Zusammenfassung des Urteils B 2019/254, B 2019/255: Verwaltungsgericht
Das Verwaltungsgericht hat über einen Fall betreffend Kantons- und Gemeindesteuern sowie direkte Bundessteuer für das Jahr 2017 entschieden. Es ging um die Frage, ob die Tochter eines Ehepaars, die sich noch in Ausbildung befand, auf ihr Vermögen zurückgreifen muss. Das Gericht entschied, dass die Tochter aufgrund ihres Vermögens zur Finanzierung ihres Unterhalts herangezogen werden kann. Daher wurden sowohl der Kinderabzug als auch die Ausbildungskosten für die Tochter abgelehnt. Die Beschwerde des kantonalen Steueramts wurde gutgeheissen, die Kosten des Verfahrens wurden den Beschwerdegegnern auferlegt.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | B 2019/254, B 2019/255 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 28.05.2020 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Steuerrecht; Art. 48 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 und 3 StG, Art. 35 Abs. lit. a DBG. Bei der Beurteilung, ob das volljährige, in Ausbildung stehende Kind auf die Unterstützung der Eltern angewiesen ist oder nicht, sind dessen Vermögensverhältnisse zu berücksichtigen, wobei ein Bezug aus dem Vermögen zumutbar sein muss (E. 3). Vorliegend ist der Tochter der Beschwerdegegner in der Steuerperiode 2017 zuzumuten, zur Finanzierung ihres Unterhalts auf das in der Steuerperiode 2017 deklarierte Vermögen von CHF 297'421 bzw. steuerbare Vermögen von CHF 222'000 zurückzugreifen. Dementsprechend verweigerte der Beschwerdeführer den Beschwerdegegnern zu Recht sowohl den Kinderabzug als auch den Abzug der Ausbildungskosten (E. 4). (Verwaltungsgericht, B 2019/254, B 2019/255). |
Schlagwörter: | Vermögen; Vermögens; Entscheid; Einkommen; Ausbildung; Kinder; Kinderabzug; Recht; Beschwerdegegner; Eltern; Kanton; Unterhalt; Bundessteuer; Tochter; Verfahren; Kantons; Vorinstanz; Kindes; Unterstützung; Gallen; Verwaltungsgericht; Gemeinde; Ausbildungskosten; Abzug; Einkommens; Vermögensverzehr; Gemeindesteuer; Bundesgesetz |
Rechtsnorm: | Art. 140 DBG ;Art. 144 DBG ;Art. 25 DBG ;Art. 35 DBG ;Art. 68 DBG ; |
Referenz BGE: | 121 II 473; 135 II 206; |
Kommentar: | - |
Besetzung
Abteilungspräsident Zürn; Verwaltungsrichterin Bietenharder, Verwaltungsrichter Engeler; Gerichtsschreiberin Blanc Gähwiler
Verfahrensbeteiligte
Kantonales Steueramt, Davidstrasse 41, 9001 St. Gallen,
Beschwerdeführer,
gegen
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Unterstrasse 28, 9001 St. Gallen,
Vorinstanz,
und
YZ. und XZ. , Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Adrian Rufener, AMPARO Anwälte und Notare,
Neugasse 26, Postfach 148, 9001 St. Gallen,
sowie
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Direkte Bundessteuer,
Eigerstrasse 65, 3003 Bern, Beschwerdebeteiligte, Gegenstand
Kantons- und Gemeindesteuer (Einkommen und Vermögen 2017) sowie direkte Bundessteuer (Einkommen 2017)
Das Verwaltungsgericht stellt fest: A.
