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Urteil Appellationsgericht (BS - SB.2020.12 (AG.2020.281))

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:SB.2020.12 (AG.2020.281)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid SB.2020.12 (AG.2020.281) vom 28.04.2020 (BS)
Datum:28.04.2020
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Rechtzeitigkeit der Berufungsanmeldung
Zusammenfassung:Die Berufungsklägerin wurde der mehrfachen Beschimpfung schuldig erklärt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Berufungsklägerin meldete die Berufung verspätet an, da sie Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hatte. Das Appellationsgericht entschied, dass die Berufungsanmeldung als rechtzeitig eingereicht gilt, da das Urteil nicht rechtsgültig zugestellt wurde. Das Strafgericht wurde angewiesen, ein schriftliches Urteil in französischer Sprache auszufertigen. Die Kostenentscheidung wird im Endentscheid getroffen.
Schlagwörter: Berufung; Gericht; Berufungsklägerin; Urteil; Verfahren; Gerichts; Über; Frist; Verfahrens; Basel; Sprache; Basel-Stadt; Gericht; Appellationsgericht; Übersetzung; Rechtsmittelbelehrung; Berufungsanmeldung; Urteils; Deutsch; Schweiz; Eingabe; Belgien; Entscheid; Schweizerischen; Dispositiv; Dreiergericht; Staatsanwaltschaft; Appellationsgerichts; Berufungsgericht
Rechtsnorm: Art. 42 BGG ; Art. 48 BGG ; Art. 67 StPO ; Art. 68 StPO ; Art. 81 StPO ;
Referenz BGE:118 Ia 223; 142 IV 201; 143 IV 117;
Kommentar:
-, Basler Kommentar zur StPO, Art. 68 StPO, 2014
Entscheid

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Dreiergericht



SB.2020.12


ZWISCHENENTSCHEID


vom 28. April 2020



Mitwirkende


lic. iur. Christian Hoenen,

Dr. Marie-Louise Stamm, lic. iur. Barbara Schneider

und a.o. Gerichtsschreiberin MLaw Jacqueline Bubendorf




Beteiligte


A____, geb. [...] Berufungsklägerin

[...] Beschuldigte


gegen


Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Berufungsbeklagte

Binningerstrasse21, 4001 Basel



Privatkläger


B____



Gegenstand


Berufung gegen ein Urteil des Einzelgerichts in Strafsachen

vom 14. Januar 2020


betreffend Rechtzeitigkeit der Berufungsanmeldung



Sachverhalt


Mit Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 14. Januar 2020 wurde A____ (Berufungsklägerin) der mehrfachen Beschimpfung schuldig erklärt und zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu CHF 30.-, mit bedingtem Strafvollzug, unter Auferlegung einer Probezeit von 2 Jahren, verurteilt. Am 23. Januar 2020 wurde das Urteil der Berufungsklägerin zugestellt. Mit Eingabe vom 30. Januar 2020 meldete die Berufungsklägerin beim Strafgericht Berufung gegen das genannte Urteil an. Diese wurde am 31. Januar 2020 in Belgien versandt und ging am 6. Februar 2020 beim Strafgericht Basel-Stadt ein. Am 11.Februar 2020 überwies der Präsident des Strafgerichts die Berufung vom 30. Januar 2020 zusammen mit den gesamten Akten zur Überprüfung der Gültigkeit der Berufung ans Appellationsgericht.


Am 14. Februar 2020 hat der Verfahrensleiter des Appellationsgerichts eine Verfügung erlassen, mit welcher der Berufungsklägerin mitgeteilt worden ist, dass ihre Berufungsanmeldung als verspätet erscheine. Dabei ist ihr die Möglichkeit eingeräumt worden, bis 17. März 2020 zu begründen, weshalb sie die Frist nicht eingehalten hat. Diese Begründung ist von der Berufungsklägerin mit Schreiben vom 24. Februar 2020 fristgerecht eingereicht worden. Darin führte sie aus, dass sie Schwierigkeiten mit dem Verständnis der Gerichtsurteile sowie auch der gerichtlichen Verfügungen gehabt habe, da sie die deutsche Sprache nicht beherrsche. Bis anhin habe sie diese stets kostenpflichtig übersetzen lassen, dazu würden ihr aber derzeit die finanziellen Mittel fehlen. In der Folge hat sich der Privatkläger (Eingang 11. März 2020) sowie auch die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt mit Vernehmlassung vom 19. März 2020 zum Vorbringen der Berufungsklägerin geäussert.


