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Urteil Versicherungsgericht (SG - EL 2010/25)

Zusammenfassung des Urteils EL 2010/25: Versicherungsgericht

Es geht um einen Fall vor dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, bei dem es um die Rückforderung von zu Unrecht ausgerichteten Ergänzungsleistungen geht. Der Beschwerdeführer hatte Einspruch erhoben, da ihm zwei Renten nicht korrekt angerechnet wurden. Nach mehreren Verfahrensstufen wurde die Rückforderung der Ergänzungsleistungen bestätigt. Der Beschwerdeführer argumentierte, dass die Rückforderung verwirkt sei. Letztendlich entschied das Gericht, dass die Rückforderung rechtswidrig war und hob den Entscheid auf. Die Beschwerdegegnerin muss dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 3000.- zahlen, und es fallen keine Gerichtskosten an.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts EL 2010/25

Kanton:SG
Fallnummer:EL 2010/25
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:EL - Ergänzungsleistungen
Versicherungsgericht Entscheid EL 2010/25 vom 09.06.2011 (SG)
Datum:09.06.2011
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 53 Abs. 1 ATSG, Art. 53 Abs. 2 ATSG, Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG.
Schlagwörter: Recht; Quot; Leistung; Rente; Verfügung; Einsprache; Rückforderung; Ergänzungsleistung; Einspracheentscheid; Einnahme; Einnahmen; Renten; Versicherung; EL-Durchführungsstelle; Erwerbseinkommen; Rechtsverhältnis; Ergänzungsleistungen; Streit; Leistungsverfügung; Revision; Gallen; Ehefrau; Korrektur; Streitgegenstand; Versicherungsgericht; Anspruch; Bundesgericht; Rügeprinzip
Rechtsnorm: Art. 106 BGG ;Art. 17 ATSG ;Art. 25 ATSG ;Art. 53 ATSG ;
Referenz BGE:110 V 48; 125 V 413; 133 II 249;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts EL 2010/25

Prozessuale Revision Wiedererwägung als Voraussetzung einer Rückforderung zu Unrecht ausgerichteter Ergänzungsleistungen. Beruht die Ausrichtung der Ergänzungsleistungen auf einem Gerichtsurteil, so kann der diesem Urteil als Anfechtungsgegenstand zugrunde liegende Einspracheentscheid nicht später mittels einer prozessualen Revision mittels einer Wiedererwägung aufgehoben werden, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass er in bezug auf eine Einnahmenposition falsch gewesen ist, die im Gerichtsverfahren gar nicht Gegenstand der Auseinandersetzung gebildet hat (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 9. Juni 2011, EL 2010/25).

Entscheid Versicherungsgericht, 09.06.2011

Vizepräsidentin Miriam Lendfers, Versicherungsrichterin Monika Gehrer-Hug, Versicherungsrichter Joachim Huber; Gerichtsschreiber Ralph Jöhl

Entscheid vom 9. Juni 2011 in Sachen

  1. ,

    Beschwerdeführer,

    vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Robert Baumann, Waisenhausstrasse 17, Postfach, 9001 St. Gallen,

    gegen

    Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Ausgleichskasse des Kantons St.

    Gallen, Brauerstrasse 54, Postfach, 9016 St. Gallen,

    Beschwerdegegnerin, betreffend

    Rückerstattung von Ergänzungsleistung zur IV Sachverhalt:

    A.

