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Urteil Versicherungsgericht (SG - IV 2014/266)

Zusammenfassung des Urteils IV 2014/266: Versicherungsgericht

Die Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Fiechter, hat gegen die IV-Stelle des Kantons St. Gallen geklagt, um eine Invalidenrente zu erhalten. Sie hat angegeben, seit 2008 in der Schweiz zu leben und Beiträge geleistet zu haben. Die IV-Stelle wies ihr Rentenbegehren ab, da sie die versicherungsmässigen Voraussetzungen nicht erfüllt sah. Das Versicherungsgericht entschied jedoch, dass die Voraussetzungen erfüllt waren und wies die Sache zur weiteren Abklärung zurück. Die Kosten wurden der IV-Stelle auferlegt, und die Beschwerdeführerin erhielt eine Parteientschädigung.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts IV 2014/266

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2014/266
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2014/266 vom 21.06.2017 (SG)
Datum:21.06.2017
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 6 IVG. Art. 28 IVG. Art. 36 IVG. Art. 39 IVG. Art. 43 ATSG.
Schlagwörter: ähig; IV-act; Schweiz; Rente; Beiträge; Gallen; Kantons; Franken; Kantonsspital; Nichterwerbstätige; Voraussetzung; Voraussetzungen; Invalidenversicherung; Verfügung; Arbeitsunfähigkeit; Invalidität; Klinik; Kantonsspitals; Bericht; Auszug; Einkommen
Rechtsnorm: Art. 10 AHVG ;Art. 42 AHVG ;Art. 43 ATSG ;Art. 8 ZGB ;
Referenz BGE:119 V 98;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts IV 2014/266

Versicherungsmässige Voraussetzungen. Rentenanspruch. Untersuchungspflicht (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 21. Juni 2017, IV 2014/266). Entscheid vom 21. Juni 2017 Besetzung Präsident Ralph Jöhl, Versicherungsrichterin Karin Huber- Studerus, Versicherungsrichter Joachim Huber; Gerichtsschreiber Tobias Bolt Geschäftsnr. IV 2014/266 Parteien A. , Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Adrian Fiechter, Anwalt und Beratung GmbH, Poststrasse 6, Postfach 239, 9443 Widnau, gegen IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen, Beschwerdegegnerin, Gegenstand Rente (versicherungsmässige Voraussetzungen) Sachverhalt

Entscheid Versicherungsgericht, 21.06.2017

A.

    1. A. meldete sich im März 2012 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an (IV-act. 1). Sie gab an, sie sei am . Februar 2008 in die Schweiz eingereist. In den Jahren 1972–1975 habe sie in ihrem Herkunftsland eine Ausbildung zur Verkäuferin absolviert. Im Jahr 1984 habe sie einen dreimonatigen Diplomlehrgang zur Betriebsleiterin abgeschlossen. In der Schweiz habe sie als Köchin und als Serviceangestellte gearbeitet. Seit dem 1. August 2010 sei sie arbeitslos. Ein Auszug aus dem individuellen Beitragskonto der Alters- und Hinterlassenenversicherung (sog. IK-Auszug) vom 8. März 2011 wies nur zwei Buchungen aus: Für die Monate Mai bis und mit September 2008 waren Beiträge auf einem Einkommen von 18'892 Franken und für die Monate Februar bis und mit Dezember 2009 solche auf einem Einkommen von 17'600 Franken bezahlt worden (IV-

      act. 5). Ein zweiter IK-Auszug vom 28. März 2012 wies noch eine dritte Buchung für die Zeit von Januar bis und mit April 2010 aus; das beitragspflichtige Einkommen hatte 1'691 Franken betragen (IV-act. 7).

