Kanton: | SG |
Fallnummer: | EL 2016/17 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | EL - Ergänzungsleistungen |
Datum: | 31.01.2017 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 37 Abs. 4 ATSG. Art. 52 Abs. 3 ATSG.Für das Einspracheverfahren werden in der Regel keine Parteientschädigungen ausgerichtet. Der Anspruch auf Parteientschädigung bei Obsiegen ohne vorgängige Bewilligung der URV mangels Bedürftigkeit des Einsprechers setzt nur die Notwendigkeit der Rechtsvertretung voraus (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 31. Januar 2017, EL 2016/17). |
Zusammenfassung: | Die Beschwerdeführerin, eine ältere Frau, hatte Ergänzungsleistungen zur Invalidenrente beantragt. Nachdem ihre Leistungen herabgesetzt wurden, reichte sie erfolglos Einspruch ein und forderte eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung. Die Durchführungsstelle lehnte dies ab, da keine schwierigen rechtlichen Fragen vorlagen. Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Beschwerde, die jedoch abgewiesen wurde. Der Richter entschied, dass keine Parteientschädigung zu zahlen sei, jedoch der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin 800 CHF erhalten soll. |
Schlagwörter: | Recht; Einsprache; Einspracheverfahren; Rechtsverbeiständung; Vertretung; Parteien; Parteientschädigung; Person; Bericht; Verfügung; Entschädigung; Erwerbseinkommens; Arbeit; Rechtsvertreter; Regel; Anspruch; EL-Bezügerin; Anrechnung; Berichte; Ergänzungsleistung; Sinne; EL-Durchführungsstelle; Gesetzgeber; Erforderlichkeit; Entscheid |
Rechtsnorm: | Art. 122 ZPO ; Art. 123 ZPO ; Art. 28 ATSG ; Art. 37 ATSG ; Art. 43 ATSG ; Art. 55 ATSG ; Art. 65 VwVG ; |
Referenz BGE: | 130 V 570; |
Kommentar: | - |
Besetzung
Vizepräsident Ralph Jöhl, Versicherungsrichterinnen Monika Gehrer-Hug und Karin
Huber-Studerus; Gerichtsschreiber Tobias Bolt Geschäftsnr.
EL 2016/17
Parteien
,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Martin Frey,
Amparo Anwälte und Notare, Neugasse 26, Postfach 148, 9001 St. Gallen,
gegen
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Ausgleichskasse, Brauerstrasse 54, Postfach, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin,
Gegenstand
unentgeltliche Rechtsverbeiständung/Parteientschädigung im Einspracheverfahren (EL zur IV)
Sachverhalt
A.
A. bezog Ergänzungsleistungen zu einer Viertelsrente der Invalidenversicherung (act. G 4.1.74). Nachdem sie im Dezember 2013 um eine Neuberechnung der jährlichen Ergänzungsleistung ohne Berücksichtigung eines hypothetischen Erwerbseinkommens ersucht (act. G 4.1.66) und mittels erfolgloser Stellenbemühungen nachgewiesen hatte, dass sie unverschuldet arbeitslos war (vgl. act. G 4.1.51), wurde die Ergänzungsleistung mit einer Verfügung vom 28. April 2014 rückwirkend per 1. Dezember 2013 entsprechend erhöht (act. G 4.1.38).
Im Oktober 2014 forderte die EL-Durchführungsstelle die EL-Bezügerin auf, Nachweise ihrer Arbeitsbemühungen im Zeitraum von Juli bis September 2014 einzureichen (act. G 4.1.13). Am 5. November 2014 antwortete die EL-Bezügerin (act. G 4.1.10–1), sie sei altersbedingt nicht mehr in der Lage, im Gastgewerbe als Putzfrau zu arbeiten. Sie habe sich für einen Kurs als Lebensberaterin angemeldet, doch sei noch ungewiss, ob dieser Kurs stattfinden werde. Ihr Hausarzt Dr. med. B. hatte ihr am 22. Oktober 2014 ein ärztliches Zeugnis ausgestellt, wonach sie infolge
einer instabilen kardialen Problematik seit April 2014 nicht mehr in der Lage gewesen sei, nach Arbeit zu suchen; seit Juli 2014 sei sie arbeitsunfähig gewesen (act. G 4.1.10– 2). Nachdem die EL-Durchführungsstelle bei der IV-Stelle einen Bericht eingeholt hatte, verfügte sie am 10. Januar 2015 eine Herabsetzung der Ergänzungsleistung per 1. Februar 2015 infolge der Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens (act. G 4.1.2).