Die Eheleute YZ. und XZ. wohnen in einem Einfamilienhaus in A. , Politische Gemeinde B. . Der Ehemann ist als Arzt selbständig erwerbstätig, die Ehefrau arbeitet in der Arztpraxis des Ehemannes und ist zudem Hausfrau. Das Ehepaar hat zwei gemeinsame, mittlerweile volljährige Töchter. Die ältere Tochter (geb. 1991) studierte bis 31. August 2017 an der Universität C. . Die jüngere Tochter, W. (geb. 1996) befand sich Ende 2017 noch in der Ausbildung an der Universität D. (act. 5/7/1.01a). Gemäss Steuerveranlagung für die Steuerperiode 2017 beliefen sich die Einkünfte von W. auf CHF 117 und ihr Reinvermögen auf CHF 297'421 (act. 5/2/10).
B.
In der Steuererklärung 2017 deklarierten YZ. und XZ. einen Kinderabzug von CHF 10'200 sowie Ausbildungskosten für beide Töchter von insgesamt CHF 17'344 (act. 5/7/1.01a+1.03). Die Veranlagungsbehörde akzeptierte sowohl den Kinderabzug von CHF 10'200 als auch die Ausbildungskosten für beide Kinder von insgesamt
CHF 17'344 nicht und veranlagte das Ehepaar YZ. und XZ. mit Verfügungen vom
19. Februar 2019 für die Kantons- und Gemeindesteuern 2017 mit einem im Kanton St. Gallen steuerbaren Einkommen von CHF 84'200 zum Satz von CHF 234'700 und einem im Kanton St. Gallen steuerbaren Vermögen von CHF 9'722'000 zum Satz von CHF 10'336'000 sowie für die direkte Bundessteuer 2017 mit einem steuerbaren
Einkommen von CHF 220'500 (act. 5/7/2.01, 2.02). Mit Entscheiden vom 29. März 2019 wies das kantonale Steueramt die von YZ. und XZ. gegen die beiden Veranlagungsverfügungen erhobenen Einsprachen ab (act. 5/7/4.01, 4.02). Dagegen erhob das Ehepaar YZ. und XZ. Rekurs und Beschwerde bei der Verwaltungsrekurskommission, welche mit Entscheid vom 28. Oktober 2019 die Rechtsmittel guthiess und die Angelegenheit zu neuer Veranlagung und Ausscheidung im Sinne der Erwägungen an das kantonale Steueramt zurückwies (act. 2).
C.
Das kantonale Steueramt (Beschwerdeführer) erhob gegen den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission (Vorinstanz) mit Eingabe vom 28. November 2019 Beschwerde beim Verwaltungsgericht mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid vom 28. Oktober 2019 sei aufzuheben, und die Einspracheentscheide vom
29. März 2019 seien zu bestätigen (act. 1). Mit Vernehmlassung vom 2. Dezember 2019 verwies die Vorinstanz auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid und beantragte die Abweisung der Beschwerde (act. 4). Mit Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 23. Dezember 2019 nahmen YZ. und XZ. (Beschwerdegegner) Stellung zum Verfahren und beantragten die Abweisung der Beschwerde, unter Kosten- und Entschädigungsfolge zuzüglich Mehrwertsteuer (act. 7.1). Die Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerdebeteiligte) liess sich mit Eingabe vom 23. Dezember 2019 ebenfalls vernehmen und beantragten die Gutheissung der Beschwerde zulasten der Beschwerdegegner (act. 8). Dazu nahmen die Beschwerdegegner mit Eingabe vom
7. Januar 2020 Stellung (act. 10), worauf die Beschwerdebeteiligte sich am 31. Januar
2020 äusserte (act. 13).
Auf die weiteren Ausführungen der Verfahrensbeteiligten und die Akten wird, soweit wesentlich, in den Erwägungen eingegangen.
Darüber zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
1.
Die streitigen Einkommenssteuerveranlagungen fallen unter die harmonisierte Steuergesetzgebung. Die Vorinstanz erledigte deshalb den Rekurs betreffend Kantons- und Gemeindesteuern einerseits und die Beschwerde betreffend direkte Bundessteuer andererseits zu Recht im gleichen Entscheid, aber mit getrennten Dispositivziffern; unter diesen Umständen durften auch die Beschwerdeführer die Beschwerden in einer gemeinsamen Rechtsschrift erheben (BGE 135 II 206 E. 1.3.4). Ebenso ist es zulässig, dass das Verwaltungsgericht über die Beschwerden im gleichen Urteil entscheidet (vgl. BGer 2C_440 und 441/2014 vom 10. Oktober 2014 E. 1.2).
