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Urteil Verwaltungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:B 2008/38
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2008/38 vom 22.05.2008 (SG)
Datum:22.05.2008
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Urteil Politische Rechte, Art. 44 KV (sGS 111.1), Art. 36 RIG (sGS 125.1). Die Initiative "Unsere Regeln gelten für alle" lässt für die vom Verfassungsrecht zwingend vorgesehene Interessenabwägung im Einzelfall keinen Raum und wirkt damit auf eine Gesetzgebung hin, die mit der verfassungsrechtlich verankerten Religionsfreiheit sowie dem Gleichbehandlungsgebot nicht vereinbar ist. Sie wurde deshalb von der Regierung zu Recht für ungültig erklärt (Verwaltungsgericht, B 2008/38).
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 15 BV ; Art. 34 BV ; Art. 36 BV ; Art. 62 BV ; Art. 72 BV ; Art. 8 BV ; Art. 95 BGG ;
Referenz BGE:117 Ia 311; 119 Ia 184; 123 I 300; 124 I 118; 129 I 395; 131 V 114; 132 I 169;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
Politische Rechte, Art. 44 KV (sGS 111.1), Art. 36 RIG (sGS 125.1). Die Initiative "Unsere Regeln gelten für alle" lässt für die vom Verfassungsrecht zwingend vorgesehene Interessenabwägung im Einzelfall keinen Raum und wirkt damit auf eine Gesetzgebung hin, die mit der verfassungsrechtlich verankerten Religionsfreiheit sowie dem Gleichbehandlungsgebot nicht vereinbar ist. Sie wurde deshalb von der Regierung zu Recht für ungültig erklärt (Verwaltungsgericht, B 2008/38).

Urteil vom 22. Mai 2008

Anwesend: Präsident Prof. Dr. U. Cavelti; Verwaltungsrichter Dr. E. Oesch-Frischkopf, lic. iur. A. Linder, Dr. B. Heer, lic. iur. A. Rufener; Gerichtsschreiberin Dr. R. Hirt

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In Sachen

Initiativkomitee "Unsere Regeln gelten für alle",, Beschwerdeführer,

A.,

B.,

C.,

alle vertreten durch X. gegen

Regierung des Kantons St. Gallen,Regierungsgebäude, 9001 St. Gallen,

Vorinstanz,

betreffend

Zulässigkeit des Initiativbegehrens

hat das Verwaltungsgericht festgestellt:

  1. ./ Mit Eingabe vom 28. November 2007 unterbreitete das Initiativkomitee "Unsere

    Regeln gelten für alle", Wil, der Regierung folgendes Initiativbegehren zur Vorprüfung: "Initiativtext

    Der Kanton St. Gallen sorgt dafür, dass in den öffentlichen Schulen gleiche Rechte und Pflichten für alle Schülerinnen und Schüler gelten, unabhängig von Religion und Geschlecht. Ebenso festzulegen sind Sanktionen gegen die gesetzlichen Vertreter von Schülerinnen und Schüler, die sich nicht an diese Rechte und Pflichten halten.'

    Begründung:

    Die Tatsache, dass heute muslimische Schülerinnen und Schüler sich zum Beispiel während der Fastenzeit vom Turnunterricht oder von Schülerreisen dispensieren lassen, den Schwimmunterricht nicht besuchen, dass schulhausinterne Regeln betreffend Kopfbedeckungen (Käppli während dem Unterricht abnehmen) im Fall eines Kopftuches nicht durchgesetzt werden, führt mitunter zur Ausgrenzung einzelner Kinder in unserer Gesellschaft. Dies, obwohl die Klassenlehrpersonen die Umstände thematisieren, um die fehlende Integration besorgt sind und den betroffenen Schülerinnen und Schülern in der sozialen Führung spezielles Augenmerk widmen. Nicht ohne Grund wird daher das Tragen des Kopftuches, das Tolerieren von Schulabsenzen aus kulturellen/religiösen Gründen von Experten, auch muslimischen, ausnahmslos abgelehnt.

    Selbst in laizistischen islamischen Staaten (Türkei) gilt ein Kopftuchverbot in der Schule. Die Gleichbehandlung aller Schülerinnen und Schüler ist mit dem Islam vereinbar; nicht aber mit dessen fundamentalistischen Strömungen, welche in unserem Land nicht zu tolerieren sind. Dies sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Eine neu zu schaffende ausdrückliche gesetzliche Grundlage bietet die Pflicht, unsere Regeln und Wertordnung durchzusetzen."

