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Urteil Versicherungsgericht (SG - AVI 2018/56)

Zusammenfassung des Urteils AVI 2018/56: Versicherungsgericht

Der Beschwerdeführer hat sich beim RAV zur Arbeitsvermittlung angemeldet und Arbeitslosenentschädigung beantragt. Die UNIA Arbeitslosenkasse hat einen versicherten Verdienst festgelegt und Taggelder ausbezahlt. Der Versicherte beantragte eine Korrektur des versicherten Verdienstes, was abgelehnt wurde. In einer Beschwerde ging es um die Anpassung des versicherten Verdienstes und die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung bei Teilzeitarbeit. Der Entscheid wies die Einsprache ab und bestätigte die Taggeldberechnung. Es wurde festgestellt, dass ab Juni 2018 ein höherer Pauschalansatz gelten sollte. Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheissen, keine Gerichtskosten erhoben und eine Parteientschädigung zugesprochen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AVI 2018/56

Kanton:SG
Fallnummer:AVI 2018/56
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:AVI - Arbeitslosenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid AVI 2018/56 vom 21.02.2019 (SG)
Datum:21.02.2019
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 23 und Art. 28 AVIG, Art. 37 und Art. 41 AVIV, Art. 70 ATSG; Für den versicherten Verdienst von Personen, die im Anschluss an eine Lehre Arbeitslosenentschädigung beziehen, gelten grundsätzlich Pauschalansätze. Übersteigt der Lehrlingslohn den entsprechenden Pauschalansatz, ist auf jenen abzustellen. Schliesst der Lehrling während des Taggeldbezuges seine Lehre ab, so ist ab jenem Zeitpunkt der höhere Pauschalansatz anwendbar. Die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenkasse gegenüber der Invalidenversicherung gelangt nicht zur Anwendung, solange die versicherte Person wegen verminderter Arbeitsfähigkeit Leistungen einer Kranken- oder Unfalltaggeldversicherung erhält (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 21. Februar 2019, AVI 2018/56).
Schlagwörter: Arbeit; Taggeld; Verdienst; Arbeitslose; Pauschalansatz; Person; Leistung; Kranken; Anspruch; Arbeitslosenversicherung; Taggelder; Personen; Invalidenversicherung; Vorleistung; Kontrollperiode; Pauschalansätze; Unfall; Vorleistungspflicht; Versicherung; Krankentaggeld; Koordination; Leistungen; Recht; Arbeitslosenentschädigung; Arbeitsunfähigkeit; Grundbildung
Rechtsnorm: Art. 100 VVG ;Art. 15 AVIG;Art. 23 AVIG;Art. 28 AVIG;Art. 73 KVG ;Art. 8 ATSG ;
Referenz BGE:136 V 95;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AVI 2018/56

Entscheid vom 21. Februar 2019

Besetzung

Versicherungsrichterin Marie-Theres Rüegg Haltinner (Vorsitz), Versicherungsrichter Joachim Huber und Versicherungsrichterin Michaela Machleidt Lehmann; Gerichtsschreiberin Felicia Sterren

Geschäftsnr.

AVI 2018/56

Parteien

  1. ,

    Beschwerdeführer,

    vertreten durch Rechtsanwalt lic. rer. publ. Michael B. Graf, GN Rechtsanwälte, St. Leonhard-Strasse 20, Postfach 728, 9001 St. Gallen,

    gegen

    UNIA Arbeitslosenkasse Kompetenzzentrum D-CH Ost, Strassburgstrasse 11, Postfach, 8021 Zürich 1,

    Beschwerdegegnerin,

    Gegenstand

    versicherter Verdienst

    Sachverhalt

    A.

    1. A. meldete sich am 9. April 2018 beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zur Arbeitsvermittlung an und beantragte bei der UNIA Arbeitslosenkasse (nachfolgend: Kasse) Arbeitslosenentschädigung ab 3. April 2018 (act. G3.1.1 und G3.1.2). Die Kasse ermittelte gestützt auf das im Rahmen des Lehrverhältnisses bei der B. GmbH erzielte Einkommen einen versicherten Verdienst von Fr. 798.-- bzw. eine Taggeldleistung von Fr. 27.95 (Fr. 758.-- x 80% / 21.7) und eröffnete eine Rahmenfrist für den Leistungsbezug ab 9. April 2018 (vgl. Informationsschreiben vom 14. Juni 2018, act. G3.1.13).

