Zusammenfassung des Urteils B 2006/125, B 2006/126: Verwaltungsgericht
X., eine alleinerziehende Mutter, hat gegen das Kantonale Steueramt des Kantons St. Gallen bezüglich der Revision der Steuerjahre 2001, 2002 und 2003 geklagt. Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die gesetzliche Regelung des Kantons St. Gallen zur Besteuerung von Einelternfamilien verfassungswidrig ist. Das Bundesgericht wies die Beschwerde des Kantonalen Steueramtes ab. Die Regierung erliess daraufhin eine Verordnung zur Änderung des Steuergesetzes. X. beantragte die Revision ihrer Veranlagungen, die jedoch abgelehnt wurde. Das Verwaltungsgericht entschied, dass X. die Rügen im ordentlichen Rechtsmittelverfahren hätte vorbringen können und wies die Beschwerde ab. Die Kosten des Verfahrens wurden X. auferlegt. Der Entscheid kann beim Schweizerischen Bundesgericht angefochten werden.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | B 2006/125, B 2006/126 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 19.10.2006 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | EntscheidUrteil vom 19. Oktober 2006 |
Schlagwörter: | Recht; Revision; Veranlagung; Steueramt; Eineltern; Kanton; Steuerjahr; Revisionsgr; Rechtsgleichheit; Bundes; Vorinstanz; Entscheid; Veranlagungen; Einelternfamilien; Kantonale; Steuerjahre; Verwaltungsgericht; Pflichtige; Regel; Regelung; Vollsplitting; Grundsatz; Einelternabzug; Veranlagungsstopp; Revisionsbegehren; Rechtsmittelverfahren |
Rechtsnorm: | Art. 205b DBG ;Art. 29 BV ;Art. 4 BV ;Art. 5 BV ;Art. 8 BV ; |
Referenz BGE: | 111 V 405; 122 II 18; 122 II 276; 131 II 697; |
Kommentar: | - |
In Sachen
X.,
Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. A., gegen
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen,
Abteilung I/1, Unterstrasse 28, 9001 St. Gallen,
Vorinstanz, und
Kantonales Steueramt, Davidstrasse 41, 9001 St. Gallen,
Beschwerdeführer und Beschwerdegegner,
vertreten durch den Amtsleiter-Stellvertreter, lic. iur. Hubert Hofmann,
betreffend
Revision des Steuerjahres 2001 (Nichteintreten) und Revision der Steuerjahre 2002 und 2003 hat das Verwaltungsgericht festgestellt:
./ X. wohnt mit ihren beiden Kindern in B., wo sie eine Teilzeittätigkeit als kaufmännische Angestellte ausübt. Sie wurde am 17. Juni 2002 für das Jahr 2001 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 30'200.-- und ohne steuerbares Vermögen zum Tarif für Alleinstehende veranlagt. Der pauschale Einelternabzug nach Art. 48 Abs. 1 lit. c des Steuergesetzes (sGS 811.1, abgekürzt StG) wurde nicht abgerechnet.
Am 16. Februar 2004 bzw. am 26. April 2004 wurde X. für die Jahre 2002 und 2003 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 16'500.-- bzw. Fr. 17'600.--, jeweils ohne steuerbares Vermögen, zum Tarif für Alleinstehende veranlagt. Der pauschale Einelternabzug wurde in beiden Jahren gewährt.
Die Veranlagungen für 2001, 2002 und 2003 erwuchsen unangefochten in Rechtskraft.
./ Mit Urteil vom 6. Juli 2004 (B 2004/17, publiziert in: www.gerichte.sg.ch und StE 2004 B 29.3 Nr. 24) stellte das Verwaltungsgericht fest, dass Art. 11 Abs. 1 Satz 2 des Steuerharmonisierungsgesetzes (SR 642.14, abgekürzt StHG) die tarifliche Gleichbehandlung von Eineltern- und Zweielternfamilien vorschreibe. Obwohl diese Bestimmung der Rechtsgleichheit und dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit widerspreche und somit in zweifacher Hinsicht verfassungswidrig sei, gebiete Art. 191 der Bundesverfassung (SR 101, abgekürzt BV) deren Anwendung. Die gesetzliche Regelung des Kantons St. Gallen, wonach nur den gemeinsam steuerpflichtigen Ehegatten das Vollsplitting gewährt werde, widerspreche Art. 11 Abs. 1 StHG. Somit sei die gesetzliche Regelung der Besteuerung von Einelternfamilien im Kanton St. Gallen harmonisierungswidrig, weshalb die Regierung gehalten sei, die erforderlichen Vorschriften zu erlassen, welche die Gleichstellung von Ein- und Zweielternfamilien gewährleisteten. Das Kantonale Steueramt erliess hierauf mit Kreisschreiben an die Gemeindesteuerämter vom 13. Juli 2004 einen Veranlagungsstopp für Einelternfamilien (ABl 2004, S. 1889).
