Zusammenfassung des Urteils I/1-2004/40: Verwaltungsrekurskommission
Das kantonale Steueramt leitete ein Nachsteuerverfahren für die Jahre 1993 bis 2000 ein, nachdem die Ehefrau des Verstorbenen Selbstanzeige erstattet hatte. Es wurden Nachsteuern in Höhe von über 1 Million Schweizer Franken festgesetzt. Die Einsprache gegen diese Entscheidung wurde abgelehnt, woraufhin die Ehefrau und die Erben des Verstorbenen Rekurs einlegten. Es wurde diskutiert, ob die zehnjährige Frist zur Einleitung des Nachsteuerverfahrens anwendbar ist und ob Nachsteuern für die Jahre 1993 und 1994 erhoben werden dürfen. Das Gericht entschied, dass das Recht zur Erhebung einer Nachsteuer für die Jahre 1993 und 1994 nicht untergegangen ist und wies den Rekurs teilweise ab. Die Verfahrenskosten wurden den Rekurrenten auferlegt, aber später aufgehoben. Der Staat trägt einen Teil der Kosten.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | I/1-2004/40 |
Instanz: | Verwaltungsrekurskommission |
Abteilung: | Verwaltungsrekurskommission |
Datum: | 12.01.2005 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 203 StG. Die zehnjährige Frist zur Einleitung des Nachsteuerverfahrens findet für Veranlagungen ab dem 1. Januar 1993 Anwendung (Verwaltungsrekurskommission, 12. Januar 2005, I/1-2004/40). |
Schlagwörter: | Steuer; Recht; Verfahren; Steuerverfahren; Verfahrens; Bundes; Steuerjahr; Verjährung; Quot; Steuerjahre; Steuern; Rekurs; Verwirkung; Bundessteuer; Rekurrenten; Entscheid; Übergang; Frist; Einleitung; Steuerverfahrens; Steuerperiode; Rückwirkung; Veranlagung; Erhebung; Verfahrensrecht; Vertrauen; Vorinstanz; Steuergesetz |
Rechtsnorm: | Art. 201 DBG ; |
Referenz BGE: | 126 I 1; 126 II 1; 126 II 2; |
Kommentar: | Jung, Agner, Steinmann, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, Zürich, Art. 201 DBG, 1995 |
Präsident Nicolaus Voigt, Mitglieder Erwin Müller und Rudolf Lippuner; Gerichtsschreiber Thomas Scherrer
In Sachen
Erben des X.Y.
A. B.
Rekurrenten, beide vertreten gegen
Kantonales Steueramt, Davidstrasse 41, 9001 St. Gallen,
Vorinstanz, betreffend
Nachsteuer 1993 und 1994 Sachverhalt:
A.- X.Y. starb am 30. September 2001. Das kantonale Steueramt leitete, nachdem die Ehefrau von X.Y. am 6. Mai 2003 Selbstanzeige erhoben hatte, gegen die Ehefrau des Erblassers und dessen Erben am 14. Juli 2003 für die Steuerjahre 1993 bis 2000 ein Nachsteuerverfahren ein und stellte Nachsteuern für die Staats- und Gemeindesteuern 1993 bis 2000 inkl. Zinsen von Fr. 1'098'358.50 zuzüglich Verfahrenskosten in Aussicht.
B.- Mit Nachsteuerverfügung vom 2. Oktober 2003 legte das kantonale Steueramt die Nachsteuern für die Staats- und Gemeindesteuern 1993 bis 2000 inkl. Zinsen auf Fr. 1'104'327.50 fest und erhob Verfahrenskosten von Fr. 5'000.--. Die gegen diese Verfügung erhobene Einsprache wies das kantonale Steueramt mit Entscheid vom 21. Januar 2004 ab.
C.- Gegen diesen Einsprache-Entscheid erhoben die Ehefrau von X.Y. sel. und dessen Erben durch ihre Vertreter mit Eingabe vom 20. Februar 2004 Rekurs bei der Verwaltungsrekurskommission mit dem Antrag, unter Kosten- und Entschädigungsfolge seien der Einsprache-Entscheid und die Nachsteuerverfügung, insoweit sie die Staats- und Gemeindesteuern von Fr. 290'750.55 für die Steuerjahre 1993 und 1994 betrifft, aufzuheben.
Mit Vernehmlassung vom 13. April 2004 beantragte die Vorinstanz die Abweisung des Rekurses unter Kostenfolge. Die Rekurrenten nahmen dazu am 18. Mai 2004 Stellung.