2.
Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 59 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, VRP; Art. 196 Abs. 1 des Steuergesetzes, sGS 811.1, StG; Art. 1 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, sGS 815.1; Art. 145 des Gesetzes über die direkte Bundessteuer, SR 642.11, DBG). Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde legitimiert, und die Eingabe vom 28. November 2019 entspricht zeitlich, formal und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (Art. 196 Abs. 1 StG in Verbindung mit
Art. 64 und Art. 48 Abs. 1 VRP; Art. 145 in Verbindung mit Art. 140 Abs. 1 und 2 DBG).
Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.
3.
Strittig ist einzig, ob die jüngere, in Ausbildung stehende Tochter der Beschwerdegegner gehalten ist, auf die Substanz ihres Vermögens zurückzugreifen, aber, ob ihre Eltern in der Steuerperiode 2017 sowohl bei der direkten Bundessteuer als auch bei den kantonalen Steuern den Kinderabzug bzw. die Kosten für die Ausbildungskosten geltend machen können. Fest steht dabei, dass die Tochter im Wertschriften- und Guthabenverzeichnis der Steuererklärung 2017 Vermögenswerte von insgesamt CHF 297'421 deklarierte, wobei es sich dabei um liquide Kontoguthaben handelt. Nach dem Abzug für alleinstehende Steuerpflichtige von
CHF 75'000 belief sich ihr steuerbares Vermögen gemäss Veranlagungsberechnung für die Steuerperiode 2017 demnach auf CHF 222'000. Die Erträge auf den Guthaben betrugen insgesamt CHF 117; weitere Einkünfte sind nicht vorhanden, weshalb sich das steuerbare Einkommen im Jahr 2017 auf CHF 0 belief (vgl. act. 5/2/10).
3.1.
Die rechtlichen Ausführungen der Vorinstanz zum Kinderabzug gemäss Art. 48 Abs. 1
lit. a Ziff. 2 StG bzw. Art. 35 Abs. lit. a DBG und zum Abzug der Ausbildungskosten gemäss Art. 48 Abs. 1 lit. a Ziff. 3 StG (E. 4c/aa-cc des angefochtenen Entscheids) sind korrekt, weshalb – anstelle von Wiederholungen – darauf verwiesen werden kann. Voraussetzung für den Kinderabzug ist demnach, dass das mündige, sich in Ausbildung befindende Kind auf die Unterstützungsleistungen der Eltern angewiesen ist, das heisst unterstützungsbedürftig ist. Dies ist nicht der Fall, wenn das volljährige Kind trotz seiner Ausbildung in der Lage ist, seinen Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb anderen Mitteln selber zu bestreiten. Dabei sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Kindes zu berücksichtigen, soweit deren Verwertung zur Finanzierung des Lebensunterhalts zumutbar erscheint (vgl. BGer 2C_357/2010 vom 14. Juni 2011 E. 2.1; VerwGE B 2007/142 vom 12. Februar 2008 E. 2.4.3, in: SGE 2008
Nr. 1). Vorausgesetzt wird, dass die Eltern mindestens Beiträge in der Höhe des Sozialabzuges erbringen und das mündige Kind auf den Unterhaltsbeitrag angewiesen ist. Letzteres ist nicht der Fall, wenn das mündige Kind trotz seiner Ausbildung in der Lage ist, seinen Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb anderen Mitteln selbst zu bestreiten (vgl. BGer 2C_516/2013, 2C_517/2013 vom 4. Februar 2014 E. 2.1).
3.2.