    2. Der Hausarzt Dr. med. B. gab am 30. März 2012 telefonisch an (IV-act. 13–1 f.), die Versicherte leide an einer chronischen Lumbalgie, an Hüftbeschwerden links und an einem Impingement der rechten Schulter. Diese Beschwerden bestünden schon seit längerem. Die Versicherte werde konservativ behandelt. Ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis sei nie ausgestellt worden. Am 15. April 2012 überwies Dr. B. die Versicherte für eine rheumatologische Untersuchung an das Kantonsspital St. Gallen (IV-act. 13–3). In seinem Überweisungsschreiben führte er aus, diese sei immer wieder im Spital C. untersucht worden. Dazwischen sei sie auch immer wieder in die Heimat zurückgekehrt. Der aktuelle Zustand sei sehr schlecht. Die Versicherte sei praktisch invalid. Am 3. April 2012 hatte Dr. med. D. vom Departement Anästhesie – Schmerztherapie des Spitals C. berichtet (IV-act. 13–6), angesichts der äusserst komplexen, multiloculären Schmerzproblematik und der jeweils nur vorübergehenden Besserung auf diverse Infiltrationen sei er der Ansicht, dass weitere Behandlungsversuche nicht sinnvoll seien. Am 29. Februar 2012 hatte der Orthopäde Dr. med. E. vom Spital C. berichtet (IV-act. 11–1 f.), die Versicherte leide an einem Hip-Spine-Syndrom links und an einer reaktiven Depression. Die Klinik für Rheumatologie des Kantonsspitals St. Gallen berichtete am 28. Juni 2012 (IV-act. 21), die Versicherte leide möglicherweise an einer beginnenden Kollagenose, an einer Polyarthrose, an bewegungsabhängigen Schulterschmerzen rechts, an chronischen Hüftschmerzen links, an degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, an einer Hypovitaminose D3, an einer skelettszintigraphisch nachgewiesenen unklaren Knochenstoffwechselerhöhung im linken Occiput sowie an einer Adipositas Grad II. Bei der Erhebung der Sozialanamnese habe die Versicherte angegeben, sie lebe seit zwölf Jahren in der Schweiz.

    3. In einem Assessmentgespräch mit einem Eingliederungsverantwortlichen der IV- Stelle gab die Versicherte am 16. August 2012 an (IV-act. 28), sie sei schon vor dem Jahr 2008 als Touristin in der Schweiz gewesen und damals jeweils als Schwarzarbeiterin beschäftigt worden. Dies habe zu einer Ausweisung und zu einer Einreisesperre geführt. Im Jahr 2008 habe sie dann wieder offiziell einreisen und hier

      arbeiten dürfen. Am 30. August 2012 werde sie nochmals im Kantonsspital St. Gallen untersucht. Wahrscheinlich werde dann eine Operation empfohlen. Am 30. Oktober 2012 gab die Versicherte an, sie werde nicht operiert, doch sei eine Rehabilitation „im Wallis“ (gemeint wohl: Klink Valens) geplant. Der Eingliederungsverantwortliche notierte, angesichts des instabilen Gesundheitszustandes könnten aktuell keine beruflichen Eingliederungsmassnahmen durchgeführt werden. Am 30. März 2012 und am 18. Juli 2012 hatte Dr. med. F. vom IV-internen regionalen ärztlichen Dienst (RAD) angegeben, seines Erachtens spreche nichts gegen eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit der Versicherten für körperlich leichte, die Gelenke nicht wesentlich belastende und wirbelsäulenadaptierte, wechselbelastende Tätigkeiten (IV-act. 31).

    4. Am 17. Januar 2013 teilte Dr. E. der IV-Stelle mit, dass er keine Angaben zum aktuellen Gesundheitszustand der Versicherten machen könne, da er sie am 28. Juni 2012 zum letzten Mal gesehen habe (IV-act. 32). Die Klinik für Rheumatologie des Kantonsspitals St. Gallen berichtete am 21. Februar 2013, durch eine Gewichtsabnahme und eine Ernährungsumstellung könnte eine Besserung der Beschwerden erzielt werden (IV-act. 36–7). Am 24. Februar 2013 gab Dr. B. an, die Versicherte werde am 1. März 2013 wieder beginnen, in der Küche und in der Reinigung zu arbeiten (IV-act. 36–1 ff.). Am 29. Mai 2013 berichtete das Schmerzzentrum des Kantonsspitals St. Gallen (IV-act. 41), die Versicherte leide an einem chronifizierten Schmerzsyndrom. Die grenzwertigen rheumatologischen Befunde hätten an sich noch genauer abgeklärt werden müssen. Zudem hätte eine psychologische Untersuchung durchgeführt werden müssen. Die Versicherte sei aber weder zur einen noch zur andern Untersuchung erschienen. Am 9. Juli 2013 teilte die Versicherte mit, die Arbeitsstelle sei ihr nach drei Monaten gekündigt worden (IV-act. 44). Am 22. August 2013 berichtete die Psychologin Dr. rer. nat. G. vom Schmerzzentrum des Kantonsspitals St. Gallen (IV-act. 49–1 f.), die Versicherte leide an einer Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt. Am 3. Oktober 2013 berichtete die Klinik für Rheumatologie des Kantonsspitals St. Gallen (IV-act. 50), die Tätigkeit als Köchin und Küchenhilfe sei der Versicherten nicht mehr zumutbar. Für leichte Tätigkeiten, die überwiegend sitzend und gelegentlich stehend und gehend verrichtet werden könnten, bestehe eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit. Der RAD- Arzt Dr. F. teilte diese Auffassung (IV-act. 54).

