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Urteil Aufsichtsbehörden und Kommissionen (LU - AR 13 33)

Zusammenfassung des Urteils AR 13 33: Aufsichtsbehörden und Kommissionen

Der Text behandelt die Pflichten von Anwälten im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss dem Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte. Es wird darauf hingewiesen, dass ein unentgeltlicher Rechtsbeistand keine zusätzliche Entschädigung von der Partei verlangen darf, auch wenn der staatliche Entschädigungstarif niedriger ist als das übliche Honorar. Es wird erklärt, dass die Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands vom Staat erfolgen muss und private Honorarvereinbarungen ausgeschlossen sind. Des Weiteren wird diskutiert, ob ein Anwalt berechtigt ist, nachträglich eine Differenz seines Honorars von bedürftigen Klienten einzufordern. Die Rechtsprechung zeigt, dass ein unentgeltlicher Rechtsbeistand seine Pflichten verletzt, wenn er der Partei für von der unentgeltlichen Prozessführung abgedeckte Arbeiten Rechnungen stellt.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AR 13 33

Kanton:LU
Fallnummer:AR 13 33
Instanz:Aufsichtsbehörden und Kommissionen
Abteilung:Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte
Aufsichtsbehörden und Kommissionen Entscheid AR 13 33 vom 25.04.2014 (LU)
Datum:25.04.2014
Rechtskraft:Dieser Entscheid ist rechtskräftig.
Leitsatz/Stichwort:Pflichten des Anwalts als unentgeltlicher Rechtsbeistand. Kein Anspruch des UR-Anwalts auf eine zusätzliche Entschädigung.
Schlagwörter: Recht; Rechtsbeistand; Anwalt; Rechtspflege; Zivilprozess; Entschädigung; Klient; Prozessordnung; Zivilprozessordnung; Anwalts; Fellmann; Forderungsrecht; Staat; Rechtsbeistands; Kantons; Pflicht; Schweizerische; Beruf; Klienten; Rüegg; Honorar; Schweizerischen; Bundesgericht; Verhältnis; Verfahren; Rückforderung; Anwältinnen; Anwälte; BGer-Urteil
Rechtsnorm: Art. 118 ZPO ;Art. 119 ZPO ;Art. 121 ZPO ;Art. 122 ZPO ;Art. 123 ZPO ;Art. 4 ZPO ;
Referenz BGE:120 Ia 14; 122 I 322; 123 I 12; 128 I 34; 130 II 87; 136 III 96;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AR 13 33

Aus den Erwägungen:

4.1

Gemäss Art. 12 lit. a des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA; SR 935.61) haben Anwältinnen und Anwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben. Zum korrekten Verhalten eines Anwalts gehört es, dass er geltende rechtliche Bestimmungen unaufgefordert einhält und diese insbesondere auch gegenüber seinem Klienten respektiert. Wird der bedürftigen Partei ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt, übernimmt dieser eine staatliche Aufgabe und tritt zum Staat in ein Rechtsverhältnis, aufgrund dessen er einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf eine Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen Vorschriften hat (Rüegg, Basler Komm., 2. Aufl. 2013, Art. 122 ZPO N 5-7 und 9; Fellmann, in: Komm. zum Anwaltsgesetz, [Hrsg. Fellmann/Zindel], 2. Aufl. 2011, Art. 12 BGFA N 144). Der unentgeltliche Rechtsbeistand darf sich von der verbeiständeten Partei nicht entschädigen lassen und ist daher auch nicht berechtigt, von ihr eine zusätzliche Entschädigung zu verlangen, auch wenn der staatliche Entschädigungstarif tiefer ausfällt als das üblicherweise geschuldete Honorar (BGer-Urteil 2A.196/2005 vom 26.9.2005 E. 2.3 m.H.a. BGE 122 I 322 E. 3b; Rüegg, a.a.O., Art. 118 ZPO N 16). Eine zusätzliche Entschädigung kommt selbst dann nicht infrage, wenn der Klient damit einverstanden ist (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 149 m.w.H.). Die Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands erfolgt durch den Staat. Privatrechtliche Honorarvereinbarungen zwischen Rechtsbeistand und mittelloser Partei sind ausgeschlossen (Rüegg, a.a.O., Art. 118 ZPO N 16).

