E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Versicherungsgericht (SG - AVI 2006/76)

Zusammenfassung des Urteils AVI 2006/76: Versicherungsgericht

Die Beschwerdeführerin L. beantragte Arbeitslosenentschädigung ab dem 1. Dezember 2005, nachdem sie fristlos bei ihrem vorherigen Arbeitgeber gekündigt hatte. Die Kantonale Arbeitslosenkasse setzte ihren versicherten Verdienst auf Fr. 1'962.-- fest, basierend auf tatsächlich erhaltenem Einkommen. Die Beschwerde gegen diesen Entscheid wurde abgelehnt. In der folgenden Beschwerde wurde argumentiert, dass der vertraglich vereinbarte Lohn als versicherter Verdienst gelten sollte. Das Versicherungsgericht entschied schliesslich, den versicherten Verdienst auf Fr. 2'576.-- festzusetzen, basierend auf den tatsächlichen Lohnzahlungen der letzten zwölf Beitragsmonate.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AVI 2006/76

Kanton:SG
Fallnummer:AVI 2006/76
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:AVI - Arbeitslosenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid AVI 2006/76 vom 05.01.2007 (SG)
Datum:05.01.2007
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 23 Abs. 1 AVIG. Bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes ist grundsätzlich von den tatsächlichen Lohnbezügen auszugehen. Davon ist lediglich dort abzuweichen, wo ein Missbrauch im Sinne der vereinbarten fiktiven Löhne, welche in Wirklichkeit nicht zur Auszahlung gelangen, praktisch ausgeschlossen werden kann (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 5. Januar 2007, AVI 2006/76). Aufgehoben durch Urteil des Bundesgerichts 8C_20/2007
Schlagwörter: Verdienst; Arbeit; Zahlung; Einarbeitungszuschüsse; Beitragsmonate; Bruttolohn; Sinne; Akten; Durchschnittslohn; Arbeitgeber; Schweiz; Anstellung; Kantonale; Arbeitslosenkasse; Versicherungsgericht; Arbeitsverhältnis; Einkommen; Einsprache; Berechnung; Arbeitsvertrag; Monatslohn; Löhne; Rahmenfrist; Ermittlung; Verdienstes; Missbrauch; Bemessungszeitraum
Rechtsnorm: Art. 13 AVIG;Art. 23 AVIG;Art. 66 AVIG;
Referenz BGE:123 V 70;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AVI 2006/76

Vizepräsidentin Marie-Theres Rüegg Haltinner, Versicherungsrichterinnen Marie Löhrer und Lisbeth Mattle Frei; Gerichtsschreiberin Christine Schaffhauser Angehrn

Entscheid vom 5. Januar 2007 In Sachen

L. ,

Beschwerdeführerin, gegen

Kantonale Arbeitslosenkasse, Davidstrasse 21, 9001 St. Gallen, Beschwerdegegnerin,

betreffend versicherter Verdienst

hat das Versicherungsgericht in Erwägung gezogen: I.

A.- a) Die 1944 geborene L. beantragte Arbeitslosenentschädigung ab 1. Dezember 2005. Ihr letztes Arbeitsverhältnis bei der T. hatte vom 1. September 2004 bis 30. November 2005 gedauert. Die Versicherte hatte die Stelle fristlos gekündigt, da sie keinen Lohn mehr erhalten hatte (act. G 4.12 und 4.13).

