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Urteil Appellationsgericht (BS - VD.2018.7 (AG.2018.481))

Zusammenfassung des Urteils VD.2018.7 (AG.2018.481): Appellationsgericht

Der afghanische Staatsangehörige A____ reiste 2006 in die Schweiz ein und stellte erfolglos ein Asylgesuch. Nach mehreren strafrechtlichen Verurteilungen wurde ihm die Aufenthaltsbewilligung entzogen und er aus der Schweiz weggeschickt. Nach der Scheidung seiner Ehe mit einer Schweizer Staatsangehörigen beantragte er erfolglos die Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung aufgrund eines Härtefalls. Das Verwaltungsgericht entschied jedoch, dass er aufgrund seiner guten sozialen und beruflichen Integration in der Schweiz einen Anspruch auf eine Härtefallbewilligung hat. Der Entscheid des Justiz- und Sicherheitsdepartements wurde aufgehoben, und die Sache wurde zur Erteilung der Bewilligung an das Migrationsamt zurückgewiesen. Der Rekurrent erhält eine Parteientschädigung von CHF 3100.-.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VD.2018.7 (AG.2018.481)

Kanton:BS
Fallnummer:VD.2018.7 (AG.2018.481)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid VD.2018.7 (AG.2018.481) vom 19.07.2018 (BS)
Datum:19.07.2018
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung
Schlagwörter: Rekurrent; Entscheid; Aufenthalt; Schweiz; Afghan; Afghanistan; Aufenthalts; Rekurs; Recht; Mazar-i-Sharif; Basel; Wegweisung; Härtefall; Rekurrenten; Gericht; Sicherheitslage; Stadt; Basel-Stadt; Situation; Staats; Person; Migration; Herkunft; Zustimmung; Sinne; Verfahren; VGEVD; önliche
Rechtsnorm: Art. 112 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VD.2018.7 (AG.2018.481)

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

als Verwaltungsgericht

Dreiergericht


VD.2018.7


URTEIL


vom 19. Juli 2018



Mitwirkende


Dr. Stephan Wullschleger, lic. iur. André Equey,

Prof. Dr. Daniela Thurnherr Keller und Gerichtsschreiber Dr. Urs Thönen




Beteiligte


A____ Rekurrent

[...]

vertreten durch [...]

gegen


Migrationsamt Basel-Stadt

Spiegelgasse 12, 4001 Basel



Gegenstand


Rekurs gegen einen Entscheid des Justiz- und Sicherheitsdepartements

vom 30. November 2017


betreffend Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und

Wegweisung


Sachverhalt


Der afghanische Staatsangehörige A____ (Rekurrent), geboren am [...]1982, reiste am 3. Februar 2006 in die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch, das abgelehnt wurde. Auf zwei weitere Gesuche trat das Staatssekretariat für Migration (SEM) nicht ein. Er wurde letztmalig am 3. Juli 2008 aus der Schweiz weggewiesen. Auf ein Revisionsgesuch trat das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 12. November 2009 nicht ein.


Mit Strafbefehlen des Strafbefehlsrichters Basel-Stadt resp. der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt vom 8. Oktober 2009, 8. Februar 2010 und 14. Dezember 2011 wurde der Rekurrent wegen rechtswidrigen Aufenthalts zu bedingten Geldstrafen von 30, 45 und 90 Tages­sätzen verurteilt. Daneben wurde er mit Strafbefehl des Bezirksamtes Zofingen vom 22. Juni 2010 wegen Führens eines Personenwagens ohne Führer­ausweis zu einer Busse von CHF400.- und mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt vom 24. April 2012 wegen versuchten Missbrauchs von Ausweisen und Schildern sowie Fahrens in fahrunfähigem, angetrunkenem Zustand zu einer Geldstrafe von 90 Tages­sätzen verurteilt.


Am 20. Oktober 2010 heiratete der Rekurrent die Schweizer Staatsangehörige [...], worauf er eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei der Ehefrau erhielt. Mit Entscheid vom 28. November 2013 bewilligte das Zivilgericht Basel-Stadt den Ehegatten das seit dem 1. November 2013 bestehende Getrenntleben. Mit Entscheid des Zivilgerichts vom 18. September 2017 wurde die Ehe geschieden.


Im Anschluss an die gerichtliche Regelung des Getrenntlebens leitete das Migra-tionsamt mit Schreiben vom 17. Januar 2014 Abklärungen über die Situation des Rekurrenten ein. Nach erfolgter Befragung der Ehegatten und der Gewährung des rechtlichen Gehörs widerrief das Migrationsamt die Aufenthaltsbewilligung des Rekurrenten mit Verfügung vom 6. August 2015 und wies ihn aus der Schweiz weg. Den dagegen erhobenen Rekurs wies das Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) mit Entscheid vom 30. November 2017 kostenfällig ab.


Gegen diesen Entscheid richtet sich der mit Eingaben vom 8. und 22. Dezember2017 erhobene und begründete Rekurs an den Regierungsrat, mit dem der Rekurrent dessen kosten- und entschädigungsfällige vollumfängliche Aufhebung und die Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung gestützt auf das Vorliegen eines nachehelichen Härtefalles im Sinne von Art.50 Abs.1 lit.b und Abs.2 des Ausländergesetzes (AuG, SR 142.20), eventualiter gestützt auf das Vorliegen eines Härtefalles im Sinne von Art.30 Abs.1 lit.b AuG beantragt. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt er den Beizug der ihn und seine Familienmitglieder betreffenden Akten des SEM, soweit diese entscheidrelevant sind, sowie die Bewilligung der aufschiebenden Wirkung. Diesen Rekurs überwies das Präsidialdepartement mit Schreiben vom 12. Januar 2018 dem Verwaltungsgericht zum Entscheid. Mit instruktionsrichterlicher Verfügung vom 16. Januar2018 wurde dem Rekurs die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Das JSD beantragt mit Vernehmlassung vom 12. März 2018 die kostenfällige Abweisung des Rekurses. Dazu hat der Rekurrent mit Eingabe vom 6. April 2018 repliziert. Die Einzelheiten der Parteistandpunkte ergeben sich, soweit sie für den Entscheid von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen. Das vorliegende Urteil ist auf dem Zirkulationsweg ergangen.