Mit Urteil vom 26. Oktober 2005 wies das Bundesgericht eine vom Kantonalen Steueramt gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts erhobene Beschwerde ab (BGE 131 II 697 ff.).
Am 22. November 2005 erliess die Regierung die Verordnung über die Aenderung des Steuergesetzes (sGS 811.110, abgekürzt VÄStG). Sie hob Art. 48 Abs. 1 lit. c StG, der den pauschalen Einelternabzug enthält, auf und erklärte Art. 50 Abs. 3 StG, der für gemeinsam steuerpflichtige Ehegatten den Steuersatz des halben steuerbaren Einkommens vorsieht, auch für alleinstehende Pflichtige, die mit Kindern unterstützungsbedürftigen Personen zusammenleben und deren Unterhalt zur Hauptsache bestreiten, als anwendbar. Uebergangsrechtlich wurde diese Regelung auf alle am 29. November 2005 noch nicht rechtskräftigen Veranlagungen ab Steuerperiode 2001 anwendbar erklärt.
./ Mit Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 28. Februar 2006 beantragte X. beim Steueramt B., die definitiven Veranlagungen der Staats- und Gemeindesteuern 2001 bis 2003 seien zu revidieren und es sei ihr das Vollsplitting zu gewähren. Sie stützte
sich auf Art. 197 Abs. 1 lit. b StG, da ein Fehler bzw. Irrtum der erkennenden Instanz vorliege, und auf Art. 8 Abs. 1 BV sowie auf den Grundsatz von Treu und Glauben.
Das Kantonale Steueramt trat auf das Revisionsbegehren mit Entscheid vom 7. März 2006 nicht ein. Es erwog, eine Aenderung der Rechtsprechung die gerichtliche Ungültigerklärung der gesetzlichen Grundlage sei keine neue Tatsache im Sinn eines Revisionsgrundes. Alle Alleinerziehenden hätten überdies den Einwand bei zumutbarer Sorgfalt im Rechtsmittelverfahren geltend machen können. Im übrigen sei die Verweigerung der Revision nicht willkürlich.
./ Mit Eingaben ihres Rechtsvertreters vom 6. April und 10. Mai 2006 erhob X. Rekurs bei der Verwaltungsrekurskommission mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, die definitiven Veranlagungen 2001 bis 2003 seien zu revidieren und es sei ihr das Vollsplitting zu gewähren, unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
Die Verwaltungsrekurskommission entschied am 15. Juni 2006 über die Streitsache. Sie erwog, in der Steuererklärung 2001b habe die Pflichtige keinen Einelternabzug geltend gemacht, weshalb davon auszugehen sei, dass im Jahr 2001 die Voraussetzungen für diesen Abzug nicht erfüllt gewesen seien. Bei zumutbarer Sorgfalt hätte im ordentlichen Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden können, dass die Voraussetzungen nach Art. 48 Abs. 1 lit. c StG gegeben seien. Daher sei zu Recht auf das Revisionsgesuch für 2001 nicht eingetreten worden. Weiter hielt aber die Verwaltungsrekurskommission fest, auf das Revisionsbegehren für die Steuerjahre 2002 und 2003 sei zu Unrecht nicht eingetreten worden. An das Mass der zumutbaren Sorgfalt würden zu hohe Anforderungen gestellt, wenn von einer Steuerpflichtigen verlangt würde, sie müsse die gesetzliche Regelung selbst in Frage stellen. Es handle sich nicht um eine Praxisänderung; der Fehler liege im Gesetz selbst. Um einen verfahrensökonomischen Leerlauf zu vermeiden, sei keine Rückweisung zur Revision vorzunehmen, sondern es sei zu prüfen, ob ein Revisionsgrund vorliege ob das Gesuch wegen Fehlens eines solchen abzuweisen sei. Das Urteil des Bundesgerichts stelle keine erhebliche Tatsache bzw. kein entscheidendes Beweismittel im Sinne der gesetzlichen Revisionsgründe dar. Deren Aufzählung im Gesetz sei aber nicht abschliessend. Es sei zu prüfen, ob ein übergesetzlicher Revisionsgrund der Willkür vorliege, weil die fehlende Revisionsmöglichkeit zu einem stossenden, dem
