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Urteil Versicherungsgericht (SG - IV 2006/298)

Zusammenfassung des Urteils IV 2006/298: Versicherungsgericht

Das Versicherungsgericht hat entschieden, dass die Rentensistierung der Beschwerdeführerin während der Untersuchungshaft und dem vorzeitigen Strafvollzug gerechtfertigt ist. Die Beschwerdegegnerin muss prüfen, ob die Rentensistierung auch während des eigentlichen Strafvollzugs gerechtfertigt ist und entsprechend neu verfügen. Die Rückforderungsverfügung wurde aufgehoben, da sie an die Sistierungsverfügung geknüpft war. Die Beschwerdegegnerin muss über die Rückforderung je nach weiteren Abklärungen neu entscheiden. Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheissen und zur weiteren Abklärung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen. Die Gerichtsgebühr von CHF 600 wird der Beschwerdegegnerin auferlegt. Der geleistete Kostenvorschuss wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts IV 2006/298

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2006/298
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2006/298 vom 01.10.2007 (SG)
Datum:01.10.2007
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 21 Abs. 5 ATSG. Grundsätzlich und entgegen dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 5 ATSG kann eine IV-Rente nicht nur während des Straf- und Massnahmenvollzugs, sondern auch während der Untersuchungshaft und des vorzeitigten Strafvollzugs sistiert werden. Aufgrund der im Kanton St. Gallen geltenden Regelung über die Kostenbeteiligung von Eingewiesenen im Straf- und Massnahmenvollzug kommt eine Rentensistierung im Einzelfall nur in Frage, wenn die invalide eingewiesene Person im Vollzug einer Arbeit nachgehen und dafür ein Einkommen erzielen kann, das es ihr u.a. erlaubt, eine Rücklage für die Zeit nach dem Vollzug zu bilden (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 1. Oktober 2007, IV 2006/298). Aufgehoben durch Urteil des Bundesgerichts 8C_702/2007.
Schlagwörter: Rente; Vollzug; Untersuchung; Untersuchungs; Renten; Untersuchungshaft; Rentensistierung; Recht; Person; Massnahme; Arbeit; Massnahmen; Massnahmenvollzug; Sicherheit; Sicherheitshaft; Vollzug; Quot; Rechtsprechung; Freiheit; Sistierung; Vollzugs; Vollzugs; Untersuchungsoder; Versicherung; Einstellung; Freiheitsentzug; Entscheid; IV-Rente
Rechtsnorm: Art. 13 MVG;Art. 21 ATSG ;Art. 25 ATSG ;Art. 32 BV ;Art. 380 StGB ;Art. 43 MVG;Art. 75 StGB ;Art. 8 BV ;Art. 81 StGB ;Art. 83 StGB ;
Referenz BGE:110 V 284; 113 V 273; 114 V 143; 116 V 20; 116 V 22; 116 V 323; 117 Ia 72; 123 I 238; 126 I 172; 133 V 1;
Kommentar:
-, Kommentar zum ATSG, Zürich, Art. 21 ATSG, 2003

Entscheid des Verwaltungsgerichts IV 2006/298

Präsident Franz Schlauri, Versicherungsrichterinnen Karin Huber-Studerus und Lisbeth Mattle Frei; Gerichtsschreiberin Miriam Lendfers

Entscheid vom 1. Oktober 2007 In Sachen

M. ,

Beschwerdeführerin, vertreten durch die A. , gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin, betreffend

Sistierung und Rückerstattung der IV-Rente

hat das Versicherungsgericht in Erwägung gezogen: I.

A.- M. , Jahrgang 1985, bezieht seit dem 1. August 2004 eine ganze Rente der Invalidenversicherung (IV-act. 7). Sie leidet an psychischen Problemen; nach IV-Akten aus dem Jahr 2004 besteht offenbar eine leichte geistige Einschränkung mit geringer sozialer Kompetenz und deutlichen Verhaltensstörungen (IV-act. 20, S. 2

oben). Mit Urteil des Bezirksgerichts B. vom 12. Juli 2006 wurde sie der vorsätzlichen Tötung und der Brandstiftung schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zuvor hatte sie sich ab 4. Februar 2005 in Untersuchungshaft und ab 1. April 2005 anschliessend im vorzeitigen Strafvollzug befunden (IV-act. 12). Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils informierte ihr Beistand C. die IV-Stelle mit Schreiben vom 11. Oktober 2006 über die Strafe (IV- act. 13). Am 29. November 2006 verfügte die IV-Stelle die Sistierung der Rente rückwirkend ab 1. März 2005 (IV-act. 22). Mit Verfügung vom 30. November 2006 forderte sie die von März 2005 bis November 2006 bezahlte Rente in der Höhe von insgesamt Fr. 30'093.- zurück (IV-act. 23).

B.- a) Gegen beide Verfügungen erhob der Beistand der Versicherten am 19. Dezember 2006 Beschwerde. Er beantragt sinngemäss deren Aufhebung. Die Untersuchungshaft zähle nicht zum Straf- und Massnahmenvollzug, weshalb die Sistierung der Rente per

1. März 2005 und damit auch die Rückforderung für die Zeit bis 12. Juli 2006 nicht gerechtfertigt seien. Man akzeptiere selbstverständlich die Einstellung der Rente per rechtsgültige Verurteilung vom 12. Juli 2006 (act. G 1).

  1. In der Beschwerdeantwort vom 25. Januar 2007 beantragt die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde. Den Materialien könne entnommen werden, dass

    auch unter der Geltung des ATSG die Handhabung der Rentensistierung nach bisheriger Rechtsprechung erfolgen sollte. Danach sei die Untersuchungshaft von einer gewissen Dauer ein Grund zur Rentensistierung. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schreibe den IV-Stellen im IV-Rundschreiben Nr. 225 vom 19. September 2005 deshalb vor, die Rente auch während der Untersuchungshaft zu sistieren. Doch selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Rentensistierung während der Untersuchungshaft nicht zulässig wäre, sei die Sistierung im vorliegenden Fall ab dem 1. März 2005 zulässig. Die 56 Tage Untersuchungshaft und die Zeit des vorzeitigen Strafvollzugs würden nämlich bei der Zuchthausstrafe von sieben Jahren angerechnet. Somit habe der Strafvollzug mit der Untersuchungshaft angefangen. Auch die Rückerstattungsverfügung sei zu Recht ergangen (act. G 4).

