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Urteil Verwaltungsgericht (SG - B 2019/162, B 2019/163)

Zusammenfassung des Urteils B 2019/162, B 2019/163: Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht hat in einem Steuerstreit entschieden, dass der Beschwerdeführer, Y., die Einsprachefrist nicht wiederhergestellt bekommt, da er die Veranlagungsverfügungen nicht abgeholt hat. Die Verwaltungsrekurskommission hatte zuvor die Nichtigkeit der Veranlagungen festgestellt, was vom Verwaltungsgericht teilweise aufgehoben wurde. Es ging um die Steuererklärung von Y. aus dem Jahr 2012, bei der es Unstimmigkeiten gab. Letztendlich wurde entschieden, dass die Beschwerde des kantonalen Steueramts gutgeheissen wird und Y. die Kosten tragen muss. Es handelte sich um einen männlichen Beschwerdegegner.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts B 2019/162, B 2019/163

Kanton:SG
Fallnummer:B 2019/162, B 2019/163
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2019/162, B 2019/163 vom 19.12.2019 (SG)
Datum:19.12.2019
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Steuerrecht, Fristwiederherstellung. Bei den im Rückweisungsentscheid vom 23. Mai 2018 gemachten Ausführungen zur Zustellfiktion handelte es sich um ein sogenanntes "obiter dictum", welchem rechtsprechungsgemäss keine Bindungswirkung zukommt. Insbesondere wirkten sich diese nicht auf das Ergebnis des Rückweisungsentscheids über die Frage der Nichtigkeit der Veranlagungsverfügungen aus. Der Beschwerdegegner legte nicht dar, weshalb er nicht in der Lage gewesen sein soll, den Beschwerdeführer über seine anstehende Landesabwesenheit zu informieren oder einen Rechtsvertreter mit schriftlicher Vollmacht zu mandatieren. Es liegen daher keine genügenden Gründe vor, aufgrund derer die Einsprachefrist wiederherzustellen gewesen wäre (Verwaltungsgericht, B 2019/162, B 2019/163).
Schlagwörter: Entscheid; Frist; Verwaltungs; Beschwerdegegner; Recht; Veranlagung; Zustellung; Veranlagungsverfügungen; Verfahren; Verwaltungsgericht; Fristwiederherstellung; Frist; Einsprache; Zustellfiktion; Postfach; Rechtsmittel; Kanton; Vorinstanz; Abholung; Steuererklärung; Wiederherstellung; Sendung; Aufforderung; Verfügung; Hinweis; Steueramt; Gallen; Verwaltungsrekurskommission; Kantons
Rechtsnorm: Art. 133 DBG ;Art. 148 ZPO ;Art. 6 ZGB ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts B 2019/162, B 2019/163

Entscheid vom 19. Dezember 2019

Besetzung

Präsident Zürn; Vizepräsident Eugster, Verwaltungsrichterin Bietenharder, Verwaltungsrichter Engeler und Steiner; Gerichtsschreiberin Blanc Gähwiler

Verfahrensbeteiligte

Kantonales Steueramt, Davidstrasse 41, 9001 St. Gallen,

Beschwerdeführer,

gegen

Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Unterstrasse 28, 9001 St. Gallen,

Vorinstanz,

und

Y. ,

Beschwerdegegner,

vertreten durch lic. oec. HSG Jean-Claude Diener, Revisions- und Treuhandbüro,

Teufenerstrasse 12, Postfach 15, 9001 St. Gallen,

sowie

Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Direkte Bundessteuer,

Eigerstrasse 65, 3003 Bern, Beschwerdebeteiligte, Gegenstand

Nichteintreten/Fristwiederherstellung (Kantons- und Gemeindesteuern 2012 sowie direkte Bundessteuer 2012)

Das Verwaltungsgericht stellt fest:

A. Y. (geb. 1961) ist in X. (Politische Gemeinde Z. ) wohnhaft und als Direktor und Verwaltungsratspräsident der S. SA sowie der H. SA, beide mit Sitz in K. , tätig. Erstere hat eine Zweigniederlassung in X. . In der Steuererklärung 2012 deklarierte

