VERWALTUNGSGERICHT DES KANTONS GRAUBÜNDEN
DRETGIRA ADMINISTRATIVA DAL CHANTUN GRISCHUN
TRIBUNALE AMMINISTRATIVO DEL CANTONE DEI GRIGIONI
U 21 94
1. Kammer
Vorsitz Audétat
RichterInnen von Salis und Meisser
Aktuarin ad hoc Casanova
URTEIL
vom 7. Februar 2023
in der verwaltungsrechtlichen Streitsache
A._____,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Urs Ebnöther,
Beschwerdeführer
gegen
Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit Graubünden,
Beschwerdegegner
betreffend Aufenthaltsbewilligung
I. Sachverhalt:
1. Der afghanische Staatsangehörige A._____ reiste gemäss eigenen Angaben am 21. Oktober 2015 in die Schweiz ein. Er stellte am nächsten Tag ein Asylgesuch, das mit Entscheid vom 8. April 2019 abgelehnt wurde. Allerdings verfügte das Staatssekretariat Migration des Bundes (SEM) wegen unzumutbarer Wegweisung die sofortige vorläufige Aufnahme mit Umsetzung durch den Kanton Graubünden. Nachdem das Übernahmeersuchen seiner Ehefrau B._____ und des gemeinsamen Kindes C._____, die sich zurzeit in Griechenland befanden, durch das SEM gutgeheissen wurde, reisten diese am 9. Juli 2020 in die Schweiz ein. Ihr am Einreisetag eingereichtes Asylgesuch wies das SEM am 11. November 2020 ab. Es verfügte wegen unzumutbarer Wegweisung ebenfalls die vorläufige Aufnahme mit Umsetzung durch den Kanton Graubünden.
2. A._____ stellte für sich selbst am 19. Oktober 2020 ein Gesuch um Erteilung einer Härtefallbewilligung bzw. Jahresaufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen beim Amt für Migration des Kantons Graubünden (AFM). Sein Gesuch wurde mit Schreiben vom 4. November 2020 formlos abgelehnt. Nachdem A._____ am 12. November 2020 die Zustellung einer beschwerdefähigen Verfügung beantragte, wurde er durch das AFM am 17. November 2020 aufgefordert, weitere Unterlagen für Sachverhaltsabklärungen und Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen einzureichen. Mit Ausnahme des Passes, welcher sich beim SEM befände, kam er der Aufforderung am 19. November 2020 nach. Mit Verfügung vom 28. Januar 2021 lehnte das AFM sein Gesuch um Erteilung einer Jahresaufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen ab. Es begründete die Abweisung im Wesentlichen damit, dass gemäss den Richtlinien der Härtefallkommission des AFM ein Gesuch um Erteilung einer Härtefallbewilligung frühestens nach einer Anwesenheitsdauer von fünf Jahren eingereicht werden könne. Diese Frist gelte für alle Einzelpersonen und Familien. In jedem Fall seien jedoch Einheit und Familie zu berücksichtigen. Gesonderte Gesuche von Minderjährigen könnten in gewissen Konstellationen entgegengenommen werden, die jedoch vorliegend nicht gegeben seien. Da die Ehefrau B._____ und die Tochter C._____ erst am 9. Juli 2020 in die Schweiz eingereist seien, erfülle die Familie die zeitliche Voraussetzung von fünf Jahren nicht.
3. Gegen diesen Entscheid reichte A._____ am 25. Februar 2021 Beschwerde beim Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit (DJSG) ein. Er beantragte (1) die Verfügung des AFM sei aufzuheben, (2) das Gesuch vom 19. Oktober 2020 um Erteilung einer Härtefallbewilligung an ihn sei gutzuheissen und dem SEM zur Zustimmung zu unterbreiten (3) unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Kantons Graubünden. Die Beschwerde begründete er im Wesentlichen damit, dass Härtefallgesuche von Personen, die länger als fünf Jahre in der Schweiz anwesend waren, gemäss Art. 84 Abs. 5 AIG vertieft geprüft werden müssten. Da seine Ehefrau und seine Tochter diese zeitliche Voraussetzung nicht erfüllten, habe er ein Gesuch für sich alleine gestellt.