4.2

Gestützt auf Art. 12 lit. g BGFA ist der Anwalt verpflichtet, bedürftige Klienten auf die Möglichkeit der unentgeltlichen Rechtspflege aufmerksam zu machen und nötigenfalls die erforderlichen Massnahmen zu treffen. In einem solchen Fall muss der Anwalt rechtzeitig bei der zuständigen Behörde ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege stellen und darf nicht zuerst Vorschüsse verlangen, die den Klienten zwingen, Schulden zu machen (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 148 und N 167). Ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann schon vor Rechtshängigkeit gestellt werden (Art. 119 Abs. 1 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO; SR 272]). Die Wirkungen der unentgeltlichen Rechtspflege treten grundsätzlich ab Gesuchseinreichung ein, wobei der Aufwand für gleichzeitig eingereichte Rechtsschriften (einschliesslich Konvenium) und dafür erforderlicher Vorarbeiten gedeckt ist (Jozic/Boesch, Die unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess, Praxis des Obergerichts des Kantons Luzern, 4. Aufl. 2012, S. 37; BGE 120 Ia 14 E. 3f).

4.3

Im Weiteren hat der Anwalt die Pflicht, in Bezug auf seine Berufsausübung für klare Verhältnisse zu sorgen. Diese Pflicht wird von der Generalklausel von Art. 12 lit. a BGFA erfasst (BGE 130 II 87 E. 6). Das Bundesgericht hat die Pflicht zur Schaffung klarer Verhältnisse schon vor Inkrafttreten des BGFA als für das berufliche Verhalten des Anwalts schlechthin massgebend erklärt, wobei diese Verpflichtung zur Schaffung von Transparenz nicht nur gegenüber dem eigenen Klienten gilt, sondern auch im Verhältnis zu den Behörden, zum Prozessgegner und zu Dritten (BGE 123 I 12 E. 2d). Diese Pflicht zur Schaffung klarer Verhältnisse kann etwa dadurch verletzt werden, dass ein Anwalt durch ein bestimmtes Tun Unterlassen eine Täuschung verursacht bestehen lässt, sich weigert, eine unklare Sachlage zu klären (Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte des Kantons Zürich, Beschluss vom 2.4.2009 [KG 080028] E. 4.5.2 m.w.H.).

( )

11

Zu prüfen ist schliesslich, ob der Disziplinarbeklagte berechtigt gewesen wäre, in Bezug auf die Verfahren, für welche seiner Klientschaft die unentgeltliche Rechtspflege erteilt worden war, nachträglich die Differenz von 15 % seines Honorars einzufordern. ( )

11.1

Eine Partei, der die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, ist gemäss Art. 123 ZPO zur Nachzahlung verpflichtet, sobald sie dazu in der Lage ist. Voraussetzung ist also der Wegfall der Mittellosigkeit. Dies beispielsweise auf Grund einer entsprechenden Lohnkarriere eines späteren Vermögensanfalls (z.B. Erbschaft; vgl. Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 28.6.2006, in: BBl 2006 S. 7304). Die Zuständigkeit regelt sich nach kantonalem Recht (Art. 4 ZPO). Im Kantons Luzern ist hierfür die letzte entscheidende Instanz (§ 96 Abs. 1 des Gesetzes über die Organisation der Gerichte und Behörden in Zivil-, Strafund verwaltungsgerichtlichen Verfahren [JusG; SRL Nr. 260]) und innerhalb dieser Instanz die Verfahrensleitung zuständig (§ 36 Abs. 2 lit. d JusG).

