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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:AVI 2006/142
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:AVI - Arbeitslosenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid AVI 2006/142 vom 04.07.2007 (SG)
Datum:04.07.2007
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG. Zumutbarkeit der Arbeit nicht bewiesen. Grundlage für Einstellung nicht erstellt (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kanton St. Gallen vom 4. Juli 2007, AVI 2006/142).
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 330b OR ;
Referenz BGE:117 V 264; 122 V 38; 125 V 195;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
Präsidentin Lisbeth Mattle Frei, Versicherungsrichterin Marie Löhrer, Versicherungsrichter Martin Rutishauser; Gerichtsschreiber Jürg Schutzbach

Entscheid vom 4. Juli 2007 In Sachen

L. ,

Beschwerdeführer, gegen

RAV St. Gallen, Unterstrasse 4, Postfach, 9001 St. Gallen, Beschwerdegegner,

vertreten durch Amt für Arbeit, Unterstrasse 22, 9001 St. Gallen, betreffend

Einstellung in der Anspruchsberechtigung (zumutbare Arbeit) hat das Versicherungsgericht in Erwägung gezogen:

I.

A.- L. , seit 1. September 2005 arbeitslos gemeldet, wurde vom RAV St. Gallen am

5. Juli 2006 eine Stelle als Möbelmonteur bei der Firma A. Transporte zugewiesen (act. G 4.A1). Laut Rückmeldung der Arbeitgeberin bewarb sich der Versicherte am 10. Juli 2006 schriftlich, wobei es zu keiner Anstellung kam (act. G 4.A2). Auf der Rückmeldung betreffend Eignungsabklärung gab die Arbeitgeberin an, der Versicherte habe am 18. Juli 2006 dort gearbeitet, sei jedoch mit den Arbeitsbedingungen nicht einverstanden gewesen (act. G 4.A3). In seiner Stellungnahme vom 21. August 2006 gab der Versicherte an, die Anstellung sei nicht zumutbar gewesen. So hätte er von

7.30 bis ca. 21.00 oder 22.00 Uhr arbeiten müssen mit einer 20-minütigen "Znünipause", jedoch ohne Mittagspause. Zudem hätte der Lohn nur Fr. 4'000.-- (brutto) betragen (act. G 4.A9). Nachdem die Arbeitgeberin diese Darstellung in Abrede stellte, verfügte das RAV St. Gallen am 8. September 2006 eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung von 31 Tagen, beginnend am 27. Juli 2006, da der Versicherte eine zumutbare Stelle abgelehnt habe (act. G 4.A11). Die dagegen erhobene Einsprache vom 14. September 2006, mit welcher der Versicherte unter anderem gesundheitliche Gründe für die Ablehnung geltend machte, wies das RAV mit Entscheid vom 11. Oktober 2006 ab, da kein Arztzeugnis vorliege und er angegeben habe, eine Stelle als Monteur/Techniker zu suchen (act. G 4.A13).

B.- a) Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 26. Oktober 2006 mit dem sinngemässen Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Betreffend tägliche Arbeitszeiten stehe Aussage gegen Aussage. Da jedoch der Stundenlohn bei der Firma A. geringer gewesen wäre als die Arbeitslosenentschädigung, sei er ohnehin nicht verpflichtet gewesen, die Stelle anzunehmen. Es treffe zu, dass die vorgezogene Stelle bei der B. AG auf dem Papier die gleichen Aufgaben umfasse wie die Stelle bei A. . Bei der B. AG herrsche jedoch eine ganz andere Kultur, was den Umgang mit den Möbeln und den Mitarbeitern anbelange (act. G 1).

  1. Mit Beschwerdeantwort vom 8. Dezember 2006 beantragt die Verwaltung Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung wird einerseits vorgebracht, dass die Stelle lohnmässig zumutbar gewesen wäre. Bei einem versicherten Verdienst von Fr.