b) Mit Verfügung vom 23. März 2006 setzte die Kantonale Arbeitslosenkasse den versicherten Verdienst von L. auf Fr. 1'962.-- fest. Dies begründete sie damit, dass der versicherte Verdienst basierend auf dem tatsächlich erzielten Einkommen berechnet werde. Der belegte Lohnfluss betrage Fr. 25'506.--, was durch 13 Anstellungsmonate geteilt einen versicherten Verdienst von Fr. 1'962.-- ergebe (act. G 4.30). Die dagegen am 7. April 2006 erhobene Einsprache, in welcher die Versicherte die Berechnung unter Berücksichtigung des arbeitsvertraglich vereinbarten Einkommens mindestens einer zusätzlichen Zahlung von EUR 3'000.-- beantragte, wies die Kantonale Arbeitslosenkasse mit Entscheid vom 19. April 2006 ab (act. G 4.34, 4.35). Als versicherter Verdienst könne nur derjenige Lohn angerechnet werden, der auch tatsächlich realisiert worden sei. L. könne lediglich Zahlungen für die Monate September und Dezember 2004 (Fr. 7'392.75 und Fr. 3'400.--) sowie für Januar, Februar und März 2005 (Fr. 3'100.--, Fr. 1'750.-- und 2 x Fr. 3'000.--) genügend glaubwürdig nachweisen. Die Summe dieser Zahlungen entspreche einem Bruttolohn von Fr. 25'506.--, was geteilt durch 13 - entsprechend den Monaten des Anstellungsverhältnisses - einen versicherten Verdienst von Fr. 1'962.-- ergebe.

B.- a) Gegen den erwähnten Einspracheentscheid richtet sich die Beschwerde vom 18. Mai 2006 mit dem Antrag, der versicherte Verdienst sei auf der Basis der im Arbeitsvertrag vereinbarten Lohnsumme zu berechnen; eventualiter seien die in Betreibung gesetzten Lohnbestandteile dem versicherten Verdienst anzurechnen. Ausserdem sei der Betrag von EUR 3'000.-- als Einkommen anzuerkennen. Zur Begründung macht die Beschwerdeführerin geltend, obwohl der im Arbeitsvertrag vereinbarte Bruttolohn von Fr. 8'000.-- zuzüglich 13. Monatslohn von Seiten des Arbeitgebers nie bestritten worden und ausserdem durch die Einarbeitungszuschüsse

des Amtes für Arbeit belegt sei, habe sie den Lohn nur teilweise ausbezahlt bekommen. Als versicherter Verdienst gelte jedoch der im Sinne der AHV- Gesetzgebung massgebende Lohn. Dies sei in ihrem Fall der vertraglich vereinbarte Lohn, welcher auch als Berechnungsgrundlage für die Einarbeitungszuschüsse gedient habe (act. G 1).

  1. Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer Beschwerdeantwort vom 9. Juni 2006 die Abweisung der Beschwerde. Als versicherter Verdienst könne nur derjenige Lohn angerechnet werden, der auch tatsächlich realisiert worden sei (act. G 4).

  2. In ihrer Replik vom 8. Juli 2006 führt die Beschwerdeführerin aus, der Sinn von Art. 13 Abs. 1 AVIG ziele darauf ab, Missbräuche zu vermeiden. Eine erhöhte Beweispflicht betreffe diejenigen Arbeitsverhältnisse, wo entweder eine persönliche Bindung vorhanden wo der Angestellte zugleich Eigentümer wirtschaftlich Begünstigter des Betriebes sei. In diesen Fällen könne mit Recht verlangt werden, dass Lohnauszahlungen z.B. durch Banküberweisungen belegt würden. Die erhöhte Beweispflicht treffe jedoch nur Personen, bei denen die Gefahr des Missbrauchs mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorliege. Sie selber habe keinen Grund gehabt, mit ihren ehemaligen Arbeitgebern irgendwelche Absprachen zu treffen, sondern sie habe im Gegenteil immer wieder zur Zahlung der ausstehenden Löhne aufgefordert. Eine Folge davon sei die Barzahlung der EUR 3'000.-- gewesen, welche sie habe quittieren müssen. Es sei daher vom vertraglich vereinbarten Lohn auszugehen, welcher auch die Grundlage für die Auszahlung der Einarbeitungszuschüsse gebildet habe (act. G 6).