11.2

Die Frage, ob dem unentgeltlichen Rechtsbeistand gegenüber seiner Klientschaft in ZPO-Verfahren ein Nachforderungsrecht zusteht, wird in der Lehre kontrovers diskutiert. Zustimmend u.a. Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung Kurzkomm., Zürich 2010, Art. 122 ZPO N 2; Huber, in: Komm. zur schweizerischen ZPO, [Hrsg. Schwander/Gasser/Brunner], Zürich 2011, Art. 123 ZPO N 9, Emmel, in: Komm. zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [Hrsg. Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger], 2. Aufl. 2013, Art. 119 ZPO N 12, Rüegg, a.a.O., Art. 123 ZPO N 3; Staehelin/Staehelin/Grolimund, Zivilprozessrecht, Zürich 2013, § 16 N 73 [mit der Einschränkung, dass der unentgeltliche Rechtsbeistand die Differenz zum vollen Honorar bei seiner Mandantschaft erst dann einfordern kann, wenn der Anspruch des Kantons vollumfänglich erfüllt ist]; ablehnend Bühler, Berner Komm., Bern 2012, Art. 123 ZPO N 27 mit dem Verweis darauf, dass Art. 122 und 123 ZPO - im Gegensatz zu Art. 135 Abs. 4 lit. b der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) - kein Nachforderungsrecht des unentgeltlichen Rechtsbeistands vorsieht und es deshalb an einer Rechtsgrundlage für ein Nachforderungsrecht des unentgeltlichen Rechtsbeistands fehlt). Gemäss Fellmann (a.a.O., Art. 12 BGFA N 144 und 149) hat sich der Anwalt bei der unentgeltlichen Rechtsvertretung mit der staatlichen Entschädigung zu begnügen, sofern die Gegenpartei nicht kostenpflichtig wird sein eigener Klient nicht zu Vermögen gelangt.

11.3

Nach der bisherigen und immer noch gültigen Rechtsprechung des Bundesgerichts verletzt ein Anwalt, der als unentgeltlicher Rechtsbeistand für eine Partei tätig war, seine Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung (Art. 12 lit. a BGFA), wenn er der Partei für die von der unentgeltlichen Prozessführung abgedeckten Arbeiten Rechnung stellt (BGer-Urteile 2A.196/2005 vom 26.9.2005 E. 2.3 und 2C_783/2008 vom 4.5.2009 E. 2.9). Die Rechtsgrundlage dafür besteht in der gesetzlichen Konstellation, dass der unentgeltliche Rechtsbeistand mit dem Staat ein öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis eingegangen ist, in welchem u.a. auch die Entschädigung des Anwalts abschliessend geregelt wird (Fellmann, a.a.O., Art. 12 BGFA N 144 und 149). Inwiefern die neue Zivilprozessordnung an dieser Rechtslage etwas verändert haben soll, legen die Kommentatoren, welche ein Nachforderungsrecht des unentgeltlichen Rechtsbeistands befürworten, nicht dar.

11.3.1

Soweit das Bundesgericht ein solches Nachforderungsrecht des Anwalts bisher als zulässig erachtete, geschah dies gestützt auf entsprechende kantonalrechtliche Vorschriften, welche ein solches Rückforderungsrecht des Anwalts ausdrücklich vorsahen (vgl. z.B. BGer-Urteil 5P.421/2000 E. 3b, auf welches sich der Disziplinarbeklagte beruft), was für die schweizerische Zivilprozessordnung gerade nicht zutrifft. Da diese eine abschliessende Regelung der unentgeltlichen Rechtspflege enthält, sind entsprechende kantonalrechtliche Bestimmungen, welche eine Ausnahme vom Zusatzhonorarverbot vorsehen, bundesrechtswidrig (vgl. Bühler, a.a.O., Art. 123 ZPO N 27 m.H.a. abweichende Meinungen).

11.3.2

Der Wortlaut von Art. 123 ZPO erwähnt nur den Rückforderungsanspruch des Kantons, nicht aber einen Rückforderungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistands, und ist insofern klar. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber der neuen Zivilprozessordnung mit dieser Bestimmung nur eine Grundlage zur Rückforderung der vom Staat bezahlten Kosten schaffen wollte (vgl. Botschaft zur ZPO vom 28.6.2006, in: BBl 2006 S. 7304 Art. 121 ZPO). Fraglich ist lediglich, ob bei Art. 123 ZPO insofern von einer echten Lücke auszugehen sei, als ein analoger Sachverhalt in Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO ausdrücklich geregelt ist, während in der ZPO eine solche Regelung fehlt (vgl. die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den Gesetzeslücken in BGE 136 III 96 E. 3.3 sowie die dortigen Verweise auf BGE 128 I 34 E. 3b und 121 III 219 E. 1d/aa je mit weiteren Verweisen). Solange keine Änderung der bisherigen Rechtsprechung erfolgt, ist von der bisherigen Rechtslage auszugehen, dass ein unentgeltlicher Rechtsbeistand seine Berufspflichten verletzt, wenn er zusätzlich eine Entschädigung von seinem Mandanten verlangt, obwohl er vom Staat im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege dafür bezahlt worden ist.

Quelle: https://gerichte.lu.ch/recht_sprechung/publikationen
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