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Urteil Verwaltungsgericht (GR - S 2022 74)

Zusammenfassung des Urteils S 2022 74: Verwaltungsgericht

Die Beschwerdeführerin A._____ hat gegen das Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden geklagt, da ihr Antrag auf Ausbildungszuschüsse abgelehnt wurde. Sie argumentierte, dass sie aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung und der schwierigen Arbeitsmarktsituation Anspruch auf die Leistungen habe. Das Gericht entschied zugunsten der Beschwerdeführerin und hob den Einspracheentscheid auf. A._____ erhält somit Ausbildungszuschüsse ab dem 1. August 2022 für ihre Lehre als Fachfrau Gesundheit EFZ. Die Gerichtskosten werden nicht erhoben, und das Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden muss A._____ CHF 2'000 als Parteikostenersatz zahlen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts S 2022 74

Kanton:GR
Fallnummer:S 2022 74
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:
Verwaltungsgericht Entscheid S 2022 74 vom 02.05.2023 (GR)
Datum:02.05.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Versicherungsleistungen nach AVIG
Schlagwörter: Arbeit; Ausbildung; Arbeitsmarkt; Beruf; Person; Einsprache; Schweiz; Arbeitslosenversicherung; Massnahme; Voraussetzungen; Gesundheit; Ausbildungszuschüsse; Einspracheentscheid; Massnahmen; Büro; Versicherung; Anspruch; Fachfrau; Personen; Arbeitsmarkts; Fähigkeit; Graubünden; Bereich; Gründen; Abschluss
Rechtsnorm: Art. 1 AVIG;Art. 100 AVIG;Art. 1a AVIG;Art. 57 ATSG ;Art. 59 ATSG ;Art. 59 AVIG;Art. 60 ATSG ;Art. 66a AVIG;Art. 8 AVIG;Art. 85 AVIG;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts S 2022 74

VERWALTUNGSGERICHT DES KANTONS GRAUBÜNDEN DRETGIRA ADMINISTRATIVA DAL CHANTUN GRISCHUN TRIBUNALE AMMINISTRATIVO DEL CANTONE DEI GRIGIONI S 22 74 2. Kammer als Versicherungsgericht Vorsitz von Salis RichterIn Meisser und Pedretti Aktuar ad hoc Gacinovic URTEIL vom 2. Mai 2023 in der versicherungsrechtlichen Streitsache A._____, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. HSG Hermann Just, Beschwerdeführerin gegen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden, Beschwerdegegner betreffend Versicherungsleistungen nach AVIG I. Sachverhalt: 1. Nach ihrer Heirat reiste A._____, Jahrgang 1984, im Jahr 2004 in die Schweiz ein und war von 2005 bis 2009 im Betrieb ihres damaligen Ehemanns im Verkauf tätig. Danach absolvierte sie eine Zusatzausbildung im kaufmännischen Bereich (Diplom VSH). Ab 2009 half sie ihrem Ex-Mann im Büro der B._____ GmbH. Mit Schreiben vom 14. März 2022 wurde ihr aus wirtschaftlichen Gründen per 31. Juli 2022 gekündigt. Am 30. März 2022 meldete sie einen Anspruch auf Arbeitslosenversicherungstaggeld im Umfang von 100 % ab dem 1. August 2022 an. Gleichentags erhielt das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Chur einen Antrag für Ausbildungszuschüsse, welcher auf den 23. März 2022 datiert war. A._____ beabsichtigte, eine Lehre als Fachfrau Gesundheit EFZ in der C._____, Chur, ab 1. August 2022 bis 31. Juli 2025 zu absolvieren. 2. Mit Verfügung vom 20. April 2022 lehnte das Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden (KIGA) das Gesuch ab. Begründend führte das KIGA im Wesentlichen an, dass aufgrund der Berufserfahrung nicht von schlechten beruflichen Voraussetzungen für A._____ ausgegangen werden könne und sie nicht den nötigen Nachweis erbringe, dass die bisherige Suche nach einer adäquaten Arbeitsstelle erfolglos gewesen sei. 3. Mit Schreiben vom 3. Mai 2022 erhob A._____ Einsprache beim KIGA und begründete diese zusammengefasst, dass sie die nötigen Voraussetzungen für die Ausbildungszuschüsse erfülle und ihre Chance für eine Anstellung auf dem Arbeitsmarkt gering seien. Im Detailhandel bestünden schlechte Zukunftsaussichten (Onlinehandel, veränderte Kundeeinkaufsgewohnheiten, anhaltende Coronasituation). Ihre bisherige Anstellung im Büro sei nur aufgrund der familiären Beziehung zu ihrem damaligen Ehemann möglich gewesen, welcher sie stark unterstützt habe. Ihr Bürofachdiplom VSH sei kein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis resp. eine anerkannte Berufsausbildung. Unter anderem gute spätere Beschäftigungsmöglichkeiten hätten sie bewogen, mit 37 Jahren eine Lehre zu beginnen. 