Zusammenfassung des Urteils AVI 2006/90: Versicherungsgericht
Das Versicherungsgericht hat in einem Streitfall bezüglich Schlechtwetterentschädigung zwischen der Ortsgemeinde B. und dem Amt für Arbeit entschieden. Die Ortsgemeinde hatte aufgrund von Schneeverhältnissen einen Arbeitsausfall gemeldet, der zunächst abgelehnt wurde, aber nach Einsprache doch bewilligt wurde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) hat dagegen Beschwerde eingelegt, da öffentliche Betriebe nicht grundsätzlich anspruchsberechtigt seien. Nach eingehender Prüfung der gesetzlichen Bestimmungen und der Situation der Ortsgemeinde hat das Gericht entschieden, dass die Beschwerde abgewiesen wird und keine Gerichtskosten erhoben werden.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | AVI 2006/90 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | AVI - Arbeitslosenversicherung |
Datum: | 01.03.2007 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 42 Abs. 1 AVIG. Angestellte einer Ortsgemeinde ohne Steuerhoheit haben Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung (Entscheid des Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen vom 1. März 2007, AVI 2006/90). Bestätigt durch Urteil des Bundesgerichts 8C_199/2007 |
Schlagwörter: | Arbeit; Schlechtwetterentschädigung; Betrieb; Ortsgemeinde; Arbeitsausfall; Anspruch; Versicherung; Arbeitnehmer; Beigeladene; Gemeinde; Beschwerdegegner; Versicherungsgericht; Betriebe; Mitarbeiter; Betriebsrisiko; Arbeitgeber; Einsprache; Angestellten; Beigeladenen; SVR-ALV; Kurzarbeit; Arbeitslosenversicherung; Arbeitnehmern; Erwerbszweige; Verwaltung |
Rechtsnorm: | Art. 319 OR ;Art. 42 AVIG;Art. 43 AVIG; |
Referenz BGE: | 111 V 266; 111 V 267; |
Kommentar: | - |
Entscheid vom 1. März 2007 In Sachen
seco - DA, Arbeitsmarkt / Arbeitslosenversicherung, TCIN, Effingerstrasse 31, 3003 Bern,
Beschwerdeführer, gegen
Amt für Arbeit, Unterstrasse 22, 9001 St. Gallen, Beschwerdegegner,
Ortsgemeinde B. , Beigeladene, betreffend
Schlechtwetterentschädigung (Ortsgemeinde B. ) hat das Versicherungsgericht in Erwägung gezogen: I.
A.- Am 3. März 2006 meldete die Ortsgemeinde B. dem Amt für Arbeit einen wetterbedingten Arbeitsausfall von vier Arbeitnehmern an acht Tagen für den Monat Februar 2006. Dabei machte sie geltend, dass Holzereiarbeiten wegen der Schneeverhältnisse nicht hätten ausgeführt werden können (act. G 3.1/8). Mit Verfügung vom 6. März 2006 wies das Amt für Arbeit das Gesuch unter Berufung auf das Kreisschreiben über die Schlechtwetterentschädigung vom Januar 2005 ab, da öffentliche Betriebe in ihrer Haupttätigkeit nicht zu den entschädigungsberechtigten Erwerbszweigen gehörten (act. G 3.1/7). Mit Einsprache vom 25. März 2006 und Ergänzung vom 11. April 2006 machte die Ortsgemeinde B. geltend, dass sie keine Steuergelder einnehme und ihre Erträge selbst erwirtschaften müsse. Sie sei mit privaten Forstunternehmungen vergleichbar und falle damit unter die entschädigungsberechtigten Erwerbszweige. Ausserdem könnten die Angestellten nicht anderweitig beschäftigt werden (act. G 3.1/6). Mit Einspracheentscheid vom 4. Mai 2006 hiess das Amt für Arbeit die Einsprache gut. Es erscheine glaubhaft, dass die Mitarbeiter der Forstwirtschaft nicht nach Gutdünken der Ortsgemeinde Schneeräumungsarbeiten für die politische Gemeinde ausführen könnten, weshalb ein Arbeitsausfall gegeben sei. Zudem verfüge die Einsprecherin über keine öffentlichen Mittel zur Abdeckung des wetterbedingten Arbeitsausfalls, weshalb auch ein Betriebsrisiko vorliege (act. G 3.1/1).
B.- a) Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) vom 6. Juni 2006 mit dem Antrag, der Einspracheentscheid vom 4. Mai 2006 sei aufzuheben und der Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung sei zu verneinen. Zwar sei die Ausrichtung von Schlechtwetterentschädigung an öffentliche Verwaltungen gemäss Art. 42 ff. AVIG nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Dabei handle es sich jedoch um ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers. Öffentliche Betriebe und Verwaltungen seien über die Steuern zu finanzieren (act. G 1).
