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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:EL 2009/32
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:EL - Ergänzungsleistungen
Versicherungsgericht Entscheid EL 2009/32 vom 10.11.2009 (SG)
Datum:10.11.2009
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 10 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 ELG; Art. 16c ELV; Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG. Mietzinsaufteilung bei nicht in die EL-Berechnung eingeschlossenen Personen. Vorliegend wohnt der Enkel der EL-Bezügerin bei ihr. Zu prüfen ist, ob ihr durch das unentgeltliche Wohnenlassen ein Einnahmenverzicht vorgeworfen werden kann. Solange sie in einer 1-Zimmer-Wohnung lebte, ist dies nicht der Fall; eine eigentliche Untervermietung wäre nicht in Frage gekommen. Für die Zeit nach dem Umzug in eine grössere Wohnung ist eine erneute Prüfung vorzunehmen (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 10. November 2009, EL 2009/32).
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 23 ZGB ; Art. 276 ZGB ; Art. 328 ZGB ; Art. 329 ZGB ;
Referenz BGE:127 V 10; 130 V 445;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Vizepräsidentin Karin Huber-Studerus, Versicherungsrichterin Monika Gehrer-Hug, Versicherungsrichter Franz Schlauri; Gerichtsschreiberin Miriam Lendfers

Entscheid vom 10. November 2009

in Sachen G. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Stephanie Bialas, Oberer Graben 44, Postfach, 9001 St. Gallen,

gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Ausgleichskasse des Kantons St.

Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin, betreffend

Ergänzungsleistung zur IV (Anpassung) / Rückerstattung Sachverhalt:

A.

A.a G. , Jahrgang 1954, bezieht seit Jahren Ergänzungsleistungen (EL) zur Invalidenrente. Gemäss Verfügung vom 23. Dezember 2008 belief sich die monatliche EL ab 1. Januar 2009 auf Fr. 1'599.-. In der entsprechenden EL-Berechnung wurden jährliche Mietausgaben von Fr. 8'400.- berücksichtigt (EL-act. 12). Das Einwohneramt A. meldete der AHV-Zweigstelle A. im Januar 2009, dass seit 16. Januar 2009 der schulpflichtige Enkel der Versicherten, Jahrgang 1995, bei ihr lebe (EL-act. 10). Die EL-Durchführungsstelle berechnete den EL-Anspruch der Versicherten daraufhin neu, wobei sie nur noch den halben Mietzins als Ausgabe anerkannte. Mit zwei Verfügungen vom 3. April 2009 wurden der EL-Anspruch der Versicherten mit Wirkung ab 1. April 2009 auf Fr. 1'249.- herabgesetzt und für die Monate Februar und März 2009 zu viel bezahlte EL von Fr. 700.- zurückgefordert (EL-act. 7 und 9). Eine gegen diese Verfügungen in Vertretung der Versicherten von Rechtsanwältin lic. iur. Stephanie Bialas erhobene Einsprache vom 5. Mai 2009 (EL-act. 3) wies die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen (SVA) mit Entscheid vom 7. Juli

2009 ab. Die Aufteilung des Mietzinses habe zu erfolgen, wenn eine Wohnung auch von Personen bewohnt werde, die nicht in die EL-Berechnung miteinbezogen seien. Durch die Unentgeltlichkeit des Mietverhältnisses werde die Aufteilung des Mietzinses vorliegend nicht verunmöglicht. Aufgrund der konkreten Situation (1-Zimmer-Wohnung) sei die hälftige Teilung des Mietzinses angemessen (act. G 1.1.1).

B.

    1. Gegen diesen Einspracheentscheid richtet sich die von der Rechtsvertreterin der Versicherten am 8. September 2009 erhobene Beschwerde. Sie beantragt die Aufhebung des Entscheids, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. Der

      Beschwerdeführerin sei die unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung zu gewähren. Sie habe ihren Enkel bei sich aufgenommen, weil dieser von seinem Vater bei dessen Ausreise aus der Schweiz und Wohnsitznahme in Serbien hier zurückgelassen worden sei. Die Aufenthaltsbewilligung des Vaters sei nicht verlängert worden. Das Verbleiben des Enkels bei der Grossmutter sei im Interesse des Kindeswohls die beste Lösung. Die Eltern des Jungen erzielten in Serbien kein Einkommen, das es ihnen ermöglichen könnte, der Grossmutter auch nur einen Rappen Unterhalt für den Sohn zu bezahlen. Er bekomme derzeit auch keine Unterstützung durch das Sozialamt. Am Mietzins beteilige er sich nicht. Im Hinblick auf die vom Ausländeramt verlangte Pflegeplatzbewilligung habe die Beschwerdeführerin in eine bedarfsgerechte Wohnung umziehen müssen. Sie bezahle seit September 2009 einen monatlichen Bruttomietzins von Fr. 1'264.-. Auch hiervon sei ihr bei der EL- Berechnung nur die Hälfte angerechnet worden. Sobald die Beschwerdeführerin für den Enkel irgendeine Unterstützung durch die Eltern oder das Sozialamt erhalte, sei eine Anrechnung von Wohnkosten für ihn angezeigt und die Beschwerdeführerin werde eine derartige Veränderung der Umstände ihren Informationspflichten entsprechend umgehend mitteilen (act. G 1).