Auf die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Begründung ihrer Anträge wird, soweit notwendig, in den Erwägungen eingegangen.
Erwägungen:
1.- Die Eintretensvoraussetzungen sind von Amtes wegen zu prüfen. Die Verwaltungsrekurskommission ist zum Sachentscheid zuständig. Die Befugnis zur Rekurserhebung ist gegeben. Der Rekurs vom 20. Februar 2004 ist rechtzeitig eingereicht worden. Er erfüllt in formeller und inhaltlicher Hinsicht die gesetzlichen Anforderungen (Art. 194 Abs. 1 des Steuergesetzes, sGS 811.1, abgekürzt: StG; Art. 48 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt: VRP). Auf den Rekurs ist einzutreten.
2.- Mit der zusätzlichen Eingabe vom 18. Mai 2004 nahmen die Rekurrenten Stellung zu der von der Vorinstanz erstmals in der Vernehmlassung vorgebrachten Auffassung, auch bei Anwendung der Ordnung gemäss Steuergesetz vom 23. Juni 1970 (nGS
29-70, abgekürzt: StG-70) umfasse die Nachsteuerperiode noch die Steuerjahre 1993 und 1994. Abweichend vom Grundsatz des einfachen Schriftenwechsels (vgl. dazu Cavelti/Vögeli, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton St. Gallen, St. Gallen 2003, Rz. 951) erweist sich die Eingabe deshalb als zulässig.
3.- Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit sich das Nachsteuerverfahren nach der alten Ordnung gemäss StG-70 nach jener des neuen am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen StG richtet, ist im Rekurs unbestritten, dass die Vorinstanz zu Recht einerseits die Ehefrau des Erblassers und anderseits seine Erben ins Recht gefasst hat (vgl. Art. 122 Abs. 1 und 2 StG-70; Art. 201 Abs. 1 und 2 StG). Unbestritten ist auch, dass das Nachsteuerverfahren grundsätzlich auch für die Steuerjahre 1993 und 1994 sowohl nach der alten wie nach der neuen Ordnung am 14. Juli 2003 rechtzeitig eingeleitet wurde (vgl. Art. 123 Abs. 1 StG-70; Art. 203 Abs. 1 StG). Ebenso sind die auf den Angaben der Rekurrenten beruhenden Veranlagungsfaktoren sowie die Berechnung der Nachsteuern unbestritten. Umstritten ist einzig, ob für die Steuerjahre 1993 und 1994 Nachsteuern erhoben werden dürfen.
Im Rekurs wird bezüglich der Steuerrückstände aus den Jahren 1993 und 1994 geltend gemacht, die mit Art. 203 StG am 1. Januar 1999 in Kraft getretene Zehnjahresfrist zur Einleitung eines Nachsteuerverfahrens sei nicht anwendbar. Vielmehr richte sich die Frist nach der im Zeitpunkt der relevanten Steuerperiode noch in Kraft stehenden alten Regelung, welche eine Frist von sechs Jahren vorsah. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgebracht, Verjährung und Verwirkung seien
materiellrechtliche Institute des Bundesrechts, die den Bestand Nichtbestand von Forderungen regelten. Gemäss BGE 126 II 2 betreffe die Verjährung unmittelbar den Bestand der Steuerforderung, weshalb die Frage der Verjährung nach den Bestimmungen des alten Bundesratsbeschlusses über die direkte Bundessteuer zu beurteilen sei. Gleiches müsse selbstverständlich auch für die Frage der Verwirkung gelten. Ferner seien mangels Vorschriften im massgebenden Erlass die gesetzlichen Fristenregelungen anderer Erlasse für verwandte Ansprüche heranzuziehen. Gemäss Ziff. 6 des Kreisschreibens Nr. 21 zum Nachsteuer- und Strafsteuerrecht nach dem Gesetz über die direkte Bundessteuer könne ein Nachsteuerverfahren bei natürlichen Personen nur für Perioden durchgeführt werden, die nach dem 1. Januar 1995 zu laufen begannen. Für vor dem 1. Januar 1995 abgelaufene Perioden wäre ein Nachsteuerverfahren als unzulässige Rückwirkung des neuen Bundessteuerrechts zu qualifizieren. Sei die Verwirkungsfrist nach altem Recht im Zeitpunkt der Entdeckung der Hinterziehung bereits verstrichen, könne für die betreffende Periode kein Hinterziehungsverfahren durchgeführt werden. Die Anwendung abweichender Regeln auf kantonaler Ebene sei unter Berücksichtigung der Steuerharmonisierung unverständlich. Sodann würde die Anwendung des neuen Rechts zu einer echten Rückwirkung führen, die nur zulässig sei, wenn sie klar gewollt, zeitlich mässig und durch triftige Gründe gerechtfertigt sei und weder stossende Rechtsungleichheiten noch Eingriffe in wohlerworbene Rechte zur Folge habe. Eine ausdrückliche Anordnung der Rückwirkung fehle vorliegend. Die Rückwirkung wäre sodann weder zeitlich mässig noch durch triftige Gründe gerechtfertigt. Schliesslich verweisen die Rekurrenten auf die Übergangsregelung des Luzerner Steuerrechts, welche die Anwendung des neuen Rechts auf altrechtliche Nachsteuerverfügungen sicherstelle, und die Praxis im Kanton Aargau, wonach bei Nachsteuerverfahren, die sich sowohl über Steuerjahre, die dem alten Recht als auch über solche, die dem neuen Recht unterstellt sind, grundsätzlich die Verjährungs- und Verwirkungsfristen anhand des für das entsprechende Steuerjahr massgebenden Rechts zu beachten sind.