Y. Einkünfte von insgesamt CHF 415'172 bzw. unter Berücksichtigung der Abzüge ein steuerbares Einkommen von CHF 160'864.

  1. Die Veranlagungsbehörde forderte Y. mehrmals auf, die Steuererklärung 2012 insbesondere zur Position "KK H. SA" im Schuldenverzeichnis mit einer Stellungnahme und entsprechender Dokumentation zu ergänzen – zuletzt mit der Androhung, dass ansonsten mit einer Veranlagung nach Ermessen gerechnet werden müsse. Nachdem auf die Aufforderungen nicht reagiert worden war, veranlagte die Steuerbehörde Y. mit Verfügungen vom 30. Mai 2016 ermessensweise für die Kantons- und Gemeindesteuern 2012 mit einem steuerbaren Einkommen von

    CHF 3'479'400, ohne steuerbares Vermögen, und für die direkte Bundessteuer 2012 mit einem steuerbaren Einkommen von CHF 3'478'500. Die Veranlagungsverfügungen wurden am 31. Mai 2016 per Einschreiben versandt, am 1. Juni 2016 im Postfach der Zweigniederlassung der S. SA zur Abholung am Schalter avisiert und am 10. Juni 2016 mit dem Vermerk "nicht abgeholt" an die Veranlagungsbehörde retourniert. In der Folge wurden die Veranlagungsverfügungen Y. am 11. Juli 2016 per A-Post erneut zugestellt, welcher mit Schreiben vom 18. Juli 2016 um Wiederherstellung der Einsprachefrist ersuchte. Mit Entscheid vom 23. November 2016 wies das kantonale

    Steueramt das Fristwiederherstellungsgesuch ab und trat auf die Einsprachen nicht ein. Dagegen erhob Y. Rekurs und Beschwerde bei der Verwaltungsrekurskommission, welche mit Entscheid vom 20. Juni 2017 die Nichtigkeit der Veranlagungen vom

    30. Mai 2016 der Kantons- und Gemeindesteuern 2012 sowie der direkten

    Bundessteuer 2012 feststellte.

  2. Dagegen erhob das kantonale Steueramt mit Eingabe vom 17. Juli 2017 Beschwerde beim Verwaltungsgericht mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid vom 20. Juni 2017 sei aufzuheben, und der Entscheid vom 23. November 2016 sei zu bestätigen. Mit Entscheid vom 23. Mai 2018 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerden teilweise gut, hob den angefochtenen Entscheid der Verwaltungsrekurskommission vom 20. Juni 2017 auf und wies die Angelegenheit zur Prüfung der Rechtsmittel gegen die Abweisung des Fristwiederherstellungsgesuchs vom 23. November 2016 im Sinn der Erwägungen an die Verwaltungsrekurskommission zurück (VerwGE B 2017/152 und 153). In der Folge prüfte die Verwaltungsrekurskommission die Frage, ob die Fristen zur Einreichung der Einsprachen gegen die Veranlagungen vom 30. Mai 2016 wiederherzustellen seien. Mit Entscheid vom 20. Juni 2019 hiess sie die Rechtsmittel gut, hob den Entscheid des kantonalen Steueramts vom 23. November 2016 hinsichtlich der Fristwiederherstellung

    auf, stellte die versäumte Einsprachefristen wieder her und wies die Sache unter Aufhebung der Nichteintretensentscheide vom 23. November 2016 zur Durchführung der Einspracheverfahren an das kantonale Steueramt zurück.

  3. Das kantonale Steueramt (Beschwerdeführer) erhob gegen den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission (Vorinstanz) mit Eingabe vom 17. Juli 2019 Beschwerde beim Verwaltungsgericht mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid vom

20. Juni 2019 sei aufzuheben, und der Einspracheentscheid vom 23. November 2016 sei zu bestätigen. Mit Vernehmlassung vom 22. Juli 2019 schloss die Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde und verwies zur Begründung auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid. Am 12. August 2019 nahm Y. (Beschwerdegegner) Stellung zum Verfahren und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerdebeteiligte) liess sich mit Eingabe vom

14. August 2019 vernehmen und beantragte unter Kostenfolge zulasten des

Beschwerdegegners die Gutheissung der Beschwerde.