    2. Mit Brief vom 10. Juli 2018 ersuchte der Versicherte, vertreten durch Rechtsanwalt

      M. Graf, um Korrektur des versicherten Verdienstes. Er habe sich aufgrund seiner Rückenbeschwerden bei der IV-Stelle angemeldet. Deshalb bestehe eine Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung, die das Taggeld bei einem ungekürzten versicherten Verdienst auszurichten habe. Er verfüge seit Juni 2018 über ein eidgenössisches Berufsattest. Damit habe er beim versicherten Verdienst Anspruch auf einen Pauschalansatz von Fr. 127.-- am Tag. Der versicherte Verdienst von Fr.

      758.-- bzw. Fr. 379.-- (50%) gemäss Abrechnung vom 2. Juli 2018 sei deshalb nicht nachvollziehbar (act. G3.1.21).

    3. Mit Verfügung vom 7. August 2018 sprach die Kasse dem Versicherten folgende

      Taggelder zu:

      • Fr. 27.95 für die Kontrollperiode April 2018

      • Fr. 17.60 für die Kontrollperiode Mai 2018

      • Fr. 13.95 ab der Kontrollperiode Juni 2018

      Zur Begründung führte sie aus, mit Arztzeugnis vom 12. März 2018 sei der Kasse mitgeteilt worden, dass der Versicherte zu 50% arbeitsunfähig sei. Ab dem 9. April 2018 erbringe die Basler Versicherung Taggelder in der Höhe von Fr. 10.-- gestützt auf Arbeitsunfähigkeit. Versicherte Personen, die wegen Krankheit vorübergehend vermindert arbeits- und vermittlungsfähig seien, hätten längstens bis zum 30. Kalendertag Anspruch auf das volle Taggeld, danach auf ein um 50% gekürztes Taggeld, wenn sie zu mindestens 50% arbeitsfähig seien. Vorliegend sei der

      Versicherte ab dem 9. April 2018 (Beginn der Rahmenfrist) zu 50% arbeitsunfähig, weshalb ihm das volle Taggeld bis 8. Mai 2018 ausbezahlt worden sei. Ab 9. Mai 2018 müsse sein Taggeld um 50% gekürzt werden. Trete eine Veränderung des versicherten Verdienstes im Laufe einer Kontrollperiode ein, müsse das Taggeld mit einer Mischrechnung ermittelt werden. Die Anzahl Tage multipliziert mit dem bisherigen versicherten Verdienst und die Anzahl Tage multipliziert mit dem neuen versicherten Verdienst, geteilt durch die Anzahl kontrollierter Tage ergebe den anwendbaren versicherten Tagesverdienst. Davon betrage das 80%ige Taggeld für die Kontrollperiode Mai 2018 Fr. 17.60. Für die Kontrollperiode Juni 2018 belaufe sich das Taggeld, das durchgehend um 50% gekürzt sei, auf Fr. 13.95 (Fr. 758.-- x 50% x

      80% / 21.7; act. G3.1.22).

    4. Gegen diese Verfügung erhob der Versicherte am 15. August 2018 Einsprache und beantragte, der versicherte Verdienst sei auf Fr. 2'756.-- zu korrigieren, und es sei durchgehend ein Taggeld von Fr. 101.60 auszubezahlen. Zudem sei von einer Anpassung des versicherten Verdienstes wegen verminderter Arbeitsfähigkeit abzusehen und lediglich das Krankentaggeld vom Arbeitslosentaggeld abzuziehen. Seine Ausführungen im Brief vom 10. Juli 2018 seien in Verletzung des rechtlichen Gehörs überhaupt nicht gewürdigt worden. Aufgrund des pendenten IV-Verfahrens bestehe eine Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung. Er habe sich bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit und Eröffnung der Rahmenfrist bei der Invalidenversicherung gemeldet. Für die angestammte Tätigkeit sei er langfristig arbeitsunfähig und für eine adaptierte Tätigkeit seit längerer Zeit, nicht bloss vorübergehend, nur zu 50% arbeitsfähig. Somit bestehe kein Raum für die von der Kasse angewandten Koordinationsregeln. Vielmehr bestehe im Rahmen der Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung die Fiktion einer durchgehenden vollen Vermittelbarkeit, wobei bei einer Arbeitsfähigkeit von mindestens 20% – unter Abzug des Krankentaggelds der Basler Versicherung – Anspruch auf das volle Arbeitslosentaggeld bestehe (act. G3.1.23).