4. Das AFM beantragte in seiner Stellungnahme vom 22. März 2021 unter Verweis auf die Erwägungen in der angefochtenen Verfügung die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge zulasten des Beschwerdeführers. Es hielt an seinen in der Verfügung gemachten Ausführungen fest.
5. Das DJSG wies die Beschwerde mit Entscheid vom 26. Oktober 2021 ab. Es begründete seinen Entscheid im Wesentlichen damit, dass nur der Beschwerdeführer die zeitliche Voraussetzung erfülle, nicht aber seine Ehefrau und die gemeinsame Tochter, die von der Anwesenheitsdauer von fünf Jahren noch weit entfernt seien. Es gab dem AFM Recht, da es sich um eine Familie handle, könne der Beschwerdeführer nicht isoliert betrachtet werden. Ausnahmen der Betrachtung als Einheit der Familie würden nur für spezielle Konstellationen vorgesehen sein, wie sie die Richtlinie des AFM bei Minderjährigen, die sechs Jahre die Schule in der Schweiz besuchten bzw. die obligatorische Grundschule absolviert haben, vorsehe.
6. Gegen den Entscheid des Departements über die Abweisung der Verwaltungsbeschwerde vom 26. Oktober 2021 erhebt der Beschwerdeführer Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt (1) die Verfügung der Vorinstanz sei vollumfänglich aufzuheben und (2) die Sache sei zur vertieften Prüfung und Neuentscheid unter Berücksichtigung aller Härtefallkriterien an die Vorinstanz zurückzuweisen. (3) Eventualiter sei der Beschwerdegegner anzuweisen, das Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gutzuheissen und dem SEM zur Zustimmung zu unterbreiten. (4) Alles unter Entschädigungs- und Kostenfolge zulasten der Vorinstanz. Er rügte die Unterschreitung des Ermessens der Vorinstanz und dass mit der Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung Bundesrecht verletzt wurde. Seine Beschwerde stützte er mit reichlicher Rechtsprechung verschiedener Kantone und des Bundesverwaltungsgerichts. Die individuelle Prüfung und Gutheissung dürfe auch bei Gesuchen von Familien nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Sein Gesuch sei deshalb vertieft zu prüfen. Dabei seien selbstverständlich stets auch die Integrationsbemühungen der einzelnen Familienmitglieder mitzuberücksichtigen. Diese seien bei seiner Ehefrau ausgezeichnet und er selbst sei hervorragend integriert.
7. Das DJSG beantragte in der Vernehmlassung vom 3. Dezember 2021 die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge zulasten des Beschwerdeführers. Es verwies auf die angefochtene Verfügung vom 25. Februar 2021. Die Vorinstanz begründete ihren Antrag damit, dass vorliegend zwei der drei Familienmitglieder und somit die Mehrheit der Familie, davon eines der beiden Elternteile, die Voraussetzungen zur Erteilung einer Härtefallbewilligung eingestandenermassen nicht erfüllten. Eine Ausnahmesituation, die eine vertiefte Abklärung des Beschwerdeführers einzeln und losgelöst vom Rest der Familie zuliesse, sei nicht zu erkennen. Die in der Beschwerde ausführlich zitierte Rechtsprechung bezüglich der speziell geschützten Situation von Kindern gehe offensichtlich an der Sache vorbei.
8. Der Beschwerdeführer reichte am 16. Dezember 2021 eine Replik zum Verfahren ein. Er verweist insbesondere auf die Beschwerdeschrift und führt im Wesentlichen aus, es sei an der Vorinstanz aufzuzeigen, aus welchen besonderen Gründen dem Beschwerdeführer - trotz Erfüllen aller Voraussetzungen und einer bisher erfolgreichen Integration auch der übrigen Familienmitglieder - die Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt werde.
9. Mit Schreiben vom 7. Januar 2022 verzichtete das Departement auf eine Stellungnahme. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers reichte am 17. Januar 2020 seine Honorarnote ein. Das Departement verzichtete am 20. Januar 2022 auf eine Stellungnahme diesbezüglich.