    4'875.-- wäre der angebotene Lohn von Fr. 4'000.-- (brutto) deutlich höher als die Zumutbarkeitsgrenze von Fr. 3'412.50 (70 % von Fr. 4'875.--) gewesen. Zum anderen wären allfällig zu leistende Überstunden nach den gesetzlichen Vorschriften zu entschädigen gewesen, wenn nicht eine Kompensation vereinbart worden wäre (act. G 4).

  2. Auf entsprechende Anfrage des Gerichts vom 27. April 2007 führte die Firma A. Transporte am 3. Mai 2007 aus, dass sie im Auftragsverhältnis für die Firma C. arbeite. Die Aufträge würden den Mitarbeitern so zugeteilt, dass sie diese im Rahmen einer gleitenden Arbeitszeit in acht bis neun Stunden pro Tag erledigen könnten. Dabei könne es vorkommen, dass länger gearbeitet werde, wobei dies anderntags mit einer geringeren Arbeitszeit kompensiert werde. Die Pauseneinteilung sei von den Mitarbeitern im Rahmen der Auftragserledigung frei einteilbar (act. G 8).

II.

1.- a) Im Rahmen ihrer Schadenminderungspflicht ist eine arbeitslos gemeldete Person verpflichtet, eine vermittelte zumutbare Arbeit anzunehmen (Art. 17 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung [AVIG]). Nach Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG ist die versicherte Person in der Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn sie die Kontrollvorschriften oder die Weisungen der zuständigen Amtsstelle nicht befolgt, namentlich eine ihr zugewiesene zumutbare Arbeit ohne entschuldbaren Grund nicht annimmt. Dieser Einstellungstatbestand ist auch dann erfüllt, wenn Versicherte die Arbeit zwar nicht ausdrücklich ablehnen, es aber durch ihr Verhalten in Kauf nehmen, dass die Stelle anderweitig besetzt wird. Arbeitslose Versicherte haben bei den Verhandlungen mit dem künftigen Arbeitgeber klar und eindeutig die Bereitschaft zum Vertragsabschluss zu bekunden, um die Beendigung der Arbeitslosigkeit nicht zu gefährden (BGE 122 V 38 Erw. 3b).

  1. Die Dauer der Einstellung bemisst sich nach dem Grad des Verschuldens (Art. 30 Abs. 3 AVIG) und beträgt je Einstellungsgrund 1 bis 15 Tage bei leichtem, 16 bis 30 Tage bei mittelschwerem und 31 bis 60 Tage bei schwerem Verschulden (Art. 45 Abs. 2 AVIV). Ein schweres Verschulden liegt vor, wenn die versicherte Person ohne

    entschuldbaren Grund eine zumutbare Arbeitsstelle ohne Zusicherung einer neuen aufgegeben oder eine zumutbare Arbeit abgelehnt hat (Art. 45 Abs. 3 AVIV).

  2. Im Sozialversicherungsprozess, welcher von der Untersuchungsmaxime beherrscht wird, tragen die Parteien in der Regel eine objektive Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (BGE 125 V 195 Erw. 2, 117 V 264 Erw. 3b). Es handelt sich dabei nicht um die Beweisführungslast, sondern um die Beweislast. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es unmöglich ist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes auf Grund einer Beweiswürdigung den Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 7. November 2006 [C 193/06], Erw. 1, mit Hinweisen auf BGE 117 V 264 Erw. 3b und Urteil vom 27. April 2006, C 97/05).

2.- a) Vorliegend ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer die am 5. Juli 2006 zugewiesene Stelle bei der Firma A. Transporte abgelehnt hat. Er macht jedoch geltend, die Stelle sei unzumutbar gewesen. So hätten die Arbeitszeiten von 7.30 Uhr - nur mit einer "Znüni-" aber ohne Mittagspause - bis 21.00 Uhr oder gar 22.00 Uhr gedauert. Dies widerspreche dem Arbeitsgesetz. Weiter sei der Lohn zu gering gewesen. Der Bruttolohn von Fr. 4'000.-- hätte einem Stundenlohn von Fr. 15.50 entsprochen. Beim RAV habe er umgerechnet einen Stundenlohn von Fr. 16.50 gehabt, weshalb er nicht verpflichtet gewesen sei, die Stelle anzutreten. Schliesslich bringt der Beschwerdeführer implizit vor, die abgelehnte Stelle sei zu hektisch gewesen, was bei ihm psychologische Probleme auslöse.