Die Auffassung der Vorinstanz, wonach das volljährige Kind nicht gehalten werden könne, auf die Substanz seines Vermögens zu greifen, sofern die Eltern über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen (so Richner/Frei/Kaufamnn/Meuter, Handkommentar zum DBG, 3. Aufl. 2016, N 41 zu Art. 35 DBG mit Verweis auf die zürcherische Rechtsprechung), lässt sich nicht mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vereinbaren. Vielmehr ist der Kinderabzug in Übereinstimmung der Ausführungen der Beschwerdebeteiligten in ihrer Stellungnahme vom 23. Dezember 2019 nicht an die zivilrechtliche Unterstützungspflicht der Eltern anzuknüpfen, sondern er stellt einen Sozialabzug dar, der auf das subjektive Nettoprinzip zurückzuführen ist. Nach diesem aus dem Grundsatz der Gesamtreineinkommensbesteuerung abgeleiteten Prinzip sind die Kosten des notwendigsten Existenzbedarfs aus der Steuerbemessungsgrundlage auszuscheiden. Was jemand notwendigerweise für sich, seine Familienangehörigen für unterstützungsbedürftige Personen verwendet, steht zur Steuerzahlung nicht zur Verfügung und darf deshalb auch nicht als Massstab steuerlicher Leistungsfähigkeit herangezogen werden (vgl. dazu Reich/Hunziker, in: Zweifel/Beusch [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG], 3. Aufl. 2017, N 18 zu Art. 25 DBG). Wenn das mündige Kind demnach, obwohl es sich in Ausbildung befindet, fähig ist, die Kosten für seinen Unterhalt selber zu tragen, dienen allfällige Beiträge der Eltern nicht mehr dem notwendigen Unterhalt und es besteht keine elterliche Unterstützungspflicht mehr.
Wenn in solchen Situationen trotzdem Beiträge der Eltern bezahlt werden, so besteht kein Grund, diese freiwilligen Zuwendungen zum Kinderabzug zuzulassen (so auch Urteil des Steuergerichts Solothurn SGSTA.2013.48; BST.2013.49 vom 12. Januar 2015 E. 4, in: KSGE 2015 Nr. 7). Im Übrigen geht selbst die zürcherische Rechtsprechung, auf welche sich die Kommentierung von Richner/Frei/Kaufmann/ Meuter stützt, davon aus, dass eine zurückhaltende Beurteilung angebracht sei, soweit es sich um Leistungen handle, die vom Steuerpflichtigen lediglich aufgrund einer moralischen sittlichen Pflicht aus seiner persönlichen Lebenseinstellung erbracht würden, das heisst ohne dass er zu entsprechenden Unterhaltsleistungen zivilrechtlich verpflichtet sei (vgl. Entscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Zürich ST.2010.184, DB.2010.135 vom 7. September 2010 E. 2a).
3.3.
Soweit ersichtlich befasste sich das Bundesgericht lediglich in BGer 2C_357/2010 vom
14. Juni 2011 mit der Frage, ob aufgrund vorhandenen Vermögens des Kindes den Eltern bzw. dem Elternteil der Kinderabzug zu gewähren sei nicht. Dabei ging es um einen in der strittigen Veranlagungsperiode 21-jährigen Sohn in Erstausbildung, welchem eine Versicherungssumme von insgesamt CHF 700'000 ausbezahlt worden war. Das Bundesgericht kam zusammenfassend zum Schluss, die Verwertung des Vermögens zur Finanzierung des Lebensunterhalts sei bei dieser Sachlage zumutbar (E. 3.2). Es äusserte sich dabei weder zu den Einkommensverhältnissen des Sohnes noch zur Höhe der Vermögenserträge.