Erwägungen


1.

1.1 Das Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt hat den Rekurs mit Schreiben vom 12. Januar 2018 dem Verwaltungsgericht zum Entscheid überwiesen, womit gemäss §42 des Organisationsgesetzes (OG, SG 153.100) in Verbindung mit §12 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRPG, SG 270.100) dessen Zuständigkeit gegeben ist. Zuständig ist das Dreiergericht (§92 Abs.1 Ziff.11 des Gerichts­organisationsgesetzes [GOG, SG 154.100]). Für das Verfahren gelten die Bestimmungen des VRPG.


1.2 Als Adressat des angefochtenen Entscheids ist der Rekurrent unmittelbar berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung Abänderung, weshalb er gemäss §13 VRPG zum Rekurs legitimiert ist. Auf den frist- und formgerechten Rekurs ist somit einzutreten.


1.3

1.3.1 Die Kognition des Verwaltungsgerichts richtet sich nach §8 VRPG. Demnach hat das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob die Vor­instanz den Sachverhalt unrichtig festgestellt, wesentliche Form- Verfahrensvorschriften verletzt, öffentliches Recht nicht nicht richtig angewendet von dem ihr zustehenden Ermessen unzulässigen Gebrauch gemacht hat. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung und in Anwendung von Art.110 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG, SR173.110) sind bei der Prüfung der materiellen Rechtmässigkeit eines ausländerrechtlichen Entscheids durch das kantonale Gericht die tatsächlichen Verhältnisse massgebend, wie sie im Zeitpunkt des Gerichtsentscheids vorherrschen (vgl. BGE127 II 60 E.1b S.63; BGer2C_42/2011 vom 23. August 2012 E.5.3; VGEVD.2015.204 vom 21.Juni 2017 E.1.2, VD.2015.240 vom 19.September 2016 E.1.2, VD.2015.151 vom 24.Februar 2016 E.1).


1.3.2 Dabei gilt im verwaltungsgerichtlichen Rekursverfahren das Rügeprinzip. Das Gericht prüft einen angefochtenen Entscheid gestützt auf die Begründungsobliegenheit gemäss §16 Abs.2 Satz1 VRPG nicht von sich aus unter allen in Frage kommenden Aspekten, sondern untersucht nur die rechtzeitig vorgebrachten konkreten Beanstandungen. Der Rekurrent hat seinen Standpunkt substanziiert vorzutragen und sich mit den Erwägungen im angefochtenen Entscheid auseinanderzusetzen (Wullschleger/Schröder, Praktische Fragen des Verwaltungsprozesses im Kanton Basel-Stadt, in: BJM 2005 S.277, 305; Stamm, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Buser [Hrsg.], Neues Handbuch des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons Basel-Stadt, Basel 2008, S.477, 504; VGEVD.2016.66 vom 20.Juni 2016 E.1.3).


2.

2.1 Nach erfolgter Scheidung kann sich der Rekurrent zur Begründung eines Aufenthaltsanspruchs unbestrittenermassen nicht mehr auf die aufgelöste Ehe mit einer Schweizer Bürgerin berufen.


2.2 Der Bewilligungsanspruch besteht aber trotz Auflösung bzw. definitivem Scheitern der Ehegemeinschaft fort, wenn diese mindestens drei Jahre gedauert und die betroffene ausländische Person sich hier erfolgreich integriert hat (Art.50 Abs.1 lit.a AuG) wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (Art.50 Abs.1 lit.b AuG).


2.2.1 Zur Berechnung der Dreijahresfrist gemäss Art.50 Abs.1 lit.a AuG wird verlangt, dass die Ehegemeinschaft während drei Jahren in der Schweiz gelebt wurde (vgl. BGE136 II 113 E.3.3 S.117ff.). Die gesetzliche Frist von drei Jahren gilt dabei als absolute Minimalfrist. Selbst wenn sie nur um wenige Wochen Tage verpasst wird, besteht kein Anspruch mehr auf eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art.50 Abs.1 lit.a AuG (BGE137 II 345 E.3.1.3 S.347; VGEVD.2016.99 vom 7. November 2016 E.2.2). Eine (relevante) Ehegemeinschaft liegt vor, solange die eheliche Beziehung tatsächlich gelebt wird und ein gegenseitiger Ehewille besteht. Dabei ist im Wesentlichen auf die Dauer der nach aussen wahrnehmbaren ehelichen Wohngemeinschaft abzustellen (BGE138 II 229 E.2 S.231, 137 II 345 E.3.1.2 S.347; VGEVD.2016.99 vom 7. November 2016 E.2.2).

