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Urteil Versicherungsgericht (SG - AHV 2015/27)

Kopfdaten
Kanton:SG
Fallnummer:AHV 2015/27
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:AHV - Alters- und Hinterlassenenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid AHV 2015/27 vom 10.03.2017 (SG)
Datum:10.03.2017
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 52 AHVG. Organhaftung. Der Beschwerdeführer war als formelles Organ einer in Konkurs gefallenen GmbH im Handelsregister eingetragen (Geschäftsführer und einziger Gesellschafter). Weder sein Hinweis auf seine Rolle als blosser "Strohmann" noch auf seine angebliche Unerfahrenheit in geschäftlichen Dingen vermögen ihn von der Organhaftung zu entlasten. So trifft den "Strohmann" gerade den Vorwurf, sich auf Verhältnisse eingelassen zu haben, die ihm die korrekte Ausübung seiner Pflichten verunmöglichen; den Unfähigen trifft ein Übernahmeverschulden. Im Übrigen gilt ein objektivierter Verschuldensmassstab (E. 2.3). Schliesslich ist auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer - wie geltend gemacht - urteilsunfähig war, so dass die entsprechende Vermutung des Art. 16 ZGB nicht umgestossen wird (E. 2.4) (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 10. März 2017, AHV 2015/27).
Zusammenfassung:Die B. GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer C., wurde von der Ausgleichskasse Schreiner auf Schadenersatz in Höhe von Fr. 124'143.65 verklagt, weil Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt wurden. C. argumentierte, dass er als einfacher Schreiner keine Kontrollbefugnisse hatte und von D., dem faktischen Geschäftsführer, getäuscht wurde. Das Gericht entschied jedoch, dass C. als formelles Organ der GmbH die Pflichten hätte erkennen und handeln müssen. Die Ausgleichskasse wurde in ihrem Anspruch bestätigt, da ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Verschulden von C. und dem Schaden bestand. Die Beschwerde wurde abgewiesen, keine Gerichtskosten wurden erhoben.
Schlagwörter: ähig; Organ; Schaden; Geschäftsführer; Arbeitgeber; Verschulden; Urteil; Konkurs; Gesellschaft; Recht; Beschwerdeführers; Ausgleichskasse; Handelsregister; Schadenersatz; Arbeitnehmer; Person; Pflicht; Entscheid; Bücher; Pflichten; Haftung; Organs; Fähigkeit; Einsicht; Geschäftsführung; Fähigkeiten; Versicherung
Rechtsnorm: Art. 13 ZGB ; Art. 14 AHVG ; Art. 16 ZGB ; Art. 165 StGB ; Art. 17 ZGB ; Art. 51 AHVG ; Art. 52 AHVG ; Art. 716a OR ;
Referenz BGE:108 V 202; 129 V 11;
Kommentar:
-
Entscheid
Entscheid vom 10. März 2017

Besetzung

Präsidentin Lisbeth Mattle Frei, Versicherungsrichterinnen Christiane Gallati Schneider

und Marie-Theres Rüegg Haltinner; Gerichtsschreiber Jürg Schutzbach Geschäftsnr.

AHV 2015/27

Parteien

  1. ,

    Beschwerdeführer,

    vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Peter Bürki, bürki bolt németh rechtsanwälte, Auerstrasse 2, Postfach 91, 9435 Heerbrugg,

    gegen

    Ausgleichskasse Schreiner, Gladbachstrasse 80, Postfach, 8044 Zürich,

    Beschwerdegegnerin,

    Gegenstand

    Schadenersatzforderung (B. GmbH; in Konkurs)

    Streitwert bundesrechtliche Forderung: Fr. 124'143.65

    Sachverhalt

    A.

    1. Die B. GmbH war Zeit ihres Bestehens, d.h. von der Eintragung am 20. Juli 2009 bis zur amtlichen Löschung am 16. März 2015, bei der Ausgleichskasse Schreiner als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. Ebenfalls während dieses Zeitraums war C. als alleiniger Gesellschafter und - zusammen mit D. - als Geschäftsführer der GmbH im Handelsregister eingetragen. Am 17. Juni 2014 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet und am 12. März 2015 wieder geschlossen (online-Handelsregisterauszug, abgerufen am 3. Februar 2017).