Die von den Verfahrensbeteiligten zitierten Bundesgerichtsentscheide 2C_516/2013, 2C_517/2013 vom 4. Februar 2014 sowie 2C_995/2017 vom 6. Juni 2018 sind vorliegend bereits deshalb nicht einschlägig, weil die Kinder jeweils über Einkommen von mehr als CHF 25'000 verfügten. Auch aus dem angeführten BGer 2A.323/2003 lässt sich für die Beantwortung der vorliegenden Frage nichts Entscheidendes herleiten, ging es dabei lediglich darum, dass der Kinderabzug selbst dann zulässig sei, wenn das Kind zwar über Erwerbseinkünfte verfüge, diese aber nicht ausreichend seien. Soweit die Beschwerdegegner mit den Ausführungen, wonach gemäss verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung die Einkommenssituation des Kindes zu berücksichtigten sei, geltend machen wollen, das Kind müsse in jedem Fall über Einkommen verfügen, um einen Kinderabzug zu verneinen, kann diese Auffassung den Entscheiden des Verwaltungsgerichts nicht entnommen werden. Der Entscheid B 2016/41 vom 28. September 2017 äussert sich in keiner Weise über die
Vermögenslage des Kindes; geprüft wurde einzig, ob aufgrund der aktenkundigen Einkommensverhältnisse der Kinderabzug zu gewähren war nicht. Im Entscheid
B 2015/324, 325 vom 26. Oktober 2017 verfügte die Tochter über genügend eigenes Einkommen, weshalb die Vermögenslage ebenfalls nicht geprüft wurde. Auch aus dem Entscheid B 2007/142 vom 12. Februar 2008 (in: SGE 2008 Nr. 1) lässt sich nichts zugunsten zulasten der vorliegend zu beantwortenden Fragestellung herleiten, ging es dort doch lediglich um ein Vermögen von CHF 30'000, welches aufgrund seiner geringe Höhe offensichtlich als rasch aufgezehrt betrachtet wurde, würde es für den Lebensunterhalt verwendet.
3.4.
Das Kreisschreiben Nr. 30 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 21. Dezember 2010 (Ehepaar- und Familienbesteuerung nach dem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, nachfolgend KS Nr. 30) sieht vor, dass der Kinderabzug dann nicht beansprucht werden könne, wenn das Kind ein Einkommen erziele, das ihm den selbstständigen Unterhalt ermögliche. Als Beispiel wird im Kreisschreiben sodann auch angeführt, dass der Kinderabzug dann nicht gewährt werde, wenn das Kind über ein umfangreiches Vermögen verfüge, dessen Erträge einen selbstständigen Unterhalt des Kindes erlauben (KS Nr. 30 Ziff. 10.3). Damit hat sich das Kreisschreiben nicht abschliessend ("beispielsweise") dazu geäussert, ob der Rückgriff auf das Vermögenssubstrat zulässig sein soll nicht. Im Übrigen richtet sich das KS Nr. 30 in erster Linie an das (kantonale) Steueramt. Es stellt demgegenüber für die Steuerjustizbehörden eine nicht verbindliche Anweisung zur Auslegung der Steuergesetze dar. Kreisschreiben, wie das angeführte, sind vom Gericht aber immerhin bei seiner Entscheidung mitzuberücksichtigen, sofern sie im konkreten Einzelfall eine sachgerechte Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmung erlauben (BGE 121 II 473 E. 2b). Soweit die Beschwerdegegner Ausführungen zum Bundesgesetz über die steuerliche Behandlung der berufsorientierten Aus- und Weiterbildungskosten machen, können sie daraus nichts zugunsten ihrer Begehren ableiten. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern ein Zusammenhang mit der Frage des Kinderabzugs bzw. des Abzugs für Ausbildungskosten besteht. Bei der mit diesem Gesetz geänderten Steuergesetzgebung geht es um die Abzugsfähigkeit von berufsorientierten Aus- und Weiterbildungskosten (allgemeiner Abzug nach Art. 45
Abs. 1 lit. j StG bzw. Art. 33 Abs. 1 lit. j DBG), unabhängig von der Einkommens- und Vermögenslage des Steuerpflichtigen. Beim Kinderabzug (Sozialabzug nach Art. 48 StG bzw. Art. 35 DBG) geht es demgegenüber darum, ob die Eltern eines volljährigen, sich in Erstausbildung befindlichen Kindes (zur Hauptsache) für den Unterhalt
aufkommen, bzw. ob das Kind auf die (finanzielle) Unterstützung der Eltern angewiesen ist. Sowohl die allgemeinen Abzüge als auch die Sozialabzüge dienen der Realisierung des subjektiven Nettoprinzips, das heisst, sie sollen die Brücke zwischen dem
Gesamtreineinkommen und dem um bestimmte, dem notwendigen Existenzbedarf zuzuschreibende Aufwendungen bereinigten Einkommen schlagen. Die von den Sozialabzügen anvisierte Besteuerung nach der subjektiven, wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit fokussiert auf die Berücksichtigung der sittlich rechtlich bedingten Pflichten des Steuerpflichtigen gegenüber nahestehenden Personen (vgl. Baumgartner/Eichenberger, in: Zweifel/Beusch [Hrsg.], a.a.O., N 1, 1a zu Art. 35 DBG).