Gegen diese Verfügung liess die nun anwaltlich vertretene EL-Bezügerin am 16. Februar 2015 eine Einsprache erheben (act. G 4.2.81). Ihr Rechtsvertreter machte geltend, der Bericht der IV-Stelle sei nicht mehr aktuell gewesen und ohnehin nicht massgebend, da im EL-Verfahren nicht der im IV-Verfahren massgebende allgemeine und ausgeglichene, sondern vielmehr der tatsächliche Arbeitsmarkt relevant sei. Die EL-Bezügerin sei gesundheitlich stark angeschlagen, 59 Jahre alt, Ausländerin mit schlechten Deutschkenntnissen, schlechter Schulbildung, ohne Berufsausbildung, mit einer einseitigen Berufserfahrung und seit Jahren arbeitslos. Realistischerweise werde sie keine Arbeitsstelle mehr finden. Der Rechtsvertreter ersuchte nicht nur um die Aufhebung der angefochtenen Verfügung, sondern auch um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung. Am 19. Mai 2015 forderte die EL- Durchführungsstelle ihn auf, einen Bericht betreffend die vom Hausarzt erwähnte invasive Abklärung und einen Verlaufsbericht für die Zeit von April 2014 bis April 2015 einzureichen (act. G 4.2.75). Am 24. Juni 2015 erstattete Dr. B. einen entsprechenden Bericht, dem er einen Bericht der Klinik für Allgemeine Innere Medizin des Kantonsspitals St. Gallen vom 15. Oktober 2014 und einen Bericht der Kardiologiepraxis C. vom 2. April 2014 beilegte (act. G 4.2.62). Er wies darauf hin, dass die dringend empfohlene invasive Abklärung noch nicht stattgefunden habe, weil nur schon der Gedanke daran bei der EL-Bezügerin panikartige Angstzustände verursacht habe. Ausserdem habe diese zu Beginn des Jahres 2015 den Hausarzt gewechselt. Der Rechtsvertreter der EL-Bezügerin forderte den neuen Hausarzt Dr. med. D. Ende Juni 2015 auf, einen Bericht zu erstatten (vgl. act. G 4.2.61–1). Dieser kam der Aufforderung am 11. September 2015 nach (act. G 4.2.52).
Im Dezember 2015 vollendete die EL-Bezügerin ihr 60. Altersjahr, womit die Voraussetzungen des Art. 14a ELV für die Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens nicht mehr erfüllt waren. Mit einer Verfügung vom 3. Dezember
2015 erhöhte die EL-Durchführungsstelle deshalb die Ergänzungsleistung per 1. Januar 2016 entsprechend (act. G 4.2.36). Mit einer weiteren Verfügung vom 11. Dezember 2015 berechnete sie die Ergänzungsleistung für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum
31. Dezember 2015 ebenfalls ohne die Berücksichtigung eines hypothetischen Erwerbseinkommens neu (act. G 4.2.29). Am 11. Januar 2016 teilte die EL- Durchführungsstelle der EL-Bezügerin mit (act. G 4.2.22), dass sie angesichts der Verfügungen vom 3. und 11. Dezember 2015 von einer Gegenstandslosigkeit des Einspracheverfahrens ausgehe. Bezüglich der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung für das Einspracheverfahren werde sie einen Einspracheentscheid erlassen. Die EL- Bezügerin erklärte sich am 13. Januar 2016 mit diesem Vorgehen grundsätzlich einverstanden, liess aber darauf hinweisen, dass sie keinen Anspruch auf eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung, sondern vielmehr einen Anspruch auf eine Parteientschädigung habe (act. G 4.2.18). Mit einem Entscheid vom 2. Februar 2016 wies die EL-Durchführungsstelle das Gesuch um eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung respektive um eine Parteientschädigung für das Einspracheverfahren ab, indem sie die Einsprache abwies, soweit diese nicht bereits gegenstandslos geworden war (act. G 4.2.12). Zur Begründung führte sie aus, eine anwaltliche Vertretung im Einspracheverfahren sei nicht notwendig gewesen, da sich keine schwierigen rechtlichen tatsächlichen Fragen gestellt hätten.