2.2.2 Mit dem vorliegenden Rekurs macht der Rekurrent im Unterschied zum Verfahren vor der Vor­instanz nicht mehr geltend, dass die Ehe mit seiner geschiedenen Ehefrau während insgesamt drei Jahren gelebt worden ist. Dies hat die Vor­instanz verneint. Sie hat dabei auf der Grundlage der eigenen Ausführungen des Rekurrenten erwogen, dass die Ehefrau den Rekurrenten während eines eigenen Klinik­aufenthalts am 16. Oktober 2013 zum Verlassen des gemeinsamen Haushaltes aufgefordert habe und dieser der Forderung nachgekommen sei. In der Folge seien nach Aufnahme des Getrenntlebens abgesehen von freundschaftlichen Kontakten keine Bemühungen um Fortführung einer ehelichen Gemeinschaft ersichtlich. Angaben zur Aufnahme eines gemeinsamen ehelichen Haushaltes können dem Entscheid nicht entnommen werden. Ausgehend von der Aufnahme eines solchen mit dem in Basel erfolgten Eheschluss am 20. Oktober 2010 ist die Frist von drei Jahren somit um wenige Tage nicht erfüllt.


Gemäss Art.18 Abs.1 Sätze 3 und 4 VRPG dürfen die von den Parteien anerkannten Tatsachen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als wahr angenommen werden, sofern das Gericht daran nicht zweifelt. Als anerkannt gelten auch die in der angefochtenen Verfügung ausdrücklich festgestellten Tatsachen, welche der Rekurrent nicht bestritten hat. Dies folgt auch aus den Rügeobliegenheiten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. oben E.1.3.2).

2.3 Entsprechend den vorgetragenen Rügen ist daher allein zu prüfen, ob der Rekurrent aufgrund seiner geschiedenen Ehe einen Anspruch aus Art.50 Abs.1 lit.b und Abs.2 AuG ableiten kann.

2.3.1 Wichtige persönliche Gründe nach Art.50 Abs.1 lit.b AuG können namentlich vorliegen, wenn der Ehegatte Opfer ehelicher Gewalt geworden ist, die Ehe nicht aus freiem Willen geschlossen hat die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint (Art.50 Abs.2 AuG). Ein wichtiger persönlicher Grund kann sich auch aus anderen Umständen ergeben. Die in Art.31 Abs.1 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE, SR 142.201) erwähnten Gesichtspunkte können bei der Beurteilung eine wesentliche Rolle spielen, auch wenn sie einzeln betrachtet grundsätzlich noch keinen Härtefall zu begründen vermögen. Es handelt sich hierbei insbesondere um den Grad der Integration, die Respektierung der Rechtsordnung, die Familienverhältnisse, die finanziellen Verhältnisse, die Dauer der Anwesenheit in der Schweiz und den Gesundheitszustand (BGE137 II 345 E.3.2.3 S.349f., 137 II 1 E.4.1 S.7f.). Wegweisungsvollzugshindernisse im Sinne von Art.83 Abs.2 bis 4 AuG sind ebenfalls geeignet, die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland als stark gefährdet erscheinen zu lassen und damit einen nachehelichen Härtefall im Sinne von Art.50 Abs.1 lit.b AuG zu begründen (vgl. BGE137 II 345 E.3.3.2 S.351f.; VGEVD.2017.100 vom 17. September 2017 E.2.2). Entscheidend ist, ob die persönliche, berufliche und familiäre Wiedereingliederung im Herkunftsland als stark gefährdet zu gelten hat und nicht, ob ein Leben in der Schweiz einfacher wäre. Schliesslich sind bei Art.50 Abs.1 lit.b AuG auch die Umstände, die zur Auflösung der Ehe geführt haben, zu berücksichtigen (BGE137 II 1 E.4.1 S.8). Bei der Beurteilung der wichtigen persönlichen Gründe sind sämtliche Aspekte des Einzelfalls mitzuberücksichtigen (BGE138 II 229 E.3.1 S.232 m.H.). Ein persönlicher, nachehelicher Härtefall setzt aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls eine erhebliche Intensität der Konsequenzen für das Privat- und Familienleben der ausländischen Person voraus, die mit ihrer Lebenssituation nach dem Dahinfallen der gestützt auf Art.42 Abs.1 bzw. Art.43 Abs.1 AuG abgeleiteten Anwesenheitsberechtigung verbunden sind (BGE138 II 229 E.3.1 S.232, 137 II 345 E.3.2.3 S.350). Hat der Aufenthalt nur kürzere Zeit gedauert und wurden keine engen Beziehungen zur Schweiz geknüpft, lässt sich ein Anspruch auf einen weiteren Verbleib nicht begründen, wenn die erneute Integration im Herkunftsland keine besonderen Probleme stellt (BGE137 II 345 E.3.2.3 S.350).

2.3.2 In diesem Zusammenhang macht der Rekurrent wie schon im vor­instanzlichen Verfahren geltend, dass ihm aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan nicht zugemutet werden könne, dorthin zurückzukehren.