    Mit Verfügungen vom 9. Dezember 2004 und vom 13. Januar 2005 sprach die IV-Stelle A. bei einem Invaliditätsgrad von 95% eine ganze Invalidenrente mit Zusatz- und Kinderrenten zu. Am 22. Juni 2005 füllte der Versicherte die Anmeldung zum Bezug von Ergänzungsleistungen aus. Der Anmeldung lag ein Schreiben der B. , Sammelstiftung BVG, Personalvorsorge: C. , vom 8. November 2004 bei. Laut diesem Schreiben war dem Versicherten für die Zeit vom 12. Juli 2003 bis 31. Dezember 2004 eine "Invalidenrente 100%" ausgerichtet worden. Ab Januar 2005 waren die Zahlungen monatlich erfolgt. Im Anmeldeformular gab der Versicherte als Einnahmen die Rente der Invalidenversicherung und eine Rente der B. an. Die Frage nach allfälligen weiteren Einnahmen verneinte er ausdrücklich. Am 15. November 2005 liess der Versicherte durch die C. Rechtsschutzversicherung eine provisorische Abrechnung der B. , Sammelstiftung BVG, für die Periode 12. Juli 2003 bis 31. Dezember 2004 über Fr. 15'330.70 sowie die Kopie einer Lebensversicherungspolice der B. , Schweizerische Lebensversicherungsgesellschaft, Todesfall-Versicherung vom 14. Dezember 1995 einreichen. Laut dieser Police betrug die Rente bei Erwerbsunfähigkeit Fr. 12'000.- pro Jahr. Die C. Rechtsschutzversicherung wies darauf hin, dass der Versicherte effektiv Fr. 1000.- monatlich aus der Lebensversicherung erhalte. In der Folge beschränkte sich das Abklärungsverfahren auf die Frage der Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens der Ehefrau des Versicherten und auf die Frage nach einer allfälligen ausländischen Invalidenrente. Am 5. Juli 2006 erfolgte die Anspruchsberechnung rückwirkend ab dem 1. Juli 2005. Dabei berücksichtigte die EL-Durchführungsstelle auf der Einnahmenseite ein

    hypothetisches Erwerbseinkommen der Ehefrau des Versicherten, die Rentenleistungen der Invalidenversicherung, den Vermögensertrag und "Renten und Pensionen aller Art" von Fr. 12'000.-. Mit einer Verfügung vom 6. Juli 2006 sprach die EL-Durchführungsstelle dem Versicherten für Juli bis Dezember 2005 monatliche ordentliche Ergänzungsleistungen von Fr. 796.-, für Januar 2006 monatliche ordentliche Ergänzungsleistungen von Fr. 846.- und ab Februar 2006 monatliche ordentliche Ergänzungsleistungen von 538.- zu.

    B.

    Der Versicherte liess am 28. Juli 2006 Einsprache gegen die Verfügung vom 6. Juli 2006 erheben und beantragen, die Verfügung sei aufzuheben und sein Anspruch auf Ergänzungsleistungen sei neu zu berechnen. Konkret verlangte der Versicherte, dass ihm kein hypothetisches Erwerbseinkommen seiner Ehefrau als Einnahmen anzurechnen und dass ein höherer Mietzins abzuziehen sei. Die EL- Durchführungsstelle wies die Einsprache am 14. September 2006 ab. Der Versicherte liess am 16. Oktober 2006 Beschwerde erheben und die Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens der Ehefrau rügen. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen beschränkte sich dementsprechend in seinem Urteil vom 20. März 2007 auf die Prüfung der Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens. Es wies die Sache zur weiteren Abklärung des Sachverhalts an die EL-Durchführungsstelle zurück. Diese erhob am 19. April 2007 Beschwerde beim Bundesgericht mit dem sinngemässen Begehren, die Sache sei zur Abklärung eines allfälligen hypothetischen Erwerbseinkommens an sie zurückzuweisen. Allerdings seien medizinische Abklärungen explizit auszunehmen. Das Bundesgericht hob den kantonalen Entscheid am 6. Februar 2008 auf und bestätigte die in der Verfügung vom 6. Juli 2006 zugesprochene Ergänzungsleistung, da dort zu Recht ein hypothetisches Erwerbseinkommen in der damals ermittelten Höhe angerechnet worden sei.

    C.