    5. Mit Entscheid vom 27. August 2018 wies die Kasse die Einsprache ab. Zwar seien die Pauschalansätze auch auf Personen anwendbar, die wie der Versicherte im Anschluss an eine berufliche Grundbildung bzw. nach Abbruch einer solchen Arbeitslosenentschädigung beziehen würden. Der anwendbare Pauschalansatz würde

indessen Fr. 20.-- betragen, da der Versicherte zum Zeitpunkt der Anmeldung vom 9. April 2018 unter zwanzigjährig gewesen sei und keine Grundausbildung gehabt habe. Der während des Lehrverhältnisses erzielte Lohn übersteige den Pauschalansatz, weshalb von einem versicherten Verdienst von Fr. 758.-- auszugehen sei, womit sich ein Taggeld von Fr. 27.95 ergebe. Dass der Versicherte seine Lehre im August 2018 abgeschlossen habe, begründe keine Erhöhung des versicherten Verdienstes, da die Pauschalansätze vorliegend nicht zur Anwendung kämen. Grundsätzlich werde der versicherte Verdienst nur neu berechnet, wenn sich der Grad der Vermittelbarkeit bzw. der anrechenbare Arbeitsausfall der versicherten Person ändere diese während mindestens sechs Monaten ununterbrochen eine Beschäftigung zu einem Lohn ausgeübt habe, der über dem versicherten Verdienst liege, und sie erneut arbeitslos werde. Die zwischen AVIG, KVG, VVG und UVG bestehende Koordinationsregel werde nicht unterbrochen, wenn sich der Versicherte zusätzlich bei der Invalidenversicherung angemeldet habe (act. G3.1.26).

B.

    1. Gegen diesen Entscheid richtet sich die Beschwerde vom 18. September 2018. Der Beschwerdeführer lässt unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Beschwerdegegnerin beantragen, der Einspracheentscheid vom 27. August 2018 sowie die angefochtene Verfügung vom 7. August 2018 seien aufzuheben und der versicherte Verdienst sei ab 1. Juni 2018 auf Fr. 1'378.-- zu korrigieren. Zur Begründung führt er aus, für versicherte Personen im Anschluss an eine Berufslehre richte sich der versicherte Verdienst nach Pauschalansätzen. Für Personen mit Abschluss in der Sekundarstufe II, wozu sein Lehrabschluss gehöre, betrage der Pauschalansatz Fr. 127.-- pro Tag. Er erfülle die Voraussetzungen für diesen Pauschalansatz, nachdem er im Juni 2018 das Berufsattest erhalten habe. Änderten sich die Umstände für die Bestimmung der Pauschalansätze im Laufe des Taggeldbezuges, gelte der neue Pauschalansatz ab Beginn der entsprechenden Kontrollperiode. Damit sei der höhere versicherte Verdienst bereits ab 1. Juni 2018 anwendbar. Sein versicherter Verdienst betrage 50% des Pauschalansatzes, weil er weniger als 25 Jahre alt sei und keine Unterhaltspflicht gegenüber Kindern zu erfüllen

      habe. Daraus ergebe sich ein Taggeld von Fr. 50.80 (80% von Fr. 1'378.-- / 21.7; act. G1).

    2. Mit Beschwerdeantwort vom 4. Oktober 2018 beantragt die Beschwerdegegnerin unter Verweis auf ihre Ausführungen im Einspracheentscheid die Abweisung der Beschwerde. Bei der Berechnung des versicherten Verdienstes sei kein Pauschalansatz zur Anwendung gekommen. Deshalb sei die Änderung des Pauschalansatzes während des Leistungsbezugs unbeachtlich (act. G3).