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragt mit Schreiben vom 23. September 2009 die Abweisung der Beschwerde, verweist zur Begründung auf die Erwägungen im Einspracheentscheid und verzichtet auf weitere Ausführungen (act. G 3).

    3. Auf Aufforderung des Gerichts liess die Beschwerdeführerin am 2. Oktober 2009 das Gesuchsformular für die unentgeltliche Prozessführung samt Beilagen einreichen (act. G 6).

Erwägungen

1.

    1. Die jährliche EL entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 9 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung [ELG; SR 831.30]). Die anerkannten Ausgaben und die anrechenbaren Einnahmen, worin in

      bestimmtem Umfang auch das Vermögen einbezogen ist, werden nach den in Art. 10 und 11 ELG sowie Art. 11 bis 18 der Verordnung über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV; SR 831.301) festgelegten Bestimmungen ermittelt. Die relevanten Ausgaben und Einnahmen von Personen mit rentenberechtigten Waisen oder mit Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder IV begründen, werden zusammengerechnet (Art. 9 Abs. 2 ELG).

    2. Zu den anerkannten Ausgaben zählen der Mietzins einer Wohnung und die damit zusammenhängenden Nebenkosten, wobei sich der jährliche Höchstbetrag bei Alleinstehenden auf Fr. 13'200.- beschränkt (Art. 10 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 ELG). Wird eine Wohnung auch von Personen bewohnt, die nicht in die EL-Berechnung eingeschlossen sind, ist der Mietzins auf die einzelnen Personen aufzuteilen. Die Mietzinsanteile der nicht in die Berechnung eingeschlossenen Personen werden bei der EL-Berechnung ausser Betracht gelassen (Art. 16c Abs. 1 ELV). Die Aufteilung hat grundsätzlich zu gleichen Teilen zu erfolgen (Art. 16c Abs. 2 ELV). Der Zweck der Mietzinsaufteilung liegt darin, die effektiven Wohnkosten der nicht in die EL-Anspruchsberechnung einbezogenen Personen, die unentgeltlich in derselben Wohnung leben, auszuscheiden, damit die EL nicht auch für Mietanteile von nicht einbezogenen Personen aufkommen müssen (vgl. die Erläuterungen des BSV zur Änderung der ELV auf den 1. Januar 1998, in: AHI 1998 S. 27 ff.; BGE 127 V 10 Erw. 5d).

    3. Eine Mietzinsaufteilung ist nicht in jedem Fall angezeigt, sondern nur dann vorzunehmen, wenn ein Verzichtstatbestand gemäss Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG erfüllt ist (vgl. Ralph Jöhl, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: SBVR XIV, Soziale Sicherheit, Basel 2007, S. 1704 Rz 100). Ein Einnahmenverzicht liegt vor, wenn die EL-beziehende Person auf Teile ihres Einkommens verzichtet, ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein oder eine gleichwertige Gegenleistung zu erhalten bzw. davon – trotz bestehenden Rechtsanspruchs – faktisch keinen Gebrauch macht oder ihre Rechte nicht durchsetzt.

    4. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist dann, wenn in der Wohnung der EL-beziehenden Person ein neuer Wohnsitz begründet und der alte Wohnsitz definitiv aufgegeben wird, von Wohnen im Sinn von Art. 16c ELV auszugehen. Denn

der zivilrechtliche Wohnsitz einer Person befindet sich nach Art. 23 Abs. 1 ZGB an dem

Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält und den sie sich zum

Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht hat. Für die Begründung des Wohnsitzes müssen somit zwei Merkmale erfüllt sein: ein objektives äusseres, der Aufenthalt, und ein subjektives inneres, die Absicht dauernden Verbleibens (m.w.H. P 53/01 vom

13. März 2002, Erw. 3a)cc).

2.

    1. Vorliegend ist der Enkel der Beschwerdeführerin unbestrittenermassen nicht in die EL-Berechnung miteinzubeziehen. Mit der definitiven Ausreise seines Vaters und dem Umzug zur Grossmutter begründete er seinen Wohnsitz neu bei dieser. Wie der aktenkundigen Korrespondenz mit Vormundschaftsbehörde und Ausländeramt zu entnehmen ist, soll der Enkel längerfristig bei der Grossmutter wohnen bleiben; weder ist eine Auswanderung des Enkels nach Serbien noch eine Rückkehr des sorgeberechtigten Vaters geplant (vgl. act. G 1.1.6, 1.1.7).