B.
Dagegen liess die EL-Bezügerin (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) am 7. März 2016 eine Beschwerde erheben (act. G 1). Ihr Rechtsvertreter beantragte die Zusprache einer Parteientschädigung für das Einspracheverfahren. Zur Begründung führte er aus, die EL-Durchführungsstelle (nachfolgend: die Beschwerdegegnerin) habe sich im Einspracheverfahren völlig passiv verhalten. Sie habe versucht, ihre Untersuchungspflicht auf die Beschwerdeführerin abzuwälzen, indem sie diese aufgefordert habe, medizinische Berichte einzureichen. Die Einholung jener Berichte sei aufwendig gewesen, weil die Ärzte mehrfach zur Berichterstattung hätten aufgefordert werden müssen. „Plötzlich und unerwartet“ seien dann im Dezember 2015 zwei Verfügungen eingetroffen, mit denen die Beschwerdegegnerin dann doch wieder von der Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens abgesehen habe. Die einspracheweise angefochtene Verfügung habe keine nachvollziehbare Begründung für
die Anrechnung des hypothetischen Erwerbseinkommens erhalten. Die Procap habe eine Vertretung der Beschwerdeführerin aus Kapazitätsgründen ablehnen müssen. Das Bundesgericht habe in einem Urteil vom Februar 2008 festgehalten, dass die Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens vertiefte juristische Kenntnisse erfordere, weil die Thematik im Gesetz nicht abschliessend geregelt sei. Das belege die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung.
Die Beschwerdegegnerin beantragte am 16. März 2016 unter Hinweis auf den
angefochtenen Einspracheentscheid die Abweisung der Beschwerde (act. G 4).
Die Beschwerdeführerin liess am 25. April 2016 an ihrem Antrag festhalten (act. G
7). Die Beschwerdegegnerin verzichtete auf eine Duplik (act. G 9).
Am 7. Juni 2016 bewilligte die verfahrensleitende Richterin das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren (act. G 10 und 11).
Erwägungen
1.
Da sich die vorliegende Beschwerde nur gegen die Verweigerung einer Parteientschädigung für das Einspracheverfahren und nicht auch gegen die Abschreibung des Einspracheverfahrens wegen einer Gegenstandslosigkeit im Hauptpunkt richtet, beschränkt sich der Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens auf die Frage, ob die Beschwerdeführerin einen Anspruch auf eine Parteientschädigung für das Einspracheverfahren hat.
2.