2.3.2.1 Der Vollzug der Wegweisung kann für Ausländerinnen Ausländer unzumutbar sein, wenn sie in Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage im Heimat- Herkunftsstaat konkret gefährdet sind (Art.83 Abs.4 AuG). Die Bedeutung der in Art.83 Abs.4 AuG verwendeten Kann-Formulierung beschränkt sich darauf, zu verdeutlichen, dass im Anwendungsbereich von Art.83 Abs.4 AuG nicht wegen völkerrechtlicher Verpflichtungen, sondern aus humanitären Gründen auf den Vollzug der Wegweisung verzichtet wird (BVGE2014/26 E.7.9.6 S.401f.). Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, so ist der Vollzug der Wegweisung unzumutbar (BVGE2014/26 E.7.10 S.402f.). Die Aufzählung von Gefährdungskonstellationen in Art.83 Abs.4 AuG ist nicht abschliessend, sondern beispielhaft (BVGE2014/26 E.7.5 S.394f.). Aus den im Gesetz genannten Gefährdungssituationen ergibt sich allerdings, dass ausschliesslich Gefahren für Leib Leben die Annahme einer konkreten Gefährdung im Sinne von Art.83 Abs.4 AuG rechtfertigen (BVGE2014/26 E.7.6 S.395). Da der Vollzug der Wegweisung nur unzumutbar ist, wenn die Ausländerin der Ausländer im Heimat- Herkunftsstaat konkret gefährdet ist, ist der Vollzug nicht schon dann unzumutbar, wenn dort eine Situation allgemeiner Gewalt herrscht, sondern erst, wenn die weggewiesene Person durch die allgemeine Gewaltsituation auch tatsächlich individuell betroffen ist (BVGE2014/26 E.7.7.1 S.395f.). Ist die Gewalt vor Ort flächendeckend und derart gravierend sind die Sicherheitslage und die humanitäre Situation so schlecht, dass angenommen werden muss, jede dorthin zurückkehrende Person sei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit konkret gefährdet, so geht die Praxis von einer generellen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs aus. Indessen können begünstigende individuelle Umstände vorliegen, aufgrund welcher eine bestimmte Person im Gegensatz zu zurückkehrenden Personen im Allgemeinen auch in Anbetracht der schwierigen humanitären Situation der Sicherheitslage vor Ort nicht konkret gefährdet ist, es kann eventuell in einem anderen Landesteil - allenfalls unter bestimmten Bedingungen - eine zumutbare innerstaatliche Aufenthaltsalternative zur Verfügung stehen (BVGE2014/26 E.7.7.2 S.396). Für den Nachweis der konkreten Gefährdung gilt das Beweismass der Glaubhaftmachung. Die konkrete Gefährdung ist glaubhaft, wenn sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Die Glaubhaftmachung setzt voraus, dass die Ausländerin der Ausländer den der Gefährdung zugrundeliegenden Sachverhalt substantiiert, schlüssig und plausibel vorbringt und die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen (vgl. BVGE2014/26 E.7.7.4 S.397, 2013/11 E.5.1 S.141ff. und Bolzli, in: Spescha et al. [Hrsg.], Kommentar Migrationsrecht, 4. Auflage, Zürich 2015, Art.83 AuG N2; VGEVD.2016.149 vom 6. Februar 2017 E.4.6.2).


2.3.2.2 Die Vorinstanz hat dazu unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVGE2011/7 E.9.9.1) ausgeführt, dass in weiten Teilen Afghanistans eine derart schlechte Sicherheitslage und derart schwierige humanitäre Bedingungen bestünden, dass die Situation als existenzbedrohend im Sinne von Art.83 Abs.4 AuG zu qualifizieren sei. Von dieser allgemeinen Feststellung sei die Situation in der Hauptstadt Kabul zu unterscheiden. Da sich die Sicherheitslage dort im Verlauf des vergangenen Jahres nicht weiter verschlechtert habe und die humanitäre Situation im Vergleich zu den übrigen Gebieten etwas weniger dramatisch sei, könne der Vollzug der Wegweisung nach Kabul unter Umständen als zumutbar qualifiziert werden. Solche Umstände könnten grundsätzlich namentlich dann gegeben sein, wenn es sich beim Rückkehrer um einen jungen, gesunden Mann handle. Unabdingbar sei in erster Linie ein soziales Netz, das sich im Hinblick auf die Aufnahme und Wiedereingliederung des Rückkehrers als tragfähig erweise. Diese Einschätzung gelte auch für die Städte Mazar-i-Sharif (BVGE2011/49 E.7.3.6f.) und Herat (BVGE2011/38 E.4.3.1ff.). Diese Lageeinschätzung habe das Bundesverwaltungsgericht auch noch in neueren Entscheiden bestätigt (BVGer D-380/2017 vom 2. Februar 2017 E.6.5.3, E-3425/2017 vom 6. Juli 2017 E.6.3). Dem Rekurrenten sei in der Schweiz weder Asyl gewährt noch sei er vorläufig aufgenommen worden. Im Rahmen des Asylverfahrens sei er aufgrund seiner irreführenden Angaben in den Iran weggewiesen worden. Er sei wohl im Iran aufgewachsen, habe sich aber angeblich im Jahr 2002 entschlossen, nach Mazar-i-Sharif, Afghanistan, zu gehen, um sich dort eine Existenz aufzubauen. Der Rekurrent sei afghanischer Staatsangehöriger. Indem er seine wahre Herkunft bis heute verschleiere verheimliche, verletze er seine weitreichenden Mitwirkungspflichten (Art.90 AuG). Das SEM gehe daher in seinem Bericht vom 26.September 2016 davon aus, dass wohl auch heute keine wegweisungsbeachtlichen Gründe gegen eine Rückkehr an seinen bisherigen Aufenthaltsort bestünden. Durch die Verheimlichung und Verschleierung seiner wahren Herkunft werde auch die Prüfung von Wiedereingliederungshindernissen verunmöglicht. Die Vorinstanz verweist diesbezüglich auf falsche Angaben zu seinem Reisepass, zu früheren Aufenthalten in Afghanistan und zu seiner Aufnahme im Zentralen Migrationssystem mit fünf Alias-Identitäten.