Erwägungen

1.

    1. Als versicherter Verdienst gilt der im Sinne der AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes aus einem mehreren Arbeitsverhältnissen normalerweise erzielt wurde; eingeschlossen sind die vertraglich vereinbarten regelmässigen Zulagen, soweit sie nicht Entschädigung für arbeitsbedingte Inkonvenienzen darstellen. Der Höchstbetrag des versicherten Verdienstes entspricht demjenigen der obligatorischen Unfallversicherung. Der Verdienst gilt nicht als versichert, wenn er eine Mindestgrenze nicht erreicht. Der Bundesrat bestimmt den Bemessungszeitraum und die Mindestgrenze (Art. 23 AVIG). Der versicherte Verdienst bemisst sich grundsätzlich nach dem Durchschnittslohn der letzten sechs oder, falls jener Durchschnittslohn höher ist, der letzten zwölf Beitragsmonate vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug (Art. 37 Abs. 1 und 2 der Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung [AVIV; SR 837.02]). Er wird auf die nächste Kontrollperiode neu festgesetzt, wenn innerhalb der Rahmenfrist für den Leistungsbezug der Versicherte während mindestens sechs Monaten ununterbrochen eine beitragspflichtige Beschäftigung zu einem Lohn ausgeübt hat, der über dem versicherten Verdienst liegt und er erneut arbeitslos wird, wenn die Vermittlungsfähigkeit des Versicherten sich verändert (Art. 37 Abs. 4 AVIV).

    2. Für den versicherten Verdienst von Personen, die im Anschluss an eine berufliche Grundbildung Arbeitslosenentschädigung beziehen, gelten Pauschalansätze (vgl. Art. 23 Abs. 2 AVIG). Weil der Verdienstausfall durch die Arbeitslosigkeit im Anschluss an die erfolgreich abgeschlossene Berufslehre ungleich höher ist als es ein Verdienstausfall während der Lehrzeit wäre, kann für diese Personengruppe billigerweise für den versicherten Verdienst nicht auf die Vergangenheit, also auf den früheren Lehrlingslohn, abgestellt werden. Der Erwerbsausfall ist vielmehr an der Zukunft zu bemessen, weshalb Pauschalansätze angewandt werden (GERHARD GERHARDS, AVIG-Kommentar, Bd I, Art. 23 N 39). Für Personen mit einem Abschluss der Sekundarstufe II (abgeschlossene berufliche Grundbildung, insbesondere eidgenössisches Berufsattest) beträgt der Pauschalansatz Fr. 127.-- pro Tag. Für Personen ohne einen solchen ohne einen höheren Abschluss beträgt der Pauschalansatz Fr. 102.-- pro Tag, wenn sie jünger als 20 Jahre sind Fr. 40.-- pro Tag (Art. 41 Abs. 1 lit. b und c AVIV; Kreisschreiben des Seco, AVIG-Praxis ALE [nachfolgend: AVIG-Praxis ALE], C32). Die Pauschalansätze werden um 50% reduziert bei Versicherten, die weniger als 25 Jahre alt sind und keine Unterhaltspflicht gegenüber Kindern zu erfüllen haben (Art. 41 Abs. 2 lit. b und c AVIV). Diese Bestimmungen sind nicht anwendbar auf Personen, deren Lehrlingslohn den entsprechenden Pauschalansatz übersteigt (Art. 41 Abs. 3 AVIV).

    3. Die Pauschalansätze sind auch auf Personen anwendbar, die ihre berufliche Ausbildung abgebrochen haben, um eine Arbeitnehmertätigkeit aufzunehmen. Streben sie hingegen die Fortsetzung den Neubeginn einer beruflichen Grundbildung an und stellen sich diese Personen somit nur zwischenzeitlich (bis zur Aufnahme Fortführung der beruflichen Grundbildung) dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, so richtet sich der versicherte Verdienst nicht nach dem Pauschalansatz für Ungelernte, sondern nach dem zuletzt erzielten Lohn in der beruflichen Grundbildung (AVIG-Praxis ALE, C33).