    2. Mit Verfügung vom 21. Juli 2015 machte die Ausgleichskasse gegenüber C. Schadenersatz in Höhe von Fr. 124'143.65 für entgangene bundesrechtliche Sozialversicherungsbeiträge geltend (act. G 1.3). Die dagegen erhobene Einsprache

vom 16. August 2015 - er (C. ) sei nur ein Arbeiter ohne Befugnisse gewesen; die Einsicht in die Bücher sei ihm immer wieder verweigert worden - wies die Ausgleichskasse mit Entscheid vom 1. Oktober 2015 ab. Aus der formellen Organstellung und daraus anzurechnenden Kenntnissen seien dem Einsprecher verstärkte Kontrollpflichten erwachsen. Die Einsicht in die Bücher sei jedem Gesellschafter zu gewähren und sei nötigenfalls gerichtlich durchsetzbar. Könne ein Organ seinen zwingenden Pflichten nicht nachkommen, habe es umgehend seine Demission zu erklären (act. G 1.2).

B.

    1. Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 5. November 2015 mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheids vom 1. Oktober 2015. Der Beschwerdeführer sei in Wahrheit ein ganz normaler Schreiner gewesen, der in Bezug auf die Geschäftsführung nichts zu sagen gehabt habe. Wie sehr er von D. übertölpelt worden sei, ergebe sich daraus, dass das Konkursamt des Kantons St. Gallen seine Lohnforderung in der ersten Klasse anerkannt habe. Auf diese Privilegierung habe nur der Arbeitnehmer Anspruch, der dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterstehe. Dabei komme es nicht auf den Handelsregistereintrag, sondern auf die tatsächliche Stellung des Arbeitnehmers an. Der vorliegende Fall sei nicht mit jenem vergleichbar, in welchem ein Strohmann die Gefahr zwar realisiere, aber trotzdem nicht die nötigen Schlüsse ziehe. Der Beschwerdeführer habe die Tragweite seines Handelns überhaupt nicht erkannt und mit seinen beschränkten geistigen Fähigkeiten auch nicht erkennen können. Es fehle ihm damit die Schuldfähigkeit. Das Konkursamt E. habe sodann nur gegen D. Strafanzeige wegen "krasser Misswirtschaft" erhoben. Gelange das Untersuchungsamt F. zur Auffassung, dass den Beschwerdeführer im Zusammenhang mit seiner Organstellung bei der B. GmbH keinerlei Verschulden treffe, fehle dem Schadenersatzbegehren jede Grundlage (act. G 1).

    2. Mit Beschwerdeantwort vom 15. Dezember 2015 beantragt die Verwaltung Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer sei als voll geschäftsfähig anzusehen. Als langjähriger Berufsmann und Schreinermonteur könne er wohl kein übertölpelter, völlig blauäugiger, in seinen geistigen Fähigkeiten beschränkter Mensch

      sein. Gerade das mehrfache Begehren um Einsicht in die Bücher zeige, dass er guten Grund zur Annahme ungetreuer Geschäftsführung durch den anderen Geschäftsführer gehabt habe. Der Beschwerdeführer habe auch die sich aus dem Mandatsvertrag ergebenden Rechte zur Mandatsniederlegung nicht genutzt. Nach geltender Rechtsprechung hätte er zur Vermeidung der Mithaftung zwingend als Organ demissionieren müssen. Das jahrelange, widerrechtliche Unterlassen der Kontrollfunktion stelle ein qualifiziertes Verschulden im Sinn der groben Fahrlässigkeit des Art. 52 Abs. 1 AHVG dar (act. G 3).

    3. Mit Replik vom 29. April 2016 macht der Beschwerdeführer nochmals geltend, als willenloses Werkzeug des faktischen Firmeninhabers und Geschäftsführers D. missbraucht worden zu sein. Die Qualifikation eines in seinen geistigen Fähigkeiten beschränkten Menschen, der unter fehlender Kompetenz und Urteilsfähigkeit keine Risikokenntnis gehabt habe, treffe beim Beschwerdeführer leider zu. Wer vom eigentlichen Chef missbraucht und mit einer Funktion versehen werde, für die ihm die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten vollends abgingen, dürfe doch nicht gleich verantwortlich gemacht werden, wie der versierte Geschäftsmann, der nachlässig handle und seine Aufgaben in Missachtung der ihm obliegenden Pflichten nicht wahrnehme. Fundamental juristische Begriffe wie Widerrechtlichkeit und Schuldfähigkeit gälten in allen Rechtsbereichen gleich. Grobfahrlässiges Handeln könne man nur dem unterstellen, der im Wissen um das, was er tun müsste, nicht getan habe, was von ihm verlangt werde (act. G 11). Die Beschwerdegegnerin verzichtet auf eine Duplik.