Auf die weiteren Ausführungen der Verfahrensbeteiligten und die Akten wird, soweit wesentlich, in den Erwägungen eingegangen.

Darüber zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung: 1. (...)

2. (…)

Die Rechtsprechung erfolgt in 5er-Besetzung, da eine Abweichung von ständiger Rechtsprechung des Verwaltungs- und des Bundesgerichts Thema bildet, weshalb der Präsident sie zur Beurteilung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung angeordnet hat (Art. 18 Abs. 3 lit. b Ziffn. 3 und 4 des Gerichtsgesetzes, sGS 941.1).

  1. Mit Entscheid vom 23. Mai 2018 hat das Verwaltungsgericht unter Aufhebung des damals angefochtenen Entscheids festgestellt, die Vorinstanz sei zu Unrecht von der Nichtigkeit der Veranlagungsverfügungen vom 30. Mai 2016 ausgegangen. Nachdem

    im vorinstanzlichen Entscheid offengelassen worden war, ob hinreichende Gründe für eine Fristwiederherstellung gegeben seien, wurde die Angelegenheit zur Prüfung des Gesuchs um Fristwiederherstellung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

    Im Rückweisungsentscheid erwog das Verwaltungsgericht, dass von einer fingierten Zustellung der Veranlagungsverfügungen vom 30. Mai 2016 auszugehen sei. Es konzentrierte sich bei der Prüfung des angefochtenen Entscheids jedoch auf die Frage, ob die Veranlagungsverfügungen nichtig seien nicht. Bei den zusätzlichen Ausführungen zur Zustellfiktion handelte es sich dagegen um ein sogenanntes "obiter dictum", welchem rechtsprechungsgemäss keine Bindungswirkung zukommt. Insbesondere wirkten sich die damals vom Verwaltungsgericht gemachten Ausführungen zur Zustellfiktion nicht auf das Ergebnis des Rückweisungsentscheids über die Frage der Nichtigkeit der Veranlagungsverfügungen aus (vgl. BGer 5A_660/2013 vom 19. März 2014 E. 3.3.4; vgl. auch T. Kamber, in: Rizvi/Schindler/ Cavelti [Hrsg.], Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Praxiskommentar, Zürich/

    St. Gallen 2020, N 22 zu Art. 56 VRP). Im Übrigen macht die Prüfung eines Gesuchs um Fristwiederherstellung nur dann Sinn, wenn davon auszugehen ist, dass eine Zustellung erfolgt ist. Davon ging das Verwaltungsgericht im Entscheid vom 23. Mai 2018 offensichtlich aus, ansonsten es die Angelegenheit zur Prüfung des Gesuchs nicht an die Vorinstanz zurückgewiesen hätte. Der Vollständigkeit halber sei in der nachfolgenden Erwägung 4 dargelegt, weshalb bereits im damaligen Entscheid die Zustellfiktion zu bejahen war.

  2. Bezüglich der Form der Zustellung verweist Art. 30 Abs. 1 VRP auf die Bestimmungen der Zivilprozessordnung. Nach Art. 138 Abs. 3 lit. a der Schweizerischen Zivilprozessordnung (SR 272, ZPO) gilt eine eingeschriebene Sendung bei Nichtabholung am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellversuch als zugestellt, sofern der Empfänger mit einer Zustellung rechnen musste.

    1. Mit einer Zustellung muss der Empfänger dann rechnen, wenn er als Adressat in einem Verfahrens- Prozessrechtsverhältnis steht. Dieses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten, d.h. unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen das Verfahren betreffende Entscheide zugestellt werden können (VerwGE

      B 2015/158 und 159 vom 20. Dezember 2016 E. 3.4.1 mit weiteren Hinweisen).