  1. Mit der Beschwerdegegnerin ist zunächst festzustellen, dass die abgelehnte Stelle in finanzieller Hinsicht zumutbar war. So betrug der versicherte Verdienst des Beschwerdeführers Fr. 4'875.--, was bei einem Taggeldansatz von 70 % einer Zumutbarkeitsgrenze von Fr. 3'412.50 entspricht (vgl. act. G 4.C10). Der angebotene Bruttolohn von Fr. 4'000.-- lag somit deutlich über dieser Grenze (vgl. auch Art. 16 Abs. 2 lit. i AVIG). Im Weiteren hätte die zugewiesene Stelle eine Tätigkeit als Möbelmonteur umfasst (act. G 4.A1). Gemäss Angaben der Arbeitgeberin gehörten dazu der Transport und die Montage (von Möbeln) für die Kunden von C. , inklusive Laden und Abladen

    des LKW (act. G 4.A7). Ähnliche Aufgaben umfasst die Tätigkeit des Beschwerdeführers für die B. AG, nämlich Transport und Auslieferung, Montage und Aufstellung der Wohn- und Objektmöbel, Auf- und Ablad der Ware sowie Mithilfe im Lager, Entsorgung und die Pflege des Fahrzeugs (act. G 4.B73). Von der Tätigkeit her war die zugewiesene Stelle - wie auch der Beschwerdeführer nicht bestreitet - grundsätzlich zumutbar.

  2. Bezüglich der Arbeitszeiten steht Aussage gegen Aussage, bestreitet doch die Arbeitgeberin die vom Beschwerdeführer gemachten Angaben. So führt die Arbeitgeberin in ihrem Schreiben vom 15. August 2006 (Datum falsch, da Stellungnahme des Beschwerdeführers erst vom 21. August 2006 und Anfrage des RAV erst vom 30. August 2006 datieren) aus, dass keine solchen, wie vom Beschwerdeführer geschilderten Arbeitszeiten herrschten. Zwar komme es vor, dass Überstunden zu leisten seien, jedoch bei weitem nicht im geschilderten Ausmass (act. G 4.A7). In einer durch das Versicherungsgericht veranlassten Abklärung erklärt die potentielle Arbeitgeberin, die Aufträge würden den Mitarbeitern so zugeteilt, dass sie im Rahmen einer gleitenden Arbeitszeit in acht bis neun Stunden pro Tag erledigt werden könnten. Überstunden würden am nächsten Tag mit einer geringeren Arbeitszeit kompensiert. Die Pauseneinteilung sei von den Mitarbeitern frei wählbar, sofern die Arbeiten auftragsgemäss erledigt würden (act. G 8). Die Antwort der Arbeitgeberin schliesst nicht aus, dass die vom Beschwerdeführer genannten Arbeitszeiten der Wirklichkeit entsprechen, da sich die Arbeitszeit ja nach den erteilten Aufträgen richtete und die Arbeitgeberin keine Angaben darüber machte, wie viele Überstunden durchschnittlich anfallen. Es fällt im Übrigen auf, dass die potentielle Arbeitgeberin in ihren Angaben nicht konstant blieb und teilweise auch falsche Angaben machte. So hat die Arbeitgeberin zunächst erklärt, ein Arbeitsvertrag sei nicht zustande gekommen, weil der Beschwerdeführer mit den Arbeitsbedingungen nicht zufrieden war (act. G 4.A3). Dann soll es plötzlich die Weigerung des Beschwerdeführers gewesen sein, schwerere Gegenstände zu tragen, wieso die Arbeitgeberin selber den Beschwerdeführer nicht angestellt habe (act. G 4.A7). Im Gerichtsverfahren führte die Arbeitgeberin erstmals an, dass der Beschwerdeführer zweimal zu spät und einmal gar nicht zur Arbeit erschienen sei (act. G 8). In der Bescheinigung vom 26. Juli 2006 deklarierte die Arbeitgeberin lediglich einen Schnuppertag (18. Juli 2006, act. G A.3), obwohl nach den Akten ein zweiter