4. Mit Einspracheentscheid vom 15. Juni 2022 wies das KIGA die Einsprache ab. Es führte aus, der Detailhandel habe die Umsätze im Jahr 2021 im Vergleich mit den Vorjahren steigern können. Die Arbeitsmarktsituation sei als ausgeglichen zu betrachten. Auch liege die Arbeitslosenquote aktuell auf einem Rekordtief. Aufgrund der langjährigen Berufserfahrung sei nicht ersichtlich, weshalb von einer erschwerten unmöglichen Vermittelbarkeit ausgegangen werden solle. Sie erbringe keinerlei Nachweis, dass ihre bisherige Arbeitssuche nach adäquaten Arbeitsstellen in ihrem erlernten Beruf erfolglos gewesen sei. Bei der Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit EFZ handle es sich um einen persönlichen Wunsch. 5. Mit Eingabe vom 17. August 2022 erhob A._____ (nachfolgend: Beschwerdeführerin) Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Darin beantragte sie, was folgt: 1. Der Einspracheentscheid vom 15. Juni 2022 sei aufzuheben und die Sache sei zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 2. Die Vorinstanz sei anzuweisen, in Gutheissung der Einsprache gegen die Verfügung vom 20. April 2022 der Beschwerdeführerin ab 1. August 2022 Ausbildungszuschüsse zu gewähren. 3. Eventualiter sei die Vorinstanz anzuweisen, die Angelegenheit zur weiteren Abklärung an die Abteilung Arbeitsmarktliche Massnahmen zurückzuweisen. 4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Beschwerdegegnerin. 6. In ihrer Beschwerde vertiefte die Beschwerdeführerin die Argumentation aus der Einsprache. Eine Anstellung in der von ihr ausgeübten Tätigkeit sei unwahrscheinlich. Sie habe seit Erhalt der Kündigung diverse Bewerbungen im Bereich ihrer bisherigen Tätigkeit eingereicht, welche alle ausgewiesenermassen erfolglos geblieben seien. Grund dafür seien unter anderem ihre mangelhaften Deutschkenntnisse. Sie habe in ihrem Bürofachdiplom VSH eine Deutschnote von 3.7 erreicht. Im Pflegeberuf spielten die Deutschkenntnisse eine geringere Rolle als im Bürobereich. Auch die sonstigen Voraussetzungen für die Ausbildungszuschüsse seien erfüllt. Bei der inzwischen aufgenommenen Lehre handle es sich nicht um einen persönlichen Wunsch, da sie sich aufgrund erschwerter Vermittelbarkeit nach Alternativen umschauen müsse. Sie habe sich aufgrund der mangelnden Ausbildung und der damit einhergehenden schlechten Chance auf dem Arbeitsmarkt dazu entschlossen, nochmals eine Ausbildung in einem Beruf zu absolvieren, welcher ihr bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bieten werde. 7. In seiner Vernehmlassung vom 1. September 2022 hielt das KIGA (nachfolgend: Beschwerdegegner) am Einspracheentscheid fest und beantragte, die Beschwerde sei abzuweisen unter gesetzlicher Kostenfolge. Die Begründung deckt sich im Wesentlichen mit derjenigen des angefochtenen Einspracheentscheids. Zusätzlich führte er an, der Einwand schlechter Sprachkenntnisse könne nicht gehört werden, da die Beschwerdeführerin seit 2004 und damit seit rund 18 Jahren in der Schweiz lebe und mittlerweile über die Schweizer Staatsangehörigkeit verfüge. Aufgrund der kurzen Dauer der Stellensuche und fehlender Arbeitsbemühungen vor Abschluss des Lehrvertrags liessen auch die eingereichten Absageschreiben keinen anderen Schluss zu. Vielmehr zeigten die kürzlich erworbenen Diplome als (medizinische) Kosmetikerin, dass sie schon länger geplant habe, in den Gesundheitssektor zu wechseln. 