Die Einzelheiten des Sachverhalts und der Parteistandpunkte ergeben sich, soweit sie für den Entscheid von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen. Das vorliegende Urteil ist auf dem Zirkulationsweg ergangen.



Erwägungen


1.

Gemäss Art. 403 Abs. 1 lit. a der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR312.0) entscheidet das Berufungsgericht in einem schriftlichen Verfahren, ob auf die Berufung einzutreten ist, wenn die Verfahrensleitung eine Partei geltend macht, die Anmeldung Erklärung der Berufung sei verspätet unzulässig. Für einen solchen Entscheid ist das Berufungsgericht, also derjenige Spruchkörper zuständig, der auch die allfällige materielle Beurteilung des angefochtenen Urteils vornehmen wird (AGE SB.2019.81 vom 8. Oktober 2019 E. 1, SB.2015.83 vom 14.März 2016 E. 1, SB.2017.40 vom 10. Juli 2017 E. 1, SB.2017.29 vom 29. August 2017 E. 1.2). Zuständiges Berufungsgericht ist vorliegend ein Dreiergericht des Appellationsgerichts, welches nach § 88 Abs. 1 und § 92 Ziff. 5 des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG, SG 154.100) zur Behandlung von Berufungen gegen Urteile des Dreiergerichts bzw. Einzelgerichts in Strafsachen zuständig ist.


2.

2.1 Die StPO sieht für die Einlegung der Berufung ein zweistufiges Verfahren vor. Die Berufung ist gemäss Art.399 Abs.1 StPO dem erstinstanzlichen Gericht innert 10Tagen seit Eröffnung des Urteils schriftlich mündlich zu Protokoll anzumelden. Nach Ausfertigung des begründeten Urteils übermittelt das erstinstanzliche Gericht die Anmeldung zusammen mit den Akten dem Berufungsgericht (Art.399 Abs.2 StPO). Innert 20Tagen seit Zustellung des begründeten Urteils ist sodann bei der Berufungsinstanz eine schriftliche Berufungserklärung einzureichen (Art.399 Abs.3 StPO; BGer 6B_684/2017 vom 13.März 2018 E.1.4.2, mit Hinweisen; AGE SB.2018.30 vom 23.Juli 2018 E.2.1). Die Frist beginnt am Tag nach der Zustellung zu laufen und ist eingehalten, wenn die Eingabe spätestens am letzten Tag bei der Strafbehörde abgegeben zu deren Handen der Schweizerischen Post übergeben wird (Art.90 Abs.1, Art.91 Abs.2 StPO). Fällt der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonntag einen staatlich anerkannten Feiertag, so endet sie am nächstfolgenden Werktag (Art.90 Abs.2 StPO). Es handelt sich um eine gesetzliche Frist, die gemäss Art.89 Abs.1 StPO nicht erstreckbar ist (BGer 6B_849/2011 vom 6.Juli 2012 E.1.1; AGE SB.2018.30 vom 23.Juli 2018 E.2.1, SB.2014.85 vom 5.Januar 2015 E.1.3, mit Hinweisen).

2.2 Vorliegend wurde das Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt der Berufungsklägerin am 23. Januar 2020 zugestellt. Die 10-tägige Frist ist folglich am 2. Februar 2020 bzw., da dieser Tag auf einen Sonntag fiel, am 3. Februar 2020 abgelaufen (Art.90 Abs.2 StPO). Die Berufungsanmeldung ging am 4. Februar 2020 und damit einen Tag zu spät bei der Schweizerischen Post ein. Es ist jedoch vorab zu prüfen, ob die Zustellung eines ausschliesslich auf Deutsch verfassten Urteils an eine der deutschen Sprache nicht mächtige Beurteilte überhaupt fristauslösende Wirkung haben kann.