    Obwohl die ursprüngliche Leistungsverfügung vom 6. Juli 2006 aufgrund des laufenden Rechtsmittelverfahrens noch nicht formell rechtskräftig geworden war, hatte die EL- Durchführungsstelle Anpassungen der Ergänzungsleistung vorgenommen. Mit einer

    Verfügung vom 29. Dezember 2006 hatte sie die ordentliche Ergänzungsleistung per

    1. Januar 2007 auf Fr. 562.- monatlich und mit einer Verfügung vom 21. Dezember 2007 per 1. Januar 2008 auf Fr. 574.- monatlich angehoben. Am 25. Januar 2008 hatte die AHV-Zweigstelle der EL-Durchführungsstelle ein Schreiben der B. , Sammelstiftung BVG, Personalvorsorge: C. , vom 15. Januar 2008 eingereicht. Laut diesem Schreiben hatte das Ersuchen des Versicherten um eine Erhöhung der Rente nicht bewilligt werden können, da er bereits eine maximale Rente beziehe. Die EL- Durchführungsstelle teilte dem Versicherten am 21. Februar 2008 mit, dieses Schreiben der B. (BVG-Rente) habe keinen Einfluss auf die Berechnung der Ergänzungsleistung, da es keine Änderung gebe.

      D.

      Im Rahmen einer periodischen Überprüfung des Leistungsanspruchs füllte der Versicherte am 12. September 2008 einen Fragebogen aus. Dabei gab er an, er erhalte eine Rente der Invalidenversicherung von Fr. 16'272.- jährlich und eine BVG-Rente der B. -Versicherung von Fr. 10'790.- jährlich. Er verneinte die Frage nach Renten, Taggeldern anderen Leistungen. Dem Formular lag eine Bestätigung der B. , Sammelstiftung BVG, Personalvorsorge: C. bei, laut welcher der Versicherte im Jahr 2007 eine Rente von Fr. 10'790.- erhalten hatte. Am 23. Dezember 2008 erging eine Verfügung, mit der die EL-Durchführungsstelle die monatliche Ergänzungsleistung ab

      1. Januar 2009 auf Fr. 606.- festsetzte. Darin war den Ergebnissen der periodischen Überprüfung noch nicht Rechnung getragen. Die eigentliche Anpassungsverfügung als Ergebnis der periodischen Überprüfung erging am 12. März 2009. Die EL- Durchführungsstelle setzte den monatlichen Anspruch ab September 2008 auf Fr. 627.- und ab Januar 2009 auf Fr. 691.- fest. Anstelle der bisher angerechneten Rente der

  2. von Fr. 12'000.- fand neu eine solche von Fr. 10'790.- Berücksichtigung.

E.

Am 22. September 2009 erfuhr die EL-Durchführungsstelle, dass dem Versicherten möglicherweise Rentenleistungen ausgerichtet würden, die bisher noch nicht deklariert worden seien. Die AHV-Zweigstelle teilte am 22. September 2009 mit, das Steueramt habe herausgefunden, dass der Versicherte schon seit längerem zwei Renten von der

B. beziehe. Dieser Mitteilung der AHV-Zweigstelle lag ein Rentenausweis der B. , Sammelstiftung BVG, Personalvorsorge: C. , bei, laut dem sich die Rentenleistungen im Jahr 2008 auf Fr. 10'790.40 belaufen hatten. Gemäss dem ebenfalls beigelegten Auszug aus dem Bankkonto des Versicherten für das Jahr 2008 hatten die "B. Schweizerische Lebensver." im Jahr 2008 monatlich Fr. 899.20 und die "B. -Leben" quartalsweise Fr. 3035.75 überwiesen. Die EL-Durchführungsstelle nahm rückwirkend ab dem Anspruchsbeginn am 1. Juli 2005 eine Neuberechnung vor, bei der sie zusätzlich zur Rente der B. Sammelstiftung BVG auch die Rente der B. Lebensversicherung berücksichtigte. Es resultierte für die gesamte Periode vom 1. Juli 2005 bis 30. September 2009 ein erheblicher Einnahmenüberschuss. Die EL- Durchführungsstelle forderte die in diesem Zeitraum ausgerichteten ordentlichen Ergänzungsleistungen von Fr. 31'603.- und auch die im gleichen Zeitraum vergüteten Krankheitskosten von insgesamt Fr. 5562.- zurück. Die gesamte Rückforderung belief sich auf Fr. 37'165.-. Die entsprechende Verfügung erging am 5. November 2009. Bereits am 4. November 2009 hatte die EL-Durchführungsstelle eine "EL-Abweisungs- Verfügung mit Wirkung ab 01.10.2009" erlassen.