      Das Bundesgericht setzte sich in einem Entscheid mit der Frage auseinander, ob bereits die öffentliche Aufforderung zur Einreichung der Steuererklärung ein Prozessrechtsverhältnis begründe, verbunden mit der Folge, dass die Zustellfiktion Geltung beanspruchen könne. Es hielt in allgemeiner Weise fest, vom Betroffenen könne nicht erwartet werden, dass er bei einem hängigen Verfahren über Jahre hinweg in jedem Zeitpunkt erreichbar sein und auch kürzere Ortsabwesenheiten der Behörde melden müsse, um keinen Rechtsnachteil zu erleiden. Bei der Anwendung der Regeln über die Zustellungsfiktion sei daher auch der Verfahrensdauer Rechnung zu tragen. Als Zeitraum, während welcher die Zustellfiktion aufrechterhalten werden dürfe, würden in der Literatur mehrere Monate bis etwa ein Jahr genannt; dauere die Untätigkeit der Behörde länger an, könne nach dieser Meinung die Zustellfiktion nicht mehr greifen. Habe der Steuerpflichtige die Steuererklärung einmal eingereicht, so könne nicht während unbegrenzter Dauer ein fortdauerndes Prozessrechtsverhältnis angenommen werden mit der Folge, dass dem Steuerpflichtigen bei der Eröffnung behördlicher Verfügungen Entscheide für die betreffende Steuerperiode die Zustellfiktion unbegrenzt entgegengehalten werden könnte (vgl. BGer 2C_1040/2012, 2C_1041/2012 vom 21. März 2013 E. 4.1, 4.2, bestätigt in BGer 2C_298/2015, 2C_299/2015 vom

      26. April 2017 E. 3.4 und BGer 2C_1020/2018 vom 3. Dezember 2018 E. 3.2.1). Im Zusammenhang mit einem Strafverfahren bezeichnete das Bundesgericht eine Zeitspanne von rund vier Monaten zwischen Strafanzeige und Zustellung einer Nichtanhandnahmeverfügung an den Anzeigeerstatter als keinesfalls lange Verfahrensdauer; die Frage, ob elf Monate nach der letzten und dem Betroffenen einzigen bekannten verfahrensrechtlichen Handlung mit einer Zustellung gerechnet werden muss, wurde dagegen mit der Begründung verneint, dass keine Termine Fristen angesetzt und auch keinerlei Korrespondenz ausgetauscht worden waren (vgl. BGer 6B_674/2019 vom 19. September 2019 E. 1.4.3).

      Vorliegend betreffen – wie im Übrigen auch im oben zitierten Bundesgerichtsentscheid

      – die streitigen Einschätzungsentscheide und Veranlagungsverfügungen sogenannte Ermessensveranlagungen. Nachdem der Beschwerdegegner die Steuererklärung 2012 am 9. September 2015 eingereicht hatte, wurde er mit Schreiben vom 4. April und

      22. April 2016 aufgefordert, die Steuererklärung zu ergänzen. Dieser Aufforderung kam er nicht nach. Damit hat er seine Verfahrenspflichten nicht erfüllt, worauf es mit Verfügung vom 30. Mai 2016 zu einer Ermessensveranlagung kam. Aus den

      dargelegten Umständen musste der Beschwerdegegner somit zweifelsohne mit einem behördlichen Akt rechnen; umso mehr, da ihm eine Veranlagung nach Ermessen ausdrücklich angedroht worden war.

    2. Die Zustellfiktion kann jedoch auch bei bestehendem Verfahrens- Prozessverhältnis nur greifen, wenn die Partei die verpasste eingeschriebene Sendung durch eine Abholungseinladung im Briefkasten Postfach angezeigt wurde.

      1. Die Beweislast für die Zustellung von Verfügungen und Entscheiden trägt die Behörde. Sie hat auf geeignete Art den Beweis dafür zu erbringen, dass und wann die Zustellung erfolgt ist bzw. dass der erfolglose Zustellungsversuch tatsächlich stattgefunden hat. Entgegen dieser allgemeinen Beweislastverteilung gilt bei eingeschriebenen Sendungen eine widerlegbare Vermutung, dass der die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in den Briefkasten des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert wurde. Ganz allgemein ist eine fehlerhafte Postzustellung nicht zu vermuten, sondern nur anzunehmen, wenn sie aufgrund der Umstände plausibel erscheint. Auf die Darstellung des Adressaten, dass eine fehlerhafte Postzustellung vorliege, ist (nur) abzustellen, wenn seine Darlegung der Umstände nachvollziehbar ist und einer gewissen Wahrscheinlichkeit entspricht, wobei sein guter Glaube zu vermuten ist. Da der Nichtzugang einer Abholungseinladung eine negative Tatsache darstellt, kann dafür naturgemäss kaum je der volle Beweis erbracht werden. Die immer bestehende theoretische Möglichkeit eines Fehlers bei der Poststelle genügt aber nicht, um die Vermutung zu widerlegen, solange nicht konkrete Anzeichen für einen derartigen Fehler vorhanden sind (BGer 2C_102/2016 vom