3.5.
Im Lichte der oben angeführten bundesgerichtlichen Rechtsprechung betrachtet muss es zusammenfassend möglich sein, bei der Beurteilung, ob das volljährige, in Ausbildung stehende Kind auf die Unterstützung der Eltern angewiesen ist nicht, auch dessen Vermögensverhältnisse zu berücksichtigen, wobei ein Bezug aus dem Vermögen zumutbar sein muss.
4.
Zu klären ist folglich, ob die Tochter der Beschwerdegegner angesichts der Höhe ihres Vermögens auf die (finanzielle) Unterstützung der Eltern angewiesen ist bzw. ob ihr ein Vermögensverzehr zur Bestreitung des Lebensunterhalts 2017 zumutbar war.
4.1.
Bei der Abklärung eines zumutbaren Vermögensverzehrs ist das steuerbare Vermögen massgebend. Dieses Vorgehen berücksichtigt die Prämisse, dass es nicht zumutbar sein darf, die eigenen Mittel zuerst gänzlich aufzubrauchen, bevor die gesetzlich vorgesehene familienrechtliche Unterstützung steuerlich anerkannt wird. Soweit ersichtlich sind im sozialen Rechtsstaat Pflichten zum Vermögensverzehr in der Regel mit Freibeträgen verbunden. So wird bei der Bemessung von Ergänzungsleistungen (zur AHV und IV) für Alleinstehende ein Freibetrag von CHF 37'500 zugestanden (vgl. Art. 11 Abs. 1 lit. c des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, SR 831.30, ELG). Insoweit verlangt der Staat bei den Ergänzungsleistungen keinen vollständigen Vermögensverzehr und erbringt trotzdem Geldleistungen zur Sicherung der individuellen Lebenshaltungskosten.
Letztlich liegt es ja auch im Interesse des Staates, wenn in der Ausbildung stehende volljährige Kinder selber über einen angemessenen, durch die Lebenshaltung nicht zu verzehrenden Vermögensbetrag verfügen, mit dem sie allfällige Unwägbarkeiten bei ihrer beruflichen Ausbildung und beim bevorstehenden Berufseinstieg selber decken können (vgl. Entscheid des Steuergerichts Solothurn SGSTA.2013.48, BST.2013.49 vom 12. Januar 2015 E. 4.4.2). Davon geht im Übrigen auch der Beschwerdeführer aus,
indem nach seiner Ansicht die Verwertung des Vermögens zur Finanzierung des Lebensunterhalts – in Anlehnung an den Sozialabzug nach Art. 64 Abs. 1 lit. a StG – bei einem Vermögen über CHF 75'000 grundsätzlich als möglich erscheine (vgl. act. 1
Ziff. 10a). Damit ist vorliegend das steuerbare Vermögen der Tochter von CHF 222'000 (vgl. act. 5/2/10) massgebend. Für die Verwertbarkeit des Vermögens dürfte dabei wohl genügen, wenn das Vermögen leicht verwertbar und verschiebbar ist. Letztendlich braucht diese Frage im vorliegenden Verfahren jedoch nicht beantwortet werden, da das Vermögen der Tochter aus liquidem Barvermögen besteht.
4.2.