F.

Der Versicherte liess am 7. Dezember 2009 gegen die Rückforderungsverfügung vom

5. November 2009 Einsprache erheben und die vollumfängliche Aufhebung dieser Verfügung beantragen. Zur Begründung liess er sinngemäss ausführen, die Rückforderung sei verwirkt. Da die EL-Durchführungsstelle bereits bei der Prüfung der Anmeldung hätte erkennen müssen, dass die B. Versicherung ihm zwei Renten auszahle, liege der Fehler hinter der unrechtmässigen Leistungsausrichtung bei ihr. Der zweite Anlass, bei dem die EL-Durchführungsstelle ihren Fehler hätte erkennen müssen, sei die periodische Überprüfung im Herbst 2008 gewesen. Die einjährige relative Verwirkungsfrist habe deshalb nur wenige Tage nach dem 7. Oktober 2008 zu laufen begonnen. Die am 5. November 2009 ergangene Rückforderungsverfügung sei somit verspätet. Die EL-Durchführungsstelle wies die Einsprache am 15. März 2010 ab. Sie führte aus, die ursprüngliche Leistungszusprache sei in Bezug auf das hypothetische Erwerbseinkommen der Ehefrau angefochten worden. Der Versicherte habe damals nicht darauf hingewiesen, dass zu Unrecht nur eine der beiden Renten der B. angerechnet worden sei. Auch bei der periodischen Überprüfung im Jahr

2008 habe der Versicherte nur eine Rente der B. angegeben. Sie habe deshalb davon ausgehen müssen, dass die Rente von Fr. 12'000.- auf Fr 10'790.- herabgesetzt worden sei. Erst mit der Mutationsmeldung der AHV-Zweigstelle sei für sie zu erkennen gewesen, dass dem Versicherten zwei Renten der B. Versicherung ausgerichtet worden seien.

G.

Der Versicherte liess am 14. April 2010 beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Beschwerde erheben und beantragen, der Einspracheentscheid sei vollumfänglich aufzuheben und es sei festzustellen, dass kein Rückforderungsanspruch in der Höhe von Fr. 37'165.- bestehe bzw. es sei von einer Rückforderung im vorgenannten Umfang abzusehen. Zur Begründung liess der Versicherte ausführen, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung löse erst der "zweite Anlass" die relative Verwirkungsfrist aus. Entgegen der von der EL-Durchführungsstelle vertretenen Auffassung sei dieser "zweite Anlass" allerspätestens auf den 7. Oktober 2008 festzusetzen, so dass die Rückerstattungsverfügung vom 5. November 2009 nach dem Ablauf der einjährigen Verwirkungsfrist erlassen worden sei. Bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte der EL-Durchführungsstelle auffallen müssen, dass der Betrag für "andere Renten und Pensionen aller Art" plötzlich und ohne ersichtlichen Grund tiefer ausgefallen sei. Anhand der damaligen Aktenlage hätte innert weniger Minuten festgestellt werden können, dass die B. zwei Renten ausrichtete. Die ursprüngliche Leistungsverfügung vom 6. Juli 2006 sei angefochten und schliesslich durch das Bundesgericht bestätigt worden. Bei zumutbarer Aufmerksamkeit hätte die EL-Durchführungsstelle also im Rahmen der Rechtsmittelverfahren gleich dreimal erkennen müssen, dass die Anspruchsberechnung in Bezug auf die Rentenleistungen der B. falsch gewesen sei.

H.