    4. Auf entsprechende Nachfrage des Gerichts substantiiert die Beschwerdegegnerin den geltend gemachten Schaden mit Eingabe vom 22. Juni 2016 auf Fr. 124'143.65 inklusive Verwaltungskosten, wobei es sich ausschliesslich um bundesrechtliche Beiträge handle (act. G 14). Am 5. August 2016 reicht sie zusätzlich einen Kontokorrentauszug per 22. April 2015 ein (act. G 16). Der Beschwerdeführer verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen

1.

Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen (Art. 52 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [AHVG; SR 831.10). Nach ständiger Rechtsprechung gilt diese Haftung entgegen dem (früheren) Wortlaut des Gesetzes nicht nur für die Arbeitgeber, sondern auch für die Organe von Arbeitgebern (BGE 129 V 11, 126 V 237, 123 V 12 E. 5b S. 15, je mit Hinweisen; seit 1. Januar 2012 ausdrücklich geregelt in Art. 52 Abs. 2 AHVG). Die Arbeitgebenden sind verpflichtet, von dem von ihnen ausgerichteten Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit die Arbeitnehmerbeiträge in Abzug zu bringen, mit der Ausgleichskasse abzurechnen sowie die erforderlichen Angaben zu machen, und die Beiträge zusammen mit dem Arbeitgeberbeitrag periodisch der Ausgleichskasse zu entrichten (Art. 14 Abs. 1 und Art. 51 AHVG, Art. 34 und 36 der Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [AHVV; SR 831.101]). Die Missachtung dieser Pflichten verletzt Vorschriften der Versicherung im Sinne von Art. 52 AHVG. Art. 52 Abs. 1 AHVG sieht eine Verschuldenshaftung nach öffentlichem Recht vor. Damit eine Schadenersatzpflicht entstehen kann, müssen alle Haftungsvoraussetzungen gegeben sein, d.h. es muss ein Schaden eingetreten sein, der auf ein widerrechtliches und schuldhaftes Verhalten des verantwortlichen Organs zurückzuführen ist. Zudem muss zwischen dem Verhalten der belangten Person und dem eingetretenen Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang gegeben sein. Diese Haftungsordnung gilt auch für die Beitragsforderungen der Arbeitslosenversicherung (Art. 6 des Bundesgesetzes über die Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung [SR 837.0]). Die Schadenersatzforderung verjährt zwei Jahre nachdem die zuständige Ausgleichskasse vom Schaden Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Eintritt des Schadens (Art. 52 Abs. 3 AHVG).

2.

    1. Vorliegend sind im Wesentlichen die Organstellung und das Verschulden des Beschwerdeführers umstritten, während die übrigen Haftungsvoraussetzungen - namentlich der Schadensbetrag - sowie die Rechtzeitigkeit der Schadenersatzverfügung nicht umstritten sind.

    2. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, es sei ihm in tatsächlicher Hinsicht keine Organstellung im Unternehmen zugekommen. Vielmehr sei D. der eigentliche Eigentümer und auch der (alleinige) Geschäftsführer der B. GmbH gewesen. Dies zeige sich namentlich daran, dass die Konkursverwaltung seine Lohnforderung in der ersten Klasse kolloziert habe. Anspruch auf eine Kollozierung in der ersten Klasse habe nur der Arbeitnehmer, der dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterstehe und somit in einem Subordinationsverhältnis zum Arbeitgeber stehe. Massgebend sei, über welche Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Arbeitnehmer verfüge, wie massgeblich er an der Geschäftspolitik teilhaben könne und ob er Einsicht in die Geschäftsunterlagen habe. Dabei komme es nicht auf den Handelsregistereintrag, sondern auf die tatsächliche Stellung des Arbeitnehmers an. Das Konkursamt habe die Umstände geprüft und sei zum Schluss gelangt, dass dem Beschwerdeführer de facto nicht die Stellung zugekommen sei, welche sich aus dem Handelsregister ergebe. Diese Ausführungen mögen in konkursrechtlicher Hinsicht zutreffen. Im vorliegenden Verfahren kann der Beschwerdeführer daraus jedoch nichts für seinen Standpunkt ableiten, da der Organhaftung auch - und gerade - Personen mit Entscheidbefugnissen unterstehen, die ihnen von Gesetzes wegen zukommen (formelle Organe [MARCO REICHMUTH, Die Haftung des Arbeitgebers und seiner Organe nach Art. 52 AHVG, Rz 201]). Zu diesen gehörte der Beschwerdeführer, der als Geschäftsführer und einziger Gesellschafter der B. GmbH im Handelsregister eingetragen war, zweifellos.

