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Urteil Verwaltungsgericht (LU)

Kopfdaten
Kanton:LU
Fallnummer:S 03 246
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Sozialversicherungsrechtliche Abteilung
Verwaltungsgericht Entscheid S 03 246 vom 27.05.2004 (LU)
Datum:27.05.2004
Rechtskraft:Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Art. 8 ff., 31 Abs. 3 lit. c AVIG. Eingeschränkter Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bei arbeitgeberähnlicher Stellung eines Gesellschafters einer GmbH. Anwendungsfall.

Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 698 OR ; Art. 716a OR ; Art. 808 OR ; Art. 810 OR ; Art. 811 OR ; Art. 814 OR ;
Referenz BGE:123 V 234; 123 V 236; 123 V 237;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
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Entscheid
A war vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2002 bei der Firma B GmbH als Leiter Verkauf/Marketing angestellt. Zugleich war er Gesellschafter und Geschäftsführer mit Kollektivzeichnungsberechtigung dieser Firma und beteiligte sich mit einem Drittel am Stammkapital. Am 2. Juli 2002 trat A als Geschäftsführer zurück. Seither ist er Gesellschafter ohne Zeichnungsberechtigung und verfügt weiterhin über einen Drittel des Stammkapitals.

Am 20. März 2003 meldete sich A zur Arbeitsvermittlung bei der Arbeitslosenversicherung an und beantragte die Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung. Mit Verfügung Nr. 1'399 vom 10. Mai 2003 lehnte die Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern die Anspruchsberechtigung von A ab 20. März 2003 mit der Begründung ab, er sei weiterhin Gesellschafter der Firma B GmbH und als solcher mit seiner Stammeinlage finanziell an seiner ehemaligen Arbeitgeberin beteiligt. Damit habe er weiterhin eine arbeitgeberähnliche Stellung inne. Die Inanspruchnahme von Arbeitslosenentschädigung sei im vorliegenden Fall als rechtsmissbräuchlich zu werten. Die dagegen eingereichte Einsprache wurde mit Entscheid vom 17. Juli 2003 abgewiesen.

Mit fristgerecht eingereichter Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragte A, der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse vom 17. Juli 2003 sei unter Kostenund Entschädigungsfolgen zulasten der Arbeitslosenkasse aufzuheben. Es sei festzustellen, dass er mit Wirkung ab 20. März 2003 zum Bezug von Leistungen berechtigt sei. Die zuständige Kasse sei anzuweisen, ihm rückwirkend ab 20. März 2003 die ihm gesetzlich zustehenden Arbeitslosenentschädigungen auszurichten. Die Arbeitslosenkasse schloss in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde in dem Sinn gut, als es den Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse vom 17. Juli 2003 aufhob und die Sache an die Arbeitslosenkasse zur Abklärung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen zurückwies.

Aus den Erwägungen:

1.- a) Die Arbeitslosenkasse stützt die Verneinung der Anspruchsberechtigung des Beschwerdeführers auf die Rechtsprechung des EVG, welche in analoger Anwendung von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG den Arbeitnehmer einer Aktiengesellschaft in arbeitgeberähnlicher Stellung vom Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ausschliesst, wenn ihm zwar von der Aktiengesellschaft gekündigt wurde, er aber nach wie vor Alleinaktionär und einziger Verwaltungsrat der Gesellschaft ist. Damit soll eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der Bestimmungen über die Kurzarbeitsentschädigung verhindert werden (BGE 123 V 234).

b) Gemäss Art. 31 Abs. 1 AVIG haben ausschliesslich Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Keinen Anspruch haben laut ausdrücklicher Gesetzesvorschrift Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können (Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG). Der Grund für diesen Ausschluss liegt in der Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers, Kurzarbeit einzuführen und - bei Erfüllen der einschlägigen Voraussetzungen - den anspruchsbegründenden Sachverhalt für eine Kurzarbeitsentschädigung zu verwirklichen: Der Arbeitgeber allein bestimmt, ob, wann und für wie lange er Kurzarbeit einführen will. In dieser Dispositionsfreiheit wird der Arbeitgeber durch das Arbeitslosenversicherungsrecht nicht eingeschränkt. Soweit allerdings gegenüber der Versicherung Leistungsansprüche geltend gemacht werden, sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen. So bedarf es eines gegenseitigen Einverständnisses zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber, wonach bei Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses die Arbeitszeit sowie der Lohn reduziert werden; denn andernfalls wäre ein allfälliger Arbeitsausfall gar nicht anrechenbar (vgl. Art. 33 Abs. 1 lit. d in Verbindung mit Art. 31 lit. b AVIG; BGE 123 V 236 Erw. 7a).