Dem hält die Vorinstanz im Wesentlichen entgegen nach Art. 123 StG-70 erlösche das Recht zur Einleitung eines Nachsteuerverfahrens nach sechs Jahren. Das letzte unvollständig veranlagte Steuerjahr nach altem Recht sei unbestrittenermassen das Jahr 1998, da ab 1999 das neue Recht Anwendung finde und das alte Recht keine "Nachwirkungen" zeitigen könne. Die Nachsteuerperiode umfasse nach altem, bis 1998
anwendbarem Recht das Entdeckungsjahr und die vorangegangenen fünf Steuerjahre (1993 bis 1997). Somit seien die Steueransprüche betreffend die Jahre 1993 und 1994 auch nach altem Recht nicht verwirkt. Auch die Anwendung des neuen Rechts ändere an diesem Ergebnis nichts. Nach Art. 203 StG erlösche das Recht, ein Nachsteuerverfahren einzuleiten, erst zehn Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, für die eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist, und das Recht, die Nachsteuer festzusetzen, sogar erst fünfzehn Jahre nach Ablauf der Steuerperiode. Neues Recht sei umso mehr anzuwenden, als von einer unechten Rückwirkung auszugehen sei. Der st. gallische Gesetzgeber habe eine Übergangsregelung wohl als überflüssig angesehen, weil mit Art. 203 StG eine Bestimmung des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (SR 642.14, abgekürzt: StHG), die ohnehin zwingend auf zukünftige Fälle anzuwenden sei, übernommen werde.
aa) Gemäss Art. 203 StG erlischt das Recht, ein Nachsteuerverfahren einzuleiten zehn Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, für die eine Veranlagung zu Unrecht unterblieben eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist (Abs. 1 Satz 1). Das Recht, die Nachsteuer festzusetzen, erlischt 15 Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, auf die sie sich bezieht (Abs. 3). Diese Regeln traten am 1. Januar 1999 in Kraft und lösten Art. 121 Abs. 1 und Art. 123 Abs. 1 StG-70 ab, die zusammen mit dem Steuergesetz vom 23. Juni 1970 aufgehoben wurden (vgl. Art. 319 in Verbindung mit Art. 279 StG). Nach dem früheren Recht erlosch einerseits das Recht, ein Nachsteuerverfahren einzuleiten, sechs Jahre nach Ablauf des letzten Steuerjahres, für das der Steuerpflichtige nicht unvollständig veranlagt wurde (Art. 123 Abs. 1
StG-70). Anderseits beschränkte sich die Nachsteuerpflicht auf die letzten sechs abgelaufenen Jahre, für die eine Veranlagung unterblieben ist unvollständig vorgenommen wurde (sog. Nachsteuerperiode; Art. 123 Abs. 1 StG-70). Die Beteiligten gehen damit übereinstimmend zu Recht davon aus, dass im Zeitpunkt der Rechtsänderung am 1. Januar 1999 der Anspruch auf die Erhebung von Nachsteuern für die im Streit liegenden Steuerjahre 1993 und 1994 nach dem bisherigen Recht noch nicht untergegangen war.