II. Das Gericht zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 49 Abs. 1 lit. c des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRG; BR 370.100) beurteilt das Verwaltungsgericht Beschwerden gegen Entscheide der kantonalen Departemente, soweit diese nicht nach kantonalem eidgenössischem Recht endgültig sind bei einer anderen Instanz angefochten werden können. Die vorliegend angefochtene Departementsverfügung vom 26. Oktober 2021 ist weder endgültig noch kann sie bei einer anderen Instanz angefochten werden und stellt damit ein taugliches Anfechtungsobjekt für ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden dar. Als Adressat der angefochtenen Verfügung ist der Beschwerdeführer berührt und weist ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung Änderung auf (Art. 50 Abs. 1 VRG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde (Art. 52 Abs. 1 sowie Art. 38 Abs. 1 und 2 VRG) ist somit einzutreten.
2. Streitgegenstand bildet die Frage, ob das Amt für Migration das Gesuch von A._____ um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (Härtefallbewilligung) nach Art. 84 Abs. 5 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG; SR 142.20) zu Recht wegen Nichterfüllung der fünfjährigen Aufenthaltsdauer durch seine Ehefrau und seine Tochter (ohne vertiefte Prüfung) abgelehnt hat.
3. Gemäss Art. 40 AIG sind für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung nach Art. 33 AIG die Kantone zuständig. Vorbehalten bleibt die Zuständigkeit des SEM für das Zustimmungsverfahren bei Erteilung einer Härtefallbewilligung nach Art. 84 Abs. 5 AIG (Art. 99 AIG i.V.m. Art. 85 Abs. 1 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) i.V.m. Art. 5 lit. d der Verordnung des EJPD über die dem Zustimmungsverfahren unterliegenden ausländerrechtlichen Bewilligungen und Vorentscheide (Verordnung des EJPD über das ausländerrechtliche Zustimmungsverfahren, ZV-EJPD; SR 14.201.1).
4. Die Artikel 18 bis 29 AIG regeln, unter welchen Voraussetzungen Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz Aufenthaltsbewilligungen erteilt werden können. Von diesen Zulassungsvoraussetzungen kann unter anderem nach Art. 30 Abs. 1 Bst. b AIG abgewichen werden, um schwerwiegenden persönlichen Härtefällen wichtigen öffentlichen Interessen Rechnung zu tragen. Darüber hinaus sieht Art. 84 Abs. 5 AIG vor, dass Gesuche um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung von vorläufig aufgenommenen Ausländerinnen und Ausländern, die sich seit mehr als fünf Jahren in der Schweiz aufhalten, unter Berücksichtigung der Integration, der familiären Verhältnisse und der Zumutbarkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat vertieft geprüft werden.
5. Aus Art. 84 Abs. 5 AIG kann kein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abgeleitet werden. Den Migrationsbehörden kommt damit ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Der Gesetzesartikel sieht aber vor, dass Gesuche bei vorläufig aufgenommenen Personen nach mehr als fünf Jahren Aufenthalt in der Schweiz (unter Berücksichtigung der Integration, der familiären Verhältnisse und der Zumutbarkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat) 'vertieft geprüft' werden müssen. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wollte der Gesetzgeber damit den betroffenen Personen ein Recht garantieren, wonach ihr Dossier auf Antrag eingehend zu prüften ist. Das Ziel sei es nicht gewesen das Ermessen der Behörde einzuschränken, vielmehr sei in Bezug auf die individualisierte Situationsprüfung der Wille festzustellen, sich auf die weit gefassten Kriterien des 'Härtefalls' zu beziehen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts F-5769/2009 vom 31. Januar 2011 E.4.3.2 mit weiteren Hinweisen).
6.1. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass A._____ selbst die Voraussetzungen der vorläufigen Aufnahme (Verfügung 8. April 2019) und der fünfjährigen Aufenthaltsdauer (Einreise im Oktober 2015) nach Art. 84 Abs. 5 AIG erfüllt. Die vorläufige Aufnahme von B._____ und C._____ wurde am 11. November 2020 verfügt. Es ist zu prüfen, ob es zulässig war, das Erfüllen der fünfjährigen Aufenthaltsdauer nach Art. 84 Abs. 5 AIG nicht nur vom Beschwerdeführer selbst, sondern auch von seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter vorauszusetzen.
