (IV-act. 10). Dieser Aufforderung kam die Versicherte

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am 16. März 2011 nach (IV-act. 11). Dabei gab sie u.a. an, sie habe den Beruf der D. erlernt. Sie sei zu 50% erwerbstätig. Dr. med. E. vom RAD notierte am 30.

März 2011 (IV-act. 16, 22), Dr. med. F. und G. hätten am 25./ 30. März 2011 angegeben, die Versicherte leide an einer Anpassungsstörung (Burn-out) F. 43.2 (DD: mittelgradige depressive Episode F32.1) bei einer ausgeprägten Persönlichkeit mit perfektionistischen, leicht zwanghaften, aber leistungsorientierten und wenig flexiblen Zügen (Z73.1) ohne schwerwiegende körperliche Erkrankungen, aber mit psychosomatischen Reaktionen (Schwindel, Rückenschmerzen). Sie könne sich nicht vorstellen, wieder an den bisherigen Arbeitsplatz zurückzukehren, werde aber wohl wieder die volle Arbeitsfähigkeit erlangen. Mit einer Mitteilung vom 5. April 2011 verneinte die IV-Stelle einen Anspruch der Versicherten auf berufliche Eingliederungsmassnahmen (IV-act. 21). Dr. F. berichtete am 27. Juni 2011 (IV-act. 25), die Behandlung bestehe in einer psychotherapeutischen Begleitung und im Erlernen von Copingstrategien. Die Versicherte könne sich vorstellen, an einer anderen Arbeitsstelle tätig zu sein. Rein körperlich sei sie bei einer Erwerbstätigkeit nicht beeinträchtigt. Eingeschränkt seien das Konzentrationsvermögen, das Auffassungsvermögen, die Anpassungsfähigkeit und die Belastbarkeit. Der Eingliederungsverantwortliche der IV-Stelle notierte am 26. Juli 2011 (IV-act. 33), die Versicherte traue sich keine Erwerbstätigkeit mehr zu. Sie sei froh, wenn sie den Alltag bewältigen könne. Bei guter Gesundheit würde sie weiterhin zu 50% arbeiten. Mit einer Mitteilung vom 23. September 2011 verneinte die IV-Stelle erneut einen Anspruch der Versicherten auf berufliche Eingliederungsmassnahmen (IV-act. 36). Am 13. Oktober 2011 erliess sie eine mit „zurzeit kein Anspruch auf eine Invalidenrente“ überschriebene Verfügung, da das Wartejahr noch nicht abgelaufen war (IV-act. 38).

A.bDie Sekundarschulgemeinde B. berichtete am 18. Oktober 2011 (IV-act. 39), sie beschäftige die Versicherte als Sekretärin. Der Lohn betrage bei einem Beschäftigungsgrad von 50% seit dem 1. Januar 2011 Fr. 41‘136.50. Am 5. Dezember 2011 gab die Versicherte erneut an (IV-act. 40), dass sie ohne Behinderung zu 50% erwerbstätig wäre. Sie hielt weiter fest, wegen Rückenproblemen sei ihr längeres Stehen nur erschwert möglich. Ihr Ehemann helfe im Haushalt. Dr. F. berichtete am

13. Dezember 2011 (IV-act. 41), es sei neu ein progressives Lumbovertebralsyndrom mit Ischialgie links hinzugekommen. Die Psychotherapeutin G. teilte am 12. Januar 2012 mit (IV-act. 42), die psychosomatischen Beschwerden (muskuläre

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Verkrampfungen, Kopf- und Rückenschmerzen) hätten sich teilweise gebessert. Weiter vorhanden seien die schnelle Ermüdbarkeit, das Gefühl, einer komplexen Arbeit nicht mehr gewachsen zu sein, die Dünnhäutigkeit sowie die Anfälligkeit für Erkältungskrankheiten und Rückenschmerzen. Am 26. April 2012 gab F. ergänzend an (IV-act. 47), geblieben seien eine ausgeprägte Schlaflosigkeit, eine erhöhte Ermüdbarkeit und Konzentrationsschwierigkeiten. Hinzu gekommen seien somatische Beschwerden: Bronchitis mit Rückfällen, Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in das Bein und eine eitrige Entzündung des Fusses. Die Versicherte sei unfähig, im komplexen Umfeld ihres Berufes zu arbeiten. Der neue Hausarzt, Dr. med. habil. H. , berichtete am 8. Juni 2012 (IV-act. 51), die bisherige Tätigkeit sei nicht mehr zumutbar. Am 29. Oktober 2012 erfolgte eine Haushaltabklärung. Gemäss dem entsprechenden Bericht (IV-act. 56) gab die Versicherte dabei an, sie würde zu 50% einer Erwerbstätigkeit nachgehen, wenn sie gesund wäre. Ihr Ehemann beziehe eine monatliche AHV-Rente von Fr. 1‘837.-. Er bezahle seiner geschiedenen Ehefrau Unterhaltsleistungen von Fr. 1‘600.- monatlich. Zudem müsse er die Hälfte des Wertes des Hauses auszahlen. Bei der Haushaltführung (2,97%), bei der Ernährung (50,50%), bei der Wäsche/Kleiderpflege (8,71%) und bei (nicht definierten) weiteren Tätigkeiten (0,40%) bestehe keine Einschränkung. Bei der Wohnungspflege (13,07%) und beim Einkauf (6,53%) betrage die Einschränkung 20%. Bei der Betreuung des Enkelkindes (17,82%) sei sie zu 100% eingeschränkt. Die Abklärungsperson hielt im Bericht fest, dass sämtliche Einschränkungen mit Ausnahme der Betreuung des Enkelkindes durch den Ehemann der Versicherten kompensiert werden könnten. Deshalb betrage die Invalidität im Haushalt nur 17,82% bzw. aufgrund des Haushaltspensums von 50% nur 8,91%.

A.cDie IV-Stelle gab eine rheumatologische und psychiatrische Abklärung in Auftrag (IV-act. 59). Dr. med. I. , Rheumatologie und Innere Medizin FMH, und Dr. med.

J. , Psychiatrie und Psychotherapie FMH, beide zertifizierte medizinische Gutachter SIM, führten in ihrem Gutachten vom 25. Juni 2013 aus (IV-act. 74), die Versicherte leide an einem lumbospondylogenen Syndrom bds. mit/bei degenerativen Veränderungen der LWS und St. n. Dekompression, an einer depressiven Störung, aktuell mittelgradige Episode mit somatischem Syndrom (ICD 10: F32.11) und – ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit – an einer PHS calcarea links, aktuell klinisch stumm, an einer Persönlichkeitsakzentuierung mit zwanghaften, perfektionistischen Zügen (Z