  2. Der Beistand der Beschwerdeführerin verzichtete auf eine Replik (act. G 6). II.

1.- Die Beschwerde vom 19. Dezember 2006 richtet sich einerseits gegen die Rechtmässigkeit der Rentensistierung während der Dauer von Untersuchungshaft und vorzeitigem Strafvollzug und andererseits gegen die Rückforderung der zwischen 1. März 2005 und der rechtskräftigen Verurteilung bezahlten Rente. Im Verfahren vor Versicherungsgericht ist das Gericht an die Begehren der Parteien nicht gebunden (Art. 61 lit. d des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]).

2.- a) Gemäss Art. 21 Abs. 5 ATSG kann die Auszahlung von Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter ganz teilweise eingestellt werden, solange sich die versicherte Person im Straf- Massnahmenvollzug befindet; ausgenommen sind die Geldleistungen für Angehörige im Sinne von Art. 21 Abs. 3 ATSG. Streitig ist vorliegend u.a. die Frage, ob die Auszahlung einer IV-Rente gestützt auf Art. 21 Abs. 5 ATSG auch dann eingestellt werden kann, wenn sich die versicherte Person in Untersuchungshaft im vorzeitigen Strafvollzug befindet. Es fragt sich mithin, ob diese Formen des Freiheitsentzuges einen Grund für eine Rentensistierung gemäss Art. 21 Abs. 5 ATSG darstellen.

  1. Vor Inkrafttreten des ATSG war die Frage der Rentenberechtigung im Falle des Strafvollzuges abgesehen vom Bundesgesetz über die Militärversicherung (Art. 43 MVG vom 20. September 1949; Art. 13 MVG vom 19. Juni 1992) nicht ausdrücklich geregelt. Nach der bis Dezember 1987 geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung war die Invalidenrente einer versicherten Person, deren Invalidität durch einen Einkommensvergleich im Sinne von Art. 28 Abs. 2 IVG ermittelt worden war, gestützt auf aArt. 41 IVG (aufgehoben auf den 31. Dezember 2002) zu revidieren, wenn sie sich für eine gewisse Dauer in Untersuchungshaft im Strafvollzug befand, weil dieser Freiheitsentzug eine Änderung des rechtlichen Status des Versicherten bewirke. Die versicherte Person wurde alsdann als Nichterwerbstätige betrachtet, da sie in der Regel keine Erwerbstätigkeit ausüben könnte. In ihrem üblichen Aufgabenbereich, der in der Strafverbüssung bestünde, wäre sie aber nicht behindert, so dass sie keine Rente beanspruchen könnte. Müsste in diesem Sinne die Rente einer versicherten Person revidiert bzw. aufgehoben werden, so zöge dies auch die Aufhebung der Zusatzrente für den Ehegatten und der Kinderrente (Art. 34 und 35 IVG) nach sich (BGE 110 V 284 und 107 V 219). In BGE 113 V 273 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG; heute Bundesgericht) die dargelegte Rechtsprechung überprüft und befunden, der Umstand, dass eine versicherte Person sich im Strafvollzug befinde, sei kein Grund, ihre Rente in Anwendung von Art. 41 IVG zu revidieren. Einerseits werde der Gesundheitszustand durch den Freiheitsentzug offensichtlich nicht geändert und andererseits könne auch nicht von einer wirklichen Änderung des rechtlichen Status der versicherten Person gesprochen werden. Im Übrigen sei der Verurteilte während des Vollzugs einer Gefängnis- Zuchthausstrafe zu einer Arbeit verpflichtet, die seinen Fähigkeiten entspreche und ihm ermögliche, nach Beendigung des Freiheitsentzugs für seinen Unterhalt aufzukommen (aArt. 37 Ziff. 1 Abs. 2 StGB). Aus dieser Sicht sei die Auffassung, dass ein Gefangener als Nichterwerbstätiger behandelt werden müsse, dessen üblicher Aufgabenbereich nur in der Strafverbüssung bestehe, mit der erzieherischen Wirkung, welche die Massnahme ebenfalls bezwecke, nicht vereinbar. Daraus hat das EVG den Schluss gezogen, dass die Inhaftierung jede andere Art eines von einer Strafbehörde angeordneten Freiheitsentzugs – einschliesslich Aufenthaltes in einer Arbeitserziehungsanstalt – nicht einen Grund zur Revision des Rentenanspruchs, sondern lediglich einen Sistierungsgrund darstellt. Aus dem Umstand, dass der

    Rentenanspruch als solcher bestehen bleibt, hat das Gericht ferner gefolgert, dass der Strafantritt nicht mehr wie bisher zu einer Einstellung der Zusatzrenten führt, sondern dass diese im Gegenteil weiter ausgerichtet werden müssen (BGE 113 V 273; unveröffentlichte Urteile i/S N. vom 2. Februar 1988 und i/S B. vom 20. Januar 1988; vgl. auch ZAK 1988 S. 224 ff.). In BGE 114 V 143, Erw. 2 und 116 V 323 hat das EVG diese Rechtsprechung bestätigt. In der Regeste zu BGE 116 V 323 wurde ausdrücklich festgehalten, dass eine Untersuchungshaft von gewisser Dauer in gleicher Weise Anlass zur Rentensistierung biete wie jede andere Form des von einer Strafbehörde angeordneten Freiheitsentzugs.

  2. Dabei ist unter dem vom EVG verwendeten und auch in der Lehre anzutreffenden Begriff der "Sistierung" bzw. "Rentensistierung" ein eigentlicher Auszahlungsstopp zu verstehen. Das bedeutet, dass die Ausrichtung der Rente für eine gewisse Zeit – vorliegend für die Dauer eines Freiheitsentzuges – ganz teilweise ausgesetzt wird, wobei der versicherten Person nach Aufhebung des Auszahlungsstopps kein Anspruch auf Nachzahlungen zusteht, sondern die Rentenzahlung mit Wirkung ex nunc wieder aufgenommen wird.

  3. Mit Urteil I 540/2005 vom 5. Dezember 2005 hat das EVG in Erw. 2 sinngemäss festgehalten, dass die bis zum Inkrafttreten des ATSG am 1. Januar 2003 ergangene Praxis zur damals auf der Rechtsprechung beruhenden Sistierung von Geldleistungen während des Straf- Massnahmenvollzugs auch unter Geltung des Art. 21 Abs. 5 ATSG zu beachten sei. Namentlich wird auf BGE 116 V 22 f. und BGE 114 V 143 Erw. 2 verwiesen. Auch in der Lehre wird festgehalten, dass die Bestimmung von Art. 21 Abs. 5 ATSG die bisherige Rechtsprechung zur Rentensistierung aufgreife (UELI KIESER, Kommentar zum ATSG, Zürich 2003, Art. 21 Rz. 76); allerdings wird die Meinung vertreten, Untersuchungs- und Sicherheitshaft würden – ungeachtet der anders lautenden, vor Inkrafttreten des ATSG ergangenen Rechtssprechung bezüglich IV- Leistungen (BGE 116 V 323 ff.) – keinen Sistierungsgrund gemäss Art. 21 Abs. 5 ATSG darstellen (KIESER, a.a.O., Art. 21 Rz. 79; LOCHER, a.a.O., § 40 Rz. 39, S. 271).

