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Urteil Verwaltungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:B 2010/118
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2010/118 vom 24.08.2010 (SG)
Datum:24.08.2010
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:UrteilPersonalrecht, Verfahren, Art. 79bis VRP (sGS 951.1), Art. 83 StVG (sGS 140.1), Art. 9 BV (SR 101). Dualismus von Anfechtungs- und Klageverfahren im öffentlichen Personalrecht, sachgemässe Anwendung der Kündigungsschutzbestimmungen des OR, Kündigung während der Probezeit (Verwaltungsgericht, B 2010/118).
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 335b OR ; Art. 336a OR ; Art. 343 OR ; Art. 95 BGG ;
Referenz BGE:134 II 108; 134 III 108;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
Urteil vom 24. August 2010

Anwesend: Präsident Prof. Dr. U. Cavelti; Verwaltungsrichter lic. iur. A. Linder,

Dr. B. Heer, lic. iur. A. Rufener, Dr. S. Bietenharder-Künzle; Gerichtsschreiber lic. iur.

Th. Vögeli

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In Sachen K.,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt C. gegen

Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen,Moosbruggstrasse 11, 9001 St. Gallen,

Vorinstanz,

betreffend

Auflösung des Angestelltenverhältnisses

hat das Verwaltungsgericht festgestellt:

  1. ./ Mit Verfügung des Sicherheits- und Justizdepartements vom 25. Januar 2010 wurde K. als Wohngruppenbetreuerin angestellt. Es wurde eine dreimonatige Probezeit mit einer Kündigungsfrist von vierzehn Tagen vereinbart.

    ...

    Das Sicherheits- und Justizdepartement löste das Anstellungsverhältnis mit Verfügung vom 30. April 2010 unter Einhaltung der Kündigungsfrist von 14 Tagen auf den 14. Mai 2010 auf.

  2. ./ Mit Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 17. Mai 2010 erhob K. gegen die Verfügung des Sicherheits- und Justizdepartements Beschwerde beim Verwaltungsgericht. In ihrer Beschwerdeergänzung vom 21. Mai 2010 beantragte sie, es sei festzustellen,

dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit missbräuchlich gewesen sei und es sei ihr eine Entschädigung von viereinhalb Monatslöhnen, entsprechend Fr. 29'247.30, zuzusprechen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Vorinstanz. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Kündigung sei missbräuchlich.

.. ..

Darüber wird in Erwägung gezogen:

1./ Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 59bis Abs. 2 lit. a Ziff. 4 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt VRP). Die Beschwerdeführerin ist grundsätzlich zur Ergreifung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 VRP). Die Beschwerdeeingaben vom 17. Mai und 21. Mai 2010 wurden rechtzeitig eingereicht und enthalten einen Antrag, eine Sachdarstellung und eine Begründung. Insoweit sind die gesetzlichen Anforderungen an die Beschwerdeführung erfüllt (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 und 2 VRP).

  1. Die Beschwerdeführerin beantragt die Feststellung der Missbräuchlichkeit der Kündigung sowie die Zusprache einer Entschädigung von viereinhalb Monatslöhnen. Die Vorinstanz wendet dagegen ein, dass finanzielle Forderungen nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sein können und solche mit öffentlich-rechtlicher Klage geltend zu machen wären.

    1. Bei der Kündigung von öffentlich-rechtlichen Angestelltenverhältnissen besteht ein Dualismus von Anfechtungs- und Klageverfahren. Während die Rechtmässigkeit der Kündigung grundsätzlich im Anfechtungsverfahren zu prüfen ist, steht für die vermögensrechtlichen Aspekte der Kündigung das Klageverfahren zur Verfügung (vgl. Art. 79bis VRP; Cavelti/Vögeli, Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton St. Gallen, St. Gallen 2003, Rz. 1147 ff.; GVP 1995 Nr. 3; VerwGE K 2008/4 vom 16. Juni 2009 und

      K 2004/4 vom 22. März 2005, in: www.gerichte.sg.ch).

    2. Beim Begehren der Beschwerdeführerin um Bezahlung einer Entschädigung von viereinhalb Monatslöhnen handelt es sich um einen vermögensrechtlichen Anspruch im

      Sinn von Art. 79bis VRP. Ein solches Begehren ist nach der erwähnten Bestimmung im Klageverfahren, mittels öffentlich-rechtlicher Klage gegen den Staat, geltend zu machen. Die Missbräuchlichkeit einer Kündigung kann aber grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren geltend gemacht werden. Im Beschwerdeverfahren kann die Aufhebung der Kündigung und die Wiederherstellung des Dienstverhältnisses verlangt werden.