8. Mit Replik vom 26. September 2022 wies die Beschwerdeführerin die Behauptungen, es handle sich rein um einen persönlichen Wunsch, mit Entschiedenheit zurück. Sie habe sich nach Alternativen umsehen müssen, als sie sich anfangs 2022 damit konfrontiert sah, dass ihr Anstellungsverhältnis aus wirtschaftlichen Gründen aufgelöst werden müsse und sie aufgrund ihrer Deutschkenntnisse kaum eine reelle Chance auf eine Stelle in der angestammten Tätigkeit gehabt hätte. Auch könne nicht auf ausreichende Deutschkenntnisse geschlossen werden nur, weil die Beschwerdeführerin bereits seit 18 Jahren in der Schweiz lebe und die Schweizer Staatsbürgerschaft besitze. Die Diplome änderten nichts an der schwierigen Stellensuche für die Beschwerdeführerin. Die Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit EFZ werde ihr eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen. 9. Mit Schreiben vom 30. September 2022 verzichtete der Beschwerdegegner auf eine Duplik. Auf die Ausführungen der Parteien in ihren Rechtsschriften sowie im angefochtenen Entscheid wird, soweit erforderlich, in den nachstehenden Erwägungen eingegangen. II. Das Gericht zieht in Erwägung: 1. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen den Einspracheentscheid des Beschwerdegegners vom 15. Juni 2022. Gegen Einspracheentscheide aus dem Bereich der Arbeitslosenversicherung kann gemäss Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (Arbeitslosenversicherungsgesetz, AVIG; SR 837.0). i.V.m. Art. 56 und 57 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) Beschwerde beim kantonalen Versicherungsgericht eingereicht werden. Örtlich zuständig ist gemäss Art. 100 Abs. 3 AVIG i.V.m. Art. 128 Abs. 2 der Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (Arbeitslosenversicherungsverordnung, AVIV; SR 837.02) für die Beurteilung von Verfügungen (Einspracheentscheide) einer kantonalen Amtsstelle das Versicherungsgericht desselben Kantons. Da der angefochtene Einspracheentscheid vom KIGA Graubünden als kantonale Amtsstelle im Sinne von Art. 85 AVIG erlassen wurde, erweist sich demzufolge das angerufene Gericht als örtlich zuständig (vgl. Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung [EGzAVG/AVIG; BR 545.100] i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung zum Einführungsgesetz zur Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung [VOzEGzAVG/AVIG; BR 545.270]). Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden ergibt sich aus Art. 57 ATSG i.V.m. Art. 49 Abs. 2 lit. a des kantonalen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRG; BR 370.100). Die Beurteilung der vorliegenden Streitsache fällt somit in die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Als Adressatin des Einspracheentscheids ist die Beschwerdeführerin überdies berührt und weist ein schutzwürdiges Interesse an dessen gerichtlicher Überprüfung auf (vgl. Art. 1 AVIG i.V.m. Art. 59 ATSG). Auf die überdies frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist somit einzutreten (vgl. Art. 60 und 61 ATSG). 2.1. Nach Art. 1a Abs. 2 AVIG will das Gesetz drohende Arbeitslosigkeit verhüten, bestehende Arbeitslosigkeit bekämpfen und die rasche und dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt fördern. Diesem Zweck dienen unter anderem die im sechsten Kapitel des AVIG geregelten arbeitsmarktlichen Massnahmen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_222/2016 vom 30. Juni 2016 E.2.1). Gemäss Art. 59 AVIG erbringt die Versicherung finanzielle Leistungen für arbeitsmarktliche Massnahmen zugunsten von versicherten Personen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind (vgl. Abs. 1). Mit arbeitsmarktlichen Massnahmen soll die Eingliederung von Versicherten, die aus Gründen des Arbeitsmarkts erschwert vermittelbar sind, gefördert werden (vgl. Abs. 2 Satz 1). Der im Zuge der 3. Teilrevision des AVIG vom 22. März 2002 (in Kraft seit 1. Juli 2003) neu gefasste Art. 59 Abs. 2 AVIG setzt für die Erbringung von Leistungen eine erschwerte Vermittelbarkeit aus Gründen des Arbeitsmarkts voraus (gegenüber unmöglicher stark erschwerter Vermittelbarkeit nach altArt. 