2.3 Die Staatsanwaltschaft bejaht diese Frage im vorliegenden Fall und stellt sich auf den Standpunkt, die Eingabe der Berufungsklägerin sei verspätet. Sie begründet dies damit, dass im Wohnsitzland der Berufungsklägerin Deutsch genauso Amtssprache sei wie Französisch Flämisch. Auch vor dem Hintergrund, dass das Erlernen der deutschen Sprache Teil der obligatorischen Schulbildung in Belgien sei, hätte es der Berufungsklägerin möglich sein müssen, den Inhalt der Gerichtskorrespondenz zu verstehen, und zwar auch ohne die Inanspruchnahme teurer, professioneller Übersetzungsdienste, notfalls unter Beizug belgischer Bekannter, die etwas Deutsch können, sowie von Online-Übersetzungsdiensten.


2.4 Gemäss Art. 67 Abs. 2 StPO führen die Strafbehörden der Kantone alle Verfahrenshandlungen in ihren Verfahrenssprachen durch. Die Verfahrenssprache der Basler Strafbehörden ist Deutsch (§ 23 Einführungsgesetz StPO [EG StPO, SG 257.100]). Nach Art. 68 Abs. 2 StPO ist jedoch einer an einem Strafverfahren beteiligten Person, welche der Verfahrenssprache nicht mächtig ist, der wesentliche Inhalt der wichtigsten Verfahrenshandlungen in einer ihr verständlichen Sprache mündlich schriftlich zur Kenntnis zu bringen. Ein Anspruch auf vollständige Übersetzung aller Verfahrenshandlungen sowie der Akten besteht allerdings nicht. Nach der Praxis der Rechtsprechungsorgane der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK, SR 0.101) besteht indessen grundsätzlich ein Anspruch auf unentgeltliche Übersetzung aller Schriftstücke und mündlichen Äusserungen, auf deren Verständnis der Beschuldigte angewiesen ist, um in den Genuss eines fairen Verfahrens zu kommen und sich sinnvoll zu verteidigen (vgl. Urwyler, in: Basler Kommentar zur StPO, 2.Auflage 2014, Art. 68 N8; BGE 143 IV 117 E. 3 S.120). Dementsprechend müssen gemäss Bundesgericht sowie auch nach der Praxis des Appellationsgerichts zumindest das Dispositiv und die Rechtsmittelbelehrung eines Entscheids in eine dem Beurteilten verständliche Sprache übersetzt werden (BGer 6B_277/2019 vom 5.Juli 2019, E. 2.2.2; statt vieler: AGE BES.2018.141 vom 3. September 2018, BES.2017.143 vom 26. Oktober 2017, BES.2014.120 vom 6. November 2014).


Es trifft zwar zu, dass es nach der Rechtsprechung des Appellationsgerichts Sache des Beschuldigten ist, seine Rechte aus Art. 68 StPO rechtzeitig geltend zu machen, indem sie die Behörden auf seine mangelnden Sprachkenntnisse hinweist (AGE BES.2014.160 vom 16. Februar 2015 E. 1.4). Anders als im genannten Fall war dem Strafgericht vorliegend indessen bekannt, dass die Berufungsklägerin belgische Staatsangehörige ist, ihren Wohnsitz in Belgien hat und daher französisch spricht und schreibt. Die Berufungsklägerin war an der vorinstanzlichen Gerichtsverhandlung nicht anwesend, das Urteil konnte ihr also nicht mündlich eröffnet und übersetzt werden. Damit wäre das Strafgericht gehalten gewesen, der Berufungsklägerin zumindest das Dispositiv und die Rechtsmittelbelehrung seines Urteils in französischer Sprache zuzustellen. Daran ändert nichts, dass Deutsch eine Amtssprache Belgiens darstellt, zumal es sich beim deutschen Sprachgebiet Belgiens um einen sehr kleinen Teil des Landes handelt, in welchem die Berufungsklägerin nicht wohnhaft ist. Es steht nicht mit hinreichender Gewissheit fest, dass sie das vorinstanzliche Urteil verstanden hat. Dieses ist der Berufungsklägerin daher nicht in rechtsgültiger Form zugestellt worden.