Nach dem neuen Recht kann in zeitlicher Hinsicht eine Nachsteuer erhoben werden, soweit die Einleitung eines Nachsteuerverfahrens am 14. Juli 2003 noch zulässig war
und seit Ablauf der massgebenden Steuerperiode noch nicht 15 Jahre verstrichen sind. Die Vorschriften zur sechsjährigen Nachsteuerperiode sind weggefallen. Die Beteiligten gehen zwar darin einig, dass die Anwendung des neuen Rechts die Erhebung einer Nachsteuer für die Steuerjahre 1993 und 1994 an sich zulassen würde. Sie sind sich aber nicht einig, ob die am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Bestimmungen auf die Steuerjahre 1993 und 1994 anwendbar sind.
bb) Das neue Recht enthält bezüglich des Nachsteuerverfahrens keine Übergangsbestimmungen. Mangels Übergangsregelungen ist davon auszugehen, dass diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des rechtlich zu ordnenden zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (vgl. Rhinow/ Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel und Frankfurt am Main 1990, S. 44 mit Hinweisen). Mit Art. 279 StG, der das frühere Steuergesetz aufhob, kann der Gesetzgeber vernünftigerweise - jedenfalls in materieller Hinsicht - nur auf diesen Grundsatz verwiesen haben. Für die am 1. Januar 1999 noch nicht nicht rechtskräftig veranlagten Steuern früherer Jahre gelten dementsprechend die materiell-rechtlichen Bestimmungen des StG-70 weiter (vgl. zur diesbezüglich identischen Rechtslage beim Übergang vom Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer direkten Bundessteuer zum Bundesgesetz über die direkten Bundessteuer BGE 126 II 1 E. 2a, StE 1995 B 110 Nr. 5). Hingegen gelangen ab diesem Datum die Verfahrensvorschriften des neuen Rechts zur Anwendung, da Verfahrensrecht grundsätzlich sofort anwendbar ist (Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl. 1998, Rz. 79; H. Casanova, Die Nachsteuer, in: ASA 68 S. 17).
cc) Inwieweit die Regelungen des Nachsteuerverfahrens und insbesondere die Bestimmungen zur Verjährung und Verwirkung des Anspruchs auf die Erhebung von Nachsteuern als materielles Recht, d.h. den Bestand des Steueranspruchs an sich betreffend, als Verfahrensrecht, d.h. die Durchsetzung der Forderung betreffend, einzustufen sind, ist - was sich auch in der Begründung der Standpunkte der Verfahrensbeteiligten im Einspracheverfahren niederschlug - nicht geklärt.
Für das öffentliche Recht ist bereits umstritten, ob die Verjährung auf den Anspruch selbst auf dessen Rechtsschutz wirkt (vgl. A. Gadola, Verjährung und Verwirkung
im öffentlichen Recht, in: AJP 4/1995, S. 55 mit Hinweisen in Anm. 122 und 123). Steuerrechtliche Vorschriften betreffend Verjährung und Verwirkung werden teilweise als Verfahrensrecht (vgl. so M. Binder, Die Verjährung im schweizerischen Steuerrecht, Zürich 1985, S. 43 mit Hinweisen; Agner/Jung/Steinmann, a.a.O., N 3 zu Art. 201 DBG; Entscheid des Verwaltungsgerichts Zürich vom 28. Oktober 1998, in: StE 1999 B 110 Nr. 10), teilweise als materielles Recht (vgl. so BGE 126 I 1 E. 2a) eingestuft. Hinsichtlich der Vorschriften zur Verjährung und Verwirkung im Nachsteuerrecht wird die Auffassung vertreten, sie seien verfahrensrechtlicher Natur (vgl. Casanova, a.a.O.,
S. 17). Art. 203 Abs. 1 StG beschränkt das "Recht, ein Nachsteuerverfahren einzuleiten", und deutet damit auf einen verfahrensrechtlichen Charakter der Bestimmung hin. Diesbezüglich offener formuliert ist Art. 203 Abs. 3 StG, der das "Recht, die Nachtsteuer festzusetzen", zeitlich beschränkt. In die gleiche Richtung gehen die Formulierungen des früheren Rechts. Während Art. 123 Abs. 1 StG-70 wie Art. 203 Abs. 1 StG das "Recht, ein Nachsteuerverfahren einzuleiten" beschränkte, regelte Art. 121 Abs. 1 StG-70 den zeitlichen Umfang der "Nachsteuerpflicht". Die Bestimmungen über die Nachsteuer, wie sie in Art. 53 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Bundessteuern der Kantone und Gemeinden (SR 642.14, abgekürzt: StHG) festgelegt sind und in Art. 203 StG übernommen wurden, werden auch generell als verfahrensrechtliche Bestimmungen bezeichnet, weil sie nicht Bestand und Umfang des Steueranspruchs bezeichnen, sondern die Zulässigkeit des Verfahrens beschlagen, in dem die Nachsteuer erhoben wird (K. Vallender in: Schweizerisches Steuerrecht I/1, N 2 zu Art. 53 StHG; Casanova, a.a.O., S. 17). Es ist daher davon auszugehen, dass es sich bei der Einleitungsfrist von zehn Jahren im Grundsatz um eine sofort anwendbare Verfahrensbestimmung handelt.