    Dem Initiativkomitee gehören 15 Personen an.

  2. ./ Am 5. Dezember 2007 überwies das Departement des Innern das Initiativbegehren an das Bildungsdepartement zur Prüfung und Antragsstellung an die Regierung hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit des Begehrens. Mit Beschluss vom 22. Januar 2008 verneinte die Regierung die Zulässigkeit des eingereichten Initiativbegehrens. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, dass das Begehren nicht anders interpretiert werden könne, als dass die Verwirklichung des Grundrechtsanspruchs von

    Art. 15 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (SR 101, abgekürzt BV) bzw. Art. 2 Bst. i der Verfassung des Kantons St. Gallen (sGS 111.1, abgekürzt KV) generell verhindert werden soll. Würde die Initiative angenommen, müsste insbesondere die Teilnahme religiöser Minderheiten an spezifischen Feiertagen unterbunden werden; zudem würden verhältnismässige Konzessionen innerhalb des Unterrichts verunmöglicht. Auch verletze das Initiativbegehren durch die geforderte absolute Gleichbehandlung das Differenzierungsgebot gemäss Art. 8 BV bzw. Art. 2 Bst. b KV.

  3. ./ Mit Eingabe vom 11. Februar 2008 erhoben das Initiativkomitee und sieben Komiteemitglieder Beschwerde beim Verwaltungsgericht mit den Begehren, der Entscheid der Regierung vom 22. Januar 2008 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass der Initiativtext "Unsere Regeln gelten für alle" nicht unzulässig sei (Ziff. 1), die Regierung habe die Initiative bezüglich den übrigen Voraussetzungen (Durchführbarkeit, Einheit der Materie und der Form, formale Voraussetzungen) zu prüfen und erneut zu entscheiden (Ziff. 2). Zur Begründung wurde geltend gemacht, dass es sich um eine Einheitsinitiative handle, welche genügend Spielraum lasse, um eine verfassungskonforme Vorlage auszuarbeiten. Die Initiative ziele einzig auf eine materielle Rechtsgleichheit ab. Gleiche Rechte und Pflichten zu haben bedeute im Prinzip nichts anderes als ein Diskriminierungsverbot. Durch die Initiative sollten allgemein gültige Grundsätze im Bereich der Schule angeregt werden, um die heute bestehende Willkür bei der Abwägung der Wertpositionen der kulturellen Freiheit, der Integrationsförderung und der öffentlichen Interessen zu verhindern. Die heutige Praxis mit Entscheiden von Fall zu Fall und unterschiedlichen Handhabungen in den einzelnen Schulgemeinden sei ungerecht. Die Initianten verweisen zudem auf die vom Kanton Solothurn erlassenen Richtlinien zum Umgang mit Fragen zur Religion in der Schule. Auch im Kanton St. Gallen müsse der Erlass solcher allgemein gültiger Regeln zulässig sein. Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, dass sich das offen formulierte Initiativbegehren durchaus verfassungskonform umsetzen lasse und dadurch der religiöse Friede, ein geordneter Anstaltsbetrieb, die Rechtsgleichheit und die Rechtssicherheit im Rahmen des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit gestärkt würden.

Die Regierung nahm am 22. Februar 2008 zur Beschwerde Stellung und beantragt ihre Abweisung. Der rigide Text, der an den öffentlichen Schulen gleiche Rechte und Pflichten für alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von Religion und Geschlecht verlange, könne ungeachtet den Ausführungen des Initiativkomitees in der Beschwerdeschrift nicht verfassungskonform interpretiert werden.

Das Initiativkomitee und die sieben Komiteemitglieder verzichteten in der Folge auf eine weitere Stellungnahme.

Mit Schreiben vom 17. April 2008 forderte das Verwaltungsgericht die Mitglieder des Initiativkomitees auf, eine Beschwerde einzureichen, die von sämtlichen Komiteemitgliedern unterzeichnet ist. Mit Eingaben vom 28. April und 5. Mai 2008 wurde diesem Ersuchen entsprochen.