73.1) und an einem Erschöpfungssyndrom (Z 73.0). Sie führten dazu aus, das lumbospondylogene Syndrom bds. limitiere die Belastbarkeit in körperlich schwereren, wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten (längerdauernde Haltungsmonotonien, z.B. Arbeit am PC ohne Ausgleichspositionen). Die aktuelle Ausprägung der somatischen Situation habe aber nie ein die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigendes Ausmass der Beschwerden erreicht. Es gebe keine klinischen Anhaltspunkte für eine Kompromittierung neuromeningealer Strukturen. Das gelte auch für eine allfällige psoriasisassoziierte entzündliche Gelenkserkrankung i.S. einer Spondarthropathie. Eine in den früheren Röntgenbildern dokumentierte Periarthropathia humero-scapularis calcarea sei derzeit klinisch stumm. Aus psychiatrischer Sicht seien die Diagnosen in den Vorberichten durchgängig einheitlich gewesen. Der Versicherten sei stets ein hoher Leistungsanspruch attestiert worden, was bei Personen mit einem Burn-out häufig sei. Die affektive Beteiligung sei entweder als Anpassungsstörung als mittelgradige Depression interpretiert worden, was in der aktuellen Untersuchung habe bestätigt werden können. Die komplexen Ich-Funktionen (Realitätsprüfung und Urteilsbildung, Beziehungsfähigkeit und Kontaktgestaltung, Affektsteuerung und Impulskontrolle, Selbstwertregulation und Regressionsfähigkeit, Intentionalität und Antrieb, Abwehrorganisation) seien erhalten, auch wenn insbesondere die Selbstwertregulierung aufgrund der affektiven Störung vermindert sei. Da die affektive Beteiligung auf einem mittelgradigen Niveau anzusiedeln sei, sei die Arbeitsfähigkeit nicht vollständig aufgehoben. Obwohl als Folge der fast dreijährigen Pause im Erwerbsleben eine deutliche Entspannung eingetreten sei, befinde sich die Versicherte immer noch in einem fragilen Zustand, in dem es nur wenige äussere Belastungsfaktoren brauche, um sie erneut dekompensieren zu lassen. In Bezug auf die Arbeitsfähigkeit hielt der rheumatologische Sachverständige fest, in der zuletzt mit einem 50%-Pensum ausgeübten Sekretariatsarbeit und in vergleichbaren körperlich leicht bis mittelschwer belastenden Tätigkeiten in wirbelsäulenadaptierten Wechselpositionen sei die Versicherte voll arbeitsfähig. Der psychiatrische Sachverständige gab an, die Versicherte sei bezogen auf ein 100%-Arbeitspensum und unabhängig vom letzten Beschäftigungsgrad zu rund 60% arbeitsfähig. Adaptiert seien Tätigkeiten an einem ruhigen Arbeitsort ohne übermässigen Kundenkontakt. Aus bidisziplinärer Sicht sei die Versicherte also zu 60% arbeitsfähig. Die Einschränkung von 18% im Haushalt sei nachvollziehbar, da die Versicherte so ausreichend Zeit habe,

den Haushalt langsam und stückweise zu erledigen. Die RAD-Ärztin Dr. med. K. notierte am 10. Juli 2013 (IV-act. 76-2), die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode sei anhand des Gutachtens vom 25. Juni 2013 nicht nachvollziehbar. Sie empfahl, das psychiatrische Teilgutachten anzufordern. In diesem Teilgutachten (IV- act. 75) hatte der psychiatrische Sachverständige u.a. ausgeführt, im klinischen Gespräch habe er leichte Einschränkungen der Aufmerksamkeit und der Konzentrationsfähigkeit festgestellt. Affektiv habe sich die Versicherte deprimiert und niedergeschlagen mit geringer Modulationsfähigkeit gezeigt. Sie sei aufgrund ständiger Überforderungsgefühle allgemein rasch erschöpfbar. Vorherrschend seien Anhedonie und Adynamie, Störung der Vitalgefühle und Verlust des Selbstwertgefühls. Die Versicherte habe starke Existenzängste geäussert. Psychomotorisch bestehe eher eine Antriebsminderung bei innerer Unruhe, Nervosität und Anspannung. Psychovegetativ bestünden Einschlafstörungen mit Gedankenkreisen und Grübelzwang. Es gebe Hinweise auf akzentuierte Persönlichkeitszüge mit zwanghaft perfektionistischen Anteilen. Das Beck-Depressions-Inventar habe einen stark erhöhten Wert ergeben, der subjektiv auf eine schwere depressive Symptomatik hinweise. Die Hamilton Depressionsskala habe einen Wert gezeigt, der auf eine mittelgradige Depression hinweise. Auch das Instrument SCL 90-R habe erhöhte Werte ergeben. Dr. K. vom RAD hielt dazu am 17. September 2013 fest (IV-act. 76-3), die attestierte 40%ige Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sei nun aus versicherungsmedizinischer Sicht nachvollziehbar.

  1. dDie IV-Stelle ermittelte den Invaliditätsgrad der Versicherten anhand der sogenannten gemischten Methode (IV-act. 78-2). Sie verglich ein Valideneinkommen von Fr. 41‘136.- bei einem Beschäftigungsgrad von 50% mit einem zumutbaren Invalideneinkommen bei einem Beschäftigungsgrad von 50% von ebenfalls Fr. 41‘136.-. Im erwerblichen Bereich resultierte also keine Invalidität. Für den Haushaltsbereich übernahm sie den Invaliditätsgrad von 8,91% bzw. aufgerundet 9% aus dem Abklärungsbericht. Mit einem Vorbescheid vom 2. Oktober 2013 teilte sie der Versicherten mit (IV-act. 80), dass sie deren Rentengesuch abweisen werde, weil der Invaliditätsgrad lediglich 9% betrage. Die Versicherte liess am 12. November 2013 einwenden (IV-act. 86), nebst der Arbeitsunfähigkeit von 40% aufgrund der mittelgradigen Depression müsse auch noch das Erschöpfungssyndrom beachtet werden, das aufgrund der Depression nicht überwunden werden könne. Die

    Restarbeitsfähigkeit könne auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nicht mehr verwertet werden. Was ein übermässiger Kundenkontakt sei, bleibe unklar. Es seien keine Sekretariatsarbeiten denkbar, an denen kein Kundenkontakt bestehe. Mit einer Verfügung vom 22. November 2013 wies die IV-Stelle das Rentenbegehren ab (IV-act. 87). Sie wies zur Begründung insbesondere darauf hin, dass es im kaufmännischen Bereich durchaus Tätigkeiten ohne übermässigen Kundenkontakt gebe.

    B.

  2. aDie Versicherte (im Folgenden: die Beschwerdeführerin) liess am 17. Januar 2014 Beschwerde erheben und die Zusprache einer halben Invalidenrente, eventualiter die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an die IV-Stelle (im Folgenden: die Beschwerdegegnerin) beantragen (act. G 1). Ihr Rechtsvertreter machte geltend, der somatische Teil des Gutachtens sei widersprüchlich, weil angegeben werde, das beidseitige lumbospondylogene Syndrom habe Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit, in der Beurteilung aber keine Auswirkungen angenommen würden. Das psychiatrische Teilgutachten bejahe die Arbeitsfähigkeitsrelevanz der mittelgradigen depressiven Störung und verneine sie für die Persönlichkeitsakzentuierung und das Erschöpfungssyndrom. Der Sachverständige habe diese Abweichung von früheren ärztlichen Berichten nicht begründet. Das Gutachten sei deshalb lückenhaft. Im Rahmen der Foerster’schen Kriterien sei die mittelgradige depressive Episode nicht berücksichtigt worden. Sie sei aber eine Komorbidität von erhebliche Schwere, Intensität und Dauer. Sie sei nicht überwindbar, zumal noch die Schlafstörung mit der entsprechend deutlich reduzierten Belastbarkeit, den Konzentrationsschwierigkeiten und der Überforderung hinzukomme. Da die Beschwerdeführerin erheblich beeinträchtigt sei und kurz vor dem Pensionierungsalter stehe, gebe es keine Stellen mehr, an denen sie ihre Restarbeitsfähigkeit verwerten könnte.

B.bDie Beschwerdegegnerin beantragte am 11. März 2014 die Abweisung der Beschwerde (act. G 4). Sie verwies darauf, dass die Beschwerdeführerin sich nicht gegen die Anwendbarkeit der gemischten Methode der Invaliditätsbemessung gewendet habe. Angesichts der harmlosen pathologischen Befunde im somatischen Bereich leuchte ein, dass die Leistungsfähigkeit qualitativ nicht eingeschränkt sei. Da die mittelgradige Depression medikamentös behandelt werden könnte, vermöge sie

„rechtlich […] keine Invalidität zu begründen“. Der Bericht über die Haushaltabklärung

sei beweiskräftig. Deshalb betrage der Gesamtinvaliditätsgrad 9%.