2.5 Ein nicht rechtsgültig zugestellter Entscheid entfaltet keine Rechtswirkungen und löst keine Fristen aus (BGE 142 IV 201 E. 2.4 S. 205). Es kann jedoch nicht generell davon ausgegangen werden, dass im Falle einer fehlenden Übersetzung die Frist zur Berufungsanmeldung nie zu laufen beginnt. Vielmehr ist von der betroffenen Person zu erwarten, dass sie nach Treu und Glauben im Rahmen des Zumutbaren selber tätig wird. Demgegenüber ist reines Abwarten nicht zu schützen (vgl. Stohner, in: Basler Kommentar zur StPO, 2. Auflage 2014, Art. 81 StPO N 3). Im Falle einer fehlenden Übersetzung hat - ähnlich wie bei einer mangelhaften Rechtsmittelbelehrung - der Grundsatz zu gelten, dass der betroffenen Person, die sich nach Treu und Glauben verhält, aus dem Fehlen der Übersetzung kein Nachteil erwachsen darf (Stohner, a.a.O.; BGE 118 Ia 223 E. 2 S. 228; 135 III 374 E. 1.2.2.1 S.376; AGE BES.2013.31 vom 12. Juli 2013 E. 4.2, BES 2013.117 vom 16. Juni 2014 E. 1.4.4). Im vorliegenden Fall kann der Berufungsklägerin nicht vorgeworfen werden, sie sei untätig geblieben. Vielmehr ist die Berufungsanmeldung lediglich einen Tag nach Ablauf der kurzen, 10-tägigen Frist bei der Schweizerischen Post eingegangen. Diese Fristüberschreitung kann ihr unter diesen Umständen nicht entgegengehalten werden.


3.

3.1 Aus dem Gesagten folgt, dass die Berufungsanmeldung als rechtzeitig eingereicht entgegengenommen und das Berufungsverfahren fortgesetzt wird. Das Strafgericht wird angewiesen, gegenüber der Berufungsklägerin ein schriftliches Urteil auszufertigen und zumindest das Dispositiv sowie die Rechtsmittelbelehrung in französischer Sprache zu eröffnen.


3.2 Entsprechend den Anforderungen von Art. 68 Abs. 2 StPO sind der Berufungsklägerin das Dispositiv und die Rechtsmittelbelehrung dieses Zwischenentscheids auch auf Französisch übersetzt zuzustellen. Im Hinblick auf das weitere Berufungsverfahren ist sie indessen darauf hinzuweisen, dass gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kein Anspruch darauf besteht, bei Eingaben eine andere Sprache als die Verfahrenssprache zu verwenden (BGE 143 IV 117 E. 2.1 S. 119). Sie wird ihre Eingaben somit auf Deutsch einreichen müssen.


4.

Über die Kosten im Zusammenhang mit dem vorliegenden Zwischenentscheid ist im Rahmen des Endentscheids zu befinden, der zu einem späteren Zeitpunkt ergeht (vgl. AGE SB.2019.33 vom 17. März 2020, SB.2018.92 vom 18. Februar 2019, SB.2015.9 vom 19. März 2019).



Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Dreiergericht):


://: Es wird festgestellt, dass die Berufung rechtzeitig angemeldet worden ist. Das Strafgericht hat demgemäss ein schriftliches Urteil auszufertigen und zumindest Dispositiv und Rechtsmittelbelehrung gegenüber Frau A____ in französischer Sprache zu eröffnen.


Über die Kosten wird im materiellen Berufungsentscheid entschieden.


Mitteilung an:

- Berufungsklägerin

- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt

- Privatkläger

- Strafgericht Basel-Stadt


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Der Präsident Die a.o. Gerichtsschreiberin

lic. iur. Christian Hoenen MLaw Jacqueline Bubendorf

Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post einer diplomatischen konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.



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