Darüber wird in Erwägung gezogen:

1. Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 59bis Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt VRP). Die Beschwerde wurde einerseits im Namen des Initiativkomitees "Unsere Regeln gelten für alle" und anderseits im Namen der 15 Mitglieder des Komitees eingereicht. Während die Mitglieder des Initiativkomitees zur Ergreifung des Rechtsmittels legitimiert sind (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 VRP) und eine notwendige Streitgenossenschaft bilden, handelt es sich beim Initiativkomitee um eine Personenvereinigung, der das Gesetz nicht ausdrücklich die Fähigkeit zur Prozessführung im eigenen Namen einräumt (vgl. Art. 8 VRP). Das Komitee ist deshalb selbständig nicht beschwerdeberechtigt. Auf die Beschwerde des Komitees kann deshalb nicht eingetreten werden. Im übrigen entspricht die Beschwerdeeingabe vom

11. Februar 2008 zeitlich, formal und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 VRP).

Auf die Beschwerde der Mitglieder des Initiativkomitees ist einzutreten.

  1. Zu prüfen ist, ob das Initiativbegehren "Unsere Regeln gelten für alle" von der Regierung zu Recht als verfassungswidrig und dementsprechend als ungültig erklärt wurde.

    1. Gemäss Art. 44 KV i.V.m. Art. 36 des Gesetzes über Referendum und Initiative (sGS 125.1, abgekürzt RIG) ist eine Volksinitiative ganz oder teilweise für ungültig zu erklären, wenn sie gegen übergeordnetes Recht verstösst, undurchführbar ist oder die Einheit der Materie oder der Form nicht wahrt. Für sämtliche kantonalen Initiativen hat das gesamte Bundesrecht (Bundesverfassung, Gesetze, Verordnungen,

      Gewohnheitsrecht) einschliesslich des Völkerrechts als übergeordnetes Recht zu gelten. Eine kantonale Gesetzesinitiative ist zudem dem Verfassungsrecht des Kantons, dem interkantonalen Recht sowie Staatsverträgen, die vom Kanton abgeschlossen wurden, unterstellt (BGE 1P.451/2006 vom 28. Februar 2007 E. 2.1; BGE 124 I 118

      E. 5b; 119 Ia 157 E. 2b mit Hinweisen). Ein Widerspruch zum übergeordneten Recht liegt vor, wenn das Initiativbegehren dazu führt, dass das höherrangige Recht nicht angewendet oder aufgehoben würde. Dies unabhängig davon, ob die Kollision lediglich einen konkreten Einzelfall oder eine Vielzahl von Konstellationen betrifft. Aufgrund der derogatorischen Kraft des Bundesrechts hat auch eine Initiative, die übergeordnetes Recht unnötig wiederholt, als unzulässig zu gelten (vgl. Hangartner/Kley, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, Rz. 2118 ff.).

      Die Behörde, die sich über die materielle Gültigkeit einer Initiative ausspricht, hat diese nach den anerkannten Interpretationsgrundsätzen auszulegen. Grundsätzlich ist vom Wortlaut der Initiative auszugehen. Massgebend ist dabei, wie der Initiativtext von den Stimmberechtigten und den späteren Adressaten des vorgeschlagenen Erlasses vernünftigerweise verstanden werden muss. Vorrangig ist der Text deshalb aus sich selbst heraus und nicht nach dem subjektiven Willen der Initianten zu interpretieren (Hangartner/Kley, a.a.O., Rz. 2124). Eine allfällige Begründung des Volksbegehrens und Meinungsäusserungen der Initianten dürfen allerdings mitberücksichtigt werden. Es ist von verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten jene zu wählen, welche einerseits dem Sinn und Zweck der Initiative am besten entspricht, anderseits im Sinne der verfassungs- und bundesrechtskonformen Auslegung mit dem übergeordneten Recht von Bund und Kanton vereinbar erscheint. Eine Initiative ist dann als gültig zu erklären und der Volksabstimmung zu unterstellen, wenn ihr ein Sinn beigemessen werden kann, der sie nicht klarerweise als unzulässig erscheinen lässt (BGE 129 I 395 E. 2.2 mit Hinweisen; Hangartner/Kley, a.a.O., Rz. 2124 ff.; L. Odermatt, Ungültigerklärung von Volksinitiativen, in: AJP 1996, S. 710 724, S. 715). Der Grundsatz der

      Verhältnismässigkeit verlangt zudem, dass bei einer als mit höherrangigem Recht nicht vereinbar beurteilten Initiative geprüft wird, ob eine Teilungültigkeit angenommen werden kann.