B.cDie Beschwerdeführerin liess am 12. Mai 2014 einwenden (act. G 8), das Gutachten sei in Bezug auf die Auswirkung des lumbospondylogenen Syndroms auf die Arbeitsfähigkeit widersprüchlich und deshalb nicht verwertbar. Zudem sei kein Burnout, sondern eine depressive Störung diagnostiziert worden. Therapeutisch habe sie alles versucht. Der psychiatrische Sachverständige habe angegeben, dass sie trotz der konsekutiv ausgebauten Psychotherapie nicht wieder in den Arbeitsprozess habe integriert werden können.

B.dDie Beschwerdegegnerin verzichtete am 26. Mai 2014 auf eine Stellungnahme (act. G 10).

B.eDie Beschwerdeführerin liess einen Bericht von G. vom 26. Mai 2014 einreichen (act. G 12.1), laut dem sie gegen Ende des Jahres 2011 das Antidepressivum langsam abgebaut hatte, was ihren Gesundheitszustand nicht verschlechtert hatte. Im anschliessenden therapeutischen Prozess waren wichtige Themen aktiv angegangen worden.

Erwägungen

1.

Gemäss Art. 28 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG;

SR 831.20) besteht ein Anspruch auf eine ganze Invalidenrente, wenn die versicherte Person mindestens zu 70% invalid ist. Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 60% besteht ein Anspruch auf eine Dreiviertelsrente, bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 50% ein Anspruch auf eine halbe Rente und bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40% ein Anspruch auf eine Viertelsrente. Die Invalidität kann die Folge eines Geburtsgebrechens, einer Krankheit eines Unfalls sein (Art. 4 Abs. 1 IVG). Sie besteht in der voraussichtlich bleibenden längere Zeit dauernden ganzen teilweisen Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]). Die Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen psychischen Gesundheit

verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 7 Abs. 1 ATSG). Für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit sind ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Eine Erwerbsunfähigkeit liegt zudem nur vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist (Art. 7 Abs. 2 ATSG). Volljährige, die vor der Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen psychischen Gesundheit nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, gelten als invalid, wenn eine Unmöglichkeit vorliegt, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen (Art. 8 Abs. 3 ATSG; siehe auch Art. 5 Abs. 1 IVG). Bei nicht erwerbstätigen Versicherten, die im Aufgabenbereich tätig sind und denen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, wird für die Bemessung der Invalidität in Abweichung von Art. 16 ATSG darauf abgestellt, in welchem Mass sie unfähig sind, sich im Aufgabenbereich zu betätigen (Art. 28a Abs. 2 IVG). Bei Versicherten, die nur zum Teil erwerbstätig (gewesen) sind, wird die Invalidität für diesen Teil nach Art. 16 ATSG festgelegt. Waren sie daneben auch im Aufgabenbereich tätig, so wird die Invalidität für diese Tätigkeit nach Absatz 2 festgelegt. In diesem Fall sind der Anteil der Erwerbstätigkeit und der Anteil der Tätigkeit im Aufgabenbereich festzulegen und der Invaliditätsgrad ist in beiden Bereichen zu bemessen (Art. 28a Abs. 3 IVG).

2.

Die Wahl der Methode zur Bemessung des Invaliditätsgrades hängt vom sogenannten Status ab, d.h. es ist zu untersuchen, ob die Beschwerdeführerin bei uneingeschränkter Gesundheit zu 100% erwerbstätig teils im Erwerb und teils im (eigenen) Haushalt tätig wäre. Ist letzteres der Fall, ist der Anteil der Erwerbstätigkeit (bezogen auf eine Normarbeitszeit) zu ermitteln. Die Beschwerdeführerin hat bereits im Fragebogen zur Rentenabklärung betreffend Erwerbstätigkeit/Haushalt (vgl. IV-act.

40-2) angegeben, dass sie ohne Behinderung zu 50% als Schulsekretärin tätig wäre. Anlässlich der Haushaltabklärung hat sie diese Aussage offenbar wiederholt, auch wenn im entsprechenden Bericht nur protokolliert worden ist, sie ginge zu 50%

(irgend-) einer Erwerbstätigkeit nach (vgl. IV-act. 56-3). Ob die Beschwerdeführerin sich bei dieser Auskunft tatsächlich auf die fiktive Situation einer vollständig erhaltenen

Gesundheit bezogen hat, steht nicht mit Sicherheit fest. Gemäss ihrer Schilderung in der Stellungnahme zum Bericht über die Haushaltabklärung (vgl. IV-act. 56-8) hat die Beschwerdeführerin nämlich nach der Scheidung im Jahr 1991 eine Vollzeitstelle angenommen und erst im Jahr 2001, „als die Kräfte […] ständig nachliessen und die somatischen Beschwerden zunahmen“, zuerst eine einjährige Auszeit genommen und dann eine 40%-Stelle angetreten und diese dann auf 50% aufgestockt. Es bestehen damit Indizien für die Annahme, dass die Beschwerdeführerin die Frage nach dem Ausmass der Erwerbstätigkeit im fiktiven „Gesundheitsfall“ falsch verstanden und sich auf die Zeit vor dem Burn-out und nicht auf die Zeit vor dem ersten Auftreten somatischer und psychischer Beschwerden bezogen hat, um sich vorzustellen, wie ihre Erwerbssituation wäre, wenn sie gesund geblieben wäre. Hinzu kommen die finanziellen Schwierigkeiten, in denen der Ehemann der Beschwerdeführerin steckt. Dies spricht ebenfalls für die Annahme, die Beschwerdeführerin würde zu 100% als Schulsekretärin arbeiten, wenn sie noch ganz gesund wäre. Die Frage nach dem hypothetischen Ausmass der Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfall kann indessen offen bleiben, da sie für die Beurteilung der Statusfrage nach der gesetzlichen Regelung von Art. 8 ATSG, die sich u.a. an der objektiven Zumutbarkeit orientiert, keine Relevanz besitzt (vgl. nachstehende E. 3.2.4).

3.

    1. Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber in einem unterdessen rechtskräftigen Urteil di Trizio vs. Schweiz vom 2. Februar 2016 (application no. 7186109) in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur gemischten Methode eine Verletzung von Art. 14 (Diskriminierungsverbot) i.V.m. Art. 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; SR 0.101) erkannt (vgl. die Wiedergabe der entsprechenden Erwägungen des Europäischen Gerichtshofes in der E. 2.1.1 des Entscheides des Versicherungsgerichtes St. Gallen vom 24. Mai 2016, IV 2014/125). In der früheren kantonalen Rechtsprechung insbesondere des Versicherungsgerichtes des Kantons St. Gallen (vgl. etwa den Entscheid des Versicherungsgerichtes des Kantons St. Gallen vom 9. August 2005, IV 2005/21 E. 6) und in der Lehre (jüngst Susanne Leuzinger-Naef, Gesetzgeberischer Handlungsbedarf beim Bundesgerichtsgesetz, in: plädoyer 2/16, S. 43; siehe auch u.a. Hans-Jakob Mosimann

      mit einer kritischen Besprechung von BGE 125 V 146, in AJP 2/2000, S. 213 ff., Alexandra Rumo-Jungo, Ausgewählte Gerichtsentscheide aus dem Sozialversicherungsrecht im Zusammenhang mit Teilzeitarbeitsverhältnissen, in: Freiburger Sozialrechtstag 1996, Bern 1996, S. 187 ff., Susanne Leuzinger, Sozialversicherungsrechtliche Probleme flexibilisierter Arbeitsverhältnisse, in: Freiburger Sozialrechtstag 1996, Bern 1996, S. 91 ff.; Franz Schlauri, Das Rechnen mit der Arbeitsunfähigkeit in Beruf und Haushalt in der gemischten Methode der Invaliditätsbemessung, Referat anlässlich der Sozialversicherungsrechtstagung vom

      25. und 26. Juni 2003 in Luzern, publ. in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, S. 307 ff.) ist die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur gemischten Methode seit langem kritisiert worden, allerdings i.d.R. nicht unter dem Aspekt der EMRK-Widrigkeit (vgl. allerdings Edgar Imhof, Die Bedeutung menschenrechtlicher Diskriminierungsverbote für die soziale Sicherheit, in Jusletter 7.2.2005, S. 7 f.), sondern unter dem Aspekt der Gesetzes- und Verfassungswidrigkeit. Die Feststellung der EMRK-Widrigkeit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung durch den Europäischen Gerichtshof zwingt dazu, die Gesetzes- und Verfassungskonformität erneut zu thematisieren, denn es ist davon auszugehen, dass diese EMRK-Widrigkeit nur auf eine Fehlinterpretation der Gesetzesbestimmungen zur Invaliditätsbemessung durch das Bundesgericht zurückzuführen ist.