c) Dem Wortlaut nach ist Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG auf Kurzarbeitsfälle zugeschnitten, während die Art. 8 ff. AVIG keine entsprechende Norm für den Bereich der Arbeitslosenentschädigung kennen. Die in Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG genannten arbeitgeberähnlichen Personen haben indessen nicht in jedem Fall Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Diese Fälle sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vielmehr unter dem Gesichtspunkt der rechtsmissbräuchlichen Gesetzesumgehung zu prüfen: Kurzarbeit kann nämlich nicht allein in einer Reduktion der täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit, sondern auch darin bestehen, dass ein Betrieb (bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis) für eine gewisse Zeit vollständig stillgelegt wird. In einem solchen Fall ist ein Arbeitnehmer mit arbeitgeberähnlicher Stellung nicht anspruchsberechtigt. Nur wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt wird und der betreffende Arbeitnehmer damit endgültig auch jene Eigenschaft verliert, deretwegen er bei Kurzarbeit aufgrund von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung ausgenommen wäre, liegt Ganzarbeitslosigkeit vor, und es besteht unter den Voraussetzungen von Art. 8 ff. AVIG grundsätzlich Anspruch auf Entschädigung.

d) Mit dem Ausschluss von Arbeitnehmern mit arbeitgeberähnlicher Stellung im Sinn von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG vom Entschädigungsanspruch gemäss BGE 123 V 237 ff. Erw. 7b/bb soll der rechtsmissbräuchlichen Gesetzesumgehung entgegengetreten werden. Von einer solchen kann unter anderem nicht gesprochen werden, wenn das Unternehmen zwar weiter besteht, der Arbeitnehmer aber mit der Kündigung endgültig auch jene Eigenschaft verliert, deretwegen er bei Kurzarbeit vom Entschädigungsanspruch ausgenommen wäre. Als rechtsmissbräuchliche Gesetzesumgehung zu qualifizieren ist hingegen der Bezug von Arbeitslosenentschädigung, wenn der Arbeitnehmer nach der Entlassung seine arbeitgeberähnliche Stellung im Betrieb beibehält und dadurch die Entscheidungen des Arbeitgebers weiterhin bestimmen oder massgeblich beeinflussen kann.

2.- Diese für den Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft entwickelte Rechtsprechung gilt sinngemäss auch für Gesellschafter einer GmbH. Als geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH nimmt dieser an der Gesellschafterversammlung teil, die ihrerseits oberstes Organ der Gesellschaft ist (Art. 808 Abs. 1 OR). Das Stimmrecht bemisst sich nach der Höhe der Stammeinlage, wobei auf Fr. 1'000.- eine Stimme entfällt (Art. 808 Abs. 4 OR). Die Kompetenzen der Gesellschafterversammlung nach Art. 810 Abs. 1 OR entsprechen im Wesentlichen denjenigen der Generalversammlung der Aktiengesellschaft gemäss Art. 698 Abs. 2 OR. Ist der Gesellschafter auch Geschäftsführer der GmbH (Art. 811 Abs. 1 OR), entsprechen dessen Befugnisse inhaltlich grundsätzlich denjenigen des Verwaltungsrates der Aktiengesellschaft (Guhl/Kummer/Druey, Das Schweizerische Obligationenrecht, 8. Aufl., S. 728). Die Gesellschafter sind zu allem befugt, was nicht Gesetz oder Statuten der Gesellschafterversammlung vorbehalten (Guhl/Kummer/Druey, a.a.O., S. 730) und ihre Vertretungsmacht ist wie im Recht der Aktiengesellschaft im Rahmen des Gesellschaftszweckes umfassend (Art. 814 Abs. 1 OR). Allerdings fehlt hinsichtlich der Aufgaben des Geschäftsführers eine Art. 716a OR (unübertragbare Aufgaben des Verwaltungsrates) vergleichbare Bestimmung. Da aber die GmbH nach der Konzeption des Gesetzgebers die für kleinere Firmen adäquate Rechtsform ist, kann der Geschäftsführer der Willensbildung innerhalb der GmbH gar nicht fernstehen. Die Statuierung unübertragbarer Aufgaben ist nur dort von Belang, wo Aufgaben und Verantwortung delegiert werden. Wo dies nicht geschieht, ist die betriebliche Entscheidfindung ohnehin Sache des (einzigen) Geschäftsführungsorgans, sei dies der Verwaltungsrat oder die Gesamtheit der Geschäftsführer. Daraus geht hervor, dass beim geschäftsführenden Gesellschafter einer GmbH die massgebliche Entscheidungsbefugnis wie bei einem Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft ex lege gegeben ist (vgl. EVG-Urteil K. vom 25.05.1999, VG-Urteil K. vom 07.12.1998).

