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Urteil Verwaltungsgericht (SG - B 2009/178)

Zusammenfassung des Urteils B 2009/178: Verwaltungsgericht

O.B., ein sudanesischer Staatsangehöriger, reichte 2002 ein Asylgesuch in der Schweiz ein, das später abgelehnt wurde. Er erhob mehrere Beschwerden gegen die Ablehnungsentscheide, darunter auch gegen die Herausgabe von Akten im Zusammenhang mit einem Strafverfahren. Das Verwaltungsgericht entschied, dass die Akten des Ausländeramts dem Sicherheits- und Justizdepartement herausgegeben werden dürfen. O.B. argumentierte, dass die Asylakten Bundesakten seien und nicht herausgegeben werden sollten. Das Gericht stellte fest, dass die Akten dem Ausländeramt zuzuordnen sind und die Herausgabe rechtens ist, da öffentliche Interessen überwiegen. Die Beschwerde wurde abgewiesen, und O.B. erhielt die unentgeltliche Rechtspflege.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts B 2009/178

Kanton:SG
Fallnummer:B 2009/178
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2009/178 vom 28.01.2010 (SG)
Datum:28.01.2010
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:UrteilAkteneinsicht, Art. 68 Abs. 1 StP (sGS 962.1). Das Sicherheits- und Justizdepartement bewilligte zu Recht die Herausgabe von Akten des Ausländeramts über einen Strafkläger an die Staatsanwaltschaft (Verwaltungsgericht, B 2009/178).
Schlagwörter: Akten; Verfahren; Bundes; Ausländer; Beschwerde; Ausländeramt; Interesse; Asylverfahren; Beschwerdeführers; Herausgabe; Recht; Bundesamt; Verfügung; Migration; Anzeige; Akten; Schweiz; Verfahrens; Ausländeramts; Entscheid; Interessen; Vorinstanz; Wegweisung; Schweizerischen; Gesuch; Asylrekurskommission; Dokumente; Gallen; Vollzug
Rechtsnorm: Art. 37 DSG ;Art. 95 BGG ;
Referenz BGE:129 I 255; 129 I 256;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts B 2009/178

Urteil vom 28. Januar 2010

Anwesend: Präsident Prof. Dr. U. Cavelti; Verwaltungsrichter lic. iur. A. Linder, Dr. B. Heer, lic. iur. A. Rufener; Ersatzrichterin lic. ihr. D. Gmünder Perrig; Gerichtsschreiber lic. iur. Th. Vögeli

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In Sachen

O.B.,Zivilschutzanlage, 8725 Ernetschwil,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwalt lic.iur. F. gegen

Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen,Moosbruggstrasse 11, 9001 St. Gallen,

Vorinstanz, und

Staatsanwaltschaft,Spisergasse 15, 9001 St. Gallen,

Beschwerdebeteiligte,

betreffend Herausgabe von Akten

hat das Verwaltungsgericht festgestellt:

  1. ./ O.B., sudanesischer Staatsangehöriger, reiste am 16. Oktober 2002 in die Schweiz ein und stellte am 17. Oktober 2002 ein Asylgesuch. Mit Verfügung des Bundesamts für Flüchtlinge (heute Bundesamt für Migration) vom 22. Oktober 2002 wurde O.B. dem Kanton St. Gallen zugewiesen. Am 7. Oktober 2003 wurde das Asylgesuch vom Bundesamt für Flüchtlinge abgewiesen und die Wegweisung aus der Schweiz verfügt.

    Mit dem Vollzug der Wegweisung wurde der Kanton St. Gallen beauftragt. Am 7. November 2003 erhob der Gesuchsteller gegen diese Verfügung Beschwerde, die von der Schweizerischen Asylrekurskommission am 10. Mai 2006 abgewiesen wurde. Mit Eingabe vom 21. August 2006 beantragte O.B. beim Bundesamt für Migration wiedererwägungsweise die Aufhebung der Verfügung vom 7. Oktober 2003. Mit Verfügung vom 13. September 2006 wies das Bundesamt für Migration das Wiedererwägungsgesuch ab. Am 16. Oktober 2006 erhob O.B. gegen diese Verfügung Beschwerde bei der Schweizerischen Asylrekurskommission. Diese trat mit Entscheid vom 23. November 2006 nicht auf die Beschwerde ein.