    2. Bei der Interpretation der Art. 7, 8 und 16 ATSG sowie 28 und 28a IVG ist zu beachten, dass es sich bei der Invalidenversicherung um eine Volksversicherung handelt. Versichert sind gemäss Art. 1b IVG i.V.m. Art. 1a und 2 AHVG grundsätzlich alle Personen, die in der Schweiz wohnen. Versichert sein bedeutet, Prämien zu bezahlen, um bei Eintritt eines bestimmten Risikos und damit eines Schadens eine Versicherungsleistung zu erhalten, die diesen Schaden ganz wenigstens teilweise deckt. Das IVG enthält einen Katalog von Leistungen, was bedeutet, dass es eine Reihe korrespondierender Risiken geben muss. Hinter jedem dieser Risiken steht ein bestimmtes versichertes Gut. Die Versicherungsleistung "Invalidenrente" ist dazu bestimmt, den Schaden "Invalidität" (Art. 8 ATSG) zu decken. Der Art. 1b IVG, der den Kreis der versicherten Personen definiert, unterscheidet nicht zwischen erwerbstätigen, nicht erwerbstätigen und im Aufgabenbereich tätigen Personen. Das lässt darauf schliessen, dass alle gemäss Art. 1b IVG versicherten Personen gegen alle mit dem Leistungskatalog des IVG korrespondierenden Risiken bzw. Schäden versichert sind,

d.h. einen Anspruch auf die entsprechende Versicherungsleistung haben. Das gilt notwendigerweise auch für die Leistung "Invalidenrente". Wenn trotz der allgemeinen Versicherungspflicht für alle mit dem Leistungskatalog des IVG korrespondierenden Risiken eine bestimmte Gruppe von Versicherten von der Versicherung bezogen auf eine bestimmte Leistungsart ausgeschlossen sein soll, dann muss das also durch die spezifischen gesetzlichen Bestimmungen zu dieser Leistungsart ausdrücklich angeordnet werden. Da die gesetzlichen Bestimmungen über die Beitragspflicht in der Invalidenversicherung nicht zwischen Versicherten, die für alle Risiken Beiträge bezahlen, und Versicherten, die nur für einen Teil der Risiken Beiträge bezahlen, unterscheidet, da also jede versicherte Person für alle Risiken Beiträge bezahlt, kann ein Ausschluss eines Teils der Versicherten von einem bestimmten Risiko bzw. von einer bestimmten Leistungsart kaum begründet werden. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur gemischten Methode hat erfahrungsgemäss zur Folge, dass teilarbeitsunfähige Versicherte kaum je einen Anspruch auf eine Invalidenrente begründen, obwohl sie – bei gleichem Arbeitsunfähigkeitsgrad – bei einem reinen Einkommensvergleich einem reinen Bestätigungsvergleich einen Rentenanspruch hätten. Selbst wenn die gemischte Methode bei einer teilarbeitsunfähigen Person ausnahmsweise einen Rentenanspruch entstehen lässt, liegt der Invaliditätsgrad immer deutlich unter demjenigen, der bei einem reinen Einkommens- einem reinen Betätigungsvergleich resultiert hätte. Zu prüfen ist demnach, ob die Bestimmungen über die Leistungsart "Invalidenrente" tatsächlich eine derartige Benachteiligung (Versicherungsausschluss zumindest Leistungsreduktion) derjenigen Versicherten vorsehen, die bei (fiktiv) nicht beeinträchtigter Gesundheit nur teilerwerbstätig und im Übrigen im Aufgabenbereich tätig wären.

      1. Das versicherte Risiko bzw. der Schaden, der durch die Invalidenrente gedeckt wird, ist die Invalidität (Art. 8 ATSG), genauer die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 Abs. 1 ATSG), also der voraussichtlich bleibende längere Zeit dauernde Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt. Das versicherte Gut, das bei Eintritt des Risikos beschädigt wird, ist also notwendigerweise die Erwerbsfähigkeit (Art. 7 Abs. 1 ATSG e contrario). Im Zusammenhang mit der Leistungskategorie "Invalidenrente" ist somit nicht die Erwerbstätigkeit, sondern die Erwerbsfähigkeit versichert. Jede versicherte Person, unabhängig davon, ob sie jemals eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, verfügt über ein

        ökonomisch bestimmbares Erwerbspotenzial auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt, das die Invalidenversicherung versichert. Der versicherte Schaden bzw. der versicherte (gesundheitsbedingte) Verlust an Erwerbsmöglichkeiten ist damit unabhängig von der vor nach Eintritt der Gesundheitsbeeinträchtigung tatsächlich auf dem (nicht ausgeglichenen) Arbeitsmarkt eingesetzten Erwerbs- bzw. Arbeitsleistung. Selbst wenn die (voll teilweise) invalide Person auch ohne den Gesundheitsschaden keiner vollzeitlichen Erwerbstätigkeit mehr nachgehen würde, besteht für sie dennoch ein Verlust an Erwerbspotenzial und es ist ihr nicht mehr möglich, das Erwerbspensum über die verbleibende Resterwerbsfähigkeit hinaus zu steigern bzw. es zu einem späteren Zeitpunkt wieder auszudehnen. Dieser Schaden wird von der Erwerbsunfähigkeit vollumfänglich erfasst. Anschaulich ist die Bestimmung der Erwerbsunfähigkeit in der Unfallversicherung, wo das Valideneinkommen in jedem Fall auf eine vollzeitliche Tätigkeit aufgerechnet wird (Urteil des Bundesgerichts vom

        14. April 2008, 8C_664/2007, E. 7.2.4 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur) und demnach unabhängig vom tatsächlich ausgeübten Erwerbspensum immer ein identischer Schaden bzw. eine identische Erwerbsunfähigkeit der versicherten Person resultiert, wie es die Schadenskonzeption von Art. 8 ATSG (i.V.m. Art. 18 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung [UVG; SR 832.20]) vorsieht. So können namentlich spätere Veränderungen des (fiktiven) Erwerbspensums (z.B. infolge Scheidung) keine Auswirkungen auf die rentenrelevante Erwerbsunfähigkeit haben.

      2. Dieser Interpretation des Begriffs der Erwerbsfähigkeit entsprechend und in Nachachtung des Charakters einer Volksversicherung (und nicht nur einer Erwerbstätigenversicherung) wurde bei der Schaffung des IVG klar festgehalten, dass der massgebende Schaden auch bei Nichterwerbstätigen die Erwerbsunfähigkeit bilde (BBl 1958 II S. 1162; vgl. auch den Bericht der Eidgenössischen Expertenkommission für die Einführung der Invalidenversicherung vom 30. November 1956, S. 27). Im genannten Bericht der Expertenkommission war diesbezüglich etwa für den

        „Privatier“ (also ein Versicherter, der von seinen Kapitaleinkünften lebt) ausdrücklich festgehalten, bei der Invaliditätsbemessung dürfe nicht ausschlaggebend sein, dass er es nicht nötig habe, seine Arbeitskraft zu verwerten, dass er dies nicht tun wolle. Auch bei ihm sei von der (qualifizierten) Erwerbsunfähigkeit auszugehen. In der Frage der zumutbaren Erwerbstätigkeit seien die Ausbildung, die soziale Stellung und der Ortsgebrauch angemessen zu berücksichtigen (S. 118 des Berichts). Auch für sog.