        5. Februar 2016 E. 3.1.1 mit weiteren Hinweisen; BGer 2C_901/2017 vom 9. August

        2019 E. 2.2.2, in: StE 2019 B 93.6 Nr. 38; BGer 2C_760/2019 vom 19. September 2019

        E. 2.2).

      2. Soweit der Beschwerdegegner geltend macht, die Steuererklärung 2012 habe unter der entsprechenden Rubrik den Hinweis enthalten, wonach Rückfragen an eine Treuhandgesellschaft zu richten seien, genügt dies noch nicht als Nachweis, dass ein wirksames Vertretungsverhältnis bestand und gegenüber den Steuerbehörden gehörig kundgegeben wurde. Fehlt es nämlich an einer klaren schriftlichen Vollmacht, so darf bzw. muss ein Vertretungsverhältnis nur dann angenommen werden, wenn sich aus

        den Umständen eine eindeutige Willensäusserung des Steuerpflichtigen auf Bevollmächtigung eines Dritten ergibt. Andernfalls wiederum gilt die natürliche Vermutung, dass keine Vollmacht erteilt wurde; Verfügungen und Entscheide sind diesfalls dem Steuerpflichtigen selber zu eröffnen (StE 1998 B 92.7 Nr. 4). Auf dem Formular wird ausdrücklich festgehalten, dass eine vertragliche Vertretung nur angenommen werde, wenn eine schriftliche Vollmacht vorliege. Eine solche wurde jedoch nicht eingereicht. Der Beschwerdeführer musste demnach im konkreten Fall nicht auf ein wirksames Vertretungsverhältnis schliessen, weshalb die streitbezogene Zustellung der Veranlagungsverfügungen vom 30. Mai 2016 zu Recht an den Beschwerdegegner persönlich erfolgte. Im Übrigen obliegen unter dem Gesichtswinkel von Treu und Glauben auch dem direkten Adressaten der Verfügungen zumutbare Schritte, im Zweifelsfall mit seinem Vertreter mit der Behörde Verbindung aufzunehmen, um die Sachlage zu klären. So hätte der Beschwerdegegner spätestens nach der zweiten Aufforderung stutzig werden und mit seinem Vertreter der Steuerbehörde das Gespräch suchen müssen, um abzuklären, warum die Aufforderung ihm zugestellt worden sei (vgl. zum Ganzen BGer 2C_883/2010 vom 7. April 2011

        E. 2.3).

      3. Dem Beschwerdegegner gelingt weiter nicht, rechtsgenüglich nachzuweisen, dass die Abholungseinladung nicht in das Postfach in der Poststelle in W. abgelegt worden sein könnte. Auch wenn bei der Verteilung von Abholungseinladungen in die Postfächer gelegentlich Irrtümer vorkommen können, konnte der Beschwerdegegner vorliegend keinerlei besondere Umstände aufzeigen bzw. dokumentieren, die für das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit eines Postangestellten bei der Verteilung der Abholungseinladung im vorliegenden Fall sprechen könnten. Die blosse Behauptung des kaufmännischen Leiters des Postfachinhabers, nie einen Abholschein erhalten zu haben, ohne aber konkrete Anhaltspunkte Anzeichen für einen Fehler der Poststelle bei der Zustellung zu nennen, genügt hierfür jedenfalls nicht (vgl. VerwGE

        B 2015/158 vom 20. Dezember 2016 E. 2.3.2; BGer 4A_84/2019 vom 22. Februar 2019;

        BGer 2C_713/2015 vom 13. Dezember 2015 E. 3.3; BGer 2C_128/2012 vom 29. Mai 2012 E. 2.2). Daher ist vorliegend denn auch davon auszugehen, dass die Abholungseinladung ordnungsgemäss ins Postfach gelegt worden ist. Im Übrigen hat sich der Beschwerdegegner die Handlungen des Postfachinhabers, dessen Adresse er als Zustelladresse angegeben hat, anrechnen zu lassen (vgl. Cavelti/Vögeli,

        Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton St. Gallen – dargestellt an den Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, 2. Aufl. 2003, Rz. 1140).