    Am 17. Dezember 2007 reichte O.B. beim Ausländeramt des Kantons St. Gallen ein Gesuch um Erteilung einer humanitären Aufenthaltsbewilligung ein. Das Gesuch wurde mit Verfügung vom 2. Juni 2008 abgelehnt. Dagegen erhob O.B. am 19. Juni 2008 Rekurs beim Sicherheits- und Justizdepartement.

  2. ./ Am 1. Februar 2006 erhob O.B. beim Untersuchungsamt St. Gallen gegen drei Mitarbeiter der Bahnpolizei Strafanzeige betreffend Amtsanmassung, Freiheitsberaubung, Nötigung und eventualiter Amtsmissbrauch. Der Vollzug der Wegweisung wurde in der Folge aufgrund des laufenden Strafverfahrens sistiert. Mit Schreiben des Bundesamts für Migration vom 22. Januar und 1. April 2009 wurde die Sistierung des Wegweisungsvollzugs als nicht mehr gerechtfertigt erachtet. Gleichzeitig wurde jedoch darauf hingewiesen, dass die Vollzugshandlungen des Ausländeramtes bis zum endgültigen Entscheid bezüglich des Gesuchs um Erteilung einer humanitären Aufenthaltsbewilligung ausgesetzt würden.

In dem von O.B. anhängig gemachten Strafverfahren ersuchte die Staatsanwaltschaft am 13. Juli 2009 aufgrund eines Beweisantrags der Verteidiger beim Ausländeramt – unter Voraussetzung der Zustimmung des zuständigen Departements - um Edition der Asyl- und Ausländerakten von O.B.. Mit Stellungnahme vom 19. August 2009 erklärte sich O.B. mit der Edition der Akten des Ausländeramtes, nicht aber mit der Herausgabe der Akten aus dem Asylverfahren einverstanden. Soweit letztere Teil der Akten des Ausländeramts seien, müssten sie entfernt werden. Mit Verfügung vom 11. September 2009 stimmte das Sicherheits- und Justizdepartement der Herausgabe der Asyl- und Ausländerakten von O.B. durch das Ausländeramt zu.

C./ Mit Eingabe seines Rechtsvertreters vom 28. September 2009 erhob O.B. Beschwerde beim Verwaltungsgericht mit dem Antrag, die Verfügung vom 11. September 2009 sei aufzuheben und es sei lediglich die Zustimmung zur Herausgabe der Ausländerakten des Beschwerdeführers zu erteilen; unter Kosten und Entschädigungsfolge. In seiner Beschwerdeergänzung vom 16. November 2009 macht der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, bei den Asylakten handle es sich um Bundesakten, für die seitens der Vorinstanz bezüglich der Herausgabe keine Zuständigkeit vorliege. Des weiteren fehle es an den rechtlichen Voraussetzungen zur Herausgabe der Asylakten. Das private Interesse des Beschwerdeführers an der Verweigerung der Bekanntgabe dieser Akten überwiege die öffentlichen Interessen an der Herausgabe der Akten.

Auf die Erwägungen der angefochtenen Verfügung sowie auf die weiteren in der Beschwerde vorgebrachten Ausführungen wird, soweit wesentlich, in den nachstehenden Erwägungen näher eingegangen.

Das Sicherheits- und Justizdepartement beantragt in seiner Vernehmlassung vom 20. November 2009 unter Hinweis auf die angefochtene Verfügung die Abweisung der Beschwerde, unter Kostenfolge.

Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Vernehmlassung.

Darüber wird in Erwägung gezogen:

1. Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 59bis Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt VRP). Der Beschwerdeführer ist zur Ergreifung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 VRP). Die Beschwerdeeingaben vom 28. September und

16. November 2009 wurden rechtzeitig eingereicht und erfüllen formal und inhaltlich die gesetzlichen Anforderungen (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 und 2 VRP). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

  1. Gemäss Art. 68 Abs. 1 des Strafprozessgesetzes (sGS 962.1, abgekürzt StP) bedürfen Behördemitglieder und Beamte nach Art. 110 Abs. 3 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (SR 311.0) für die Herausgabe amtlicher Akten der Zustimmung des

    zuständigen Departementes, wenn sich die Untersuchung nicht gegen sie selbst richtet. Vorbehalten bleiben abweichende Bestimmungen. Das zuständige Departement erteilt die Zustimmung, wenn nicht öffentliche schutzwürdige private Interessen gegenüber den Interessen der Strafrechtspflege überwiegen (Art. 68 Abs. 2 StP).