6.2.1. Art. 84 Abs. 5 AIG beruht auf den Überlegungen, dass sich die vorläufige Aufnahme grundsätzlich nicht als Dauerzustand eignet und sich eine andere Regelung des Aufenthalts nach einem gewissen Zeitlauf aufdrängt, wenn die Voraussetzungen zur Aufhebung der vorläufigen Aufnahme dann noch nicht gegeben sind und die betroffenen Personen die Undurchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs nicht selbst verschuldet haben (Botschaft zum AuG vom 09. März 2002, BBI 2002 3709 ff., S. 3735). Ausserdem ist nach einem fünfjährigen Aufenthalt in der Schweiz bereits von einer gewissen Verwurzelung mit den hiesigen Verhältnissen bzw. von einer gewissen Entfremdung von der Heimat auszugehen (Illes, in: Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], Stämpflis Handkommentar zum AuG, Bern 2010, Art. 84 AuG N 26; vgl. zum Ganzen auch Beschwerdeentscheid des Justiz- und Sicherheitsdepartements Luzern vom 24. April 2018, E.2.3). Immerhin werden bei einer sehr langen Aufenthaltsdauer weniger hohe Anforderungen an das Vorliegen besonderer Umstände, wie etwa eine überdurchschnittliche Integration andere Faktoren gestellt, welche die Rückkehr ins Heimatland als ausgesprochen schwierig erscheinen lassen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgericht F-3332/2015 vom 13. Februar 2018 E.4.3 mit weiteren Hinweisen). Mit Art. 84 Abs. 5 AIG sind die gewichtigeren Härtefallkriterien durch die vorausgesetzte langjährige Aufenthaltsdauer und unzumutbare Rückkehr (Status der vorläufigen Aufnahme) schon im Vorgang der materiellen Prüfung erfüllt.
6.2.2. Gemäss Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf bei Härtefallgesuchen von Familien die Situation der einzelnen Mitglieder nicht isoliert betrachtet werden. Das Schicksal einer Familie stellt eine Einheit dar, und es wäre schwierig, das Vorliegen eines Härtefalles einzig nur für die Eltern nur für die Kinder anzunehmen. Die familiäre Situation wird dabei stets in einem Gesamtkontext betrachtet und die Integration sämtlicher Gesuchsteller im Sinne einer Gesamtschau betrachtet. Es ist nicht erforderlich, dass innerhalb einer Familie sämtliche Personen jeweils für sich isoliert die Anforderungen an einen persönlichen Härtefall erfüllen. Umgekehrt führt jedoch auch die besondere Lage eines einzelnen Gesuchstellers nicht schon dazu, dass ohne die Beurteilung der Lebenslage der übrigen Gesuchsteller bereits von einer Härtefallkonstellation sämtlicher Gesuchsteller auszugehen wäre. Die Lebenslage der Gesuchsteller muss gesamthaft betrachtet die Annahme einer Härtefallsituation der gesuchstellenden Gesamtfamilie rechtfertigen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts F-3332/2015 vom 13. Februar 2018 E.4.4 mit weiteren Hinweisen).
6.2.3. Das Bundesverwaltungsgericht präzisierte seine Rechtsprechung dahingehend, dass durch die Betrachtung der Familie als Einheit nicht eine Einzelfallprüfung in Bezug auf die einzelnen Familienmitglieder, konkret minderjährige Kinder, formell ausgeschlossen werde. Angesprochen sei vielmehr die materielle Prüfung der Härtefallkriterien, in deren Rahmen die Familie in ihrer Gesamtheit zu betrachten ist (vgl. Art. 84 Abs. 5 AIG 'unter Berücksichtigung der […] familiären Verhältnisse'). So könne beispielsweise die Frage, ob es einem Familienmitglied zumutbar ist, in den Heimatstaat zurückzukehren, in der Regel nicht losgelöst von den übrigen Familienmitgliedern beantwortet werden. Dies ändere nichts daran, dass die Voraussetzungen in Bezug auf jedes Familienmitglied - und damit auf die Kinder - einzeln zu untersuchen sind. Ein unterschiedlicher Aufenthaltsstatus der einzelnen Familienmitglieder sei damit nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts F-5147/2018 vom 10. Juni 2020 E.6.4 mit weiteren Hinweisen).