    3. In Bezug auf das Verschulden macht der Beschwerdeführer geltend, er könne für den Schaden nicht verantwortlich gemacht werden, da er vom faktischen Firmeninhaber und Geschäftsführer "übertölpelt" worden sei. Er habe die Tragweite seines Handelns überhaupt nicht erkannt. Ihm fehle die Schuldfähigkeit, was das Konkursamt durch die Kollokation seiner Lohnforderung in der ersten Klasse anerkannt habe. Dieses habe auch nur gegen D. Strafklage erhoben. Der Beschwerdeführer sei als "einfacher Büezer" von einem Investor missbraucht worden und habe die daraus entstehende Gefahr nicht erkannt. Er sei blauäugig davon ausgegangen, dass er keine Pflichten habe. Er sei deshalb für die Unterlassungen des faktischen Organs nicht haftbar, weil ihm die Urteilsfähigkeit für seine Funktion fehle. Dem ist jedoch zunächst entgegen zu halten, dass im Bereich der Organhaftung nach Art. 52 AHVG ein objektivierter Verschuldensmassstab gilt. Die subjektive Entschuldbarkeit bzw. die persönliche Vorwerfbarkeit sind damit ebenso unbeachtlich wie die Gründe für die

      Annahme der Arbeitgeber- bzw. Organfunktion. Namentlich genügt die Vorsicht, die in den eigenen Angelegenheiten angewendet wird (diligentia quam in suis), nicht (Urteil H 200/01 vom 13. November 2001 E. 3a, in: AHI 2002 S. 51; vgl. auch MARCO REICHMUTH, a.a.O., Rz 548). Das Bundesgericht (bzw. das vormalige Eidgenössische Versicherungsgericht) hat in konstanter Praxis ausgeführt, grobe Fahrlässigkeit sei gegeben, wenn ein Arbeitgeber das ausser Acht lasse, was jedem verständigen Menschen in gleicher Lage und unter gleichen Umständen als beachtlich hätte einleuchten müssen (EVGE 1957 S. 219, 1961 S. 232, ZAK 1961 S. 448, 1972 S. 729).

      Das Mass der zu verlangenden Sorgfalt ist abzustufen entsprechend der Sorgfaltspflicht, die in den kaufmännischen Belangen jener Arbeitgeberkategorie, welcher die betreffende Person angehört, üblicherweise erwartet werden kann und muss (BGE 108 V 202 f. E. 3a; vgl. auch UELI KIESER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zur AHV, Art. 52, Rz 35). Das bedeutet, dass der Beschwerdeführer so hätte handeln müssen, wie ein verständiger Geschäftsführer einer überschaubaren GmbH in gleicher Situation gehandelt hätte. Nachdem er Zeit des Bestehens seiner Funktion, d.h. von der Eintragung der GmbH im Handelsregister im Juli 2009 bis zu deren Konkurs im Juni 2014, nach eigenen Angaben im vorliegenden Verfahren nichts unternommen hat, kann ohne Weiteres gesagt werden, dass er damit seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist. Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, er sei für die Funktion des Geschäftsführers nicht qualifiziert gewesen, so trifft ihn gerade der Vorwurf des Übernahmeverschuldens, weil ein Organ dafür zu sorgen hat, dass es bei der Mandatsübernahme über die für dessen Ausübung notwendigen Kenntnisse verfügt (M. REICHMUTH, a.a.O., Rz 552, mit Hinweis auf Urteil H 186/05 vom 24. Juli 2006 E. 4). Ebenso kann sich der Beschwerdeführer als geschäftsführender Gesellschafter nicht damit entschuldigen, dass er keinen tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft gehabt habe. Denn der Schuldvorwurf, der einen "Strohmann" trifft, rührt gerade aus dem Umstand, sich auf Verhältnisse eingelassen zu haben, die ihm die gesetzlich vorgeschriebene Erfüllung dieses Amts, d.h. die ihm nach Art. 810 Abs. 2 des Obligationenrechts (OR; SR 220) in Verbindung mit Art. 716a Abs. 1 OR obliegenden unübertragbaren Aufgaben, verunmöglicht (vgl. Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 87/00 vom 13. Februar 2001 E. 3b und Urteil des Bundesgerichts 9C_66/2016 vom 10. August 2016 E. 5.5). Nachdem der Beschwerdeführer beim faktischen Firmeninhaber und Vorsitzenden