Die EL-Durchführungsstelle beantragte am 27. Mai 2010 die Abweisung der Beschwerde. Sie verwies auf die Begründung des angefochtenen Einspracheentscheides. Zugleich führte sie aus, der Versicherte mache im weiteren Sinn geltend, sein treuwidriges Verhalten sei zu schützen. Er habe es nämlich jahrelang

unterlassen, auf die zu tief angerechnete BVG-Rente hinzuweisen. Dadurch habe er zu hohe Ergänzungsleistungen genossen.

I.

Der Versicherte liess in seiner Replik vom 3. Juni 2010 einwenden, die EL- Durchführungsstelle lasse unerwähnt, dass solche rudimentären Prüfungen gerade auch von ihr selbst nicht vorgenommen worden seien.

J.

Die EL-Durchführungsstelle verzichtete am 18. Oktober 2010 auf eine materielle Stellungnahme.

Erwägungen:

1.

Unrechtmässig bezogene Leistungen sind zurückzuerstatten (Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG). Solange die bezogene Leistung sich auf eine formell rechtskräftige Leistungsverfügung stützt, ist sie nicht unrechtmässig, auch wenn diese formell rechtskräftige Leistungsverfügung inhaltlich rechtswidrig ist bzw. geworden ist. Daraus folgt, dass die formell rechtskräftige, aber inhaltlich rechtswidrige Leistungsverfügung revisionsweise (Art. 53 Abs. 1 ATSG) wiedererwägungsweise (Art. 53 Abs. 2 ATSG) aufgehoben und durch eine inhaltlich korrekte Leistungszusprache ersetzt dass sie rückwirkend einer verspätet bekannt gewordenen, anspruchsmindernden Sachverhaltsveränderung angepasst werden muss (Art. 17 Abs. 2 ATSG i.V.m. Art. 25 Abs. 2 lit. c d ELV). Die Differenz zwischen der ausgerichteten Leistung und der – tieferen – Leistung, wie sie gemäss der korrigierten Leistungsverfügung hätte ausgerichtet werden sollen, definiert die unrechtmässig bezogene Leistung. Die Rückforderung unrechtmässig bezogener Leistungen setzt also – mit Ausnahme der Leistungsausrichtung ohne leistungszusprechende Verfügung – zwingend die Korrektur der ursprünglichen, formell rechtskräftigen Leistungsverfügung voraus (vgl. Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 2.A., N. 12 zu Art. 25 ATSG). Rückforderungsverfügungen der Beschwerdegegnerin enthalten erfahrungsgemäss keinen Hinweis auf eine vorgängige

Korrektur der unrichtigen, aber formell rechtskräftigen früheren Leistungsverfügung. Es wird nur eine materielle Rückforderung geltend gemacht. Zusätzlich zur Rückforderungsverfügung erlässt die Beschwerdegegnerin in aller Regel eine Anpassungsverfügung nach Art. 17 Abs. 2 ATSG, mit der sie die bis dahin laufend ausgerichtete, überhöhte Leistung auf das Ende des Rückforderungszeitraums auf das korrekte Mass herabsetzt. Dabei wird jeweils ignoriert, dass eine revisionsrechtlich relevante Sachverhaltsveränderung fehlt, die auf diesen Zeitpunkt eingetreten wäre und damit die Leistungsherabsetzung gestützt auf Art. 17 Abs. 2 ATSG zulassen würde. Auch in der Rückforderungsverfügung vom 5. November 2009 fehlt der verfahrensrechtliche Korrekturteil, der erst die Unrechtmässigkeit des Leistungsbezuges zwischen dem 1. Juli 2005 und dem 30. September 2009 bewirken würde. Ergänzt wird die Rückforderungsverfügung durch die "EL-Abweisungs- Verfügung mit Wirkung ab 01.10.2009" vom 4. November 2009, die als Aufhebungsverfügung per 30. September 2009 ausgestaltet ist. Inhaltlich hat sich an der Rückforderung durch den Einspracheentscheid vom 15. März 2010 nichts geändert. Auch der angefochtene Einspracheentscheid erscheint deshalb als rein materielle Rückforderung ohne verfahrensrechtliche Korrektur früherer, unrichtiger Leistungsverfügungen. In einer langjährigen Rechtsprechung hat das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen diese Vorgehensweise immer so interpretiert, dass die Beschwerdegegnerin damit konkludent verfahrensrechtlich korrekt vorgegangen sei, d.h. die ursprünglichen, falschen Leistungsverfügungen korrigiert und erst dann die unrechtmässig bezogenen Ergänzungsleistungen zurückgefordert habe. Je nach der konkreten Konstellation haben die Rückforderungsverfügungen also jeweils konkludent eine prozessuale Revision, eine Wiedererwägung eine rückwirkende Herabsetzung/Aufhebung enthalten. Da die zukünftige, d.h. die an den Rückforderungszeitraum anschliessende Leistung in aller Regel bereits durch diese Korrektur einer früheren, unrichtigen Leistungsverfügung festgestanden hat, ist die entsprechende Verfügung nur als Orientierung über die Leistungshöhe für die Zukunft interpretiert worden. Diese Auslegung ihrer Rückforderungsverfügungen und ihrer "Verfügungen" für die Zukunft ist von der Beschwerdegegnerin immer akzeptiert worden.