Bei der Gegenüberstellung des Vermögens mit den Ausbildungskosten ist weiter auf die gesamten Kosten abzustellen, das heisst einschliesslich der Kosten der schulischen und beruflichen Ausbildung. Dabei kann und darf auch auf Durchschnittswerte abgestellt werden (vgl. BGer 2C_516/2013, 2C_517/2013 vom
4. Februar 2014 E. 2.3). Gemäss dem vom Bundesamt für Statistik erstellten Dokument "Studien- und Lebensbedingungen an den Schweizer Hochschulen" aus dem Jahr 2017 betragen die monatlichen Ausgaben der Studierenden ausserhalb des Elternhauses zwischen CHF 1'595 und CHF 2'673 (Meridian: CHF 2'025; vgl. Ziff. 5.1 des Berichts, abrufbar unter www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge- datenbanken/publikationen.html). Die jährlichen Ausgaben betragen demnach zwischen rund CHF 19'000 und CHF 32'000. Soweit der Beschwerdeführer den notwendigen Unterhalt der Tochter der Beschwerdegegner zwischen CHF 20'000 und CHF 25'000 festgelegt hat, lässt sich dies nicht beanstanden.
4.3.
Für die Feststellung der Unterstützungsbedürftigkeit behelfen sich mehrere Kantone in der Praxis bestimmter Einkommens- und Vermögensobergrenzen (so etwa Zürich, Bern Basel-Stadt; vgl. Richner/Frei/Kaufmann/Meuter, a.a.O., N 68 zu Art. 68 DBG). Gemäss St. Galler Steuerbuch wird ein allfälliger Beitrag des Kindes von Fall zu Fall nach den konkreten Umständen ermittelt und zu den gesamten, notwendigen Lebenshaltungskosten ins Verhältnis gesetzt. Bis zu Erwerbseinkünften von
CHF 15'000 pro Jahr dürfe davon ausgegangen werden, dass das Kind daraus nicht zur Hauptsache selbst einen Unterhalt bestreiten könne. Einem Kind, das eigene Einkünfte erziele, stehe zudem in jedem Fall ein Betrag von CHF 6'000 pro Jahr zur freien Verfügung. Inwieweit andere Mittel des Kindes wie Renteneinkommen, Vermögenserträge und Vermögensverzehr zur Entlastung der Eltern angerechnet werden müssten, könne nur im Einzelfall beurteilt werden (vgl. StB 48 Nr. 1 Ziff. 2.2.2).
4.4.
Wie dargelegt vermag die Tochter der Beschwerdegegner mit ihrem Einkommen ihren Bedarf nicht zu decken; es resultiert vielmehr eine Unterdeckung in der Höhe des Bedarfs. Der Beschwerdeführer erachtet jedoch einen Vermögensverzehr von
10 Prozent pro Jahr (analog der Regelung im Kanton Schwyz) als zumutbar. Gründe, die gegen die Verwertung der Bankguthaben in diesem Umfang sprechen, ergeben sich weder aus den Akten noch wurden solche von den Verfahrensbeteiligten vorgebracht. Vermöchten die Möglichkeiten für den späteren sinnvollen Einsatz von Vermögenswerten die Unzumutbarkeit des Vermögensverzehrs zu begründen, wäre die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse praktisch ausnahmslos ausgeschlossen. Weiter erscheint auch die von der Beschwerdebeteiligten angestellte Berechnung in ihrer Stellungnahme vom 23. Dezember 2019 nachvollziehbar: Ausgehend von einem Unterhaltsbedarf von CHF 27'617 und einer Studiendauer von 5 Jahren fielen Kosten von insgesamt CHF 138'085 an. Nach Beendigung des Studiums verbliebe der Tochter diesfalls rechnerisch nach wie vor CHF 160'000 am Vermögen bzw. CHF 85'000 steuerbares Vermögen (vgl. act. 8 Ziff. 3). Schliesslich sieht die Stipendienverordnung (sGS 211.51, StipV) vor, dass zum einen wenigstens ein jährliches Einkommen von