        1. Das zu beurteilende Initiativbegehren ist insbesondere auf seine Übereinstimmung

          mit dem Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV) zu prüfen.

          1. Die in Art. 15 neues Fenster BV verankerte und in Art. 2 Abs. 1 lit. i KV wiederholte Glaubens- und Gewissensfreiheit schützt den Einzelnen im Grundsatz vor jeder Einflussnahme des Staates auf seine religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen. Die Religionsfreiheit umfasst sowohl die innere Freiheit zu glauben, nicht zu glauben oder die religiöse Anschauung zu ändern, wie auch die äussere Freiheit, entsprechende Überzeugungen innerhalb gewisser Schranken zu äussern, zu praktizieren und zu verbreiten (BGE 123 I 300 E. 2b/aa; 119 Ia 184 E. 4c). Sie enthält den Anspruch des Einzelnen darauf, sein Verhalten grundsätzlich nach den Lehren des Glaubens auszurichten und den Glaubensüberzeugungen gemäss zu handeln. Zur derart gewährleisteten Religionsausübung zählen über kultische Handlungen hinaus auch die Beachtung religiöser Gebräuche und andere Äusserungen des religiösen Lebens, soweit solche Verhaltensweisen Ausdruck der religiösen Überzeugung sind (vgl. zuletzt BGE 1D_12/2007 vom 27. Februar 2008 E. 2.3 sowie BGE 123 I 300 E. 2b/ aa; 119 Ia 184 E. 4c). Art. 15 Abs. 4 BV unterstreicht zudem den negativen Schutzbereich der Religionsfreiheit. Der Staat hat sich jeder direkten oder indirekten Beeinflussung des Einzelnen im Bereich religiöser oder weltanschaulicher Fragestellungen zu enthalten. Die konfessionelle Neutralität verpflichtet den Staat jedoch nicht zu einem Ausschluss des Religiösen aus dem staatlichen Handlungsbereich, sondern zur Unparteilichkeit gegenüber den in einer pluralistischen Gesellschaft bestehenden religiösen und weltanschaulichen Auffassungen. Dadurch soll der konfessionelle Friede gesichert und die religiöse Entfaltung des Einzelnen unterstützt werden. Die Einhaltung der konfessionellen Neutralität setzt stets eine Abwägung und Prüfung der in Frage stehenden individualrechtlichen Ansprüche sowie der teilweise gegenläufigen öffentlichen Interessen voraus (B. Ehrenzeller, Glauben, Gewissen und Weltanschauung, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Grundrechte in der Schweiz und in Liechtenstein, Bd. VII/2, Heidelberg 2007, § 212

            N. 23 und 29 ff.; Kiener/Kälin, Grundrechte, Bern 2007, S. 269, mit Hinweisen). Unter

            dem Schutz der Religionsfreiheit stehen nicht nur die traditionellen Glaubensformen der christlich-abendländischen Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern alle Religionen, unabhängig von ihrer quantitativen Verbreitung in der Schweiz (BGE 119 Ia 184 E. 4b; 123 I 300 E. 2b/aa).

            Die konfessionelle Neutralität erhält besonderes Gewicht im Bereich der öffentlichen Schule. Der Unterricht ist für alle Personen, unabhängig ihrer religiösen und weltanschaulichen Überzeugung, obligatorisch. Die Verpflichtung zur konfessionellen Neutralität macht im schulischen Bereich insbesondere eine Abwägung der individualrechtlichen Ansprüche der Schüler, Eltern und der Lehrkräfte einerseits und der öffentlichen Interessen an der Durchsetzung des Schulobligatoriums (Art. 62 Abs. 2 BV), der Sicherung eines geordneten und effizienten Schulbetriebs sowie an der Erhaltung des konfessionellen Friedens (Art. 72 Abs. 2 BV) andererseits erforderlich (GVP 2005 Nr. 86; Tappenbeck/Pahud de Mortanges, Religionsfreiheit und religiöse Neutralität in der Schule, in: AJP 2007, S. 1401 1414, S. 1403 ff. und S. 1413; Kiener/ Kälin, a.a.O., S. 269 ff.; Häfelin/Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 6. Aufl., Zürich 2005, N 405 ff.; U.J. Cavelti, in: St. Galler Kommentar zur BV, Zürich 2002, N 23 zu Art. 15 BV; J.P. Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 83).