Aus seinen Vorbringen gehe hervor, dass der Rekurrent sich im Jahr 2002 entschlossen habe, vom Iran nach Mazar-i-Sharif in Afghanistan überzusiedeln. Zumal schon damals die Sicherheitslage angespannt gewesen sei, könne daraus geschlossen werden, dass der Rekurrent über ein gutes Beziehungsnetz in Mazar-i-Sharif verfüge. Es erscheine unglaubwürdig, dass eine dortige Kontaktierung weder des Vaters noch des Bruders möglich sein soll. Nachdem der Rekurrent mehrere Jahre als Schneider gearbeitet habe, könne davon ausgegangen werden, dass er bei seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine existenzbedrohende Situation geraten würde und im Vergleich zur dortigen Wohnbevölkerung keinem erkennbaren Nachteil ausgesetzt wäre. Zudem könne er die in der Schweiz erworbenen sprachlichen und beruflichen Kenntnisse bei der Rückkehr nutzen. Schliesslich könne eine weitere Änderung der Sicherheitslage im Rahmen des Vollzugs der Wegweisung nach Beendigung des Rekursverfahrens durch die Migrationsbehörden berücksichtigt werden. Zum heutigen Zeitpunkt sei die Wegweisung des Rekurrenten, der noch relativ jung und gesund sei und sich somit in einem vertrauten Kulturkreis reintegrieren könne, mit Blick auf seine Vorgeschichte und die familiäre Situation im Heimatland nicht als unzumutbar zu betrachten. Der Rekurrent könne demnach keinen Anspruch gemäss Art.50 Abs.1 lit.b AuG geltend machen.


2.3.2.3 Dem hält der Rekurrent mit seiner Rekursbegründung im vorliegenden Verfahren entgegen, dass er als afghanischer Staatsangehöriger der Ethnie der Hazara in Ghom im Iran geboren worden sei, nachdem seine Eltern vor seiner Geburt von Afghanistan in den Iran geflohen seien. Nach der Scheidung seiner Eltern und dem Wegzug des Vaters sei er mit der Mutter, deren neuem Ehemann, drei Brüdern, einem Halbbruder und zwei Halbschwestern im Iran aufgewachsen. Mit seinem nach Afghanistan in die Provinz Helmand zurückgekehrten Vater habe er letztmals im Alter von 15 Jahren Kontakt gehabt. Nach der Schule habe er in Ghom in einer Schuh­fabrik und in Teheran als Schneider gearbeitet. Als afghanischer Flüchtling habe er aber keine Möglichkeit gehabt, eine Ausbildung zu machen und sich diskriminiert gefühlt, weshalb er sich 2002 nach Mazar-i-Sharif in Afghanistan begeben habe. Weil er in Afghanistan ohne Unterstützung kein Leben habe aufbauen können, sei er nach Ghom zurückgereist. Dort habe er Probleme mit den iranischen Behörden bekommen und sei schliesslich 2006 in die Schweiz geflohen. Hier habe er sich nicht gegen seine Aufnahme als iranischer Flüchtling gewehrt, da er sich selber als iranischen Staatsangehörigen betrachtet habe. Mittlerweile lebten auch seine Mutter ([...]), sein Stiefvater ([...]) und seine Halbschwester [...] mit F-Bewilligungen (vorläufig aufgenommen) sowie seine Halbschwester [...], sein älterer Bruder [...] und sein Halbbruder [...] mit N-Bewilligungen (asylsuchend) in der Schweiz. Sein mittlerer Bruder [...] befinde sich zurzeit als Asylbewerber in Griechen­land. Die Aufenthaltsorte seines Vaters wie auch seines jüngsten Bruders [...] kenne die Familie nicht. Vor diesem Hintergrund und wegen der (an die neue Sicherheitslage in Afghanistan angepassten) Rechtsprechung des Bundes­verwaltungsgerichts sei ihm eine Rückkehr in sein Heimatland nicht zumutbar. Er bestreite nicht, in der Vergangenheit nicht immer vollständig klare Angaben gemacht zu haben. Die wichtigste Unklarheit im Zusammenhang mit seiner Staatsangehörigkeit sei aber mittlerweile geklärt. Seine Angaben seien in den Asylverfahren seiner engsten Familienmitglieder be­stätigt worden. Der von ihm dargestellte Sachverhalt sei daher hinlänglich nachgewiesen worden. Die vom Bundesverwaltungsgericht für eine Rückweisung nach Afghanistan geforderten besonders günstigen Bedingungen würden klar nicht vorliegen, insbesondere fehle es vollständig an einem sozialen bzw. familiären Netzwerk in einer der drei grossen Städte in Afghanistan.