    Diese Zustimmungspflicht seitens des übergeordneten Departements ergibt sich letztlich aus dem Grundsatz der Gewaltentrennung. Strafuntersuchungsbehörden sind nicht befugt, sich der Akten von Verwaltungsbehörden durch Zwang Beschlagnahme zu bemächtigen. Da Gerichte und Verwaltungsbehörden einander gleichgestellt sind, können jene mangels besonderer gesetzlicher Vorschriften den Verwaltungsbehörden die Herausgabe ihrer Akten nicht befehlen (vgl. N. Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, Rz. 1240; GVP 1981 Nr. 36). Daher hat die übergeordnete Verwaltungsbehörde erstinstanzlich über die Aktenherausgabe zu entscheiden.

    1. Die Vorinstanz hält in ihrer Verfügung fest, der Untersuchungsrichter habe dem Beweisantrag auf Beizug der Asyl- und Ausländerakten betreffend den Beschwerdeführer stattgegeben und somit zum Ausdruck gebracht, dass sie für die Strafuntersuchung von Bedeutung seien. Das Sicherheits- und Justizdepartement habe den Entscheid des Untersuchungsrichters nicht zu überprüfen. Im Rahmen des Asylverfahrens seien persönliche Verhältnisse des Beschwerdeführers abgeklärt worden, unter anderem Herkunft, Umstände der Ausreise aus seinem Heimatland, Einreise in die Schweiz, Asylgründe, Zumutbarkeit der Wegweisung und finanzielle Verhältnisse. In der Abweisung des Wiedererwägungsgesuchs des Bundesamtes für Migration vom 13. September 2006 und im Entscheid der Schweizerischen Asylrekurskommission vom 1. November 2006 seien des weiteren zwar die geltend gemachten gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers thematisiert worden, doch würden sich in den Asylakten des Ausländeramtes keine ärztlichen Berichte befinden. Letztlich sei dem Beschwerdeführer ein privates Interesse an der Verweigerung der Herausgabe der Angaben und Abklärungen über ihn im Zusammenhang mit dem Asylverfahren zu attestieren, doch überwiege sein privates Interesse das Interesse der Strafrechtspflege, insbesondere das Interesse an der

      Wahrheitsfindung, nicht. Somit sei die Zustimmung für die Herausgabe der Asyl- und Ausländerakten zu erteilen.

    2. Demgegenüber wendet der Beschwerdeführer ein, die Asylakten seien als Bundesakten aufzufassen, welche der Zuständigkeit der Vorinstanz entzogen seien. Für den Entscheid über die Herausgabe dieser Akten seien Bundesbehörden zuständig. Selbst unter Annahme der Zuständigkeit der Vorinstanz sei die Herausgabe der Akten zu verneinen, weil die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Die Wahrheitsfindung im Strafverfahren sei auch ohne Herausgabe der Akten möglich. Die Akten des Asylverfahrens würden sich insbesondere auf Vorfälle in der Heimat des Beschwerdeführers beziehen, wobei kein Zusammenhang zum eingeleiteten Strafverfahren erkennbar sei. Der Behauptung der Verteidiger in dem vom Beschwerdeführer anhängig gemachten Strafverfahren, seine Strafanzeige stehe im Zusammenhang mit dem Asylverfahren, könne nicht gefolgt werden. Über die Wegweisung des Beschwerdeführers sei erst am 10. Mai 2006 entschieden worden. Somit habe der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Strafanzeige vom 1. Februar 2006 nicht wissen können, dass er bald einen abschlägigen Entscheid erhalte. Sämtliche relevanten ausländerrechtlichen Eingaben seien schon vor der Erhebung des Strafverfahrens ergangen.

    3. Die Rüge des Beschwerdeführers, die Akten des Asylverfahrens seien Bundesakten, wirft die Frage nach der Herrschaft über die Dokumente auf, die vom Untersuchungsrichter verlangt werden.