    4. Ändern sich die Umstände für die Bestimmung der Pauschalansätze im Laufe des Taggeldbezuges, so gilt der neue Pauschalansatz ab Beginn der entsprechenden Kontrollperiode (Art. 41 Abs. 4 AVIV). Das hat zur Folge, dass der entsprechend höhere Pauschalansatz anzuwenden ist, sobald der Versicherte während der Bezugsdauer einen Ausbildungsabschluss vorweisen kann, der ihn zu einer höheren Pauschale

berechtigt. Massgebender Zeitpunkt für die Anwendung des höheren Pauschalansatzes ist das Datum, an welchem der Versicherte vom erfolgreichen Bestehen der Ausbildung Kenntnis erhalten hat (GERHARD GERHARDS, a.a.O., Art. 23 N 50).

2.

    1. Der Beschwerdeführer hat den Lehrvertrag mit seinem Lehrbetrieb per 2. April 2018 aufgelöst (act. G1.4), nach eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen (vgl. act. G3.1.2). Zu jenem Zeitpunkt hatte er noch keinen Berufsabschluss. Da die Pauschalansätze gemäss Art. 41 Abs. 1 AVIV auch auf Personen anwendbar sind, die ihre berufliche Ausbildung abgebrochen haben, hat die Beschwerdegegnerin zu Recht eine entsprechende Berechnung angestellt. Zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung im April 2018 war der Beschwerdeführer noch keine 20 Jahre alt, sodass der auf ihn anwendbare Pauschalansatz Fr. 20.-- betragen hätte (Art. 41 Abs. 1 lit. c i.V.m. Abs. 2 AVIV). Sein Lehrlingslohn hatte hingegen bis September 2017 Fr. 600.-- und ab Oktober 2017 Fr. 700.-- pro Monat betragen. Dazu trat ein 13. Monatslohn (act. G3.1.9/1). Der nach Art. 37 AVIV berechnete versicherte Verdienst betrug demnach Fr. 758.-- (für die Berechnung siehe auch act. G3.1.14), woraus ein Taggeld von Fr. 27.95 resultiert (Fr. 758.-- / 21.7 x 80%). Weil der Lehrlingslohn somit höher liegt als der Pauschalansatz, ist für den Zeitraum, für den der Beschwerdeführer keinen Berufsabschluss vorweisen kann, darauf abzustellen (Art. 41 Abs. 3 AVIV).

    2. Mit Schreiben vom 22. Juni 2018 wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass ihm das eidgenössische Berufsattest erteilt worden war (Notenausweis, act. G1.6). Es ist davon auszugehen, dass er dieses Schreiben noch im Juni 2018 erhalten hat. Damit haben sich die Umstände für die Bestimmung der Pauschalansätze geändert. Nachdem der Beschwerdeführer ab diesem Zeitpunkt über einen Abschluss der Sekundarstufe II (berufliche Grundbildung als Auto-Mobil-Assistent EBA) verfügte, ist der Pauschalansatz von Fr. 127.-- (Art. 41 Abs. 1 lit. b AVIV) ab der Kontrollperiode Juni 2018 anwendbar, zumal die Regelung in Art. 41 Abs. 4 AVIV eine sofortige Änderung ausdrücklich vorsieht. Diese Bestimmung geht im Anwendungsfall der allgemeinen Regel von Art. 37 Abs. 4 AVIV vor. Dass die Beschwerdegegnerin den versicherten Verdienst gestützt auf den konkreten Lehrlingslohn festgelegt hatte,

      vermag daran nichts zu ändern, denn die entsprechende Bestimmung findet sich ebenfalls in Art. 41 AVIV (Abs. 3) und untersteht systematisch ebenfalls der Anpassung an veränderte Verhältnisse von Art. 41 Abs. 4 AVIV.

    3. Dem Beschwerdeführer ist nach dem Gesagten insofern Recht zu geben, als ab Juni 2018 der Pauschalansatz von Fr. 127.-- zur Anwendung gelangt. Dieser ist um 50% zu reduzieren (Art. 41 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 AVIV). Somit ergibt sich grundsätzlich ein Taggeld von Fr. 50.80 (Fr. 127.-- x 50% x 80%) bzw. ein versicherter Verdienst von Fr. 1'377.95 (Fr. 127.-- x 21.7 / 50%). Ob dieses Taggeld wegen der aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers ausgerichteten Krankentaggelder um 50% zu kürzen ist, ist nachfolgend zu prüfen.