2.3.2.4 Wie der Rekurrent zutreffend ausführen lässt, hat das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil D-5800/2016 vom 13. Oktober 2017 eine neue Lagebeurteilung zu Afghanistan vorgenommen. Seit dem letzten Länderurteil des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 2011 (BVGE2011/7), auf das sich die Vor­instanz gestützt hat, und dem Rückzug der International Security Assistance Force (ISAF) sei über alle Regionen Afghanistans hinweg eine deutliche Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Allerdings lässt das Gericht die Beurteilung der Lage in den Städten Mazar-i-Sharif und Herat ausdrücklich offen und verweist auf einen früheren Entscheid, in dem ein Wegweisungsvollzug nach Mazar-i-Sharif unter der Voraus­setzung begünstigender Umstände be­stätigt wurde (BVGer E-2060/2016 vom 2. August 2016). In einem späteren Entscheid wurde indessen eine Wegweisung eines Fernsehjournalisten aus Mazar-i-Sharif unterbunden, der durch seine berufliche Exponiertheit einem erhöhten Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei (BVGer E4394/2016 vom 19. April 2018). Das Gericht führte aus, es erscheine unklar, ob sich die afghanischen Sicherheitskräfte gegen die regierungsfeindlichen Gruppierungen würden behaupten können. Zudem gelte die Afghan Local Police (ALP) in der afghanischen Bevölkerung als korrupt und werde für gravierende Menschenrechtsverletzungen und Missbräuche verantwortlich gemacht, für die sie nicht zur Rechenschaft gezogen würde. Sie stehe teilweise unter der Kontrolle lokaler Machthaber. Während die nordafghanische Provinzhauptstadt Mazar-i-Sharif bis zum Jahr 2016 zu den sichersten Städten Afghanistans gezählt worden sei, habe sich die Sicherheitslage seither drastisch verschlechtert. Drei Ereignisse, ein Anschlag des IS auf die schiitische Moschee in Mazar-i-Sharif mit mindestens 14toten und über 30verletzten Personen im Oktober 2016, ein Anschlag der Taliban auf das deutsche Konsulat in Mazar-i-Sharif mit mindestens sechs getöteten und über 120verletzten Personen im November 2016 und ein im April 2017 von den Taliban verübter Anschlag auf den Militärstützpunkt Shaheen in der Nähe von Mazar-i-Sharif mit mindestens 140getöteten und über 160verletzten Soldaten hätten die Berichterstattung zur Sicherheitslage seither geprägt. Insgesamt seien in Mazar-i-Sharif allein im Zeitraum vom 1. September2016 bis zum 31.Mai 2017 ohne Einrechnung der Sommermonate mit den höchsten Aktivitätsraten der Aufständischen 108sicherheitsrelevante Zwischenfälle verzeichnet worden (BVGer E-4394/2016 vom 19. April 2018 E.5.1f.).


Auch das Verwaltungsgericht hat bereits im vergangenen Jahr der Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan in seiner Rechtsprechung Rechnung getragen (vgl. VGEVD.2016.159 vom 13. April 2017 E.3.4.3.2).


Aufgrund dieser deutlichen Verschlechterung der Sicherheitslage bestehen in Afghanistan derart schwierige humanitäre Bedingungen in weiten Teilen des Landes, dass die Situation als existenzbedrohend im Sinne von Art.83 Abs.4 AuG zu qualifizieren ist. Der Wegweisungsvollzug ist deshalb grundsätzlich als unzumutbar zu beurteilen. Als Ausnahme von diesem Grundsatz kann der Wegweisungsvollzug im Falle der Hauptstadt Kabuls als zumutbar beurteilt werden, falls besonders begünstigende Faktoren gegeben sind. Solche besonders begünstigenden Faktoren liegen insbesondere bei alleinstehenden, gesunden Männern mit einem tragfähigen Beziehungsnetz, einer Möglichkeit zur Sicherung des Existenzminimums und einer gesicherten Wohnsituation vor (vgl. BVGer D-5800/2016 vom 13. Oktober 2017 E.8.4, D5872/2017 vom 5. Juni 2018 E.10.4.2). Nur unter diesen Voraussetzungen kann auch eine Rückkehr nach Mazar-i-Sharif ausnahmsweise als zumutbar betrachtet werden.


2.3.2.5 Der Vorinstanz ist zwar zuzustimmen, dass der Rekurrent während seines bisherigen Aufenthalts in der Schweiz widersprüchliche Angaben zu seiner Herkunft und seiner Vorgeschichte gemacht hat. So widersprechen insbesondere seine heutigen Angaben denjenigen, die bei seiner Befragung durch das damalige Bundesamt für Migration vom 26. Februar 2008 und vom 4. Juni 2008 protokolliert wurden. Es erscheint fraglich, ob diese widersprüchlichen Angaben mit den Erläuterungen des Rekurrenten tatsächlich auf Missverständnissen und entschuldbaren Irrtümern seinerseits beruhen. Infolgedessen fällt es erstens nicht mehr ganz leicht, seinen Darlegungen zu trauen, nachdem sich frühere Angaben zu Name und Nationalität als falsch erwiesen haben. Zweitens ist daran zu erinnern, dass die Verletzung der Wahrheits- und Mitwirkungspflicht seitens ausländischer Gesuchsteller zum Widerruf des Asyl- Aufenthaltsstatus führen kann (Art. 63 Abs. 1 lit. a des Asyl­gesetzes [AsylG, SR 142.31] und dazu BVGer D-742/2018 vom 10. April 2018 E. 4, D4248/2017 vom 22. Januar 2018 E. 2, E-297/2016 vom 21. Februar 2017 E. 3 je m.H.; sowie Art.62 Abs.1 lit.a und Art.63 Abs.1 lit.a AuG und dazu BGE142 II 265 E.3.1 m.H. = Pra 2017 Nr. 10). Drittens besteht seitens des Gesetzgebers ein erhebliches Interesse an der Durchsetzung der Einwanderungsbestimmungen und an der Missbrauchsbekämpfung im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts (Botschaften zum AsylG: BBl 2014 S. 8010, 8027, BBl 1996 II 1 S. 25; Botschaft zum AuG: BBl 2002 S. 3714, 3734). Dies wäre - gegebenenfalls - im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen und fiele dort als Gesichtspunkt gegen die Fortdauer des Aufenthalts in der Schweiz ins Gewicht (VGEVD.2017.72 vom 21.Dezember 2017 E.3.2.2.4).