dd) Sind die Vorschriften betreffend den Untergang des Rechts zur Erhebung von Nachsteuern aus zeitlichen Gründen als Verfahrensrecht zu qualifizieren, ist das neue Verfahrensrecht nach Lehre und Rechtsprechung ausnahmsweise nicht anzuwenden, wenn es für den Steuerpflichtigen weniger günstig ist eine grundlegend neue Ordnung schafft. Dies gilt insbesondere bei den Verwirkungs- und Verjährungsvorschriften, soweit sonst das neue Recht mit erheblich längeren Fristen zurückwirken würde. Demzufolge ist allenfalls für jeden Verfahrensschritt zu prüfen, inwiefern das neue das alte Recht anzuwenden ist (vgl. Casanova, a.a.O., S. 17/18 mit Hinweisen; Agner/Jung/Steinmann, Kommentar zum Gesetz über die direkte
Bundessteuer, Zürich 1995, N 3 zu Art. 201 DBG; Entscheid der Bundessteuer- Rekurskommission Zürich vom 9. März 1995, in: StE 1995 B 110 Nr. 5 mit Hinweisen).
Soweit auf altrechtliche Nachsteueransprüche eine neue, für den Steuerpflichtigen ungünstigere Verjährungsordnung angewandt wurde, beruhte dies auf einer entsprechenden Übergangsregelung. Zu klären war dann die Frage, ob dies zu einer unzulässigen Rückwirkung führte, wobei von einer unechten Rückwirkung auszugehen ist (vgl. BGE vom 10. Dezember 2001, in: BStPra 2002 S. 74 ff., E. 2f; Entscheid des Verwaltungsgerichts Zürich vom 28. Oktober 1998, in: StE 1999 B 110 Nr. 10). Eine ausdrückliche Regelung fehlt aber im st. gallischen Steuergesetz. Die Bundesgerichtsentscheide vom 10. August 1998 (in: StE 1999 B 110 Nr. 9) und vom
16. Dezember 1997 (in: StE 1998 B 101.6 Nr. 5, E. 4) betrafen die Einführung einer im alten Steuerstrafrecht der direkten Bundessteuer nicht vorgesehenen Verfolgungsverjährung, die lückenfüllend bzw. entsprechend dem strafrechtlichen Grundsatz der "lex mitior" als neues milderes Recht anzuwenden war (vgl. Art. 2 Abs. 2, 102, 333 Abs. 1 und 337 des Schweizerischen Strafgesetzbuches, SR 311.0). Da jedoch der Nachsteuer kein Strafcharakter zukommt, ist der Grundsatz des "lex mitior" nicht anwendbar.
Im st. gallischen Recht fehlt eine ausdrückliche Übergangsregelung, nach der die Einleitungsfrist von zehn Jahren gemäss Art. 203 StG auch zum Tragen kommt, wenn dadurch Nachsteuern erhoben werden können, deren Erhebung nach dem früheren Recht nicht mehr möglich gewesen wäre. Umgekehrt hat der Gesetzgeber aber auch nicht ausdrücklich festgelegt, das bisherige Recht sei anzuwenden, solange der Nachsteuertatbestand noch einen Bezug zu einer Steuerperiode hat, für welche materiell das frühere Steuergesetz gilt. Die fehlende Übergangsbestimmung spricht deshalb weder für die eine noch für die andere Lösung.