  3. Die Beschwerdegegnerin verzichtet auf eine Duplik (act. G 8).

C.- Am 20. Juli 2006 werden vom Versicherungsgericht die Akten des RAV betreffend Einarbeitungszuschüsse beigezogen (act. G 10). Die Beschwerdeführerin nimmt am 28. August 2006 Einsicht in diese Akten und reicht am 29. August 2006 einen Kontoauszug der Raiffeisenbank A. , lautend auf die T. , für die Zeit vom 1. bis 31. Juli 2005 ein (act. G 13, 13.1).

II.

1.- a) Als versicherter Verdienst gilt nach Art. 23 Abs. 1 AVIG der im Sinne der AHV- Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes aus einem mehreren Arbeitsverhältnissen normalerweise erzielt wurde; eingeschlossen sind die vertraglich vereinbarten regelmässigen Zulagen, soweit sie nicht Entschädigung für arbeitsbedingte Inkonvenienzen darstellen. Gemäss Art. 37 Abs. 1 AVIV bemisst sich der versicherte Verdienst nach dem Durchschnittslohn der letzten sechs Beitragsmonate vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug. Er bemisst sich nach dem Durchschnittslohn der letzten zwölf Beitragsmonate vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug, wenn dieser Durchschnittslohn höher ist als derjenige nach Abs. 1 (Art. 37 Abs. 2 AVIV).

b) Bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes ist grundsätzlich von den tatsächlichen Lohnbezügen auszugehen (BGE 123 V 70 Erw. 3 mit Hinweis; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band Soziale Sicherheit, Rz 302). Abweichungen rechtfertigen sich nur dort, wo ein Missbrauch im Sinne der Vereinbarung fiktiver Löhne, welche in Wirklichkeit nicht zur Auszahlung gelangen, praktisch ausgeschlossen werden kann. Eine restriktive Haltung dergestalt, dass bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes nur in begründeten Ausnahmefällen auf die Lohnabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abzustellen ist, erscheint auch aus gesetzessystematischen Gründen als geboten (SVR 2003 ALV Nr. 1, Erw. 3a/aa).

2.- a) Die Beschwerdeführerin absolvierte in Deutschland zuerst eine Ausbildung zur Industriekauffrau IHK (1974 - 1976) und dann zur Bilanzbuchhalterin IHK (1997 - 1998). Ihre dabei erlangten Kenntnisse konnte sie von 1976 bis 1980 als Stenokontoristin und Abteilungssekretärin bei der Firma B. in N. (D) sowie von 1983 bis 1998 als Buchhaltungskraft (Erstellen von Treuhandbuchhaltungen, Abrechnungen von Löhnen, Steuern, Sozialabgaben, kleinere Abschlüsse und Steuererklärungen sowie Kanzleiorganisation) in der Steuerkanzlei M. (D) anwenden. In der Schweiz arbeitete die Beschwerdeführerin bis zu ihrer Anstellung bei der T. nie auf diesem Gebiet (vgl. Lebenslauf in RAV-Akten betreffend Einarbeitungszuschüsse).

  1. Gemäss "Schweizerischer Lohnstrukturerhebung 2004" beträgt in der Ostschweiz der monatliche Bruttolohn (Zentralwert; inkl. Anteil 13. Monatslohn) für Frauen, welche