          2. Ein Initiativbegehren in Form der Einheitsinitiative (Art. 43 KV; Art. 53bis ff. RIG) belässt dem Kantonsrat bei der Umsetzung einen grossen Spielraum, um einen mit dem übergeordneten Recht in Einklang stehenden Gesetzestext zu formulieren. Dementsprechend sind an die Ungültigerklärung einer Volksinitiative in dieser Form strenge Anforderungen zu stellen.

            Das hier in Frage stehende Initiativbegehren kann, wenn auf die erläuternden Ausführungen der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift abgestellt wird, als Anstoss zur Schaffung von Leitlinien für den Umgang mit der zunehmenden Pluralisierung der religiösen Ausrichtung von Schülerinnen und Schülern verstanden werden. So interpretiert würde das Initiativbegehren auf Richtlinien zur Abwägung der in verschiedenen Konstellationen im schulischen Bereich voraussichtlich in Frage stehenden Interessen der Schülerinnen und Schüler fremder Religionen wie auch der betroffenen öffentlichen Interessen hinwirken. Die Beschwerdeführer verweisen in ihrer Beschwerdeschrift denn auch ausdrücklich auf die vom Kanton Solothurn verfassten

            Richtlinien für den Umgang mit Fragen der Religion in der Schule. Der Kanton Solothurn liess sich vom Grundsatz leiten, dass in der obligatorischen Schule gleiche Rechte und Pflichten für alle gelten sollen, unabhängig von ihrer Religion. Gleichzeitig wird aber auch festgehalten, dass die Schule so weit als möglich darauf Rücksicht nehmen soll, dass Schülerinnen und Schüler ihre religiösen Pflichten erfüllen können. Dementsprechend differenziert wurden die verschiedenen Empfehlungen zu Fragen der Bekleidungsvorschriften, der Dispensation vom Unterricht oder von Klassenlagern sowie dem Gestalten von christlichen Feiertagen formuliert. Die Beschwerdeführer sprechen sich in der Beschwerdeschrift verschiedentlich für die Einhaltung der Religionsfreiheit und der Gleichbehandlung aller Schülerinnen und Schüler aus und zitieren verschiedene Aufsätze, die sich für eine differenzierte Abwägung der im Einzelfall in Frage stehenden Interessen aussprechen. Würde das Initiativbegehren in diesem Sinn verstanden, wäre das aus der verfassungsrechtlich gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit fliessende Neutralitätsgebot des Staates in keiner Art und Weise beeinträchtigt.

            Massgebend für die Auslegung eines Initiativbegehrens ist jedoch in erster Linie der Initiativtext. Dieser verlangt, dass sämtlichen Schülerinnen und Schülern die gleichen Rechte und Pflichten zukommen, unabhängig von Religion und Geschlecht. Als Sinn und Zweck des Begehrens erscheint die Durchsetzung einer Gleichbehandlung, die insbesondere Unterschiede hinsichtlich Religion und Weltanschauung zwischen den Schülerinnen und Schülern ausblenden soll. Sämtliche Schülerinnen und Schüler sollen jenen Regeln unterworfen werden, die für "uns", d.h. für eine durch die christlich- abendländische Kultur geprägten Bevölkerungsmehrheit, gelten. Die Beschwerdeführer halten in ihrer Begründung denn auch ausdrücklich fest, dass die neu zu schaffende gesetzliche Grundlage die Möglichkeit biete, "unsere Regeln und Wertordnung durchzusetzen." Weder der Initiativtext noch seine Begründung enthalten einen Vorbehalt, wonach eine Abwägung der in Frage stehenden Interessen möglich bleiben soll. Wie aus der Beschwerdeschrift hervor geht, soll vielmehr an Stelle der von den Beschwerdeführern als willkürlich empfundenen Abwägung von Fall zu Fall eine einheitliche Regelung treten, die sämtlichen Schülerinnen und Schülern unbesehen ihrer religiösen Ausrichtung die gleichen Rechte und Pflichten auferlegt.