Für das Einspracheverfahren werden gemäss dem Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG in der Regel keine Parteientschädigungen ausgerichtet. Der Grundsatz lautet also, dass im Einspracheverfahren kein Anspruch auf eine Parteientschädigung entsteht. Mit der einschränkenden Wendung „in der Regel“ hat der Gesetzgeber diesen Grundsatz aber relativiert, denn diese lässt Ausnahmen von der Regel zu. Dem Wortlaut des Art. 52
Abs. 3 Satz 2 ATSG lässt sich zwar nicht entnehmen, wann eine solche Ausnahme vorliegt. Aus den Materialien geht allerdings hervor, dass der Gesetzgeber einen ganz bestimmten Ausnahmefall vor Augen gehabt hat: Die Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit hat nämlich in ihrem Bericht vom 26. März 1999 festgehalten (Sonderdruck, S. 90), wenn einer versicherten Person eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung (vgl. Art. 37 Abs. 4 ATSG) bewilligt worden sei und wenn diese dann im Einspracheverfahren obsiege, müsse anstelle der Entschädigung für die unentgeltliche Rechtsverbeiständung eine Parteientschädigung ausgerichtet werden. Offenbar ist die Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit davon ausgegangen, dass eine Entschädigung für eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung dahinfalle, wenn die versicherte Person im Einspracheverfahren obsiege, weshalb sie es als notwendig erachtet hat, der versicherten Person einen Entschädigungsanspruch zu verschaffen, der an die Stelle der dahinfallenden Entschädigung für die unentgeltliche Rechtsverbeiständung treten könne. Allerdings ist nicht einzusehen, weshalb ein Anspruch auf eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung bei einem Obsiegen im Einspracheverfahren dahinfallen sollte, denn er hängt nicht vom Ausgang des Einspracheverfahrens ab. Auch eine obsiegende versicherte Person kann also einen Anspruch auf eine Entschädigung für eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung haben. Im Zivilprozess wird der obsiegenden Partei, der die unentgeltliche Rechtsverbeiständung bewilligt worden war, sogar in der Regel jene Entschädigung statt einer Parteientschädigung ausgerichtet, wenn davon auszugehen ist, dass eine Parteientschädigung uneinbringlich sein könnte (vgl. Art. 122 Abs. 2 ZPO). Die Annahme des historischen Gesetzgebers, die Ausnahme von der Regel, wonach keine Parteientschädigungen für das Einspracheverfahren ausgerichtet würden, werde benötigt, um eine dahinfallende Entschädigung für eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung zu ersetzen, erweist sich insofern als ein Irrtum.
Damit stellt sich die Frage, ob es die Ausnahme von der Regel, wonach im Einspracheverfahren keine Parteientschädigungen ausgerichtet werden, überhaupt braucht. Schliesslich könnte der versicherten Person auch im Falle eines Obsiegens einfach die Entschädigung für die unentgeltliche Rechtsverbeiständung ausgerichtet werden. Nun setzt der Anspruch auf eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung aber nicht nur voraus, dass die versicherte Person bedürftig, das heisst nicht in der Lage ist, die Kosten für einen Rechtsvertreter aus den eigenen Mitteln zu bezahlen, und dass die
Einsprache nicht aussichtslos ist (Art. 55 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 65 Abs. 1 VwVG). Darüber hinaus muss die Rechtsverbeiständung auch erforderlich sein (Art. 37 Abs. 4 ATSG), was der Fall ist, wenn sich schwierige rechtliche tatsächliche Fragen stellen, die es der versicherten Person verunmöglichen, ihre Rechte ohne die Hilfe eines Rechtsanwaltes zu wahren (vgl. UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 37 N 35 ff., mit zahlreichen Hinweisen). Bei der Prüfung der Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung wird ein strenger Massstab angelegt (vgl. KIESER, a.a.O., mit Hinweisen auf die Materialien). Nach der Konzeption des Gesetzgebers bildet die Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung die Ausnahme. In der Regel ist eine anwaltliche Vertretung nach Ansicht des Gesetzgebers also nicht erforderlich. Das