Gerechtigkeitsgedanken krass zuwiderlaufenden Ergebnis führen würde. Materiell könne von einer willkürlichen Veranlagung, die notwendigerweise einer Korrektur bedürfe, nicht gesprochen werden. Im Zeitpunkt des Veranlagungsstopps für Einelternfamilien am 13. Juli 2004 sei der grösste Teil der Veranlagungen von Einelternfamilien der Jahre 2001 und 2002 bereits rechtskräftig gewesen. Vom Vorteil einer Veranlagung der Steuerjahre 2001 und 2002 nach dem Vollsplitting hätten daher nur einige wenige alleinerziehende Pflichtige profitieren können. Diese geringe Zahl abweichender Veranlagungen vermöge die Rechtsgleichheit nicht in stossender Weise zu verletzen. Im Jahr 2003 seien aber nicht nur einzelne, sondern eine grosse Zahl von Einelternfamilien nach dem neuen Recht veranlagt worden. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit dürften die Einelternfamilien in derselben Steuerperiode nicht nach einem unterschiedlichen System besteuert werden. Es widerspreche daher in stossender Weise dem Gleichheitsgebot, wenn der Rekurrentin die Revision für 2003 verweigert würde. Die Sache sei daher bezüglich des Steuerjahres 2003 zur Vornahme der Revision an das Kantonale Steueramt zurückzuweisen.
./ Gegen den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission erhob X. mit Eingaben ihres Rechtsvertreters vom 29. Juni und 14. Juli 2006 Beschwerde beim Verwaltungsgericht mit dem Antrag, der Entscheid sei aufzuheben, soweit für 2001 der Nichteintretensentscheid
bestätigt und für 2002 das Revisionsbegehren abgewiesen und ihr Kosten auferlegt bzw. keine Entschädigung zugesprochen worden sei, und die Streitsache sei zur Vornahme der Revision auch für die Steuerjahre 2001 und 2002 an das Kantonale Steueramt zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
Das Kantonale Steueramt erhob mit Eingabe vom 30. Juni 2006 ebenfalls Beschwerde und beantragte, der Rekursentscheid vom 15. Juni 2006 sei aufzuheben, soweit er die Revision für das Steuerjahr 2003 bejahe, unter Kostenfolge.
Die Vorinstanz beantragt in ihren Vernehmlassungen vom 14. und 31. Juli 2006 die Abweisung der Beschwerden.
Das Kantonale Steueramt schliesst in seiner Vernehmlassung vom 16. August 2006 auf Abweisung der Beschwerde von X., welche ihrerseits mit Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 19. September 2006 die Abweisung der Beschwerde des Kantonalen Steueramtes beantragte.
Auf die von den Verfahrensbeteiligten zur Begründung ihrer Anträge gemachten Ausführungen wird, soweit wesentlich, in den nachstehenden Erwägungen eingegangen.
Darüber wird in Erwägung gezogen:
./ Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 196 Abs. 1 StG; Art. 59 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt VRP). X. ist zur Beschwerdeführung legitimiert, soweit ihr Rekurs gegen den Nichteintretensentscheid betr. das Steuerjahr 2001 (Ziff. 1) und ihr Begehren um Revision des Steuerjahres 2002 (Ziff. 2) abgewiesen und ihr ein Teil der Kosten auferlegt (Ziff. 4) und eine ausseramtliche Entschädigung verweigert wurden (Ziff. 6). Das Kantonale Steueramt ist zur Beschwerde legitimiert, soweit die Revision für das Steuerjahr 2003 zugelassen wurde (Ziff. 3). Die Beschwerdeeingaben entsprechen zeitlich, formal und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (Art. 197 Abs. 3 StG in Verbindung mit Art. 86 und Art. 64 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 und 2 VRP). Auf die Beschwerden ist einzutreten. Aufgrund des engen Sachzusammenhangs sind sie gemeinsam zu behandeln.