    Begründet wird diese Ansicht damit, dass Art. 21 Abs. 5 ATSG die bisherige Regelung von aArt. 13 Abs. 1 MVG übernehme und für die Militärversicherung (MV) vor Inkrafttreten des ATSG die Untersuchungshaft und die Sicherheitshaft keinen Anlass zur Sistierung der Leistungen ergeben hätten (KIESER, a.a.O, Art. 21 Rz. 76, 79; JÜRG

    MAESCHI, Kommentar zum Bundesgesetz über die Militärversicherung (MVG) vom 19. Juni 1992, Bern 2000, Art. 13 Rz. 13). Allerdings sind zu Art. 13 MVG in der Fassung vom 19. Juni 1992 keine publizierten EVG-Entscheide bekannt; folglich kann diesbezüglich nicht auf eine höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

  4. Im IV-Rundschreiben Nr. 225 vom 19. September 2005 hat sich das BSV mit der Frage befasst, ob auch unter Geltung des Art. 21 Abs. 5 ATSG an der bisherigen Rechtsprechung zur Rentensistierung während der Untersuchungshaft festgehalten werden könne. Dabei wird unter Verweis auf die Materialien zum ATSG ausgeführt, dass in Art. 21 Abs. 5 ATSG lediglich der Wortlaut von aArt. 13 Abs. 1 MVG übernommen worden sei, die Handhabung der Norm jedoch weiter nach bisheriger IV- Rechtsprechung erfolgen sollte. Die Untersuchungshaft biete damit auch unter der Herrschaft des ATSG in gleicher Weise Anlass zur Rentensistierung wie jede andere Form des von einer Strafbehörde angeordneten Freiheitsentzuges (BGE 116 V 323).

  5. Zu prüfen ist, ob sich aus den im soeben zitierten IV-Rundschreiben Nr. 225 vom 19. September 2005 genannten Materialien zum ATSG tatsächlich der Schluss ziehen lässt, dass die Handhabung von Art. 21 Abs. 5 ATSG weiterhin der bisherigen IV- Rechtsprechung zur Rentensistierung bei Untersuchungs- Sicherheitshaft folgen soll. Einzugehen ist mithin auf die Entstehungsgeschichte des Art. 21 Abs. 5 ATSG. Im Bericht der Kommission des Nationalrates für Soziale Sicherheit vom 26. März 1999 heisst es zur vorliegend interessierenden Bestimmung (BBl 1999 V 4567) lediglich: "Inhaltlich kann sich die Kommission dem Vorschlag des Bundesrates zur Einfügung einer Kürzungsregelung im Falle des Straf- Massnahmenvollzugs anschliessen, denn das MVG kennt heute in Artikel 13 eine entsprechende Regel und es würde der neueren Rechtsprechung entsprechen, eine solche Klausel generell aufzunehmen: Nach der neueren Rechtsprechung des EVG muss bei Strafgefangenschaft der Rentenanspruch sistiert werden, während die für die Deckung des Unterhaltsbedarfs der Angehörigen bestimmten Zusatzrenten weiter ausgerichtet werden (BGE 113 V 273, BGE 114 V 143, BGE 116 V 20). Klargestellt wird mit dem Verweis auf Absatz 2bis auch, dass der Anteil für Angehörige nicht gekürzt werden kann." Auch die vertiefte bundesrätliche Stellungnahme vom 17. August 1994 zum Bericht der Kommission des Ständerates vom 27. September 1990 über den Allgemeinen Teil Sozialversicherung

    nimmt Bezug auf die neuere Rechtsprechung bzw. Art. 13 MVG, heisst es doch in BBl 1994 V 937: "Der von uns vorgeschlagene Wortlaut hat seine Grundlage im Einklang mit der Rechtsprechung (BGE 113 V 273, 114 V 143) in Artikel 13 des neuen MVG vom 19. Juni 1992."

  6. Den zitierten Materialien zum ATSG ist zu entnehmen, dass mit Art. 21 Abs. 5 ATSG zum einen die Bestimmung von aArt. 13 Abs. 1 MVG für das gesamte Sozialversicherungsrecht übernommen und zum andern die in BGE 113 V 273, 114 V 143 und 116 V 20 ergangene Rechtsprechung zur Rentensistierung bei Straf- und Massnahmenvollzug berücksichtigt werden sollte. Immerhin wird auf die zuletzt erwähnten Entscheide in BBl 1994 V 937 und BBl 1999 V 4567 ausdrücklich hingewiesen. Diese Rechtsprechung besagt, dass Untersuchungshaft von gewisser Dauer in gleicher Weise Anlass zur Rentensistierung biete wie jede andere Form des von einer Strafbehörde angeordneten Freiheitsentzuges. Ob sich der Gesetzgeber dieser Konsequenz allerdings tatsächlich bewusst war und die Untersuchungs- Sicherheitshaft als Grund für eine Rentensistierung betrachtete, lässt sich angesichts der in den Materialen gewählten Formulierungen nicht mit Sicherheit sagen und erscheint zumindest als fraglich. In BBl 1999 V 4567 heisst es nämlich wörtlich: "[…] nach der neueren Rechtsprechung des EVG muss bei Strafgefangenschaft der Rentenanspruch sistiert werden, […]." Vom Ausdruck "Strafgefangenschaft" wird die Untersuchungs- und Sicherheitshaft an sich nicht erfasst. Eine in Untersuchungs- Sicherheitshaft versetzte Person ist kein Strafgefangener, sondern von einer strafprozessualen Zwangsmassnahme betroffen. In den Materialien zu Art. 21 Abs. 5 ATSG wird überdies immer wieder auf aArt. 13 Abs. 1 MVG hingewiesen, was an sich nicht weiter zu erstaunen vermag, war doch diese Bestimmung bis zum Inkrafttreten des Art. 21 Abs. 5 ATSG die einzige innerhalb der sozialversicherungsrechtlichen Gesetzgebung, die sich mit der Frage der Rentensistierung bei Straf- und Massnahmenvollzug befasste (MAESCHI, a.a.O., Art. 13 Rz. 6). Zu dieser Bestimmung ergingen indes wie erwähnt – soweit ersichtlich – keine publizierten höchstrichterlichen Entscheide. Vielmehr basiert die in der Lehre vertretene Ansicht, für die MV sei bezüglich Rentensistierung bei Untersuchungshaft anders entschieden worden als für die IV (KIESER, a.a.O., Art. 21 Rz. 79), im Wesentlichen auf der Aussage von MAESCHI, der zu aArt. 13 Abs. 1 MVG folgendes ausführte: "Im Gegensatz zur Praxis in der IV (BGE 116 V 323 ff.) geben die Untersuchungshaft und Sicherheitshaft keinen Anlass zur