      der Geschäftsführung nach nun geltend gemachter Sachlage keinen Einblick in die Bücher Auskünfte über bestehende Beitragsschulden verlangt hat (nach eigenen Angaben in der Einsprache vom 16. August 2015 hat er zwar mehrfach nachgefragt, aber keine Auskunft erhalten) und auch nicht als Geschäftsführer demissioniert bzw. von seinem Kündigungsrecht gemäss Mandatsvertrag, Ziff. I.3 und IV.12 (act. G 1.8), Gebrauch gemacht hat, hat er in grobfahrlässiger Weise gegen seine Sorgfaltspflicht als formeller Geschäftsführer der B. GmbH verstossen.

    4. Mit der Beschwerdegegnerin ist sodann festzustellen, dass der Beschwerdeführer als voll handlungs- und geschäftsfähig anzusehen ist. Handlungsfähig ist, wer mündig und urteilsfähig ist (Art. 13 ZGB). Urteilsfähig ist, wem nicht wegen seines Kindesalters infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit ähnlichen Zuständen die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln (Art. 16 ZGB). Handlungsunfähig sind die Personen, die nicht urteilsfähig die nicht mündig entmündigt sind (Art. 17 ZGB). Bei erwachsenen Personen wird die Urteilsfähigkeit vermutet (Art. 16 ZGB e contrario; vgl. auch Basler Kommentar ZGB I, 5. Aufl., MARGRITH BIGLER-EGGENBERGER/ROLAND FANKHAUSER, Art. 16 N 47).

      Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer im Sinn von Art. 16 ZGB nicht urteilsfähig ist während seiner Zeit als Geschäftsführer der B. GmbH nicht war. Auch macht er nicht geltend und ist nicht ersichtlich, dass er entmündigt verbeiständet ist. Die blosse Vertrauensseligkeit und Naivität auch Loyalität und eine gewisse Abhängigkeit gegenüber bzw. von D. vermögen in der geschilderten, das normale Mass nicht übersteigenden Intensität die genannte Vermutung jedenfalls nicht umzustossen (vgl. Basler Kommentar, ZGB I, a.a.O., Art. 16 N 12 f.). So hat auch das Bundesgericht schon entschieden, der Umstand, dass sich ein Organ als Arbeitnehmer in einem Subordinationsverhältnis befinde, wirke sich nicht entlastend aus (Urteil 9C_66/2016 vom 10. August 2016 E. 5.5). Weitere Abklärungen bezüglich der Frage, ob der Beschwerdeführer die Tragweite seines Handelns erfassen konnte, erscheinen damit nicht angezeigt. Im Übrigen ergeben sich aus den Akten gewisse Indizien, dass der Beschwerdeführer in geschäftlichen Dingen nicht ganz so unbedarft ist, wie er von seinem Rechtsvertreter dargestellt wird. Allein schon die Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Person im Unternehmen war, die nach dem Vorsitzenden der Geschäftsführung - wenn auch mit deutlichem Abstand - das zweitgrösste Gehalt bezogen hat (vgl. etwa Lohnmeldungen 2012, 2013 und 2014 [act.

      G 3.1/144, 264 und 412]), spricht gegen die Annahme einer Person, die praktisch handlungsunfähig sein soll. Im Einspracheverfahren hat der Beschwerdeführer sodann wie bereits erwähnt angegeben, die Einsicht in die Bücher sei ihm vom tatsächlichen Geschäftsführer immer wieder verweigert worden, weshalb er die nötigen Kontrollen über die finanzielle Lage der Firma nicht habe durchführen können (act. G 1.4). Dies impliziert ebenfalls, dass sich der Beschwerdeführer seiner Pflichten bewusst war, letztlich aber die Konsequenzen daraus nicht gezogen hat.