      Die Akten des Ausländeramts enthalten einerseits die Erhebungen und verfahrensleitenden Massnahmen im eigenen Kompetenzbereich, namentlich über die Erteilung der Arbeitsbewilligungen, die Regelung des Aufenthalts sowie über das Gesuch um Erteilung einer humanitären Aufenthaltsbewilligung, daneben auch Akten über die Bezüge der Arbeitslosenversicherung. Im weiteren enthalten die Akten des Ausländeramts auch Erhebungen, die im Rahmen der Vollzugshilfe zuhanden des Bundesamts für Migration veranlasst wurden, insbesondere die Befragung des Beschwerdeführers gemäss Art. 29 des Asylgesetzes (SR 142.31, abgekürzt AsylG). Sodann befinden sich in den Akten des Ausländeramts auch Kopien von Dokumenten des Bundesamts für Migration bzw. der Schweizerischen Asylrekurskommission. Es ist

      unbestritten, dass die Vorinstanz über diejenigen Dokumente verfügen und somit gemäss Art. 68 StP über deren Herausgabe entscheiden kann, die ihren eigenen Zuständigkeitsbereich betreffen. Zu prüfen ist, wie es sich bei den Dokumenten über Erhebungen zuhanden des Bundesamtes für Migration sowie Kopien von Dokumenten dieser Behörde und der Schweizerischen Asylrekurskommission verhält. Diese ordnet der Beschwerdeführer ausschliesslich dem Herrschaftsbereich der Bundesbehörden zu.

      Für den Fall von Dokumenten aus einem ursprünglich fremden Herrschaftsbereich, die sich bei einer Behörde aufgrund eines Amtshilfe- bzw. Rechtshilfeverfahrens befinden, hat das Bundesgericht – wenn auch nicht in abschliessender Weise – festgehalten, dass aufgrund des in diesen Verfahren geltenden Spezialitätsprinzips bzw. aufgrund des Grundsatzes der Zweckbindung der Bearbeitung von Personendaten ein Übergang der Herrschaft über die Dokumente nicht ohne weiteres anzunehmen sei. Aus Praktikabilitätsgründen wurde zwar anerkannt, dass einer Behörde die Leitfunktion zukommen kann; diese müsse jedoch im Falle eines Begehrens um Aktenedition die Einwilligung der entsprechenden Behörde einholen (BGE 129 I 255 E. 4.2 mit Hinweisen).

      Die Erhebungen zuhanden des Bundesamtes für Migration befinden sich aufgrund der Vollstreckungshilfe bzw. der Amts- und Rechtshilfe der Kantone zugunsten der Bundesbehörden in den Akten des Ausländeramts (vgl. Art. 8 der Verordnung über den Vollzug der Weg- und Ausweisung von ausländischen Personen, SR 142.281; vgl. dazu auch allgemein Art. 43 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren, SR 172.021). Kopien von Dokumenten aus dem Asylverfahren, insbesondere die Verfügung des Bundesamts für Migration und der Entscheid der Schweizerischen Asylrekurskommission über die Ablehnung des Asylgesuchs, wurden dem Ausländeramt im Hinblick auf die Delegation des Wegweisungsvollzugs an die Kantone übermittelt (Art. 46 AsylG). Vorliegend befinden sich die streitigen Akten demzufolge nicht aufgrund eines Amtshilfe- bzw. Rechtshilfegesuches des Ausländeramts in dessen Akten, sondern sie wurden ihm auf Veranlassung der Bundesbehörden bzw. einer Kompetenzdelegation übermittelt. Bei dieser Sachlage ist von einem Übergang der Akten in den Kompetenzbereich bzw. Herrschaftsbereich des Ausländeramts auszugehen (vgl. dazu auch die Erwägungen in BGE 129 I 256 E. 4.3).

      Zu berücksichtigen ist weiter, dass sich das Asylverfahren durch eine enge Zusammenarbeit zwischen kantonalen Ämtern und Bundesbehörden auszeichnet. Dies führt dazu, dass die verschiedenen Verfahrensabschnitte und Aktenbestände nicht lückenlos auseinandergehalten werden können. Der Anforderung, beim Ausländeramt befindliche Akten seien selektiv nur soweit herauszugeben, als die ursprüngliche Urheberschaft nicht bei einer Bundesbehörde liege, kann daher in der Regel auch aus praktischen Gründen nicht gefolgt werden.