            Eine strikte Gleichbehandlung von Schülern unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit ist dazu geeignet, die Möglichkeit der Betroffenen, ihr Verhalten nach den Lehren ihres Glaubens auszurichten und ihren Glaubensüberzeugungen gemäss zu handeln, erheblich einzuschränken. Dies kann sowohl die Möglichkeit betreffen, an religiösen Feiertagen mitzuwirken, die nicht auf Sonn- oder Feiertage fallen, wie auch die Einhaltung von religiösen Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften beeinträchtigen. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit verbietet nicht, sämtlichen Schülerinnen und Schülern grundsätzlich die gleichen schulischen Pflichten aufzuerlegen. Die sich daraus ergebenden Beschränkungen der Religionsfreiheit bedürfen aber stets einer Rechtfertigung entsprechend den Vorgaben von Art. 36 BV. Erforderlich ist demnach insbesondere eine Gesamtwürdigung und Abwägung der im konkreten Einzelfall in Frage stehenden individuellen und öffentlichen Interessen (vgl. GVP 2005 Nr. 86; BGE 117 Ia 311; 114 Ia 129). Die von der Initiative geforderte strikte Gleichbehandlung lässt für eine solche Abwägung im Einzelfall jedoch keinen Raum. Zu Recht hat die Regierung darauf hingewiesen, dass dadurch Schülerinnen und Schülern die Teilnahme an religiösen Feiertagen kategorisch verweigert werden müsste und verhältnismässige Konzessionen innerhalb des Unterrichts verunmöglicht würden. Sowohl ein generelles Kopftuchverbot für Schülerinnen während des Unterrichts als auch die pauschale Verweigerung einer Bewilligung für Schulabsenzen während eines religiösen Feiertages stellt eine rechtfertigungsbedürftige Verletzung der Religionsfreiheit dar. Erforderlich und von der entscheidenden Behörde deshalb stets darzutun ist ein überwiegendes öffentliches Interesse, das die konkreten Beschränkungen als verhältnismässig erscheinen lässt. Da der Initiativtext für eine solche Abwägung keinen Raum lässt, würde die Umsetzung der Initiative zu nicht gerechtfertigten Eingriffen in die positiven und negativen Gehalte der Religionsfreiheit führen.

        2. Fraglich ist zudem die Vereinbarkeit des Initiativbegehrens mit dem Gebot der

          Gleichbehandlung (Art. 8 BV).

          1. Gemäss Art. 8 Abs. 1 BV sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Die Rechtsgleichheit gilt nach dem klaren Wortlaut auch für Ausländer (Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I 142). Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz weist zwei wesentliche Gehalte auf. Einerseits ist Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich (Gleichheitsgebot), andererseits Ungleiches nach

      Massgabe seiner Ungleichheit ungleich (Differenzierungsgebot) zu behandeln. Sowohl für eine Gleichbehandlung wie auch für eine Ungleichbehandlung müssen demnach sachliche Gründe vorliegen (statt vieler BGE 131 V 114 E. 3.4.2; Kiener/Kälin, a.a.O., S. 346 f.).

      Art. 8 Abs. 2 BV beinhaltet zudem ein Diskriminierungsverbot, wonach niemand wegen den exemplarisch genannten Kriterien ungleich behandelt werden darf. Die Diskriminierung stellt eine qualifizierte Art der Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen dar, indem sie eine Benachteiligung eines Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an ein Unterscheidungsmerkmal anknüpft, das einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betreffenden Person ausmacht. Eine indirekte oder mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Regelung, die keine offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung geschützten Gruppen enthält, in ihren tatsächlichen Auswirkungen jedoch Angehörige einer solchen Gruppe besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre (BGE 132 I 169 E. 3; Kiener/ Kälin, a.a.O., S. 359 ff.).

      2.3.2. Die von der Initiative geforderte Gleichbehandlung von Schülerinnen und Schülern sowohl hinsichtlich Religion als auch Geschlecht entspricht grundsätzlich dem in Art. 8 Abs. 2 und 3 BV explizit enthaltenen Diskriminierungsverbot. Insbesondere hinsichtlich des Kriteriums der Religion geht aus dem Initiativtext wie auch aus der Begründung hervor, dass nicht eine relative Gleichheit hinsichtlich schulischer Rechte und Pflichten verlangt wird. Vielmehr soll die Religion als Kriterium für eine unterschiedliche Behandlung der Kinder von vornherein ausscheiden. Die Beschwerdeführer gehen davon aus, dass dadurch eine materielle Rechtsgleichheit verwirklicht und das Verbot der Diskriminierung beachtet werde. Die Beschwerdeführer lassen dabei jedoch unberücksichtigt, dass beispielsweise eine gesetzliche Regelung, die eine Schulabsenz aufgrund eines religiösen Feiertages oder das Tragen von Kopfbedeckungen während des Unterrichts grundsätzlich verbietet, bei einer gleichen Anwendung auf sämtliche Schülerinnen und Schüler, zu einer indirekten Diskriminierung führen kann. Schülern, die nicht dem christlichen Glauben angehören, wird dadurch verwehrt, an religiösen Feiern, die nicht auf Sonn- oder Feiertage fallen, teilzunehmen oder religiösen Bekleidungsvorschriften nachzukommen, während