Wie es sich damit verhält, kann vorliegend aber offengelassen werden. Tatsächlich fehlen mit den Ausführungen des Rekurrenten Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Rekurrent in Mazar-i-Sharif auf ein tragfähiges Beziehungsnetz, eine Möglichkeit zur Sicherung seines Existenzminimums und eine gesicherte Wohnsituation zurückgreifen kann. Während der grösste Teil seiner Kernfamilie sich mittlerweile nachweislich in der Schweiz aufhält, fehlen Hinweise darauf, dass der Vater und ein Bruder sich in jener Stadt aufhalten und ihm dort einen Empfangsrahmen gewähren könnten.


2.4

2.4.1 Daraus folgt, dass der Rekurrent auch nach der Auflösung seiner Familiengemeinschaft gestützt auf Art.50 Abs.1 lit.b i.V.m. Abs.2 AuG aufgrund der stark gefährdeten sozialen Wiedereingliederung im Herkunftsland einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung hat. Auch wenn der Rekurrent seine Heimat nicht wegen der Ehe verlassen hat und die Beziehung zu seiner nun von ihm geschiedenen Ehefrau erst nach seiner Einreise in die Schweiz eingegangen ist, so steht dies der Qualifikation der Unzumutbarkeit seiner Rückkehr als Härtefall im Sinne von Art.50 Abs.1 lit.b und Abs.2 AuG nicht entgegen. Der nacheheliche Härtefall umfasst nicht nur Gründe, die unmittelbar durch die Ehe (oder eine deswegen erfolgte allfällige Ausreise aus der Heimat) verursacht wurden. Nach der Rechtsprechung genügt es, dass die geltend gemachten Konsequenzen für das Privat- und Familienleben der ausländischen Person mit dem Dahinfallen der gestützt auf die Ehe gewährten Anwesenheitsberechtigung verbunden sind und eine erhebliche Intensität aufweisen (BGer2C_13/2012 vom 8. Januar2013 E.4.3; BGE139 II 393 E.6, 138 II 229 E.3.1, 138 II 393 E.3.1 = Pra 2013 Nr.2; BGE137 II 345 E.3.2.3 je m.H.).


Liegt somit ein wichtiger persönlicher Grund gemäss dieser Bestimmung vor, so ist keine Interessenabwägung zwischen den Interessen der vom Härtefall betroffenen Person und denjenigen des Staates an einer restriktiven Einwanderungspolitik vorzunehmen (BGer2C_695/2011 vom 21.Februar 2012 E.2.2, 2C_149/2011 vom 26.September 2011 E.2.2; VGEVD.2016.99 vom 7. November 2016 E.3.3, VD.2012.135 vom 12. März 2013 E.2.7). Gleichwohl kann aber festgestellt werden, dass dem Rekurrenten insgesamt eine gute soziale und berufliche Integration zugesprochen werden kann und er hier über vielfältige und wichtige persönliche Beziehungen verfügt. Mehrere in den Akten dokumentierte Stellungnahmen aus dem Umfeld des Rekurrenten deuten auf eine gute Integration hin. So engagiert er sich in einer Fussballmannschaft, hat verschiedene Arbeitstätigkeiten ausgeübt und bemüht sich um eine Ablösung von der Sozialhilfe. Er arbeitet heute im Vertrieb [...] und als Magaziner [...]. Er verfügt über Familienangehörige in der Schweiz, und seine aktuelle Partnerin lebt in der grenznahen französischen Stadt [...]. Negativ zu gewichten wären im Falle einer Interessenabwägung die strafrechtlichen Verurteilungen, der Bezug von Leistungen der Sozialhilfe sowie die verzeichneten, betriebenen Schulden des Rekurrenten. Es darf aber festgestellt werden, dass die Falschangaben im Asylverfahren bereits 10 Jahre zurückliegen und heute bezüglich der relevanten Sachlage keine Hinweise auf Unrichtigkeiten bestehen. Die strafrechtlichen Delikte beschränken sich im Wesentlichen auf rechtswidrigen Aufenthalt und Strassenverkehrsdelikte. Von der Sozialhilfe hat der Rekurrent sich bereits vor einigen Jahren ablösen können, und seine offene Verschuldung ist insgesamt beschränkt. Infolge des Dahinfallens der Interessen­abwägung kann schliesslich auch offen bleiben, wie sich das Interesse an der wahrheitsgemässen Durchsetzung der Einwanderungsbestimmungen auswirken würde, welches der Rekurrent mit seinen anfänglichen Falschangaben im Asylverfahren beeinträchtigt hat (hiervor E. 2.3.2.5). Jedenfalls liegen nach heutigem Kenntnisstand keine Widerrufsgründe vor, welche gemäss Art.51 Abs.2 lit.b i.V.m. Art.62 Abs.1 AuG zum Erlöschen eines Anspruchs gemäss Art.50 Abs.1 lit.b und Abs.2 AuG führen könnten.


2.4.2 Aus diesen Erwägungen folgt, dass der Rekurs in der Sache gutzuheissen ist. Der angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben und die Sache zur Erteilung einer Härtefallbewilligung gemäss Art.50 Abs.1 lit.b AuG an das Migrationsamt zurückzuweisen.