        Haustöchter, also für unverheiratete, bei den Eltern lebende und nicht erwerbstätige erwachsene Töchter, wurde die Notwendigkeit eines Abweichens von der rentenspezifische Invalidität in der Form der Erwerbsunfähigkeit explizit verneint mit dem Hinweis, diesen Versicherten könne die wirtschaftliche Verwertung ihrer Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zugemutet werden (S. 118 des Berichts). Auch bei Hausfrauen, die neben der Besorgung des Haushalts regelmässig berufstätig sind, ist gemäss dem Bericht der Expertenkommission ebenfalls von der Erwerbsunfähigkeit auszugehen, was damit begründet worden war, dass das Ausmass der Erwerbsunfähigkeit aufgrund des Erwerbseinkommens vor der Invalidierung leicht bestimmbar sei und dass auch die Zumutbarkeit einer arbeitsmarktlich relevanten Erwerbstätigkeit zu bejahen sei. Die Hausfrauen gälten also als Erwerbstätige und interessierten daher in diesem Kontext nicht weiter (S. 116 f. des Berichts). Trotzdem sollte für ausschliesslich im Haushalt tätige Hausfrauen („Nur-Hausfrauen“) ein Abweichen von der für Rentenleistungen massgebenden Erwerbsunfähigkeit ausnahmsweise zulässig sein, doch selbst dies nur unter der Bedingung, dass sie vor Eintritt der Invalidität nicht erwerbstätig gewesen waren und ihnen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden konnte. Diese Ausnahme vom Schadenskonzept der Erwerbsunfähigkeit wurde allein sozial- bzw. gesellschaftspolitisch mit der damaligen „Bedeutung des Familienlebens“ begründet (BBl 1958 II S. 1162; vgl. auch den Bericht der Expertenkommission, S. 116: Einer invaliden Hausfrau solle die Invalidenrente nicht etwa deswegen verweigert werden, weil es ihr vielleicht möglich wäre, ihr in einer mit dem Rollstuhl erreichbaren Fabrik eine leichte Arbeit zuzuweisen. „Eine solche Regelung widerspräche der Bedeutung, die man in der Schweiz dem Familienleben beimisst.“). Die Ausnahmeregelung, also das Abweichen vom Begriff der Erwerbsunfähigkeit, sollte ferner für Klosterfrauen und Mönche gelten. Diesen könne die Verwertung ihrer Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht zugemutet werden, weshalb hier wie bei den Nur-Hausfrauen,

        denen die Erwerbsaufnahme nicht zumutbar wäre, das Mass der Unfähigkeit, die Arbeit

        im Aufgabenbereich weiter auszuführen, relevant ist (vgl. S. 117 f. des Berichts).

      3. Die Erwerbsunfähigkeit als der für die Rentenleistungen massgebende Schaden (Invalidität) sowie die beiden kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen für ein Abweichen davon fanden Eingang in die gesetzliche Regelung. Unter dem Randtitel

        „Begriff der Invalidität 1. Grundsatz“ definierte aArt. 4 IVG (ursprüngliche und bis

        31. Dezember 1987 gültige Fassung; im Rahmen der 2. IV-Revision [Inkrafttreten am

        1. Januar 1988] wurde zur „Modernisierung der äusseren Gestalt des Gesetzes“ eine geringfügige, rein redaktionelle Veränderung der Überschriften vorgenommen, die bis zum 31. Dezember 2002 Gültigkeit hatte; siehe BBl 1985 I 68) die Invalidität als „die durch einen körperlichen geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit“. Dem Grundsatz beigefügt wurde aArt. 5 Abs. 1 IVG (in der bis 31. Dezember 1987 gültigen Fassung) mit dem Randtitel

        „2. Sonderfälle“, was den vom Gesetzgeber bezweckten Ausnahmecharakter bekräftigte (in der vom 1. Januar 1988 bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung:

        „Sonderfälle“). Der diesbezüglich klare Wortlaut nahm die gesetzgeberische Absicht gemäss den vorstehend dargestellten Gesetzgebungsmaterialien auf, dass bei Nichterwerbstätigen ausschliesslich dann nicht auf die Erwerbsunfähigkeit als rentenmassgebender Schaden abzustellen sei, wenn „ein volljähriger Versicherter vor Eintritt der Invalidität nicht erwerbstätig“ war und ihm „die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden“ könne. Abgesehen von unwesentlichen redaktionellen Veränderungen wurde die Regelung von aArt. 4 und 5 IVG im ATSG fortgeführt (siehe Art. 8 Abs. 1 und 3 ATSG). Damit sind auch unter der Herrschaft des ATSG die seit Inkrafttreten des IVG geltenden Grundsätze zur rentenbegründenden Invalidität in der Invalidenversicherung massgebend, worauf im Rahmen der Materialien zur 4. IV-Revision ausdrücklich hingewiesen worden ist („Unter nicht erwerbstätigen Versicherten werden die in Artikel 8 Absatz 3 ATSG erwähnten Personen verstanden, […]“; BBl 2001 3287). Die Einkommensvergleichsmethode „kommt grundsätzlich bei allen Versicherten zur Anwendung, die vor Eintritt der Invalidität erwerbstätig waren, sowie bei Versicherten, die zwar vor Eintritt der Invalidität nicht erwerbstätig waren, denen aber die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zugemutet werden könnte“ (BBl 2001 3267). In der Botschaft zur 5. IV-Revision ist der Hinweis auf Art. 8 Abs. 3 ATSG wiederholt worden. Weiter ist ausgeführt worden, der Erwerbsunfähigkeit gleichgestellt sei die Unfähigkeit, sich im „bisherigen Aufgabenbereich“ zu betätigen (BBl 2005 4527). Daran haben auch Art. 28a Abs. 2 und 3 IVG nichts geändert. Vielmehr bestätigt

        Art. 28a Abs. 3 Satz 2 IVG das bisherige Konzept, dass die Unfähigkeit, im Aufgabenbereich tätig zu sein, nur dann für die Schadensbestimmung relevant ist, wenn die Versicherten (vor dem Eintritt der Gesundheitsbeeinträchtigung) daneben

        auch im Aufgabenbereich tätig „waren“ und wenn, wie der Verweis auf Art. 28a Abs. 2

        IVG zeigt, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zumutbar ist.

      4. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur gemischten Methode soll zur Beantwortung der Statusfrage - entgegen der vorstehend dargelegten grammatikalischen, historischen und systematischen Interpretation der massgebenden Gesetzesbestimmungen – nur darauf abgestellt werden, welche Tätigkeit die versicherte Person ausüben würde, wenn sie nicht in ihrer Gesundheit beeinträchtigt wäre (BGE 125 V 150 und 133 V 504). Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hat diese durch nichts gestützte Auslegung bereits früher widerlegt (vgl. etwa den unter www.gerichte.sg.ch abrufbaren Entscheid des Versicherungsgerichts vom