erklärt auch die Regel des Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG, wonach für das Einspracheverfahren grundsätzlich keine Parteientschädigungen auszurichten seien. Wenn nämlich eine anwaltliche Vertretung in der Regel nicht erforderlich ist, dann sind die Kosten für eine trotzdem beigezogene anwaltliche Vertretung „unnötig“, weshalb sie nicht vom Versicherungsträger übernommen werden sollen. Auch im kantonalen Beschwerdeverfahren, in dem – anders als im Einspracheverfahren – in aller Regel eine Parteientschädigung zuzusprechen ist, darf bei der Bemessung der Parteientschädigung nur der notwendige Vertretungsaufwand berücksichtigt werden. Der Grundsatz des Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG besagt also nichts anderes, als dass im Einspracheverfahren in aller Regel keine anwaltliche Vertretung notwendig sei. Dieser Grundsatz kann aber nicht zutreffen, wenn eine anwaltliche Vertretung im Sinne des Art. 37 Abs. 4 ATSG erforderlich ist, denn es wäre widersprüchlich, die Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung zu bejahen, diese aber gleichzeitig als nicht notwendig zu qualifizieren. Wann immer die Voraussetzung des Art. 37 Abs. 4 ATSG erfüllt ist, muss also ein Ausnahmefall im Sinne des Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG vorliegen. Die Beurteilung der Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung mit zweierlei Mass wäre verfassungswidrig, weil sie das Gleichbehandlungsgebot verletzen würde. Bei der Anwendung des Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG darf also kein strengerer Massstab als bei der Anwendung des Art. 37 Abs. 4 ATSG angelegt werden. Folglich muss für die
Beantwortung der Frage, ob ein Ausnahmefall im Sinne des Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG vorliege, geprüft werden, ob eine anwaltliche Vertretung im Sinne des Art. 37 Abs. 4 ATSG erforderlich sei. Die Bedürftigkeit der versicherten Person spielt dabei keine Rolle, denn sie ist kein sachliches Kriterium zur Beantwortung dieser Frage. Würde die
bedürftige Person diesbezüglich anders als die nicht bedürftige Person behandelt, würde das Rechtsgleichheitsgebot verletzt, weil Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, sondern aufgrund eines nicht massgebenden Kriteriums ungleich behandelt würde. Daraus folgt, dass eine nicht bedürftige Person, die trotz der Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung im Sinne des Art. 37 Abs. 4 ATSG mangels einer Bedürftigkeit keinen Anspruch auf eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung hat, im Falle eines Obsiegens eine Parteientschädigung erhalten muss. Auch wenn der Gesetzgeber offenbar nicht daran gedacht hat und auch wenn das Bundesgericht bislang die Zulässigkeit der Zusprache einer Parteientschädigung ohne eine vorgängige Bewilligung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung bislang nicht definitiv bejaht hat (vgl. BGE 130 V 570), zwingt eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG dazu, einer nicht bedürftigen Person im Falle der Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung im Sinne des Art. 37 Abs. 4 ATSG eine Parteientschädigung auszurichten. Damit erweist sich die Ausnahme im Art. 52 Abs. 3 Satz 2 ATSG als unverzichtbar.
Die Verfügung vom 10. Januar 2015, mit der die Beschwerdegegnerin die Ergänzungsleistung per 1. Februar 2015 zufolge der Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens herabgesetzt hat, hat eine detaillierte Begründung enthalten. Dieser hat sich für jedermann verständlich entnehmen lassen, dass die Beschwerdegegnerin davon ausgegangen ist, dass der Beschwerdeführerin die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ausserhalb des Bereichs zumutbar sei, in dem sie bislang tätig gewesen war respektive nach Arbeitsstellen Ausschau gehalten hatte. Entgegen der Behauptung des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin kann diese Verfügung die Beschwerdeführerin nicht „plötzlich und unerwartet“ oder