    Sistierung der Leistungen nach MVG 13, auch wenn sie an eine spätere Freiheitsstrafe angerechnet werden […]". (MAESCHI, a.a.O, Art. 13 Rz. 13). Auch in der Literatur zu Art. 43 MVG vom 20. September 1949 wurde die Ansicht vertreten, die Untersuchungs- Sicherheitshaft gestatte die Anwendung von Art. 43 nicht, selbst wenn sie vom Richter verfügt worden sei (BERNHARD SCHATZ, Kommentar zur Eidgenössischen Militärversicherung, Zürich 1952, S. 215). Die Verweise in den Materialien zum ATSG auf aArt. 13 Abs. 1 MVG und die einschlägigen, allerdings allesamt schon älteren höchstrichterlichen Urteile zur Frage der Rentensistierung bei Straf- und Massnahmenvollzug lassen aufgrund des Dargelegten keine eindeutige Antwort auf die Frage zu, ob nach dem Willen des Gesetzgebers auch gemäss Art. 21 Abs. 5 ATSG die Untersuchungshaft und die Sicherheitshaft von gewisser Dauer einen Grund für eine Rentensistierung darstellen sollen. Offensichtlich wurde diese Problematik während der Gesetzgebungsarbeiten nicht eingehend diskutiert (vgl. auch BGE 133 V 1, Erw. 4.2.2, wonach sich aus den Materialien lediglich ergebe, dass der Gesetzgeber an aArt. 13 MVG und die Rechtsprechung zum IVG habe anknüpfen wollen, sich dabei aber offenbar nicht bewusst gewesen sei, dass der Gesetzeswortlaut der MV-Bestimmung bezüglich Untersuchungshaft mit der IVG-Praxis nicht übereingestimmt habe. Eine bewusste Haltung des historischen Gesetzgebers sei weder für die eine noch die andere Position erkennbar).

  7. Vor diesem Hintergrund erscheint es angezeigt, für die Frage, ob auch die Untersuchungs- Sicherheitshaft einen Grund für die Einstellung der Auszahlung einer IV-Rente darstellen, in einem ersten Schritt auf den klaren und eindeutigen Wortlaut von Art. 21 Abs. 5 ATSG abzustellen, der als Sistierungsgrund einzig den Straf- Massnahmenvollzug nennt. Voraussetzung für den Vollzug von Strafen und Massnahmen ist der Eintritt der formellen Rechtskraft des anordnenden Entscheids (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts – Dargestellt am Beispiel des Kantons St. Gallen, 2. Aufl., Bern 2005, Rz. 1863), d.h. das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Strafe bzw. das Vorliegen einer rechtskräftigen Anordnung einer Massnahme. Weder die Untersuchungs- noch die Sicherheitshaft bilden Teil des Straf- Massnahmenvollzuges, geht es dabei doch nicht darum, die durch einen formell rechtskräftigen Entscheid ausgefällte Strafe Massnahme zu vollziehen. Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind vielmehr als reine strafprozessuale Zwangsmassnahmen zu qualifizieren, wobei für den davon Betroffenen bis zu einer

allfälligen rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt. Sie lassen sich – da sie sich von ihrer Rechtsnatur, aber auch von ihrer praktischen Ausgestaltung her vom Straf- und Massnahmenvollzug deutlich unterscheiden – aufgrund der grammatikalischen Auslegung nicht unter die in Art. 21 Abs. 5 ATSG genannten Sistierungsgründe subsumieren (so auch BGE 133 V 1, Erw. 4.2.1). Hätte nach Ansicht des Gesetzgebers auch die Untersuchungs- und die Sicherheitshaft einen Grund für eine Einstellung der Ausrichtung von Rentenleistungen darstellen sollen, so wäre an sich zu erwarten gewesen, dass eine entsprechende Formulierung im Gesetzestext erschienen dann aber zumindest ein eindeutiger Hinweis in den Materialien angebracht worden wäre; umso mehr, weil diese Frage vor Inkrafttreten des ATSG in der MV offensichtlich anders beurteilt wurde als in der IV.

i) Während die Entstehungsgeschichte des Art. 21 Abs. 5 ATSG – und damit die historische Auslegung der Bestimmung – keinen eindeutigen Schluss zulässt, ob die Untersuchungs- Sicherheitshaft einen Grund für die Einstellung der Ausrichtung von Rentenleistungen darstellen, spricht die grammatikalische Auslegung von Art. 21 Abs. 5 ATSG eindeutig dagegen. Zu untersuchen bleibt, ob eine teleologische Auslegung der Bestimmung – mithin eine, die nach deren Sinn und Zweck fragt – allenfalls zu einem anderen Ergebnis führt. Das Bundesgericht hat jedenfalls unter einem teleologischen Blickwinkel – verbunden mit der Forderung nach rechtsgleicher Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV) – einer vom Wortlaut des Art. 21 Abs. 5 ATSG abweichenden Betrachtungsweise den Vorzug gegeben (vgl. BGE 133 V 1, Erw. 4.2.4.1). Als ratio legis von Art. 21 Abs. 5 ATSG ist nach Ansicht des Bundesgerichts die Gleichbehandlung der invaliden mit der gesunden inhaftierten Person, die durch einen Freiheitsentzug ihr Erwerbseinkommen verliert, anzusehen. Damit sei der Rentenanspruch einer Person, die sich in Untersuchungshaft befinde, grundsätzlich zu sistieren, da auch eine gesundheitlich unbeeinträchtigte Person während dieser Zeit in der Regel einen Erwerbsausfall zu gewärtigen habe. Dies könne allerdings aus Praktikabilitätsgründen lediglich für Untersuchungshaft gelten, die eine gewisse Zeit angedauert habe, wobei die "gewisse Dauer", während der die Rente noch auszurichten sei, bis zu drei Monaten betragen dürfte; dies in Anlehnung an die gemäss Art. 88a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 IVV rentenrevisionsrechtlich massgebliche Zeitspanne der anspruchsbeeinflussenden Änderung der Verhältnisse (BGE 133 V 1, Erw. 4.2.4.2). Eine teleologische und die Rechtsgleichheit miteinbeziehende

Betrachtungsweise zeige damit den Rechtssinn des Art. 21 Abs. 5 ATSG auf, weshalb vom Wortlaut der Bestimmung abzuweichen sei. Der Umstand, dass die Bestimmung als Grund für eine Rentensistierung lediglich den Straf-

oder Massnahmenvollzug nenne, könne kein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers im Sinne einer bewusst negativen Antwort darstellen. Vielmehr sei eine auf dem Auslegungsweg ermittelte stillschweigende Anordnung desselben anzunehmen (BGE 133 V 1, Erw. 4.3).

j) Die von der IV-Stelle gestützt auf Art. 21 Abs. 5 ATSG verfügte Einstellung der Rentenausrichtung während der Dauer der Untersuchungshaft erweist sich – insbesondere mit Blick auf BGE 133 V 1 – als grundsätzlich zulässig (zur Dauer der Untersuchungshaft siehe unten Erw. 3e).

