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Urteil Verwaltungsgericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:S 90 502
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Sozialversicherungsrechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid S 90 502 vom 01.10.1991 (LU)
Datum:01.10.1991
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 28 IVG; Art. 26bis, Art. 27, Art. 27bis Abs. 1 IVV: Die Bedeutung der Alimentenzahlungen im Hinblick auf die Wahl der Bemessungsmethode bei einer geschiedenen oder in Trennung lebenden Frau.
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 160 ZGB ;
Referenz BGE:104 V 136; 104 V 150; 98 V 263;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
A. - Die 1944 geborene, verheiratete D leidet gemäss Bericht von Dr. med. B, Spezialarzt für Chirurgie FMH, Luzern, vom 30. Januar 1990 an einem chronischen, rezidivierenden Cervicalsyndrom bei degenerativen Veränderungen der unteren Halswirbelsäule, einer chronischen, venösen Insuffizienz im Bereich beider Beine, links stärker als rechts sowie Neigung zu depressiven Reaktionen. Der Gesundheitsschaden bestehe seit 1980. D, die seit 1983 in einem getrennten Eheverhältnis lebt, besorgt für sich und ihre zwei erwachsenen Söhne den Haushalt. Daneben war sie als Schneiderin, Heimarbeiterin, Reinigungsangestellte und Haushalthilfe teilzeitlich erwerbstätig. Am 30. August 1988 meldete sie sich zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an.

B. - Mit Verfügung vom 8. Oktober 1990 lehnte die Ausgleichskasse gestützt auf einen Präsidialbeschluss der Invalidenversicherungs-Kommission (IVK) des Kantons Luzern das Leistungsbegehren von D mit der Begründung ab, der Invaliditätsgrad im Aufgabenbereich als Hausfrau und Teilerwerbstätige betrage 37 %. Dies führe zu keinem Rentenanspruch.

C. - Gegen diese Verfügung reichte D rechtzeitig Beschwerde ein und beantragte Neubeurteilung ihrer Erwerbsfähigkeit. Sie befinde sich seit rund zwei Jahren in ärztlicher Betreuung, wobei der Arzt in ihrem Fall von einer 50%igen Arbeitsunfähigkeit spreche.

Die Ausgleichskasse beantragte in der Vernehmlassung Abweisung der Beschwerde...

Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde gut.

Aus den Erwägungen:

1. - a) Nach Art. 4 Abs. 1 IVG gilt als Invalidität die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit. Nach Art. 28 Abs. 1 IVG hat ein Versicherter Anspruch auf eine Rente, wenn er zu mindestens 40 Prozent invalid ist. Diese wird wie folgt nach dem Grad der Invalidität abgestuft: mindestens 40 Prozent ein Viertel, mindestens 50 Prozent ein Zweitel, mindestens 662/3 Prozent eine ganze Rente. In Härtefällen hat der Versicherte bereits bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent Anspruch auf eine halbe Rente (Art. 28 Abs. 1bis IVG).

Bei erwerbstätigen Versicherten ist der Invaliditätsgrad aufgrund eines Einkommensvergleichs zu bestimmen. Dazu wird das Erwerbseinkommen, das der Versicherte nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihm zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das er erzielen könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre (Art. 28 Abs. 2 IVG). Der Einkommensvergleich hat in der Regel in der Weise zu erfolgen, dass die beiden hypothetischen Erwerbseinkommen ziffernmässig möglichst genau ermittelt und einander gegenübergestellt werden, worauf sich aus der Einkommensdifferenz der Invaliditätsgrad bestimmen lässt (allgemeine Methode des Einkommensvergleichs; BGE 104 V 136 Erw. 2a und b).

Bei nichterwerbstätigen Versicherten im Sinne von Art. 5 Abs. 1 IVG - so namentlich bei im Haushalt tätigen Versicherten - wird für die Bemessung der Invalidität darauf abgestellt, in welchem Masse sie behindert sind, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen (Art. 28 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 26bis und 27 Abs. 1 IVV; spezifische Methode; BGE 104 V 136 Erw. 2a; ZAK 1982 S. 500 Erw. 1). Als Aufgabenbereich der im Haushalt tätigen Versicherten gilt die übliche Tätigkeit im Haushalt und allenfalls im Betrieb des Ehepartners sowie die Erziehung der Kinder (Art. 27 Abs. 2 IVV).

Nach Art. 27bis Abs. 1 IVV wird bei einem Versicherten, der nur zum Teil erwerbstätig ist, für diesen Teil die Invalidität nach Art. 28 Abs. 2 IVG festgelegt. War er daneben in einem Aufgabenbereich nach Art. 5 Abs. 1 IVG tätig, so wird die Invalidität für diese Tätigkeit nach Art. 27 IVV festgelegt. In diesem Fall ist der Anteil der Erwerbstätigkeit und der Tätigkeit im andern Aufgabenbereich festzulegen und der Invaliditätsgrad entsprechend der Behinderung in beiden Bereichen zu bemessen (gemischte Methode der Invaliditätsbemessung; ZAK 1986 S. 233).

b) . . .