2.4.3 Gemäss Art. 99 AuG sind gewisse, vom Bundesrat zu bezeichnende ausländerrechtliche Entscheide und Bewilligungen dem SEM zur Zustimmung zu unterbreiten. Das Bundesgericht hat in einem Urteil vom 30. März 2015 in einem Obiter dictum die Zustimmung des SEM gestützt auf Art.99 AuG und Art.85 Abs.1 lit.a/b VZAE dann als unstatthaft erachtet, wenn die Bewilligung zuvor durch eine Rechtsmittel­behörde verbindlich angeordnet worden sei und dem SEM dagegen die Behörden­beschwerde nach Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG offenstehe (BGE141 II 169 E.4.4; Bigler/Bussy, in: Nguyen/Amarelle [Hrsg.], Code annoté de droit des migrations, Volume II: Loi sur les étrangers, Bern 2017, Art. 98 à 99 N15-17). Unterdessen sind die Ausführungsbestimmungen zum Zustimmungsverfahren in Art. 85 VZAE mit Wirkung per 1.September 2015 geändert (AS 2015 S. 2739) und die vom Bundesgericht als gesetzeswidrig beanstandete Subdelegation an das SEM aufgehoben worden, wobei die Bundesverwaltungsbehörden dem Wortlaut nach am generellen Zustimmungserfordernis im Falle der Erteilung und Erneuerung einer Aufenthaltsbewilligung festhalten (Art.4 lit.d der Verordnung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements über die dem Zustimmungsverfahren unterliegenden ausländerrechtlichen Bewilligungen und Vorentscheide [V-EJPD, SR142.201.1]; ebenso Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich des SEM, aktualisierte Fassung vom 1.Juli 2018 S.31, 34ff.). Das Bundesgericht hat in einem weiteren Urteil eine Zustimmungsverweigerung des SEM bestätigt; sie richtete sich gegen einen Gerichtsentscheid, mit dem der Aufenthalt wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG gewährt worden war (BGer 2C_739/2016 vom 31. Januar 2017 E. 4.1.1).


Seither unterscheidet das Bundesverwaltungsgericht, welches die Zustimmungs­verweigerungen des SEM auf Beschwerde hin überprüft, ob die gerichtlich erteilte Härtefallbewilligung auf einem gesetzlichen Anspruch beruht nicht. Urteile wie das vorliegende, mit denen das Gericht einen gesetzlichen Bewilligungsanspruch zuspricht und die das SEM mit Behörden­beschwerde anfechten kann, sind dem SEM nicht zur Zustimmung zu unterbreiten (BVGer F-7291/2016 vom 15. Dezember 2017 E. 4.3.2, F-6323/2016 vom 19.Mai 2017 E. 3.2.6 und 3.3), ihm aber weiterhin mitzuteilen (Art. 112 Abs. 4 BGG in Verbindung mit Art. 1 der Verordnung vom 8. November 2006 über die Eröffnung letztinstanzlicher kantonaler Entscheide in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten [SR 173.110.47]). Demgegenüber müssen Gerichts­urteile, die einen Härtefall gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG annehmen, weiterhin dem SEM zur Zustimmung unterbreitet werden; denn es handelt sich dabei um eine blosse Ermessensvorschrift, die keinen Rechtsanspruch vermittelt (BVGer F4110/2015 vom 1. Februar 2018 E.4.2, BGer 2C_739/2016 vom 31.Januar 2017 E. 4.1.1).


Zusammenfassend ist das vorliegende Urteil, welches auf einem Härtefall gemäss Art.50 Abs.1 lit.b AuG beruht, dem SEM nicht zur Zustimmung zu unterbreiten, sondern ihm bloss mitzuteilen.


3.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine ordentlichen Kosten zu erheben. Demzufolge ist dem Rekurrenten der von ihm geleistete Kostenvorschuss zurückzuerstatten und es ist die Vor­instanz zu verpflichten, ihm eine angemessene Parteientschädigung auszurichten. Der Rekurrent hat es unterlassen, den Aufwand seines Vertreters mit einer Honorarnote zu belegen. Es ist daher der angemessene Aufwand vom Gericht zu schätzen. Angemessen erscheint dafür ein Aufwand von insgesamt 12 Stunden zum praxisgemäss anzuwendenden Überwälzungstarif von CHF250.-. Mit den notwendigen Auslagen resultiert eine Parteientschädigung von CHF3100.- zuzüglich Mehrwertsteuer zu 8% auf 2850.- und zu 7,7% auf CHF250.-. Die Entschädigung geht zulasten des Justiz- und Sicherheitsdepartements.



Demgemäss erkennt das Verwaltungsgericht (Dreiergericht):


://: In Gutheissung des Rekurses wird der Entscheid des Justiz- und Sicherheitsdepartements vom 30. November 2017 aufgehoben und die Sache an das Migrationsamt zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (Härtefall gemäss Art.50 Abs.1 lit.b AuG) zurückgewiesen.


Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren werden keine Kosten erhoben.


Dem Rekurrenten wird zulasten des Justiz- und Sicherheitsdepartements eine Parteientschädigung von CHF3100.-, einschliesslich Auslagen, zuzüglich Mehrwertsteuer von insgesamt CHF247.25 (8% auf CHF2850.- sowie 7,7% auf CHF250.-) zugesprochen.


Mitteilung an:

- Rekurrent

- Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt

- Justiz- und Sicherheitsdepartement Basel-Stadt

- Staatssekretariat für Migration (SEM)


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Der Gerichtsschreiber

Dr. Urs Thönen


Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art.82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht (1000 Lausanne 14) einzureichen. Für die Anforderungen an deren Inhalt wird auf Art.42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.


Ob an Stelle der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein anderes Rechtsmittel in Frage kommt (z.B. die subsidiäre Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht gemäss Art.113 BGG), ergibt sich aus den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen. Wird sowohl Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als auch Verfassungsbeschwerde erhoben, sind beide Rechtsmittel in der gleichen Rechtsschrift einzureichen.



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