    5. Mit einem Vorbescheid vom 6. Januar 2014 teilte die IV-Stelle der Versicherten mit (IV-act. 57), dass sie die Abweisung des Rentenbegehrens vorsehe. Zur Begründung führte sie aus, in der Schweiz wohnhafte Angehörige der Slowakischen Republik hätten nur einen Anspruch auf eine ordentliche Invalidenrente, wenn sie beim Eintritt des Versicherungsfalls während mindestens drei vollen Jahren Beiträge in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union in der Schweiz geleistet hätten, wobei die Beitragsdauer in der Schweiz mindestens ein Jahr betragen müsse, wenn der Ehegatte in der Schweiz während mindestens drei Jahren den doppelten Mindestbeitrag bezahlt habe wenn sie drei Jahre Erziehungs- Betreuungsgutschriften vorweisen könnten. Die Abklärungen hätten vorliegend ergeben, dass die Versicherte bereits mit ihrem Gesundheitsschaden in die Schweiz eingereist sei. Die versicherungsmässigen Voraussetzungen für eine Rente der Invalidenversicherung seien deshalb nicht erfüllt. Dagegen wandte die Versicherte am

6. März 2014 ein (IV-act. 61), sie habe sich schon vor dem Jahr 2008 in der Schweiz aufgehalten, könne dies aber nicht beweisen. Ihr Gesundheitszustand sei sehr schlecht, weshalb sie auf eine Rente der Invalidenversicherung angewiesen sei. Mit einer Verfügung vom 3. April 2014 wies die IV-Stelle das Rentenbegehren ab (IV-act. 63).

B.

    1. Am 19. Mai 2014 liess die nun anwaltlich vertretene Versicherte (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) eine Beschwerde gegen die Verfügung vom 3. April 2014 erheben (act. G 1). Ihr Rechtsvertreter beantragte die Zusprache mindestens einer halben Rente mit Wirkung ab dem 1. August 2012, eventualiter eine interdisziplinäre Begutachtung und subeventualiter die Rückweisung der Sache an die IV-Stelle (nachfolgend: die Beschwerdegegnerin) zur weiteren Abklärung und zur anschliessenden neuen Verfügung. Zur Begründung führte er aus, die Beschwerdeführerin habe sich schon vor Februar 2008 seit geraumer Zeit in der Schweiz aufgehalten und hier Schwarzarbeit verrichtet. Die damalige Arbeitgeberin sei sicherlich verpflichtet worden, die Sozialversicherungsbeiträge nachzubezahlen. Mittels weiterer Abklärungen könne die Versicherteneigenschaft der Beschwerdeführerin ab dem Jahr 2001 nachgewiesen werden. Vor dem Beginn jener Tätigkeit sei sie gesund gewesen. Die Beschwerdegegnerin habe den medizinischen Sachverhalt ungenügend abgeklärt.

      Schon im Sommer 2013 sei auf eine psychische Erkrankung hingewiesen worden. Aktuelle medizinische Berichte seien nicht eingeholt worden. Bei der Berechnung des Invaliditätsgrades müsse im Übrigen ein „Leidensabzug“ von mindestens 20 Prozent berücksichtigt werden.

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragte am 27. Juni 2014 die Abweisung der Beschwerde (act. G 3). Zur Begründung führte sie aus, laut dem IK-Auszug habe die Beschwerdeführerin vor dem Jahr 2008 keine Beiträge bezahlt, weshalb sie nicht versichert gewesen sei. Selbst wenn die versicherungsmässigen Voraussetzungen aber erfüllt wären, bestünde kein Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung, denn der Beschwerdeführerin seien leidensadaptierte Tätigkeiten uneingeschränkt zumutbar.