3.- a) Zu prüfen bleibt die Frage, ob der vorzeitige Strafvollzug, in dem sich die Beschwerdeführerin von 1. April 2005 bis zur Verurteilung im Juli 2006 befand, ebenfalls einen Grund zur Rentensistierung gemäss Art. 21 Abs. 5 ATSG darstellt.

  1. Der vorzeitige Strafvollzug kann gemäss Art. 75 Abs. 2 StGB und Art. 132 Abs. 1 des Strafprozessgesetzes des Kantons St. Gallen (StP; sGS 962.1) vom Untersuchungsrichter angeordnet werden, wenn der Angeschuldigte, der eine längere, unbedingte Freiheitsstrafe zu erwarten hat, sein ausdrückliches Einverständnis gibt und es der Stand der Untersuchung erlaubt. Der vorzeitige Straf- und Massnahmenvollzug stellt dabei seiner Natur nach eine Vorkehr auf der Schwelle zwischen Strafverfolgung und Strafvollzug dar. Er soll ermöglichen, dass dem Angeschuldigten bereits vor der (rechtskräftigen) Urteilsfällung verbesserte Chancen auf Resozialisierung im Rahmen des Strafvollzuges geboten werden können (BGE 117 Ia 72, Erw. 1 c). Dabei handelt es sich aber nach wie vor um eine Form der strafprozessualen Freiheitsentziehung, die sich auf kantonales Strafverfahrens- und Strafvollzugsrecht stützt. Es gelten mithin die Verfahrensregeln des strafprozessualen Haftrechts, und der Angeschuldigte steht – wie auch während der Untersuchungs- Sicherheitshaft – nach wie vor unter dem Schutz der Unschuldsvermutung gemäss Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK (BGE 126 I 172, Erw. 3 a).

  2. Auch der vorzeitige Strafvollzug stellt ein strafprozessuales Instrument dar und unterscheidet sich vom Strafvollzug nach rechtskräftiger Verurteilung folglich von seiner Rechtsnatur her. Dies ergibt sich auch aus Art. 132 Abs. 2 StP, wonach der Angeschuldigte dem Untersuchungsrichter jederzeit ein Gesuch um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug stellen kann – ein Recht, das einer Person, die sich im Strafvollzug nach rechtskräftiger Verurteilung befindet, in dieser Form selbstverständlich nicht zusteht. In den bereits genannten Materialien zu Art. 21 Abs. 5 ATSG (BBl 1994 V 937 und BBl 1999 V 4567) wird die Frage der Zulässigkeit einer Rentensistierung während eines vorzeitigen Strafvollzugs nicht beantwortet, ja nicht einmal thematisiert. Zu dieser Problematik sind – soweit ersichtlich – weder vor noch nach Inkrafttreten des ATSG publizierte Entscheide des EVG ergangen. Auch im bereits mehrfach erwähnten BGE 133 V 1 ff. äussert sich das EVG nicht zur Frage der Rentensistierung während des vorzeitigen Straf- Massnahmenvollzuges. An dieser Stelle lässt sich immerhin festhalten, dass der vorzeitige Straf- und Massnahmenvollzug aufgrund des soeben Dargelegten vom klaren und eindeutigen Wortlaut des Art. 21 Abs. 5 ATSG nicht erfasst wird, sofern man einzig auf die Rechtsnatur des Freiheitsentzuges abstellt.

  3. Es fragt sich allerdings, ob aufgrund einer teleologischen Auslegung des Art. 21 Abs. 5 ATSG der vorzeitige Strafvollzug dem eigentlichen Strafvollzug nach rechtskräftiger Verurteilung bezüglich Auszahlungssistierung von Renten gleichgestellt werden kann und damit – über den Wortlaut von Art. 21 Abs. 5 ATSG hinaus – als Grund für eine Rentensistierung zu betrachten wäre. Obwohl der vorzeitige Strafvollzug von seiner Rechtsnatur her ein strafprozessuales Instrument darstellt und eine sich im vorzeitigen Strafvollzug befindende Person nach wie vor als unschuldig gilt, ist er – wie es das Bundesgericht in BGE 117 Ia 72, Erw. 1c formuliert hat – auf der Schwelle des eigentlichen Strafvollzuges anzusiedeln und unterscheidet sich von der

    Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft insofern, als aufgrund des Untersuchungsstandes damit gerechnet werden kann, dass der Angeschuldigte eine längere, unbedingte Freiheitsstrafe zu erwarten hat. Der vorzeitige Strafvollzug ist somit insgesamt – wenn auch nicht von seiner Rechtsnatur, so doch von seiner Ausgestaltung bzw. vom Ergebnis her – näher beim Strafvollzug nach rechtskräftiger Verurteilung denn bei der Untersuchungs- Sicherheitshaft anzusiedeln. Insbesondere gilt während des vorzeitigen Strafvollzugs grundsätzlich auch bereits das normale Vollzugsregime

    (OBERHOLZER, a.a.O., Rz. 1127). Im Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 5 ATSG rechtfertigt es sich daher, den vorzeitigen Strafvollzug dem eigentlichen Strafvollzug nach rechtskräftiger Verurteilung gleichzustellen und diesen als Grund für eine Rentensistierung zu betrachten. Zu demselben Ergebnis gelangt man im Übrigen auch in Anwendung des Grundsatzes "a maiore ad minus". Wenn gemäss BGE 133 V 1 ff. bereits die Untersuchungshaft von gewisser Dauer einen Grund für die Einstellung der Auszahlung von Geldleistungen mit Erwerbsersatzcharakter darstellt, muss dies umso mehr für den vorzeitigen Straf- Massnahmenvollzug gelten (vgl. zum Ganzen auch das im Internet publizierte, noch nicht rechtskräftige Urteil IV 2006/83 des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. Februar 2007, Erw. 3 und 4).