59 Abs. 1 Satz 1 AVIG). Damit hat der Gesetzgeber weder eine erleichterte Begründung des Anspruchs auf arbeitsmarktliche Massnahmen noch eine Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten eingeführt, weshalb die bisherige Rechtsprechung weiterhin anwendbar bleibt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_222/2016 vom 30. Juni 2016 E.2.1). 2.2. Die Grundausbildung und die allgemeine Förderung der beruflichen Weiterbildung waren früher nicht Sache der Arbeitslosenversicherung. Davon ist der Gesetzgeber mit Einführung der Ausbildungszuschüsse gemäss Art. 66a AVIG abgewichen. Nach Ansicht des Bundesrats stellten Defizite in der beruflichen Qualifikation und vor allem das Fehlen einer beruflichen Grundausbildung einen Hauptfaktor für Eintreten und lange Dauer der Arbeitslosigkeit dar. Auf der anderen Seite könne die Bedeutung eines guten Ausbildungsniveaus für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in unserem rohstoffarmen Land nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Unterstützung von risikosenkenden Ausbildungsmassnahmen sei daher sowohl arbeitsmarktpolitisch wie aus der finanziellen Optik der Versicherung der passiven Auszahlung von Arbeitslosenentschädigung vorzuziehen. Allerdings sei der Einsatz dieser Massnahme altersmässig einzugrenzen. Die Absolvierung einer mehrjährigen Berufslehre sei in unserem Berufsbildungssystem mit vorübergehenden finanziellen Einbussen verbunden, die der Differenz zwischen Lehrlingslöhnen und Löhnen für unqualifizierte Arbeitnehmer entsprächen, und die für junge Leute im allgemeinen auch durchaus verkraftbar seien (günstigere Lebenshaltungskosten, fehlende Verpflichtungen, Unterstützung durch das Elternhaus durch Stipendien). Finanzielle Anreize im Sinne der vorgeschlagenen Massnahmen für Jugendliche würde daher bloss eine unerwünschte Konkurrenzierung der Berufslehre im Betrieb zu den üblichen Bedingungen bewirken. Mit zunehmendem Alter würden aber die Kosten für das Nachholen einer versäumten Grundausbildung in der Regel prohibitiv hoch. Aus diesen Gründen soll die Massnahme auf Personen ab dem 30. Altersjahr beschränkt werden (vgl. Botschaft zur zweiten Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes [AVIG] vom 29. November 1993 [BBl 1994 I 340], S. 362 f.). 3. Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen nach Art. 66a AVIG erfüllt und somit berechtigt ist für den Bezug von Ausbildungszuschüssen. 3.1. Die arbeitsmarktlichen Massnahmen (AMM) bezwecken die Verbesserung der Vermittlungsfähigkeit von versicherten Personen auf dem Arbeitsmarkt. Dies setzt voraus, dass die Massnahmen einerseits auf die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts ausgerichtet sind und andererseits der persönlichen Situation, den Fähigkeiten und Neigungen der versicherten Person Rechnung tragen. Die Teilnahme an einer AMM muss die Vermittlungsfähigkeit der versicherten Person massgeblich verbessern. Ein rein theoretischer Nutzen, der im konkreten Fall die Vermittlungsfähigkeit kaum verbessert, ist nicht ausreichend, um die Voraussetzungen von Art. 59 AVIG zu erfüllen (vgl. AVIG-Praxis AMM, Rz. A23 f.). 3.2. Gemäss Art. 59 Abs. 3 AVIG haben Teilnehmer der AMM nach Art. 60 - 71d AVIG die Voraussetzungen nach Art. 8 AVIG und die spezifischen Voraussetzungen für die betreffende Massnahme kumulativ zu erfüllen. 