    3. Am 1. Juli 2014 bewilligte die verfahrensleitende Richterin die unentgeltliche

      Rechtspflege (act. G 4).

    4. Am 23. September 2014 liess die Beschwerdeführerin an ihren Anträgen festhalten

      (act. G 8). Die Beschwerdegegnerin verzichtete auf eine Duplik (vgl. act. G 10).

    5. Am 21. November 2014 liess die Beschwerdeführerin weitere Akten einreichen (act. G 11). Laut einem Strafbescheid vom 7. Juni 2005 hatte sie vom 9. Januar 2005 bis zum 10. Mai 2005 ohne eine entsprechende Bewilligung in der Schweiz gewohnt und gearbeitet (act. G 11.1). Die Klinik Valens hatte am 25. September 2014 über eine stationäre Behandlung berichtet und bis zum 9. Oktober 2014 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit attestiert (act. G 11.2). Als Diagnosen hatten die Ärzte eine Polyarthrose, eine Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Anteilen, eine

      mittelgradige depressive Störung, wiederholt erhöhte Antiphospholipidantikörper, einen Vitamin D-Mangel sowie eine Adipositas Grad I angeführt. Am 23. Januar 2015 liess die Beschwerdeführerin einen Bericht des neuen Hausarztes Dr. med. I. einreichen, der eine vollständige Arbeitsunfähigkeit attestiert hatte (act. G 14 und G 14.1). Am 19. Februar 2015 liess die Beschwerdeführerin weitere medizinische Berichte einreichen (act. G 16). Am 10. Februar 2015 hatte Dr. G. berichtet (act. G 16.1.1), die Beschwerdeführerin leide an einer depressiven Störung mit einer gegenwärtig mittelgradigen Episode. Der Zustand habe sich im November wieder etwas stabilisiert. Zu Beginn des Jahres 2015 sei es dann aber zu einem Rückfall gekommen. Momentan

      sei sie vollständig arbeitsunfähig. Die Klinik für Rheumatologie des Kantonsspitals St. Gallen hatte am 15. Januar 2015 berichtet, der Arbeitsfähigkeitsgrad betrage höchstens 20 Prozent (G 16.1.3).

    6. Am 22. Februar 2017 forderte das Versicherungsgericht Dr. B. auf mitzuteilen (act. G 18), welche sicheren Angaben er zum Verlauf der Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin in den Jahren 2008–2012 machen könne und an welchen Daten er in jenen Jahren von der Beschwerdeführerin konsultiert worden sei. Am 24. Februar 2017 antwortete Dr. B. (act. G 19), die Beschwerdeführerin sei vom 18. August 2008 bis zum 31. Oktober 2008 und vom 10. Mai 2010 bis zum 27. Oktober 2010 vollständig arbeitsunfähig gewesen. Sie habe ihn am 18. August 2008, am 22. August 2008, am

      28. August 2008, am 11. September 2008, am 13. September 2008, am 23. September

      2008, am 7. Oktober 2008 sowie am 18. November 2008 und am 5. Dezember 2008 konsultiert. Die nächste Behandlung habe erst am 16. März 2010 stattgefunden. Danach habe die Beschwerdeführerin ihn am 10. und am 12. Mai 2010, am 29. Juni 2010, am 29. Juli 2010, am 4. Oktober 2010, am 14. Dezember 2010, am 17. Januar

      2011, am 23. März 2011, am 23. Mai 2011, am 22. Juni 2011, am 29. August 2011, am

      3. November 2011, am 23. Februar 2012, am 3. April 2012, am 4. April 2012, am 13.

      April 2012, am 2. Juli 2012, am 3. August 2012, am 7. August 2012, am 20. September

      2012 sowie am 7. November 2012 konsultiert.

    7. Am 27. Februar 2017 liess die Beschwerdeführerin zwei Berichte der Klinik für Pneumologie und Schlafmedizin des Kantonsspitals St. Gallen vom 11. März 2016 und vom 8. April 2016, laut denen sie an einem chronischen Husten unbekannter Genese, verdachtsweise an einer schlafassoziierten Atemstörung, an einer Polyarthrose sowie an wiederholt erhöhten Antiphospholipidantikörpern gelitten hatte (act. G 20.1 f.), sowie einen Bericht der Radiologie J. vom 28. Januar 2016, laut dem eine Computertomographie Zeichen einer leichtgradigen chronischen Bronchitis gezeigt hatte (act. G 20.3), einreichen. Am 3. April 2017 liess sie bezugnehmend auf die Ausführungen von Dr. B. vom 24. Februar 2017 geltend machen (act. G 24), diese belegten „eindeutig“, dass sie schon in den Jahren 2008–2012 arbeitsunfähig gewesen sei.