3.- Am 31. Mai 2000 wurde die Firma B GmbH im Handelsregister des Kantons X eingetragen. Als Gesellschafter und Geschäftsführer mit Kollektivzeichnungsberechtigung wurden der Beschwerdeführer, C und D eingetragen. Alle drei Gesellschafter beteiligten sich am Stammkapital von Fr. 21'000.- mit je Fr. 7'000.-. Seit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Beschwerdeführer nur noch Gesellschafter mit einer Beteiligung am Stammkapital von Fr. 7'000.- und verfügt über keine Zeichnungsberechtigung mehr.

Auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Firma B GmbH kann der Beschwerdeführer als nicht geschäftsführender Gesellschafter an der Gesellschafterversammlung teilnehmen, welche unter anderem die Geschäftsführer wählen und abberufen kann (vgl. Art. 7 Ziff. 2 der Statuten der Firma B GmbH vom 26.05.2000, [nachfolgend: Statuten]). Für die Beschlussfassung und den Vollzug von Wahlen bedarf es der absoluten Mehrheit. Die Gesellschafterversammlung ist jedoch erst beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Anteile vertreten sind (vgl. Art. 13 Abs. 1 und 2 der Statuten). Demzufolge kann der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung nicht allein über seine Tätigkeit als Arbeitnehmer bei der früheren Arbeitgeberin disponieren. Er kann als Gesellschafter mit einem Anteil am Stammkapital von nur einem Drittel die Entscheidungen seiner ehemaligen Arbeitgeberin nicht allein bestimmen bzw. massgeblich beeinflussen, weil er auf die Stimme zumindest eines zweiten Gesellschafters angewiesen ist. Diesbezüglich ist jedoch zu beachten, dass der Beschwerdeführer einen Zivilprozess gegen die Firma B GmbH angestrengt hat. Aus den Rechtsschriften, die beim Handelsgericht des Kantons X eingereicht wurden, geht hervor, dass der Beschwerdeführer mit den übrigen Gesellschaftern verkracht ist. Im Unterschied zu den Fallkonstellationen, welche der in BGE 123 V 234 publizierten Rechtsprechung zugrunde liegen, hat sich der Beschwerdeführer denn auch nicht selbst gekündigt. Die Stelle wurde ihm von den beiden verbleibenden Geschäftsführern C und D gekündigt. Seit seinem Austritt aus der Firma ist er nicht mehr Geschäftsführer und nicht mehr zeichnungsberechtigt. Unter diesen Umständen ist kaum wahrscheinlich, dass es überhaupt wieder zu einer Anstellung des Beschwerdeführers bei der B GmbH kommt. Bei dieser Sachlage hat er entgegen der Auffassung der Arbeitslosenkasse seine arbeitgeberähnliche Stellung bei der Firma B GmbH aufgegeben. Es liegt nicht in seinem Belieben, darüber zu entscheiden, bei Bedarf seine frühere Tätigkeit bei dieser Firma wieder aufzunehmen. Somit besteht kein Risiko eines Missbrauchs, welches der Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung an eine arbeitgeberähnliche Person inhärent ist. Daher ist der Beschwerdeführer selbst als Gesellschafter der GmbH ab 20. März 2003 nicht grundsätzlich vom Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ausgeschlossen, sofern die in Art. 8 AVIG aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Ob dies der Fall ist, hat die Arbeitslosenkasse zu prüfen. (...) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb in dem Sinne gutzuheissen, dass der angefochtene Einspracheentscheid vom 17. Juli 2003 aufzuheben ist und die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen ist, damit diese nach erfolgter Sachverhaltsabklärung über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitslosenentschädigung ab 20. März 2003 neu verfügt.

4.- (...)
Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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