Was die Rechtsprechung über die Anwendbarkeit des günstigeren Verfahrensrechts betrifft, so handelt es sich dabei um die Konkretisierung des Vertrauensgrundsatzes. Auch bei Rechtsänderungen gilt der Grundsatz von Treu und Glauben. Durch eine nachteilige Gesetzesänderung, die unvermittelt gar rückwirkend erfolgt, verstösst der Gesetzgeber gegen das Vertrauensprinzip (B. Weber-Dürler, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, Basel 1983, S. 280 ff.). Der Vertrauensschutz setzt voraus, dass ein
berechtigtes, schutzwürdiges Vertrauen vorliegt, was nur der Fall ist, wenn der Betroffene mit der Rechtsänderung nicht ernsthaft rechnen musste. Es muss daher regelmässig abgeklärt werden, ab wann ein Betroffener mit einer Rechtsänderung rechnen musste (B. Weber-Dürler, Neuere Entwicklungen des Vertrauensschutzes, in: ZBl 103/2002 S. 307). Da Art. 53 StHG, welcher seit dem 1. Januar 1993 in Kraft ist, die zehnjährige Frist zur Einleitung des Nachsteuerverfahrens vorsieht und Art. 72 die Kantone verpflichtet diese Frist spätestens bis zum 1. Januar 2001 in ihrer Gesetzgebung aufzunehmen, kann für die Anwendung von Verjährungs- und Verwirkungsfristen, die nicht vor die Periode von 1993 zurückreichen, mit Sicherheit kein schutzwürdiges Vertrauen vorliegen. Die Anwendung der Einleitungsfrist von zehn Jahren führt im vorliegenden Fall denn auch nicht dazu, dass das neue Recht mit erheblich längeren Fristen zurückwirkt (vgl. zum Übergangsrecht bei der direkten Bundessteuer Agner/Jung/Steinmann, a.a.O., N 3 zu Art. 201 DBG). Die Rechtsprechung der Anwendung des günstigeren Verfahrensrechts kann daher, zumindest was die Verjährung ab dem 1. Januar 1993 betrifft, nicht zur Anwendung gelangen.
Zusammenfassend ergibt sich, dass das Recht zur Erhebung einer Nachsteuer für die Steuerjahre 1993 und 1994 zufolge Zeitablaufs nicht untergegangen ist. Der Rekurs ist daher in diesem Punkt abzuweisen.
4.- Die Vorinstanz hat den Rekurrenten für die Veranlagung der Nachsteuer Verfahrenskosten von Fr. 5'000.-- auferlegt. Dafür fehlt eine ausreichende gesetzliche Grundlage (vgl. GVP 2002 Nr. 24). Abgesehen davon dürfen gemäss Art. 202 Abs. 1 StG die Kosten des Nachsteuerverfahrens dem Steuerpflichtigen nur auferlegt werden, wenn er das Verfahren durch eine schuldhafte Verletzung von Verfahrenspflichten notwendig gemacht hat. Damit wird die Pflicht zur Kostentragung auf Fälle reduziert, in denen auch ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung durchgeführt wird (vgl. Weidmann/Gross-mann/Zigerlig, Wegweiser durch das st. gallische Steuerrecht, 6. Aufl. 1999, S. 401). Diese Voraussetzung ist bei einer Anzeige nicht veranlagter Teile des Einkommens und des Vermögens durch die Erben eines Steuerpflichtigen nicht erfüllt. Dementsprechend ist Ziff. 2 der Nachsteuerverfügung vom 2. Oktober 2003 aufzuheben.
5.- Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten zu neun Zehnteln den Rekurrenten aufzuerlegen; einen Zehntel der Kosten trägt der Staat (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von Fr. 2'500.-- ist angemessen (vgl. Ziff. 362 Gerichtskostentarif, sGS 941.12). Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 1'000.-- ist zu verrechnen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens besteht kein Anspruch auf ausseramtliche Entschädigung.
Entscheid:
Der Rekurs wird teilweise gutgeheissen und der angefochtene Einsprache-Entscheid des kantonalen Steueramts vom 21. Januar 2004 und Ziffer 2 der Nachsteuerverfügung vom 2. Oktober 2003 werden aufgehoben.
Die Rekurrenten bleiben für die Steuerjahre 1993 bis 2000 mit Nachsteuern von Fr. 1'104'327.50 samt Zins gemäss Berechnung vom 2. Oktober 2003 veranlagt.
Die Rekurrenten bezahlen die amtlichen Kosten von Fr. 2'500.-- zu neun Zehnteln, unter Verrechnung des Kostenvorschusses von Fr. 1'000.--; einen Zehntel der Kosten trägt der Staat.
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Nicolaus Voigt Thomas Scherrer
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