    8. Das Versicherungsgericht forderte in der Folge einen aktuellen Auszug aus dem individuellen AHV-Beitragskonto der Beschwerdeführerin an. Dieser wurde am 21. April 2017 erstellt (act. G 21). Er wies nebst den bekannten Einträgen für die Jahre 2008– 2010 Nichterwerbstätigenbeiträge für die Jahre 2010–2016 aus. Zudem waren in den Jahren 2013 und 2015 Beiträge auf einem Erwerbseinkommen von 1'115 Franken beziehungsweise 4'651 Franken bezahlt worden.

    9. Am 8. Juni 2017 reichte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin eine aktualisierte Kostennote ein, laut der sich das Honorar einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer auf 4'911.15 Franken belief (act. G 31.1).

Erwägungen

1.

    1. Ausländische Staatsangehörige haben gemäss dem Art. 6 Abs. 2 IVG einen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung, solange sie ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben und sofern sie beim Eintritt der Invalidität während mindestens eines vollen Jahres Beiträge geleistet sich ununterbrochen während zehn Jahren in der Schweiz aufgehalten haben. Der Anspruch auf eine ordentliche Rente der Invalidenversicherung setzt gemäss dem Art. 36 Abs. 1 IVG voraus, dass beim Eintritt der Invalidität während mindestens drei Jahren Beiträge geleistet worden sind. Die Invalidität gilt laut dem Art. 4 Abs. 2 IVG als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat, was in Bezug auf einen Rentenanspruch der Fall ist, wenn die Erwerbsfähigkeit nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder hergestellt, erhalten verbessert werden kann, wenn während eines Jahres eine Arbeitsunfähigkeit von durchschnittlich mindestens 40 Prozent bestanden hat und wenn eine Invalidität von mindestens 40 Prozent vorliegt (Art. 28 Abs. 1 IVG; vgl. BGE 119 V 98 E. 4a S. 102). Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat mit der H. am 7. Juni 1996 ein Abkommen über die soziale Sicherheit abgeschlossen (SR 0.831.109.690.1), dessen Bestimmungen den Art. 6 und 36 IVG vorgehen. Laut dem Art. 6 dieses Abkommens gelangen jedoch grundsätzlich die Rechtsvorschriften des Vertragsstaates zur Anwendung, in dessen Staatsgebiet die Versicherungsleistungen

      beantragende Person erwerbstätig ist, sofern nicht eine Ausnahme im Sinne der Art. 7– 10 des Abkommens vorliegt, was hier nicht der Fall ist. Hinsichtlich eines Anspruchs auf eine ausserordentliche Rente der Invalidenversicherung (vgl. Art. 39 Abs. 1 IVG

      i.V.m. Art. 42 AHVG) sieht der Art. 17 Abs. 1 lit. b des Abkommens allerdings vor, dass ein solcher schon entstehen kann, wenn der H. -Staatsangehörige fünf Jahre ununterbrochen in der Schweiz gewohnt hat.