  4. Die Beschwerdeführerin befand sich ab 4. Februar 2005 während 56 Tagen in Untersuchungshaft und anschliessend im vorzeitigen Strafvollzug (IV-act. 12 S. 3). Die Untersuchungshaft dauerte zwar nicht drei Monate (vgl. die obenstehende Erw. 2i). Da jedoch an die Untersuchungshaft direkt der vorzeitige Strafvollzug anschloss und deswegen die Frage der Rentensistierung ohnehin zu überprüfen ist, kann die unter drei Monaten liegenden Dauer der Untersuchungshaft natürlich nicht als zu kurz für die Rentensistierung gewertet werden. Schliesslich lässt sich das Erfordernis, dass die Untersuchungshaft eine gewisse Dauer aufzuweisen hat, nur mit Praktikabilitätsüberlegungen begründen (vgl. BGE 133 V 1, Erw. 4.2.4.2) und soll verhindern, dass sich die nur mit einigem Aufwand zu beantwortende Sistierungsfrage bei kurzer Untersuchungshaft von einigen Tagen Wochen mit anschliessender Wiedererlangung der Freiheit stellt.

4.- a) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass im vorliegenden Fall die IV- Renten¬sistierung grundsätzlich ab 1. März 2005 möglich ist. Zu beachten gilt es dabei allerdings, dass es sich bei Art. 21 Abs. 5 ATSG um eine "Kann-Vorschrift" handelt. Das bedeutet, dass die vollständige partielle Einstellung einer Rentenzahlung während der Untersuchungs- Sicherheitshaft sowie während des vorzeitigen ordentlichen Straf- Massnahmenvollzugs nicht in jedem Fall zwingend anzuordnen ist.

  1. Die Einstellung Einschränkung einer Rentenzahlung während der Untersuchungs- Sicherheitshaft bzw. während des (vorzeitigen) Straf- oder

    Massnahmenvollzugs lässt sich hauptsächlich durch die Tatsache rechtfertigen, dass ein invalider Gefangener keinen wirtschaftlichen Vorteil aus dem Vollzug ziehen soll, da der nichtinvalide Gefangene ebenfalls in der Regel sein Erwerbseinkommen verliert (vgl. BGE 133 V 1, Erw. 4.2.4.1). Mit anderen Worten soll mit einer gestützt auf Art. 21 Abs. 5 ATSG angeordneten Rentensistierung eine Leistungsausrichtung unterbunden werden, die zu einer stossenden Besserstellung der versicherten Person führt; einer stossenden Besserstellung gegenüber nichtinvaliden Inhaftierten bzw. Strafgefangenen, aber auch gegenüber invaliden Versicherten, die sich nicht im Straf- Massnahmenvollzug bzw. in Untersuchungs- Sicherheitshaft befinden. Ob eine vollständige partielle Rentensistierung für die Dauer der Untersuchungshaft des (vorzeitigen) Straf- Massnahmenvollzugs angezeigt ist, bedarf somit einer einzelfallbezogenen Prüfung der konkreten Umstände. Die Weiterausrichtung eines Teils der der ganzen Rente dürfte jedenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn eine stossende Besserstellung der versicherten invaliden Person gar nicht eintreten kann. Dies gilt umso mehr als die Rentenberechtigung im Allgemeinen nicht davon abhängen kann, wie der Rentner lebt, ob als gefangene, nichterwerbstätige erwerbstätige Person im Rahmen der verbleibenden Erwerbsmöglichkeit.

  2. Nach der Ansicht von MAESCHI steht die Einstellung der Rentenzahlungen nicht im freien Ermessen der (Militär-)Versicherung. Sofern die im Gesetz genannten Tatbestände gegeben seien, sei von einer Sistierung nur ausnahmsweise abzusehen, wenn hierfür besondere Gründe vorlägen. Diese könnten nebst dem Strafvollzug in Form der Halbgefangenschaft Halbfreiheit etwa darin liegen, dass der Versicherte für die Kosten eines Massnahmenvollzugs aufzukommen habe (vgl. MAESCHI, a.a.O., Art. 13 Rz. 8 mit Hinweis auf ZAK 1989, S. 464; vgl. auch den bereits zitierten IV 2006/83 des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen, Erw. 5).

d) Zu berücksichtigen gilt es diesbezüglich auch, dass ein Strafgefangener – nicht aber eine von Untersuchungs- Sicherheitshaft betroffene Person – gemäss Art. 81 Abs. 1 StGB (aArt. 37 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) zur Arbeit verpflichtet ist und gestützt auf Art. 83 Abs. 1 StGB für seine Arbeit ein von seiner Leistung abhängiges und den Umständen angepasstes Entgelt erhält. Gemäss Art. 83 Abs. 2 StGB kann die inhaftierte Person während des Vollzuges nur über einen Teil ihres Arbeitsentgeltes frei verfügen. Diese Bestimmung präzisiert Art. 28 Abs. 2 der st. gallischen Verordnung über die

Gefängnisse und Vollzugsanstalten (sGS 962.14) insofern, als der gefangenen Person in der Regel die Hälfte der Arbeitsentschädigung zum persönlichen Verbrauch gutgeschrieben wird. Gemäss Ziff. 4.2 i.V.m. Ziff. 4.3 der Richtlinien der Ostschweizer Strafvollzugskommission über das Arbeitsentgelt in Strafvollzugsanstalten vom 7. April 2006 werden dem Freikonto der eingewiesenen Person 50-70% des Arbeitsentgelts gutgeschrieben. Aus dem anderen Teil ist gemäss Art. 83 Abs. 2 StGB für die Zeit nach der Entlassung eine Rücklage zu bilden. Damit soll ein Startkapital für die Zeit nach der Haftentlassung erspart werden (BBl 1999 II 2117), das weder gepfändet noch mit Arrest belegt noch in eine Konkursmasse einbezogen werden darf (Art. 83 Abs. 2 StGB). Art. 28 Abs. 2 der st. gallischen Verordnung über die Gefängnisse und Vollzugsanstalten legt überdies fest, dass der Rest des Arbeitsentgelts – also jener Teil, der dem Gefangenen nicht zum persönlichen Verbrauch gutgeschrieben wird – zur Erfüllung von Unterstützungspflichten, zur Schuldentilgung, zur Deckung der Verfahrenskosten der Kosten der Heimschaffung verwendet wird. Damit darf allerdings die Bildung der bundesrechtlich vorgeschriebenen Rücklage für die Zeit nach der Entlassung nicht gänzlich unterlaufen werden. Nach Ziff. 4.2 der Richtlinien über das Arbeitsentgelt gelangen 30-50% des Arbeitsentgelts auf das Sperrkonto.