      Im übrigen ermöglicht denn Art. 68 StP eine umfassende Interessenabwägung (bezüglich der Voraussetzungen für die Bekanntgabe von Personendaten an kantonale Behörden durch das Bundesamt für Migration vgl. Art. 9 der Asylverordnung 3 über die Bearbeitung von Personendaten, SR 142.314). Konstellationen betreffend die Bearbeitung von Personendaten, wie sie in Art. 97 ff. AsylG normiert sind (u.a. Bekanntgabe von Daten an das Heimatland bzw. Drittländer) sind vorliegend nicht betroffen, wobei die entsprechenden Regeln, soweit relevant, auch für die Vollzugsbehörde Geltung haben sollten (vgl. auch die analogen Bestimmungen von Art. 101 ff. des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer, SR 142.20). Auf kantonale Behörden ist zudem zwar das kantonale Datenschutzgesetz (sGS 142.1) anwendbar; da den Datenschutzbestimmungen grundrechtlicher Charakter zukommt, unterscheiden sich diese vom Datenschutzgesetz des Bundes (SR 235.1, abgekürzt DSG) in ihrem Kerngehalt jedoch nicht (vgl. dazu Art. 37 DSG, der festhält, dass beim Fehlen kantonaler Datenschutzvorschriften, die einen angemessenen Schutz gewährleisten, für das Bearbeiten von Personendaten durch kantonale Organe beim Vollzug von Bundesrecht Art. 1–11a, 16, 17, 18–22 und 25 Abs. 1–3 DSG gelten). Somit kann jedenfalls nicht von einem verminderten Schutz der von der Aktenedition betroffenen Personen ausgegangen werden, wenn die Akten des Asylverfahrens dem Herrschaftsbereich des Ausländeramts zugerechnet werden.

      Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass die Vorinstanz legitimiert war, gestützt auf Art. 68 StP über den gesamten Aktenbestand des Ausländeramts zu verfügen.

    4. Die Verteidiger der vom Beschwerdeführer angezeigten Bahnpolizisten begründeten das Gesuch um Beizug der Akten des Ausländeramts mit dem möglichen Motivationszusammenhang zwischen der Strafanzeige des Beschwerdeführers und

seinem Asyl- bzw. Ausländerrechtsverfahren. Die Staatsanwaltschaft gab dem Beweisantrag statt. Ob die streitigen Akten einen Motivationszusammenhang zwischen der Strafanzeige des Beschwerdeführers und seinem Asyl- bzw. Ausländerverfahren belegen, muss von der Vorinstanz bzw. dem Verwaltungsgericht nicht geklärt werden. Für die Prüfung, ob nicht öffentliche schutzwürdige private Interessen gegenüber den Interessen der Strafrechtspflege überwiegen, ist zunächst festzustellen, ob grundsätzlich ein Interesse der Strafrechtspflege am Aktenbeizug besteht. In der Folge hat die Abwägung der Interessen zu erfolgen.

An der sorgfältigen und umfassenden Klärung der strafrechtlichen Belange besteht ein erhebliches öffentliches Interesse. Auch ist möglich, dass ein innerer Zusammenhang zwischen der Strafanzeige und dem Asylverfahren mit Auswirkungen auf die strafgerichtliche Beurteilung besteht. Der Wegweisungsvollzug wurde aufgrund des Strafverfahrens mehrmals sistiert. Ein Ausschluss eines Zusammenhangs zwischen Strafanzeige und Asylverfahren ergibt sich entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers auch nicht aus dem zeitlichen Ablauf des Straf- und des Asylverfahrens. Die Strafanzeige wurde zwar vor Erlass des ablehnenden Entscheids der Asylrekurskommission vom 10. Mai 2006 erhoben. Das Asylverfahren wurde jedoch am 17. Oktober 2002 eingeleitet und das Gesuch mit Verfügung vom 7. Oktober 2003 erstmals abgelehnt. Nicht zutreffend ist weiter die Behauptung des Beschwerdeführers, alle relevanten ausländerrechtlichen Eingaben seien vor Erhebung der Strafanzeige ergangen. Die Gesuche zuhanden des Bundesamts für Migration um Sistierung des Wegweisungsvollzugs aufgrund des Strafverfahrens wurden offensichtlich nach Einreichung der Strafanzeige gestellt. Welche Eingaben zu welchem Zeitpunkt beim Bundesamt für Migration bzw. bei der Schweizerischen Asylrekurskommission gemacht wurden, ist aus den restlichen, nicht streitigen Akten des Ausländeramts nicht ersichtlich. Im übrigen kann es von Bedeutung sein, weshalb der Beschwerdeführer die Strafanzeige erst rund zwei Jahre nach den in der Strafanzeige geltend gemachten Taten einreichte. Auch das Aussageverhalten im Asylverfahren kann möglicherweise für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers von Bedeutung sein.