30. November 2007, IV 2006/175, E. 1b und 1c). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur gemischten Methode lässt sich mit dem klaren Gesetzeswortlaut, mit den Gesetzesmaterialien und mit dem System, insbesondere der für die Invalidenrente von Gesetzes wegen massgebenden Schadenskonzeption (Priorität der Erwerbsunfähigkeit auch für Nichterwerbstätige; Abweichung nur bei bestimmter Kategorie von nicht erwerbstätigen Hausfrauen), wie sie sich klar aus den Gesetzesmaterialien ergibt, nicht vereinbaren. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung widerspricht aber auch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung und sie führt zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung. Sie hat nämlich zur Folge, dass die als alternative Methoden zur Ermittlung ein und desselben Invaliditätsgrades (durch einen Einkommensvergleich durch einen Betätigungsvergleich) geschaffene Regelung dazu führt, dass zwei Invaliditätsbegriffe entstehen, die sich nicht decken und die im Einzelfall bewirken können, dass im konkreten Fall eine (fiktive) Veränderung des (fiktiven) Sachverhalts („ohne Gesundheitsbeeinträchtigung“) zu einem Wechsel des Invaliditätsbegriffs, damit zu einer Veränderung des versicherten Schadens, d.h. des Invaliditätsgrades und schliesslich zu einer Erhöhung, zu einer Herabsetzung zu einem Wegfall der Invalidenrente führt, obwohl sich die Gesundheitsbeeinträchtigung als eigentliche Ursache des versicherten Schadens bzw. der Invalidität nicht verändert hat. Die Gesetzesmaterialien enthalten keinen Hinweis darauf, dass die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur gemischten Methode vom Gesetzgeber jemals rezipiert worden wäre. Vielmehr geht sowohl aus dem seit dem Erlass des IVG im Wesentlichen unverändert gebliebenen Wortlaut von aArt. 4 und aArt. 5 IVG bzw. von Art. 8 Abs. 1 und 3 ATSG als auch aus den Gesetzesmaterialen das Gegenteil hervor.

Angesichts der aktuellen Verhältnisse und der seit den 1950-er Jahren deutlich gewandelten gesellschaftlichen Vorstellungen zum Verhältnis von Erwerbstätigkeit und Familienaufgaben bei Frauen besteht auch für - die heutzutage wohl wenigen - Hausfrauen, die in der Zeit vor Eintritt der Gesundheitsbeeinträchtigung niemals erwerbstätig gewesen sind, erst recht keine Rechtfertigung mehr für eine Ausnahme vom rentenbegründenden Schaden in der Form der Erwerbsunfähigkeit, zumal eine solche Ausnahme zu einer geschlechtlichen Ungleichbehandlung bzw. einer schadensrechtlichen Diskriminierung von Frauen führt. De lege ferenda erschiene es daher wohl als angezeigt, die Invalidenversicherung - entsprechend der Altersversicherung - konsequent an einem einzigen, ausnahmslos für alle Versicherten geltenden rentenbegründenden Schaden (Erwerbsunfähigkeit als Verlust an Erwerbsmöglichkeiten gemäss Art. 7 Abs. 1 ATSG) auszurichten, um damit invalidenversicherungsrechtliche Diskriminierungen namentlich wegen des Geschlechts, der Lebensform, der religiösen weltanschaulichen Überzeugung (vgl. Art. 8 Abs. 2 der Bundesverfassung [BV; SR 101] und Art. 14 EMRK) zu verhindern.

Art. 8 Abs. 3 ATSG, Art. 28a Abs. 2 und 3 IVG samt den entsprechenden

Verordnungsbestimmungen sollten deshalb ersatzlos gestrichen werden.

3.2.5Kürzlich hat die 2. Sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts festgehalten, eine versicherte Person, die im Gesundheitsfall ihr wirtschaftliches Potential nicht voll ausnütze, indem sie zwar in der Lage wäre, voll erwerbstätig zu sein, sich aber für eine Teilzeitstelle entscheide, um mehr Freizeit zu haben, begnüge sich mit einem Teilzeitlohn und verzichte damit freiwillig auf einen Teil des Lohnes, den sie erzielen könnte, wenn sie vollerwerbstätig wäre. Der nicht verwertete Teil ihrer Erwerbsfähigkeit sei damit nicht versichert (zur Publikation vorgesehenes Urteil vom 4. Mai 2016, 9C_178/2015, E. 7.1). Diese Schlussfolgerung bzw. das entsprechende Schadenskonzept läuft der gesetzlichen Konzeption und dem eindeutigen gesetzgeberischen Willen diametral entgegen, ja sie untergräbt die Grundkonzeption der Invalidenversicherung als Volksversicherung. Sie verkennt zudem, dass die Invalidenversicherung den identischen Personenkreis zu versichern hat, der durch die Alters- und Hinterlassenenversicherung Versicherungsschutz geniesst (BBl 1958 II 1162; vgl. zur Alters- und Hinterlassenenversicherung BBl 1946 II 378 f.; siehe auch vorstehende E. 3.2). Der Zweck der Invalidenrente entspricht denn auch voll und ganz demjenigen der Altersrente. Sie ist der Vorbau zur Altersversicherung (BBl 1958 II

1192). Der Bundesrat schloss sich den Ausführungen der Expertenkommission „mit voller Überzeugung“ an (BBl 1958 II 1192 mit Hinweis auf S. 107 ff. des Expertenberichts), „dass die bei Erreichung der gesetzlichen Altersgrenze automatisch zugesprochenen Altersrenten im Grunde nichts anderes sind als Invalidenrenten, da die Erwerbsunfähigkeit infolge des Alters eine der Formen der Erwerbsunfähigkeit infolge geistiger körperlicher Schwäche, also eine Form der Invalidität darstellt. In diesem Sinne ist das Alter die weitaus häufigste Invaliditätsursache“ (Expertenbericht, S. 108; zum Schadenskonzept in der Altersversicherung, insbesondere zur Irrelevanz einer tatsächlichen Erwerbseinbusse für den Rentenanspruch, siehe BBl 1946 II 405 f.). Aus den Gesetzesmaterialen geht klar hervor, dass die Lebensführung von nicht erwerbstätigen Personen ohne Aufgabenbereich - wie etwa „Privatiers, Rentner Pensionierte“ - für die Schadens- bzw. Invaliditätsbemessung nicht ausschlaggebend ist. Es bestehe (auch für diese Personengruppe) kein Anlass, nicht von (der Schadenskonzeption) einer Erwerbsunfähigkeit auszugehen (Bericht der Eidgenössischen Expertenkommission für die Einführung der Invalidenversicherung vom 30. November 1956, S. 26 f. und 118); der Bundesrat übernahm diese Betrachtungsweise und wies ausdrücklich auf S. 26 f. des Expertenberichts hin und fügte an, „es wäre in der Tat nicht einzusehen, wieso für Pensionierte, Rentner usw. ein anderes Kriterium angewendet werden sollte“ (BBl 1958 II 1162). Ferner geht aus den Gesetzesmaterialen hervor, dass den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Versicherten grundsätzlich nicht Rechnung zu tragen sei (BBl 1958 II 1164). Ausgangspunkt der Ausführungen des genannten Entscheids 9C_178/2015, E. 7.1, bildete ein Hinweis auf die Botschaft vom 24. Oktober 1958, insbesondere S. 1161 f.

Da sich der vorstehend dargestellte Inhalt der Botschaft sowie des Expertenberichts mit den Überlegungen der 2. Sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts ganz offensichtlich nicht vereinbaren lässt, kann ihr der Vorwurf einer ungenauen und unvollständigen Lektüre der einschlägigen Materialien, auf die das Bundesgericht in diesem Urteil verwiesen hat, nicht erspart bleiben. Würde der Betrachtungsweise gemäss dem Entscheid 9C_178/2015 im Übrigen gefolgt, bliebe bloss noch eine mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringende Erwerbstätigen- und Hausfrauenversicherung übrig (allerdings auch finanziert aus Prämien von nichterwerbstätigen Personen ohne Aufgabenbereich, die nun gar nicht mehr versichert wären). Ein solcher Umbau könnte nur durch den Gesetzgeber erfolgen, denn er würde

eine fundamentale Veränderung der bisherigen Konzeption der 1. Säule bedeuten. Soweit die 2. Sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts im Entscheid 9C_178/2015 im Übrigen explizit festhält, dass das versicherte Risiko in der Invalidenversicherung die Erwerbsinvalidität sei, die von der effektiven, gesundheitlich bedingten Erwerbseinbusse abhänge, entbehrt dies mit Blick auf die obigen Ausführungen einer überzeugenden Grundlage. Damit setzt sie sich zudem - ohne Bezugnahme darauf - in Widerspruch zu ihrer eigenen Rechtsprechung gemäss dem Urteil 9C_9/2013 vom 27. Februar 2013 (bestätigt in 9C_36/2013 vom 21. Juni 2013

E. 4.2 und 9C_457/2013 vom 26. Dezember 2013 E. 7.3). Danach ist namentlich beim Privatier und beim vorzeitig Pensionierten die Invalidität mittels der ordentlichen Bemessungsmethode des Einkommensvergleichs zu bemessen, weil diesen "vor Eintritt der Invalidität theoretisch eine Erwerbstätigkeit zumutbar gewesen

wäre" (E. 2.2; Überprüfung und Bestätigung der Rechtsprechung gemäss Entscheid I 59/75 vom 17. September 1975; vgl. auch Ueli Meyer/Marco Reichmuth, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 3. Aufl. 2014, S. 311 Rz. 3).