    5. Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, ihn treffe auch deshalb kein Verschulden, weil sich der Vorsitzende der Geschäftsführung möglicherweise wegen "krasser Misswirtschaft" (Art. 165 StGB) strafbar gemacht habe, was noch Gegenstand strafrechtlicher Untersuchungen sei. Indessen hilft auch diese Argumentation dem Beschwerdeführer nicht weiter. Zwar soll und kann die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers (allfällige Mittäterschaft, Gehilfenschaft) an dieser Stelle nicht vorweggenommen werden. Sollten sich die Vorwürfe der strafrechtlich relevanten Misswirtschaft gegenüber dem faktischen Geschäftsführer jedoch als zutreffend erweisen, wäre es in schadenersatzrechtlicher Hinsicht, d.h. bei objektivierter Verschuldensbetrachtung, gerade die Pflicht des Beschwerdeführers gewesen, die beanstandeten Machenschaften von D. zu Lasten der Gesellschaftsgläubiger mittels Einblick in die Bücher und gezielter Nachfragen zu den ausstehenden Beitrags- (und anderen) Schulden aufzudecken und zu unterbinden, aber - sollte sich dies als unmöglich erweisen - als Geschäftsführer umgehend zu demissionieren. Jedenfalls ist nicht ersichtlich und wird nicht ausgeführt, inwiefern ein allfälliges strafbares Verhalten des faktischen Geschäftsführers gegenüber den Gesellschaftsgläubigern den Beschwerdeführer von der korrekten Ausübung seiner Pflichten als formelles Organ abgehalten haben soll. Selbst eine Verurteilung von D. wegen Misswirtschaft würde somit weder zu einer verschuldensmässigen Entlastung des Beschwerdeführers noch zu seiner Entlassung aus der Haftpflicht gegenüber Dritten führen (vgl. Urteil 9C_66/2016 E. 5.4 2. Satz), sondern würde ihm allenfalls ein Rückgriffsrecht auf den faktischen Geschäftsführer verleihen (vgl. auch Mandatsvertrag Ziff. II.8 [act. G 1.8], was ihm freilich nicht viel nützen dürfte). Demgegenüber ist in strafrechtlicher Hinsicht von einer individualisierten Verschuldensbetrachtung auszugehen, wo die konkreten Kenntnisse und Fähigkeiten des Beschwerdeführers berücksichtigt werden, so dass die Strafverfolgungsbehörden durchaus zu einer

      anderen (milderen) Beurteilung des Verschuldens des Beschwerdeführers gelangen können, ohne dass sich dies in präjudizierender Weise auf das vorliegende Verfahren auswirken würde. Der Ausgang des Strafverfahrens gegen D. und - sofern überhaupt eingeleitet - gegen den Beschwerdeführer selbst braucht deshalb nicht abgewartet zu werden.

    6. Eine kursorische Überprüfung ergibt weiter, dass der geltend gemachte und im vorliegenden Verfahren unbestritten gebliebene Schadensbetrag von Fr. 124'143.65 für ausstehende bundesrechtliche Sozialversicherungsbeiträge inklusive Verwaltungskosten und Verzugszinsen ausgewiesen ist (Saldo per 22. April 2015 gemäss Kontokorrentauszug vom 9. August 2016: Fr. 141'779.05 [act. G 16.1]; davon

      stellte die Beschwerdegegnerin Fr. 46'976.60 [2012], Fr. 69'594.10 [2013] und Fr. 7'572.95 [2014] für bundesrechtliche AHV/IV/EO- und AlV- Beiträge zuzüglich Verwaltungskosten und Verzugszinsen in Rechnung [offenbar ohne Verzugszinsen 2014 von Fr. 267.35; vgl. act. G 3.1/437 ff. und act. G 16]).

    7. Spätestens ab 2012 musste die Beschwerdegegnerin die Monatspauschalen sowie die auszugleichenden Beiträge in der Regel mahnen und betreiben (vgl. Kontokorrentauszug [act. G 16.1]). Damit hat die Gesellschaft gegen die in Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV statuierte Beitragsablieferungspflicht verstossen, womit die Widerrechtlichkeit als Haftungsvoraussetzung gegeben ist. Zwischen dem schuldhaften Verhalten des Beschwerdeführers und dem Schadenseintritt besteht sodann ein adäquater Kausalzusammenhang. Hätte der Beschwerdeführer ordnungsgemäss für die Beitragsabrechnung und -ablieferung gesorgt, wäre der Beschwerdegegnerin kein Schaden in der genannten Höhe

      entstanden. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Beschwerdeführers als schadenersatzpflichtiges Organ sind damit erfüllt.

    8. Schliesslich ist unbestritten, dass die Schadenersatzverfügung vom 21. Juli 2015 rechtzeitig ergangen ist, nachdem am 17. Juni 2014 der Konkurs über die B. GmbH eröffnet und der Beschwerdegegnerin am 24. Oktober 2014 die Kollokation ihrer Forderung angezeigt wurden (Eingang am 27. Oktober 2014 [act. G 3.1/444]).

3.

Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).

Entscheid

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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