Schnuppertag am 20. Juli 2006 ausgewiesen erscheint (vgl. act. G 4.A9) und die Arbeitgeberin an anderer Stelle von drei Schnuppertagen spricht (act. G 4.A7). Nachdem die Arbeitgeberin auch im vorliegenden Verfahren nicht genau darlegen konnte oder wollte, wie die täglichen Arbeitszeiten sowie die Pausen- und Überstundenregelung konkret aussehen, kann nicht beurteilt werden, ob die Stelle den Anforderungen des Arbeitsgesetzes entsprochen hätte und damit im zeitlichen Umfang zumutbar gewesen wäre. Da von weiteren Abklärungen keine zusätzlichen Aufschlüsse mehr zu erwarten sind, ist mithin zu entscheiden, wer die Folgen dieser Beweislosigkeit zu tragen hat.

Zwar hat die versicherte Person nach Art. 16 Abs. 1 AVIG zur Schadenminderung grundsätzlich jede Arbeit unverzüglich anzunehmen, soweit sie nicht eine der in Abs. 2 der selben Bestimmung genannten Ausnahmetatbestände erfüllt. Diese gesetzliche Konzeption spricht dafür, dass vermutungsweise von der Zumutbarkeit einer Stelle ausgegangen werden kann, solange keine vernünftigen Zweifel daran bestehen. Indessen lässt sich daraus keine Beweislastverteilung ableiten. Im vorliegenden Fall geht es um eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG. Diese setzt u.a. voraus, dass die versicherte Person eine "zumutbare" Arbeit nicht annimmt. Das Vorliegen des Einstellungsgrundes hat die Verwaltung nachzuweisen; sie trägt also die entsprechende Beweislast. Bleiben erhebliche Zweifel an der Zumutbarkeit einer Stelle bestehen, so kann keine Einstellung verfügt werden. Der Beschwerdeführer hat bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, die zugewiesene Stelle sei in Bezug auf die Arbeitszeiten nicht zumutbar (act. G 4.A9). Nachdem dieser Einwand auf Grund der bloss vage gebliebenen Bestreitung der Arbeitgeberin nicht einfach aus der Luft gegriffen erscheint, wäre es Sache der Verwaltung gewesen, die konkreten Arbeitsbedingungen an der zugewiesenen Stelle in Erfahrung zu bringen (vgl. auch Art. 330b OR, wonach ein Arbeitgeber seit 1. April 2006 verpflichtet ist, u.a. die wöchentliche Arbeitszeit schriftlich bekannt zu geben). Statt die konkreten Arbeitsbedingungen abzuklären, gab sich die Verwaltung mit der blossen Bestreitung der Einwände durch die Arbeitgeberin zufrieden. Nachdem wie gesagt von weiteren Abklärungen keine Aufschlüsse mehr zu erwarten sind, ist mithin nicht erstellt, dass der Beschwerdeführer eine zumutbare Stelle abgelehnt hat, weshalb keine Einstellung in der Anspruchsberechtigung erfolgen kann.

Bei diesem Resultat kann schliesslich offen bleiben, ob die Stelle auch noch aus weiteren Gründen, namentlich den geltend gemachten Gesundheitsproblemen, unzumutbar gewesen wäre.

Im Sinn der vorstehenden Erwägungen ist der angefochtene Einspracheentscheid aufzuheben und die Beschwerde gutzuheissen. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).

Demgemäss hat das Versicherungsgericht entschieden:

1. In Gutheissung der Beschwerde wird der angefochtene Einspracheentscheid vom

11. Oktober 2006 aufgehoben.

2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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