    2. Die Beschwerdeführerin hat sich im Jahr 2005 ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für einige Monate in der Schweiz aufgehalten, das Land dann aber wieder verlassen müssen. In der Folge ist eine zweijährige Einreisesperre verhängt worden. Angesichts des kurzen Aufenthaltes hier in der Schweiz und der darauf folgenden Einreisesperre ist jener Aufenthalt für die Erfüllung der versicherungsmässigen Voraussetzungen irrelevant. Jenem Aufenthalt kommt im vorliegenden Verfahren deshalb keine weitere Bedeutung zu. Die Beschwerdeführerin hat erst mit der „offiziellen“ Einreise in die Schweiz im Februar 2008 ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in die Schweiz verlegt. Gemäss dem Art. 1b IVG i.V.m. dem Art. 1a Abs. 1 lit. a AHVG ist sie ab diesem Zeitpunkt obligatorisch bei der Invalidenversicherung versichert gewesen. In den Monaten Mai bis und mit September 2008 hat sie als unselbständig Erwerbstätige Beiträge entrichtet. Das beitragspflichtige Einkommen hat 18'892 Franken betragen. Da die Beschwerdeführerin im Jahr 2008 also nur während fünf Monaten gearbeitet hat, kann sie für das Jahr 2008 nicht als dauernd voll erwerbstätig qualifiziert werden (Art. 10 Abs. 1 AHVG; Art. 28bis AHVV). Praxisgemäss gilt eine Erwerbstätigkeit nämlich erst als dauernd, wenn sie mindestens neun Monate pro Kalenderjahr ausgeübt wird (vgl. die Wegleitung über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und der Nichterwerbstätigen in der AHV [WSN], Rz. 2035). Folglich hätte die Beschwerdeführerin ab Februar 2008 als Nichterwerbstätige erfasst werden müssen. Mangels eines Renteneinkommens und eines Vermögens hätte sie den Mindestbeitrag bezahlen müssen (Art. 10 Abs. 1 AHVG; Art. 28 AHVV). Da die vom Arbeitgeber abgelieferten Beiträge im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit aber diesen Mindestbeitrag (und damit natürlich auch der Hälfte des Nichterwerbstätigenbeitrages) überschritten haben, ist die Ausnahme des Art. 28bis AHVV zur Anwendung gelangt. Dies hat zur Folge gehabt, dass die Beschwerdeführerin trotz der fehlenden dauernden Erwerbstätigkeit im Sinne des Art. 10 Abs. 1 AHVG beziehungsweise des Art. 28bis AHVV als Erwerbstätige hat erfasst werden müssen.

Als Nichterwerbstätige hätte sie ihre Beiträge für die Zeit von Februar bis Dezember 2008 bezahlt. Mit der Umqualifizierung zur Erwerbstätigen hat nicht die Schaffung einer Beitragslücke für die Monate Juni bis und mit Dezember 2008 verbunden sein können, denn dies wäre stossend und liefe dem vom Art. 28bis AHVV verfolgten Zweck der Anrechnung eines möglichst hohen beitragspflichtigen Einkommens zugunsten späterer Leistungen für die Versicherten klar zuwider. Deshalb gilt der Grundsatz, dass eine versicherte Person, auf die der Art. 28bis AHVV anwendbar ist, immer für das ganze Jahr als beitragspflichtig gilt (Rz. 2002 WSN). Nichts anderes kann natürlich in Bezug auf den Januar 2009 gelten, auch wenn für jenen Monat ebenfalls keine Beiträge im IK-Auszug erfasst sind (vgl. zum Ganzen auch den Entscheid IV 2013/52 des St. Galler Versicherungsgerichtes vom 19. Oktober 2015, E. 3.2). Die Beschwerdeführerin hat also ihre Beitragspflicht zunächst als unselbständige Erwerbstätige, später dann aber als Nichterwerbstätige erfüllt: In den Monaten Mai bis und mit September 2008 hat sie Beiträge auf einem Einkommen aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit entrichtet, die den Mindestbeitrag für Nichterwerbstätige überstiegen haben. Im Jahr 2009 hat sie während elf Monaten Beiträge auf einem Einkommen aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit entrichtet, die ebenfalls den Mindestbeitrag für Nichterwerbstätige überstiegen haben. Im Jahr 2010 hat sie zwar nur noch während vier Monaten Beiträge auf einem insgesamt äusserst tiefen Erwerbseinkommen entrichtet. Für das Jahr 2010 ist sie dann aber nachträglich als Nichterwerbstätige erfasst worden. Die entsprechenden Beiträge hat sie in der Folge bezahlt. Auch in den Jahren 2011–2016 hat sie ihre Beitragspflicht als Nichterwerbstätige erfüllt (wobei den geringfügigen Erwerbseinkommen in den Jahren 2013 und 2015 diesbezüglich keine entscheidende Bedeutung zukommt). Zusammenfassend ist die Beschwerdeführerin also ab Februar 2008 versichert gewesen. Zudem hat sie ab Februar 2008 ihre Beitragspflicht erfüllt.

2.