Mit Beschwerdeantwort vom 10. Juli 2006 beantragt die Verwaltung Abweisung der Beschwerde. Die Art des Anstellungsverhältnisses spiele für den Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung keine Rolle. Ebenso komme es für die Arbeitnehmereigenschaft nicht auf den Status des Arbeitgebers an. Die Gemeinde
B. trage ein eigenes Betriebsrisiko, da ihr Arbeitsausfall nicht durch öffentliche Mittel gedeckt werde. Ausserdem habe keine Möglichkeit bestanden, die betroffenen Mitarbeiter anderweitig einzusetzen (act. G 3). Das seco verzichtet auf eine Replik (act. G 5).
Mit Schreiben des Versicherungsgerichts vom 25. August 2006 wurde die Ortsgemeinde B. zum Prozess beigeladen und ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben (act. G 6).
Mit Stellungnahme vom 13. September 2006 (Datum Postaufgabe) betont die Beigeladene nochmals, dass sie keine Steuerhoheit besitze. Der Forstbetrieb müsse nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden. Die Weisung KS Schlechtwetterentschädigung, D7 könne auf die Ortsgemeinde nicht angewandt werden (act. G 7).
II.
1.- Nach Art. 42 Abs. 1 AVIG haben Arbeitnehmer in Erwerbszweigen, in denen wetterbedingte Arbeitsausfälle üblich sind, Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung, wenn sie für die Versicherung beitragspflichtig sind das Mindestalter für die Beitragspflicht in der AHV noch nicht erreicht haben (lit. a) und sie einen anrechenbaren Arbeitsausfall erleiden (lit. b). Anrechenbar ist ein Arbeitsausfall, wenn er ausschliesslich durch das Wetter verursacht wird und die Fortführung der Arbeiten trotz genügender Schutzvorkehrungen technisch unmöglich wirtschaftlich nicht vertretbar ist den Arbeitnehmern nicht zugemutet werden kann, und wenn er vom Arbeitgeber ordnungsgemäss gemeldet wird (Art. 43 Abs. 1 AVIG).
2.- a) Vorliegend ist unbestritten, dass die forstwirtschaftliche Tätigkeit der Ortsgemeinde B. grundsätzlich unter den Begriff der Waldwirtschaft im Sinn von Art. 65 Abs. 1 lit. e AVIV fällt. Im Weiteren ist unbestritten, dass die betroffenen vier
Mitarbeiter nicht anderweitig eingesetzt werden konnten, also weder in der Schneeräumung für die Gemeinde W. noch für die Produktion von Holzartikeln, bzw. dass die Fortführung der Arbeiten im Wald trotz genügender Schutzmassnahmen nicht möglich war, dass mithin ein anrechenbarer Ausfall gegeben war. Umstritten ist dagegen, ob eine Ortsgemeinde als öffentlich-rechtliche Körperschaft überhaupt Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung für ihre Angestellten erheben kann.
Zunächst ist festzustellen, dass sich weder aus dem Gesetz noch aus der Verordnung ein Ausschluss von öffentlich-rechtlichen Körperschaften auf Leistungen der Schlechtwetterentschädigung ergibt, wie auch der Beschwerdeführer einräumt. Dieser beruft sich im Wesentlichen auf seine Weisung in KS SWE, D7, wonach Arbeitnehmende von öffentlichen Betrieben (Bund, Kanton, Gemeinden) vom Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung ausgeschlossen bleiben. Zur weiteren Begründung macht der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde geltend, dass der Gesetzgeber diese Körperschaften vom Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung nicht ausdrücklich ausgenommen habe, stelle ein qualifiziertes Schweigen dar. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass öffentliche Aufgaben über die Steuern zu finanzieren seien. Versicherungsleistungen auszuzahlen hiesse, die Beiträge an die Arbeitslosenversicherung in Sondersteuern umzufunktionieren, was nicht zulässig sei.
Demgegenüber stellt sich der Beschwerdegegner unter Berufung auf Nussbaumer (in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, 1. Aufl. Rz 450) und BGE 111 V 266 auf den Standpunkt, dass Beschäftigte im öffentlichen Dienst grundsätzlich unter die Leistungsberechtigten fielen, was einem Gebot der Gleichbehandlung des Personals des privaten und des öffentlichen Bereichs entspreche. Zwar fehle bei öffentlichen Betrieben in der Regel die Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalls, da die betroffenen Arbeitnehmer während den Ausfallzeiten anderweitig im Betrieb eingesetzt werden könnten. Im Fall der Forstgruppe der Beigeladenen sei jedoch plausibel, dass diese nicht nach Gutdünken Schneeräumungsarbeiten für die politische Gemeinde W. ausführen könne. Auch sei verständlich, dass wegen der fehlenden Nachfrage nach Holzartikeln nicht auf deren Produktion ausgewichen werden könne.