3.3. Art. 8 AVIG regelt die allgemeinen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Sie wurden von beiden Verfahrensparteien nicht thematisiert und deren Erfülltsein ist somit unbestritten geblieben. Der Beschwerdeführerin kann nicht zum Nachteil gereichen, dass sie den Lehrvertrag mit der C._____ am 7. März 2022 unterschrieben hat und damit eine Woche vor dem Erhalt der Kündigung ihrer Anstellung aus wirtschaftlichen Gründen am 14. März 2022. Sie war in Anstellung bei ihrem vormaligen Ehemann und hatte daher überwiegend wahrscheinlich Kenntnis von der bevorstehenden Kündigung, sodass die Planung ihrer beruflichen Zukunft unumgänglich war. 3.4. Weiter müssen die Voraussetzungen gemäss Art. 66a AVIG erfüllt sein, wobei auch die arbeitsmarktlichen Indikatoren zu prüfen sind. 3.4.1. Mit den arbeitsmarktlichen Indikatoren soll geprüft werden, ob die versicherte Person aufgrund des Arbeitsmarkts erschwert vermittelbar ist, da Leistungen der Arbeitslosenversicherung nur zu gewähren sind, wenn die Arbeitsmarktlage dies unmittelbar gebietet (vgl. Leu, Die arbeitsmarktlichen Massnahmen im Rahmen der Arbeitslosenversicherung in der Schweiz, Diss., Zürich 2005, S. 34). Weiter soll verhindert werden, dass Leistungen in Anspruch genommen werden, die nicht mit der Arbeitslosenversicherung im Zusammenhang stehen. Die arbeitsmarktliche Indikation setzt sich aus einer objektiven und subjektiven Komponente zusammen. Das objektive Element bezieht sich auf den aktuellen Bedarf des Arbeitsmarkts nach Arbeitskräften. Die subjektive Komponente betrifft die Anpassungsbedürftigkeit der versicherten Person an diese Nachfrage (vgl. Urteile des Bundesgerichts 8C_67/2018 vom 16. April 2018 E.4.1, 8C_222/2016 vom 30. Juni 2016 E. 2.2). 3.4.2. Die subjektiven Indikatoren werden in Art. 66a AVIG bereits durch den Gesetzgeber festgelegt. Demnach kann die Versicherung Zuschüsse an eine höchstens dreijährige Ausbildung von Versicherten gewähren, welche mindestens 30 Jahre alt sind (Abs. 1 lit. b); und über keine abgeschlossene in der Schweiz anerkannte berufliche Ausbildung verfügen in ihrem erlernten Beruf erhebliche Schwierigkeiten haben, eine Stelle zu finden (Abs. 1 lit. c). Der Bundesrat sah das Fehlen einer beruflichen Ausbildung als Hauptrisikofaktor für Eintreten und lange Dauer der Arbeitslosigkeit. Versicherte, die die Voraussetzungen nach Art. 66a Abs. 1 AVIG erfüllen, sind somit grundsätzlich auf dem Arbeitsmarkt erschwert vermittelbar (vgl. Art. 59 Abs. 2 AVIG), da sie im Wettbewerb um eine Stelle aufgrund der fehlenden Ausbildung benachteiligt sind (vgl. Art. 66a Abs. 1 lit. c Halbsatz 1 AVIG). Das Gleiche gilt für Personen, die in ihrem erlernten Beruf erhebliche Schwierigkeiten haben, eine Stelle zu finden (vgl. Art. 66a Abs. 1 lit. c Halbsatz 2 AVIG). Eine weitere Prüfung der subjektiven Indikatoren ist somit hinfällig, falls die Person 30 Jahre alt ist und eines der Kriterien gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. c AVIG erfüllt. Es kann somit lediglich der objektive Indikator geprüft werden, damit die Arbeitslosenversicherung nicht für Ausbildungen einsteht, für die es danach auf dem Arbeitsmarkt nur eine geringe Nachfrage gibt, wodurch die Vermittelbarkeit nicht verbessert wird. Somit ist zu prüfen, ob der Arbeitsmarkt nach Abschluss der Massnahme bereit ist, den Versicherten aufzunehmen (vgl. Leu, a.a.O., S. 37). Ausbildungszuschüsse sollen versicherten Personen, die mindestens 30 Jahre alt sind, das Nachholen einer Grundausbildung die Anpassung ihrer schon erworbenen Ausbildung an die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts ermöglichen (vgl. AVIG-Praxis AMM, Rz. F1). Ausschlaggebend ist einzig das Interesse der versicherten Person, eine Berufslehre zu absolvieren, deren Abschluss mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) einem gleichwertigen kantonalen Zeugnis bescheinigt wird (vgl. AVIG-Praxis AMM, Rz. F2). 