3.

    1. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Beschwerdeführer nach seiner Anmeldung bei der Invalidenversicherung gestützt auf Art. 70 Abs. 2 lit. b des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) i.V.m. Art. 15 Abs. 2 AVIG Anspruch auf Vorleistung der Arbeitslosenversicherung hat ob vielmehr Art. 28 Abs. 4 AVIG zur Anwendung gelangt, wonach er in Koordination mit der Krankentaggeldversicherung lediglich Anspruch auf das um 50% gekürzte Taggeld hat.

    2. Versicherte, die wegen Krankheit, Unfall Schwangerschaft vorübergehend nicht nur vermindert arbeits- und vermittlungsfähig sind und deshalb die Kontrollvorschriften nicht erfüllen können, haben, sofern sie die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, Anspruch auf das volle Taggeld. Dieser Anspruch dauert längstens bis zum 30. Tag nach Beginn der ganzen teilweisen Arbeitsunfähigkeit und ist innerhalb der Rahmenfrist auf 44 Taggelder beschränkt (Art. 28 Abs. 1 AVIG). Taggelder der Kranken- Unfallversicherung, die Erwerbsersatz darstellen, werden von der Arbeitslosenentschädigung abgezogen (Art. 28 Abs. 2 AVIG). Dies gilt sowohl für sozialversicherungsrechtliche wie auch für privatrechtliche Krankentaggelder (vgl. Art. 100 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag [VVG; SR 221.229.1] i.V.m. Art. 73 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung [KVG; SR 832.10]).

    3. Arbeitslose, die ihren Anspruch nach Art. 28 Abs. 1 AVIG ausgeschöpft haben, weiterhin vorübergehend vermindert arbeitsfähig sind und Leistungen einer Taggeldversicherung beziehen, haben, sofern sie unter Berücksichtigung ihrer verminderten Arbeitsfähigkeit vermittelbar sind und die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, Anspruch auf das um 50% gekürzte Taggeld, wenn sie zu mindestens 50% arbeitsfähig sind (Art. 28 Abs. 4 lit. b AVIG).

    4. Begründet ein Versicherungsfall einen Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen, bestehen aber Zweifel darüber, welche Sozialversicherung die Leistungen zu erbringen hat, so kann die berechtigte Person Vorleistung verlangen. Für Leistungen, deren Übernahme durch die Arbeitslosenversicherung, die Krankenversicherung, die Unfallversicherung die Invalidenversicherung umstritten ist, ist die Arbeitslosenversicherung vorleistungspflichtig (Art. 70 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ATSG). Eine bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldete ganz arbeitslose aber aus gesundheitlichen Gründen nur teilzeitlich arbeitsfähige Person, die bereit ist, im Umfang der ärztlich attestierten Arbeitsfähigkeit eine Stelle anzunehmen, hat aufgrund der Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung Anspruch auf eine volle Arbeitslosenentschädigung. Solange die Frage der IV-Rentenberechtigung noch nicht geklärt ist, muss sich ihre Vermittlungsbereitschaft nur auf ein Pensum beziehen, welches der ärztlich attestierten Arbeitsfähigkeit entspricht. Ist die

      Vermittlungsbereitschaft in diesem Rahmen gegeben, besteht Anspruch auf eine ganze Arbeitslosenentschädigung (KUPFER BUCHER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung, 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2013, S. 89 mit Verweis auf BGE 136 V 95; Art. 15 Abs. 2 AVIG i.V.m. Art. 15 Abs. 3 AVIV).