      Die Beschwerdeführerin stellt kein Begehren, das Angestelltenverhältnis sei wieder herzustellen bzw. die Kündigung sei aufzuheben. Es fragt sich daher, ob überhaupt ein Feststellungsinteresse besteht, da eine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung im Klageverfahren in Form einer Leistungsklage hätte geltend gemacht werden können.

      Die Missbräuchlichkeit einer Kündigung kann nach der dargelegten Rechtsprechung sowohl im Klage- als auch im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden. Im Interesse der Beschwerdeführerin und der Vermeidung eines weiteren Prozesses ist auf den entsprechenden Beschwerdeantrag einzutreten.

    3. Bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen hat die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung den Charakter einer Verfügung und bedarf einer Begründung. Das st. gallische Recht enthält keine Regelung über die materiellen Anforderungen an eine Kündigung. Indes ist in Lehre und Rechtsprechung unbestritten, dass Kündigungen, welche gemäss Obligationenrecht missbräuchlich wären, im öffentlichen Dienstrecht als willkürlich im Sinne von Art. 9 der Bundesverfassung (SR

      101) gelten (M. Michel, Beamtenstatus im Wandel, Diss. Zürich 1998, S. 299; ZBl 96/1995, S. 384 f.). Gestützt auf den Verweis von Art. 83 des Staatsverwaltungsgesetzes (sGS 140.1, abgekürzt StVG) sind die Bestimmungen des Obligationenrechts (SR 220, abgekürzt OR) sachgemäss anwendbar (VerwGE vom

      26. August 2003 i.S. E.Z.). Sachgemässe Anwendung bedeutet, dass ergänzend die verfassungsrechtlichen Minimalanforderungen an staatliches Handeln heranzuziehen sind, weil sich der öffentlich-rechtliche Kündigungsschutz nicht auf die Missbrauchstatbestände des Obligationenrechts beschränkt, sondern weiter geht (vgl. Michel, a.a.O., S. 299). Demnach bemisst sich die sachliche Rechtfertigung der Kündigung an verfassungsrechtlichen Vorgaben wie dem Willkürverbot, dem

      Verhältnismässigkeitsprinzip sowie Treu und Glauben. Die Gründe, die zur Kündigung Anlass geben, müssen von einem bestimmten Gewicht sein. Allerdings ist nicht erforderlich, dass sie die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als unzumutbar erscheinen lassen. Es müssen sachliche, vertretbare Gründe sein, so dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht als Willkürakt erscheint; es reicht aus, wenn die Weiterbeschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers dem öffentlichen Interesse, insbesondere demjenigen an einer gut funktionierenden Verwaltung, widerspricht (VerwGE B 2008/4 vom 16. Juni 2009, in: www.gerichte.sg.ch; Michel, a.a.O., S. 299).

      Sofern eine Kündigung den vorstehend beschriebenen Anforderungen nicht genügt, kann in sachgemässer Anwendung von Art. 336a OR zudem eine Entschädigung beansprucht werden (Art. 83 StVG).

    4. Die Vorschriften des kantonalen öffentlichen Rechts enthalten keine spezifischen Bestimmungen über die Kündigung während der Probezeit. Ob der sachliche Kündigungsschutz auch während der Probezeit greift, ist in der zivilrechtlichen Lehre umstritten (vgl. BGE 134 III 108 E. 7.1 mit zahlreichen Hinweisen). Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde sind somit die Kündigungsschutzvorschriften des OR nicht unbesehen anwendbar. Grundsätzlich kann aber auch eine Kündigung während der Probezeit missbräuchlich sein (BGE 134 II 108 E. 7.1). Da das kantonale öffentliche Recht keine spezifischen Bestimmungen zur Kündigung während der Probezeit enthält, sind die entsprechenden Vorschriften des OR sachgemäss als kantonales öffentliches Recht anwendbar.

      Die Probezeit soll den Parteien die Möglichkeit bieten, einander kennenzulernen, was zur Schaffung eines Vertrauensverhältnisses notwendig ist. Sie erlaubt den Parteien abzuschätzen, ob sie die gegenseitigen Erwartungen erfüllen, und sie werden in die Lage versetzt, über die in Aussicht genommene langfristige Bindung in Kenntnis der konkreten Umstände zu urteilen. Das Recht, während der Probezeit mit verkürzter Frist zu kündigen, ist ein Ausfluss der Vertragsfreiheit. Bei Abschluss des Vertrags liegt es grundsätzlich im Belieben des Arbeitgebers, welchen von mehreren Kandidaten er einstellen will. Ebenso entscheidet der Arbeitnehmer frei, für welche Arbeitsstelle er sich bewirbt. Nach Art. 335b OR wirkt diese Abschlussfreiheit in die Probezeit nach, indem die Parteien grundsätzlich den Entscheid über eine langfristige Bindung

      aufgrund der in der Probezeit gewonnenen Erkenntnisse frei treffen können. Soweit sich die Kündigung an diesem Zweck der Probezeit orientiert, ist allein darin, dass ihr etwas "Willkürliches" anhaftet, kein Rechtsmissbrauch zu erblicken. Die zulässige "Willkür" entspricht der Freiheit der Parteien, darüber zu entscheiden, ob sie sich langfristig binden wollen (BGE 134 III 108 E. 7.1.1; BGer 4A_432/2009 vom 10.