2.

Grundsätzlich müsste diese Rechtsprechung des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen auch auf den vorliegenden Fall zur Anwendung kommen. Der Einspracheentscheid vom 15. März 2010 wäre also so zu interpretieren, dass er aus der verfahrensrechtlichen Korrektur der früheren unrichtigen Leistungszusprache und aus der anschliessenden materiellrechtlichen Korrektur des entsprechenden Leistungsbezuges mittels einer Rückforderung ordentlicher Ergänzungsleistungen im Betrag von Fr. 37'165.- bestehen würde. Da der Beschwerdeführer die "EL- Abweisungs-Verfügung mit Wirkung ab 01.10.2009" gar nicht angefochten hat, kann die Frage offen bleiben, welche Bedeutung diese "Verfügung" hat. Der Beschwerdeführer hat bereits am 1. Juli 2005 beide Renten der B. -Versicherung bezogen. Das grundsätzlich anwendbare Korrekturinstrument kann also nicht die (rückwirkende) Anpassung gemäss Art. 17 Abs. 2 ATSG i.V.m. Art. 25 Abs. 2 ELV sein. Es müsste sich vielmehr um ein Korrekturinstrument handeln, das geeignet wäre, die ursprüngliche Leistungszusprache aufzuheben und durch die bis zum 30. September 2009 andauernde Abweisung des Leistungsgesuchs vom 22. Juni 2005 zu ersetzen. Es müsste sich also um eine prozessuale Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) um eine Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) handeln. Dies würde allerdings voraussetzen, dass es sich bei der verfahrensrechtlichen Grundlage des unrechtmässigen Leistungsbezugs um eine nicht gerichtlich beurteilte Verfügung um einen nicht gerichtlich beurteilten Einspracheentscheid handeln würde (vgl. Ueli Kieser, a.a.O., N. 27 zu Art. 53 ATSG; gilt notwendigerweise auch für die prozessuale Revision). Nun ist der Einspracheentscheid vom 14. September 2006, mit dem die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer rückwirkend ab 1. Juli 2005 eine Ergänzungsleistung zugesprochen hatte, aber zunächst durch das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dann durch das Bundesgericht beurteilt worden. Im Ergebnis hat das Bundesgericht (vgl. Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage 1983, S.

190) dem Beschwerdeführer eine Ergänzungsleistung zugesprochen, bei deren Berechnung fälschlicherweise nur eine von zwei Renten der B. -Versicherung als Einnahme angerechnet worden ist. Demnach liegt kein formell rechtskräftiger Einspracheentscheid vor, der einer prozessualen Revision nach Art. 53 Abs. 1 ATSG eine Wiedererwägung nach Art. 53 Abs. 2 ATSG zugänglich wäre. Das zwingt zum Schluss, dass die Beschwerdegegnerin mit dem vorliegend angefochtenen Einspracheentscheid vom 15. März 2010 eine Korrektur des Bundesgerichtsurteils vom

6. Februar 2008 angeordnet hat, was offensichtlich rechtswidrig ist. Die Beschwerdegegnerin hätte um eine Revision des Bundesgerichtsurteils (Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG) ersuchen müssen, um dann die dem Beschwerdeführer ausgerichteten Ergänzungsleistungen zurückfordern zu können.