  1. Zu berücksichtigen ist schliesslich, dass eine verurteilte Person gemäss Art. 380 Abs. 2 StGB in angemessener Weise an den Kosten des Vollzuges zu beteiligen ist, entweder durch Verrechnung mit seiner Arbeitsleistung im Straf- Massnahmenvollzug (lit. a); nach Massgabe seines Einkommens und Vermögens, wenn er eine ihm zugewiesene Arbeit verweigert, obwohl sie den Vorgaben der Artikel 81 90 Abs. 3 StGB genügt (lit. b); durch Abzug eines Teils des Einkommens, das er auf Grund einer Tätigkeit im Rahmen der Halbgefangenschaft, des Arbeitsexternats des Wohn- und Arbeitsexternats erzielt. Nach den erwähnten Richtlinien über das Arbeitsentgelt beträgt dieses Fr. 26.- bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden und durchschnittlicher Leistung (Ziff. 2). Dies gilt für Eingewiesene im Normalvollzug einer Konkordatsanstalt. Ein voll arbeitsfähiger Insasse verdient damit durchschnittlich Fr. 550.- bis Fr. 600.- im Monat. Bei einer voll arbeitsfähigen eingewiesenen Person wird im Kanton St. Gallen die Kostenbeteiligung durch das im Vergleich zur freien Wirtschaft klar unterdurchschnittliche Arbeitsentgelt geleistet. Darüber hinaus ist die voll arbeitsfähige Person nicht an den Kosten zu beteiligen. Art. 291 Abs. 1 StP/SG regelt, dass der Staat die Kosten des Vollzugs von Freiheitsstrafen, stationären

    therapeutischen Massnahmen und der Verwahrung trägt. Vorbehalten bleibt die Kostentragung durch Versicherungen und Sozialhilfebehörden. Konkret bedeutet dies, dass beim eingewiesenen IV-Rentner aus der Rente Kosten wie die Krankenkassenprämien und -selbstbehalte, Nebenkosten der Vollzugseinrichtung, Versicherungsprämien, Steuern etc. bezahlt werden und ein Überschuss als Beitrag an die Vollzugskosten einverlangt wird. Der IV-Rentner soll seinen laufenden Verpflichtungen nachkommen können, mit der Rente aber kein Vermögen äufnen. Meist wird die Rente einer Behörde ausbezahlt (Vormundschaftsbehörde, Sozialamt, Bewährungshilfe) und das Justiz- und Polizeidepartement rechnet mit dieser ab (vgl. dazu das im Internet publizierte, noch nicht rechtskräftige Urteil IV 2006/197 des st. gallischen Versicherungsgerichts vom 13. September 2007, Erw. 3d).

  2. Bei der Entscheidung über die Rentensistierung während des Straf- Massnahmenvollzugs ist mithin zu berücksichtigen, inwiefern die versicherte Person aufgrund ihrer Invalidität in der Lage ist, eine Arbeit gemäss Art. 81 Abs. 1 StGB zu verrichten und sich damit ein Startkapital für die Zeit nach der Entlassung zu ersparen (Art. 83 Abs. 2 StGB). Weiter gilt es zu beachten, inwiefern sie gemäss Art. 380 Abs. 2 StGB an den Vollzugskosten beteiligt wird. Wie erläutert, wird nach der st. gallischen Regelung zumindest ein Teil der weiterhin ausgerichteten IV-Rente zur Deckung der Vollzugskosten verwendet. Ist eine eingewiesene Person während des Straf- Massnahmenvollzuges invaliditätsbedingt nicht in der Lage, durch eine Arbeitsleistung für die Zeit nach ihrer Entlassung eine Rücklage gemäss Art. 83 Abs. 2 StGB zu bilden, so ist eine gänzliche Sistierung ihrer Rente in der Regel nicht gerechtfertigt, birgt doch diese Konstellation keine Gefahr einer geradezu stossenden Besserstellung der versicherten Person während des Vollzuges in sich – im Gegenteil. Die invalide inhaftierte Person, die invaliditätsbedingt keiner Arbeit gemäss Art. 81 Abs. 1 StGB nachgehen kann, würde bei vollständiger Rentensistierung nach der Entlassung aus dem Straf- Massnahmenvollzug ohne Startkapital dastehen und wäre gegenüber der nichtinvaliden inhaftierten Person, die während des Vollzugs gearbeitet und sich damit ein Startkapital erspart und gegebenenfalls Schulden getilgt bzw. finanzielle Wiedergutmachung geleistet hat, insofern benachteiligt; mit Sicherheit aber nicht in stossender Weise besser gestellt. Eine Einstellung einer IV-Rente während des Straf- Massnahmenvollzuges rechtfertigt sich somit im Prinzip nur insoweit, als der versicherte Eingewiesene gemäss Art. 81 Abs. 1 StGB einer Arbeit nachgehen und sich

gemäss Art. 83 Abs. 2 StGB ein Startkapitel für die Zeit nach seiner Haftentlassung ersparen kann. Ist ein versicherter Inhaftierter dazu allerdings invaliditätsbedingt nicht nicht zu 100% in der Lage, so ist diese Einschränkung durch die gänzliche teilweise Ausrichtung der IV-Rente während des Straf- Massnahmenvollzuges zu kompensieren. Dabei ist mit der Rente gemäss Art. 83 Abs. 2 StGB analog zu verfahren, mithin der versicherten Person nur ein Teil zur freien Verfügung auszubezahlen und mit dem anderen Teil für die Zeit nach der Entlassung eine Rücklage zu bilden.

g) Während der Untersuchungshaft ist der Inhaftierte – im Unterschied zum Strafvollzugsgefangenen – nicht zur Arbeit verpflichtet (vgl. OBERHOLZER, a.a.O., Rz. 1098 mit Hinweis auf BGE 123 I 238 f.; 106 Ia 287; 106 Ia 360 f.). Immerhin wird einem arbeitswilligen Untersuchungsgefangenen nach Möglichkeit eine geeignete Arbeit verschafft (Art. 27 Abs. 1 der st. gallischen Verordnung über die Gefängnisse und Vollzugsanstalten). Aufgrund der fehlenden Arbeitspflicht während der Untersuchungshaft ist bei fortlaufender Ausrichtung der IV-Rente eine stossende Besserstellung der versicherten Person tendenziell eher anzunehmen als während des (vorzeitigen) Straf- Massnahmenvollzuges, und die Ausrichtung der IV-Rente wird während der Untersuchungs- und Sicherheitshaft in der Regel einzustellen sein.