./ Nach Art. 197 Abs. 1 StG kann eine rechtskräftige Verfügung ein rechtskräftiger Entscheid auf Antrag von Amtes wegen zugunsten des Steuerpflichtigen revidiert werden, wenn erhebliche Tatsachen entscheidende Beweismittel entdeckt werden (lit. a), wenn die erkennende Behörde erhebliche Tatsachen entscheidende Beweismittel, die ihr bekannt waren bekannt sein mussten, ausser acht gelassen in anderer Weise wesentliche Verfahrensgrundsätze verletzt hat (lit. b), wenn ein Verbrechen ein Vergehen die Verfügung den Entscheid beeinflusst hat (lit. c). Nach Art. 197 Abs. 2 Satz 1 StG wird auf ein Revisionsbegehren nicht eingetreten, wenn der Antragsteller als
Revisionsgrund vorbringt, was er bei der ihm zumutbaren Sorgfalt schon im ordentlichen Verfahren hätte geltend machen können.
Die Bestimmungen des StHG über die Revision rechtskräftiger Verfügungen und Entscheide lauten gleich wie die kantonalen Bestimmungen (Art. 51 Abs. 1 lit. a bis c und Abs. 2 StHG). Die weiteren Revisionsgründe des kantonalen Rechts nach Art. 197 Abs. 1 lit. d und e StG sind vorliegend irrelevant.
Unbestritten ist zwischen den Verfahrensbeteiligten, dass das Urteil des Bundesgerichts keine Tatsache und kein Beweismittel im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. a und b StG bzw. Art. 51 Abs. 1 lit. a und b StHG ist. Praxisänderungen stellen keine Revisionsgründe dar (vgl. statt vieler GVP 2002 Nr. 76; F. Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 262; Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, Zürich 1998, Rz. 737).
Hinsichtlich des Steuerjahres 2001 steht fest, dass X. in der Steuererklärung 2001b keinen Einelternabzug geltend machte und keine Besteuerung zum Verheiratetentarif verlangte. In der Beschwerde anerkennt sie dies und hält fest, sie könne den unterlassenen Antrag auf Gewährung des Abzugs nicht mehr auf dem Weg der Revision nachholen. Trotz des fehlenden Antrags hätte der Steuerkommissär den richtigen und vollständigen Sachverhalt von Amtes wegen feststellen müssen. Aufgrund des aktenkundigen Sachverhalts sei festgestanden und stehe fest, dass es vorliegend nicht um den Einelternabzug, sondern um die Gewährung des Vollsplittings gehe. Die Vorinstanz sei somit in bezug auf das Steuerjahr 2001 von einem falschen und unvollständigen Sachverhalt ausgegangen, und zwar in Verletzung des wesentlichen Untersuchungsgrundsatzes.
Soweit X. ausführt, die Veranlagung 2001 sei unter Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und auf der Grundlage eines falschen bzw. unvollständigen Sachverhalts zustandegekommen, hätte sie diese Rügen im ordentlichen Rechtsmittelverfahren vorbringen können, weshalb sie im Revisionsverfahren nicht mehr gehört werden können. Sodann macht sie zu Recht nicht geltend, die Urteile des Verwaltungsgerichts des Bundesgerichts seien erhebliche Tatsachen entscheidende Beweismittel. Fehl geht aber auch ihr Einwand, die Steuerbehörde hätte
den richtigen und vollständigen Sachverhalt von Amtes wegen feststellen müssen, und aufgrund dieses Sachverhalts stehe fest, dass es um die Gewährung des Vollsplittings gehe. Die Anwendung des einen anderen Tarifs war vorliegend keine Frage der Sachverhaltsfeststellung, sondern eine Frage der Rechtsanwendung. Soweit diese als fehlerhaft gerügt wird, hätte die Rüge im ordentlichen Rechtsmittelverfahren vorgebracht werden können. Die Veranlagungsbehörde und die Vorinstanz sind deshalb zu Recht auf das Revisionsbegehren nicht eingetreten. Ergänzend sei diesbezüglich auch auf die nachstehenden Erwägungen verwiesen (vgl. unten E. d).