    1. Gemäss den Akten der Beschwerdegegnerin und dem damit übereinstimmenden Attest von Dr. B. vom 24. Februar 2017 ist die Beschwerdeführerin erstmals im Jahr 2008 für einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig gewesen, nämlich vom 18. August 2008 bis zum 31. Oktober 2008, also während rund zweieinhalb Monaten. Nach dieser Arbeitsunfähigkeitsphase hat die Beschwerdeführerin allerdings wieder gearbeitet: Sie

      ist im Jahr 2009 während elf und im Jahr 2010 während vier Monaten erwerbstätig gewesen. Erst ab dem 10. Mai 2010 ist sie wieder arbeitsunfähig gewesen. Diese Arbeitsunfähigkeit hat zwar laut dem Attest von Dr. B. nur bis zum 27. Oktober 2010 angedauert, aber abgesehen von den vom jeweiligen Arbeitgeber abgelieferten Beiträgen auf zwei geringfügigen Lohnzahlungen in den Jahren 2013 und 2015 hat die Beschwerdeführerin nach dem April 2010 keine Beiträge mehr auf Erwerbseinkommen entrichtet. Obwohl sie erst ab Mitte des Jahres 2012 intensiv medizinisch behandelt worden ist, lässt sich den Akten kein Hinweis darauf entnehmen, dass die Beschwerdeführerin nach dem 27. Oktober 2010 für einen längeren Zeitraum wieder arbeitsfähig gewesen wäre. Diesbezüglich liegt eine Beweislosigkeit vor, denn in antizipierender Beweiswürdigung kann von weiteren Abklärungen zur Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin im Zeitraum von Ende Oktober 2010 bis zum Sommer 2012 kein relevanter Erkenntnisgewinn mehr erwartet werden, weil damals keine medizinischen Behandlungen stattgefunden haben. Die Folgen dieser Beweislosigkeit hat mangels einer spezifischeren gesetzlichen Regelung in analoger Anwendung des Art. 8 ZGB jene Partei zu tragen, die aus der objektiv nicht beweisbaren Tatsache einen Vorteil für sich ableiten könnte. Hätte bewiesen werden können, dass die Beschwerdeführerin nach dem 27. Oktober 2010 wieder für einen längeren Zeitraum arbeitsfähig gewesen wäre, hätte sich dadurch ihre Beitragszeit vor dem Eintritt des Versicherungsfalls entsprechend verlängert, was sich zu ihrem Vorteil ausgewirkt hätte. Folglich muss sie die Folgen der objektiven Beweislosigkeit tragen, was bedeutet, dass für die Beantwortung der Frage nach der Beitragsdauer vor dem Eintritt des Versicherungsfalls von einem Beginn der relevanten Arbeitsunfähigkeit am 10. Mai 2010 ausgegangen werden muss.

    2. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Versicherungsfall bereits am 10. Mai 2010 eingetreten wäre, denn die für den Rentenanspruch massgebende Invalidität gilt erst als eingetreten, wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 IVG erfüllt sind. Insbesondere muss das sogenannte Wartejahr (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG) erfüllt sein, was frühestens ein Jahr nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Fall sein kann. Die Beschwerdeführerin hätte also frühestens am 9. Mai 2011 einen Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung haben können. Da sie ab dem 1. Februar 2008 durchgehend versichert gewesen ist und ihre Beitragspflicht erfüllt hat, hat sie bereits in diesem frühestmöglichen Zeitpunkt der Entstehung eines allfälligen

Rentenanspruchs die Voraussetzung einer mindestens dreijährigen Beitragszeit erfüllt gehabt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin sind die versicherungsmässigen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch vorliegend also erfüllt gewesen.

3.