      4. Dem zweiten Versand der Veranlagungsverfügungen per A-Post kommt grundsätzlich keine rechtliche Bedeutung zu. Ein solcher vermag eine gesetzliche Frist einzig unter dem Gesichtspunkt des verfassungsmässigen Anspruchs auf Vertrauensschutz im Sinne von Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (SR 101, BV) zu verlängern. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn innerhalb der Rechtsmittelfrist ein zweiter Versand mit vorbehaltloser Rechtsmittelbelehrung erfolgt und der Empfänger (unter anderem) nicht ohne weiteres erkennen kann, dass die Frist bereits mit der ersten, eingeschriebenen Zustellung zu laufen begann. Mit Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist erwächst ein Entscheid jedoch in Rechtskraft und ist nicht mehr anfechtbar. Erfolgt eine zweite Zustellung erst danach, so mangelt es deshalb an einer für die Berufung auf den Vertrauensschutz vorausgesetzten nachteiligen Disposition, und der Fristenlauf bleibt dadurch unberührt (VerwGE B 2015/158 und 159 vom

        20. Dezember 2016 E. 3.3 mit weiteren Hinweisen).

        Vorliegend erreichten die per A-Post versandten Veranlagungsverfügungen den Beschwerdegegner erst am 14. Juli 2016 und somit nicht mehr innerhalb der Einsprachefrist. Zudem wurde der Beschwerdegegner im Begleitschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Veranlagungsverfügungen und Schlussrechnungen bereits am 30. Mai 2016 zugestellt worden seien. Nachdem die eingeschriebene Sendung von der Post aber nicht innerhalb der siebentägigen Abholfrist entgegengenommen worden sei, gelte das Schreiben als am letzten Tag dieser Frist zugestellt (act. 6/6/3/10). Somit war für den Beschwerdegegner ohne weiteres erkennbar, dass sich die Rechtsmittelbelehrung nicht auf das Zustelldatum der Kopien beziehen konnte. Der Umstand, dass es beim zweiten Versand aus unerklärlichen Gründen zu einer Verzögerung kam, ist – wie bereits im Rückweisungsentscheid vom 23. Mai 2018 festgestellt – zwar befremdlich, rechtlich aber unerheblich. Greift die Zustellfiktion, sind die Behörden grundsätzlich nicht zu einem zweiten Zustellversuch verpflichtet. Ein allfälliger weiterer Versand und die spätere Entgegennahme der Sendung vermögen an der Zustellfiktion grundsätzlich nichts zu ändern. Sie sind im Prinzip unbeachtlich (vgl. auch BGer 4A_53/2019 vom

        14. Mai 2019 E. 4.2 mit weiteren Hinweisen). Dennoch wäre es wünschenswert, wenn der Beschwerdeführer in Zukunft den zweiten Zustellversuch per A-Post umgehend vornehmen würde.

    3. Wie das Verwaltungsgericht bereits im Rückweisungsentscheid vom 23. Mai 2018 erwogen hat, hat der Beschwerdegegner die am 31. Mai 2016 per Einschreiben versandte und am 1. Juni 2016 im Postfach der Zweigniederlassung der S. SA zur Abholung am Schalter avisierte Sendung nicht abgeholt. Damit gilt die Zustellung der eingeschriebenen Sendung spätestens als am siebten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellversuch als erfolgt (vgl. Art. 30 Abs. 1 VRP in Verbindung mit Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO). Die siebentägige Abholfrist hat am 2. Juni 2016 zu laufen begonnen und somit am 8. Juni 2016 geendet. Die 30-tägige Rechtsmittelfrist hat entsprechend am 9. Juni 2016 zu laufen begonnen und am Freitag, 8. Juli 2016, geendet (VerwGE B 2017/152 und 153 vom 23. Mai 2018 E. 3.2).