3.

Dagegen könnte eingewendet werden, der Beschwerdeführer habe damals ausschliesslich die Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens seiner Ehefrau gerügt. Nach dem sogenannten Rügeprinzip hätten das Versicherungsgericht und anschliessend das Bundesgericht deshalb nur die Rechtmässigkeit der Einnahmenposition "hypothetisches Erwerbseinkommen der Ehefrau" geprüft. Alle anderen Einnahmen- und Ausgabenpositionen seien nicht in die Beurteilung einbezogen worden. Damit sei nur der Teil "hypothetisches Erwerbseinkommen der Ehefrau" des Einspracheentscheides vom 14. September 2006, der damals den Anfechtungsgegenstand gebildet habe, gerichtlich beurteilt worden. In Bezug auf die übrigen Einnahmen- und Ausgabenpositionen sei der Einspracheentscheid vom 14. September 2006 unbeurteilt in formelle Rechtskraft erwachsen, so dass er in diesem Teil der prozessualen Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) der Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) zugänglich sei. Er könne also in Bezug auf die Einnahmenposition "übrige Renten" revisions- wiedererwägungsweise aufgehoben und durch eine korrigierte Verfügung ersetzt werden. Das Bundesgerichtsurteil werde dadurch nicht tangiert, weil ja auch nach der prozessualen Revision bzw. nach der Wiedererwägung weiterhin das dort angeordnete hypothetische Erwerbseinkommen der Ehefrau angerechnet werde. Einem so konsequent verstandenen Rügeprinzip wäre entgegen zu halten, dass gemäss der höchstrichterlichen Rechtsprechung immer das gesamte Rechtsverhältnis den Streitgegenstand bildet (vgl. BGE 125 V 413 ff.). Ulrich Meyer- Blaser hat bei einer Analyse dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung festgestellt, dass der Anfechtungsgegenstand immer dann gleichzeitig den Streitgegenstand ausmache, wenn eine Verfügung nur ein einziges Rechtsverhältnis zum Gegenstand habe (was der Normalfall sei). Die begriffliche Abgrenzung und Festsetzung von Anfechtungs- und Streitgegenstand erfolge daher auf der Ebene der Rechtsverhältnisse. Das sei in BGE 110 V 48 Erw. 3c nicht klar genug zum Ausdruck gebracht worden, indem dort missverständlich von nicht beanstandeten Teilaspekten