„überraschend“ getroffen haben, denn die Beschwerdegegnerin hatte sich bereits im Herbst 2014 nach den Arbeitsbemühungen der Beschwerdeführerin erkundigt, woraufhin diese sich von ihrem Hausarzt ein Attest hatte ausstellen lassen und in einer handschriftlich verfassten Stellungnahme zusätzlich dargelegt hatte, sie sei altersbedingt nicht mehr in der Lage, eine Arbeitsstelle im Gastgewerbe als Putzfrau anzunehmen. Der Beschwerdeführerin muss also bewusst gewesen sein, dass die Anrechnung des hypothetischen Erwerbseinkommens die Reaktion darauf gewesen ist, dass sie keine Arbeitsbemühungen hatte nachweisen können. Da eine Einsprache nur minimalsten formalen Anforderungen genügen muss (vgl. etwa den Entscheid EL
2015/14 des St. Galler Versicherungsgerichtes vom 21. September 2016, E. 3.3, mit zahlreichen Hinweisen), wäre die Beschwerdeführerin ohne weiteres in der Lage gewesen, ohne die Hilfe eines Rechtsanwaltes eine Einsprache gegen die Verfügung vom 10. Januar 2015 zu erheben. Auch im Einspracheverfahren selbst wäre die Beschwerdeführerin nicht auf eine anwaltliche Vertretung angewiesen gewesen, denn entweder hätte sie erfolglose Arbeitsbemühungen einreichen müssen, wozu sie selbst in der Lage gewesen wäre, sie hätte mittels medizinischen Berichten nachweisen müssen, dass sie gar nicht arbeitsfähig gewesen ist. Auch diese Berichte hätte sie selbst besorgen können, wie ja auch ihre Eingabe vom 5. November 2014 beweist. Ihr Rechtsvertreter hat jedoch völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beschwerdegegnerin ihre Untersuchungspflicht (Art. 43 Abs. 1 ATSG) nicht auf die Beschwerdeführerin hätte abwälzen dürfen. Die Sachverhaltsabklärung ist im Sozialversicherungsverfahren nämlich die Aufgabe der Verwaltung. Daran lässt der Art. 43 Abs. 1 ATSG keinen Zweifel. Auch wenn das ATSG neben dieser Untersuchungspflicht eine Mitwirkungspflicht der versicherten Person vorsieht (Art. 28 ATSG), bedeutet dies nicht, dass sich die Verwaltung einfach ohne weiteres ihrer Pflicht entledigen könnte, wie sie dies vorliegend getan hat. Die Mitwirkungspflicht ergänzt nämlich die Untersuchungspflicht nur und ersetzt sie nicht. Sie wird nur für die Tatsachen benötigt, die ausschliesslich die versicherte Person belegen kann. Mit anderen Worten kann die versicherte Person nur dort in die Pflicht genommen werden, wo ein Beweis ohne ihre Mitwirkung nicht erbracht werden kann. Alle Beweise, die die Verwaltung ohne die Mithilfe der versicherten Person erheben kann, hat sie in Erfüllung ihrer Untersuchungspflicht auch selbst zu erheben. Nun verhindert zwar das Arztgeheimnis die Einholung von medizinischen Berichten ohne eine Entbindungserklärung der versicherten Person, was die Verwaltung zur Auffassung verleiten könnte, die versicherte Person zur Einreichung von Arztberichten anzuhalten. Der Art. 28 Abs. 3 ATSG sieht aber eine andere Vorgehensweise vor, nämlich die Entbindung der behandelnden Ärzte gegenüber der Verwaltung. Die Beschwerdegegnerin hätte vorliegend also nicht die Beschwerdeführerin damit beauftragen dürfen, die Berichte der behandelnden Ärzte einzureichen. Vielmehr hätte sie die Beschwerdeführerin auffordern müssen, eine Entbindungserklärung zu unterzeichnen. Anschliessend hätte sie selbst die benötigten medizinischen Berichte einholen müssen. Insofern erweist sich das Vorgehen der Beschwerdegegnerin im
Einspracheverfahren als rechtswidrig. Daraus kann aber nicht ohne Weiteres die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung abgeleitet werden. Es besteht nämlich kein Anlass zur Annahme, dass die Beschwerdeführerin zur Erfüllung der unzulässigerweise auf sie abgewälzten Sachverhaltsabklärungspflicht auf die Hilfe eines Rechtsanwaltes angewiesen gewesen wäre. Sie hatte ja bereits vor der Beauftragung ihres Rechtsvertreters und vor dem Erlass der dann einspracheweise angefochtenen Verfügung versucht, mit einem ärztlichen Attest eine Arbeitsunfähigkeit zu belegen, was zeigt, dass sie in der Lage gewesen ist, sich selbst zu wehren. Gestützt auf die Angaben im Arztzeugnis hat die Beschwerdegegnerin dann zusätzlich ganz gezielt weitere Berichte anfordern können. Weshalb