Der RAD-Arzt Dr. F. hat im Dezember 2013 anhand der Berichte der behandelnden Ärzte überzeugend aufgezeigt, dass der Beschwerdeführerin die bisherige Tätigkeit als Küchen- und Reinigungshilfe nicht mehr, eine leidensadaptierte Tätigkeit dagegen uneingeschränkt zumutbar sei. Diese Arbeitsfähigkeitsschätzung hat jener der Klinik für Rheumatologie des Kantonsspitals St. Gallen im Bericht vom 3. Oktober 2013 entsprochen. Die anderen behandelnden Ärzte hatten sich nicht zur Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin geäussert, allerdings aber auch keine klinischen Befunde erwähnt, die die Arbeitsfähigkeitsschätzung des RAD-Arztes Dr. F. als unrichtig erscheinen lassen würden. Erst im Rahmen einer stationären Behandlung in der Klinik Valens, die wohl Ende August 2014 (und damit knapp fünf Monate nach der Eröffnung der angefochtenen Verfügung) begonnen hat, sind neue Diagnosen – insbesondere eine mittelgradige depressive Störung – erwähnt worden, die den Verdacht entstehen lassen, die Beschwerdeführerin sei dann in einem höheren Ausmass arbeitsunfähig gewesen. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, die Beschwerdeführerin sei vor dem Erlass der angefochtenen Verfügung aus psychiatrischer Sicht durchgehend uneingeschränkt arbeitsfähig gewesen. Schon im August 2013 hatte Dr. G. nämlich auf eine relevante psychische Problematik hingewiesen. In ihrem neusten Bericht vom Februar 2015 hat sie festgehalten, dass sich die Beschwerdeführerin seit August 2013 bei ihr in (mehr weniger) regelmässiger Behandlung befunden hat. Zudem hat sie darauf hingewiesen, dass sich der psychische Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin jeweils im Zusammenhang mit Konfliktsituationen im Alltag – „die Aufforderung zum Auszug aus der Wohnung, Überforderung am Arbeitsplatz, Druck durch das Sozialamt“ (act. G 16.1.1) – bereits schon vor dem Erlass der angefochtenen Verfügung wiederholt verschlechtert und in der Folge jeweils wieder stabilisiert hatte. Damit erweist sich der medizinische Sachverhalt als ungenügend abgeklärt, was eine Bemessung der Invalidität verunmöglicht. Die Beschwerdegegnerin hat fälschlicherweise angenommen, der Invaliditätsgrad sei irrelevant, weil sie davon

ausgegangen ist, dass die Beschwerdeführerin mangels der Erfüllung der versicherungsmässigen Voraussetzungen ohnehin keinen Rentenanspruch habe. Da die versicherungsmässigen Voraussetzungen aber entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin erfüllt sind, hängt die Beurteilung des Rentenbegehrens der Beschwerdeführerin massgebend vom Invaliditätsgrad ab. Vor diesem Hintergrund liegt eine objektive Verletzung der Untersuchungspflicht (Art. 43 Abs. 1 ATSG) vor. Die Verfügung vom 3. April 2014 muss deshalb aufgehoben und die Sache muss an die Beschwerdegegnerin zur Fortsetzung der Sachverhaltsabklärung zurückgewiesen werden. Angesichts der aktenmässig dokumentierten Beschwerden, die teils somatischer und teils psychischer Natur sind, erscheint die Einholung eines (mindestens) bidisziplinären Gutachtens als angezeigt.

4.

Die Rückweisung einer Sache zur weiteren Abklärung gilt hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen rechtsprechungsgemäss als ein vollständiges Obsiegen der beschwerdeführenden Partei. Die Gerichtskosten von 600 Franken sowie die Kosten für die Rückfrage bei Dr. B. (50 Franken) sind deshalb der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. Diese ist auch zu verpflichten, der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung auszurichten. Deren Rechtsvertreter hat eine Honorarnote über 4'911.15 Franken eingereicht (act. G 31.1). Da vorliegend aber nur wenige Akten zu studieren gewesen sind und da die Vertretung – abgesehen vom zusätzlichen Aufwand im Zusammenhang mit den Abklärungen im Beschwerdeverfahren – auch ansonsten nicht übermässig aufwendig gewesen ist, ist die Honorarnote als übersetzt zu qualifizieren. Praxisgemäss ist die Parteientschädigung angesichts des insgesamt als durchschnittlich zu bezeichnenden Vertretungsaufwandes auf 3'500 Franken (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) festzusetzen.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

In teilweiser Gutheissung der Beschwerde ist die angefochtene Verfügung vom 3. April 2014 aufzuheben und die Sache ist an die Beschwerdegegnerin zur Durchführung weiterer Abklärungen und zur anschliessenden neuen Verfügung im Sinne der Erwägungen zurückzuweisen.

2.

Die Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten von Fr. 600.-- und die Kosten für die Rückfrage bei Dr. B. von Fr. 50.-- zu bezahlen.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin mit Fr. 3'500.-- zu entschädigen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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