      Schüler des christlichen Glaubens durch diese Regelung bei ihrer Glaubensausübung nicht beeinträchtigt werden, da ihre Feiertage ohnehin schulfrei sind und der christliche Glaube keine Kopfbedeckung vorschreibt. Obwohl diese Regelungen keine offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung geschützter Gruppen enthalten, sind sie dazu geeignet in ihrer tatsächlichen Auswirkung Angehörige einer solchen Gruppe zu benachteiligen. Die absolute Gleichbehandlung der Kinder hinsichtlich ihrer schulischen Pflichten und Rechte unbesehen ihrer Religion und ihres Geschlechts kann damit zu einer rechtfertigungsbedürftigen indirekten Diskriminierung führen. Diese Rechtfertigung bedarf wiederum einer Untersuchung der durch die in Frage stehende Regelung verfolgten Ziele (sachliche Gründe) sowie der Verhältnismässigkeit der Diskriminierung in bezug auf diese Ziele. Das hier vorliegende Begehren auf Schaffung einer gesetzlichen Regelung, die eine strikte Gleichbehandlung der Schülerinnen und Schüler vorsehen soll, lässt für eine solche Interessenabwägung bei der Rechtsetzung und Rechtsanwendung keinen Raum.

      2.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der vorliegende Initiativtext der Legislative keinen Freiraum lässt, um eine Regelung auszuarbeiten, die eine Abwägung der in verschiedenen Konstellationen in Frage stehenden Interessen der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Eltern einerseits sowie der öffentlichen Interessen anderseits vorsieht. Ein Vorbehalt zugunsten einer Abwägung der Interessen von Fall zu Fall würde dem Bestreben der Initianten, wie es im Initiativtext zum Ausdruck kommt und in der Beschwerdeschrift verdeutlicht wird, entgegenlaufen. Jede Beeinträchtigung der Religionsfreiheit bedarf gemäss Art. 36 BV einer Verhältnismässigkeitsprüfung und die Verletzung des Differenzierungsgebots hinreichende sachliche Gründe. Indem die Initiative für die vom Verfassungsrecht zwingend vorgesehene Interessenabwägung im Einzelfall keinen Raum lässt, wirkt sie auf eine Gesetzgebung hin, die mit der verfassungsrechtlich verankerten Religionsfreiheit sowie dem Gleichheitsgebot nicht vereinbar ist. Sie wurde deshalb von der Regierung zu Recht für ungültig erklärt, und die Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen.

  2. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten den

Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von

Fr. 2'000.-- ist angemessen (Ziff. 382 des Gerichtskostentarifs, sGS 941.12). Auf die

Erhebung der Kosten wird mit Blick auf die grundrechtliche geschützte Betätigung der

Beschwerdeführer (vgl. Art. 34 BV) verzichtet (Art. 97 VRP).

Ausseramtliche Kosten sind nicht zu entschädigen (Art. 98 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 98bis VRP).

Demnach hat das Verwaltungsgericht

zu Recht erkannt:

  1. ./ Auf die Beschwerde des Initiativkomitees wird nicht eingetreten.

  2. ./ Die Beschwerde der Mitglieder des Initiativkomitees wird abgewiesen.

  3. ./ Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 2'000.-- werden den

    Beschwerdeführern auferlegt. Auf die Erhebung wird verzichtet.

  4. ./ Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.

V. R. W.

Der Präsident:

Die Gerichtsschreiberin:

Versand dieses Entscheides an:

  • die Beschwerdeführer (durch X.)

  • die Vorinstanz

am:

Rechtsmittelbelehrung:

Sofern eine Rechtsverletzung nach Art. 95 ff. BGG geltend gemacht wird, kann gegen diesen Entscheid gestützt auf Art. 82 lit. c BGG innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde erhoben werden.

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Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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