  3. Streitig und zu prüfen ist damit im Folgenden, ob die Vorinstanz haltbar erkannte, der Beschwerdeführer habe das Gesuch um Wiederherstellung der versäumten Frist zu Unrecht abgewiesen.

    1. Zur Wiederherstellung versäumter Fristen verweist Art. 30ter Abs. 1 VRP auf

      Art. 148 Abs. 1 ZPO, der dadurch zu subsidiärem kantonalem Recht wird (Art. 6 Abs. 1 ZGB). Nach Art. 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht auf Gesuch einer säumigen Partei eine Nachfrist gewähren, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie kein nur ein leichtes Verschulden trifft, die Steuerbehörde zustimmt (Art. 30ter Abs. 1 VRP). Unverschuldet ist ein Hindernis, das der säumige Steuerpflichtige nicht zu vertreten hat, wie plötzliche schwere Erkrankung, Unfall, Einreiseschwierigkeiten, Epidemien ähnliche Katastrophen. Ein leichtes Verschulden wird in der Praxis indes nur mit Zurückhaltung angenommen. Vom Steuerpflichtigen wird ein erhebliches Mass an Sorgfalt bei der Einhaltung von Fristen erwartet. Die Wiederherstellung wird daher regelmässig dann verweigert, wenn das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen ist, die dem Betroffenen als Nachlässigkeit zuzurechnen sind. Kantonalrechtlich ist die Fristwiederherstellung auch in Fällen zulässig, in welchen eine leichte Unsorgfalt vorliegt. Dies unterscheidet Art. 30ter Abs. 1 VRP in Verbindung mit Art. 148 Abs. 1 ZPO von einer direktsteuerlichen Angelegenheit, in welcher auf eine verspätete Eingabe nur

      einzutreten ist, wenn die steuerpflichtige Person einerseits nachweist, dass sie durch Militär- Zivildienst, Krankheit, Landesabwesenheit andere erhebliche Gründe an der rechtzeitigen Einreichung verhindert war und anderseits das Rechtsmittel innert 30 Tagen nach Wegfall der Hinderungsgründe eingereicht wurde (Art. 133 Abs. 3 DBG; BGer 2C_300/2017 vom 27. März 2017 E. 2.2.1; BGer 2C_451/2016, 2C_452/2016 vom

      8. Juli 2016 E. 2.2.1; Zigerlig/Oertli/Hofmann, Das st. gallische Steuerrecht, 7. Aufl.

      2014, S. 409 f.).

      Praxis und Doktrin zufolge besteht aber selbst bei unverschuldeter Verhinderung kein uneingeschränkter Anspruch darauf, dass der betroffenen Prozesspartei die volle, ungeschmälerte gesetzliche Frist zur Verfügung steht. Die Wiederherstellung einer gesetzlichen (oder gerichtlichen) Frist, die nicht vollständig genutzt werden konnte, kommt lediglich dann in Frage, wenn die unverschuldete Hinderung an der Vornahme der fristwahrenden Handlung entweder während der ganzen Rechtsmittelfrist bestand zumindest gegen deren Ende eintrat. Erst spät eintretende Hinderungsgründe sind deshalb anzuerkennen, weil es niemandem benommen ist, eine Eingabe erst gegen Ende der Frist auszuarbeiten und einzureichen (BGer 2C_451/2016, 2C_452/2016 vom 8. Juli 2016 E. 2.2.4 mit weiteren Hinweisen).

    2. Zur Begründung seines Gesuchs um Wiederherstellung der verpassten Frist gab der Beschwerdegegner gegenüber dem Beschwerdeführer an, er habe auf die Aufforderungen vom 4. und 22. April 2016 nicht geantwortet, weil er viel auf Reisen und daher praktisch nicht im Büro gewesen sei. Leider sei es daher dazu gekommen, dass er die Frist unbeabsichtigt verpasst habe. Die Veranlagungsverfügungen seien nie an ihn gelangt, was völlig unverständlich sei (act. 6/6/3/8). Am 29. August 2016 reichte er sodann Flugbelege und Hotelbestätigungen ein, welche für den massgeblichen Zeitraum ab 1. Juni 2016 (Zustellung der Veranlagungsverfügungen ins Postfach des Beschwerdegegners) verschiedene Reisetätigkeiten bzw. Auslandaufenthalte belegen: 1.-3. Juni 2016, 16.-17. Juni 2016 und 22. Juni 2016 (vgl. act. 6/6/3/5).