Hinsichtlich des Steuerjahres 2002 hat die Vorinstanz die Voraussetzungen für eine Revision als erwiesen angenommen, das Revisionsbegehren in der Sache aber abgewiesen.
Im Schrifttum werden sogenannte übergesetzliche Revisionsgründe anerkannt. Aufgrund von Art. 8 BV bestehe gleichsam eine Generalklausel, wonach zusätzlich zu Art. 51 StHG Revisionen zulässig seien, ohne deren Zulassung man unter dem Aspekt der Gerechtigkeit zu schockierenden Ergebnissen käme (vgl. K. Vallender, in: Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht I/1, N 24 zu Art. 51 StHG; vgl. auch Richner/Frei/ Kaufmann, Handkommentar zum DBG, Zürich 2003, N 30 zu Art. 147; Klöti-Weber/Sigrist/Weber, Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 2. Aufl., Muri-Bern 2004, N 4 zu § 201; Nefzger/ Simonek/Wenk, Kommentar zum Steuergesetz des Kantons Basel-Landschaft, Basel 2004, N 29 zu § 132). In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird ein unmittelbar aus Art. 4 aBV bzw. Art. 29 Abs. 1 und 2 BV fliessender Anspruch auf Revision anerkannt, wenn Revisionsgründe nach Art. 197 Abs. 1 lit. a und b StG bzw. Art. 51 Abs. 1 lit. a und b StHG (erhebliche Tatsachen und Beweismittel) vorliegen, und zwar ungeachtet des Umstands, ob sie in der massgebenden kantonalen Rechtsordnung verankert sind nicht (BGE 122 II 18 f.; 124 II 6; 127 I 137 mit Hinweisen). Das Rechtsgleichheitsgebot und das Willkürverbot wurden aber, soweit ersichtlich, bislang in der höchstrichterlichen Praxis noch nie als Revisionsgründe anerkannt. Die im Schrifttum angeführten Entscheide betreffen solche unterer Instanzen bzw. Sonderfälle wie den Revisionsgrund nach Art. 139a OG.
Die Vorinstanz prüfte, ob bezüglich 2002 eine Revision unter dem Aspekt des Willkürverbots sowie der Rechtsgleichheit geboten sei. Sie kam zum Schluss, von einer
materiell willkürlichen Veranlagung, die notwendigerweise einer Korrektur bedürfe, könne nicht die Rede sein. Auch sei im Lichte des Rechtsgleichheitsgebots eine Revision nicht gerechtfertigt, da der grösste Teil der Veranlagungen der Einelternfamilien des Jahres 2002 nach der als rechtswidrig erkannten Methode erfolgt sei und lediglich eine geringe Zahl abweichender Veranlagungen die Rechtsgleichheit nicht in stossender Weise zu verletzen vermöchte. Dagegen wendet X. ein, die Vorinstanz gehe völlig fehl, wenn sie die Begründetheit der Revision aus rechtsungleicher Behandlung von der Anzahl der Betroffenen und nicht von der Ungleichbehandlung jedes Einzelnen abhängig mache. Schon der Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 BV sage, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien. Die Anzahl der betroffenen ungleich behandelten Pflichtigen könne somit kein sachlicher Grund für die Ablehnung des Revisionsbegehrens sein.