    5. Gemäss Art. 15 Abs. 2 AVIG gilt der körperlich geistig Behinderte als vermittlungsfähig, wenn ihm bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage, unter Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem Arbeitsmarkt eine zumutbare Arbeit vermittelt werden könnte. Der Begriff der Behinderung gemäss Art. 15 Abs. 2 AVIG unterscheidet sich vom Begriff der Invalidität gemäss Art. 8 ATSG. Er wird benutzt, wenn die Vermittlungsfähigkeit nicht bloss vorübergehend, sondern dauernd

      eingeschränkt ist. Von einer dauernd weggefallenen verminderten Vermittlungsfähigkeit wird ausgegangen, wenn die versicherte Person während mindestens eines Jahres eingeschränkt ist wenn sie sich bei der Invalidenversicherung zum Bezug von Leistungen angemeldet hat (UELI KIESER, Die Koordination von Taggeldern der Arbeitslosenversicherung mit Taggeldern anderer Sozialversicherungszweige, ARV 2012, S. 217 ff. [nachfolgend: KIESER, ARV 2012]).

    6. Um die Leistungspflicht der Arbeitslosenversicherung bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit der versicherten Person zu klären, sind in zeitlicher Hinsicht drei Phasen zu unterscheiden. Die erste Phase dauert längstens bis zum 30. Tag nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Während dieser Zeitspanne leistet die Arbeitslosenversicherung das volle Taggeld, wobei Taggelder der Kranken- und Unfallversicherung, die Erwerbsersatz darstellen, von der Arbeitslosenentschädigung abgezogen werden (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 2 AVIG). An diesen Zeitraum schliesst sich die zweite Phase an, welche voraussetzt, dass die betreffende Person weiterhin vorübergehend vermindert arbeitsfähig ist und Leistungen einer Kranken- Unfalltaggeldversicherung bezieht (Art. 28 Abs. 4 AVIG). Das Gesetz legt das Ende dieser zweiten Phase nicht explizit fest, stellt aber auf den Bezug eines Taggeldes der Kranken- Unfallversicherung ab, wobei privatrechtliche Krankentaggelder den sozialversicherungsrechtlichen gleichgestellt sind (vgl. Art. 100 Abs. 2 VVG). Die besondere Koordinationsregel von Art. 28 Abs. 4 AVIG dauert demnach an, solange eine Taggeldversicherung eine Leistung gewährt bzw. nach den massgebenden Bestimmungen gewähren muss. Eine dritte Zeitphase ergibt sich unter Berücksichtigung von Art. 15 Abs. 2 AVIG. Sie beginnt, wenn die Vermittlungsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt ist, mithin nach mindestens einem Jahr (teilweiser) Arbeitsunfähigkeit mit der Anmeldung bei der Invalidenversicherung zum Bezug von Leistungen (KIESER, ARV 2012, S. 227 f.).

    7. Die zweite Phase wird durch das Eintreten einer Behinderung nicht abgeschlossen. Vielmehr gilt die Koordinationsregelung von Art. 28 Abs. 4 AVIG und Art. 73 Abs. 1 KVG weiterhin. Art. 28 Abs. 4 AVIG kommt – unabhängig von einer solchen Anmeldung – soweit und solange zur Anwendung, wie die betreffende Krankentaggeld- Unfalltaggeldversicherung Taggelder zu erbringen hat. Tritt während der Koordinationsphase von Art. 28 Abs. 4 AVIG mit der Kranken- Unfallversicherung

eine Behinderung bzw. Anmeldung bei der Invalidenversicherung ein, ändert sich an der Massgeblichkeit dieser Koordinationsregeln nichts. Denn bei den Taggeldversicherungen der Kranken- und der Unfallversicherung finden sich keine Bestimmungen, welche eine Einschränkung der je eigenen Leistungspflicht ermöglichen würden, wenn die betreffende Person behindert invalid wird. Die Taggeldkoordinationsbestimmungen zwischen AVIG, KVG, VVG und UVG legen eine sich gegenseitig ergänzende, definitive Leistungspflicht fest. Die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung gemäss Art. 15 Abs. 3 AVIV gilt gegenüber dem Krankentaggeld- und Unfalltaggeldversicherer, der eine vertragliche, definitive Leistungspflicht hat, nicht. Nur wenn die arbeitsunfähige Person keine Leistungen einer Taggeldversicherung (mehr) bezieht, kommt Art. 28 Abs. 4 AVIG nicht zur Anwendung. In solchen Fällen beurteilt sich nach den sonstigen Bestimmungen des AVIG, insbesondere Art. 15 Abs. 2 AVIG, ob und in welchem Umfang eine Leistungspflicht, insbesondere eine Vorleistungspflicht besteht (KIESER, ARV 2012, S. 227; S. 232 ff.; vgl. auch AVIG-Praxis ALE, C178 ff.).