      November 2009 E. 2.1).

      .. ..

      Der Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin als Praktikantin klaglos verhalten hat, ist in bezug auf die streitige Kündigung nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Trotz des vorangegangenen Praktikums wurde in der Anstellungsverfügung eine Probezeit angeordnet. Es ist wie erwähnt Sinn und Zweck einer Probezeit, den Parteien den Entscheid, ob sie sich langfristig binden wollen, in Kenntnis der Arbeitserfahrungen am konkreten Arbeitsplatz zu ermöglichen. Wenn der Arbeitgeber während der Probezeit erkennt, dass es bei der Zusammenarbeit mit den übrigen Angestellten zu Problemen kommt, und er sich daher nicht langfristig an die Beschwerdeführerin binden will, ist dies legitim und entspricht dem Zweck der Probezeit. Es ist Ausfluss der in die Probezeit nachwirkenden Abschlussfreiheit, dass die Kündigung auch dann zulässig ist, wenn die Arbeitnehmerin an der unbefriedigenden Situation kein Verschulden trifft. Die Arbeitnehmerin kann nicht verlangen, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fortsetzt und sich langfristig bindet, wenn bereits während der Probezeit Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit dem übrigen Personal erkennbar werden. Hier wirkt eben die Abschlussfreiheit nach und räumt dem Arbeitgeber die Möglichkeit ein, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, um einen Arbeitnehmer zu suchen, der sich besser in die bestehenden Verhältnisse einfügt (BGer 4A_432/2009 vom 14. November 2009 E. 2.4).

      .. ..

    5. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

  2. Grundsätzlich hat die unterliegende Partei die amtlichen Kosten des

Beschwerdeverfahrens zu tragen (Art. 95 Abs. 1 VRP).

Die Beschwerdeführerin reichte am 17. Mai 2010 eine Beschwerdeerklärung ohne Antrag, Sachdarstellung und Begründung ein. Daher wurde ein Kostenvorschuss verlangt, weil im Beschwerdeverfahren gegen eine Kündigung in der Regel die Wiederherstellung des Angestelltenverhältnisses verlangt wird und dabei der Streitwert im allgemeinen über Fr. 30'000.-- beträgt (Art. 73 Abs. 2 lit. a des Zivilprozessgesetzes, sGS 961.2; vgl. R. Hirt, Die Regelung der Kosten nach st. gallischem Verwaltungsrechtspflegegesetz, Diss. St. Gallen 2004, S. 123 f.). In der Beschwerdeergänzung vom 21. Mai 2010 verlangte die Beschwerdeführerin wie erwähnt die Feststellung der Missbräuchlichkeit der Kündigung sowie eine Entschädigung von Fr. 29'247.30, also eine Entschädigung knapp unter der Streitwertgrenze von Art. 343 Abs. 2 OR. Nach Art. 97bis Abs. 1 lit. b VRP werden im Beschwerdeverfahren betr. das öffentliche Dienstverhältnis in sachgemässer Anwendung von Art. 343 Abs. 3 OR keine amtlichen Kosten erhoben. Das Begehren um Feststellung der Missbräuchlichkeit der Kündigung geht nicht weiter als der Antrag auf Zahlung einer Geldsumme, auf den nicht eingetreten werden kann. Daher sind gemäss Art. 97 Abs. 1 lit. b VRP keine amtlichen Kosten zu erheben, und der Beschwerdeführerin ist der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 2'000.-- zurückzuerstatten.

Ausseramtliche Kosten sind nicht zu entschädigen (Art. 98bis VRP).

Demnach hat das Verwaltungsgericht

zu Recht erkannt:

1./ Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 2./ Amtliche Kosten werden keine erhoben.

3./ Ausseramtliche Entschädigungen werden nicht zugesprochen.

V. R. W.

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Versand dieses Entscheides an:

  • die Beschwerdeführerin (durch Rechtsanwalt C.)

  • die Vorinstanz

am:

Rechtsmittelbelehrung:

Sofern eine Rechtsverletzung nach Art. 95 ff. BGG geltend gemacht wird, kann gegen diesen Entscheid gestützt auf Art. 82 lit. a und 85 Abs. 1 lit. b BGG innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Schweizerischen Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, Beschwerde erhoben werden.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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