CHF 6'000 angerechnet wird (vgl. Art. 23 Abs. 1 StipV). Zum andern wird der nach Abzug eines Freibetrags verbleibende Rest des Vermögens als Eigenleistung angerechnet (vgl. Art. 24 Abs. 1 StipV), wobei der Freibetrag für eine nicht verheiratete Person CHF 15'000 beträgt (Art. 24 Abs. 2 lit. a StipV). Das anrechenbare Vermögen wird dabei auf die verbleibende ordentliche Ausbildungsdauer anteilsmässig verteilt. Erhöht sich das Reinvermögen während der Ausbildung, wird das anrechenbare Vermögen neu berechnet und anteilmässig auf die verbleibenden Ausbildungsjahre verteilt (Art. 24 Abs. 2 StipV). Unter den dargelegten Umständen ist der Tochter der Beschwerdegegner in der Steuerperiode 2017 durchaus zuzumuten, zur Finanzierung ihres Unterhalts auf das vorhandene Vermögen zurückzugreifen. Dementsprechend verweigerte der Beschwerdeführer den Beschwerdegegnern zu Recht sowohl den Kinderabzug als auch den Abzug der Ausbildungskosten.
5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid der Vorinstanz vom 28. Oktober 2019 aufzuheben ist. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten der Beschwerdeverfahren den Beschwerdegegnern aufzuerlegen (Art. 95 Abs. 1 VRP; Art. 145 in Verbindung mit Art. 144 Abs. 1 DBG). Entscheidgebühren von CHF 1'800 für das Verfahren betreffend Kantons- und Gemeindesteuern und von CHF 1'200 für das Verfahren betreffend direkte Bundessteuer, insgesamt also CHF 3'000, sind angemessen (Art. 145 in Verbindung mit Art. 144 Abs. 5 DBG; Art.7 Ziff. 222 Gerichtskostenverordnung, sGS
941.12). Ausseramtliche Kosten sind nicht zu entschädigen (Art. 98 Abs. 1 und 98 bis VRP; Art. 144 Abs. 4 DBG in Verbindung mit Art. 64 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren, SR 172.021).
Bei Gutheissung eines Rechtsmittels ist zugleich von Amtes wegen über die amtlichen Kosten des vorinstanzlichen Verfahrens zu entscheiden. In der Regel erfolgt die entsprechende Kostenverlegung in Bezug auf die Beteiligten und deren Anteile analog dem Rechtsmittelentscheid (R. Hirt, Die Regelung der Kosten nach st. gallischem Verwaltungsrechtspflegegesetz, Diss. St. Gallen 2004, S. 103). Die amtlichen Kosten für das Rekurs- und das Beschwerdeverfahren vor der Vorinstanz von insgesamt
CHF 1'200 (je CHF 600) sind somit ebenfalls vollumfänglich den Beschwerdegegnern
aufzuerlegen.
Demnach erkennt das Verwaltungsgericht zu Recht: 1.
Die Beschwerdeverfahren B 2019/254 und B 2019/255 werden vereinigt.
2.
Die Beschwerde B 2019/254 betreffend Kantons- und Gemeindesteuern 2017 wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid vom 28. Oktober 2019 aufgehoben, unter Bestätigung des Einspracheentscheids betreffend Kantons- und Gemeindesteuern 2017 vom 29. März 2019.
3.
Die Beschwerde B 2019/255 betreffend direkte Bundessteuer 2017 wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid vom 28. Oktober 2019 aufgehoben, unter Bestätigung des Einspracheentscheids betreffend direkte Bundessteuer 2017 vom 29. März 2019.
4.
Die Beschwerdegegner bezahlen die amtlichen Kosten der Beschwerdeverfahren B 2019/254 und B 2019/255 von insgesamt CHF 3'000 sowie die Kosten des vorinstanzlichen Rekurs- und Beschwerdeverfahrens von insgesamt CHF 1'200.
5.
Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.
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