6.3. Vorliegend kann dem Beschwerdeführer insoweit entsprochen werden, dass das AFM - nachdem der Beschwerdeführer selbst die fünfjährige Frist gemäss Art. 84 Abs. 5 AIG erfüllte - eine vertiefte Prüfung seines Gesuchs hätte vornehmen müsse. Zwar zählen seine Ehefrau und Tochter zu seiner Kernfamilie, weshalb es grundsätzlich gerechtfertigt ist, die beiden in sein Gesuch einzubeziehen. Dies gilt jedoch weniger für die formellen Voraussetzungen eines Gesuchs als für dessen vertiefte materielle Prüfung und Beurteilung der Härtefallkriterien. Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass die Ehefrau und seine Tochter selbst zu keinem Zeitpunkt für sich selbst um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ersuchten. Auch wenn sie die fünfjährige Aufenthaltsdauer nicht erfüllen, wäre es vorliegend nicht zulässig dem Beschwerdeführer unter Hinweis auf den Grundsatz der Einheit der Familie eine vertiefte Prüfung seines Gesuches auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach Art. 84 Abs. 5 AIG zu verweigern. Für eine solche Praxis fehlt die gesetzliche Grundlage (vgl. Illes, a.a.O. N 30). So hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass ein unterschiedlicher Aufenthaltsstatus der einzelnen Familienmitglieder nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts F-5147/2018 vom 10. Juni 2020 E.6.4 mit weiteren Hinweisen). Eine entsprechende Konstellation ist nur vorstellbar, wenn eine vertiefte Prüfung vorgenommen wird, deren individuelle Beurteilung der Härtefallkriterien zu unterschiedlichen Feststellungen bezüglich der schwerwiegenden persönlichen Härtefällen einzelner Familienmitglieder führen kann.
7.1. Nachdem festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer das Recht auf eine vertiefte Prüfung seines Gesuchs hatte, ist zu prüfen, ob das AFM bzw. das DJSG die Abweisung des Gesuchs des Beschwerdeführers gestützt auf eine vertiefte Prüfung im Sinne von Art. 84 Abs. 5 AIG vorgenommen hatte.
7.2.1. Nach Art. 84 Abs. 5 AIG sind bei der vertieften Prüfung die Integration, die familiären Verhältnisse und die Zumutbarkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Die ausführende Bestimmung von Art. 31 VZAE zum sogenannten schwerwiegenden persönlichen Härtefall legt ergänzend die gemeinsamen Beurteilungskriterien zur Prüfung von Aufenthaltsbewilligungsgesuchen fest, welche gestützt auf Art. 30 Abs. 1 Bst. b, Art. 50 Abs. 1 Bst. b und Art. 84 Abs. 5 AIG; Art. 14 AsylG eingereicht werden (vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts F-4727/2017 vom 15. März 2019 E.5.1 und F-3332/2015 vom 13. Februar 2018 E.4.1). Demnach sind gemäss Art. 31 Abs. 1 VZAE bei der Beurteilung eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls insbesondere die Integration der gesuchstellenden Person (Bst. a), die Familienverhältnisse, insbesondere der Zeitpunkt der Einschulung und die Dauer des Schulbesuchs der Kinder (Bst. c), die finanziellen Verhältnisse (Bst. d), die Dauer der Anwesenheit in der Schweiz (Bst. e), der Gesundheitszustand (Bst. f) und die Möglichkeiten für eine Wiedereingliederung im Herkunftsstaat (Bst. g) zu berücksichtigen. Bei der Beurteilung eines Härtefalles müssen sämtliche Umstände des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt werden (vgl. Urteil Bundesverwaltungsgerichts F-3332/2015 vom 13. Februar 2018 E.4.3 und F-5147/2018 E.5.2 f. vom 10. Juni 2020 je mit weiteren Hinweisen).