3.3Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Invaliditätsgrad der Beschwerdeführerin mittels eines reinen Einkommensvergleichs zu ermitteln ist, da sie nicht zur gesetzlichen Ausnahmekategorie der gar nie erwerbstätigen Nur-Hausfrauen zählt, sodass auf sie die Grundkonzeption des reinen Einkommensvergleichs Anwendung zu finden hat. Im Übrigen wäre es ihr – bei fiktiv vollumfänglich erhaltener Gesundheit – im massgebenden Zeitraum objektiv zumutbar gewesen, vollzeitlich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie hätte den Zweipersonenhaushalt nämlich zusammen mit ihrem pensionierten Ehemann nach Feierabend besorgen können. Sodann ist zu beachten, dass die Beschwerdeführerin vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung jahrelang vollzeitlich erwerbstätig gewesen ist (siehe IV-act. 56-8 und vorstehende E. 2), womit ein weiteres Tatbestandsmerkmal von Art. 8 Abs. 3 ATSG bzw. für die Qualifikation als (teilweise) Nichterwerbstätige nicht erfüllt ist.

4.

4.1

Die Beschwerdegegnerin ist davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin weiterhin als Schulsekretärin bei der Schulgemeinde B. tätig gewesen wäre, wenn sie nicht krank geworden wäre. Dementsprechend hat die Beschwerdegegnerin das an der letzten Arbeitsstelle bei einem Beschäftigungsgrad von 50% erzielte Erwerbseinkommen von Fr. 41‘136.- (vgl. IV-act. 39-3) als Valideneinkommen in den (auf die Erwerbsquote von 50% reduzierten) Einkommensvergleich eingesetzt. Bei einem reinen Einkommensvergleich wäre demnach von einem Valideneinkommen von Fr. 82‘272.- auszugehen, denn die plausibelste Validenkarriere der Beschwerdeführerin ist eine Tätigkeit als Schulsekretärin. Die Beschwerdeführerin hat nämlich angegeben (vgl. IV-act. 56-8), sie hätte nach der Scheidung vom ersten Ehemann ihre geliebte (Teilzeit-) Stelle an der Kantonsschule L. aufgeben müssen. Nach der Wiederverheiratung hätte sie – bei fiktiver voller Gesundheit – keine Veranlassung gehabt, nicht wieder an einer Schule tätig zu sein. Da es sich dabei am ehesten um eine Arbeit als Schulsekretärin gehandelt hätte, ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im hier massgebenden Zeitpunkt bei fiktiver Validität als Schulsekretärin Fr. 82‘272.- verdient hätte. Bei einer Tätigkeit an der Kantonsschule wäre das Einkommen nicht höher gewesen, weil die Anforderungen an eine Schulsekretärin dort nicht höher gewesen wären als an der Sekundarschule.

    1. Die Beschwerdegegnerin hat angenommen, dass die Beschwerdeführerin trotz der Depression fähig gewesen wäre, als Schulsekretärin tätig zu sein. Sie hat nämlich in ihrem auf den Beschäftigungsgrad von 50% reduzierten Einkommensvergleich dem Valideneinkommen von Fr. 41‘136.- ein zumutbares Invalideneinkommen von ebenfalls Fr. 41‘136.- gegenübergestellt. Hätte die Beschwerdegegnerin einen reinen Einkommensvergleich vorgenommen, wäre sie also von einem zumutbaren Invalideneinkommen von 60% von Fr. 82‘272.-, also von Fr. 49‘363.- ausgegangen. Ob die Invalidenkarriere der Beschwerdeführerin tatsächlich im weiteren Ausüben der früheren Tätigkeit als Schulsekretärin an der Sekundarschule B. bestehen muss, ist zu bezweifeln, denn dabei handelt es sich wohl weder um einen ruhigen Arbeitsort noch um einen Arbeitsort ohne übermässigen Kundenkontakt. Der psychiatrische Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin sich trotz der Entspannung, die durch die dreijährige Arbeitspause eingetreten sei, immer noch in einem fragilen Zustand befinde. Es brauche nur wenige äussere Belastungsfaktoren, damit sich die Beschwerdeführerin wieder überfordert fühle und dann dekompensiere

      (IV-act. 75-8 f.). Gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Arbeit einer Schulsekretärin an einer Sekundarschule keine ruhige, d.h. keine äusseren Belastungsfaktoren beinhaltende sein kann und dass sie sehr viel Kontakt mit Kunden, d.h. mit Schülern, Lehrern und Eltern, beinhaltet. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht die zumutbare Invalidenkarriere also nicht in der Rückkehr in jene Erwerbstätigkeit, in der die Beschwerdeführerin so belastet gewesen ist, dass sie krank geworden ist. Wie die Beschwerdeführerin ihre beruflichen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen an einem adaptierten Arbeitsplatz einsetzen könnte und welches Einkommen sie dabei erzielen könnte, lässt sich den dem Gericht vorliegenden Akten nicht entnehmen. Die berufliche Qualifikation der Beschwerdeführerin, die Art der Erwerbstätigkeit, die sowohl dieser Qualifikation als auch den medizinischen Anforderungen gerecht würde, und das dabei erzielbare Einkommen hätten von der Beschwerdegegnerin unter Beizug einer Fachperson aus dem Bereich der Berufsberatung abgeklärt werden müssen. Da sich die Invalidenkarriere der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren also nicht bestimmen lässt, kann natürlich auch das zumutbare Invalideneinkommen nicht ermittelt werden. Der zur Bestimmung des Invaliditätsgrades erforderliche Einkommensvergleich kann demnach noch nicht vorgenommen werden. Trotz des Umstands, dass die Untersuchungspflicht auch im Beschwerdeverfahren gilt, kann es nicht die Aufgabe des Gerichts ein, die Verletzung dieser Pflicht durch die Beschwerdegegnerin zu „heilen“ und die entsprechende Sachverhaltsabklärung im Beschwerdeverfahren nachzuholen (zumal gegen einen Gerichtsentscheid, der sich auf eine im Beschwerdeverfahren vorgenommene Sachverhaltsabklärung stützen würde, kein umfassendes Rechtsmittel gegeben wäre). Aus diesem Grund muss die Sache zur weiteren Abklärung des massgebenden Sachverhalts an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen werden.