4.

    1. Vorliegend ist zwar die dritte zeitliche Phase dadurch eingetreten, dass der Beschwerdeführer sich am 12. Januar 2018 bei der Invalidenversicherung zum Bezug von Leistungen angemeldet hat (act. G3.1.16). Die zweite zeitliche Phase wurde dadurch aber nicht abgeschlossen. Die Kollektiv-Krankentaggeldversicherung leistete weiterhin Taggelder im Umfang von 50% (act. G3.1.15). Demnach sind weiterhin die Koordinationsregeln zwischen der Arbeitslosenversicherung und der Versicherung, welche die Krankentaggelder leistet, mithin Art. 28 Abs. 4 AVIG (und Art. 73 Abs. 1 KVG) massgebend. Das hat zur Folge, dass die Arbeitslosenkasse keine Vorleistungspflicht gestützt auf Art. 70 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ATSG trifft.

    2. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Vorleistungspflicht erst eintritt, wenn die Invalidenversicherung bei Vorliegen einer Invalidität tatsächlich Leistungen erbringen würde. Dies bedingt den Ablauf des Wartejahres nach Art. 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20; vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 27. Januar 2017, 8C_791/2016, E. 5.1). Vorliegend trat die Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers im Dezember 2017 ein, sodass ein allfälliger

      Rentenanspruch gegenüber der Invalidenversicherung frühestens ab Dezember 2018 entstand. Frühestens ab dann hätte auch die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenkasse einsetzen können.

    3. Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit der Beschwerdeführer eine Vorleistungspflicht der Beschwerdegegnerin geltend macht. Der um 50% reduzierte Pauschalansatz von Fr. 127.--, der ab Juni 2018 zur Anwendung gelangt (vgl. E. 2.3 vorstehend), ist gestützt auf Art. 28 Abs. 4 AVIG noch einmal um 50% zu kürzen. Somit ergibt sich ein Taggeld von Fr. 25.40 (Fr. 127.-- x 50% x 50% x 80%) bzw. ein versicherter Verdienst von Fr. 689.-- (Fr. 127.-- x 21.7 x 50% x 50%).

5.

    1. Die für April und Mai 2018 ausgerichteten Taggelder sind nach dem Gesagten korrekt berechnet worden. Ab der Kontrollperiode Juni 2018 betragen die Taggelder hingegen nicht Fr. 13.95, sondern sind unter Beizug des Pauschalansatzes höher anzusetzen. Die Beschwerde ist somit teilweise gutzuheissen, und es ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer ab Juni 2018 bei einem versicherten Verdienst von Fr. 689.-- Anspruch auf Taggelder in Höhe von Fr. 25.40 hat. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen.

    2. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG). Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine partielle Parteientschädigung. Diese wird vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen (Art. 61 lit. g ATSG). In der Verwaltungsrechtspflege beträgt das Honorar vor Versicherungsgericht nach Art. 22 Abs. 1 lit. b der Honorarordnung für Rechtsanwälte und Rechtsagenten (HonO; in der vorliegend anwendbaren, seit 1. Januar 2019 gültigen Fassung, siehe Art. 30bis HonO; sGS 963.75) pauschal Fr. 1'500.-- bis Fr. 15'000.--. Bei vollständigem Obsiegen wäre dem Beschwerdeführer mit Blick auf die Bedeutung der Streitsache und den Aufwand eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) zugesprochen worden. Wegen des nur teilweisen Ob¬siegens

erscheint eine hälftige Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) als angemessen.

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird der angefochtene Einspracheentscheid vom 27. August 2018 aufgehoben und festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab 1. Juni 2018 bei einem versicherten Verdienst von Fr. 689.-- Anspruch auf Taggelder in Höhe von Fr. 25.40 hat. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- (inkl. Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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