3.5.1. Die Beschwerdeführerin ist mindestens 30 Jahre alt und erfüllt somit die Voraussetzungen nach Art. 66a Abs. 1 lit. b AVIG. 3.5.2. Die Beschwerdeführerin besitzt ein Bürofachdiplom VSH, ausgestellt durch die ibW Höhere Fachschule Südostschweiz im Juli 2015, und zwei Diplome als Kosmetikerin/Medizinische Kosmetikerin, ausgestellt durch das kosmetische und medizinische Ausbildungszentrum Luzern/Horw im Dezember 2021 resp. Januar 2022. Dabei handelt es sich nicht um eidgenössische gleichwertige kantonale Zeugnisse, die eine abgeschlossene Berufsausbildung bescheinigen. Der Verband Schweizerischer Handelsschulen schreibt dazu, dass das Bürofachdiplom VSH zusammen mit der Eignungsabklärung als Orientierungshilfe nach dem ersten Ausbildungsjahr zum Abschluss des eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses (EFZ) Kauffrau/Kaufmann gilt (vgl. Verband Schweizerischer Handelsschulen, Bürofachdiplom VSH, Handelsdiplom VSH, Reglement, 2.7., S. 10; vgl. auch Verordnung des eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung [WBF] über Mindestvorschriften für die Anerkennung von Bildungsgängen und Nachdiplomstudien der höheren Fachschule [MiVO-HF; SR 412.101.61]). Auch die Ausbildung als (medizinische) Kosmetikerin (vgl. Beschwerdegegnerische Akten [Bg-act.] 10 und 11) kann nicht als berufliche Ausbildung i.S.v. Art. 66a Abs. 1 lit. c AVIG gesehen werden. Somit verfügt die Beschwerdeführerin nicht über eine abgeschlossene in der Schweiz anerkannte berufliche Ausbildung. Die Prüfung nach Art. 66a Abs. 1 lit. c Halbsatz 2 ('oder hat in ihrem erlernten Beruf erhebliche Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden') erübrigt sich somit. 3.5.3. Auch ihre Neigung und Fähigkeit sowie das Interesse der Beschwerdeführerin an der Absolvierung der Berufslehre, deren Abschluss mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) einem gleichwertigen kantonalen Zeugnis bescheinigt wird (vgl. AVIG-Praxis AMM, Rz. F2 ff.) ist mit den Schnuppertagen beim Schweizerischen Roten Kreuz (SRK), dem Kursbesuch 'Pflegehelfer/-in SRK' und letztlich dem Lehrvertrag mit der C._____ erfüllt (vgl. Bg-act. 6; Schnuppertage, SRK-Kurs, Lehrvertrag). Weiter soll sie von diversen Ansprechpersonen aus dem Bereichen RAV, Berufsbildung, Medizinalwesen ermuntert worden sein, diese Ausbildung zu machen, was unwidersprochen blieb. 3.5.4. Weiter sind die sachlichen Voraussetzungen nach Art. 66a Abs. 4 AVIG erfüllt. Zwischen der C._____ und der Beschwerdeführerin liegt ein rechtsgenüglicher Lehrvertrag vor (vgl. Bg-act. 6). Das Ausbildungskonzept wird durch eine bundesrechtliche Verordnung geregelt (vgl. Verordnung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation [SBFI] über die berufliche Grundbildung Fachfrau Gesundheit / Fachmann Gesundheit mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis [EFZ] [SR 412.101.220.96]). Der Abschluss sieht ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) gemäss Art. 22 Abs. 1 dieser Verordnung vor. 3.6. Ausschlaggebend für die entscheidwesentliche Frage der arbeitsmarktlichen Indikation ist, ob der Arbeitsmarkt für Personen mit den Qualifikationen der Versicherten grundsätzlich Stellen bereithält und ob sie aus persönlichen Gründen im Wettbewerb um diese Stellen benachteiligt ist (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_67/2018 vom 16. April 2018 E. 4.2). Was die objektive Komponente der Arbeitsmarktsituation anbelangt, hat die Beschwerdeführerin ohne Berufsabschluss allein mit den erlangten Diplomen (VSH-Bürofachdiplom mit Deutsch-Note 3.7) sowie ihrer Arbeitserfahrung auf dem Arbeitsmarkt nachvollziehbarerweise Nachteile im Bewerbungsprozess, sei es im Verkauf wie auch im kaufmännischen Bereich, wie ihre im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eingereichten erfolglosen Stellenbemühungen zeigen (vgl. Beschwerdeführerische Akten [Bf-act.] 5). Eine Stellenzuweisung seitens der Arbeitslosenbehörde hat nach Aktenlage nicht stattgefunden, weder für den Verkauf noch im kaufmännischen Bereich noch anderweitig. Demgegenüber ist es notorisch und weisen aktuelle Statistiken aus, dass für Pflege- und Betreuungspersonal auf Sekundarstufe II (EFZ) ausgehend vom Jahr 2019 bis in das Jahr 2029 7'900 zusätzliche Personen bzw. bis in das Jahr 2035 15'100 zusätzliche