Mit dem Beschwerdegegner ist davon auszugehen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (ab 1. Januar 2007:
Bundesgericht, Sozialrechtliche Abteilungen) unter den Begriff des "Arbeitnehmers" nicht nur solche mit einem Arbeitsvertrag nach Art. 319 ff. OR, sondern auch Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst fallen (BGE 111 V 267 E. 2b, SVR-ALV 1996 Nr. 54, E. 3b und Nr. 55 E. 2; vgl. auch Nussbaumer, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band XIV, Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Rz 538, welcher die Weisung des Beschwerdeführers als unzutreffend ansieht). Dies entspricht auch der gesetzlichen Konzeption, wonach der Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung nicht etwa dem Arbeitgeber, sondern den Arbeitnehmenden zusteht und eine Art "Kündigungsschutz" darstellen soll. So haben denn Mitarbeiter, die mit der Schlechtwetterregelung nicht einverstanden und vom Arbeitgeber nach Arbeitsvertrag zu entlöhnen sind (vgl. Art. 43a lit. c AVIG), ein entsprechend höheres Kündigungsrisiko. Unter diesem Gesichtspunkt kann es grundsätzlich nicht darauf ankommen, in welcher rechtlichen Form der Arbeitgeber konstituiert ist. So schliesst auch das Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil vom 26. Mai 1994 den Anspruch von Bediensteten öffentlich-rechtlicher Einrichtungen auf Kurzarbeitsentschädigung nicht zum Vornherein aus, betont jedoch ebenfalls den Zweck des Instituts, eine Entlassung zu verhindern. In casu habe während der wenige Monate dauernden Phase der Kurzarbeit für die auf vier Jahre fest gewählten Beamten keine konkrete Gefahr der Entlassung bestanden (SVR-ALV 1994 Nr. 19, S. 43; vgl. auch SVR-ALV 1996 Nr. 55 E. 3b).
Zwar kann sich im Fall von Gemeinwesen mit Steuerhoheit tatsächlich die Frage stellen, welches Kollektiv die Kosten für einen Arbeitsausfall tragen soll (Kollektiv der Steuerzahlenden des betreffenden Gemeinwesens Kollektiv der Beitragszahlenden der Arbeitslosenversicherung). Im vorliegenden Fall kann die Frage jedoch offen gelassen werden. Wohl erbringen die Ortsgemeinden gemäss st. gallischem Gemeindegesetz (sGS 151.2) mit ihren Mitteln angemessene Leistungen für gemeinnützige, kulturelle und andere öffentliche Zwecke (Art. 19 Abs. 1 und 2). Steuereinnahmen können dafür aber nur ausnahmsweise von der Regierung bewilligt werden, wenn die Ortsgemeinde notwendige öffentliche Aufgaben erfüllt und die Ausgaben nicht aus anderen Einnahmen bestreiten kann (Art. 4 des st. gallischen Steuergesetzes; sGS 811.1). Vorliegend ist unbestritten, dass die Beigeladene über keine Steuereinnahmen verfügt und damit die Lohnkosten für ihre Angestellten selbst erwirtschaften muss. Wie der Beschwerdegegner zutreffend ausführt, gehören zu den
durch den Kanton und die politische Gemeinde teilweise abgegoltenen Beförsterungskosten lediglich die Kosten, die durch die Tätigkeit eines diplomierten Revierförsters entstehen, nicht jedoch jene der Mitarbeiter des Försters (Forstwarte und Lehrlinge; Art. 32 und Art. 33 Abs. 3 EGzWaG [sGS 651.1]). Mithin liegt ein Betriebsrisiko vor, und es kann nicht davon ausgegangen werden, für die Angestellten der Beigeladenen bestehe wie bei auf mehrere Jahre fest gewählten Beamten keine konkrete Gefahr des Stellenverlusts. Die Anspruchsberechtigung der Beigeladenen (bzw. von deren Arbeitnehmern) kann somit nicht unter diesem Titel verneint werden. Anzumerken bleibt, dass das Kriterium des Betriebsrisikos ohnehin fragwürdig erscheint. Zwar geht das Eidgenössische Versicherungsgericht bei der Kurzarbeitsentschädigung davon aus, dass die Bedingung von Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG (wirtschaftlich bedingter Arbeitsausfall) von einem Betrieb der öffentlichen Hand nicht erfüllt werden könne, da dieser kein eigenes Betriebsrisiko trage und nicht in Konkurs fallen könne, seine Existenz also durch ein negatives Betriebsergebnis nicht gefährdet sei (SVR-ALV 1996 Nr. 55, S. 171 E. 3b). Abgesehen davon, dass ein hohes Defizit auch bei öffentlichen Gemeinwesen zu Stellenabbau führen kann, wird die Gewährung von Kurzarbeits- Schlechtwetterentschädigung auch bei privatrechtlich organisierten Betrieben nicht davon abhängig gemacht, dass die Nichtgewährung von Leistungen existenzbedrohend wäre.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Beschwerdegegner die in seine Beurteilungszuständigkeit fallenden Anspruchsvoraussetzungen bezüglich der geltend gemachten Schlechtwetterentschädigung zu Recht bejaht hat. Insbesondere erscheint der anrechenbare Arbeitsausfall vom Beigeladenen glaubhaft dargelegt, ist vom Beschwerdegegner bereits anerkannt und vom Beschwerdeführer nicht bestritten worden, so dass sich eine diesbezügliche Rückweisung erübrigt.
3.- Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).
Demgemäss hat das Versicherungsgericht
im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG entschieden:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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