Die Revision ist ein Rechtsinstitut, welches darauf gerichtet ist, eine fehlerhafte Verfügung ausserhalb des formellen Instanzenzugs zu berichtigen. Eine Korrektur ausserhalb des ordentlichen Rechtsmittelverfahrens tangiert das Prinzip der Rechtssicherheit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 BV (vgl. F. Uhlmann, Das Willkürverbot, Basler Habilitationsschrift, Bern 2005, Rz. 490 f.). Die Fehlerhaftigkeit, ja selbst die Willkürlichkeit einer Verfügung schliessen daher nicht grundsätzlich aus, dass diese durchgesetzt wird. Fehlerhaftigkeit und Willkür bilden denn auch in aller Regel keine Revisionsgründe zur nachträglichen Korrektur des Entscheids (Uhlmann, a.a.O., Rz. 494; vgl. auch Vallender, a.a.O., Vorbem. zu Art. 51 bis 53 StHG, N 5). Nur wenn ein Mangel derart schwerwiegend ist, dass von Nichtigkeit auszugehen ist, hat das Legalitätsprinzip zurückzutreten (Uhlmann, a.a.O., Rz. 492). Selbst wenn ausnahmsweise die Verletzung der Rechtsgleichheit als Revisionsgrund anerkannt würde, wie dies die Vorinstanz getan hat, so ist es gerechtfertigt, eine Revision davon abhängig zu machen, ob der Gesuchsteller gleich behandelt wurde wie der Grossteil der Pflichtigen in gleichen Verhältnissen, ob von einem ausgesprochenen Einzelfall auszugehen ist, der die Verweigerung der Revision als krasser und willkürlicher Einzelakt erscheinen liesse. Dem Grundsatz der Rechtsgleichheit kommt unter diesem Aspekt nicht dieselbe Bedeutung zu wie bei der ordentlichen Veranlagung von Personen in gleichen Verhältnissen; der Grundsatz der Rechtsbeständigkeit einer formell in Rechtskraft erwachsenen Verfügung schränkt den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ein. Nach Eintritt der formellen Rechtskraft kommt dem
Gebot der Rechtssicherheit erhöhte Bedeutung zu (BGE 122 II 276 f.). Da im Zeitpunkt des Veranlagungsstopps der weitaus grösste Teil der Einelternfamilien für das Steuerjahr 2002 rechtskräftig veranlagt war (nach den unbestrittenen Angaben des Kantonalen Steueramtes per Ende Juni 2004 über 90 Prozent aller Pflichtigen), lässt sich im Lichte des Rechtsgleichheitsgrundsatzes eine Revision nicht begründen. Die Abweisung des Revisionsgesuchs ist daher bezüglich des Jahres 2002 zu bestätigen. Hinzu kommt allerdings, dass es, wie nachfolgend darzulegen ist, X. auch in bezug auf das Jahr 2002 zuzumuten gewesen wäre, ihre Rügen im ordentlichen Rechtsmittelverfahren vorzubringen (vgl. unten E. d).
Hinsichtlich des Jahres 2003 erwog die Vorinstanz, der Veranlagungsstopp vom 13. Juli 2004 in Verbindung mit der Uebergangsbestimmung II VÄStG habe zur Folge, dass im Jahre 2003 die Einelternfamilien in grosser Zahl unterschiedlich besteuert würden. Alle, die vor dem 13. Juli 2004 definitiv veranlagt worden seien, hätten den pauschalen Einelternabzug erhalten und alle, die noch nicht veranlagt gewesen seien, kämen in den Genuss des Vollsplittings. Wer bereits veranlagt gewesen sei und wer nicht, sei rein zufällig und habe keinen sachlichen Grund. Dabei handle es sich nicht um Einzelfälle, sondern erfahrungsgemäss seien zum Zeitpunkt des Veranlagungsstopps mehr als die Hälfte der Einelternfamilien noch nicht definitiv veranlagt gewesen. Das formelle Abgrenzungskriterium einer definitiven offenen Veranlagung erweise sich als zufällig und für die Beurteilung der Rechtsgleichheit als untauglich. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit dürften die Einelternfamilien in derselben Steuerperiode nicht nach einem unterschiedlichen System besteuert werden. Es widerspreche daher in stossender Weise dem Gleichheitsgebot, wenn der Rekurrentin die Revision für 2003 verweigert werde.