    2. Das betrifft nicht die Frage nach der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin in einer adaptierten Tätigkeit ab dem Begutachtungszeitpunkt (26. Februar 2013), denn das bidisziplinäre Gutachten zusammen mit dem psychiatrischen Teilgutachten belegt einen Arbeitsfähigkeitsgrad von 60% in einer adaptierten Tätigkeit mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung hat der psychiatrische Sachverständige alle Symptome der psychischen Erkrankung bzw. die trotz dieser Symptome (zu denen auch eine rasche Ermüdbarkeit gehört) noch vorhandenen

      arbeitsfähigkeitsrelevanten Ressourcen berücksichtigt. Der rheumatologische Sachverständige hat keine widersprüchlichen Angaben zur Arbeitsfähigkeit aus der Sicht seines Fachgebietes gemacht. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin dürfte übersehen haben, dass eine Arbeitsfähigkeitsschätzung eine qualitative und eine quantitative Komponente aufweist. Für eine körperlich schwere Arbeit wäre die Beschwerdeführerin zu deutlich mehr als 40% arbeitsunfähig. Dazu hat sich der rheumatologische Sachverständige aber nicht äussern müssen, da eine solche Tätigkeit (ausserhalb gewisser Haushaltsarbeiten, die aber nicht relevant sind, weil ein reiner Einkommensvergleich zu erfolgen hat) aufgrund der beruflichen Qualifikation der Beschwerdeführerin gar nicht zur Diskussion steht. Bezogen auf eine somatisch adaptierte, nämlich eine körperlich leicht bis gelegentlich mittelschwer belastende Tätigkeit hat der rheumatologische Sachverständige überzeugend eine volle Arbeitsfähigkeit attestiert. Dass er auch angegeben hat, die Beschwerdeführerin sei zumindest halbtags arbeitsfähig, ist kein Widerspruch, denn dabei hat er sich offensichtlich nicht auf eine Vollzeittätigkeit, sondern auf die zuletzt von der Beschwerdeführerin ausgeübte Tätigkeit mit einem Beschäftigungsgrad von 50% bezogen. Bei der Bemessung des Invalideneinkommens wird die Beschwerdegegnerin also für die Zeit ab der Begutachtung von einem Arbeitsfähigkeitsgrad von 60% auszugehen haben.

    3. Die Beschwerdeführerin hat am 15. Februar 2011 das Meldeformular zur Früherfassung ausgefüllt und eingereicht (vgl. IV-act. 1). Nach einem Gespräch mit der Beschwerdeführerin hat der Eingliederungsberater der Beschwerdegegnerin bereits Ende Februar 2011 erkannt, dass eine reguläre Anmeldung nötig war (vgl. IV-act. 9-4). Aus diesem Gespräch ergeben sich ferner keine Hinweise für einen fehlenden Anmeldewillen. Dementsprechend hat die Beschwerdeführerin im März 2011 das Anmeldeformular für die berufliche Eingliederung/Rente ausgefüllt und eingereicht (vgl. IV-act. 11). Diese Vorgehensweise ist so zu interpretieren, dass die Beschwerdeführerin von Anfang an nicht (bloss) Massnahmen der Frühintervention gemäss Art. 7d IVG, sondern reguläre Eingliederungsmassnahmen gemäss Art. 8 ff. IVG bzw. eine Invalidenrente hat beantragen wollen. Deshalb ist bereits das Einreichen des Meldeformulars zur Früherfassung als Geltendmachung eines Leistungsanspruchs im Sinn des Art. 29 Abs. 1 IVG zu interpretieren (Art. 29 Abs. 3 ATSG), zumal aus den Akten nicht hervorgeht, die Beschwerdeführerin hätte auf die übrigen Leistungen

gegenüber der Beschwerdegegnerin zunächst verzichten wollen. Der Rentenanspruch ist deshalb ab dem 1. August 2011 zu prüfen. Das bedeutet, dass die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin ab dem 1. August 2010 zu ermitteln ist, weil ein Rentenanspruch gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG erst entstehen kann, wenn die versicherte Person ein Jahr ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich zu mindestens 40% arbeitsunfähig gewesen ist. Das bidisziplinäre Gutachten und das psychiatrische Teilgutachten (vgl. IV-act. 74 f.) enthalten keine Angaben zur Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin vor Februar 2013. Die dem Gericht vorliegenden Berichte der behandelnden Ärzte weisen erst ab Juni 2011 eine Arbeitsfähigkeitsschätzung aus. Dr. F. hat im Juni 2011 angegeben, die Beschwerdeführerin sei als Schulsekretärin zu 100% arbeitsunfähig (vgl. IV-act. 25). In seinem Bericht vom Dezember 2011 hat er weiterhin eine Arbeitsunfähigkeit von 100% attestiert (vgl. IV-act. 41). Die Psychotherapeutin G. hat im Januar 2012 ebenfalls eine vollständige Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin als Schulsekretärin angegeben (vgl. IV-act. 42) und dies im April 2012 wiederholt (vgl. IV-act. 47). Dr. H. hat im Juni 2012 ebenfalls eine vollständige Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin in der bisherigen Tätigkeit angegeben (vgl. IV-act. 51). Keiner der Behandler hat sich aber zur Entwicklung der Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vor dem stationären Klinikaufenthalt geäussert. Einzig die Arbeitgeberin hat angegeben, dass der ausgerichtete Lohn seit dem 30. November 2010 nicht mehr der Arbeitsleistung entsprochen habe (vgl. IV-act. 39), was darauf hindeutet, dass die Beschwerdeführerin ab diesem Tag krankheitsbedingt der Arbeit ferngeblieben ist. All diese Angaben reichen nicht aus, um den Beginn der Arbeitsunfähigkeit und deren Entwicklung bis zur Begutachtung mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu belegen. Die Angaben des Arbeitgebers belegen nämlich nur den Zeitpunkt, ab dem die Beschwerdeführerin nicht mehr zur Arbeit erschienen ist. Sie könnte bereits früher arbeitsunfähig und trotzdem am Arbeitsplatz gewesen sein. Die Arbeitsfähigkeitsschätzungen behandelnder Ärzte enthalten erfahrungsgemäss ein starkes therapeutisches Element, d.h. sie weichen in aller Regel zulasten der Arbeitsfähigkeit von den Schätzungen unabhängiger Sachverständiger ab. Deshalb vermögen sie den Arbeitsfähigkeitsgrad i.d.R. nicht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu belegen. Um den Beginn eines allfälligen Rentenanspruchs bestimmen zu können, wird die Beschwerdegegnerin also weitere

Abklärungen vorzunehmen haben, wobei sie bei den Behandlern rückfragen, allenfalls die von diesen geführten Krankengeschichten beiziehen und dann bei der Würdigung auf die zumutbare Willensanstrengung als wichtiges Element des (juristischen) Begriffs der Arbeitsfähigkeit achten wird. Auch dazu ist die Sache an sie zurückzuweisen.Zusammenfassend erweist sich die angefochtene Verfügung als rechtswidrig, da sie sich auf eine Sachverhaltsannahme stützt, die - als Folge einer Verletzung der Untersuchungspflicht der Beschwerdegegnerin - teilweise nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit belegt ist. Die Sache ist deshalb zur weiteren Abklärung an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Dieser Verfahrensausgang ist in Bezug auf die Verlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens als vollumfängliches Obsiegen der Beschwerdeführerin zu qualifizieren. Deshalb hat die Beschwerdegegnerin für die Gerichtskosten aufzukommen, die praxisgemäss auf Fr. 600.- festzusetzen sind. Das Gericht wird der Beschwerdeführerin den in gleicher Höhe geleisteten Vorschuss zurückerstatten. Die Beschwerdeführerin hat einen Anspruch auf den Ersatz ihrer Parteikosten. Die entsprechende Parteientschädigung wird unter Berücksichtigung des ermessensweise eingeschätzten Aufwandes des Rechtsvertreters auf Fr. 3‘500.- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) festgesetzt. Die Beschwerdegegnerin wird die Beschwerdeführerin also im Umfang von Fr. 3‘500.- zu entschädigen haben.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP 1.

In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung vom 22. November 2013 aufgehoben und die Sache wird zur weiteren Abklärung und zur anschliessenden neuen Verfügung im Sinne der Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

2.

Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr.

3‘500.- zu bezahlen.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.- zu bezahlen; der in gleicher Höhe geleistete Kostenvorschuss wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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