Der Beizug der streitigen Akten ist für die gerichtliche Beurteilung eines möglichen Motivationszusammenhangs zwischen der Strafanzeige und dem Asylverfahren und somit für die Klärung der vorgeworfenen Straftaten durchaus geeignet.

Öffentliche Interessen, die einer Herausgabe der Akten entgegenstehen würden, sind nicht ersichtlich.

Unbestreitbar bestehen schutzwürdige private Interessen des Beschwerdeführers an der Zurückhaltung der Akten aus dem Asylverfahren. Erhebungen im Rahmen eines Asylverfahrens betreffen regelmässig persönliche Angaben bzw. das Asylgesuch an sich berührt schon einen schutzwürdigen Bereich des Gesuchstellers. Insbesondere befinden sich in den streitigen Akten persönliche Angaben betreffend den psychischen und physischen Zustand sowie betreffend die politischen Ansichten des Beschwerdeführers. Auch ist zu berücksichtigen, dass mit dem Beizug der Akten durch den Untersuchungsrichter die Akten des Verwaltungsverfahrens zu Strafakten werden (GVP 1990 Nr. 78). Gemäss st. gallischem Strafprozessrecht besteht – mit Ausnahme von ärztlichen Gutachten – ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht der Parteien (Oberholzer, a.a.O., Rz. 392), aus dem eine gewisse Öffentlichkeit der schützenswerten Angaben betreffend den Beschwerdeführer folgt.

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass die Wahrheitsfindung im Strafprozess von wesentlicher Bedeutung ist und wesensbedingt regelmässig die Einschränkung der Privatsphäre von Beteiligten – insbesondere auch des Opfers - bedingt. Vorliegend werden keine solch bedeutenden und konkreten privaten Interessen des Beschwerdeführers tangiert, die das öffentliche Interesse der Strafrechtspflege überwiegen. Die Beschwerde ist somit als unbegründet abzuweisen.

4. Dem Beschwerdeführer wurde die unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung gewährt. Amtliche Kosten sind daher keine zu erheben (Art. 99 VRP in Verbindung mit Art. 282 Abs. 1 lit. b des Zivilprozessgesetzes, sGS 961.2).

Der Anspruch des Rechtsbeistands des Beschwerdeführers gegenüber dem Staat aus dem Beschwerdeverfahren ist auf Fr. 1'000.-- zuzügl. MWSt festzusetzen (Art. 282 Abs. 1 lit. c ZPG in Verbindung mit Art. 6 und 22 Abs. 1 lit. b der Honorarordnung für Rechtsanwälte und Rechtsagenten, sGS 963.75; Art. 31 Abs. 3 des Anwaltsgesetzes, sGS 963.70).

Demnach hat das Verwaltungsgericht

zu Recht erkannt:

  1. ./ Die Beschwerde wird abgewiesen.

  2. ./ Amtliche Kosten werden keine erhoben.

  3. ./ Der Anspruch des Rechtsbeistands aus der Vertretung im Beschwerdeverfahren

beträgt Fr. 1'000.-- zuzügl. MWSt.

V. R. W.

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Versand dieses Entscheides an:

  • den Beschwerdeführer (durch Rechtsanwalt F.)

  • die Vorinstanz

  • die Beschwerdebeteiligte

am:

Rechtsmittelbelehrung:

Sofern eine Rechtsverletzung nach Art. 95 ff. BGG geltend gemacht wird, kann gegen diesen Entscheid gestützt auf Art. 82 lit. a BGG innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde erhoben werden.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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