2. - . . . (Medizinische Beurteilung.)

3. - Streitig ist vorliegend der Invaliditätsgrad. Da dieser auch von der gewählten Bemessungsmethode abhängt, ist zunächst im Rahmen der Offizialmaxime, welche das sozialversicherungsrechtliche Verfahren beherrscht, zu prüfen, welche Methode der Invaliditätsbemessung anzuwenden ist, bzw. ob die Ausgleichskasse die Beschwerdeführerin zu Recht als Hausfrau mit Teilerwerbstätigkeit eingestuft und ihren Invaliditätsgrad mittels der sog. gemischten Methode berechnet hat.

a) Anzuwenden ist diejenige Methode der Invaliditätsschätzung, die der Tätigkeit entspricht, welche die Versicherte ausüben würde, wenn sie nicht invalid wäre (BGE 104 V 150). Dies beurteilt sich praxisgemäss nach den Verhältnissen, wie sie sich bis zum Erlass der Verwaltungsverfügung entwickelt haben, wobei für die hypothetische Annahme einer im Gesundheitsfall ausgeübten (Teil-)Erwerbstätigkeit der im Sozialversicherungsrecht übliche Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erforderlich ist (ZAK 1989 S. 116). Zu prüfen ist somit, ob die Beschwerdeführerin ohne Invalidität mit Rücksicht auf ihre wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse vorwiegend erwerbstätig oder im Haushalt beschäftigt wäre (BGE 98 V 263 Erw. 1 und 268 Erw.1 c; ZAK 1975 S. 206 Erw.1 b). Dabei sind die konkrete Situation und die Vorbringen der Versicherten nach Massgabe der allgemeinen Lebenserfahrung zu würdigen (ZAK 1985 S. 468 Erw. 1). . .

b) Die Ausgleichskasse begründet die Anwendung der gemischten Methode, wie sich aus der Berechnung im Behandlungsblatt zur Aktenvervollständigung vom 12. März 1990 ergibt, allein mit der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin aus ihrer Trennung Alimente im Umfang von Fr. 1000.- erhält. So legte sie denn ihrer Berechnung die Annahme zugrunde, dass die Beschwerdeführerin heute bei dieser Sachlage nur noch in dem Ausmass arbeiten würde, dass sie insgesamt gleichviel Geld zur Verfügung hätte, wie wenn sie voll erwerbstätig wäre. Dementsprechend ging denn die Ausgleichskasse nach Abzug der Alimente von Fr. 1000.- pro Monat von einem Valideneinkommen der Beschwerdeführerin als Damenschneiderin von Fr. 21 150.- (Fr. 2550.-x 13 mi-nus Fr. 1000.- x 12) aus, was einer wöchentlichen Arbeitszeit von 26 Stunden entspricht und einen Anteil der Erwerbstätigkeit von 62 % und einen solchen der Hausarbeit von 38 % ergab. Dieser Vorgehensweise der Ausgleichskasse kann nicht gefolgt werden. Es darf nicht allein aufgrund der Tatsache von Alimentenzahlungen der Schluss gezogen werden, dass die Versicherte keiner vollen Erwerbstätigkeit mehr nachgehen würde, wenn sie nicht invalid wäre, ist doch nicht einzusehen, weshalb eine geschiedene oder in Trennung lebende nicht invalide Frau schlechthin bloss ein um die Alimente reduziertes Gehalt erzielen möchte und würde. Die Leistung von Alimenten könnte höchstenfalls ein dahingehendes Indiz darstellen und wäre im konkreten Fall zu verifizieren.