eines Rechtsverhältnisses gesprochen worden sei. Dies habe auf eine Teilrechtskraft der nicht bestrittenen Aspekte des Rechtsverhältnisses verbunden mit einer Beschränkung des Streitgegenstandes auf den beanstandeten Punkt schliessen lassen. Das sei aber gerade nicht gemeint gewesen (vgl. Ulrich Meyer-Blaser, Der Streitgegenstand im Streit - Erläuterungen zu BGE 125 V 413, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Aktuelle Rechtsfragen der Sozialversicherungspraxis, S. 27). Der Streitgegenstand kann sich also nie auf ein Teilelement eines Rechtsverhältnisses beschränken, selbst wenn das Rechtsmittelbegehren, die "Rüge", nur auf ein Teilelement beschränkt ist und die übrigen Teilelemente dieses Rechtsverhältnisses ausdrücklich als nicht angefochten bezeichnet werden. Darauf deutet im Übrigen auch der Umstand hin, dass selbst die Befürworter eines konsequenten Rügeprinzips (vgl. etwa Th. Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3.A., S. 482 f.) annehmen, die Rechtsmittelinstanz könne unter gewissen Voraussetzungen auch nicht gerügte Teilelemente eines Rechtsverhältnisses in die Beurteilung einbeziehen. Das wäre nicht möglich, wenn nur das gerügte Teilelement allein den Streitgegenstand bilden würde. Das Rügeprinzip beinhaltet also nur den - selbstverständlichen - Anspruch des Rechtsmittelberechtigten auszuwählen, welches von mehreren in einer anfechtbaren Verfügung/in einem anfechtbaren Einspracheentscheid geregelten Rechtsverhältnissen den Streitgegenstand bilden soll. Will man im Rügeprinzip mehr sehen als die Fähigkeit, in diesem Sinn auszuwählen, d.h. will man mit dem Rügeprinzip erreichen, dass das den Streitgegenstand bildende Rechtsverhältnis von der Rechtsmittelinstanz nicht in allen Teilelementen auf seine Rechtmässigkeit überprüft wird, so muss das Rügeprinzip als Einschränkung der Überprüfungskognition auf das gerügte Teilelement des streitigen Rechtsverhältnisses verstanden werden, wobei sich das Dispositiv des Rechtsmittelentscheides dann aber doch auf das gesamte streitige Rechtsverhältnis bezieht (vergleichbar mit einer Beschränkung der Kognition auf Rechtsfragen, die nichts daran ändert, dass das Urteilsdispositiv de facto immer auch die Bejahung der Rechtmässigkeit der Sachverhaltsermittlung durch die Vorinstanz enthält). Diese Wirkung des Rügeprinzips setzt aber eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung voraus. So dürfte auch die höchstrichterliche Rechtsprechung zum neuen Art. 106 BGG (vgl. BGE 133 II 249 ff. Erw. 1.4.1) zu verstehen sein. Im EL-Bereich besteht das Rechtsverhältnis aus der Gesamtheit der Einnahmen- und Ausgabenpositionen, aus denen sich die konkrete Anspruchsberechnung zusammensetzt (oder zusammensetzen

müsste). Da es nach dem oben Ausgeführten kein Rügeprinzip gibt, das es der anfechtenden Person erlauben würde, den Streitgegenstand des Rechtsmittelverfahrens auf eine einzige Einnahmen- Ausgabenposition - im vorliegenden Fall auf die Einnahmenposition "hypothetisches Erwerbseinkommen der Ehefrau" - zu beschränken und die Verfügung/den Einspracheentscheid in Bezug auf alle anderen Einnahmen- und Ausgabenpositionen in formelle Rechtskraft erwachsen zu lassen, müssen sämtliche Einnahmen- und Ausgabenpositionen - im vorliegenden Fall also auch die Einnahmenposition "andere Renten" - Gegenstand der gerichtlichen Beurteilung gebildet haben. Der Einspracheentscheid vom 14. September 2006 ist somit in Bezug auf alle Einnahmenpositionen, die in der Anspruchsberechnung enthalten gewesen sind hätten enthalten sein müssen, beurteilt worden. Demnach ist er weder einer prozessualen Revision noch einer Wiedererwägung zugänglich. Der vorliegend angefochtene Einspracheentscheid, mit dem die Beschwerdegegnerin den Einspracheentscheid vom 14. September 2009 hat korrigieren wollen, erweist sich deshalb als rechtswidrig; er ist aufzuheben.

4.

Entsprechend den vorstehenden Ausführungen ist die Beschwerde gutzuheissen. Der vollumfänglich obsiegende Beschwerdeführer hat gegenüber der Beschwerdegegnerin einen Anspruch auf eine volle Parteientschädigung. Die Parteientschädigung bemisst sich nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses. Praxisgemäss erweist sich eine Parteientschädigung von Fr. 3000.- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) als angemessen.

Demgemäss hat das Versicherungsgericht im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

entschieden:

  1. In Gutheissung der Beschwerde wird der Einspracheentscheid vom 15. März

    2010 aufgehoben.

  2. Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung

    von Fr. 3000.- zu bezahlen.

  3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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