die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sein sollte, diese spezifisch angeforderten Berichte ohne die Hilfe eines Anwaltes einzureichen, ist weder ersichtlich noch von ihrem Rechtsvertreter überzeugend dargelegt worden. Zusammenfassend ist also kein Grund ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführerin zur Erhebung einer Einsprache gegen die Verfügung vom 10. Januar 2015 zum Einreichen der medizinischen Berichte auf eine anwaltliche Vertretung angewiesen gewesen sein sollte. Schliesslich belegen auch die internen Notizen vom November und Dezember 2014 (act. G 4.1.4), dass der Beschwerdegegnerin die übrigen Gesichtspunkte (fortgeschrittenes Alter und längere Arbeitslosigkeit) bereits bekannt gewesen sind, bevor die Beschwerdeführerin einen Rechtsanwalt beigezogen hat. Das St. Galler Versicherungsgericht hat bereits in ähnlich gelagerten Fällen entschieden, dass ein Streit um die Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens noch nicht per se eine anwaltliche Vertretung als notwendig erscheinen lasse. In einem Fall, in dem sich keine besonderen Probleme gestellt hatten, ist eine Beschwerde gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung für das Einspracheverfahren abgewiesen worden (EL 2014/53 vom 26. September 2016). Im Entscheid EL 2014/39 vom 29. Januar 2016 ist die unentgeltliche Rechtsverbeiständung für das Einspracheverfahren bewilligt worden, weil die EL-Durchführungsstelle ihre Abklärungspflicht in grober Weise verletzt hatte. In einem anderen Fall ist die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung für das Einspracheverfahren nicht allein mit der Komplexität der Frage nach der Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens, sondern primär wegen einer ungewöhnlich komplexen Verfahrenssituation begründet worden (EL 2014/2 vom 29. Juli 2015). Hier liegen keine solche erschwerenden Umstände vor. Gesamthaft ist die
Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung im Sinne des Art. 37 Abs. 4 ATSG vorliegend also zu verneinen, weshalb die Beschwerdeführerin weder einen Anspruch auf eine Parteientschädigung noch auf eine Entschädigung für eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Einspracheverfahren haben kann.
3.
Die Beschwerde ist folglich abzuweisen. Eine Verfahrenskonstellation, die das Bundesgericht veranlassen könnte, dieses Urteil als einen nicht selbständig anfechtbaren Zwischenentscheid zu qualifizieren (vgl. zur Problematik TOBIAS BOLT, Unentgeltliche Rechtsverbeiständung im kantonalen Verfahren, in: Sozialversicherungsrechtstagung 2015, S. 43 ff.), liegt hier nicht vor, da die Beschwerdegegnerin mit dem angefochtenen Einspracheentscheid auch das Hauptverfahren abgeschlossen hat. Ein Hinweis, dass das Bundesgericht allenfalls auf eine Beschwerde gegen dieses Urteil nicht eintreten würde, erübrigt sich daher.
Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG). Die unterliegende Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung. Zufolge der Bewilligung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung für das Beschwerdeverfahren hat der Staat aber ihrem Rechtsvertreter eine Entschädigung auszurichten, die 80 Prozent des notwendigen Vertretungsaufwandes entspricht (Art. 31 Abs. 3 AnwG). Angesichts der isolierten Rechtsfrage und des Umstandes, dass in diesem Zusammenhang nur verhältnismässig wenige Akten zu studieren gewesen sind, ist von einem deutlich unterdurchschnittlichen Vertretungsaufwand auszugehen, weshalb die Entschädigung auf 80 Prozent von 1’000 Franken, also auf 800 Franken, festgesetzt wird. Sollten es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse dereinst gestatten, wird die Beschwerdeführerin zur Rückerstattung dieser Entschädigung verpflichtet werden können (Art. 99 Abs. 2 VRP i.V.m. Art. 123 ZPO).
Entscheid
im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Staat hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit Fr. 800.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu entschädigen.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.