7.2.2 Vorliegend wurde das Gesuch mit der Begründung abgelehnt, dass die Ehefrau und Tochter des Beschwerdeführers die fünfjährige Aufenthaltsdauer aus Art. 84 Abs. 5 AIG nicht erfüllten. In dieser Begründung kann keine vertiefte Prüfung bzw. individualisierte Situationsprüfung mit Bezug auf die weit gefassten Kriterien des Härtefalls des Härtefallgesuches des Beschwerdeführers erblickt werden. Es liegt zwar im Ermessen der Migrationsbehörde, die Familie in die materielle Prüfung des Gesuches des Beschwerdeführers miteinzubeziehen. Insbesondere im Rahmen der Härtefallkriterien, ist die Familie in ihrer Gesamtheit zu betrachten (vgl. Art. 84 Abs. 5 AIG 'unter Berücksichtigung der […] familiären Verhältnisse'). Die Pflicht zur vertieften Prüfung umfasst jedoch in jedem Fall eine Auseinandersetzung mit sämtlichen Umständen des jeweiligen Einzelfalles bzw. eine individualisierte Situationsprüfung mit Bezug auf die weit gefassten Kriterien des Härtefalls. Ausser zur Dauer der Anwesenheit in der Schweiz (vgl. auch Art. 31 Abs. 1 lit. e VZAE) äusserte sich weder das AFM noch das DJSG zu anderen Kriterien des schwerwiegenden persönlichen Härtefalls aus Art. 84 Abs. 5 AIG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 VZAE. Eine vertiefte Prüfung wurde im vorliegenden Fall somit weder durch das AFM noch durch das DJSG vorgenommen.
8. Indem das alleinige Gesuch von A._____ um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (Härtefallbewilligung) nach Art. 84 Abs. 5 AIG ohne vertiefte Prüfung abgelehnt wurde, wurde Bundesrecht verletzt. Die Beschwerde war folglich begründet und wird gutgeheissen. Die Sache wird zur Vornahme einer vertieften Prüfung und Neuentscheid unter Berücksichtigung sämtlicher Härtefallkriterien des Gesuchs von A._____ auf Erteilung einer Härtefallbewilligung nach Art. 84 Abs. 5 AIG an das AFM zurückgewiesen.
9. Bei diesem Prozessausgang gehen die Gerichtskosten gestützt auf Art. 73 Abs. 1 und 2 VRG zu Lasten der Vorinstanz. Die Staatsgebühr wird dabei im Sinne von Art. 75 Abs. 2 VRG praxisgemäss auf CHF 1'500 festgesetzt.
10. Die Vorinstanz hat dem Beschwerdeführer gemäss Art. 78 Abs. 1 VRG Ersatz für die durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu leisten. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers legte mit Schreiben vom 17. Januar 2022 eine Honorarnote über total CHF 1'545.05 (Honoraraufwand von 5.55 h à CHF 250.--, Auslagen von CHF 47.10, MWST (7.7 %) von CHF 110.45) ins Recht. Die Praxis des Verwaltungsgerichts geht gestützt auf die Verordnung über die Bemessung des Honorars der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Honorarverordnung [HV; BR 310.250]) dahin, dass bei Einreichen einer Honorarvereinbarung der geltend gemachte Stundenansatz übernommen wird, sofern er den Ansatz von CHF 270.-- nicht überschreitet. Ist Letzteres der Fall, wird er auf CHF 270.-- herabgesetzt. Wird keine Honorarvereinbarung eingereicht, beträgt der Stundenansatz höchstens CHF 240.-- (vgl. Urteile des Verwaltungsgerichts R 18 17 vom 18. September 2019 E.9.2.1; U 16 92 vom 25. Oktober 2017 E.13b; S 17 15 vom 27. September 2017 E.7b). Der im vorliegenden Fall geltend gemachte Stundenansatz von CHF 250.-- ist somit aufgrund fehlender Honorarvereinbarung um CHF 10/h auf CHF 240/h zu kürzen. Der Zeitraum- und aufwand ist nicht zu beanstanden. Entsprechend wird dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung in der Höhe von CHF 1'485.30 zugesprochen.
III. Demnach erkennt das Gericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des DJSG vom 26. Oktober 2021 sowie der Entscheid des AFM vom 28. Januar 2021 werden aufgehoben. Die Sache wird zur Vornahme einer vertieften Prüfung und Neuentscheid unter Berücksichtigung sämtlicher Härtefallkriterien des Gesuchs von A._____ auf Erteilung einer Härtefallbewilligung nach Art. 84 Abs. 5 AIG an das AFM zurückgewiesen.
2. Die Gerichtskosten, bestehend aus
- einer Staatsgebühr von
CHF
1'500.--
- und den Kanzleiauslagen von
CHF
284.--
zusammen
CHF
1'784.--
gehen zulasten des Kantons Graubünden (DJSG).
3. Der Kanton (DJSG) hat A._____ eine Parteientschädigung in der Höhe von CHF 1'485.30 auszurichten.
4. [Rechtsmittelbelehrung]
5. [Mitteilung]
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