Nach den vom Kantonalen Steueramt eingereichten Unterlagen waren im Zeitpunkt des Veranlagungsstopps im gesamten Kanton knapp 40 Prozent der Pflichtigen für das Jahr 2003 definitiv veranlagt. Wie das Kantonale Steueramt zutreffend festhält, tritt bei einer Veränderung der Rechtslage infolge eines Gerichtsentscheids das Gebot der Rechtsgleichheit in den Hintergrund, da ein Präjudiz stets nur für die Zukunft gilt und damit bereits rechtskräftig erledigte Fälle anders behandelt werden. Im vorliegenden Fall wurden somit rund 60 Prozent der Steuerpflichtigen nach der geänderten bundesgerichtlichen Praxis beurteilt, wobei offen bleibt, für welche Anzahl von
Betroffenen die neue Rechtslage positive Auswirkungen hat, denn bei zahlreichen Pflichtigen hat die Anwendung des Vollsplittings zur Folge, dass sie gegenüber dem früheren Einelternabzug eine höhere Steuerbelastung in Kauf nehmen müssen.
Der Grundsatz der Rechtssicherheit würde aus den Angeln gehoben, wenn nach einer Praxisänderung unter Berufung auf die Rechtsgleichheit generell eine Revision zugelassen würde. Wenn X. zusammen mit rund einem Drittel aller Steuerpflichtigen nach der früheren Ordnung veranlagt wurde, so kann dies unter dem Aspekt der Gerechtigkeit nicht als geradezu schockierend bezeichnet werden. Das Argument der Vorinstanz, Pflichtige dürften innerhalb einer Steuerperiode nicht nach unterschiedlichen Grundsätzen besteuert werden, lässt den Grundsatz der Rechtsbeständigkeit völlig ausser acht. Auch bezüglich des Jahres 2003 kann bei X. nicht von einem Einzelfall gesprochen werden, der die Verweigerung der Revision als krasser und willkürlicher Einzelakt erscheinen liesse. Hinzu kommt, dass die Anwendung des Vollsplittings nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts in zweifacher Hinsicht verfassungswidrig ist, indem sie dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit widerspricht und überdies in die Tarifautonomie der Kantone eingreift (BGE 131 II 697 ff. E. 4.4). Eine Revision würde somit eine materiell in doppelter Hinsicht verfassungswidrige Besteuerung auf solche Fälle ausdehnen, die nach einer verfassungskonformen Ordnung vorgenommen wurden. Nicht nur das Legalitätsprinzip, sondern auch die zweifache Verfassungswidrigkeit der neuen Ordnung sprechen gegen deren Ausdehnung auf formell rechtskräftige Veranlagungen. Schliesslich lässt sich auch aus dem Verhalten des st. gallischen Gesetzgebers und des Kantonalen Steueramtes nichts zugunsten einer Revision ableiten. Der Gesetzgeber versuchte, trotz der Bestimmung von Art. 11 Abs. 1 StHG eine verfassungskonforme Regelung zu erlassen, und das Kantonale Steueramt erliess nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts einen Veranlagungsstopp. Damit wurde der Praxisänderung Rechnung getragen. Ein Veranlagungsstopp musste nicht bereits nach der Erhebung einer Einsprache erlassen werden.
Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz einen Revisionsgrund für 2003 zu Unrecht bejaht.
Im übrigen wäre es der Steuerpflichtigen zuzumuten gewesen, in allen drei Steuerjahren ihre Rügen im ordentlichen Rechtsmittelverfahren vorzubringen. Der vom Verwaltungsgericht und vom Bundesgericht beurteilte Fall zeigt, dass es einer alleinerziehenden Mutter durchaus möglich war, unter Berufung auf das Steuerharmonisierungsgesetz die kantonale Gesetzgebung als bundesrechtswidrig zu rügen und den Weg durch die Rechtsmittelinstanzen zu beschreiten. Das Argument der Vorinstanz, dass der Vorrang eines verfassungswidrigen Bundesgesetzes gegenüber verfassungskonformem kantonalem Recht einem Laien nicht bekannt sein müsse, ist nicht entscheidend. Nach dem allgemeinen Grundsatz "ignorantia iuris nocet" kann nämlich niemand Vorteile aus seiner eigenen Rechtsunkenntnis ableiten (vgl. etwa BGE 111 V 405). Auch ist es nicht massgebend, dass im ordentlichen Rechtsmittelverfahren die Rechtmässigkeit der gesetzlichen Ordnung als solche hätte angefochten werden müssen. Formal hätte die Steuerpflichtige das Gesetz gar nicht (mehr) anfechten können, sondern nur noch die sie betreffende Veranlagungsverfügung.