    2. Eine familienrechtliche Unterstützungspflicht der Grossmutter, die bewirken würde, dass sie den Enkel unentgeltlich bei sich wohnen lassen müsste (was eine Mietzinsaufteilung ausschliessen würde), besteht nicht. Eine solche trifft grundsätzlich nur die Eltern (vgl. Art. 276 ff. ZGB). Die Voraussetzungen für die Verwandtenunterstützung im Sinn von Art. 328 ff. ZGB sind ebenfalls nicht erfüllt, da die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage als EL-Bezügerin rechtlich nicht zur finanziellen Unterstützung des Enkels verpflichtet ist und für andere Leistungen wie Betreuung keine Unterstützungspflicht besteht (vgl. Art. 329 Abs. 1 ZGB; vgl. EVGE P 53/01 vom 13. März 2002, Erw. 3a/cc).

    3. Eine EL-beziehende Person ist verpflichtet, sämtliche möglichen Einnahmenpositionen voll auszuschöpfen. Solange die Beschwerdeführerin eine 1- Zimmer-Wohnung bewohnte, kann ihr kein Einkommensverzicht vorgeworfen werden. Eine eigentliche Untervermietung, mit der sie Einkommen hätte erzielen können, wäre ihr nicht möglich gewesen, stand ihr selbst doch nur ein Zimmer zur Verfügung. Das Risiko, dass sie zugunsten ihres Enkels höhere EL beziehen würde und dieser damit "querfinanziert" würde, war nicht gegeben. Entsprechend hat eine Aufteilung des Mietzinses für den im vorliegenden Verfahren massgebenden Zeitraum bis zum Erlass des Einspracheentscheids vom 7. Juli 2009 zu unterbleiben. Entsprechend war auch

      die am 3. April 2009 verfügte und im angefochtenen Einspracheentscheid bestätigte

      Rückforderung nicht gerechtfertigt.

    4. Würde man einen Verzichtstatbestand bejahen, wäre auf der Ausgabenseite zwar weiterhin der ganze Mietzins anzuerkennen, auf der Einnahmenseite wäre jedoch ein Einkommensverzicht in der Höhe des halben Mietzinses anzurechnen. Dies käme im Ergebnis der hälftigen Anrechnung des Mietzinses bei den anerkannten Ausgaben gleich.

3.

Für die Zeit ab Umzug der Beschwerdeführerin in eine 3½-Zimmer-Wohnung per September 2009 – die nicht mehr zum Anfechtungsgegenstand zählt (vgl. BGE 130 V 445 Erw. 1.2) – wird die Beschwerdegegnerin eine neue Prüfung vorzunehmen haben. Der Umzug erfolgte offenbar, um Platz für die "Untervermietung" (Aufnahme des Enkels) zu haben. Unbeachtlich ist, dass dieser Umzug im Hinblick auf den Erhalt der vom Ausländeramt verlangten Pflegeplatzbewilligung erfolgt ist. In der grösseren Wohnung hätte die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, ein Zimmer gegen Entgelt (z.B. an einen Studenten) unterzuvermieten. Lässt sie den Enkel unentgeltlich bei sich wohnen, ist darin grundsätzlich ein Einkommensverzicht zu erblicken. Der Enkel hätte Unterhaltsansprüche gegenüber seinen Eltern sowie allfällige Ansprüche gegenüber dem Sozialamt durchzusetzen und könnte mit dem dadurch erhaltenen Geld einen angemessenen Beitrag an die Miete bezahlen. In Frage käme allenfalls, dass die Aufteilung der Miete nicht nach Köpfen, sondern nach Zimmern vorgenommen würde. Ein gänzliches Unterbleiben der Aufteilung erscheint jedoch wohl nicht als gerechtfertigt.

4.

    1. Gemäss den obenstehenden Erwägungen ist die Beschwerde unter Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheids vom 7. Juli 2009 gutzuheissen. Der Beschwerdeführerin ist auch nach Januar 2009 für die Mietdauer der 1-Zimmer- Wohnung der ganze Mietzins als Ausgabe anzuerkennen. Für die Rückforderung von Fr. 700.- für zu viel bezahlte EL bleibt kein Raum.

    2. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).

    3. Bei diesem Verfahrensausgang hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Parteientschädigung, die vom Gericht ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen wird (Art. 61 lit. g ATSG; vgl. auch Art. 98 ff. VRP/SG, sGS 951.1). Angemessen erscheint eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer). Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird bei diesem Verfahrensausgang gegen-standslos.

Demgemäss hat das Versicherungsgericht

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG entschieden:

  1. Die Beschwerde wird unter Aufhebung des Einspracheentscheids vom 7. Juli

    2009 im Sinn der Erwägungen gutgeheissen.

  2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

  3. Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.- (inkl. Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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