Die Beschwerdeführerin lebt seit 1983 in gerichtlicher Trennung und erhält Alimentenzahlungen im Umfange von Fr. 1000.- pro Monat. Die Unterhaltspflicht des Ehemannes gegenüber der Ehefrau besteht bei Trennung auf bestimmte wie auf unbestimmte Zeit während der Trennungszeit weiter und richtet sich nach wie vor grundsätzlich nach Art. 160 Abs.2 ZGB; an die Stelle der Naturalleistung treten in der Regel Geldbeiträge, deren Höhe im Streitfall und auf Antrag hin der Trennungsrichter festzusetzen hat. Der Anspruch geht auf «gebührenden Unterhalt». Die Höhe des Unterhaltsbeitrages ist im Rahmen der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Ehegatten nach der Leistungsfähigkeit des pflichtigen Teils einerseits und nach dem Bedürfnis des Berechtigten unter Berücksichtigung der Beistandspflicht der Ehefrau und der güterrechtlichen Verhältnisse anderseits zu bemessen (Bühler, Berner Kommentar, N 30 der Vorbem. zu Art. 149-157 ZGB). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Ehemann während der Ehe mindestens in gleichem Umfang für den Unterhalt seiner Ehefrau aufgekommen ist. Durch die Trennung und den Bezug von Alimenten ist somit bei der finanziellen Situation der Beschwerdeführerin keine Veränderung eingetreten, die die Schlussfolgerung der Ausgleichskasse so ohne weiteres zuliesse. Auch ist zu berücksichtigen, wie das Bundesgericht in seiner neuesten Rechtsprechung verdeutlicht, dass es bei der Regelung der Scheidungsnebenfolgen und somit auch der Trennungsnebenfolgen um die aktuellen (gegenwärtigen) Verhältnisse geht, die sich gerade wesentlich durch die bestehende psychische Behinderung mit ihren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit auszeichnen und nicht - was invalidenversicherungsrechtlich für die Wahl der anwendbaren Invaliditätsbemessungsmethode jedoch ausschlaggebend ist - um die hypothetischen Verhältnisse, wie sie ohne Gesundheitsschaden bestünden (EVG-Urteil Sch. vom 23. 8. 1990).

c) Es gilt somit, wie eingangs gezeigt, die gesamten Umstände zu prüfen und aufgrund der konkreten Situation zu beurteilen, ob die Versicherte als Nichtinvalide angesichts ihrer persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse wahrscheinlich einer vollen Erwerbstätigkeit nachgehen oder sich auf eine Teilerwerbstätigkeit beschränken würde.

Aus dem Abklärungsbericht für Hausfrauen vom 17. September 1988 geht hervor, dass die Beschwerdeführerin von 1975 bis September 1982 im Nähatelier der M zu 4 ½ Stunden pro Tag erwerbstätig war. Im gleichen Zeitraum, jedoch nur bis 1981, arbeitete sie zu diesen 4 ½ Stunden zusätzlich noch täglich 3 Stunden als Haushalthilfe in einem Privathaushalt. Zusammengerechnet ergab dies eine Tagesleistung von 7 ½ Stunden, welche die Versicherte nebst ihrem eigenen Haushalt mit 3 damals noch schulpflichtigen Kindern erbrachte. Gemäss den ärztlichen Aussagen traten zu diesem Zeitpunkt die ersten gesundheitlichen Störungen auf, welche die Versicherte zwangen, diese praktisch vollzeitliche Erwerbstätigkeit aufzugeben und sich mit einer teilzeitlichen Nebenerwerbstätigkeit zu begnügen. Der Haushaltexpertin gegenüber erklärte die Beschwerdeführerin, sie würde ohne physische/psychische Beeinträchtigung (von jeher ans Arbeiten gewöhnt) sogar einer ganztägigen Erwerbstätigkeit nachgehen. Dieser Aussage kann durchaus Glaubwürdigkeit entgegengebracht werden, war doch die Beschwerdeführerin - entgegen den Ausführungen der Ausgleichskasse in ihrer Vernehmlassung - vor Eintritt der Behinderung fast vollzeitlich erwerbstätig, und zwar nebst der Belastung mit einem Haushalt und drei schulpflichtigen Kindern. Im heutigen Zeitpunkt, da die Kinder erwachsen und selbständig geworden sind, würden es ihr die Familienverhältnisse nicht nur gestatten, sondern aus finanziellen Gründen geradezu abverlangen, erwerbstätig zu sein. Den Angaben im Abklärungsbericht für Hausfrauen zufolge erhält sie von ihrem Ehemann monatliche Alimentenzahlungen im Betrag von Fr. 1000.-. Von ihren beiden in der Wohnung mitlebenden Söhnen bekommt sie Haushaltsbeiträge von je Fr. 400.-. Demnach kann die Versicherte ohne eigene Erwerbstätigkeit pro Monat über lediglich Fr. 1800.- verfügen. Da sie aber allein nur für die Wohnungsmiete Fr. 1115.- aufzubringen hat, dürfte unbestreitbar sein, dass sie unter den aufgezeigten Verhältnissen einer vollzeitlichen Erwerbstätigkeit nachgehen würde. Dafür spricht des weitern das Alter der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt des Verfügungserlasses von 46 Jahren.

Aus all diesen Darlegungen kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Beschwerdeführerin im Gesundheitsfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer vollzeitlichen Erwerbstätigkeit nachgehen würde. Die Beschwerdeführerin muss daher für die Belange der Invaliditätsbemessung als erwerbstätig behandelt werden, weshalb ihr Invaliditätsgrad sich entgegen der Auffassung der Ausgleichskasse nicht mittels der gemischten Methode, sondern mittels der Einkommensvergleichsmethode gemäss Art. 28 Abs. 2 IVG bestimmt.

d) . . . (Invaliditätsberechnung.)

4. - . . . (Beginn des Rentenanspruchs.)

5. - . . . (Zusammenfassung.)
Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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