Personen benötigt werden (vgl. Merçay/Grünig/Dolder, Gesundheitspersonal in der Schweiz - Nationaler Versorgungsbericht 2021 des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums [Obsan]; Bestand, Bedarf, Angebot, Massnahmen zur Personalsicherung [Obsan Bericht 03/2021], Neuchâtel 2021, Kapitel T 4.2, S. 43; https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/2021-10/Obsan_03_2021_BERICHT_0.pdf, besucht am 2. Mai 2023). Dies zeigt eine enorme Nachfrage im Bereich des Pflege- und Betreuungspersonals in welchem die Beschwerdeführerin eine Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit EFZ absolviert. Es ist somit davon auszugehen, dass der Arbeitsmarkt genügend Stellen resp. reelle Beschäftigungsmöglichkeiten für die Beschwerdeführerin nach Abschluss dieser Ausbildung bereithält (vgl. AVIG-Praxis AMM, Rz. F18). Die Beschwerdeführerin lebt seit vielen Jahren in der Schweiz und ist Mutter eines minderjährigen Sohnes. Sie ist hier verwurzelt und es ist somit einleuchtend, dass sie mit der aufgenommenen Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit EFZ anstrebt, ihr berufliches und wirtschaftliches Fortkommen nachhaltig abzusichern. Die AMM in der Form von Ausbildungszuschüssen sind in casu das geeignete Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels - Verbesserung ihrer Vermittlungsfähigkeit bzw. Realisierung reeller Berufschancen im hiesigen Arbeitsmarkt - und zwischen Ziel und Mittel herrscht ein vernünftiges Verhältnis (vgl. Entscheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVGE] C 280/02 vom 18. November 2003 E.2.2). 4. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass sämtliche Voraussetzungen für die Ausrichtung von Ausbildungszuschüssen zu bejahen sind. In Gutheissung der Beschwerde ist der angefochtene Einspracheentscheid vom 15. Juni 2022 aufzuheben und es ist festzustellen, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf Ausbildungszuschüsse ab 1. August 2022 betreffend ihr Lehrverhältnis zur Fachfrau Gesundheit EFZ mit der C._____ in Chur hat. 5.1. Gemäss Art. 61 lit. fbis ATSG ist das Beschwerdeverfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht bei Streitigkeiten über Leistungen kostenpflichtig, wenn dies im jeweiligen Einzelgesetz vorgesehen ist. Sieht das Einzelgesetz keine Kostenpflicht bei solchen Streitigkeiten vor, so kann das Gericht einer Partei, die sich mutwillig leichtsinnig verhält, Gerichtskosten auferlegen. Da das AVIG keine Kostenpflicht statuiert und Mutwilligkeit Leichtsinn nicht vorliegen, sind keine Kosten aufzuerlegen. 5.2. Gemäss Art. 61 lit. g ATSG hat die obsiegende Beschwerde führende Person Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Mit Gutheissung der Beschwerde obsiegt die Beschwerdeführerin. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin hat keine Honorarnote eingereicht (eine Honorarvereinbarung von CHF 270.-- läge im Recht; Bf-act. V1). Daher wird der Parteikostenersatz nach Ermessen bestimmt (vgl. Art. 2 bis 4 der Verordnung über die Bemessung des Honorars der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte [Honorarverordnung, HV; BR 310.250]). Das Gericht erachtet einen pauschalen Parteikostenersatz von CHF 2'000.-- (inkl. Spesen und MWST) als angemessen. III. Demnach erkennt das Gericht: 1. In Gutheissung der Beschwerde wird der Einspracheentscheid des Amts für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden vom 15. Juni 2022 aufgehoben und festgestellt, dass A._____ Anspruch auf Ausbildungszuschüsse ab 1. August 2022 betreffend ihr Lehrverhältnis zur Fachfrau Gesundheit EFZ mit der C._____ in Chur hat. 2. Es werden keine Kosten erhoben. 3. Das Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Graubünden leistet A._____ einen Parteikostenersatz von CHF 2'000.-- (inkl. Spesen und MWST). 4. [Rechtsmittelbelehrung] 5. [Mitteilung]
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