    im Bereich Sekretariats- sowie Rechnungs- und Personalwesen arbeiten, zwischen Fr. 5'417.-- und Fr. 5'844.--. Diese Tatsache sowie der Umstand, dass die Beschwerdeführerin vor Antritt der Stelle bei der T. während längerer Zeit nicht mehr und in der Schweiz gar nie im Bereich Buchhaltung/Rechnungswesen gearbeitet hatte, lassen darauf schliessen, dass sich der im Arbeitsvertrag vereinbarte Bruttolohn von Fr. 8'000.-- (excl. Anteil 13. Monatslohn) nicht an den realen Gegebenheiten orientierte. Auch die Tatsache, dass die T. nach Angaben der Beschwerdeführerin zuerst nur an einer 50%-Anstellung interessiert war, dann aber doch eine 100%-Stelle anbot, nachdem auf die Möglichkeit der Einarbeitungszuschüsse hingewiesen worden war, legt die Vermutung nahe, dass die Arbeitgeberin nicht vorhatte, der Beschwerdeführerin einen derart hohen Lohn zu bezahlen, sondern sich nach der Höhe des höchstmöglichen Einarbeitungszuschusses richtete (vgl. Art. 66 Abs. 1 AVIG sowie Gehaltsaufstellung in act. G 1.3). Eine Abweichung vom Grundsatz, dass bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes grundsätzlich von den tatsächlichen Lohnbezügen auszugehen ist, rechtfertigt sich daher im vorliegenden Fall nicht, kann doch ein Missbrauch im Sinne der Vereinbarung eines fiktiven Lohnes gerade nicht ausgeschlossen werden. Hingegen ist die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Barzahlung vom 15. Juli 2005 in der Höhe von EUR 3'000.--, welche sie mit einer eigenhändig unterzeichneten Quittung belegte, als Lohn zu berücksichtigen (act. G 4.8). Diese Zahlung erscheint glaubwürdig, verzichtete die Beschwerdeführerin doch mit der Quittierung auf einen Anteil, welcher in einem allfälligen Verwertungsverfahren gegen die T. erhältlich gemacht werden könnte.

  2. Die Beschwerdeführerin erhielt - abgesehen von der Zahlung von EUR 3'000.-- im Juli 2005 - ab April 2005 keine Lohnzahlungen mehr. Ihren letzten Arbeitstag hatte sie im August 2005 (act. G 4.13, G 4.24). Der Bemessungszeitraum beginnt gemäss Art. 37 Abs. 3 AVIV, unabhängig vom Zeitpunkt der Anmeldung zum Taggeldbezug, am Tag vor dem Eintritt eines anrechenbaren Verdienstausfalles, wenn vor diesem Tag mindestens zwölf Beitragsmonate innerhalb der Rahmenfrist für die Beitragszeit liegen. Die beitragspflichtige Beschäftigung der Beschwerdeführerin begann am 1. September 2004, womit die massgebenden zwölf Monate von diesem Zeitpunkt an bis 31. August 2005 dauerten. Da die Beschwerdeführerin ausserdem vor allem in den ersten sechs Monaten dieses Berechnungszeitraums Lohn erhielt, ist auf die gesamten zwölf Monate abzustellen.

  3. Aufgrund des Gesagten und der Akten sind für den Bemessungszeitraum der letzten zwölf Beitragsmonate die folgenden Lohnzahlungen (Netto-Beträge) zu berücksichtigen (vgl. act. G 4.24, Beilagen):

24. September 2004 Fr. 7'392.75

2. Dezember 2004 Fr. 3'400.--

26. Januar 2005 Fr. 3'100.--

1. Februar 2005 Fr. 1'750.--

1. März 2005 Fr. 3'000.--

31. März 2005 Fr. 3'000.--

15. Juli 2005 Fr. 4'677.30

(EUR 3'000.-- zum Kurs von 1.5591, Stichtag 15. Juli 2005).

Dieses Total von Fr. 26'320.05 ist mit dem Faktor 1.1745, welcher sich aufgrund der Sozialversicherungsabzüge von insgesamt 14.86% (AHV 5.05%,

Arbeitslosenversicherung 1%, NBUV 1.47%, Krankenkasse 1%, PK 6.34%) ergibt, zu multiplizieren, was eine Brutto-Lohnsumme von Fr. 30'912.90 ergibt. Somit resultiert aus den massgebenden zwölf Beitragsmonaten September 2004 bis August 2005 ein Durchschnittslohn von Fr. 2'576.05, was gerundet einen versicherten Verdienst von Fr. 2'576.-- ergibt.

3.- Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen und der versicherte Verdienst auf Fr. 2'576.-- festzusetzen. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).

Demgemäss hat das Versicherungsgericht entschieden:

  1. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird der Einspracheentscheid vom 19. April 2006 aufgehoben und der versicherte Verdienst auf Fr. 2'576.-- festgesetzt.

  2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.