    3. Gemäss eigenen Angaben weilte der Beschwerdegegner im strittigen Zeitraum zwar regelmässig im Ausland, befand sich aber auch immer wieder in der Schweiz. Dass er sich in einem Verfahrensverhältnis befindet, musste ihm bewusst sein, nachdem ihm mit Schreiben vom 22. April 2016 eine Ermessensveranlagung angedroht

      worden war. Bereits daher hatte er – wie dargelegt – mit der Zustellung der entsprechenden Veranlagungsverfügungen rechnen müssen. Der vorinstanzliche Vorwurf an den Beschwerdeführer im Sinn einer Entschuldigung für den Beschwerdegegner, dieser habe nicht mit einer so frühen Zustellung rechnen müssen, lässt sich nicht auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung stützen (vgl. vorstehende Erwägung 4.1). Der Beschwerdegegner wäre vielmehr gehalten gewesen, bereits mit den Aufforderungen im April 2016 – deren Erhalt er im Übrigen nicht bestreitet – den Beschwerdeführer entweder über seine anstehende Landesabwesenheit zu informieren einen Rechtsvertreter mit schriftlicher Vollmacht zu mandatieren. Gründe, weshalb der Beschwerdegegner dazu nicht in der Lage gewesen sei, wurden von ihm nicht dargelegt und ergeben sich auch nicht aus den Akten. Schwierigkeiten bei der Postzustellung wegen eines Auslandaufenthaltes genügen für sich alleine aber jedenfalls nicht, um ein unverschuldetes Hindernis darzutun (P. Locher, Kommentar zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, III. Teil, Basel 2015, N 35 f. zu Art. 133 DBG mit weiteren Hinweisen). Auch wenn die Veranlagungsverfügungen mit dem ersten Versand nicht abgeholt wurden, so sind die Voraussetzungen für eine Fristwiederherstellung daher nicht gegeben.

  4. Zusammenfassend ergibt sich, dass keine genügenden Gründe vorliegen, aufgrund derer die Einsprachefrist wiederherzustellen gewesen wäre. Damit trat der Beschwerdeführer mit Entscheid vom 23. November 2016 denn auch zu Recht nicht auf die Einsprache des Beschwerdegegners ein. Folglich ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid der Vorinstanz vom 20. Juni 2019 ist vollumfänglich aufzuheben.

Dass der Beschwerdeführer noch nicht über das bei ihm pendente Revisionsgesuch entschieden hat, lässt sich im Übrigen bereits daher nicht beanstanden, da zunächst über die Begründetheit des Wiederherstellungsgesuchs zu befinden war (Richner/Frei/ Kaufmann/Meuter, Handkommentar zum DBG, 3. Aufl. 2016, N 43 zu Art. 133 DBG).

(…)

Demnach erkennt das Verwaltungsgericht zu Recht:

  1. Die Beschwerdeverfahren B 2019/162 und B 2019/163 werden vereinigt.

  2. Die Beschwerde im Verfahren B 2019/162 (Nichteintreten/Fristwiederherstellung betreffend Kantons- und Gemeindesteuern 2012) wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid vom 20. Juni 2019 aufgehoben, unter Bestätigung des Einspracheentscheids betreffend Kantons- und Gemeindesteuern 2012 vom

23. November 2016.

  1. Die Beschwerde im Verfahren B 2019/163 (Nichteintreten/Fristwiederherstellung betreffend direkte Bundessteuer 2012) wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid vom 20. Juni 2019 aufgehoben, unter Bestätigung des Einspracheentscheids betreffend direkte Bundesteuer 2012 vom 23. November 2016.

  2. Der Beschwerdegegner bezahlt die amtlichen Kosten der Beschwerdeverfahren

    B 2019/162 und B 2019/163 von je CHF 1'000, insgesamt somit CHF 2'000, sowie die

    Kosten des vorinstanzlichen Rekurs- und Beschwerdeverfahrens von CHF 500.

  3. Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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