Schliesslich ist auf die Regelung der Rückwirkung im Rahmen des Bundesgesetzes über dringende Anpassungen bei der Unternehmensbesteuerung vom 23. Juni 2006 hinzuweisen (BBl 2006 S. 5749). Der Bundesgesetzgeber beschloss eine Rückwirkung der neuen Regelung für die indirekte Teilliquidation für Veranlagungen bis zurück zum Steuerjahr 2001. Er beschränkte aber diese Rückwirkung auf die im Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch offenen Fälle (vgl. Art. 205b DBG). Trotz der weitreichenden Rückwirkung schloss also der Bundesgesetzgeber die Anwendung der neuen Regelung auf rechtskräftige Veranlagungen aus und liess die Gründe für die fehlende Rechtskraft der noch offenen Fälle ausser acht. Dem Grundsatz der Rechtssicherheit und dem Legalitätsprinzip wurden auch hier der Vorrang vor der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen eingeräumt. Würden eine Praxisänderung eine Gesetzesänderung unter dem Blickwinkel der Rechtsgleichheit als Revisionsgründe anerkannt, so würde der Grundsatz der Rechtssicherheit geradezu aus den Angeln gehoben. Bei jeder Rechtsänderung würde sich von Amtes wegen die Frage der Anpassung rechtskräftig entschiedener Sachverhalte an das neue Recht stellen, was zu einer untragbaren Rechtsunsicherheit führen würde. Dem Legalitätsprinzip ist daher gegenüber der Gleichbehandlung von rechtskräftig veranlagten und nicht rechtskräftig veranlagten Pflichtigen der Vorrang zu geben.
Zusammenfassend ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen, dass die Beschwerde von X. abzuweisen ist. Die Beschwerde des Kantonalen Steueramtes ist gutzuheissen, und Ziff. 3 des Rekursentscheids vom 15. Juni 2006 ist aufzuheben. Das Revisionsbegehren von X. für das Steuerjahr 2003 ist abzuweisen.
./ Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beschwerdeführerin X. aufzuerlegen (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von Fr. 2'000.-- ist angemessen (Ziff. 382 Gerichtskostentarif, sGS 941.12). Sie ist mit dem geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe zu verrechnen.
Unbegründet ist der Antrag, es sei auf eine Kostenauflage gegenüber X. zu verzichten. Entgegen deren Ausführungen liegt keine erstmalige schwierige Rechtslage vor, welche durch Fehler des Staates entstanden ist. Bei der Frage, ob ein höchstrichterliches Präjudiz einen Revisionsgrund darstellt, handelt es sich nicht um eine neue, erstmals zu entscheidende Rechtsfrage. Auch ist nicht ausgewiesen, dass das aktuelle Einkommen von X. unter dem Existenzminimum liegt.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind dem Verfahrens-ausgang entsprechend ebenfalls X. aufzuerlegen. Somit sind Ziff. 4 und 5 des Rekursentscheids aufzuheben.
Ausseramtliche Kosten sind nicht zu entschädigen. X. ist unterlegen (Art. 98bis VRP), und dem Kantonalen Steueramt steht keine ausseramtliche Entschädigung zu (R. Hirt, Die Regelung der Kosten nach st. gallischem Verwaltungsrechtspflegegesetz, Diss. St. Gallen 2004, S. 176).
Demnach hat das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt: 1./ Die Beschwerde von X. wird abgewiesen.
./ Die Beschwerde des Kantonalen Steueramtes wird gutgeheissen, und Ziff. 3, 4 und 5 des Rekursentscheids vom 15. Juni 2006 werden aufgehoben.
./ Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 2'000.-- werden X. auferlegt, unter
Verrechnung des geleisteten Kostenvorschusses in gleicher Höhe.
./ Die Kosten des Rekursverfahrens von Fr. 1'000.-- werden X. auferlegt. 5./ Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.
V. R. W.
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: Zustellung dieses Entscheides an:
X. (durch Rechtsanwalt Dr. A.)
die Vorinstanz
das Kantonale Steueramt
am: Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Entscheid kann gestützt auf Art. 73 Abs. 1 StHG innert dreissig Tagen seit der Eröffnung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, eingereicht werden.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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