5.- a) Im vorliegenden Fall beträgt der IV-Grad der Beschwerdeführerin zwar 89%. Hingegen war es ihr gemäss Verfügungsteil 2 zur IV-Rentenverfügung vom 3. Februar 2005 möglich, in einer geschützten Institution während rund acht Stunden täglich einer Beschäftigung nachzugehen (IV-act. 7). Die Beschwerdegegnerin wird abzuklären haben, ob die Beschwerdeführerin im Strafvollzug einer Arbeit nachgehen kann und welches Entgelt sie dabei gegebenenfalls erzielt. Liegt das Entgelt in derselben Höhe wie dasjenige, das eine gesunde Person im Strafvollzug erzielt (ca. Fr. 550.- bis Fr. 600.- im Monat), so ist die Rentensistierung gerechtfertigt. Liegt es darunter, so ist die Rente nur teilweise zu sistieren. Kann die Beschwerdeführerin im Strafvollzug invaliditätsbedingt keine Arbeit verrichten und erzielt sie somit kein Entgelt, so ist eine (Teil-)Sistierung der Rente nicht gerechtfertigt. Das JPD des Kantons St. Gallen hält in den Vollzugsregelungen und Kostengutsprachen gegenüber den Vollzugseinrichtungen standardmässig fest, dass der Kanton St. Gallen für die Aufenthaltskosten in der betreffenden Vollzugseinrichtung nur insoweit aufkommt, als sie nicht durch die

Krankenkasse Leistungen der IV gedeckt werden können (vgl. das bereits zitierte Urteil IV 2006/197, Erw. 4). Ein ungerechtfertigtes Äufnen von Vermögen durch die weitere Ausrichtung der IV-Rente wäre bei der Beschwerdeführerin dann nicht möglich, wenn sie kein Arbeitsentgelt erzielen könnte. Damit entfiele auch jeder denkbare Grund für eine Rentensistierung.

  1. Im Rahmen der weiteren Abklärungen hat die Beschwerdegegnerin gemäss den vorstehenden Erwägungen zu prüfen, ob und falls ja, in welchem Ausmass eine Rentensistierung tatsächlich gerechtfertigt ist. Bei der Beurteilung hat sie aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung des Vollzugs zwischen Untersuchungshaft und (vorzeitigem) Strafvollzug zu differenzieren. Während der Untersuchungshaft besteht keine Arbeitspflicht. Sollte die Beschwerdeführerin in dieser Zeit nicht gearbeitet und kein Entgelt erzielt haben und musste sie mit ihrer Rente an die Kosten für die Untersuchungshaft analog der Regelung im Strafvollzug beitragen, so wäre für die Zeit der Untersuchungshaft eine Besserstellung gegenüber nichtinvaliden Inhaftierten denkbar. Dies wäre dann und in dem Ausmass der Fall, als der Beschwerdeführerin mit der Rente Krankenversicherungsprämien, Nebenkosten der Vollzugseinrichtung, Kosten für Steuern und Versicherungen etc. bezahlt worden wären. Soweit die nichtinvalide gefangene Person während der Untersuchungshaft nämlich kein Arbeitsentgelt erzielen kann, muss sie für diese Kosten aus anderen Quellen – insbesondere aus dem Ersparten – aufkommen. Musste die Beschwerdeführerin sich nicht an den Kosten für die Untersuchungshaft beteiligen, erscheint die Rentensistierung für die Dauer der Untersuchungshaft als gerechtfertigt.

  2. Obwohl die Vertretung der Beschwerdeführerin sich beschwerdehalber nur gegen die Rentensistierung während Untersuchungshaft und vorzeitigem Strafvollzug zur Wehr setzte, ist auch über die Rentensistierung während der Dauer des eigentlichen Strafvollzugs, also für die Zeit ab 12. Juli 2006, zu befinden. Bei der Überprüfung der Rechtmässigkeit der Verfügung vom 29. November 2006 ist auch für die Zeit des ordentlichen Strafvollzugs festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin die Rentensistierung nicht unbesehen anordnen durfte. Sie wird auch über diesen Zeitraum je nach Ergebnis der weiteren Abklärungen neu zu verfügen haben.

6.- Die Beschwerdeführerin focht in der Beschwerde vom 19. De¬zember 2006 auch die Rückforderungsverfügung vom 30. No¬vember 2006 an. Zwar kann noch nicht abschliessend beurteilt werden, ob die Rückforderung ganz teilweise zu Recht erfolgte. Aus prozessökonomischen Gründen ist beim vorliegenden Ausgang des Verfahrens betreffend Rentensistierung jedoch auch die Rückforderungsverfügung aufzuheben, zumal diese resolutiv bedingt an die Sistierungsverfügung vom 29. November 2006 geknüpft ist. Die relative einjährige Verwirkungsfrist gemäss Art. 25 Abs. 2 ATSG ist mit Erlass der Rückforderungsverfügung gewahrt worden (vgl. EVGE C334/05 vom 18. Mai 2006, Erw. 2.4). Die Beschwerdegegnerin wird über die Rückforderung gegebenenfalls je nach Ergebnis der weiteren Abklärungen neu zu verfügen haben.

7.- a) Im Sinn der vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde unter Aufhebung der Verfügungen vom 29. November 2006 und 30. November 2006 teilweise gutzuheissen und die Angelegenheit zur weiteren Abklärung und zur neuen Entscheidung an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

b) Das Beschwerdeverfahren ist kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von Fr. 200.- bis Fr. 1000.- festgelegt (Art. 69 Abs. 1bis IVG). Eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.- erscheint als angemessen. Da die Rückweisung praxisgemäss als volles Obsiegen gilt, rechtfertigt es sich, die Gerichtsgebühr vollumfänglich der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. Da sie gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. b des st. gallischen Einführungsgesetzes zur Bundesgesetzgebung über die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (sGS 350.1) Teil der Sozialversicherungsanstalt und damit Teil einer selbständigen öffentlich-rechtlichen Anstalt ist, kommt Art. 95 Abs. 3 VRP (Befreiung von der Pflicht zur Übernahme amtlicher Kosten) nicht zur Anwendung (vgl. URS PETER CAVELTI/ THOMAS VÖGELI, a.a.O., Rz 792). Die Beschwerdegegnerin hat deshalb die gesamte Gerichtsgebühr von Fr. 600.- zu bezahlen. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.- wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.

Demgemäss hat das Versicherungsgericht

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG

entschieden:

  1. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde werden die angefochtene Verfügungen vom 29. November 2006 und 30. November 2006 aufgehoben. Die Angelegenheit wird im Sinne der Erwägungen zu weiterer Abklärung und neuer Entscheidung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

  2. Die Beschwerdegegnerin bezahlt eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-.

  3. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.- wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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